Skip to main content

Full text of "Die Juden in der Karikatur"

See other formats


ft 4" v'^ : '- 



: 



: ; " " ■ • : . 














dillfej 


- - '.-- '..;'■ 


*.^e&C. 


■ . ■& 




•;» 




E&* 




M 




:;gl 






** 


■;;| 






j 


Fs> 


^ 


[*' 


JP 


■*-,s 




■ i& 




' ,f'. c 




;" J 




■ . > '. 


4. 


■ . !-.- 


■si 


■:-.$ 




■ i'« 




■ ■ , i,j 




?{g 




' 1 


-* 





■■■■'. 



. . j ^.y^fj See;-: am 'i;^ ' ? aft U'TS- 




1 



" -" "'"■ ; 



Die Juden 
in der Karikatur 



Ein Beitrag zur Kulturgeschichte 



von 



Eduard Fuchs 



Mit 307 Textillustrationen und 31 schwarzen und farbigen Beilagen 




Albert Langen, Verlag, Munchen 



Copyright 1921 by Albert Langen, Munich 

Alle Rechte, insbesondere das Ubersetzungsrecht, auch fur Rufiland, vorbehalten 

Albert Langen Eduard Fuchs 

Die ersten hundert Exemplare dieses Werkeswurden auffeinstem Kunstdruckpapier 
abgezogen, handschriftlich numeriert und mit der Hand in Halbfranz gebunden 




2. Titelleiste aus einem antisemitischen Dresdener Bilderbogen „Der Teufel in Deutschland" 1897 



Vorwort 

Dieses Buch lag auf meinem Weg, genau wie mein fruheres Werk ,,Die Frau in der Karikatur." Die 
Judenfrage ist neben der Frauenfrage eines der auffalligsten Sondergebiete in der Karikatur aller Zeiten 
und Vblker. Ich muBte dieses Buch also eines Tages schreiben, nachdem ich die Karikatur als eine wich= 
tige Wahrheits quelle fiir die geschichtliche Erforschung der Vergangenheit crkannt und proklamiert hatte. 
Der Plan zu diesem Buch ist deshalb schon sehr fr.iih bei mir aufgetaucht, und die ersten Vorarbeiten — 
das Sammeln der bezeichnendsten Judenkarikaturen und der fiir die Ausarbeitung ebenso wichtigen lite= 
rarischen Flugblatter — liegen ebenfalls schon sehr wcit zuriick. Meine urspriingliche Absicht war, das 
Buch etwa um das Jahr 1915 herauszubringen, nach Vollendung meiner Daumier*Ausgabe. Der Weltkrieg 
hat diesen Plan zerstort. Er hat es mir unmoglich gemacht, mein Material zu vervollstandigen, das un* 
entbehrliche Quellenmaterial aufzutreiben, und er hat auch die technischen Vorbedingungen der Herstellung 
Jahre hindurch zunichte gemacht. Diese technischen Vorbedingungen sind erst seit kurzem wieder ganzlich 
gegeben. Lcider unter den allgemein bekannten veranderten Umstanden, die ein Buch sechs= bis achtmal 
so teuer machen wie friiher. Und das ist fiir mich die grolJte Hemmung beim Schreiben. Bucher 
schreiben, die in der Hauptsache nur noch von Leuten mit ungeheuer gesteigertem Einkommen gekauft 
werden konnen, das ist fast literarischer Hurendienst. Wenigstens empfinde ich es so. Fur eine neue 
Menschheit zu schreiben, miifite kostlich sein, nicht aber fiir die neuen Reichen. Gliicklich iene, die diese 
neue Menschheit erleben. 

Da es sich in diesem Buch um eine rein historische Arbeit handelt, der jede parteipolitische oder 
agitatorische Tendenz mangelt, und da die Erkenntnisse, zu denen mein-i historischen Untersuchungen fiihren, 
nur insofern aktuelle Bedeutung haben, als sie die Gesetze aufdecken, die auch in der Gegenwatt bei der 
Entstehung von Judenkarikaturen letzten Endes wirksam sind, so hat diese Verzogerung in der Ausarbeitung 
und im Erscheinen auf den ursprunglichen Plan keinerlei EinfluR ausgeiibt. Dagegen haben die Erfahs 
rungen des Weltkrieges, der besonders in den Landern der Besiegten zu einer neuen und starken antise; 
mitischen Welle gefuhrt hat, meine Erkenntnisse uber die geschichtlichen Zusammenhange des Antisemitismus 
im Gegenteil nach jeder Richtung bestatigt und bekraftigt. — 



111 



Ober das Arrangement der Bildbeigaben auf den folgenden Seiten mochte ich an dieser Stelle einige 
Worte voranschicken. Es ist zweifellos fiir den Leser am bequemsten und fur das aufmerksame Lesen am 
eindruckvollsten, wenn Bild'und Text sich insofern miteinander decken und verschmelzen, daft die Bilder 
sich dem Beschauer auch auf den Seiten darbieten, auf denen im Text davon die Rede ist. So sehr ich 
die Wichtigkeit dieses Umstandes einsehe, muB ich doch leider erklaren, daft diese Absicht alsbald ein 
technisch unlosliches Problem darstellt, wenn man sich gleichzeitig von dem Bestreben leiten laftt, so viel 
als nur irgend moglich an Bildmaterial vorzufiihren. Dieses aber scheint mir das Wichtigere zu sein. Das 
zeitgenossische Bild ist fiir mich, wie gesagt, eine iiberaus wertvolle Wahrheitsquelle, die nach meiner 
Oberzeugung niemals durch Worte ebenbiirtig zu ersetzen ist. Darum suche ich bei alien meinen Biichern 
dem Leser so viel an Bildmaterial vorzufiihren, wie buchtechnisch irgendwie moglich ist. Dazu kommt im 
vorliegenden Falle, daft das Bild nicht den Text illustrieren soil, sondern daft der Text den Bilderreichtum 
begriinden soil. Unter diesen Umstanden ist selbstverstandlich ein Zusammentreffen von Text und Bild 
ausgeschlossen , und der Leser muB sich mit der Unbequemlichkeit abfinden, an der Hand der ent* 
sprechenden Hinweise im Text dasZusammengehorige selbst aufzufinden. Die Reihenfolge der einzelnen 
Bilddokumente habe ich in der Hauptsache historisch getroffen, im besonderen aber ist das Arrangement 
bestimmt gewesen von dem Wiinsch nach einer kunstlerischsharmonischen Gesamtwirkung 

Noch einen Punkt mochte ich an dieser Stelle erwahnen; Die Besitzer meiner „Karikatur der euro* 
paischen Volker" und der „Frau in der Karikatur" werden in diesem Bande einigen Karikaturen begegnen, 
die ich bereits in diesen beiden Biichern wiedergegeben habe. Es handelt sich hierbei um insgesamt 
12 Abbildungen. Ich weise auf diese Wiederholung hier deshalb mit besonderer Absicht hin, weil ich 
damit von meinem bis jetzt streng eingehaltenen Plan abgewichen bin, in jeder neuen Veroffentlichung 
auch absolut neues Bildmaterial vorzufiihren. Bei einer Sonderbehandlung eines Einzelgebietes, wie es 
z. B. die Juden in der Karikatur darstellen, muB ich natiirlich alles bezeichnende Material vereinigen und 
durfte nicht auf jene Blatter verzichten, die ich fruher schon in anderem Zusammenhang vorgefiihrt 
habe, wenigstens nicht, soweit es sich um besonders bezeichnende Beispiele handelt. 



Berlin^Zehlendorf, im Sommer 1921 



Eduard Fuchs 




Susanna und die beiden Greise 

3. Englische Karikatur. 1830 



IV 



Wic sich dcr Chanukalcuchlcr des Zicgenfellhandlers Cohn in Pinne zum Christbaum des Komnicrzienrats Conrad 
in der TiergartenstraBe (Berlin W.) entwickche. 

4. Aus dem jiidischcn WitlW.itt ..Schlcmiel". 1906 



Inhaltsverzeichnis 



Erster Teil 

I. Allgemeines . . 

II. Die Bcdeutung der Karikatur 

HI. Die Rolle der Juden in der Geschichte .... 
IV. Der Anteil der Juden an der europaischen Kultur . 

V. Warum sind die Juden von allcr Welt gehattt? . 



Zweiter Teil 

VI. Das Wesen der Karikatur . . 

VII. Die Rolle der Judenkarikatur . 

VIII. Bis zur Judenemanzipation. 14.- 



Seite 

.1-91 

1 
3 
8 

70 
75 



92-312 

. . . .... . . ... 92 

. . 100 

-18. Jahrhundert Ill 



IX. 



X. 

XI. 



Die Spottfiguren an Kirchen (111); die Judensau (114); die graphische Satire 
(123); der jiidische Wucher (130); der jiidische Kipper und Wipper (144); der 
Hofjude (148); der Jude als Soldat (153); verschiedene Motive (156); der jiidische 
Typ (160) 

Die literarische Satire , ... ... 167 

Die sprachliche Satire . .... 193 

Die plastische Satire .... . . 201 

Die Juden in der Karikatur des 19. Jahrhunderts 211 

Die Judenemanzipation (217); die antisemitische Witzblattpresse (237); der Jude 
in der Politik (247); der Jude in der Literatur und Kunst (256); der Jude in der 
Karikatur des Weltkriegs (268); das antisemitische Plakat (273) 

Das Erotische in der antijiidischen Satire . . ... 286 

Die jiidische Selbstironie 303 



Beilagenverzeichnis 



neben Seite 

Das grofie Judenschwein, deutsche Karikatur, 15. Jahrhundert ... 8 

Der Jud Stellt seinen Sinn . . . Deutsche Karikatur, 15. Jahrhundert ... 16 

Wai geschrieen! Nurnberger Karikatur von Leonhard Strauch. 17. Jahrhundert 24 

Der Koms und Weinsjud, deutsche Karikatur, 17. Jahrhundert 32 

Der jiidische Geizhals, deutsche Karikatur, 17. Jahrhundert ... 40 

Deutsche Karikatur auf die Juden als Soldaten, 18. Jahrhundert 48 

Einer vom Stamm Levi . . ., englische Karikatur:, 1778 56 

Die Londoner B6rse . . ., englische Karikatur, urn 1780. 64 

Salomon in seiner Glorie, von Isac Cruikshanc, 1790 . 72 

Moses in den Binsen, von G. M. Woodward, 1799 . 80 

Ein jiidischer Makler, von Thomas Rowlandson, 1801 ... . Vill 

Schwarmerischer Blick in die Sonne, deutsche Karikatur, 1820 . 88 

Unsere Leute, wie sie sind, Nurnberger Karikatur, urn 1825 ... 96 

Israelchen hat einen Dukaten verschluckt, deutsche Karikatur, 1820 . 104 

Wie Rothschild durch die Welt kutschiert, Frankfurter Karikatur, 1845 112 

Die Generalpumpe, Berliner Karikatur, 1845 .... 120 

Habts Acht! . . . Wiener Karikatur von Loschenkohl, 1848 . , 128 

Der wandernde Ewige Jude, von Gustav Dore, 1852 144 

Der Ewige Jude beim jiingsten Gericht, von Gustav Dore, 1858 . 152 

Nach dem Krach, Wiener Karikatur, 1875 . 160 

Susanna im Bade, von Arnold Bocklin . 176 

Paul Singer, von Gustav Brandt, Kladderadatsch 192 

Kikeriki*BildersBogen, Wiener Karikatur 200 

Rothschild, von C. Leandre, 1898 208 

Antisemitisches Wahlplakat, von Adolphe Willette, 1889 . .216 

Galante franzosische Lithographie, von Griin, um 1900 . . . 224 

Titelseite des Psst . . . !, von J. Forain, 1898 232 

Joseph und die Potiphar, von Mesek, 1913 256 

Titelseite des russischen Witzblattes Pluvium, 1907 . ... 272 

Polnisches antibolschewistisches Plakat, 1920 ... . 280 

Oesterreichisches antisemitisches Wahlplakat, 1920 . . 296 



VI 



Die Juden in der Karikatur 




5. Staubcr. Flie^endc Blatter. 1S51 

VII 




Ein jiidischer Malcler 

EnBl'ische Karikatur von Thomas RowUndson. 1801 



Ueiliac za Edutrd Facts. .Die Juden is icr Kifikalur" 



Albert Langra, Muacfeen 




6. Das Judenschwein am Regensburger Dom 

Kapitcllverzierung. Satirische Steinskulptur. 13. Jahrhundert 



Erster Teil 



Allgemeines 



Das Lachen und das Weinen ist gleicherweise untrennbar vom menschs 
lichen Leben, vom Leben des Einzelnen wie von dem der Gesamtheit, — 
darum ist die Karikatur die Begleiterin der Menschheit auf alien ihren We« 
gen; sie ist nichts anderes als ein gesteigerter bildhafter Ausdruck fur beides. 

Weil Weinen und Lachen, in ihrer gemeinsamen zeichnerischen Aus« 
strahlung der Karikatur, sozusagen ewig sind, mufi ich mit der Raums 
und Zeitbegrenzung, die meine Arbeit umspannen soil, anfangen. Sie er« 
streckt sich ausschlieClich auf die europaische Kultur — selbstverstandlich 
gehort hierzu auch Amerika; denn es ist ausschliefilich europaischer Geist, 
der dort expansiert — und beginnt mit der Fruhzeit der Wirtschaftsweise, 
aus der sich unsere heutige europaische Kultur entwickelt hat; das ist das 
14. und 15. Jahrhundert. Zwar gab es in Europa schon viel fruher eine Jus 
denfrage, namlich bereits im Mittelalter, aber erst vom ausgehenden viers 
zehnten Jahrhundert an sind Judenkarikaturen in Europa nachzuweisen 
und erhalten. Also setzt meine Arbeit mit diesem Zeitpunkt ein. 

Fuchs, Die Juden in der Karikatur 1 

1 




Vom IS. Jahrhundert an gibt es in den 
verschiedensten, d. h. der Reihe nach in 
samtlichen Landern Europas Karikaturen 
auf die Juden. Bald gab es deren viele, bald 
wenige, bald gar keine, dann wieder eine 
ganze Hochflut. Dieser standige, wennauch 
nicht immer auf den ersten Blick erkenm 
bare Wechsel im Auf und Nieder der Zahl 
wie in dem der Leidenschaft, die in den 
einzelnen Blattern pulsiert, entschleiert uns 
das Gesetz, das als zeugende Kraft fur alle 
Lander und alle Zeitabschnitte gilt. Dieses 
Gesetz zu enthiillen, darzustellen , durch 
die Jahrhunderte hindurch mit karikaturistischen Dokumenten zu belegen, 
ist das dieser Arbeit von mir gesteckte Ziel. Die bildliche Beweisf iihrung, 
die ich damit unternehme, ist, wie der Leser schon beim oberflachlichen 
Durchblattern feststellen mufi, in sehr vielen Fallen eine sehr lustige und 
sehr amiisante. Sie ist nicht selten sogar verbliiffend geistreich. Wo sie 
weder lustig noch amiisant ist, da ist sie zum mindesten interessant; es gibt 
kein einziges Dokument in dieser Sammlung, das nicht nach irgendeiner 
Seite fesselte; auch wenn man weder die gedankliche noch die kiinstlerische 
Losung anerkennt. Dieser allgemein interessante Charakter riihrt daher, 

dafi hier nicht nur haufig die heftigsten LeU 
denschaften am Werke waren, sondern daft 
sich auch der Spott und die Satire gegen* 
iiber den Juden zumeist hemmungslos aus* 
toben konnten. So kam es, daft man unter 
den Judenkarikaturen vornehmlich der nas 
menlosen und simpeln Volkskunst begegs 
net. Die grofien Namen der Karikatur 
fehlen jedoch auch nicht, und einige von 
ihnen sind sogar mit wahren Meisterlei* 
stungen vertreten. Weil dem Spott gegen* 
7. u. 8. Satiren auf die juden iiber den Juden keinerlei Schranken gesetzt 

CborrfvblKhniezctticn in der KJrcfae Notre Djme j ■ . . . f 1 . J 

»» Ac^hot i? j.hrho»d trt waren, darum verbirgt sich wie bei dem 




Spiegel, den die Frau in der Karikatur 

der verschiedensten Zeiten und Volker 

gef unden hat, auch hinter dem lustigen 

Schellengeklapper der Judenkarikatu* 

ren nicht selten ein grofiTeil des schwer* 

sten Menschenleids und der tiefsten 

Menschheitstragodie. Und wenn es 

auch nicht meine Absicht sein kann, 

nie gewesen ist, und nie sein wird, die 

Geschichte des Lachens mit Leichen; 

bittermiene oder gar als posthumer 

Schulmeister und Moralpauker zu 

schreiben, sodarf einem beim Schreiben 

die Schellenkappe doch nicht ins Ge« 

sicht baumeln; man mufi sie sich ein 

wenig in den Nacken schieben. So 

habe ich es bei meinem Buch iiber die 

Frau in der Karikatur gemacht, und so will ich es hier wieder machen. 

Man soil das Lauten der Schellenkappe immer horen, aber der ernst sonore 

Grundton, die Qual der anderen, der Angegriffenen, die sehr oft nicht nur 

bis in den Geldbeutel, sondern wirklich bis ins Herz getroffen wurden, 

dieser Ton mufi stets mitgehort werden. 




9. Spoltbild aus Kehlheim auf die 1519 aus Regcns> 
burgvcrtricbenen Judcn. Sni D skuiph>c 



II 

Die Bedeutung der Karikatur 

Die Karikaturen iiber Menschen und Dinge, denen wir bei jeder Rucks 
schau auf Schritt und Tritt begegnen, stehen selbstverstandlich niemals zu* 
sammenhanglos in der Geschichte. Sie sind niemals einf ach blofi da, ohne 
dafi ein zwingender Grund f iir ihre Existenz vorhanden ware. Wie fiir das 
Entstehen eines Gewitters ganz bestimmte Spannungen und Widerstande 
in der Luft vorhanden sein miissen, so sind fiir das Entstehen einer jeden 
Karikatur ganz bestimmte gesellschaf tliche Spannungen die Voraussetzung. 



Karikaturen iiber eine bestimmte Person, iiber bestimmte Volksgruppen oder 
uber irgendwelche Dinge und Erscheinungen sind stets provoziert worden 
von einem wenn auch nicht immer aufierlich sichtbaren, so doch stets stark 
empfundenen Widerspruch zwischen diesen Personen und.Dingen und dem 
sozusagen landlaufigen Allgemeinzustand der Gesellschaft. 

Aus diesem Umstand resultiert auch der historische Wert, den ich der 
Karikatur als Wahrheitsquelle fur die Vergangenheit beimesse. Man kann 
an einer Karikatur noch nach Jahrhunderten ablesen, welcher Art Span* 
nungen und Widerspruche wahrend der Zeit ihrer Entstehung in der Ge* 
sellschaft vorhanden waren. Aus dem grofieren oder geringeren Grad der 
Heftigkeit und aus der Zahl der in einer Zeit oder einem Lande uber be* 
stimmte Personen, Zustande oder Ereignisse erschienenen Karikaturen 
kann man denUmfang und die Tiefe dieser Spannungen ermessen und ent* 
nehmen, wie stark jene Zeit von den in den betreffenden Karikaturen zum 
Ausdruck gekommenen Widerspruchen durchwuhlt war. Man kann weiter 
aus den durch die einzelnen Karikaturisten angewandten satirischen Mitteln 

mit Leichtigkeit feststellen.welchen 
Rang der karikierte Zustand — Per* 
son oder Sache — in der orient* 
lichen Achtung oder Wertschat* 
zung damals eingenommen hat; 
ob die karikierte Person oder das 
von ihr verkorperte Prinzip be* 
wundert oder gef urchtet war, oder 
ob es ein Objekt der allgemeinen 
Verachtung war, das man gerade 
gut genug fand, urn in ihm alle 
moglichen verachtlichen Laster zu 
brandmarken. Aus dem Charak* 
ter der einzelnen Karikaturen, 
ihrem geistigen Wesen, kann man 
mit derselben Leichtigkeit erken* 
nen, ob zur Zeit der Entstehung 
Prefifreiheit herrschte, froher und 
frohlicher Meinungsaustausch in 



Sfernebftdj. 




^Mixnbofetnottnvolgtt \ftt c^u gf)efcJ?kjjt 
Par to va an fulueegnmerlthKgi>e£>?cj)t 

10. Die Durchstechung der Hostie durch die Juden 
zu Sternberg. 1492 



.4 









B 



i>«S i«f> iMi'a nil Jfi gsnOCn 
tVwwcitipu^ii mimefointt 

.... fi^«(ttihivuk«hct«fofl; 

to^rmeptytybtyilgg ... . 
iittvit fas ■fijam an Kn raff 

*Vnej>«j nit ate atY^cfcn km 
So6 (olhmfttralfo tvettan 

i Oijrm wxlirf) wa fris rtitdjiatn 
N>t*t«ifc triti vi(Si\x /5 Irtflai 

WrtcimpaieMwcecii^reiino^ii 

fWitfvmftWciirptiwen 
iWvwtme<tUird:<jtlfeb«Eka£ 
b<juttiVn>«t t*o 3v Ijflfe 
1&um« G»W$ wirnwMtr ob 

fGimehijHjapttwiiiOaJrrd^ 







-_.,,„ juj«3« 

Sfi6Wci»iti«»i<MiMii>* 

Wtl G^-mS^tt^fc* ataJKn 

.•»«ittfwegdta»iec»ei4w4w 
.jmfartorrflUciftiniepann 

'omiti fiwxUlernpSiua'rtW^OT 
Ub tutu all&e memgtiwflin 

iiettwmiicQenipfal mUEIoydjen 

bhimt wtr4i«ff vnttCotmn 
JHlOldXUt tnoi^t(^«Wft lath 

VilM&neuiuty VMttan inn en 
cwuten arifontuetifen fiji 

iin»gS^u^niS««tJw (fan 
lSoch{iA*imit(i<Mn%tfeft ttttt 
YiittlMtoiVnewisaiXnbMYwrlH 
OdBttlWwUtttUtam ftilteh fltitl 

]EVmin$t|%ttpt&igG: nn tiWm 
ttttiotfmtmtivns vuo«Mt<uk 



11. Der Jude Josel von Rosheim vor dem goldenen Kalb als ..Herold aller Jiidisilhkeit" 

Satiiischcs Flugblatt auf die Schalkheit dec Juden. Anfang 16. [ahihundert 



Obung war, oder ob das freie, offene Wort verpont war und die Karikatur 
dem heimlichen Pfeil aus dem Hinterhalt glich, den man niemals wagen 
durfte, offentlich abzuschnellen. Ebenso wichtige Aufschlusse iiber die Zeit 
ihrer Entstehung gibt der jeweilige kunstlerische Wert einer Karikatur oder 
einer ganzen Karikaturengruppe. Ob es eine Zeit bluhender Volkskunst 
oder des allgemeinenkulturellenNiederganges war, ob stolze, schopferische 
Kraft die Zeit und die Menschen erfullte, oder ob sie zu geistiger Armut 
und zur Unfruchtbarkeit verdammt waren. An ihren Techniken — ob Holz« 
schnitt, Radierung oder Kupferstich — erkennt man, in wessen Diensten der 



f£in awe^ng jrermamgfelrigen 

fd) tblid) « ^rt»bd/$§ tajmung alien Ct>2ifi«n/ 
fccti tcuflli'djeit !i(t^f < y»«« jffntftwydjtn 

XOttvdfCta ttil toaa fctonbvnt |^>at 
S&lc/piinget aup t* m jiutco baft/ 

XVijItirorrfib,<n6|?rAtj«rtri?it>t. 



satirische Geist einer Zeit stand, 
fiiir wen er seine satirischen Pfeile 
scharfte, ob fur das Volk in sei« 
ner Gesamtheit, ob „fiir die 
Gasse", oder nur fur den Salon. 
Und so weiter. 

1st so die Karikatur durch 
diese verschiedenen Umstande 
eine zwar einseitige, aber gerade 
kraft ihrer Einseitigkeit wert« 
voile Wahrheitsquelle fur die 
Vergangenheit — weil in der 
Ubertreibung des Wesentlichen 
einer Erscheinung das Element 
der Karikatur besteht, tritt in 
der Karikatur dieses Wesentliche 
am sinnfalligsten in Erschei* 
nung — , so mufi man anderer* 
seits zuerst die historische Situas 
tion entschleiern, aus der be* 
stimmte Karikaturen vorubergehend und dauernd entstanden sind, oder 
noch entstehen, um zum richtigen Verstandnis der einzelnen karikaturisti? 
schen Dokumente zu gelangen. Man mufi die Stimmungen, die sich in 
den Karikaturen uber gewisse Zustande oder Erscheinungen spiegeln, in 
ihrer gesellschaftlichen und in ihrer psychologischen Bedingtheit aufdecken, 
wenn man den Einzelwert wie den Gesamtwert der Karikatur einer Zeit, 
ihre sogenannte historische Rolle,. rich tig beurteilen will. Erst dadurch er« 
langt die zeitgenossische Satire in unserer Vorstellung ihren entscheidenden 
Inhalt und Eindruck, und erst dadurch bekommt das Grofie und Starke 
seine voile Bedeutung zugewiesen, dagegen das Nebensachliche den ihm 
gebuhrenden untergeordneten Rang. Diese Aufdeckung der gesellschaft:: 
lichen Spannungen und Widerspriiche, die seit Jahrhunderten in fast alien 
europaischen Landern antijiidische Karikaturen gezeugt haben und taglich 
von neuem zeugen, mufi darum die Basis aller meiner Darlegungen sein. 
Selbstverstandlich kann es sich hierbei nur um eine Darlegung in grofien 




12. Titclholzschnitt der satirischen Schriit: „Der Judcn Badstub." 1535 



©tf§ubotfpteg6t'nfc8 

gen ant/ 
3d>far»a^erburd>alle lanto/ 

Von graftal 3"bfn i<£ fagot tril 
©it fdjab ban 4anb t fe&n «" bcr (Ml. 

©a-<Bci(ili$feJlt »nb triirt ju nidfee 
0crtsclrIi$mt$ti0bo<i? aiiffbu^t/ 

Vnb if anbern ombfeer in ban £anb 
XJ nfer T»a^t ift la(i<ri( iinb vnb f$4n!k» 




Zugen handeln, um eine Schilderung 

der nach meiner Meinung prinzipi* 

ellen und programmatischen Ge* 

sichtspunkte. Eine Geschichte des 

Judentums bei dieser Gelegenheit 

zu geben, ist vom Stoff nicht be* 

dingt und ist auch nicht der Zweck 

dieser Arbeit, um so weniger, als 

mir hierzu die notige wissenschaft* 

liche Qualifikation fehlt. Fur meine 

Ausfuhrungen iiber die geschicht* 

liche Rolle der Juden mufi ich mich 

deshalb vielfach auf solche wissen* 

schaftliche Erkenntnisse stutzen, die 

in dieser Frage bereits von anderen 

gewonnen worden sind, und ich 

muB mich damit begnugen, aus die* 

sen Erkenntnissen auszuwahlen, was 

sich mit meinen in anderer Rich* 

tung gewonnenen tJberzeugungen 

deckt. Im allgemeinen mochte ich 

hier jedoch vorausschicken, dafi es trotz der vielen tausend Bucher, die 

iiber die Juden geschrieben worden sind, das, was man eine den heutigen 

wissenschaftlichen Anspruchen entsprechende Geschichte des Judentums 

nennen kann, uberhaupt noch nicht gibt. Eine solche wird es freilich erst 

an dem Tage geben, an dem das in Frage kommende Grundproblem end* 

gultig gelost ist. Dieses Grundproblem lautet: Gibt es einen innerlich be* 

dingten Widerspruch zwischen der geistigen Wesenheit des Judentums 

und derjenigen der in Europa vor dem Auftreten der Juden ansassigen 

Volker? Und wenn ja: worin besteht dieser Widerspruch? Wurde er zu 

einer Erganzung fur unser nordisches Wesen oder zum Gegenteil? Erst 

aus der erschopfenden Beantwortung dieser Frage ermoglicht sich dem 

Geschichtsschreiber ein richtiges historisches Urteil, das heifit eine auf* 

hellende Verwendung des ihm zu Gebote stehenden geschichtlichen Ma* 

terials. Fur die Losung dieses Grundproblems gibt es meines Wissens bis 



15. Titelhohschnitt der satirischen Schrift: ,,Dec JudenspieG", 
Strafiburg 1541 



jetzt nur einen einzigen grofieren und bedeutsamen Beitrag, namlich das 
Buch von Werner Sombart: „Die Juden und das Wirtschaftsleben". Da 
mich die Studien, die ich zu meinen verschiedenen kulturgeschichtlichen 
Buchern gemacht habe, und auch die bereits vor zehn Jahren begonnenen 
Vorarbeiten zu diesem Buche zu einer Reihe von Urteilen gefuhrt haben, 
die sich mit denen Sombarts decken, so gab mir sein Buch, als ich es vor 
einigen Jahren zu Gesicht bekam , zahlreiche erganzende Anregungen. Ich 
habe diese im nachsten Kapitel mannigfach verwertet. 



Ill 

Die Rolle der Juden in der Geschichte 



Welchen Anteil haben die Juden an unserer europaischen Kultur, das 
heifit: an ihrem Aufbau und an ihrer Entwicklung? Haben sie diese be* 

einflufit, und in welchem Sinne? Waren sie 
Forderer und Mitbaumeister unserer Kultur, 
oder immer nur Schmarotzer und Schadlinge 
an ihr? 

Ich glaube, hierauf muE man die Frage 
zuspitzen. Denn die Kultur ist das, was aus 
der Vielheit der Einzelindividuen, Gruppen, 
Klassen und ganzen Volker eine Einheit im 
grofien Stil macht; sie ist also fur die Betref* 
fenden das Gemeinsame und das Verbindens 
de. Von einem gewissen Zeitpunkt der Ents 
wicklung an, wo die Menschen und Volker 
anfangen, ihre Geschichte mit Bewufitsein zu 
machen, ist sie in einem gewissen Umfange 
auch das Gewollte, weil sie, ebenfalls bis zu 
einem gewissen Grade, das jeweilige Resultat 
des allgemeinen Strebens nach fortschreitens 
der Vervollkommnung des Einzelnen wie des 
Ganzen darstellt. Aus der Art und dem Urn* 




ad> ban vii iufcifc^ lifftfeyi 
yr fiirfetjt apt on all atbeyt 
mil goBetfaultdt (id) MJ tttm 



14. 



Bauer und Stadter beim jiidischcn 
Geldverleiher 

Niiroberger Holuchoitt 1491 



8 




Das grofie Judenschwein 

Deutsche Karikatur auf die Juden. 15. Jahihundert 



Beilige zn fidnard Pocht, .Die Jnden In der Karifcttur* 



Altai Langen, Mfacaea 




15. Satire auf die Juden 

Steinskulptur an ciner flamtschen Kirche 
14. Jahrhundert 



fang, in demdie genannten einzelnen Teile eines 
bestimmten Kulturkreises an der spezifischen Aus* ' 
bildung der betreffenden Kultur mitgewirkt haben 
oder noch mitwirken, ergibt sich der Mafistab fur 
deren historischen Wert oder Unwert. 

Die Antwort auf die Frage nach dem Anteil 
der Juden an der europaischen Kultur bekommt 
man, wenn man feststellt, welche Rolle die Juden 
bei der Ausbildung und Durchbildung der kapita* 
listischen Wirtschaftsweise gespielt haben. Denn 
diese ist Wurzel und Nahrboden zugleich unserer 
gesamten modernen europaischen Kultur. 

Die Kultur einer historischen Epoche ist nie« 
mals etwas anderes als die direkte Ausstrahlung der wirtschaf tlichen Krafte, 
die in ihr lebendig sind, und der Organisationsform ihrer Produktionsweise. 
Das heifit: der Denks und Gefiihlskomplex einer Zeit, ihre Moralien, ihre 
Kraft zu kunstlerischer Gestaltung der Erscheinungen des Lebens, — sie alle 
sind letzten Endes bedingt von der Hohe der Entwicklungsstufe, auf der die 
betreffende Zeit ihre materiellen Lebensbediirfnisse — Essen, Kleiden, Woh« 
nen — befriedigt. Wie eine Zeit produziert und wie sie konsumiert, — davon 
hangt in letzter Instanz alles andere ab, und danach formt sich darum auch 
alles Geistige. Je primitiver die Wirtschaftsweise einer Zeit ist, desto primi* 
tiver ist deren Denken und Fiihlen. Und umgekehrt; je hoher die Stufens 
leiter der okonomischen Allgemeinentwicklung einer Zeit ist, um so weiter 
ist der Umfang des Horizontes ihres Denkens, um so komplizierter ist ihre 
Gefuhlswelt, um so reicher ihr kiinsts 
lerisches Gestaltungsvermogen. Dies 
se Zusammenhange zwischen Wirt« 
schaft und Kultur brauchen hier nicht 
mehr naher begriindet zu werden, das 
ist von Berufeneren langst erschop* 
fend getan. 

Auf Grund dieser Erkenntnis 
mufi man also sagen: wie z. B. die 
mittelalterliche Kultur der Reflex der 

Fuchs, Die Juden in der Karlkatur 




16. Die Judensau 
Wittenberger Spottbild. Holzschnitt. 16. Jahrhundert 




teudalen Jfroduktionsweise, der reinen 
Natural wirtschaft war, so ist unsere 
moderne burgerliche Kultur nichts an* 
deres als die Ausstrahlung der kapitas 
listischen Wirtschaftsweise, und deren 
Besonderheiten sind ihre Besonder* 
heiten. 

Auf diese Besonderheiten kommt 
es namlich an. Das heifit auf die beiden 
Fragen: Worin bestehen sie, und auf 
welchem Wege kamen sie in die Ge* 
schichte? Das festzustellen , sind die 
beiden zu losenden Aufgaben. 

Die Antwort auf die erste Frage — 
Worin bestehen diese Besonderheiten? 
— lautet: Sie bestehen im Aufkommen 
und vor allem in dem InsBewegung:: 
Kommen der Geldwirtschaft. Dieser 
Prozefl setzte am fruhesten im sud* 
lichen Italien ein, und zwar im 1 1. und 
12. Jahrhundert. Auf Italien folgten Frankreich und Spanien , dann der 
Reihe nach alle westeuropaischen Lander; bis zum Ausgang des 15. Jahr* 
hunderts waren allmahlich alle Mittelmeerlander von diesem ProzeiT er« 
griffen, und damit in ihnen das Mittelalter uberall abgeschlossen. Das Geld 
hatte in alien diesen Landern seinen revolutionaren und alles von Grund 
auf umwuhlenden und umsturzenden Siegeszug uber die Welt begonnen. 
In einzelnen Gebieten des Mittelmeerkreises, wie z. B. in Italien, war es 
im 14. und 15. Jahrhundert sogar schon zu einer der imponierendsten Aus* 
strahlungen der neuen, auf der Geldwirtschaft aufgebauten Wirtschaftss 
weise gekommen, zu der so zauberhafte Bluten treibenden Fruhrenaissance, 
und zwar infolge einer ganz ungeheuren Bliite der Geldwirtschaft in diesem 
Lande. — 

Das Geld. Das Geld als spezieller Faktor der Entwicklung bedarf im 
Rahmen dieser Arbeit einer besonderen Erorterung. Der revolutionare 
Charakter des Geldes kann kaum ubertrieben werden. Das Geld ist das 



17. Titelblatt von Martin Luthers Schrift wider 
die Juden 

Satirischer Hohschnitt von Lukas Cranach. Wittenberg 1543 



10 




£in new 2ieD von Oct ftat TRottoiburg an Oer tbawber 
*>no von vettrribung oer 3uoen do felbft 
§m febutren fsmen tbon. 

1© Sea nit ^a? marts 
K«p:ad)t on grcflot febmorg. 

I^pOmtbromnHrfhjrttinoictja)l<nfln 

»a»fa&8«bciKfatmd>c 

Die groflat reanba- am yd 

iDflS all» tag gefd)id)t 

2Jn»ra» &a>cn»cytvnb ptaft 

fcaji vns mit anbad>t pimn 

ATaria bit reyne mail. 

(p>a matt bie jfobm trodJ &6t baft 
i>ii maii vnb aud) bit frarocn 
SDa fbtgen t>tc von Rotmtfforg an 
Kin Capel Oa $u parent 
3n ber or t>er rcyn ttlana gfl( 
!DKmitberbt1ff|r&&nbe9 
fragroflejefdjintbfit. 

f (Cut jimggefdlxmb bar waeplmbt 
tTler bamt funff gange far 

gn omr bul ertrancF on BhbC 
asfagid)eud)furrcar 
doe htntJtiftrcfoa-lcSaitwotn 
So letter ttebtbas few geftd)« 
atebetcrenyevcrloitt. 

fScytJier (arm an Jurttffwwldn 
6as rats oar bartffefcbictrt 
tnic rVantf|)«fancttX>aIojwn 
farib ber ten menfd) Begat 
Wfirgett ofjt jreclffrndfonot tag 
Das iji mm fh'fd) vnb gefimb; 
6k rearbeic id> cud) fag 

IP9?08 wu nber ja'd)en (ait gefdjdjtn 

Xjnb nod) taglid) gef~d)id)t 

Cnb bos bit frommat mot fdjm febct 

g<t)wai'f)|"ralkrmd)t 
ud> &nid)&y3trttt6afj&fmmn 
Oafin>ermitanbad)t$u)r»afc 
ber win bcrrcarfjac I'nmn 

flSnnrjbaffberbfjt baa fob gebidjt 

Tfl nun eut alter man 

Enaria verfefr. Eon d)tifiennld)t 

tt>erfterufitfk#ga« 

»nb ermantfiean bat fd-,ntemo) 

Dot ftevmS ires Knbcscfrtc 
Rlybimljarjak 



Kt'rf Xeydjffctt arrbBTDarcfJer leyt. 
'|t Aottntftirg geitannt 
Wbafcn bk"Jubcn lange jeyt 

CSetrifotgrofjefdjant 

ITKt reiKbcrcy vnb fchatflar lift 

Oa mit gar mancfoer (rummer 

$& grunt wrbotfenifl. 

CTun bat m'anant bit fad) ertett 
2Sifj ytjc auffbife ftunbt 
~octoi tbcujcbd ifl a genent 

la Bale e» (m marc Cunbt 

'a feyert erweber tag nod) nadjt 
fitter mit fanakce 

ie^ubot bamtm putd)t. 

f*&bat«aronfmfd&errod)t 
Oit grcfjfurflcbagftyt 
£e ifi oh fimberlfcbe pfltd>t 
Oon tnatiabcr reynat maye 
Cnb bos bie fcfodd' »ertrif?at fetm 
EEsifi ber gotta tville 
tOTatttbiei|ifnvanb. 

[Sietfoiitesnfcvnpfllid) 
frKnbtlybtgrofienob 
>ar (n ba was tr tvillig 
WfJjnbenpitttmtobt 
toffy gcbctjcfeutybce gag 



18. lllustrieites Fliegendes Blatt auf die Veitreibung der Juden aus Rothenburg a. d. Tauber 

16. Jjhrhundert 

2* 



§r r 3&t>. 




revolutionarste Element, das iiberhaupt 
jemals in die Welt eintrat. Diese Wir* 
kung entsteht aus den folgenden Eigen* 
schaften des Geldes. Durch die Einfiih* 
rung des Geldes als Tauschmittel fur ge* 
leistete Arbeit wird die Arbeit mobil und 
transportabel. Bis dahin war sie fast aus* 
schliefilich an den Ort ihrer Entstehung 
gebannt. Sie mufite bis zu einem hohen 
Grade dort verbraucht werden, wo sie 
geleistet worden war. Damit waren der 
Produktivitat und der Auswirkung der 
Arbeit naturgemafi die engsten Grenzen 
gezogen.und die Allgemeinzustande einer 
solchen Zeit konnten sich nur in einem 
durchaus primitiven Rahmen bewegen. 
Das war in Europa z. B. die Signatur des 
fruhen Mittelalters. Diese Beschranktheit 
der Arbeitsverwertung horte in dem 
Augenblick auf, als es zur Einfuhrung 
des Geldes in der Form von Metallgeld 
kam. Edelmetall war wegen seiner spezi* 
fischen Eigenschaften uberall begehrt und 
dadurch wurde das Metallgeld schliefilich zum alleinigen Wertmesser und 
Werttrager. Von dieser Stunde an konnte man die an einem Ort geleistete 
Arbeit an jeden beliebigen anderen Ort nicht nur des Landes, in dem man 
lebte, uberfuhren, sondern schliefilich uberall dorthin, wo ebenfalls Tausch* 
handel auf der Basis des Metallgeldes sich entwickelthatte. An jedem die* 
ser Orte konnte die im Gelde verkorperte Arbeit wieder lebendig und 
damit die Arbeit wieder fruchtbar gemacht werden, die Arbeit des Slid* 
landers im hohen Norden und umgekehrt. Dies ist, das braucht nicht erst 
naher begrundet zu werden, eine derart wichtige Eigenschaft, dafi sie in 
ihrem Einflufi kaum uberschatzt werden kann. Aber zu dieser einen Eigen* 
schaft des Geldes, der Beweglichmachung der Arbeit, tritt noch eine an* 
dere, gleich wichtige. Durch die Einfuhrung des Metallgeldes als Tausch* 



Q3m mcfy titnb fonftrin 3(56 gtnatmtf 
2fcb lci& nutfcaib ©eft an em "PfanM/ 
16(1 mane nit ju grfrgtem grtl/ 
©ogi'ftco mi'r Drnnod; fom'd/ 
©armuusrCtrbi'cl) Dtnlo^n ^auffn/ 
£)er nut toil S^t rn / Srcflh onD (gauffn/ 
Socfj nimpt mei'u fyanbtl gar nit ab/ 
3Brii iclj m«nefll«'c(j vitl ®ruDer fyib. 

19. Derjude 

Holzschnitt von Jost Amman. Frankfurt 1568 



12 




forfct* 

WjjrOjoetes Jtefirirngvitb jd'twttg/ 
VO£e fte belt Qon Ootts ver fpeyeit/ 
2111 Cbriftett verm«Ube<jen. 
2><tr3» «U Cbrifilict) (Dberteit/ 
3Q0eil<$ twbt gerljet foiflajn lefl>. 
2tuc& jr grewtf dbe XOwcfoeref / 
rjodbftnb fie be<? <tlln£tmn frey. 
25ecr<tdbc bocb foldjs b» fromer <£bri/!/ 
fc»fa£gUidjbocb/ol>rn>erb»bifJ. 
£.«& &t'r &t'& 25itd) 3 w fcer oen gtttt/ 
©OtCwirbtttnjeOengebttftmlo&it. 




ANNO. M, D, LXXfc 



20. TitelbUtt der situischen Spottschrift ,,Dcr JudeD Ehrbarkeit". 1571 

mittel fur Arbeit war, im Prinzip, hinfort keinerlei uberschussige Arbeit 
mehr nutzlos getan und verloren; weder von der Arbeit des Einzelnen 
noch von der ganzer Gruppen, wie es bis dahin stets der Fall war. Bis 
zur Einfuhrung des Metallgeldes war die an einem Ort geleistete Arbeit 
z'u dem Teil verloren, der nicht an Orfc und Stelle verbraucht werden 



13 



konnte. Darum gab es aiich zur Zeit der Naturalwirtschaft kein intensives 
Streben zur Steigerung des Arbeitsertrages, und die Entwicklung dieser 
Periode vollzog sich nur im Schneckentempo. Die Lokomotive der Ent« 
wicklung muB mit iiberschiissiger Arbeit geheizt werden; und sie kann 
nur damit geheizt werden. Das war, wie gesagt, moglich mit dem Auf kom* 
men der Geldwirtschaft. Aller Arbeitsuberschufi konnte von da an aufge* 
stapelt und beliebig lang aufbewahrt werden. Man konnte die Arbeit im 
vollen Sinne des Wortes „auf Lager" legen, sie bekam hierdurch ein wahr« 
haft ewiges Leben. In Verbindung mit. der erstgenannten Eigenschaft des 
Geldes, der Beweglichkeit, konnte man jetzt die Arbeit, d. h. ihre gehei* 
men Krafte, in ihrer ewig lebenden Form zugleich an jedem Ort, wo man 
ihrer bedurfte, konzentrieren, und obendrein in unbeschranktem Umfang. 
Auf diese Weise war den Menschen die Moglichkeit geschaffen, Auf gaben 
zu unternehmen und zu losen, die iiber die Befriedigung der nackten Lebens* 
bedurfnisse hinausgingen. Jetzt erst konnten sie Hauser und Stadte bauen, 
gewaltige Kathedralen und stolze Rathauser auffuhren; jetzt erst konnten 
sie breite Flusse mit Brucken uberspannen, den Flussen ihre Wege weisen 
und ihre Krafte sich dienstbar machen; jetzt erst konnten. sie den Schofi der 
Erde aufbrechen und deren Schatze ans Licht heben; jetzt erst konnten sie 
die Gebirge durchbohren, die Meere uberqueren und schlieBlich einen Welt* 
teil an den anderen ketten. Jetzt erst entstanden aber auch solche Bedurf* 
nisse in der Menschheit. 

Auf diese Weise und durch diese Eigenschaften revolutionierte das 
Geld die Welt. Wo es zur Geldwirtschaft kam, wurden die gesellschaft* 
lichen Verhaltnisse reich und vielgliedrig; sie komplizierten sich in dem 
gleichen Mafie, wie sich der Geldverkehr ausdehnte. Der Horizont des 
Denkens der Menschen reichte so weit, als das Geld zu rollen vermochte, 
und die Phantasie der Menschen bekam taglich neue Schwingen. 

Alles dieses in einen Satz zusammengefafit heifit: Das Geld ist der 
Erwecker aller Kultur. Im besonderen Falle: unserer Kultur, aller ihrer 
Errungenschaften, aller ihrer technischen Wunder, aller ihrer kunstlerischen 
Schopfertaten. Das Geld hat unser Leben gestaltet auf Schritt und Tritt bis 
auf den heutigen Tag, — im Bosen freilich ebenso wie im Guten : die silbernen 
Kugeln haben tatsachlich den Weltkrieg entschieden, wie sie jeden welt* 
historischen Kampf in letzter Instanz entscheiden. Mit Genie, sagte Napo* 

14 




:3 



-O 

O 



c £ 

it £ 

■^ J? 

3 a 



■2 I 

O ■£ 
fi" ' 



QttGtetftMtr. 




leon I. einmal, kann man hochstens eine 
Schlacht, aber keinen Krieg gewinnen. 
Obendrein ist das grofiere Genie meistens 
beim groCeren Geldhaufen. Nur auf dem 
mit Gold gedungten Kulturboden wachsen 
geniale Kopfe oder reifen geniale Taten. 
Nur weil jahrhundertelang ein Goldstrom 
durch Italien flutete, erwuchsen an seinen 
Ufern solche Wunderstadte wie Siena, Pe? 
rugia, Bologna, Venedig, Florenz, Rom 
und Dutzende von anderen. Wunderstadte 
mit Wundermenschen wie: Giotto, Michel* 
angelo, Raffael, Leonardo da Vinci, Cellini, 
Ghiberti, Donatello und hundert andere. 
Einzig deshalb erlangten hier die Literatur 
und die Wissenschaften um jene Zeit ihre 
hochste Blute. Nur weil zu anderer Zeit 
ebenfalls grofie Geldstrome nach dem klei* 
nen Holland fluteten, entwickelten sich 
dort ein Rembrandt, Franz Hals, Jan Steen 
usw., nur deshalb florierten um diese Zeit 
in Holland die Universitaten. Man kann 
dieses alles vielleicht noch viel besser im 
Negativen als im Positiven beweisen: Wo das Geld aus irgend welchen 
auCeren Grunden ausblieb, kam es niemals zu einer grofieren Kultur, wo 
das Geld rar wird oder gar ganz verschwindet, dort verdorrt auch alsbald 
die Kultur und geht schliefilich ganz zugrunde, mag sie zuvor noch so 
bluhend, noch so machtig gewesen sein. Das alte Rom zerbrach mit seiner 
gesamten gewaltigen Kultur am Edelmetallmangel; es fehlte allmahlich 
das Geld, um dauernd die zum Schutze seiner Macht notigen Soldner abzu« 
lohnen. Das bluhende Spanien der Renaissance ging zugrunde und blieb 
bis in die letzten Jahrzehnte unserer Gegenwart eine trostlose Steinwuste, 
weil ihm im 15. Jahrhundert das Geld ausging (weil es von dort auswan* 
derte), — darum ging Kolumbus auch auf die Fahrt, um neues zu holen. 
Denn was er zu entdecken suchte, war nur Ophir, das sagenhafte Goldland 



(Ein©fUnarrfotwrbicf? gcnannt/ 
•£>n ru§ if? mc in fy rf?/munB »nt> Bant)/ 
3Buidjnurgro|@clf on& 3Jfi^(^uin& 
SOnBtrfcfecnipt fifttg vbt t( umty 
£9?ir6f>n3«i<fnrpie6^u id) lauffh/ 
SSflit ^Dur^rr/ dufflaSn vnt> vt rf aijffn/ 
SSinDccf J>atbtt)(<fyrQtttauambt(it&J 
34 FfW bapgui vno 5 ifi Pae org. 

22. Der Geldnarr 

Holzschnitt von Jost Amman. Frankfurt 1568 



16 










imao 



-^ubcotuni 









Cfetupo •ptmm hw^fe w>S wfeta Wtc vfum<ttn»?a»ptmd 
_.ra*f<fe &me«tuf»m ^ifcfumn-twtt&tfturm UgsXnwtuu 








If^utemtni 



^cfter«rtfwKye»wr Jit W 







favtttufom 
CjU'Jfe'mi tea*? t^ tt^mtatr tfitiwc&f- 






$fiffl&tfp 






Der Jud stellt seinen Sinn Nacht und Tag, wie er den Christen verderben mag 

Deuischer satirischer Einblattdruck auf den jiidischcn Wucher. IS. Jahrhundert 



Bellige m Eduard Fuchs, ,Die Judfn In der Ksrlttatur* 



Albert Langen, Mflnchen 



der Alten. Der Zusammenbruch dieser beiden Kulturen infolge Versiegens 
des Geldstroms sind nur zwei besonders augenfallige Beispiele aus der Ge* 
schichte, wo diese Ursache ganz off en zutage liegt, und nicht, wie in zahl* 
reichen anderen Fallen, erst als letzte, wenn auch entscheidende Instanz 
wirkte. Mit dem Geld geht die Sonne iiber den Menschen auf, mit sei* 
nem Verschwinden geht sie unter. 

Erkennt man diese von Grund aufbauende und grundsturzende revo* 
lutionare Rolle des Geldes in der Geschichte, und akzeptiert man diese Be* 
deutung, so bedarf es furwahr keines Saltomortales der Logik, um daraus 
den sehr wichtigen Schlufi zu ziehen: also sind die Geldbesitzer, als Trager 
der Geldwirtschaft, zu alien Zeiten die wichtigsten Mitbaumeister am Auk 
bau der europaischen Kultur, und ihre besondere geistige Wesenheit mull 
unserer Kultur einen Teil ihrer bezeichnendsten Ziige verliehen haben. 

Diese Geldbesitzer aber waren in Europa von der Zeit an, von der ich 
mit dieser Arbeit einsetzen 
will, bis herauf in unsere Ge* 
genwart, infolge Abstain* 
mung, Herkunf t und einerRei< 
he anderer historischer Um* 
standeineinemganzauffallend 
grofien Umfange — die Juden. 

Da nun die Juden in ganz 
besonderem Mafie die Geld* 
besitzenden waren und sind, 
so sind also auch sie es, die 
in besonderem Mafie das kul* 
turelle Antlitz Europas beein* 
flufit haben und es ist ein glei* 
cherweise untrennbares histo* 
risches Schicksal, daft man den 
Spuren der geistigen Wesen* 
heit des Judentums in zahlrei* 
chen unserer politischen und 
gesellschaftlichen Zustande 
begegnen mufi. 

F u chs , Die Juden in der Karikaiur 




23. Der Jurist, der Jude und die Frau machen die ganze Welt irr 



Spottbild von Hans Wandereisen. Nurnberg 1520 

3 



17 




24-32, Der Juden Bidstub 

Sitinsthr BiLderfolge. Kupferstiche jus dtm AnfjnR des IT. Jjhrhunder: 



Das ist die Antwort auf die zweite der beiden oben (S. 10) gestellten 
Fragen: Auf welchem Wege kam in Europa die Geldwirtschaft in die Ge* 
schichte? 

Das Wie dieses Geschehens, und in welchem Umfange es ein histo* 
risches Schicksal war, dafi es gerade die Juden waren, welche die Gelds 
wirtschaft in Europa in Fluft brachten und in ihrem neuen und besonderen 
Wesen bestimmten, das ist angesichts der Tatsache, daft mit dieser veran? 

18 




33-41. Der Juden Bad stub 

Sjtiristhc Bildcrfolge. Fomctzung, Kupfrrstiche jus drm Anfjng dcs 17. Jjhrhundert 

derten Wirtschaftsweise eine neue ganz einzigartige Kultur entstand, natim 
lich der Kernpunkt unseres Themas. Man mul? dabei bedenken: aus diesem 
„Wie?" resultieren letzten Endes auch alle die Konflikte und Spannungen, 
die sich in den Tausenden von antijudischen Karikaturen spiegeln, die seit 
dem 14. Jahrhundert erschienen sind. Deshalb erfordert dieses „Wie?" 
auch eine breitere Behandlung. 



19 



Man kann naturlich nicht behaupten: zur kapitalistischen Wirtschafts* 
weise (und damit zur kapitalistischen burgerlichen Kultur) sei es in Europa 
einzig und allein durch die Juden gekommen. Eine solche Behauptung ware 
gedankenlos. Denn jedes historische Ereignis, und noch mehr eine welt* 
historische Situation von solchem AusmaC nach Breite und Tief e, wie es die 
kapitalistische Wirtschaftsorganisation geworden ist, kann nur das Resultat 
einer ganzen Reihe zusammenwirkender, nach derselben Richtung drangen* 
der und sich gegenseitig erganzender Faktoren sein. Was man jedoch sehr 
wohl behaupten kann, ist dies: es ist zum Kapitalismus in Europa gekom* 
men, weil es gerade die Juden waren, die „unter Volkerschaften gerieten, 
die reif zur Entwicklung des Kapitalismus waren", und weiter, dafi es ohne 
diesen Zusammenstofi der nordischen Volker mit den Juden wohl kaum 
zum Kapitalismus gekommen ware. Hier mufi jedoch hinzugefugt werden, 
dafi es zu einer kapitalistischen Entwicklung freilich trotz alledem nicht 
hatte kommen konnen, wenn man die Edelmetallschatze Amerikas nicht ge* 
funden hatte; denn dann waren die von den Juden der Entwicklung zuge* 
fuhrten geistigen Elemente eben nicht lebendig geworden. Um eineMaschine 
in Gang zu bringen und in standiger Bewegung zu halten, bedarf man der 
Kohle, die sie heizt. Fur eine intensiv entwickelte Geldwirtschaft, denn 
eine solche stellt der Kapitalismus dar, braucht man standig grofie Mengen 
Edelmetall. 

Die Hauptrolle der Juden beim Aufbau des Kapitalismus, die man 
mit tausend guten Grunden belegen kann, besteht darin, dafi die kapita* 
listische Wirtschaftsweise nicht nur bei ihrer Entstehung, sondern auch in 
ihrem ganzen weiteren Verlauf dadurch von den Juden in auCerordent* 
lichster Weise beeinflufit worden ist, dafi diese, wie gesagt, in der ganzen 
Zeit die mafigebendsten Vertreter der Geldwirtschaft geblieben sind, und 
dafi infolgedessen fast alle Formen und Institutionen der kapitalistischen 
Geldwirtschaft sozusagen judische Erfindungen oder judische Schopfungen 
sind. Alle grofieren und kleineren geldwirtschaftlichen Umwalzungen, die 
sich wahrend der letzten sechs bis acht Jahrhunderte in den verschiedenen 
Landern des europaischen Kulturkreises abgespielt haben, sind mehr oder 
weniger mit den Juden verknupft. Die notwendige Folge dieser aufieror* 
dentlich wichtigen Rolle der Juden im kapitalistischen Entwicklungsprozefi 
mufite sein, dafi die kapitalistische Wirtschaftsweise in ihren wichtigsten 

20 








Jfraiwn w tagdffirt c9}ar! 

Srigtan btn©«l<l«mD'35ricffefcrlf 

Sic ©pfcfdpff juBniatwifdi/ 

1Cnfl<6if€l>rifimfolknb<fcf>ri(]flt. 
<2>ul;mjnn Per galgcnButV 

©(dp Cca ^ictxr m 3r|j fcin (if (f. 
(£uKmnjnnfcMccftJu|:jtrjr(mi(flcii»/ 

<ai§ Die ©rfuw iljni me 3)?au( |cf;«jj/ 
S)c«(w J&unn-ciKrf amauct; tytbtW 

5) amit txr Otatfj fcin gang frp. 
gnjinann (pi^bub in tar ftirttn/ 

2^huiDttfr((fcna »fi fcfjlnmnsaurfjtrarlr. 
Sort frffTcr fangauff/frifi gcfcffirinplf 

(Es ifl gulfurenfcr ©rfmbl. 

©umbel jum <inrfr eg iimc^i fid> kirfju 

Srrplielj na <oaua> buanba rcucfec. 



H 



M 



(£iH<Ebr[i>txnbfrtC^n(lbicft»t^3»u>flW 
DffjFuM (ingW 



/Vntiann&un) tfi mrin 77 jmatf 
©ofompibtc ©cfr dfcrjjffi jufanun/q. 
3uba» wiicff) (fyifium bcr^mib 
3uctj Dm SmMcm ;u Xiymt. 

XrofrbcifFcrftc rjtmic ira'l/' 
tSicrjtanBJsfialbartDcrfiieul. 

for*.ir(;3S<tfjffftcif;irb/ 
Sic© jun> mil Don ©trirf fufr id?. 
SSSufrfopff be? err € nea.cn/ 
-.Qui tin < 2>urfj/f anfrcptir.iufi ficgm/ 
ictjlidj wifrr Srrebcii mdjj»bciiemin<n/ 
25?cubie ©e|cllfcf>afftiflt«jnarito fonwt. 
3lfot>fcibtR>crihrffpcu 
Saf cuctj 6cr 2>uffci Kit. 



Vnb brr duffel fpringtf 
iftjliifc bas jcior brin *■ 




42. Der Juden Synagog. Sjtiriscbir EinbUttdrack. Kupfenticb 17. Jabrbundert 



Teilen deutliche Ziige der judischen geistigen Wesenheit an sich tragt. 
Diese Rolle der Juden im Werdeprozefi des Kapitalismus kann man nun 
nicht nur behaupten, sondern schon heute, obgleich das vorhandene Mates 
rial erst zu einem geringen Teil durchforscht ist, Zug um Zug beweisen. 
Ich werde versuchen, die wichtigsten Ergebnisse der Wissenschaft in dieser 
Richtung hier wenigstens summarisch zusammenzustellen. 

Die Juden waren die Trager des Geldverkehrs fast seit dem Tage, an 
dem sie in die Geschichte eintraten. Sie waren dies , rein aufierlich ange* 
sehen, schon infolge ihres notorischen Geldreichtums, der sich wie ein gol« 
dener Faden durch ihre ganze Geschichte zieht, ,,ohne an einer Stelle abzu* 
reifien: von Salomo bis Bleichroder". Dieser notorische Reichtum der Juden 
ist nicht dadurch widerlegt, dafl man selbstverstandlich mit vollem Recht 
sagenkann: esgibtunzahlige arme Juden. Undwer nur einen einzigen Blick 

in das Judenquartier einer ostlichen 
Judenstadt geworfen hat, z. B. in das 
von Lodz, der weifi uberhaupt erst, 
was Massenarmut ist. Darauf kommt 
es jedoch nicht an, sondern auf die 
Verhaltniszahl und den Durch* 
schnittsreichtum innerhalb eines be* 
stimmten Bezirkes. Und darnach 
sind unter der gleichen Zahl Juden 
und Christen immer mehr reiche Jus 
den als reiche Christen. Andererseits 
ist der Durchschnittsreichtum der 
Juden stets ein grofierer als der der 
Christen. Einige positive Zahlen aus 
Deutschland mogen dies belegen. In 
Berlin betrug (um 1905) der prozen* 
tuelle Anteil der Juden an der Ge« 
samteinwohnerzahl 5,06 Prozent, der 
prozentuelle Anteil der von den Jus 
den aufgebrachten Steuern am Ge* 
samtsteuerertrag dagegen 30,77 Pro* 
zent. Ganzahnlich ist das Verhaltnis 




XXcdcux J>b-fc6f ^triprog cri (d) t Sut>ca frficrfff Pri. 
rn.as.xaib fcrf> (jo&TrifHjm Qtfaiiis arpprpb'terier 

'pHrycAX -mat f£er, in fnnem $eb u[Wc t}t>( 
Jin ttufibimfc offer £t£,-ft fcfiefjrt, a tjakjjtfiriiJ) 
tar piciyct in trfrij) irti Itfi (cat a/roftcs tjlurfb, 
iir {Alt jQar{<£$.3\tt> fdojoori jmear £ral|i o Xeuln 
irtfj Jfin tttrf flroifi imb vorbi t 



( &er~&\ftljou wrr^houixi 



43. 



Karikatur auf Nathan Hirsch], Vorsteher der 
Prager Judengemeinde 

Kupferstich von Elias Back. Anfang 17. Jahrhundert 



22 




«&«# mt> 8gv§aSkw&tl 



3" iccff&enifi(^&icieiiigmii)ot}utcf(^aiten^a6en/faiuit&cma6fcbdw[ti&e»£flrtcrBc|}t)netf»H(ii£&en 

(Sa'^vncS'Gwcljercbi^alfta/iurtrtiDljirui^tiiQIIariiuiigfiiraHgtngtlJtllct- 

44. Der judische Geiz= und Wucherspiegel 

Satirische Allegorie. Fliegcndes BUtt. Kupferstich. Anfang 17. Jahrhuodert 



in anderen Stadten, wo besonders viele Juden wohnen. In Breslau sind 
die Juden mit 4,3 Prozent an der Bevolkerung beteiligt, am Einkommen da* 
gegen mit 20,3 Prozent. Auch wenn sich die Zahlen iiber ein ganzes Land 
erstrecken, ist das Resultat das gleiche. Im fruheren Grofiherzogtum Baden 
waren die Juden (am 1. Dezember 1905) mit 1,29 Prozent an der Bevolke* 
rung beteiligt, an der Einkommensverteilung auf Grund der Gesamtein* 
kommensteuer dagegen mit 9,06 Prozent. Die Juden sind also auf Grund 
dieser Zahlen im Durchschnitt stets nahezu runf« bis sechsmal so reich wie 
die Christen. So war es durch alle Zeiten hindurch. Und es ist sogar an* 
zunehmen, weil es in der Natur der Sache lag, dafi in fruheren Jahrhun* 
derten, im Mittelalter und in der Fruhzeit der kapitalistischen Entwicklung, 
als das Geld in den Handen und Truhen der Bauern und Handwerker noch 
eine gar seltene Sache war, das Reichtumsverhaltnis zugunsten der Juden 
noch wesentlich grofierwar.' Fur die Tatsachlichkeitdes judischen Reichtums 
in jenen Zeiten will ich hier nur ein paar historisch feststehende Beispiele 

23 



nennen: Mardochai Meisel in Prag, der im 16. Jahrhundert lebte, war so 
reich, dafi er es vermochte, eine prachtige Synagoge bauen und die ganze 
Judenstadt pflastern zu lassen. Das Vermogen des im 17. Jahrhundert in 
Holland lebenden portugiesischen Juden De Pinto wurde auf achtMillionen 
Gulden geschatzt. Aus dem Jahre 1725 sind iiber die vermogenden Juden 
in Altona und Hamburg folgende Namen und Zahlen bekannt: Salomon 
Berens besitzt 1,600000 Mf., Meyer Berend 400000 Mf., Elias Oppenheimer 
300000 Mf., Joel Salomon 210000 Mf., Berend Salomon 600000 Reichstaler, 
Meyer Berens 400000 Reichstaler und so fort. Aus Frankfurt sind vom Ende 
des 18. Jahrhunderts folgende Zahlen und Namen bekannt: Speyer 604000 
Gulden, Reifi Ellissen 299,916 Gulden; Haas Kann 256500 Gulden, Amschel 
Schuster 253000 Gulden und so fort. Unendlich lange Listen konnte man 
in dieser Weise fullen. Fur das 16. und 17. Jahrhundert ist die aufierordents 
liche Hohe der Zwangsdarlehen beweiskraftig, die den Juden dieser oder 
jenerStadt von den Konigen oder Kaisern immer wieder auferlegt und von 
den betreffenden Juden auch aufgebracht wurden. In derselben Zeit gab 
es zahlreiche Gemeinden, wo die Mehrzahl der ansassigen christlichen Be* 
volkerung einigen wenigen, mitunter sogar einer einzigen Judenf amilie vers 
schuldet war. 

Der grofie Reichtum der Juden ist in alien Zeiten und Landern sprich* 
wortlich gewesen. Soweit eine Nachprufung im einzelnen Fall moglich ist, 
erweist sie stets die Richtigkeit dieser Annahme, und obendrein die Tat* 
sache, dafi die Juden fast immer die reichsten Leute der betreffenden Stadt 
sind, d. h. dafi sie zumeist mehrfach reicher sind als die Christen, in deren 
Mitte sie wohnten. Gewifi kann man aus der jungsten Vergangenheit sagen, 
dafi z. B. im zaristischen Rufiland der reichste Mann kein Jude war, weil 
es der Zar. war, und man kann weiter sagen, dafi die reichsten Amerikaner, 
sofern ich mich nicht tausche, ebenfalls keine Juden sind, aber darin kann 
nur ein Dummkopf einen Widerspruch finden. 

Hier an dieser Stelle mochte ich gleich noch etwas einschalten: weil 
der judische Geldreichtum einen so grofien Anteil am Gesamtvermogen 
ausmacht, und fruher, wie gesagt, einen noch grofieren als heute, so erklart 
sich schon dadurch, dafi eine Stadt oder ein Land alsbald verarmten und in 
ihrer Kultur verblafiten, wenn die Juden der betreffenden Stadt oder des 
betreffenden Landes aus irgendeinem Grunde auswanderten, wahrend ans 

24 




Wai geschrieen! 

llumoristiscli:sa1irische Darstcllung eincs alten Nurnbergor Judcn 
Gcmilde von Lconhard Strauch. 17. Jahrhundert 



l.ige zu liduard Fuc lis. .Die Juden in ier Karilatur" 



Albert L.insen, Muncheii 



s„i, it™,;..,, j„;„ j, r JuJ.»H*Wm™ A~*i^ 

:3'pjl , t. , J3'»-,».r«3: S'pnT. 1 , ^,1 -BUr 
; 'niQIoaJIJ-iiD!" ."/iiKnUnn'tiN 




dererseits dortalsbald eine besondere Blute 

der Kultur entstand, wo. die andernorts 

vertriebenen Juden ihre neuen Wohnsitze 

aufschlugen. Es gibt fur diese krasse Er* 

scheinung zahlreiche Beispiele in der Ge* 

schichte. Der schon oben erwahnte Zu* 

sammenbruch Spaniens und die Blute 

Hollands und Englands im 17. Jahrhun* 

dert sind durch diese Geldverschiebungen 

fast restlos zu erklaren. Die Verschiebung 

des wirtschaftlichen Schwergewichtes vom 

Suden Europas nach dem Norden Europas 

im 16. Jahrhundert durfte viel weniger, 

oder richtiger gar nicht, zusammenhangen 

mit der Entdeckung der neuen Seewege, 

sondern vielmehr mit der durch Gewalt 

herbeigefuhrte Abwanderung der Juden 

aus dem Suden nach dem Norden Italiens, 

denn mit ihnen, in ihren Reisesacken.wan* 

derte der mobile Reichtum aus dem Suden nach dem Norden. Als der 

Senat von Venedig 1550 beschlofl, auch die getauften Juden, die Marannen, 

auszuweisen und den Handel mit ihnen zu verbieten, erklarten die christ* 

lichen Kaufleute, dafi sie dann auch gleich mit fortziehen konnten, weil 

die Juden den gesamten Handel mit dem Ausland in Handen hatten. In 

Antwerpen erlebte man um dieselbe Zeit genau dasselbe Schauspiel. Die 

Bemuhungen der christlichen Kaufleute Antwerpens waren jedoch erfolg* 

los; die Juden wandten sich nach Amsterdam, und mit Antwerpens Blute 

war es zu Ende. Die kurze Blute Antwerpens im 16. Jahrhundert fallt tat* 

sachlich geriau in die Zeit zwischen der An* und Abwanderung der Juden. 

Als in Bordeaux im Jahre 1675 infolge der Plunderungen eines Soldner* 

heeres einige grofte portugiesische Juden (darunter Gaspard Gonzales und 

Alvares) die Stadt verlassen hatten, horte alsbald der ganze Groflhandel auf . 

Hamburg und Frankfurt haben im 17. und 18. Jahrhundert eine Blutezeit 

durchgemacht wie zur selben Zeit wenig franzosische und englische Stadte, 

und beide waren damals die klassischen Judenstadte. Um 1700 zahlte Frank* 



45. Karikatur auf den Wiener Juden 
Jakob Ries aus Prag 

Kupferstich von V'alk. Ende 17. Jahrhundert 



Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



25 



furt 3000 juden bei einer Gesamteinwohnerzahl von 18000! In Hamburg 
durfte das Verhaltnis ein ahnliches gewesen sein. Nurnberg, Ulm, Augs* 
burg verfallen um die gleiche Zeit, — dort werden die Juden verfolgt. 
Genau ebenso ist die Situation in Frankreich: alle die Stadte bluhen sehr 
bald, wohin die andernorts vertriebenen Juden hinstromen: Bordeaux, Mar* 
seille, Rouen. Es sind die bluhendsten Stadte Frankreichs im 18. Jahrhun* 
dert, und es sind zugleich Frankreichs Judenstadte in dieser Zeit. Diese 
zwingenden Zusammenhange sind bis jetzt den allerwenigsten Wirtschafts* 
historikern aufgegangen. 

Auf die Frage, der wir uns jetzt zuwenden mussen: woher ruhrt ur« 
sprunglich der Reichtum der Juden? durfte zu sagen sein, dafi es so 
scheint, „als sei ihnen in den Anfangen ohne ihr Zutun viel Geld zuge= 
flossen; oder richtiger: Edelmetall zugeflossen, das sich dann spater in 
Metallgeld umgewandelt hat. Man hat, so viel ich sehe, noch niemals 
darauf geachtet, welche grofien Mengen von Edelmetall— damals vor= 
wiegend nicht in der Geldform naturlich — zur Konigszeit in Palastina 
mussen aufgehauft gewesen sein." (Sombart.) Diese Reichtumer sind 
spater, als sich das Bargeld durchgesetzt hatte, standig und in ganz aufier* 
ordentlicher Weise durch die Tempelsteuern der vielen jahrlich nach 
Jerusalem wandernden Pilger angewachsen. Diese liefien naturlich auch 
sonst viel Geld in Jerusalem. Es gibt mehrere Berichte aus dem Altertum , 
die Angaben iiber den gewaltigen, auf diese Weise in den Handen der Juden 
sich sammelnden Reichtum machen. In Jerusalem mufi darnach in jenen 
Zeiten ein ganz ungeheurer Geldzusammenflufi stattgefunden haben, der 
selbstverstandlich zu sehr viel individuellem Reichtum fuhrte, und der zu 
einem grofien Teil naturlich auch in den Handen oder Taschen der aus 
Palastina abwandernden Juden blieb. 

Aber durch diesen Umstand allein, dafi ursprunglich grofie Geldstrome 
nach Palastina fluteten, ist der notorische Reichtum der Juden, der durch 
alle Jahrhunderte hindurch und bis auf den heutigen Tag festzustellen ist, 
absolut nicht erklart. Und noch weniger der Umstand, der schliefilich der 
allerwichtigste ist, dafi unter den gleichen Verhaltnissen die Vermogen der 
Juden immer viel rascher zunahmen als die ihrer christlichen Mitburger, 
woruber es ebenfalls eine ganze Reihe zuverlassiger Zahlen gibt. Gewifi 
„heckt das Geld von allein", wie das Sprichwort sagt. Aber andrerseits ist 

26 




-a -a 

§ 1 



u * 



O 

E 



a -2. 



( 




es doch ebenso notorisch , daft in 
hunderten von Fallen die groften 
Vermogen im Laufe der Zeit wie* 
der in Nichts zerflossen sind. Frei« 
lich muli hier die Einschrankung 
gemacht werden, daft es sich bei 
diesen Vermogensauflosungen in 

47 u. 48. Spottmiinze auf den Kornwucher der Juden. .11 

1694 den selteneren Fallen um jiidische 

Vermogen gehandelt hat. Aber 
trotz alledem reicht die palastinensische Urquelle des jiidischen Reichtums 
nicht aus fiir die Erklarung, daft die iiber die ganze Welt verstreuten Juden 
dauernd und in wachsendem Mafte an dem lokalen, wie an dem nationalen 
Reichtum beteiligt waren. Es muftten unbedingt noch andere Umstande 
hinzutreten , um zu diesem Resultat zu fiihren. Die Juden muftten eines* 
teils in eine Lage kommen, die sie zwang, oder die es ihnen mindestens er« 
moglichte, den jeweils vorhandenen oder erworbenen Besitz zu bewahren, 
undandererseitsmuftten sie ein besonderes Talent dafiir haben, ihren Besitz er« 
tragreicher als dieVolker, in deren Mitte sie lebten , anzulegen und zu mehren. 
Und diese beiden Umstande kommen auch tatsachlich hinzu. Ich werde 
versuchen, dies zu beweisen. In Deutschland z. B. hat die Juden ihr Schick; 
sal fast immer dazu verdammt, viel weniger Gelegenheiten als die Christen 
zu haben, ihr Geld auszugeben. Infolge ihrer standigen Zuriicksetzung im 
biirgerlichen Leben muftten sie noch bis in die jungste Vergangenheit alien 
jenen Veranstaltungen fernbleiben, die nie Geld eintrugen, sondern nur 
viel Geld kosteten. Ihre Sohne konnten weder Offiziere werden, noch 
sonstige Berufe ergreifen, die zu einem standesgemaften, geschweige denn 
zu einem luxuriosen Leben zwangen. In f riiheren Jahrhunderten standen 
die Juden — freilich nicht nur sie allein , sondern auch alles sogenannte 
niedere Volk — direkt unter einem ihnen auferlegten Luxusverbot. Im 
Ghetto war ihre Wohnungsweise die denkbar diirftigste, und gerade dieser 
Zustand hat sich iiberall nursehr langsam gebessert. Mit einem Wort: alle 
..Geschaftsspesen" der herrschenden Klassen waren den Juden erspart. Eine 
solche historische Situation wirkt enorm kapitalbildend, und da dieser Zu; 
stand, der kategorische Ausschluft von allem grandseigneuralen Leben, Jahr* 
hunderte wahrte, so wurde den Juden hierdurch aufterdem das Sparen 

28 



©tG'JiSiiall&in SfiflrflatiMimi ii6cralt t»<>l6tf(iitDfmffr$©it&|fdj«n 

fguDen $mfc(jel sum ©cfaicf unt> femes wrt>am6tm 

3UnBllnil*?Oilffgfrn frour igr eirabf(l)riff( . gBtlifc ju gfircn 6tm no* g«6fnN Jeriim S<tlrrfni».l)(n nwBbSct 

SantoWStrnricfcnm <f rlj-^Barugtr Pdtvgtn/all fjlnDcrln(Tmovbcirlib(tn/Koc<^ 

i><rmal<0<nl<rt rrDli(bm (ftbni^auffgtftljt 

Zntlf 

3iibif (fct %wrwonli«ti/ born tmllcb an Cm R ciffer talma loacfcm Dcm9Sa66l 2l6rabam jum 7ra4im gcfmrfamllib 

g<f($rfcbin/ parhp .j<bomn rocrern foldjte in nni ©rabfldn mil (tfccJnf n <Bud)(lab(n Dci^cidbcrgcficiblniur^s^ritSr 
duffs PdfT'flP' auffcaucp ju lajTnv 







OSyiJjd oi([( nui anfdjaUl/ nit^f Kid), sprdrm jr^» 
jhitt umii Oil cm torrm/Iicfli idj* oir fd) ar t b(>jrabttt| 
(fin ifnfdJrt/ImffiieSinD/t'Kl fdjttdjijtr Jlo 6u 3abtny 

Gang als fit Irbii nertj/rfn folcfjtn bdfcn &'fang/ 

£<i ourd) Drr fftjrifhn GdjtBfi£; uu&limrniiilDunDentr jn j,» 
GttltgtrtcirttnJ^un/ifld £itt unO fun Cf pm 
IDii irnuMni mard)ui9Jl(nfd)(n/Jonvif(l;f£titiinefo jtptti 

JDaJ i'Pt? unO Dnpflifl QJ^irtn/DJt [djmrf reifjt SuM 

JOurjii g«fr<fTrn fjt(/ Dafr nod) an Oito?{?ui 

Si(itinwiiigrnfrandVfn&f(l)rorrttd$jtiffurirrn' 

Str^!)icbL"[((;'I?i;iJclipu|r/liicT3([ir(»iui>rrfi'i^rrQ 

t. 

Z>a» J;mtli li (0d ju^/ln Cltf <m X<ufl f lit JJifl/ 

2rug fribf] Dlf (J|(l« nuft'/btn jrmmCrir(|l«« © f (1; 

Si'( (jbcn ouD R>i c G)u!t;unO ic.k Ocd> '3(0 oarlnncn/ 
Of! i felt <a ©liter ftprvfa trar to Di'dj nut rJintun/ 

©wiflWf tflibirje/ub fir nun frtjpr; mrfcjmw 

.Qaltym Banned) nirt)i7B(r £fuff<l gjrfj<f(fcw 

£>jfl Spinoff (<t)il<l(l aug/ju un(trf((ji(DIur)m.i(il<fi 
(inTBiJifTstn/Hmgin/gai/binvfitii'rSmfdtrl fld^lcn/ 

2)40 IBdlff ^in Itibir aud)/ in bu\a 5> rbes Sauirj/ 

1)(f f o^jri/vc rmot-irt tigt/m'lt Bfr rtrfludjtt n Jjaut/ 

J&ir ©cdtfi aDt Dnp/lfpnO 3"0if d) red pirnar)r(C/ 

5>(i XruffU fcitptn fitr) mil ifencn [djon flrpartc 

J- 

Ou TOto 6rr COcfld mil) gn upf i/DMjrpinMf dud) 

©if djunttn in t>a JptJH/ ctmlUdlff jtn nil ©(trautfrj 
£wr •Bel* tuirB atgcjcrtt/DaB iofamrm: Jujichrn 
3f tft.ie nlifji immcr fr$aD/oir <Sdfg [o iu ot rlidjrn . 

San jjinbu ^ariDldjud) girbi/i^i j^ce/KjcngtO 

£)cnZiuff(lfr Slauin cirb anftc^n in 6n ^)ffl. 
4- 

£)asidtvgcna((rad}/bdi^RjnCni nocb auffCrBin/ 

3)<irff mff f* forgt irdjt/aar nidjl vcrfd)<infliVfrO<nr 
S«6 ©afcm>|'(in/GtraS/hji(B (*rjr rool ptrClrnt, 
S3if>?intJ«rvirHtnD(waflfr/((iji ©tb(l;5iinJ0i(biaGJrLiu 




Rf if if a.(< 3 ur, 9 un0 3lf y jilbrt |ir iim !£)it b<s Sfflrf / 
-^u f-iannu ring (t an/cr bar (cfjornnDf m Zann 
Pan COttiiTtt httnttlil Den Slid" rooii fcgfn g*n«. . 
J- 
^fl Dae md)i IHuntKfDJfrtf /(in 3mbf((tl r)at 6(|TlCflrn 
4£ip 7 tuft (10 J)dnb(l(in/DaS Fam ins ( Z)rt( (u lirgtni 

<£D7ir n'rtcm TIWfTgfn bjlb/ Oarfctp (»nod)ntd}rbticbrn 
Su rear ft (in UtPgtn aur^ baa iauut^o^iit tiitbcrti 
3udj ^auirn f aitrn fir/Dae ^r;m £>Hbs@cfinft/ 
3^6 nunmcrjrVlib ju flttvl/ioic ©urtu com (TarrffnTBmOi 
£rurnb ifJta rounbtrddj/tmSmrd/ ^unB/ unO^aur. 
O Scrjjcfjr'' 2locf]cpum Outufj B<JTDdif 9<n6 ^)atft 
6(pno£i«b mir man mfi^conbdfa 3n un6 ©men* 
3k / road)* OK llalur mil 55t«b<* ©nff brfdjr kKhi 
©i(i}r(n all QitQcr/ grao unitr Dfcftn €nin 
5>r ((rjrearOc Iiuff droil/irjr r(dj«r £ilrrr f(pn. 
tf. 
OorjlKbifirfrrbceiJ/bflfi 6urf)6cr3iibf*©arrtfn 
©«o«« 1D«Bf au|/unft D((fi» 3mf(r;(l»'3JarTictt 

fflli'r Idirgcn fontm ©orjn/mtfg remmen auff Bdlllrant/ 
2a& Oi(f(eiD((6e©(rd)l(d)l/nid)io(rB( mc^rginaflOff 
JDir 3uOtu [clbfTrn aud> [fpno frorj Dal tr vrrrrrf «/ 
(£t madjrr ^rjrrfl unb j 1JD(n / 6a J f tc 04 »«|r>if «/ 

£(f 3rm<n (ftnfif n0(rjo(i|/f augtir in ftlrcn0d)(un* 
<ilun f n(l bift 2(uff(l» 3af /B(i 3uDcn flJf(ig« .f)unt>t 
3m anbtin ^nrifftl nidjt/ fit rodbm cisig fifjrDu}(B/ 
T}n6 cor err 3B<Ii3>(iriig/im fyQtn Of m gliOtn/ 

3)ig roarB(FOb(rfl©'taum/3flrniie<Fbu:CD(founfr( 
•fin 6ci>(lm unB ( flfg Sdb auj aD» ^<u)f tla%uaf\<f 
iDmrf IIi6(r irfrr fts^/nas Dl(f(i ^uBgrfdjIidjui/ 
tfr (at Btf fytndttt 3mp(/an 3ub«n aud) «riKr)lc(/ 
AlcjfK grptfnlgl gar/rjill 6(d) »er foIdftmSdB/ 
S« b((f ( iaflrr «Q bi'6 an fan Snbt tritft. 

3)ff p<r 3uD«n Q(r)aB«Bcni4,3ana<S7u 

3nBJ<3u6i(d}r Spnjgngdi dbrrfdp'ffrt ; Bar- 
be? g(6(»n foldjfs bimTt. "prop^ra Schilo 
Sabathoy auff 9 t^flc iu conimunioirni. 



49. 



Illustriertes Spottgedicht auf den diebischen Juden Amschel 

Fliegendes Blatt. 1671 



systematisch angeziichtet. Der Jude wurde auf diese Weise zum typischen 
Sparer. Weil jedem Juden schon in der fruhesten Jugend das Sparen an* 
gewohnt worden war, so zerflofi der vererbte Reichtum in den seltensten 
Fallen in den Handen verschwenderischer Erben. 

In alledem ist gewifi eine der Wurzeln des judischen Reichtums zu 
suchen. Aber viel ausschlaggebender ist doch der zweite Umstand, das an* 
geborene Talent der Juden zum Geldverdienen: dafi sie es verstehen, ihren 
Besitz ertragreicher als die Christen anzulegen und umzusetzen. Das ist in 
der Tat der in letzter Instanz ausschlaggebende Faktor. Dieses Talent zum 
Geldverdienen besteht in dem ausgesprochenen Sinn der Juden fur die Gelds 
wirtschaft. Dieser Sinn hat die Juden fruhzeitig die lohnendste Seite der 
Geldwirtschaft finden lassen: die Geldleihe'. Selbstverstandlich nichtdie 
Geldleihe aus Gefalligkeit, sondern als Geschaft, gegen Entschadigung, gegen 
Zins. Geldleihe gegen Zins bedeutet: ohne brutalen Zwang andere fur 
sich arbeiten zu lassen und auf diese Weise auch des Ertrags der Arbeit 
anderer teilhaftig zu werden. Dieser angenehmsten aller Beschaftigungen 
hat sich der Jude mit Vorliebe und mit dem allergrofiten Eifer durch alle 
Jahrtausende hindurch gewidmet, wo er auch war: der Jude lieh in Palastina 
„auf Pfander" — denn diese mufiten ihm als Sicherheit fur das hergeliehene 
Geld dienen; er lieh im Mittelalter „auf Pfander", er tat dies, als Hofjude 
im 18. Jahrhundert, und er tutheute noch dasselbe als Bankier. Aus dieser 
Tatigkeit vor allem stammt der notorische Reichtum der Juden, von dem 
wir oben einige genauere Zahlen kennen gelernt haben. Aus dieser Tatigs 
keit stammt aber auch noch ein zweites, namlich die kapitalistische Wirts 
schaftsweise. Der Kapitalismus ist aus der Geldleihe geboren. Was das 
Wesen des Kapitalismus ausmacht, steckt im Keime alles in der Geldleihe. 
In der Geldleihe fehlen alle personlichenBeziehungen zur Arbeit. Die Gelds 
leihe ist keine Arbeit, die zu einem Produkt fuhrt, sondern sie fuhrt nur 
zu einem Gewinn. Die Geldleihe ist ein nacktes Rechenexempel, wobei es 
sich ganz gleich bleibt, ob es sich bei der Hergabe des Geldes um die In* 
stallierung eines Hurenhauses oder um den Bau eines Sanatoriums handelt. 
Alles das sind auch die Wesenszuge des Kapitalismus. Vor allem aber deckt 
sich der Kapitalismus mit der obersten, schon weiter oben genannten 
Haupteigenschaft der Geldleihe: andere fur sich arbeiten zu lassen; mit den 
schwersten korperlichen Arbeiten Geld zu verdienen, ohne sich selbst im 

30 



Annomj ian5^^nU^totBxnfi^h roar Dns^in^fria Simeon 

C«r enfant. narnmr'OtVman. aae <)«■ 2 ^Aris /ur tuc par krj/iufs 




{? } enJ%aJ>lt iSinscnd, ok. a'u'^fhiikfu oWtA. au au' 

"f5 iff fori] aflrSrif eurr brfirs&ffryrrf" ! 
SSi7ts^Aiauc/tf bets ct tatf .' ._ Uu/io/.r J/utfs ires ordures' 
G?J sotU fhartikt pour votu, Oe^ban,nfy confitures 

£u hiidrn Xm^rttnrtferi dm'JRmjii briijjotjiinn 



50. Das Schwein als jiidische Nihrmutter 

SomiKher Einhlitidnick. Fraoifurt. AofjDg 18. JdhrhuDdert 




51 u. 52. Spoltmiinzen auf den wurttembcrgbchen 
Hofjuden SuB Oppenheimer. 1738 



Geringsten korperlich anstren* 
gen zu miissen. 

Weil also die Juden die 
Geldwirtschaft in Flufi brach; 
ten, und weil sie dabei in Eu* 
ropa mit einer Entwicklung zu* 
sammentraf en, die reif zum Ka* 
pitalismus war, darum wurden 
sie auf diese Weise direkt und 
dauernd die standigen Inspi* 
ratoren der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Das ist dieser Frage letztes 
Geheimnis. 

Der auffallende und gewift nicht wegzuleugnende besondere Sinn der 
Juden fiir die Geldwirtschaft wurde seither zumeist aus der Ursache erklart, 
daft den Juden seit dem Ausgang des Mittelalters keine andere Form des 
Geldverdienens zuganglich gewesen sei, und daft sie fruher ebenfalls auf 
andere Weise, z.B.als Acker bauer.ihr Geld verdient hatten. Diese Erklarung 
ist zum grofteren Teil falsch und zum ubrigen mindestens unzureichend. 
Es ist nicht wahr, daft die Juden fruher Ackerbauer gewesen sind. Es ist 
auch falsch, daft die Juden von Natur ein handeltreibendes Volk sind. Die 
klassischen Handelsvolker der Antike waren die Phonikier, die Griechen, 
die Syrier, aber nicht die Juden. Die Juden haben dagegen von Anf ang an 
eine besondere Begabung fiir das Geldleihgeschaft gehabt, und sie trieben 
dies, wie gesagt, schon in Palastina. Mit welch groftem Erfolg, das erfahrt 
man aus der Bibel mit aller Deutlichkeit. Jahve, der Gott der Juden, vers 
heiftt seinem Volke: „Der Herr Dein Gott wird dich segnen, wie er dir 
geredet hat. So wirst du vielen Volkern leihen und wirst von Niemand 
borgen." Das Religionsbuch der Juden, derTalmud, ist nicht zum kleinsten 
Teil ein wahres Lehrbuch fiir diese ertragreichste aller Tatigkeiten. Wie ers 
tragreich das „Geld auf Pfander leihen" im Mittelalter und in der Friihzeit 
der kapitalistischen Wirtschaftsweise war, erfahrt man aus einer Reihe Vers 
ordnungen, worin die Hohe des Zinses festgelegt worden ist, der den Juden 
2,u nehmen erlaubt war. Nach den Feststellungen von Dr. Ignaz Schwarz 
in seiner Studie zur Geschichte der Wiener Juden betrug der Zinzsatz im 
15. u. 16. Jahrhundert in Wien bis zu 65 Prozent. Der Zins, den die Juden 



32 



^itmrro . JCoa km budikin Zobi: «Mnu£, -^roytoimicfet, ^f#U, wtfc attfera fiiRtfJfea bypotiposibs : 



mtfc 




Oorumft lotil j6r fcU^nrten jpn&ertnic&t vnb mmmt b«$%>rn mi aroSen tajun turn j^ntn, fo foCt $r in 



frfietfen. fcs *i£ if* , vt* errne fun* ftic jW ; finJ. 9**J> r 



Beilage zu Eduard Fuchs, .Die Jndcn in der Karikttor" 



caoit •' ""** ^ n m " 1 nic & tritic ^ rt ' **» % itt ^"fi^ 11 WiiwtQ** ^epfkn^ct &&, ■;**« icg **i£ etwr pferfieffeu. v« v~ t , ^. w ^ ,- , , , - ,„. - 

*r lt - bit QtrtrfttcXi brett0<t. mi fotyMt timet ,<mt> bic. Armett in f(*r »n6«iru<frf &trum$ muj? &r #113 V felbyeit 3eii fefcroeigen, ftw es tft cm bo)c3ett. 

©«r gemfe nrirfc (left frewcn, WAn cr foCc^e rac^, fl6el . pf- ^5 . 
Der Korn? und Wein*Jud 

Deutsche symbolische KarikatUr auf dsn jttdisclien Korn* und Weinwtichtf. 1?. jahrhundert 



Albtrt Langen, Mooches 





Si 






s 8. 3* bin m(t 9. 
^ ^Icitfcrboljtbenn 


53a=8osdl(tj(fan 8 (o. 

n .3* 
ftafji bent 




~ f»t>«|lo&tae3;a» 




£ bfbitnoQen g«n 
z ben $!u* boa) 


tJutften ab,bent 
SSutset nii)t nl» 




- In ben Jflfftm 
U iaben. 


lefn , bran f*lo§ 
bit £<ncf« bice, 
mi* (SaljinSSo,. 




9 




£» 


jeleln. <35etn>flj«t 


, 


is. 


mi*nurct$tnio[. 


«3 


nun ftnbc nlcbe 


(M 


fc 


Iu(bt octgtciiieti, 


?f 


1 


1* motile nad) 




otmSob.tnfitH 




Cuffe ennseidjen. 


■3 ? 

ts s 


8 




S. ©en !8au ? ««tait kit bi» e re £a|Ut 9B*n. «> 




£» I 


S S 




e S 


s € 




5 5 


■3 - 




v , K4S(S9aS»«t». ©ie |ae»unj,iii2 Sljrt , t , M „jtft f£ (, ot inltot6en©a3iilii & , 

. . B , u -a j? "a s v % 

no* Welt, -» a 5. s V, 

% flf S f . a * 




»• 




% 






i.3» Shit«dtb|eiS(t(i* big 3«*«i in bsfufft; etblicfe Stebliiiiet.bie felrae$obten»£) 


N5,6et|i(S@il6Mn«iint,6o*e<fobiii«itiiK()tt,5af ibn 
«Ktttfnii<c,i»l«!B(ltiia,unb®([Junb©iijinDttto,iinbU 


M^iffcthatjti&iiftt^obettttatfetc, 


nbarmhmiaCcitunbCifiun&>&tudie» 


l(o,unb£io$itiu(bim 

gSututfuiyfitiuMn. 

glotunbljolbmiRo 

IMB'MfoeSul 


) betweibfiinjtaifeS ©tabmabl IMbeitunb leinBtmidjHotobtotbit 


@o mug «ant^bn,bie^6ltf it, ?Hef*unb£aob,mitaetn stint* 
e<©t<uib,bui<* 2Bu(t)«un5 Settus otyi tinig SDlitleib f)o5«n, unO 
milUnn$tni)^tienntbnn. $ $ $ $ 4& $ $ 



53. Stuttgarter Spottflugblatt auf die Hinrichtung des Hofjuden Sufi Oppenheimer 

Spottgedicht. Typographische Darstellung des Galgens in dem Siili Oppenheimer aufgehangt wurde. 1738 



nahmen, war fruher nicht selten sogar so hoch, dafi er im Verlauf eines 
Jahres ebensoviel und noch mehr ausmachte als die Hohe des geliehenen 
Kapitals. Das wurde vor allem durch den sogenannten Wochenwucher 
erreicht, indem man den vereinbarten Zins per Woche berechnete. „Nur 
ein Groschen von der Mark wochentlich" (Kohut) gait schon als eine Mas 
fligung. Diesen hohen Zinssatzen standen freilich standig grofie Verluste 
an den ausgeliehenen Betragen gegenuber, und sie wurden sehr haufig damit 
auch begrundet. Im 17. und 18. Jahrhundert waren 10 bis 15Prozent Zin« 
sen noch allgemein ubliche Satze, die man gar nicht ubertrieben fand, und 

Fuchs, Die Juden in der Karikatuc 5 

33 




54. K^riltitur iuf ritien jltcii llandelijuden. Kupftrstkh von Jjkoh HomburR. t-rankftirt urn 1775 



fiir die der Geldbediirf tige froh war, Geld zu bekommen, auch wenn er dem 
Darleiher sowieso alle gewiinschten Sicherheiten leisten konnte. Dazu kam, 
daft der Jude jahrhundertelang keinerlei ernstliche Konkurrenz bei dem 
Beruf des Geldleihens hatte; denn dem Christen war es nach der Bibel vers 
boten, Zins zu nehmen; dem Juden dagegen war es ein Verdienst, wenigs 
stens gegenuber dem Fremden, und das waren alle Nichtjuden. Das, 

34 



■It*. JX.ff,V.^*JllgW?N^V ■»* , «>■ j^ftAA 



worauf es hier ankommt, ist jedoch, dafi es sich um ein Sondertalent der 

Juden „zum Wuchern" handelte. Gemocht und gemacht haben es namlich 

trotz alien kirchlichen Verboten gewifi sehr viele Christen, d. h. alle Na« 

tionen und alle Glaubensbekenntnisse; aber verstanden hat dieses Geschaft 

niemand so gut wie die Juden. Daruber gab es nirgends und bei niemand 

einen Zweifel. Und darum hat man in den Zeiten des sich steigernden 

Wirtschaftsverkehrs , als alle Welt flussiges Geld brauchte, das Nehmen 

von Zins, d. h. den Wucher der Juden, nicht nur geduldet, nein, die 

Stadtoberhaupter haben den judischen Wucher sogar mit alien Kraften ge* 

fordert. Weil niemand die neuen Probleme der Geldwirtschaft in derselben 

Weise zu bewaltigen verstand wie die Juden, wurden diese von den Stadts 

verwaltungen im Mittelalter geradezu angef leht, sie mochten doch ja in die 

Stadt .wuchern' kommen. Sie sollten alle nur erdenklichen Vergunsti« 

gungen erhalten. Formliche Vertrage wurden noch im 15. und 16. Jahr« 

hundert von italienischen Stadtgemeinden mit den angesehensten judisclen 

„Wucherern" abgeschlossen, damit diese eine 

Leihbank errichteten oder sonstwie auf Pfans 

der liehen. Auf diese Weise wurdederWucher, 

worunter man ursprunglich auch das reelle 

Zinsgeschaft verstand, iiberalldasMonopol der 

Juden. Statt Zinsen sagte man daher vielfach 

.Judenkosten". Naturlich waren reiche Juden 

in den geldbedurftigen Zeiten obendrein auch 

sehr begehrte Steuerzahler, deren Zuzug sehr 

erwunschtwar. Dasgaltnicht nur fur einzelne 

Stadte, sondern fur ganze Lander, so z. B. fur 

England zur Zeit des Langen Parlaments im 

17. Jahrhundert, und unter Karl II., wo die 

Geldbedurfnisse in England sehr grofi waren. 

Als Dankfurihre oft sehr erwunschteAnwesen= 

heit und Tatigkeit nahmen die Stadte und Fur* 

sten die Juden in kritischen Zeiten in Schutz; 

wenigstensbestimmteFamilien. Soentstanddas 

System der Schutzjuden, der Kammerknechte 

und im 17. Jahrhundert das der Hofjuden. 




Wywiwa'.m wuiii^ 



55. Wie ein Jude seinen Schuldner 
bis aufs Hemd auszieht 



Deutsche satirische Spielkarte. IS. Jahrhundert 

5* 



35 



tc*wm=lprtmm 



Vermoge ihres individuellen Reichtums und noch mehr infolge ihrer 
internationalen Beziehungen konnten diejuden denStadten und den Fursten 
auch die notigen grofien Kredite verschaffen, die diese im Zeitalter der Gelds 
wirtschaft zur Bewaltigung ihrer kommunalen Aufgaben oderzur Deckung 
ihrer Kriegfuhrung brauchten. So wurden die Juden die fruhesten und 
haufigsten Anleihegeber. Der Jude Suasso leiht Wilhelm von Oranien im 
Jahre 1688 zwei Millionen Gulden. Der Jude Sinzheimer, der neben den 
Juden Oppenheimer und Wertheimer der bedeutendsteStaatsglaubigerOsters 
reichs war, hatte im Jahre 1739 Forderungen an den Staat von etwa funf 
Millionen Gulden. Sampson Gideon bringt im Jahre 1745 in England eine 
Anleihe von 1700000 Pfund auf. Auf die Gideons folgen in England die 
Juden Salvador als Finanzmacht und bei Beginn des 19. Jahrhunderts die 
iiber ganz Europa verbreitete Finanzdynastie Rothschild. Samuel Bernard 
ist in Frankreich unterLudwigXIV. derGeldgeber im spanischen Erbfolges 
krieg. Er gait damals als der grofite Bankier Europas. 

Eine aufierordentlich grofie Rolle spiels 
ten diejuden vom 15. bis 18. Jahrhundert 
als Heereslieferanten. Sielieferten einfach 
alles: Waffen, Munition, Ausrustung, 
Verpflegung, und aufierdem das Geld fur 
die Lohnungen. Eine ganze Anzahl Jus 
den sind geadelt worden blofi wegen 
ihrer grofien Verdienste um die erfolgs 
reiche Heeresbelieferung. Der portugie* 
sische Jude Carvajal, der um 1630 in Lon« 
don einwanderte, ist der bedeutendste 
Heereslieferant des damaligen englischen 
Freistaates gewesen. Zur Zeit der grofien 
englischen Revolution gehort er zu den 
funf grofien englischen Kauf leuten, denen 
der Staatsrat die Getreidelieferung fur das 
Parlamentsheer ubertrug. Man nannte 
ihn „the great Jew". In der nachsten 
Periode spielte Sir Solomon Medina die* 
selbe Rolle, er wurde dafur in den Adels« 







56. Judenware 

Satirischcr Kuplerstich. 18. Jahrhundeit 



36 




Sie (Trfj bet) <£rlermmg beg <£retcttiiimg beHagenben jubifefcert SRcfrutcru 



ttlttufc&tl- 

Pf>cM»eifctnteS ©efefjief ! ou roei ! wit finb bectocen. 
*v adein jum Unglucf (inb mi: quf tie 2BeIt gebol)C«t. 

<2d)au t)€tf o Deutfdje 2Belf ! fd)au mit SenuunDcung ait 

SH3ic jieben in Da^3eI0. 2lc&! fdjicft fid) Dicfetf Dann? 
(Jin OTaufdjel unD ©olbatjugleid) rote mufen roetben. 
SttJic fdjit>6cen beo bem ©act, bep £immet unD beg ffcDuij 

S)ie <3ad)e gebt nidjt a n , roeiis a n Sucage feblt. 

Unb Dennod) tnccDen reir DemSciegec jugefcllt. 
ting Dief eg gac nid)t fdjmecft , tuir (jaben feme Sceube, 
2Bir fiibfen Rete D.uaal, unb lautec £«$enieiDe. 

Murage beo ung feblt* man ladjtunB a\xi unbein. 

<£.i Cann ein junge ka§ bey uns ein ©cacfe fepn. 
&orpocal. 
©u(^)erj, mein©obn ! tm gelDroicb |Td) bccSttutl) fdjon mefoccn. 
£tf Eann dec £a§tl)locf eud) aud) Outage lebcen. 
ttTaufdKl. 

2(u reci/ ^)ecc .Corporal! um8 -Oimmeftf 2Gunbec Dod) f 

SBas bietbet tltr un6 an? SuiDad ecjdblt ibx nodj ? 
3Bie voicb 0a6 ©oicnoolF nidjt in Die £cinDe fiatfdjen , 
SttSeun uritf Dec .£)afiel|rod; foil auf bem ijiutfel bat |d)eu! 

9BAc roibec ba6 @efcfc ; mt finO eS nidjt gereobnt. 

Sid; tag turn Diefem bod) un* 3&ben feun weefdjont. 
Rorpocal. 
9fldt$t nidjt t>ul*}MauDetei), fdjicft eud) jum €wctcen; 
©onfi roili ben 35utf cl end) red) t tapf cc cuntec fd)mtnen. 

tfTaufc&el- 

•&brt ju,.,f)ert Svoruotol! roir finbbaluentfdj[b|fen; 

$ld) fcyO bod; tibecutttJ nidx jocntguub txcbroift-tt, 
2£ir sceifcii toillig an; bod; fagen 101c babei), 
'*26ie Dag wMj.uufctm gteif nia)t ttiel ju hon, cn f<^ 

3Bir furdjten 'ISntoecraud) , unb and) Dec £uge( pfcifcn ; 

213ic fucd) ten imtf fcl)t liacE luenu Die Sanonen jlceifen. 
SSctrnctjten ©ie , rae tief unS Dicp ju pcrjen gebt * 
SBcnn uns Dec toflc gcinb einmat cnrgcgeri |r«fct. 

S33ie (eidjtlict) f oilmen ivic nod) ubec all !&c[d)TOCCDen 
-3" foldjec SebendgefalK ivoljl sax ecfdjoiTen toetben. 



2torpoc(tL 
S5ucdj eine Sugel fficbt ein bcasec ^etbforoat. 
28enntf end) nidjt betfee gebt/ i'|i roenig |uc «tid) ©djab. 
ITTaufJ)eL 
©ott malt/ -Oetc^otpocal! Cos (ann bod) ntdjt beflebm; 
(£6 roiicO in ccm ©efe^ ein gco§ec %cudj ge|'d)ebti). 
Sinmal fiic alfemat , s Eanngeiui§ nidjt feon, 
3bc rotffet obne Datfr njicelfenni^tBoonlSttjroetn. 
2Senn tt*ic bey ^Joien fe?n, anD mit Den ^ucEeti fed)ten r 
SQSec roicD unS mittlerroeil juc ©pels Die Di^ien fd)e<$ren ? 
2&ec giebtunSanbceSmebc? roecgiebt une^ofebetronr.? 
3$ fag t$ erjelia)/ -pert! eSfanngerinls nid)t feijn. 
AorporaL, 
3m $elb tft allet! fee? , too Dad &eTe| gefeobea; 
^)cummait)tmicCein^)efd}revmueucenfd)led)ten9coben<. 
'IZBatfbectdolDat <jeme£t/ it)m ailejcit mobl fd>n«c£i/ 
2inion|t bet- >Oa^l{tO(f eud) 2Jppetit ecroecft. 
ITT^ufd)eL 
3Jiocb taufenb ?KageS roeU i$t oaiff ben ^eufet gTe&ert/ 
3^tbei)tS, Den^utfclljec! e8 buft Ecin 'Sitt nod) i^irbct:. 
Sfutoet! Dec ^eufct (jat Das (Sdjtagen aufjjcbracrjt; 
2(u roei/ -Deer x'ocpocat' l)6ct tpie Die Siippen fcadjt. 
2(u roei! WegiaS Eomm; actilagbein £ornood)blnfen/ 
^Gie Sonnet uom OTittag mit @tucmen unb mit iKafeii. 
Siu net ! acb Eomm iu Jjutf Dec acmen 3ubenf tbaat i 
Slu toet! aq) cette una cot © tceirt) unb £cb«ni»§«fat)t- 
2/u ivei! .t^crr Corporal ! ad) t'd)ont mid) untecoeifen , 
^tcroollcn Eolicec Suifd), ^uurfciunniD Anotel ftclTej?- 
& i|l un6 alteS gut , e& i(r an^ ait^ cedjt , 
2Jd) t)6ct bod) einmat auf mil Ot'efcai ©'tocf gefedjt. 
^3it fceiTen Dugne^ucio rait ftefjen ©pert unb *l>lunienj 
Slu rod, Jpctc ^ocporai! ki) mus in b'-poun bninjcn. 
Suioet, *S>ecc ifocoocal! cct)orct mem ^efdjeev- 
SSocSdjmetienueftsid)/ auioet! au ivci! auiwei! 



tUe£ btm Wiener (Priginal geSrndl , uni van 



57. Wiener Spottgedicht auf die Juden als Soldaten 

Flugblatt. Kupfecstich von Loschcnkoh!. Um 1780 



stand erhoben „er ist der erste (ungetaufte) adlige Jude in England". Der 

Marschall Moritz von Sachsen, der Sieger von Fontenoy, aufierte, dafi seine 

Armeen niemals besser verproviantiert gewesen seien, als wenn er sich an 

die Juden gewandt hatte. Der Jude vermochte solche Leistungen, die den 

Christen versagt waren, zu Wege zu bringen, kraft seiner Beziehungen und 

infolge des Zusammenhaltes unter den Juden, wodurch er uberall seine 

Helfershelfer hat. Die Juden erwiesen sich so als die ersten grofien geschafts 

lichen Organisatoren. 

Ohne die finanzielle Geschicklichkeit und Willfahrigkeit der Juden 

lafit sich kein Krieg fiihren, — das war bis in unsere Zeit herein die feste 

Meinung der meisten Staatenlenker, und es ist jedenfalls mehr als blofi ein 

guter Witz, wenn die Anekdote erzahlt wird, die Frau von Amschel Roths 

schild habe einmal gegenuber einem Besuch auf dieFrage, ob es wohl Krieg 

gabe, geantwortet: „Nei, nei, es gibt kein Krieg, mei Amschel gibt kei Geld 

her." Aus den Hofjuden wurden die Steuerpachter, die Schatzmeister und 

schliefilich die Finanzminister, die nicht nur hinter den Kulissen, sondern 

ganz offen die Finanzen der Stadte und Lander beherrschten. Man kann 

wohl sagen, dafi die Juden jahrhundertelang die Finanzen Europas fast aus* 

schliefilich beherrscht haben. Wahrend der Regierung der KoniginAnnall. 

in England ist Menasseh Lopez der leitende Finanzmann Englands. Im 17. 

und 18. Jahrhundert gibt es nicht einen deutschen Hof, der nicht seinen 

Hofjuden hatte, manchmal hatte er auch mehrere. Ober anderthalb Jahrs 

hunderte lang waren die Hofbankiers am 

Wiener Hof nur Juden. Auch Bismarck 

und die Hohenzollern hatten ihren Hof* 

juden, namlich Bleichroder. Und wie im« 

mer, so auch in diesem Falle, kamen alle drei 

Parteien auf ihre Kosten: Bismarck, die 

Hohenzollern und Bleichroder. 

So wurde die besondere Geschicklich* 

keit der Juden in den Fragen der Geldwirt* 

schaft die oberste Ursache ihrer grofien 

DerLovrbe nut 2 entprajjen. Kraym Macht und ihres starken Einflusses in Ge« 
Wird biffig hier DerWetZZurSchjclu- . , , „. , ... , .. 

VoriJeiKeriiKleppei-lwngdTayen- memde und Staat, woruber sie trotz ihrer 

58. N-iirnbcrger Kirikau, 1785 Unterdruckung immer und uberall verfiig* 




Her Hitter von- ~c>erwiii)eitSau. 



38 




59. „D»e kritische Viertdstuniic des Rabelais" 

Rjdienin? v<m KeinbarJ. I"8' 



ten, oder wenigstens immer wieder sehr bald verfugten, wenn sie auch kurz 
zuvor noch so heftig verfolgt worden waren. 

Wie es nicht wahr ist, dafi die Juden von Natur ein Ackerbauvolk sind, 
so gehort es, wie gesagt, zu den verbreitetsten Irrtiimern, dafi sich die Juden 
immer nur gezwungenermaften der Geldwirtschaft zugewandt hatten, weil 
ihnen angeblich schon im Mittelalter und vielfach bis nahe an unsere Ge« 
genwart heran alle anderen Berufe verschlossen gewesen waren. Es ist ge? 
wifi richtig, dafi den Juden friiher in unendlich vielen Fallen und an sehr 

39 



vielen Orten die Ausubung eines Handwerks verboten war, dafi sie in den 
Zunften und Gilden niemals Zutritt fanden, dafi sie nur mit ganz bes 
stimmten Artikeln Handel treiben durften, und dafi ihnen der Erwerb von 
Grund und Boden an vielen Orten versagt war. Hieraus darf auch ge= 
folgert werden, dafi diese stark eingeengte Stellung im Erwerbsleben die 
Neigung zur Beschaftigung in derreinen Geldwirtschaft bei ihnen sehrges. 
fordert hat, und^dafi damit eine vorhandene Geldliebe kunstlich bei ihnen 
weiter gezuchtet worden ist. Aber wenn es mir auch nicht einfallt, die den 
Juden in fruheren Zeiten zuteil gewordenen Beschrankungen geringer ein* 
zuschatzen, als sie in Wirklichkeit gew'esen sind, so mufi doch mit aller 
Entschiedenheit immer wieder gegen den landlaufigen Irrtum protestiert 
werden, als sei die vorzugsweise Beschaftigung der Juden auf den Ge* 
bieten der Geldwirtschaft ein ihnen erst in Europa sozusagen mit Gewalt 
angezuchteter Beruf. Ich habe bereits geschildert, dafi auch in Palastina die 

Geldwirtschaft die Hauptfunk* 
tion der Juden bildete. Es ist 
aber auch nichtwahr, wenn man 
sagt, dafi ihnen in Europa nie* 
mals ein anderer Ausweg ge* 
blieben sei, als die Beschafti* 
gung in der Geldwirtschaft. Es 
ist leicht nachzuweisen und 
durch Hunderte von Beispielen 
zu belegen, dafi sich die Juden 
in unendlich vielen Fallen der 
Geldwirtschaft widmeten, wo 
absolut kein aufierer Zwang da* 
zu vorlag, dafi sie auf die Aus* 
ubung eines Handwerks vers 
zichteten, obgleich sie nichts das 
ran gehinderthatte, als ihr eiges 
ner Wille; es steht fest, dafi sie 
niemals einem Berufe sich wids 
meten, der grofiere korperliche 
Anstrengungen erforderte. Und 




Tbir Maufchd mllfin i,ht in Chalrrj Jl,!^ fitem : 

JTu WrifnOr/ noth darru a**ff Jrhwfincn ^rJtr fcUunlztn 

U/amTn teii fttibtnnnjl . £u viiOn tjthmuh ymattxl , 

tin? ilfi nn tjaltjtn kin 3*r 9ejim j°tt virntkl . 

60. In der Judenhollc 

Satirischer Kupfctstich. 18. Jahrhundert 



40 




Der jiidische Geizhals 

Anonymer satirischer Schabstich. 17. Jatirhundert 



Beilap jo Eduard Fucbs, .Die Judro in der Kirikitur- 



Albert Itngcn, Muncfaen 




61. Der judische Geizhals 

Englische Kaiikatur vou Bobbins. 1773 



zwar handelte es sich hierbei nicht nur um vorubergehende Moglichkeiten, 
denn solche wurden nichts bedeuten, sondern um sehr lange wahrende M6g« 
lichkeiten; ich nenne nur Holland vom 17. und England vom 18. Jahr* 
hundert an. Immer und uberall hat sich nur ein verschwindend kleiner 
Teil der Juden der Landwirtschaft gewidmet, auch wenn ihnen der Betrieb 
der Landwirtschaft nicht im geringsten verwehrt war. Alles das sind ab* 
solut feststehende und leicht belegbare Tatsachen. 

Was ergibt sich nun hieraus als Schlufifolgerung? Ich meine, dafi man 
gar keinen Grund hat, hieraus auf eine moralische Minderwertigkeit der Jus 
den gegenuber den Christen zu schliefien und zu sagen, dafi die Juden 
den leichten und den unehrlichen Gelderwerb der ernsten redlichen Ar« 
beit vorzogen. Das ist die Logik des wildgewordenen Spiefiburgers, der 
unter den Wirkungen der sich stets umwalzenden Geldwirtschaft leidet und 
in seiner bornierten Wut den Vermittler mit dem geheim wirkenden Gesetz 
verwechselt. Wohl aber mufi man aus diesen Tatsachen schliefien, dafi die 
Juden von Natur zu der abstrakten Tatigkeit der Geldwirtschaft pradesti* 
niert sind und darum einem fast unwiderstehlichen inneren Zwange folgen. 
Das ist wirklich der einzige vernunftige Schlufi, den man ziehen mufi. Die 
Juden sind tatsachlich im Vergleich zu uns Nordlandern rein abstrakte Na< 



Fuchs, Die tuden in der Karikatur 



41 



turen. Darin besteht die spezifische Wesenheit ihrer Psyche, sie sind ausge* 
sprochene Intellektualisten. Die letzte Ursache dieser spezifischen Geistes* 
und Gemutsart liegt in ihrer Herkunft und in ihrer Abstammuhg, d. h. 
also: sie liegt den Juden im Blute. Die Juden sind in ihrem Ursprung ein 
Wiistenvolk und aufierdem ein Nomadenvolk. Der Pentateuch ist das Res 
ligionsbuch eines Nomadenvolkes, das ergibt sich auf jeder Seite. Die Hers 
kunft aus der Wiiste bedeutete den Zwang, die Dinge immer im klaren 
Lichte und mit ungebrochenen Konturen zu sehen — denn so zeigt sie die 
Wuste - und niemals im auf losenden Nebelschleier unserer Flufitaler, unserer 
nordischen Walder und unserer Siimpfe. Dieser Ursprung und dieser Zu* 
stand, in dem die Juden nach neueren Forschungen mindestens zehntausend 
Jahre verbrachten, hat das Abstrakte in ihnen gezuchtet. Dafi die Juden 
aufierdem durch ihr historischesSchicksal sehr friih zueinem Nomadenvolk 
wurden, das hat ihre spezifische geistige Wesenheit, ihren Intellektualismus 
auf jenes Gebiet des Erwerbs gelenkt, das unbedingt eine der wichtigsten 

Wurzeln derGeldwirtschaftdars 



stellt. Der Nomade ist stets ein 
Hirt, der Hirt aber sieht am 
raschesten die Ergebnisse seiner 
Tatigkeit heranreifen, er mufi 
nicht so lange warten wie der 
sefihafte Bauer, der seinen Besitz 
nur langsam wachsen sieht. Als 
Nomade in der Wuste ist der 
Hirt aufierdem steten Gefahren 
ausgesetzt. Sein Besitz mufi des* 
halb beweglich und realisierbar 
sein. Das Wustenleben entwiks 
kelte infolgedessen fruhzeitig 
ein starkes Organisationstalent, 
und ebenso die Fahigkeiten des 
Verstandes, um eine drohende 
Gefahr rechtzeitig zu erkennen, 
ihr aus dem Wege gehen zu kon* 
nen, und die Dinge im Wechsel 




62. Ein jiidischer Handler mit Chrisienrteisch 

Englische Karikatur. 18. Jjhrhundett 



42 




r jMOSES'. erecting tft&BmzenSerpmt. ThtfeDtsert 



63. Moses errichtet die erzene Schlange in der Wuste 

Englischc Kaiikatur. I7S7 



zu meistern. Das Nomadenleben entwickelte weiter eine starke Anpas* 
sungsfahigkeit an jede veranderte Situation. Alle diese Eigenschaften sind 
abstrakter Natur, sind intellektuelle Fahigkeiten. Und diese Fahigkeiten 
zeichnen den Juden in erster Linie aus. Das spatere historische Schicksal 
der Juden hat diese Eigenschaften zweifellos noch gesteigert. Die No* 
maden wurden Wanderer iiber die ganze Welt, die stets das gelobte 
Land suchten, den Ort, wo sie endlich den Frieden finden wurden und sich 
fur immer ausruhen konnten. Ahasverus, der Ewige Jude, ist das erschiit* 
ternde Symbol dieser ewigen Unstatigkeit, die zugleich eine grandiose Ziels 
strebigkeit darstellt. (Vgl. die beiden Beilagen neben S. 144 und 152.) Diese 
ewigen Wanderer, die nirgends in der Geschichte die letzte Ruhe fanden, 
waren zugleich die anpassungsfahigsten von alien Volkern. Sie haben sich 
alien Volkern der Welt angepafit, in deren Mitte sie sich niedergelassen 
haben. Sie haben uberall die Dinge gemeistert und wurden schliefilich 
uberall die Herren der veranderten Situation. Das spatere historische Schick* 
sal der Juden, das nachlegendare, hatohneZweifel auch eine intensive Aus* 
lese unter den Juden getroffen, es hat jene Individuen in die Feme gerissen, 
in denen der Nomadencharakter am intensivsten wirksam war, und es hat 
aufkrdem denen unter ihnen die starksten Entwicklungsmoglichkeiten 

43 




64. Kleiderjuden 



Englische Karikatur von Thomas Rowlands* 



geboten, die iiber die vorhin genannten Eigenschaften in besonderem Mafie 
verfugten. Das letzteredeshalb, weil dieverschiedenen Kulturen, mitdenen 
die Juden bei ihrem Weg iiber die Welt in Beruhrung kamen, bei einem be* 
stimmten Grad der Entwicklung gerade dieser Eigenschaften als Erganzung 
bedurften. Aus diesem Grunde haben sich diese spezifischen judischen 
Eigenschaften, ihre geistige Wesenheit, im Laufe der Zeit nicht nur nicht 
verloren, sondern bis auf den heutigen Tag fortgeerbt. Vielfach in der 
potenzierten Form, die uns z. B. Charakterkopfe hervorbrachte, wie es 
ein Karl Marx ist, der an abstrakter Denkkraft kaum seinesgleichen in 
der gesamten Menschheitsgeschichte hat. Dies alles lafit sich aus dem Ur* 
sprung und der Herkunft der Juden, aus dem Nomadencharakter eines 
Wustenvolkes und aus ihrem historischen Schicksal herleiten. Genau wie 
man die nordische Naturalwirtschaft, die in Europa der kapitalistischen 



44 



Wirtschaftsweise voranging, aus unserem Klima, aus unserem Wald, aus 
unseren ganz anderen Lebensnotwendigkeiten, wo man nur in langer, zaher 
Bauernarbeit zu einem Ertrag kommt, herleiten kann und herleiten muE. 
Der Nomadencharakter der Juden hat natiirlich nur fur boswillige Igno; 
ranten etwas Verachtliches an sich. Ich glaube, wir Nordlander haben sehr 
wenig Grund, gerade darauf besonders stolz zu sein, dafi unsere Vorfahren 
mit Vorliebe auf der Barenhaut herumlungerten und Meth tranken. Erf reus 
licherweise ist hierdurch nicht allzuviel an den Nachkommen unserer Rasse 
verdorben worden, und es ist nicht dazu gekommen, daB diese nur in 
Faulpelzen und Trinkern fortlebt, denn aus ihrem Blute sind immerhin 
noch eine Anzahl Gestalten hervorgegangen, deren sich die Menschheit 
nicht gerade zu schamen braucht: ein Rembrandt, ein Beethoven, ein 
Lessing, ein Kant, ein Schiller usw. Aber das sind auch nicht die Leute, 
die zwischen den Volkern und Rassen einen dicken Trennungsstrich zogen 
und anmaflend erklarten: Dort sind die Bosen, und hier, wo wir stehen, 
sind die Guten, sondern die vielmehr dem einzigen wiirdigen Lebensziel 
zustrebten: Alle Menschen, gleich geboren, sind ein adelig Geschlecht — 
ob Heide, Jude oder Christ . . . 



Weil die Juden von Natur eine 
besondere Begabung fiir die Technik 
der Geldwirtschaft haben, darum 
waren auch sie es, die im Lauf der 
Zeit, nachdem durch ihren Zusarn* 
menstofi und durch ihre Koalition 
mit den abendlandischen Volkern 
der Kapitalismus entstanden war, alle 
spezifischen Formen der Geldwirts 
schaft erfunden haben. Das kann 
man wohl sagen, und man kann es 
zumeist schon mit dem heute vorlie* 
genden Material beweisen. Wo man 
es aber nicht direkt beweisen kann, 
dafi die Juden die Erfinder gewesen 




65. Drei Juden und ein Gedanke 

Engluchc Klrikatur von Th. RoMJjnJion 



45 




Mr'M.y I i..\i>i n.\ 



66. Die Geldverleiher 

tnglischt Karikatur von Thomas Rowtamison. 1784 



sind, kann man zum mindesten nachweisen, dafi ihnen ein Hauptanteil bei 
der Entwicklung der betreffenden Institution zukommt. Diese vom Kapi« 
talismus untrennbaren spezifischen Formen der Geldwirtschaft sind: die 
Banknote, der Wechsel, die Aktie, die Obligation und die Borse. 

Selbstverstandlich kann man von alien diesen Formen der Geldwirt* 
schaft nicht in dem Sinne als Erfindungen reden, wie man etwa bei einer 
Maschine von einer auf den Tag zu datierenden Erfindung reden kann. Alle 
diese Einrichtungen haben sich mehr oder weniger langsam alsNotwendig* 
keiten heraus entwickelt. Und erst bei einem gewissen Grad der Vervoll* 
kommnung stellen sie sich dem historischen Beschauer als eine wichtige 
und neue Institution der Geldwirtschaft dar. Der erste, der z.B. jeneForm 
der Schuldverschreibung anwendete, aus der sparer der Wechsel wurde, 
oder der eine Anweisung auf Geld gab, die sich allmahlich zur Banknote 
formte, hat natiirlich niemals daran gedacht, damit eine wichtige fur das 

46 




JEWS AT A LIJ Rt C IW EUK . 
67. Juden beim Friihstiick. Englische Karikatur 



Geldwesen epochale Neuerung eingefuhrt zu haben. Darum sind auch bei 
IceinerdieserverschiedenenFormenderUrheberundderUrsprungsortgenau 
bekannt, sondern im besten Fall die Orte, wo von der betreffenden In* 
stitution am fruhesten haufiger Gebrauch gemacht wurde. Die Anfange vers 
lieren sich samtjich im Dunkel des Alltags. Der alteste bekannte Wechsel, 
der sich erhalten hat, stammt z. B. aus dem Jahre 1207 und aus Italien; er 
istvon dem Juden Simon Rubens ausgestellt. Es unterliegt jedoch gar 
keinem Zweifel, dafi diese Form der Zahlungsverpflichtung um diese 
Zeit schon ziemlich lange in Gebrauch war und sich auch nicht blofi auf 
Italien beschrankte, sondern langst auch in anderen Landern haufig ange* 
wendet wurde. 

Aber gerade darum, weil es sich in diesen samtlichen Institutionen um 
die Resultate langsamer Entwicklungen handelt und niemals um eine von 
Anf ang an vollendete, auf den Tag zu datierende Erfindung, kann man den 
besonders groCen Anteil der Juden an diesen samtlichen Institutionen der 

47 



Geldwirtschaft feststellen. Dem Inhaberpapier begegnen wir, wie man aus 
der Bibel erfahrt, bereits bei den alten Juden in Palastina. Darum kann man 
in diesem Fall wohl sagen, daft es iiberhaupt jiidischen Ursprungs ist. Der 
friiheste bekannte Wechsel stammt, wie vorhin gezeigt, von einem Juden, 
aber viel entscheidender diinkt mich der Umstand, daft der spatere Wechsel* 
handel jahrhundertelang ausschlieftlich in den Handen der Juden war, und 
weiter der Umstand, daft die Orte, in denen friiher der Wechselhandel 
kulminierte, wie z. B. Venedig und Amsterdam, die klassischenjudenstadte 
jener Jahrhunderte waren. Am wenigsten weift man iiber die Entstehung 
der Banknote. Wahrscheinlich hat sie mehrere Geburtsorte, indem sie sich 
eben, was ja vielfach vorkommt, an mehreren Orten zu ahnlicher Zeit und 
ganz unabhangig von einander als Entwicklungsnotwendigkeit ergeben hat. 
Die wahrscheinlichsten Geburtsorte sind Venedig und Holland im 16. Jahr* 
hundert. Was freilich hinreichend viel beweisen wiirde, denn beides waren 
damals Judenzentralen. Um so mehr und um so Genaueres weift man iiber 




6S. Ein jiidischer Elegant. Englische Karikatur von Thomas Rowlandson 



48 




Deutsche Karikatur auf die Juden als Soldaten. 18. Jahrhundert 



fidliee zn Edtttrd Facts, .Die juden in tier kuihttr' 



Albert Lingm, Mooches 




69. Salomon begluckt sich und zwei schone Christenmadchen 

Englische Karikatur von Thomas Rowlandson. lira 1800 



die Borse, das unentbehrliche Zentralkontor der Geldwirtschaft. Diese ist 
etwa im 16. Jahrhundert als Vereinigung der Wechselhandler entstanden. 
Sie war schon deshalb niemals und nirgends in anderen Handen als in 
denen der Juden. Wie sollte es auch anders sein? Fur die Wertpapiere 
braucht man einen Markt; dieser Markt ist die Borse. Der Handel mit 
Wertpapieren ist aber dauernd, wie gesagt, uberwiegend in den Handen 
der Juden gewesen, also konnen die Beherrscher des jeweiligen lokalen 
Geldmarktes eben auch nur die Juden sein. Die Dinge haben nun einmal 
ihre Logik, und in diesem Falle eine solche, die hochstens ein vernagelter 
Spiefiburgernichtkapiert: Gevatter Schneider und Handschuhmacherhatten 
auf der Borse nichts zu tun. Wenn also eine tendenziose Agitation von 
einer „verjudeten Borse" spricht, so ist dies ungefahr ebenso geistreich, wie 
wenn jemand uber einen verbauerten Viehmarkt schimpfen wurde, weil 
er dort mehr Bauern als z. B. Goldarbeitern oder Optikern begegnet. 

Fuchs, Die Juden in der Karikatur J 

49 



Da ich hier keine Geschichte der Geldwirtschaft schreibe, sondern nur 
die Rolle der Juden beim Auf bau der kapitalistischen Wirtschaftsweise auf* 
zuzeigen habe, so kommt fur mich die funktionelle Bedeutung dieser vers 
schiedenen Formen der entwickelten Geldwirtschaft naturlich gar nicht in 
Frage. Wohl aber ist es angebracht, noch auf den Hauptwesenszug dieser 
verschiedenen Institutionen der Geldwirtschaft hinzuweisen, um so mehr, 
als dieser ein durchaus gleichartiger ist. Dieser gemeinsame Wesenszug be* 
steht in der durch sie erreichten vollstandigen Versachlichung des Geldes 
und damit in der restlosen Loslosung von allem Personlichen. Die letzte 
Beziehung zum speziellen Individuum und seiner Arbeit, als Wertschopfung, 
ist damit gelost. Der Besitztitel lebt hinf ort sein Eigenleben, und die Borse 
z. B. ist nicht nur Markt, sondern Selbstzweck zugleich. Gerade durch diese 
intensivste Versachlichung des Geldes und Geldmarktes in den genannten 
Formen decken sich alle diese Formen der entwickelten Geldwirtschaft 
wiederum vollkommen mit dem oben beschriebenen spezifischen Wesens* 
zug des judischen Geistes, namlich mit dessen kategorischer Tendenz fur 
das Abstrakte. Deshalb aber gibt es in diesem Punkt nur eine einzige 
Schlufifolgerung und diese lautet: es ist in besonderem Mafie judischer 
Geist, der in samtlichen Formen der kapitalistischen Geldwirtschaft sich 
auswirkt. 



Wie das Geldwesen, d. h. in diesem Falle die direkte Geldwirtschaft, 

durch die Juden zu ganz spezifischen For* 
men inspiriert und entwickelt worden ist, 
so auch der Handel: der Handel auf der 
ganzen modernen Welt und der Handel mit 
der ganzen modernen Welt. 

Die Juden belebten in ganz besonderer 
Weise den inneren und aufieren Markt. Die 
grofiten Warenumsatze durften hochst 
wahrscheinlich immer durch die Juden era 
zielt worden sein. Das ergibt sich namlich 
schon daraus, dafi sie vom 16. bis zum 18. 
Jahrhundert alle Haupthandelsplatze der 
Welt fast ausschliefilich beherrschten. Der 




3& rfe**> yto&y" 



Das Fahrrad der Juden, mit dem sie 

dutch die ganze Welt kutschieren, und 

mit dem man am schnellsten und auf 

jeder Strafie vorwarts kommt 



70. Woodward. Engl- Karikjtur auf das 
erste Fahrrad 



50 




HUMOURS of HOUNDSDITCH. 

CR A'P S SHEVI l.v A LONCLVG CONDJTIO.V. 



-.JAM,-. C.'...i 



71. Engtische Karikatur von Thomas Rowlaodson 



gesamte Levantehandel war z. B. durch fast drei Jahrhunderte in ihren 
Handen, dieser aber bildete damals den wichtigsten Zweig des ganzen 
Welthandels. Beruhmt sind vor alien anderen Kaufleuten der Welt die 
reichen hollandischen Juden, die schon im 17. Jahrhundert ihre Schiffe auf 
alien Meeren schwimmen hatten. Es gibt aufierdem auch positive Zahlen 

hierfur, und zwar aus dem England des 17. Jahrhunderts. Ober die Be* 

7* 

51 



teiligung der Juden an der Leipziger Messe, die doch einst und lange der 
Mittelpunkt des ganzen deutschen Handels war, gibt es ebenfalls sehr be* 
weiskraftiges Material zu diesem Punkt. Wer auch bis jetzt die Geschichte 
der Leipziger Messe studiert hat, kommt zu dem ungefahr gleichen Schlufi, 
,,dafi die Juden es seien, die den Glanz der Leipziger Messe begrundet ha« 
ben". In den Jahren 1810 bis 1820 stehennach den amtlichen Zahlen den 
durchschnittlich 14366 christlichen Messelieferanten nicht weniger als 4896 
judische gegenuber. In Wahrheit diirfte die Zahl der judischen Mefiliefe* 
rantenjedoch noch viel grofier gewesen sein, da wegen der Pafischwierig* 
keiten, denen die Juden standig und uberall unterworfen wurden, immer 
zahlreiche Juden sozusagen ..illegal" die Messe besuchten. Der internationale 
Warenhandel, der Import wie der Export, wurde uberhaupt erst durch 
die Juden eingeleitet und kraft ihrer internationalen Beziehungen jahr* 
hundertelang fast ausschliefilich von ihnen beherrscht. Zur Zeit der Zu* 
nahme des Fleischgenusses in Europa, im 16. Jahrhundert, wurden von ihnen 
zuerstdie Gewurze — Pfeffer! — eingefuhrt. Auch die Luxuswaren wurden 
von den Juden zuerst eingefuhrt: Goldwaren, Edelsteine, Perlen und vor 
allem Seide und Seidenwaren. Den Handel mit Luxuswarenhatten die Juden 
lange Zeit sogar ganzlich monopolisiert. Ungleich schwererwiegend ist 
jedoch der Umstand, dafi die Juden stets den uberragenden Anteil an dem 
Handel mit Massenprodukten hatten, dafi sie es waren, die diesen zuerst in 
umfangreicher Weise organisierten, also z. B. den Getreidehandel, den Hans 
del mit Leder, Wolle, Flachs, Baumwolle, Zucker, Spiritus, Tabak, und 
spater vor allem den mit Edelmetallen usw. 

So bedeutsam alle diese Funktionen der Juden auf demGebiete des in* 
und auslandischen Handels sind, noch ungleich bedeutsamer ist jedoch ihr 
Anteil an der Begrundung der Kolonialwirtschaft. Das war wirtschafts* 
geschichtlich ihre bedeutsamste Tat neben ihrer grofien Rolle in der Geld* 
wirtschaf t. Denn erst durch die Kolonialwirtschaft wurde der Kapitalismus 
lebenss und entwicklungsfahig, erst durch sie wurde er die Jahrhunderte 
lang die ganze Welt mit Riesenhanden umformende Wirtschaftsweise. 

Man kann ohne Ubertreibung behaupten, dafi die Juden unbedingt 
die Schopfer des modernen Kolonialwesens sind, das mit der Entdeckung 
Amerikas einsetzt. Es wird sogar neuerdings, und anscheinend auch mit 
gutem Recht, behauptet, dafi die Vorfahren des Christof Columbus Juden 

52 







MCKLEP PORK. 



72. Gepokeltes Schweinefleisch oder der verkannte Josef 

EuglUche Karikatur von Griaagain. 1822 

gewesen seien. Wenn sich dies bewahrheiten sollte (von seiner Mutter 
scheint es schon heute absolut festzustehen, dafi sie eine Jiidin gewesen ist), 
so ware dies ahgesichts der Rolle, die die Juden hinfort in alien neuent* 
deckten Weltteilen spielen sollten, jedenfalls ein sehr guter Witz der Welts 
geschichte. Immerhin ist die Antwort auf diese Frage nicht so wichtig wie 
die nicht zu bestreitende Tatsache, dafi es Juden gewesen sind, die das Geld 
fur die Ausrustung und Reise des Columbus im Jahre 1492 aufgebracht 
und riskierthaben. Dieser Umstand alleinerweistAmerika von vornherein 
als eine rein judische Grundung. tlbrigens wurde auch die zweite Reise 
des Columbus mit Judengeld bezahlt; freilich ist es dieses Mai nicht frei* 
willig von den Juden gegeben worden, sondern es stammt aus den Summen, 
die von den unterdessen aus Spanien vertriebenen Juden dort zuriickge* 
lassen worden waren, und die Ferdinand von Aragonien eiligst eingesackt 
hatte, oder wie der hofische Ausdruck dafiir lautet, „die er fur den Staatss 
schatz hatte einziehen lassen". Angesichts dieser judischen Herkunft des 



53 




73. Des Judcn Lejd ist der Gojim Freud. tnRbahc K^riluiuc 

Geldes. mit dessen Hilfe Amerika entdeckt worden ist, ist es sehr wahrs 
scheinlich, daB die Entdeckung Amerikas nicht auf das Konto der Spanier 
gekommen ware, wenn die Juden ein Menschenalter friiher, als dies geschah, 
aus Spanien ausgewiesen worden waren. Das Weltbild wiirde hierdurch 
wohl ein wesentlich anderes geworden sein. Gewifi ware Amerika nicht 
unentdeckt geblieben: seine Entdeckung, d. h. die Auffindung von neuen 
Edelmetallquellen, war damals das oberste Bediirfnis der Zeit. Die euros 
paischen Silbererzgruben versiegten urn jene Zeit; jedenf alls vermochten sie 
mit den damaligen primitiven Fordermitteln nicht entfernt den Bedarf der 
gesteigerten Geldwirtschaft zu decken. Aber die Entdeckung und erste 
Exploitierung — richtig iibersetzt: Ausrauberung — Amerikas durch ein an* 
deres Land Europas hatteeben dieses in besonderem Mafie weltbeherrschend 
gemacht; die Belebung des internationalen Warenhandels ware von ihm 
ausgegangen, und dorthin waren zuerst die so sehr ersehnten EdelmetalU 
strome geflossen. So kniiprte sich dies alles vorerst an Spanien. 

Wie es eine nicht zu bestreitende Tatsache ist, daB des Columbus Ent? 
deckerfahrten mit jiidischem Geld ..gemanaged" worden sind, so ist es eine 
ebenso feststehende Tatsache, daB die ersten Menschenladungen, die in die 
Neue Welt verf rachtet wurden, zum grofiten Teil aus Juden bestanden. Schon 



54 



auf seiner ersten Reise wurde Columbus von einer Anzahl Juden begleitet, 
und der erste Europaer, der den Boden der Neuen Welt iiberhaupt betrat, 
war der Jude Luis de Torres. Das steht aktenmaftig fest. Da genau in den* 
selben Jahren die Juden aus Spanien und Portugal vertrieben wurden und 
diese Vertreibungen mehr als ein Jahrhundert anhielten, so stromten un* 
unterbrochen immer neue Scharen von Juden, und zwarvor allemspanische 
und portugiesische Juden — die geistige Elite des internationalen Juden* 
turns — , durch die weitgeoffneten Tore der Neuen Welt. Man nimmt an, 
daft die Zahl der Juden, die sich dort eine neue Heimat zu griinden ge* 
dachten, rund 25000 betrug. Hierin der Neuen Welt schien sich den Juden 
endlich das Kanaan aufzutun, nach dem sie so lange und so vergeblich in 
dem alten Europa gesucht hatten. Das Zusammentreffen der Ausweisung 
der Juden aus Spanien und Portugal mit derEntdeckungAmerikas ist aufter* 
lich natiirlich die Hauptursache, daft die Juden von vomherein eine so aus* 
schlaggebende Rolle in der Kolonialwirtschaft gespielt haben. Denn so 
wurden sie die ersten und einfluftreichsten wirtschaf tlichen Ausbeuter der 
Neuen Welt. Die Juden wurden im wahren Sinne des Wortes ihre Er* 
bauer. Sie sind es, die dadurch der 
Alten Welt eine neue Weltwirtschaft 
angegliedert haben. 

In welchem groften Umfange 
die Juden es gewesen sind, die als 
erste von jenseits des groften Wassers 
den internationalen Warenhandel 
belebt haben, das zeigen uns schon 
einige wenige authentische Zahlen 
iiber die von den Juden in den ver* 
schiedenen amerikanischen Kolonien 
ins Leben gerufenen geschaftlichen 
Griindungen. Gleich nach der Ent* 
deckung Amerikas, namlich schon 
1492,lieften sich portugiesische Juden 
in St. Thomas nieder, errichteten 
dort die Plantagenwirtschaft, begriin* 

74. Eine von den Errungenschsften tier jiiJischen 

deten die Zuckerindustrie und be* Emanation 




55 



schaftigten in kurzer Zeit iiber 3000 Negersklaven. Sechzig Jahre spater, 
um 1550, gab es auf dieser Insel bereits sechzig Zuckerrohrplantagen, die 
jahrlich rund 40—50000 Zentner Zucker produzierten. Alle dies'e sechzig 
Plantagen befanden sich in den Handen von Juden. Die Juden sind es auch 
gewesen, die die Zuckerindustrie nach Brasilien verpf lanzten , das damit 
alsbald in seine erste Blute trat. Mit Juden und Verbrechern wurde 
dieses ganze Land aufgebaut. Zwei Schiffsladungen von Juden und Ver* 
brechern gingen jahrlich aus Portugal nach Brasilien. Selbstverstandlich 
wurden nicht die Verbrecher, sondern die Juden sehr bald die Herren der 
gesamten Situation. Zur hochsten Blute gelangte die brasilianische Kolonie 
aber erst, als sie um 1624 in den Besitz der Hollander uberging; denn 
nun wurden die reichen und besonders geschickten hollandischen Juden, 
die in grofier Masse hinuberstromten, tonangebend. In kurzer Zeit siedelten 
sich nicht weniger als 600 reiche hollandische Juden in Brasilien an. Bis 
tief in das 18. Jahrhundert hinein beherrschten hier die Juden die gesamte 
Plantagenwirtschaft. Der Handel stockte einmal sofort, als im Anfang des 
18. Jahrhunderts mehrere der angesehenen Juden in Rio de Janeiro in die 
Morderkrallen der Inquisition fielen; es brauchte geraume Zeit, bis sich die 
Kolonie von dieser sogenannten Judenreinigung wieder erholt hatte. Aufier 
dem Zuckerrohrbau monopolisierten die Juden in Brasilien auch sehr bald 
den dortigen Edelsteinhandel. 

Durch die christkatholische Inquisition, die mit heiligmafiigem Augens 
aufschlag besonders gern die reichen Juden vertrieb oder abwurgte, weil sie 
dadurch „herrenlos gewordenes Judengut" einsacken konnte, wurden die 
Juden mannigfach zur Auswanderung gezwungen. So z. B. in besonders 
grofiem Umfange im Jahre 1654. Zahlreiche brasilianische Juden wandten 
sich damals infolge der angeordneten Vertreibung nach dem westindischen 
Archipel. Sofort verruckte sich aber auch das wirtschaftliche Schwergewicht 
nach dorthin. Die Insel Barbados, wo zwar schon langere Zeit zahlreiche 
Juden wohnten, wurde durch die Einwanderung der .brasilianischen Juden 
ein reines Judenterritorium. Der Zuckerexport, der bis dahin noch gering 
war, stieg in kurzer Zeit so gewaltig, dafi im Jahre 1676 bereits jahrlich 400 
Schiffe mit je 180 Tonnen Rohzucker nach England verfrachtet werden 
konnten. Die aus denselben Ursachen verstarkte Einwanderung der Juden 
auf Jamaika fuhrte zudemselben Ergebnis. 1656gabesdorterstdrei Zucker* 

56 




Einer void Stamme Levi gedenkt sich mit einer hiibschen Christin zu amiisieren 

Anonymer englischer Firbstich. 1778 



Bcilage ?:ti Edu:iTd Fuchs, -Die Judeii in der Knrikstur" 



Allien Langi-iir Minvhsn 



siedereien, 1670 bereits deren 75, von denen 
manche 2000 Zentner Zucker im Jahre er* 
zeugten. Die englische Regierung machte 
mit ihren Juden auf Jamaika so gute Ge= 
schafte, dafi sie auf eine Eingabe der christs 
lichen Konkurrenz urn Ausschliefiung der 
Juden vom Handel durch den Gouverneur 
kaltlachelnd antworten lieB, sie denke nicht 
daran, denn sie habe keine angenehmeren 
Untertanen als die Juden; wortlich: „not 
have more profitable su bjects than the J ews". 
In Surinam bestand die Bevolkerung am 
Ende des 17. Jahrhunderts zum dritten Teil 
aus Juden, und von 344 Plantagen waren 
115 in den Handen der Juden. Ahnlich was 








Nathan <±rWu sl j 

7S. Ttlclkuptvr 2u ,.0«r tr*vc*tiette N'jtSjn der 
Weise." Posse in z*ci \Iaen. Berlin. I*iQ* 



ren die Verhaltnisse in den franzosischen 

Kolonien Martinique, Guadeloupe und San Domingo. Oberall war die 
Zuckerindustrie die Quelle des Reichtums, und liberal! war diese von den 
Juden eingef iihrt oder zur Bliite gebracht worden. 

Um diese Rolle der Juden im Zuckerhandel richtig zu bewerten. mufi 
man sich vergegenwartigen, dafi der Zucker neben derEdelmetallproduktion 
damals das Riickgratder Kolonialwirtschaft bildete, und daB mit ihm iiber= 
haupt der moderne Kapitalismus in Europa aufgebaut wurde; es war ein 
siifkr und sehr solider Baustoff . In einem Bericht des Pariser Handelsrates 
|ahre 1701 liest man: ,, Frankreichs Schiffahrt verdankt ihren glan« 
ten Handel seinen Zuckerinseln und kann nur durch diesen erhaU 
Ind erweitert werden." Das heifit mit anderen Worten: Frankreichs 
fahrt verdankt ihre lohnende Existenz den Juden und dem Juden? 
lerz. 

Tenn sich bei der Entstehung der Vereinigten Staaten von Nordame* 
rikaffauf den ersten Blick kein so iiberragender Einfluft der Juden feststellen 
yUm wie dies bei Mitteb und Siidamerika der Fall ist, so gilt dies eben nur 
fur den ersten Blick, nur fur eine oberflachliche Betrachtung. Sowie man 
den Dingen auf den Grund geht, andert sich das Bild durchaus, es ergibt 
sich ebenf alls, daft die Juden auch fur den Aufbau der Vereinigten Staaten 




Kuchs. Die Juden in der K^rvkatur 



57 



Nordamerikas eine uberragende Bedeutung gehabt haben. Nur liegen die 
Dingehierkomplizierter.jedoch letzten Endesso, dafi tatsachlichundgerade 
„das, was wir Amerikanismus nennen, zu einem sehr grofien Teil nichts 
anderes als geronnener Judengeist ist". Werner Sombart beweist dies sehr 
ausfuhrlich und sehr uberzeugend in seinem Kapitel iiber,, Die Begrundung 
der modernen Kolonialwirtschaft". Leider fehlt mir der Raum, um diese 
Begrundung hier resumierend wiederholen zu konnen, da sie nicht anders 
als etwas umstandlich sein kann. Ich mufi mich also darauf beschranken, 
den Leser auf die Sombartsche Untersuchung zu verweisen, und kann hier 
nur den Kernpunkt hervorheben. Dieser besteht darin, dafi die amerika* 
nische Kolonistenbevolkerung, durch die Amerikabesiedeltwurde, von An* 
fang an sehr stark mit judischen Elementen durchsetzt war, und zwar in 
einer so eigenartigen Weise, dafi diese Kolonisten durch die sie nach dem 
Westen begleitenden Juden von Anf ang an mit der (wohlgemerkt judischen!) 
Geld* und Kreditwirtschaft der Alten Welt in Fuhlung kamen und stets in 
Fuhlung blieben. „Das ganze Produktionsverhaltnis baute sich daher von 
vornherein auf einer modernen Basis auf. Das stadtische Wesen drang gleich 
in die entlegenen Dorfer siegreich vor." Und dieses stadtische Wesen war 
eben immer judisches Wesen. 

Aber es kommen noch eine ganze Reihe anderer Gesichtspunkte in 
Betracht, die den starken Anteil der Juden an der Entwicklung der Vers 
einigten Staaten belegen. Wie grofi der quantitative Anteil der Juden am 
Auf bau der spateren Vereinigten Staaten war, verrat schon eine einzige An« 
deutung. Von den durch die Inquisition aus Brasilien vertriebenen Juden 
kamen in der Mitte des 17. Jahrhunderts mehrere Schiffsladungen von Ju« 
den, man rechnet 2—300 Kopfe, nach Neu«Amsterdam (das heutige New 
York), um sich dort unter englischem Schutz anzusiedeln. Die gesamte 
Einwohnerschaft von Neu*Amsterdam betrug damals noch nicht 1000 
Kopfe! Die Vereinigten Staaten sind aber nicht nur im Anfang, sondern 
dauernd ein besonders beliebtes Auswanderungsziel der Juden gewesen ; 
im 19. Jahrhundert vor allem der deutschen und der polnischen Juden. In 
gewissen Landesteilen gab es zuzeiten kaum eine einzige judische Familie, 
die nicht einen Sohn in Amerika hatte, und immer war es naturlich der 
potenteste der Familie, welcher dahin ausgewandert war. Besonders em* 
schneidend und schwerwiegend war der weitausgedehnte Handelsverkehr 

58 




76. Eilreise zum Schabbes. Satirische Rjdierung. Um 1800. 



der Juden fur Amerika durch die damalige Abhangigkeit Amerikas vom 
europaischen Mutterlande. In seiner ursprunglichen Form als englische 
Kolonie durfte Nordamerika seine Bedarfsartikel nur im Mutterlande 
kaufen; das war ein Zwang, den ihm England auferlegt hatte. Die unaus* 
bleibliche .Folge dieses Zwanges ware gewesen, dafi diese englischen Ko« 
lonien eines Tages ausgepumpt gewesen waren; zum mindesten hatten 
sie niemals zu einer grofieren Blute gelangen konnen. Denn ihre Handels* 
und damit ihre Zahlungsbilanz ware durch diesen Kaufzwang in England 
immer passiv geblieben — sofern nicht die Juden gewesen waren. Durch 
den sogenannten .Judenkommerz", den die aus Brasilien nach Nordame« 
rika eingewanderten Juden dank ihren Beziehungen mit Brasilien und Wests 
indien unterhielten, flofi von dort, den Edelmetallandern, standig bares Geld 
in den nordamerikanischen Handel. Denn dieser Handelsverkehr mit Bra* 
silien und Westindien war naturgemafi stets aktiv; und die Waren, welche 
einstromten, bestanden eben in der Hauptsache in dem Edelmetall, dessen 
man zur Bezahlung der aufgezwungenen Kaufe im Mutterlande bedurfte. 
Diese durch die ursprunglich portugiesischen Juden mit Brasilien .ange* 
sponnenen und gepflegten Handelsbeziehungen durfen in ihrer Bedeutung 

8* 

59 




tejungt 



fur die Existenz Nordamerikas nicht unters 
schatzt werden. Das gleiche gilt fur die Rolle 
der Juden im Unabhangigkeitskampf der nords 
amerikanischen Staaten. Dieser und die schliefis 
liche Unabhangigkeitserklarung von den friis 
heren Mutterlandern waren ohne die jiidischen 
Heereslief erungen und vor allem ohne die allein 
von den Juden aufgebrachten Anleihen nie« 
mals moglich gewesen. Eine weitere gewaltige 
Einflufisphare der Juden bestand in deren Be* 
herrschung der wichtigsten Handelszweige 
Nordamerikas. Diese waren von jeher der Ge« 
treidehandel, der Tabakhandel und der Baums 
wollhandel. Darauf baute sich friiher fast die 
gesamte nordamerikanische Volkswirtschaft auf. Und alle diese Handelss 
zweige waren lange Zeit von den Juden geradezu monopolisiert. 

Die Reihe der jiidischen Einflufispharen beim Auf bau Nordamerikas 
ist aber auch damit noch nicht geschlossen, dies sind nur die bezeichnend« 
sten aus friiherer Zeit, von den grofien Machts und Einfluftspharen der Ge« 
genwart will ich ganz absehen. Es rechtfertigte sich also vollkommen, dafi 
der Exgouverneur GroverCleveland im Jahre 1905, als man den 250.Jahres« 

tag der Einwanderung der Juden in die Vers 
einigten Staaten feierte, in einem Begruftungs* 
schreiben an das Festkomitee sagte: ..Wenige, 
wenn iiberhaupt eine, von den das amerikanische 
Volk bildenden Nationalitaten haben direktoder 
indirekt mehr Einflufi auf die Ausbildung des 
modernen Amerikanismus ausgeiibt als die 
jiidische." 

Ich mochte das, was ich weiter oben sagte: 
daft es in erster Linie die Juden gewesen sind, 
die der Alten Welt eine Neue Welt wirtschafts 
lich angegliedert haben, — dies mochte ich an 
dieser Stelle noch drastischer formulieren und 
sagen: Die Entdeckung Amerikas und seine 




60 




Angliederung an den Welthandel sind nichts 
mehr und nichts weniger als ein einziges groftes 
jiidisches Geschaft. — 

1st der Anteil der Juden beim volkswirt* 
schaftlichen Aufbau Amerikas nachweisbar als 
der absolut entscheidende anzusehen, so ist er 
bei den anderen kolonialwirtschaftlichen Ge« 
bieten der Welt zwarnicht immer ebenso hoch, 
aber wahrscheinlich bei keinem einzigen Kolo* 
nialgebiete gering anzuschlagen. In Ostindien 
waren schon seit dem Mittelalter sehr viel Jus 
den ansassig. Als danndie Austreibung aus der 
Pyrenaenhalbinsel am Ende des 15. Jahrhun* 
derts einsetzte, brachte jedes hollandische und 

portugiesische Schiff neue Scharen von Juden nach Ostindien. Bei alien 
Neugrundungen, die die Hollander in Ostindien vornehmen, sind die 
Juden stark beteiligt. An der Spitze der bekannten ostindischen Kompanie, 
also an der Spitze der hollandischsindischen Besitzungen standen mehrfach 
jiidische Direktoren. Der hollandische Gouverneur, der am meisten zur 
Befestigung der niederlandischen Macht auf 
Java beigetragen hat, war der Jude Coen 
(Cohn). 

Ober den Anteil der Juden an der Begriins 
dungder englischen Kolonien in Siidafrika und 
Australien weifiman ziemlich viel, und aus alle* 
dem, was man weifi, ergibt sich, daft auch hier 
die Juden ausschlaggebend gewirkt haben. Die 
wirtschaftliche Entwicklung der Kapkolonie 
kommt z. B. ausschliefilich auf das Konto der 
Juden: ..Julius, Adolf, James Mosenthal be« 
griinden den Wolb und Hautehandel und die 
Moharindustrie; Aaron und Daniel de Pafi mo« 
nopolisieren den Walfischfang; Joel Myers be« 
griindet die Straufienzucht, Lilienfeld von Ho« 
petown kauft die ersten Diamanten usw. usw." 




77—80. Jiidische Typen 



tilt die Kinder r^ricLs. Berlin IftCH 



61 



Von den ubrigen sudafrikanischen Staaten, namentlich von Transvaal, 
wird Ahnliches berichtet. In Australien trat, als die ersten Grofihandler, 
die bekannte Familie der Montefiori auf. Es gibt wohl uberhaupt keine 
einzige koloniale Grundung, bei der die Juden ihre Hande nicht im Spiel 
gehabt hatten und ihr Portemonnaie nicht stark engagiert gewesen ware. 
Was das alles in allem bedeutet, vermag man erst dann voll zu ermessen, 
wenn man sich immer und immer wieder vor Augen halt, was ich oben 
schon andeutete, dafi erst durch die koloniale Expansion der moderne Kapi= 
talismus uberhaupt zur Blute gelangt ist. Und zwar deshalb, weil eben die 
Heranschaffung von Edelmetallen und das standige Hereinstromen von 
Bargeld nach Europa die erste Voraussetzung fur diedauernde Entfaltungs* 
moglichkeit der modernen kapitalistischen Volkswirtschaft waren. Nicht 
mit Eisen, — mit Gold und Silber mufite der Weg der Entwicklung gepfla* 
stert sein, wenn der Kapitalismus auf ihm gehen und mit immer grofieren 
Riesenschritten vorwarts eilen sollte. 



Mit alledem ist aber die revolutionare und schopferische Rolle der Ju= 
den beim Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht erschopft. 

Die kapitalistische Expansion setzte eine grundliche Umformung der 
auf dem Handwerk und auf der primitiven Form des Warenaustausches 
basierenden Produktionss und Konsumptionsweise voraus. Ein ganz an* 
derer Geist und eine ganz andere Gesinnung, als sie im Zeitalter der 
Zunfte und Gilden herrschteh, mufiten beim Geschaftemachen einziehen. 
Und auch diese grundsturzende Umformung des Einzeb und des Gesamts 
geschaftsgeistes wurde durch die Juden herbeigefuhrt. 

Das ist ebenfalls ein sehr wichtiges aber auch ein sehr langes Kapitel, 
denn es umfafit nicht weniger als die gesamten Methoden des heutigen 
kapitalistischen Geschaftstriebes. Ich mufi mich hier naturlich mit dem 
blofien Hinweis auf die wichtigsten Gesichtspunkte und Geschaftsformen 
begnugen, die durch die Juden neu in die Volkswirtschaft eingefuhrt 
wurden. 

Die Juden schufen als erstes das Recht auf Konkurrenz. Das Recht auf 
Konkurrenz bedeutet, seine Waren jedermann anbieten zu konnen und sie 
obendrein billiger anzubieten, als dies der Kaufmann um die Ecke oder der 

62 




81. David Und Bathseba. Englische Karikatur. Um 1820 

in der anderen Stadt tut. Dieses Recht auf Konkurrenz war ein Begriff, den 
man friiher einfach nicht kannte. Nach den fruheren Anschauungen hatte 
sozusagen jedermann ein bestimmtes Recht aufs Leben, das ihm von keinem 
Nebenbuhler beschnitten werden sollte und durfte. Das bedeutete fur den 
Geschaftsmann das Recht auf einen gewissen Kundenkreis, in den kein an« 
derer eindringen durfte, und aufierdem das Recht auf einen bestimmten Preis 
fur seine Waren. Dieser Preis sollte ihm die Mdglichkeit bieten, ein Leben 
auf einer seinem Stande entsprechenden Hohe zu fuhren. Also gait eine 
Preisunterbietung durch einen Kollegen des gleichen Gewerbes als unzu* 
lassig; wer solches getan hatte, ware aus der betreffenden Zunft ausge* 
schlossen worden. Darum wagten solches auch nur die sogenannten ,,B6n« 
hasen"; so nannte man jene, die freiwillig oder gezwungen aufierhalb der 
zunftlerisch festgegliederten Ordnung standen. Gegen dieseim sogenannten 
,,ehrlichen Handel" ublichen Regeln liefen die Juden auf der ganzen Linie 
Sturm. Das heifit: sie waren immer und uberall die Bonhasen. Und zwar 
schon gezwungenermafien. Die Innungssatzungen zwangen die Zunft* 



63 



mitglieder, auf das Kreuz zu schworen. Das schlofi die Juden von vorn* 
herein ohne weiteres aus. alien Zunften und Gilden aus. Die Gesetze der 
Festgegliederten galteninfolgedessen nicht fur sie. Weil die Juden also nicht 
an die strengen Zunftregeln gebunden waren, die jeden Schritt des Zunfts 
genossen bestimmten, so konnten sie schon aus diesem Grunde auf alien 
Gebieten neue Methoden einfiihren, wenn ihnen dieselukrativer erschienen. 
Und das taten sie denn auch ohne jede sentimentale Rucksicht auf ihre 
christlichen und ihre judischen Nebenmenschen, denn diese Rolle entsprach 
aufierdem ihrer spezifischen Geistigkeit, ihrer im Blute liegenden Beweg* 
lichkeit und ihrem rein abstrakten Verhaltnis zu den Dingen, mit denen sie 
Geschafte machten. Da dieses Verhaltnis sich stets in Geld ausdruckte, so 
war ihre innere Beziehung zu den Dingen nicht grofier, ob es zu dem er= 
strebten Geldresultat nun auf demWege uber den Knochenhandel kam oder 
auf dem uber den Edelsteinhandel. (Das aber ist das Grundproblem des 
Kapitalismus : alle Dinge, die erhabensten wie die niedrigsten, sind in ihm 
auf ihren Geldcharakter reduziert.) Also stand das vorteilhafte Geldresul* 
tat obenan, und damit verschwand dann ganz von selbst die Rucksicht auf 
den Kreis jener, die zufallig mit denselben Waren nach ihrem Lebensunter* 
halt strebten. Das aber bedeutete in der Praxis die Ausubung des Rechtes 
auf Konkurrenz. 

In den zahlreichen Beschwerden, die in fruheren Jahrhunderten von 
den Handwerkers und Kaufmannsgilden gegen den .Judenkommerz" er« 
hoben wurden, wie man diesen mit den Mitteln der Konkurrenz arbeiten* 
den judischen Geschaftsbetrieb nannte, wird haufig erwahnt, dafi es nicht 
mit rechten Dingen zugehen konne, wenn die Juden diese oder jene Ware 
billiger lieferten als der reelle Handwerker und Kauf mann, den sie dadurch 
ruinierten oder zum mindesten „in seinem berechtigten Lebensunterhalt 
herabsetzten". Es ging jedoch beim Judenkommerz durchaus mit rechten 
Dingen zu. Die mannigfachen Behauptungen, denen man bis in unsere 
Gegenwart herein begegnet, das billigere Liefern der Juden sei immer auf 
irgendwelche betrugerische Manipulationen zuruckzufuhren, der Jude 
fuhre unter demselben Namen eine schlechtere Ware, er mogle mit dem 
Mafi und Gewicht usw., — diese Unterschiebungen sind nicht stichhaltig; 
sie losen das Problem nicht, wenn auch die erhobenen Vorwurfe gewifi 
hin und wieder berechtigt waren. Der Judenkommerz ist in seinem Wesen 

64 




Die Londoner Borse beim Eintreften schlechter Nachrichten 

Anonymer englischer Fjrbstkh. I'm 17S0 



Reilacc 2n Ed curd Fuchs, .Die Judcn in der Karikalur- 



Albert Langcn, Munchen 



nicht betriigerischer als der sogenannte ehrliche Handel. Aber die Juden 
f iihrten zwei ganz neue Prinzipien in den Handel ein. Das ist der Kern der 
Sache und des Ratsels Losung. Diese beiden neuen Elemente sind: die Ein* 
fuhrung der Surrogate (Ersatzstoffe) und die Einfiihrung des Geschaftss 
grundsatzes: Rascher Umsatz bei geringem Verdienst. Das waren zwei 
epochale Neuerungen von gewaltigster, die Technik wie den Umsatz um* 
walzender Bedeutung. Die Baumwolle ist z. B. ein Surrogat fiir die Wolle 
und auch fiir dieSeide. Dadurch wurden die betreffenden Produkte billiger 
und gewifi auch weniger edel, als sie es waren, solange sie nur mit reiner 
Wolle und mit reiner Seide hergestellt worden waren. Aber die betreffen* 
den Produkte wurden dadurch nicht immer schlechter, sondern mitunter 
sogar haltbarer, und die mit der rascheren Zunahme der Bevolkerung 
wachsenden Massenbediirfnisse, fiir die es anders keine Losung gegeben 
hatte, konnten gerade dadurch in einer Weise bef riedigt werden. Ahnliches 
gilt fiir den raschen Umsatz bei geringem Gewinn. Der Jude sagte: Besser 
ist es, das Geld im Jahr fiinfmal mit je sechs Prozent Gewinn umzuschlagen, 
als bloB zweimal mit je zehn Prozent. 
Auch dieses ist die Voraussetzung fiireine 
gesteigerte Produktionsweise, die bei 
Strafe des Stillstandes oder des Unter* 
ganges dem Wechsel der Konjunkturen 
folgen will und folgen muB. Und je mehr 
die Produktionsweise sich steigert, um so 
rascher wird der Wechsel der Konjunk* 
turen. Wer ihnen nicht zu folgen ver* 
mag, wird automatisch aus dem Produk* 
tionsprozeB ausgeschaltet. Das sind heute 
Selbstverstandlichkeiten fiir den christ* 
lichen wie fiir den jiidischen Kaufman n; 
ehedem waren es verponte jiidische Bon* 
hasenmanieren. 

Die Juden sind weiter die Vater der 
Geschaftsanzeige und der Reklame in 
ihrenverschiedenen Formen. Denn diese 




wurden aus dem von den Juden sich an* 

Fuihs. D'tt Jutten in der K*iikjtur 

65 



82. Das Judenschwein 

Sjitirkcht KjlenderiUuttrAtion- (-'m 1SCV 

9 




83. Der RoBtaUScher. Karikatur von H. Ramberg. 1805 



gemafiten Recht auf Konkurrenz ganz von selbst geboren. Wer andern den 
Rang ablaufen will, mehr Waren als der andere absetzen will und vor 
allem rascher, der mufi naturlich in irgendwelcher Form an die Kunden 
herantreten: personlich, durch Vertreter, Agenten, Mittelsmanner, Ge« 
schaftsreisende, schriftlich durch gedruckte Anzeigen usw. Er muB auf 
diese Weise die Kunden darauf aufmerksam machen, was man alles bei 
ihm haben kann, und dafi man es besser und billiger bei ihm haben kann 
als wo anders; er mufi mit einem Wort das Publikum anreifien. Das war 
gemafi den obendargelegten Grunden ein in der zunftig geordneten Produk* 
tionsweise selbstverstandlich ganzlich unbekanntes und auch verpontes Ver« 
fahren; der Kaufmann alten Schlages wartete ruhig auf seine Kunden, bis 
sie zu ihm kamen, und er bot ibnen nur das an, was sie verlangten. Es 
handelt sich in der Tat in alien diesen neuen Anreifiermethoden beim Ge* 
schaftemachen um ursprunglich und ausnahmslos judische Manieren. Das 
System der Geschaftsreisenden wurde zuerst von den Juden aufgebracht, 
und die ersten Geschaftsanzeigen, denen man im 18. Jahrhundert in den 
Zeitungen begegnet, stammen fast immer von Juden. 

66 




84. Trodeljuden im Husarenlager. Karikatur von H. Ramberg. 1805 

Zur Reklame gehoren auch das Schaufenster und die Schaufensterdekos 
ration. Diese verlockende Zurschaustellung der Waren kannte man in den 
Friihzeiten des Handels ebentalls nicht; es sind auch dies nachweisbar 
judische Errungenschaften. Selbstverstandlich handelte es sich auch dabei 
nirgends um eine auf den Tag zu datierende Einrichtung, sondern immer 
nur um langsame Wachstumsprozesse zunehmender^Zeitbedurfnisse. 

Aus dem Recht auf Konkurrenz erwachsen alle Formen des Unter* 
bietens. Eine dieser Formen ist das Abzahlungsgeschaft. Dadurch, dafi 
man es dem Interessenten ermoglicht, grossere Anschaffungen mit Hilfe 
selbst der allerkleinsten Abzahlungen zu machen, lockt man den Kauf lustis 
gen von jenen Geschaftsleuten weg, die nicht die notigen Barmittel haben, 
um einem oder gar alien Kaufern lange Kredite einzuraumen. Das Auf« 
kommen der Abzahlungsgeschafte hat sehr viel kleine Geschafte geschadigt, 
aber diese Geschaftsmethode stellt doch einen unentbehrlichen Fortschritt 
dar. Sie war im Zeitalter der Massenproletarisierung ein kategorisches Be* 
durfnis. Die Idee der Abzahlungsgeschafte stammt ebenfalls von den Ju« 
den, und alle Abzahlungsgeschafte sind von jeher in den Handen von Juden. 



67 




Der Vater zum Sohn: „Lofi Dich treten 
von de Leit, lofi Dich werfcn aus de 
Stuben, lofi Dich verklagen bei de Ge= 
richte. lofi Dich setzen ins Hundeloch, 
lofi Dich peitschen, loB Dich martern 
halb taudt! aber Du mufit doch werden 
reich!" 

85. Aus ..Unser Verkehr". Salirische Posse 



Schliefilich sind es auch die Juden ge« 
wesen, die den spezifischsten Typ des mo* 
dernen Detailhandels geschaffen haben: 
Das Gemischtwarengeschaft grofien Stils, 
das moderne Kaufhaus und das Waren* 
haus. Diese klassischen Typen des heutis 
gen Detailhandels lassen ganz unzweis 
deutig ihren judischen Ursprung erkennen. 
Es ist das Gewolbe des auf Pfander leihens 
den Juden. Weil der Geldbedurftige beim 
Juden alles verpfandete, Kleider, Waff en, 
Schmucksachen, Haushaltungsgegenstans 
de, fertige und unfertige Waren, Werk* 
zeuge, Nahrungsmittel usw., und weil 
dauernd zahllose Pfander niemals vom 
Entleiher wieder eingelost wurden, so vers 
fielen sie eben dem Juden. Weil der Jude fur alles Verwendung hatte oder 
Verwendung finden konnte, wanderte auch alle Diebesbeute und alle Beute 
der Soldaten zumeist in die Gewolbe der Juden. Und sie trieben mitalledem 
Handel. Das ist die Urform des Warenhauses. Es istgewifi ein weiter Weg 
bis herauf zu den modernen Kaufs und Warenhausern der Wertheim, Tietz, 
Jandorf usw., die alle wahre Wunderwerke kaufmannischen Organisations* 
genies sind, aber es ist ein ganz gerader Weg . . . 

Das ist ein Teil der wichtigsten neuen Formen des kapitalistischen 
Handelsbetriebes, die von den Juden erfunden worden sind. Man kann 
gewifi sagen: alle diese neuen Formen waren bei einem bestimmten Grad 
der allgemeinen Entwicklung neue Bedurfnisse geworden, denen unbedingt 
Rechnung getragen werden mufite. Aber dann waren es eben die Juden, 
von denen diese neuen Bedurfnisse am fruhesten erkannt wurden. Und 
damit kommt man wieder zum gleichen Ergebnis. 

Dafi die Juden im Kleinsten wie im Grofiten das Bedurfnis einer Zeit 
haufig am fruhesten klar erkannt haben, das eben macht ihre bestimmende 
Rolle beim Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise aus. Und darum 
will ich alle diese Darlegungen mit dem Hinweis auf die allerwichtigste, 
von den Juden am fruhesten erkannte und auch erfullte Zeitnotwendigkeit 



68 



schliefien: Die Juden waren es, die in der klaren Erkenntnis der Notwens 
digkeit eines gesteigerten Verkehrs die ersten und die meisten europaischen 
Bahnen gebaut haben. Die Rothschilds waren die ersten Eisenbahnkonige 
der Welt; die amerikanischen Eisenbahnkonige, die ubrigens in der Mehrs 
zahl auch Juden waren, kamen erst nach ihnen. Die Rothschilds haben in 
den 40er und 50er Jahren die franzosische Nordbahn erbaut, die oster* 
reichische Nordbahn, die italienischsosterreichischen Bahnen und verschie* 
dene andere. Diese Grundertatigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahnbaues 
ist neben der Grundung der Entdeckung Amerikas ohne Zweifel die epos 
chalste wirtschaftspolitische Tat der Weltgeschichte. Und beides sind rein 
judische Grundungen. — 




86. „Man Spricht VOn Geschaften". Dcutscher sotirischer Kupferstich von F. Erhard. 1S15 



69 



IV 



Der Anteil der Juden an der europaischen Kultur 



Ich komme jetzt zur Zusammenfassung alles dessen, was ich bis jetzt 
dargelegt habe, und damit zur prazisen Antwort auf die Frage nach dem 
Anteil der Juden an der europaischen Kultur, von der ich oben (S. 8) sagte, 
dafi man von ihr ausgehen musse. 

Mit den vorstehenden Ausfuhrungen ist in grofien Zugen die von mir 
aufgestellte Behauptung iiber den ungeheuren Anteil der Juden an dem 
Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise wohl ausreichend belegt. 
Dieser Anteil ist, wie man sieht, vom ersten Tage an ununterbrochen inspis 
rativ gewesen und dauernd neu organisierend. Der. Anteil der Juden an 
der kapitalistischen Wirtschaftsweise konnte nicht grofier gewesen sein, und 

ich wage wiederholt zu sagen, 
womit ich diesen Abschnitt 
einleitete: ohne Juden gabe es 
keinen Kapitalismus. 

Selbstverstandlich ist durch 
diese Beweisfuhrung auch zu* 
gleich die Frage iiber den An* 
teil der Juden an unserer euro* 
paischen Kultur nicht blofi in 
einer allgemeineri Form, sons 
dern ganz prazis beantwortet. 
Weil die Juden in ausschlags 
gebender Weise die Mitur* 
heber und Mitverantworts 
lichen fur unsere gesamte ka« 
pitalistische Wirtschaftsweise 
sind, darum sind sie dies in 
gleichem Umfange auch ge« 
genuber dergesamten europas 
ischen Kultur. Auch hier sind 

87. Satiiischer Kupfcrstich zu : .,Uns« Verk.hr". Satimche Posse SIC nlCnt nUI tUf UlCSen OUCr 




l:,VV«\Vr.<r. f.,,/,/ ,„„,„ ?:,Jl,r ,„„„ //.,„,* ..(;,/,,/.,/- imiil MMr.'l/ii Jfin/i' • 
U.„,„. .! l»/,„,r.&r .lh,„i, .; .,..J,.Js„ ■,IU.,' m lfc-.fc.,.'ilmm-Aw/.* ■>"' 
U.„ /.,„, /l,m rim,/,, //„„./. ,/„„ r „,/,„/„, ,(„„„„.£;,„ riiymlii/fiiiwr mi. 
,„/,„„ .)lii*i~r,.,J„it, r.raffUi ttam ,r i,iH ,l,i /iirnldi, Jlirtl ii si?/«i ■*<"' 



70 




SS. Absalons Tod. Sitirischcr Numbtig« BiWcrboKen. 1825 

jenen Teil mitverantwortlich, sondern fur das Ganze. Sie haben die euro* 
paische Kultur in jedem Sinne und in alien ihren Ausstrahlungen beein* 
fluBt. Man kann gerade hier am allerwenigsten scheiden und etwa sagen: 
dieser (schlechte) Teil kommt auf das Konto der Juden, und jener (gute) 
Teil kommt auf das Konto der Christen. Natiirlich kann man auch nicht 
das Umgekehrte sagen. Die europaische Kultur ist ein unteilbares Ganzes, 
aus dem sich nicht willkurlich irgendein Stuck loslosen laBt. Sie ist in 
ihrer Gesamtheit kapitalistisch, weil sie in ihrer Basis kapitalistisch ist. 
Jede einzelne, die geringste wie die groGte ihrer Erscheinungen, ist aus dem 
Wesen des kapitalistischen Interesses geboren und von ihm geformt. Darum 
also sind die Juden, gemeinsam mit den Christen, auch fur alles verantwort* 
lich, fur das Bose und fur das Gute der kapitalistischen Kultur, sofern 
man diese Charakterisierung anwenden will. Das muB man als Antwort 
geben, wann und wo der iibliche Vorwurt der verhetzten Gedankenlosig* 
keit erhoben wird, die Juden seien nur Schadlinge an unserer Kultur. 
Man kann nur dann ein Verdammungsurteil iiber die Juden im allge* 



71 



meinen fallen, wenn man den Mut aufbrachte, zugleich die gesamte kapitas 
listische Wirtschaftsweise zu verwerfen, d. h. wenn man erklaren wurde: 
die europaische Menschheit ware glucklicher geworden, wenn die Juden 
uns Nordlandern niemals begegnet waren, und wenn die europaische Kuls 
tur dadurch vom Kapitalismus uberhaupt verschontgeblieben ware. So kann 
man gewifi folgern (ob mit Recht, istnaturlich eine andere Frage), und man 
kann auch durch tausend tragische Beispiele nachweisen — angefangen von 
der Syphilis als dem allerersten Geschenk der Neuen Welt an Europa bis 
herauf zum Weltkrieg — , dafi alles dies dann nicht iiber uns gekommen 
ware, und dafi die Herrlichkeiten der burgerlichen Kultur damit jedenfalls 
sehr teuer bezahlt seien, dafi sich dieses'Assoziationsgeschaft zwischen Jude 
und Christ fur die Menschheit letzten Endes doch nicht gelohnt habe. 
Einen solchen Standpunkt kann man einnehmen. Aber eine solche Ge« 
schichtsphilosophie ist hochst unfruchtbar, denn damit wird die Geschichte 
nicht erklart, sondern nur bedauert. Da aber ersteres meine Aufgabe ist, 
weil man nicht mit der Geschichte rechten kann, darum mufi man ihren 
hinter uns liegenden Verlauf als eine nicht abzuwendend gewesene Zwangss 
laufigkeit hinnehmen. Hatt' der Bub das Madel nicht gekufit . . . hatt' der 
Herrgott das Madel nicht erschaffen . . . usw., dann ware die Wiege freis 
lich leer geblieben. „Sie haben" aber nun einmal, der liebe Herrgott und 
der Bub. 

Aus derselben Logik heraus mussen wir uns damit abfinden, dafi die 
europaische Geschichte seit 6—800 Jahren nicht nur hin und wieder mit 
dem judischen Kalb gepflugt hat, sondern dafi sie in der ganzen Zeit nie« 
mals ohne dieses gepflugt hat. Und solches hatte seine selbstverstandlichen 
Konsequenzen. Diese lauten: die Juden haben unter alien Volkern der Erde 
die umwalzendste Rolle gespielt. IhreRolle ist gleich der des Geldes, dessen 
umfangreichsteBeherrscher sievonjehersind. Siehabendamitdemmodernen 
Antlitz der Welt, dem Gesicht, das diese seit dem Ausgang des Mittelalters 
tragt, einen Teil seiner wesentlichsten Ziige verliehen; sie sind durch ihren 
Zusammenprall mit dem Abendland zu Menschheitsbildnern gewaltigsten 
Stiles geworden. 

Selbstverstandlich ist mit dieser Einsicht in die weltgeschichtliche Rolle 
des Judentums noch lange nicht jeder judische Schnorrer und jeder Schacher* 
jude zur welthistorischen Erscheinung gestempelt. Ebensowenig ist damit 

72 




Salomon in seiner Glorie 

Englische Karikitur von buc Cruikshjnc. 1790 



Hcvlip »n Fdoird Fnrhj. .Die Jnd<n ia dtr Kariikatnr- 



AllHTt Ijngen, Manckdl 




$fi>. GaUnt>sahmthc D«st*JJiine Jut oner ithniiptt^t.^ksdoso 



abgeleugnet, daft es zu alien Zeis 

ten viele Tausende von Juden 

gab, die alles andere, nur keine 

reinen Engel des Lichtes waren. 

Aber die Geschichte beweist 

auch, daft sie dies gar nicht sein 

konnten, weil der ewige Pan'a 

der Gesellschaft auch alle Laster 

des Par iamit sich herumschleppt. 

Wenn die Juden also, genau 

wie die Christen, hochstens 

in einzelnen Exemplaren welts 

historische Erscheinungen was 

ren, in ihrer Masse dagegen eher alles andere, so erfullten sie in ihrer 

Masse trotz alledem und nichtsdestoweniger ein weit auswirkendes welts 

historisches Gesetz. 

Angesichts dieser Tatsache, die nun einmal nicht bezweifelt werden 
kann, ist es schlieftlich ganz miiftig, dieFragenach der schopf erischen Potenz 
der Juden aufzuwerfen, der man immer wieder in der Form des Einwandes 
begegnet, die Juden seien nur kritizistisch, nur negierend veranlagt und 
womit die sich objektiv Nennenden ebenfalls die angebliche Minderwertigs 
keit der Juden gegeniiber den Christen beweisen wollen. Dieser Einwand 
beruht auf dem groben Irrtum, als gabe es nur eine einzige Form, namlich 
unsere abendlandische, in der sich schopf erische Potenz zu ntanifestieren 
vermoge. Hier handelt es sich urn kein Problem, das blofi auf Ja und Nein 
gestellt ist, sondern um das Problem der verschiedenen Erscheinungsformen 
der Potenz. Die Juden sind ebenfalls schopferisch, aber es ist zweifellos, 
daft sie dies in einer ganz anderen Weise sind als wir Nordlander. Sie sind 
schopferisch aus dem Intellekt und nicht so sehr aus der Anschauung. An 
der Kunst ist dies am deutlichsten zu demonstrieren. Ein Wilhelm Leibl 
ware aus der jiidischen Psyche nicht zu erklaren, andererseits ist es unbe* 
streitbar, daft ein Liebermann mehr mit dem Verstand als mit den Augen 
malt. Das Verstandesmaftige ist aber auch in der Kunst nicht ohne weiteres 
ein Qualitatss, sondern in erster Linie ein Wesensmerkmal. Wenn etwas die 
schopf erische Potenz der Juden erweist, so ist es eben gerade ihr Anteil am 



Fuch*, DicJuicn in der Karik*tur 



10 



73 




ja, Rebeck'che, mag michs auch ankommen. wie es will, es muB hcraus — Rebeck'che, verseigen se 
Rebeck'chc — ich liebe se! — Gott - es ist heraus, wie werd mer — de Welt werd finster — ich 
bin taudt! — Seyn se mer bais wcgcn de Freiheit? — Schamen se sich nicht, heitern se mer auf. 
entdecken se mer ihr Herzche — sagen se nicht mehr: Gaihn se furl mcschanter Schmul! — Ach 
Gotl — wie schain waren se doch da in der Hilz! — 

90. Schmul deklamiert Rebeka seine Hcrzcnsidcc vor 

S-jtimcher NurobcrKer Kupfcrstich. I'm 1825 

Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Diese Gesamtleistung des Jus 
dentums ist ein viel zwingenderer, weil geradezu gigantischer Beweis fiir 
die judische Schopferkraft, als der Nachweis, daft der oder jener Jude, ein 
Baruch Spinoza, ein Heinrich Heine, ein Karl Marx, ein Max Liebermann, 
ein Albert Einstein usw., neue und grofie Werte in den kulturellen Besitz? 
stand der Menschheit eingefugt hat. Und auch dieser Nachweis ware fiir* 
wahr nicht allzu schwer zu fiihren. Solches aber bedeutet schopferisch 
sein. Und wenn es Einer ist, so ist es auch die ganze Rasse. 



74 



Warum sind die Juden von aller Welt gehafit? 



Ich habe mich bei meinen seitherigen Ausfuhrungen mit Absicht auf 
die rein wirtschaftliche Rolle der Juden im Werdeprozefi unserer modernen 
Wirtschaftsweise beschrankt. Um diese Rolle moglichst klar zur Erscheinung 
zu bringen, habe ich von alien anderen sich aufdrangenden SchluBfol* 
gerungen abgesehen und solche nur erwahnt, wenn das wirtschaftliche Pros 
blemdadurch erklartwurde. Ich wollte mirdiese anderen Schlufifolgerungen. 
diese zweite Seite der Sache, fur diesen besonderen Abschnitt aufsparen, 
um sie hier zusammenfassend zu behandeln. 

Die ganz besondere Stellung der Juden innerhalb der Gesellschaft ist 
die andere Seite des Problems. Oder mit klaren Worten: Der Jude trug 
durch die Geschichte nicht nur 
den grofieren Geldsack, sons 
dern er trug auf seinem Riicken 
aufterdem, wie allbekannt, fast 
die ganze Zeit eine Welt von 
Hafi. Er trug eine Welt von 
Haft mit sich herum, wie sie 
aufter ihm niemals einem an; 
deren Volk der Welt zuteil 
wurde. Diesem Hafi begegne* 
ten die Juden seit ihrem Auftre* 
ten in Europa, und er ist bis 
auf den heutigen Tag niemals 
und nirgends ganz erloschen. 
Seine Formen waren immerahn« 
liche oder die gleichen: gesell* 
schaftliche Achtung, Verspot* 
tung, Verfolgung, Vertreibung, 
systematische Auspliinderung, 
Einzelmord, gesteigert bis zur 
Abschlachtung ganzer jiidischer 




91. 



Cbung der Geduld im lieben jiidischen Ehestande 

Nurntwrtfcr Kjhk^tvr. Um 1825 

10* 



75 



Bevolkerungen. Die grauenhaftesten Formen des Judenhasses gehoren 
leider nicht nur derVergangenheit an, sondern im Gegenteil der Gegenwart. 
An die Qualen, denen die Ostjuden wahrend des Weltkrieges uberants 
wortet waren, an die Scheusaligkeiten der konterrevolutionaren russischen 
Horden unter Koltschak und Wrangel, an die Bestialitaten der ungarischen 
Horthyoffiziere, — an diese modernsten Judenverfolgungen reicht nichts 
von dem heran, was die Vergangenheit an Judenverfolgungen aufzuweisen 
hat. So schrecklich die Judenvertreibungen, die Judenverbrennungen des 
Mittelalters mitunter auch waren, sie verblassen gegenuber den Massenfols 
terungen und Massenschlachtungen unter den Juden wahrend der letzten 
Jahre. Und die hierfur Verantwortlichen sitzen in alien Landern. Nur 
Sowjetrufiland ist von dieser Schmach frei. 

Diesen durch die Jahrhunderte wahrenden Judenhafi, der selbstvers 
standlich der uppige Nahrboden fur die Mehrzahl aller jemals erschienenen 
Judenkarikaturen ist, in seinen Wurzeln und in seinen Zusammenhangen 
zu erklaren, ist die Aufgabe, die mir fur dieses Kapitel gestellt ist. Das 
heifit, es ist gleichzeitig auch die freilich nur scheinbar seltsame Tatsache 
zu erklaren, dafi man in den Juden z. B. niemals die Befreier sah, niemals 
die zu bewundernden Bahnbrecher usw. , sondern fast ausnahmslos die 
Schmarotzer und Schadlinge der europaischen Gesellschaft. 

Dafi, wie ich oben hervorhob, zu gewissen Zeiten eine Reihe Stadtver* 
waltungen die wuchernden (d. h. geldleihenden) Juden in ihre Mauern 
baten, und dafi zu fast alien Zeiten immer einige Juden grofies Ansehen 
genossen und iiber Macht und Einflufi verfugten, widerspricht der Permas 
nenz dieses Welthasses keineswegs; denn die Masse der Juden war zur 
gleichen Zeit doch zumeist verfehmt. 

Man kann wohl dreist sagen, und zwar ohne sich dem Vorwurf der 
Ubertreibung auszusetzen, dafi, wenn in fruheren Zeiten eine Stadt, ein 
Land oder die Menschheit im ganzen von irgendeinem Ungluck heimges 
sucht wurde, alsbald der Ruf erscholl: „Der Jud ist schuld!" „Die Juden 
haben es angestiftet!" Wenn eine Feuersbrunst ausbrach, nannte man in 
den meisten Fallen irgendein harmloses Judchen als den Brandstifter. Bei 
einem Mord wurde zuerst gefragt, ob nicht ein Jude des Wegs gegangen 
sei; war gar ein Knabenmord vorgekommen, so war der gemordete Knabe 
sicher von den Juden zu Ritualzwecken geschlachtetworden. Bei Mifiernten 

76 






=^4MS 







GeMoiues u.emies tun- Rarritii-r. 'if^SS***^ ^ ^' 

^*5^-T— ^"t^o -i3~^p-4.. r%>. ■ c^, 



.At en *t/a 6*+r ' 






JicAt «.-. *sA~*„ rr . •«*..' i G«JJt«A AfG..- */,,„,.,., .«-/ 

92. Nurnbergcr Karikatur. Um 1S30 

und Teuerung hatten unbedingt die Juden das Unheil verschuldet. Und 
als im 13., 14. und 15. Jahrhundert die europaische Menschheit von der 
Pest heimgesucht wurde, hiefi es jedesmal, das grofie Sterben komme 
daher, weil die Juden die Brunnen vergiftet hatten. In der unsinnigen Angst, 
die die Pest stets ausloste, wo sie auftrat, tobte dann die Wut gegen die 



77 



Judendurch zahlreiche Stadte des Abendlandes, undHundertevonunschub 
digen Juden mufitendiesen Wahnsinn nichtnur mit dem Verlust ihres Hab 
undGutesbezahlen, sondern obendrein mit dem Leben. Unsere Gegenwart 
kennt dieselben geistigen Epidemien. Als Deutschland im Herbst 1918 end* 
lich vor dem von Anfang an unvermeidlichen Zusammenbruch stand, da 
wurden wiederum diejudenalsdie Hauptschuldigen ausgeschrieen.siehatten 
angeblich den Dolchstofi in den Riicken des Heeres geleitet. Und heute 
noch, nachdem die welts und wirtschaftspolitischen Ursachen der deutschen 
Niederlage selbst dem beschranktesten Him klar sein miifiten, kann man 
noch taglich aus dem Munde U nzahligerhoren, dafi ohne die Juden Deutsche 
land als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgegangen ware. 

Die Abwalzung eines Ungliickes auf eine bestimmte Person oder eine 
bestimmte Bevolkerungsschicht ist an sich ganz natiirlich. Diese Methode 
entspricht durchaus der christlichen Lehre von der individuellen Schuld, 
der Lehre von der Siinde; nach der christlichen Lehre steht hinter alien 

Dingen ein personlich Verant* 



ZArJ/u/smatertf&AjMe. 




^. >"-^ ■.'... j-.^T~' ~ 






*#*■-*•: 



^ii_^_" ~...U: :.^ 















93. Der Jude in der Fuchsfalte 



wortlicher. Daher das Suchen 
der Menschen nach dem jewei* 
ligen Siindenbock, dessen sie be* 
diirfen, um ihn in die Wiiste zu 
schicken. Es ist selbst fiir die 
Gebildeten eine sehr spate Er* 
rungenschaft, die Ereignisse und 
Zustande als unvermeidliche 
Folgen von Allgemeinzustanden 
der Gesellschaft und der Ge* 
samtentwicklung zu erkennen. 
Die grofte Masse hat sich zu 
dieser Erkenntnis bis heute noch 
nichtdurchgerungen. Wenndes* 
halb die Menschen ein Ungluck 
iiberkommt, muB immer ein be* 
sonders schlechter Kerl die Hand 
im Spiele gehabt haben; von 
dessen personlicher Bosheit muft 



78 




94. Vi'ie ein Krihwinkler Handclsjude kopflos handclt 

das betreffende Unheil ausgeheckt worden sein. Und als dieser spezifisch 
schlechte Kerl, aus dessen schwarzer Seele immer und immer wieder neues 
unverdientes Leid iiber die in ihrem Gemiit ach so braven und ach so ehr* 
baren Christenmenschen sich ergiefit, gilt, wie gesagt, zu alien Zeiten vor 
allem der Jude. 

Das ist die landesiibliche Meinung. Nun ist aber die Frage auf zuwerf en 
und zu beantworten: warum ist es gerade immer der Jude gewesen, dem 
jahrhundertelang und allerorten die meiste Schuld fur das jeweils iiber die 
Menschen gekommene Unheil in die Schuhe geschoben worden ist? Die 
Antwort auf diese Frage kann in einigen wenigen Satzen gegeben werden. 
Diese lauten: Die Massen erlebten die Entwicklung des Kapitalismus, die 
in der Form einer nie rastenden Umwalzung der Geldwirtschaft vor sich 
ging, niemals als Erlosung und Befreiung, sondern sie setzte sich fiir sie 
unter standigen Noten und Qualen durch, als da sind: immer wiederkehrende 
Krisen, Teuerung, Hungersnote. wirtschaftlicher Bankrott der Kleinen und 
Kleinsten. Weil man nun infolge des engen geistigen Horizontes das wir« 
kende Gesetz nicht erkannte, so sah man den Feind, gemaft den vorhin ge* 



79 



fnachten Ausfuhrungen, im menschlichen Instrument der Geldwirtschaft. 
Dieses aber war, wie ich in den vorhergegangenen Abschnittengezeigthabe, 
durch alle Jahrhunderte hindurch in stets hervorragender Weise der Jude. 
Der Jude ist das Instrument der Geschichte. Also empfing man auch an* 
scheinend am haufigsten aus seiner Hand die furchterlichen Nackenschlage, 
unter denen Tausende jahraus, jahrein seufzten, und unter denen Hunderte 
zusammenbrachen. Deshalb ist der Jude immer gehafit. Alle Laster 
der Geldwirtschaft wurden auf sein personliches Konto gebucht. 

In diesem Zusammenhang mufi mit aller Deutlichkeit darauf hinges 
wiesen werden, dafi es absolut nicht der Rassenunterschied zwischen 
Orientale und Europaer ist, der den Hafi gegen die Juden in seinem Kern 
begrundet, sondern dafi es einzig der Jude als Kapitalist ist, der den Hafi 
auslost. Jede geschichtliche Nachprufung dieser Materie (desRassenhasses) 
erweist, dafi die andere Rasse immer nur dann und erst dann gehafit wird, 
wenn sie als gefahrlicher wirtschaftlicher Konkurrent auftritt. Der ameris 
kanische Arbeiter hafit z. B. den Japaner, weil dieser als Lohndrucker auft 
tritt und die Errungenschaften seiner jahrzehntelangen Gewerkschaftskampfe 
gefahrdet. Dafi es so ist und nicht anders, ergibt sich aus der einfachen und 
leicht festzustellenden Tatsache, dafi der Rassenhafi.sofort verstummt, so wie 
die wirtschaftlichen Gegensatze verschwinden. Weiter daraus, dafi man, 
solange es in einem Land oder einer Zeit uberhaupt zu keinem-solchen 
wirtschaftlichen Gegensatz kommt, auch niemals den sogenannten Rassens 
kampfen begegnet. Wo aber andererseits starke wirtschaftliche Gegen* 
satze entstehen und die Trager der verschiedenen Interessen sich nach vers 
schiedenen Rassen scheiden, da wandelt sich der Klassenhafi stets zuerst in 
Rassenhafi, — es ist dies die niederste Stufe der Klassenkampfe; der alte 
Wilhelm Liebknecht hat ein sehr treffendes Wort gepragt, als er sagte: „Der 
Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle" — und der Hafi 
der in ihrer Existenz sich bedroht fuhlenden Klasse knupft an die soge« 
nannten Rassenunterschiede an, er wandelt den wirtschaftlichen Gegensatz 
zu einem moralischen und stempelt den Gegner als moralisch geringerwertig. 
Alles das, was den anderen von ihm unterscheidet, gilt als das spezifisch 
minderwertige. Da diese Methode in Europa seit Jahrhunderten gegen* 
uber den Juden geubt wird, so ruhrt daher die Uberheblichkeit aller Ganz« 
und Halbspiefiburger uber die Juden. 

80 




- 

a 

U * 

£ s 

C 5 

•a - 

C 2 

i * 






2 

J! 

I 









Es ist der fleischgewordene Hafi gegeniiber dem starksten wirtschafts 
lichen Gegner, gegen den man sich in ohnmachtiger Wut verzehrte, weil 
man obendrein immer von neuem auf ihn angewiesen war: denn der Jude 
war der Besitzer des Geldes, dessen man als Darlehen in steigendem Matt 
bedurfte. Man muftte es zu den hochsten Zinsen nehmen, zu 10, zu 20, zu 
30 und noch mehr Prozent. Eine solche Verzinsung aufzubringen, war 
schlechterdings unmoglich , weil dies an der nicht so hohen Produktivitat 
der Arbeit scheiterte. Aber wenn man dies auch vorausahnte, so nahm der 
kleine Handwerker, der Bauer, der Kaufmann trotzdem das Judengeld, 
weil in den Zeiten der allgemeinen Geldknappheit die Umstande jeden 
einzelnen dazu zwangen. Und jeder hoffte eben fur den Verfallstag, an dem 
Kapital und Zins zuriickgezahlt werden sollten, auf irgendein Wunder: 
vielleicht regnet es einmal Dukaten, und ich bin gerade zur Stelle. Nun, 
es regnete eben nie Dukaten. Der Teufel, dem man sich verschrieben hatte, 
hielt immer nur in den Volkssagen sein Wort, im wirklichen Leben niemals. 
Er liefi weder einen verborgenen Schatz finden, noch holte er den wuches 
rischen Juden. An dem Verfallstage erschien nicht der Teufel mit einem 
Sack Gold, wohl aber prompt 
der judische Glaubiger mit seis 
nem Schein, auf dessen Einlo* 
sung er wie Shylock bestand. 
Nun konnte man aber sehr oft 
nicht bezahlen, das Pfand war 
in diesen Fallen verfallen, oder 
man konnte sich nur unter den 
schwersten Opfern weiterhelfen. 
Ist es da ein Wunder, daft man 
den Juden hafite? Der Judewar 
doch offenkundig der schlechte 
Kerl, der einem den Hals zuzog. 
Wer denn sonst? Diese Wahr* 
heit war doch handgreiflich. 
Gewifi waren die christlichen 
Wucherer nicht selten viel hart* 

DerAltczumSohn: Ehrlich wahrt's am lingsttn 

herziger als die judischen. Diese «, DtutS(ht Kjrikitut Vmim 

Fuchs. Die juden in der Kitiikattit f \ 

81 





Da liegt dcr Jude! Lacht ihn aus! 

Do ist nicks zum lachen! Hab kh kbnncn in der Luft hangcn bleiben? 



96. frankfurter Kjrilutur. Urn 1820 



Anklage kehrt haufig bei den alten Schriftstellern wieder. Aber die Zahl 
der judischen Wucherer war ungleich grofier, so dafi sich der Begriff 
Wucherer und Jude in der Vorstellung der Masse deckte. Man sagte: Nicht 
jeder Wucherer ist ein Jude, aber jeder Jude ist ein Wucherer. Dazu kam 
iiberdies noch ein anderer Umstand. Der Christ verbarg sein wucherisches 
Gewerbe stets hinter der Maske der Scheinheiligkeit, der Jude dagegen 
trieb es ganz often vor aller Welt, und er machte gar kein Hehl daraus, 
daft das Geldinteresse bei ihm das oberste Interesse ist. Geiler von Kaisers* 
berg sagt in einer Predigt iiber diesen Unterschied zwischen den judischen 
und christlichen Wucherem derb und deutlich: „Dann ein Jud setzt sein 
Seel oftentlich darauft, und schembt sich solches nicht, aber diese Wucher* 
hels richten solches alles auss unter dem Schein des Christlichen nammens." 
Weil man also das geliehene Geld wieder zuriickzahlen mufite, und weil 
dieses in den allermeisten Fallen besonders schwer fiel, so erschien der Gelds 
leiher seinen Geldnehmern stets viel mehr als der Bedranger denn als der 

82 



Heifer. Er war aller Welt Feind und gait als Niemandes Freund. AIs 
Heifer lebte er immer nur einige wenige Tage im Gedachtnis der Leute, 
die von ihm Geld geborgt hatten, als Bedranger dagegen oft jahrelang, 
nicht selten sogar ein ganzes Leben. In dieselbe Situation des naturgemaf? 
von alien Seiten Gehafiten kam der Jude in seiner Tatigkeit als Handler. 
Er war, weil alle Art Waren bei ihm verpf andet wurden, und weil er mit 
allem Geschafte machte, nicht nur der Konkurrent eines Einzigen, sondern 
der aller Handwerker und Kauf leute des Ortes, an dem er sein Handwerk 
trieb. Und weil er andere Geschaftsprinzipien als die ehrbaren christlichen 
Kaufleute hatte, Prinzipien, die ihm grofieren Absatz garantierten, so war 
er zugleich fiir alle ein sehr gefahrlicher Konkurrent. Jeder Handwerker 
und Kaufmann fuhlte sich in 
seinem Gewerbeund darum mit; 
unter in seiner ganzen Existenz 
durch den Juden geschadigt und 
bedroht. 

Und dieser Zustand dauerte 
viele Jahrhunderte ununterbro= 
chen. Man darf weiter nicht 
unterschatzen, was es bedeutet, 
daf? alle modernen Selbstver* 
standlichkeiten des kapitalisti* 
schen Geschaftsbetriebes der 
friiheren Wirtschaftsgesinnung 
ohne Ausnahme widersprachen. 
Was heute fiir jeden Geschafts* 
mann, ob Christ oder Jude, 
das selbstverstandliche Gesetz 
seines Handelns ist, was heute 
als durchaus geschaftsmannisch 
korrekt angesehen wird, das 
wurde ursprunglich, im 15.— 18. 
Jahrhundert, vom ziinftigen 
Handwerker und Kaufmann als 
feindseliger Akt empfunden. 




97 



Nicht weiB gesotten, nicht plettiert. 
Und doch welch ma^niBquer Schein? 
Ach, mein Gemuth ist gaDz gcriihrt; 
Er muft messiv von Silber sein! 

Emplindsamc Betcachtung des Mondes 
Doiitschi Koirtatuc. Um 1820 

11* 



83 



Mit anderen Worten: alles das, was die Juden fur die Entwicklung leisteten, 
mufiten die Zeitgenossen alsgegen sich gerichtet empfinden. Und jederneue 
als feindselig empfundene Akt dieser Art wurde, wie wir gesehen haben, 
zuerst von den Juden ausgeubt. Von ihnen wurde der betreffende Trick zum 
mindesten stets mit dem grofieren Geschick gehandhabt. Und dieser Zu« 
stand, dafi die judischen Geschaftsmethoden als skrupellos und jedem 
ehrlichen Gewerbe als nachteilig empfunden wurden, wahrte ebenfalls 
viele Jahrhunderte. Wer ist also schuld, wenn ein strebsamer Handwerker 
trotz allem Fleifie nicht hochkam? Der Jude, Wer hat es auf dem Ge« 
wissen, wenn ein ehrlicher Kaufmann in seinem Handel zuruckging? Der 
Jude. Wer bietet Waren feil, durch die das sauer verdiente Geld des Landes 
nur aufier Lands kommt? Der Jude. Wer hat dem Bauer den ganzen Er« 
trag seiner Felder schon vor der Ernte abgekauft und bestimmt allein den 
Preis? Der Jude. Usw. Der Jude ist der Allerweltskonkurrent von Jedem 
und Jedermann. Es gibtkeinen Winkel des Landes, wohin er nicht kommt, 
keinen Kreuzweg, an dem der Wanderer vorbei mufi, wo der Jude nicht 
sein Kramchen auf schlagt. Wenn der Fremde, der Pilger oder der Geschafts* 
mann, vor das Gewolbe des zunftigen Gewerbes kommt, hat er den Reise* 
sack schon voll Judenware, und seine Groschen und Taler hat bereits der 
Jude in der Tasche, der ihm auf der Landstrafie entgegen gegangen war. 

Als Allerweltsglaubiger, dem, aufier der Kirche, vom kleinen Bauer* 
lein angefangen bis hinauf zum Kaiser alle verschuldet sind, und als Alles* 
verderber, der jeden redlichen Handel und Wandel stort und erstickt, — 
in diesen beiden Gestalten allein steht der Jude durch die Jahrhunderte hin« 
durch vor dem leiblichen und geistigen Auge der Mitwelt. 

Und die Zeitgenossen konnten in den fruheren Jahrhunderten auch 
gar keine andere Vorstellung von dem Juden bekommen, am allerwenigsten 
die eines Wegbereiters und Fuhrers zu der kuhnsten und gewaltigsten Wirt* 
schaftsweise der gesamten Menschheitsgeschichte. Diese mufite doch erst 
geworden sein, um sie feststellen zu konnen; die historische Rolle der Juden 
konnte erstretrospektiv erkanntwerden. Um so mehr, als diese Entwicklung 
ja niemals ein bewufites Ideal der Menschen gewesen ist. „Die Menschs 
heit" wollte sich fruher doch uberhaupt nicht entwickeln, sie wollte ihr ge« 
ruhsames Dasein haben. Das war ihr hochstes Lebensziel, und wer diese 
Ruhe gefahrdete, verstiefi gegen das oberste Menschenrecht. Und auch die 

84 



Polkwitzer 



Lydie^ 



Abraham HerscL. 



Rachel 



ITnser Verkehr nacli der Tieuesten DarsteThmp 

o 







Li co I) _ ( Iiiidorus Mor(5enliuuU.T Lobe] Grosclieiimaclier 



Rebecka 



/ '. 



98. Judischc Typen. Niimbsrgcr Kirikaturen. Urn 182S. 



Juden waren selbstverstandlich immer nur unbewufite Instrumente der Ge* 
schichte. Sie dachten sich bei ihren Geschaften wirklich nichts Erhebendes, 
sie dachten aufier an Jahve nur noch an ihren Rebbach! 

Es ist ganz miifiig, die Juden als Einzelindividuen besser darzustellen, 
als sie in Wirklichkeit sind. Der Jude war und ist in tausend Fallen der 
Ausbeuter fremden Elends. Gewifi. Aber — lautet die andere Frage — 
war dies vielleicht der christliche Kapitalismus irgendeines Landes, der be* 
sonders in den Anfangen der grofikapitalistischen Entwicklung formlich in 
Kinder* und Frauenfleisch schwelgte, etwa weniger? Nein, er war dies in 
ganz der gleichen Gestalt. Die Bauern sind unter der Wucht des Judenzinses 
nicht hochgekommen. Gewifi. Und wieder lautet die Gegenfrage: Aber 
wie hoch sind denn die Kossathen, die Kathner und Budner unter der vater* 
lichen Fursorge der Junker gekommen? Ein Unterschied ist freilich vor* 

handen : Die christlichen Fabrikanten 
der grofikapitalistischen Fruhzeit und 
auch die Mehrzahl der Junker sind 
als individuelle Erscheinungen nicht 
soanstofiigwiedereinzelnewuchern* 
de Jude. Nur ist damit nichts gegen 
das Judentum erwiesen, sondern nur 
sehr viel gegen seine tausendfachen 
Unterdriicker. Oder glaubt man vieb 
leicht, dafi aus dem Sumpi, in den 
man den Juden allerorten nieders 
zwang, Lichtgestalten hatten hervor* 
gehen konnen? Glaubt man, es hatte 
moglich sein konnen, dafi aus einer 
solchen erniedrigenden, Jahrhunder* 
te wahrenden historischen Situation 
Musterbeispiele an Uneigenniitzig* 
keit hervorgegangen waren? Nein, 
das war schlechterdings unmoglich. 
Alle Dinge haben ihre unvermeid* 
»„„„... A A . , lichen Konsequenzen. Man mufi im 

99. Der Borsianer. An Achtel ^ 

w^er Karikatur von Zampu Um 1830 Leben immer das eine mit dem andern 




86 







100. Deutsche Karikatur- Urn 1S35 



bezahlen. Davon gibt's keine Errettung. Die Geschichte kennt nie ein 
Drumherumdrucken um das peinliche Resultat. So auch in diesem Fall 
nicht. Die Juden sind, wie ich schon oben sagte, in ihrer grofien Mehrzahl 
jahrhundertelang die Parias der menschlichen Gesellschaft'gewesen, also 
schleppen sie auch die Laster des Paria mit sich herum. Das ist ganz un« 
vermeidlich. Der allseitige Hafi und die stete Verfolgung haben nicht nur 
ihre Tatkraft gefordert, sondern sie auch zu vielen Teilen demoralisiert. 

Alles das mufi man zugeben. Aber man mufi ebenso kategorisch er« 
klaren: die Christen sind das in anderer Weise nicht weniger. Und deshalb 
sind die Juden im ethischen Sinne nicht schlechter als die Christen. Sie sind 
nur auch in diesem Falle anders als wir. Weil dieses andere aber, dieses 
orientalischsnomadenhafte, in seinem Zusammenprall mit unserer nordischen, 

87 



aus der Sefihaftigkeit erwachsenen Psyche zu Hunderten von Konflikten 
fuhrte und immer von neuem fiihrt, darum erscheint uns das judische Tun 
als unmoralisch. Der psychische und okonomische Gegensatz wandelt sich 
zum moralischen Gegensatz. Dafi wir, das Herrenvolk, uns von vornherein 
als die Moralischen dabei einschatzen, ist selbstverstandlich. Die herrschende 
Klasse, und das sind die Christen im Vergleich zu den Juden, glaubt immer 
die grofiere Moral auf ihrer Seite. 

Die Fragen der Moral entscheiden in letzter Instanz immer die wirts 
schaftlichen Interessen; an diesen scheitern auch alle angeblichen gemein* 
samen Rasseninteressen. Das gilt auch innerhalb der Juden. Man stellt 
judischerseits den gegen die Juden erhobenen moralischen Anklagen stets 
den Einwand von dem besonderen judischen Solidaritatsgefuhl gegenuber, 
dafi niemals ein Jude den andern vollig im Stich lasse. Gemeinsame Not 
fuhrt gewifi die gemeinsam Leidenden zusammen, und unter diesen entsteht 
dann eine mitunter erhebende Solidaritat; das gilt auch von den Juden. 
Aber die Juden leiden eben nicht immer gemeinsam Not. Und die nicht 
leidenden Juden vergessen stets und sehr rasch ihr Rasseninteresse, wenn 
ihr Geldbeutel bei diesem Gedachtnisschwund heftig anschwillt. Wer hat 
so oft den die Juden ihrer Lander und Landchen unterdruckenden Fursten 
das Thronchen mit seinen Goldstangen versteift? Die judischen Geld* 
konige. Wer hat den in Judenblut watenden russischen Zarismus 1905 vor 
dem Untergang errettet und ihm ermoglicht, weiterhin im Judenblut zu 
waten? Das judische Finanzkapital Frankreichs. Niemals ist es dem inters 
nationalen judischen Finanzkapital eingefallen, unter Risiko seiner Profite 
seine ungeheure Macht in die Wagschale zu werfen und durch ein kate* 
gorisches „Entweder— Oder" die trostlose Lage der judischen Bevolkerung in 
irgendeinem Lande radikal zu andern. Klassenunterschiede trennen, Klassens 
interessen binden, beides uber Meere hinweg. Das gilt fur Christen und fur 
Juden. Man schweige also von der sogenannten besonderen Rassensolidaritat 
der Juden. Diese geht jedenfalls stets dann in die Bruche, wenn die Profits 
rate dadurch ernstlich gefahrdet wurde. Denn es ist nicht Ausflufi der 
Rassensolidaritat, wenn der reiche Jude haufiger und in grofierem Malie 
als der Christ gegenuber seinen Stammesgenossen Mildtatigkeit ubt. Das 
ist im Gegenteil Ausflufi der Klassensolidaritat; denn bis zu einem gewissen 
Grade reprasentiert eben, wie ich oben sagte, jeder Jude, auch der reiche, 

88 




Gotts Wunclcr, wolcher Cihin* unU Schtfin; 
i).is mtil! tip's rorts von Vcisjildinj; scyu! 

Schwarmerischer Blick in die Sonne 

Anonvror deutsdic KariLitur. 1S20 



Ceihfitf 211 Lduard Fuchs. .Die Judcn in iter Ksmkatur* 



Albert Laniati, Miinchen 



gegenuber dem Christen die unters 
druckte Klasse. Das Gefuhl des 
gemeinsam Unterdruckten manis 
festiert sich hierin. 



Die eine Weltwirtschaft auk 
bauende Rolle der Juden konnte 
in ihrem fruheren Verlauf weder 
von der Masse, noch von dem Ein« 
zelnen wirklich erkannt werden, 
aber die taglichen Rippenstofie auf 
den Magen, durch das Volk Israel 
ausgeteilt, mufite der dickfelligste 
Christ empfinden, und damit ist 
die Permanenz des Judenhasses in 
Europa seit mehr als einem halben 
Jahrtausend vollauf erklart. Es ~ r 
ist erklart, dafi man die Juden ver« 
achtete, es ist erklart, dafi man die 
Juden schikanierte, und es ist 
schliefilich auch erklart, dafi man 

den Juden nach dem Leben trachtete, dafi man sie plunderte, folterte und 
mordete. Zu umfangreicheren Judenverfolgungen mufite es kommen, 
d. h. zu solchen kam es stets in der Geschichte, wenn im Verlaufe der ka* 
pitalistischen Entwicklung besonders schwere Kreditkrisen iiber eine ganze 
Bevolkerung hereinbrachen. In Zeiten, wo die Einnahmen noch bescheiden 
waren, weil man noch wenig verkaufte, und die Einnahmen deshalb mit 
den durch erhohte Steuern und Zinsen gesteigerten Ausgaben nicht Schritt 
zu halten vermochten, in solchen Z e i ten > wo a ls° a U e Welt dauernd Bar* 
geld brauchte, da kam es vor, dafi nicht nur ganze Ortschaften, sondern 
ganze Landschaften den Juden verschuldet waren. Wenn dann die Note 
berghoch stiegen und die Einzelerscheinung des wirtschaftlichen Zu* 
sammenbruches zur Massenerscheinung wurde, dann rebellierten die dem 




101. Ein alter Jude 

Fran:dsische Karik.itur 



Fuchs, Die Juden in der Karikjtur 



12 



89 



JV*l&. 



Untergang geweihten Schichten. Rebellieren konnten sie natiirlich nicht 
gegen die Sache, gegen das wirtschaftliche Gesetz, dem sie unterlagen, denn 
von diesem ahnten sie ja nichts. Rebellieren konnten sie nur gegen die 
Juden, die ihnen bei ihrem beschrankten Horizont als die einzigen Urheber 
ihres Elends erschienen, und so schlugen sie die Juden tot und plunderten 
deren Truhen. Auf diese Weise glaubte man die Sache obendrein am griinds 
lichsten erledigt. Denn dabei konnte man ja auch die den Juden ausge* 
stellten Schuldbrief e vernichten — was sehr oft der gar nicht verheimlichte 
Hauptsinn und Zweck der blutigen Judenverfolgungen war. Diese Aus* 
sichten erschienen so verlockend, daft man mitunter auch ganz willkurliche 

Anschuldigungen gegen die 
jiidische Bevolkerung einer 
Stadt oder eines Landes er* 
hob, nur um einen Scheins 
gr und f iir ihre Auspliinder ung 
zu haben. Alle die bekann- 
ten Anschuldigungen wegen 
Hostienschandung, wegen jus 
dischen Kirchenfrevels und 
ohne Ausnahme die jahr; 
hundertelang so uppig wu< 
chernden Ritualmordmarchen 
sind in letzter Instanz hierauf 
zuruckzufiihren. Das Auf* 
tauchen von Nachrichten iiber 
einen irgendwo stattgefuns 
denen Ritualmord ist gerade* 
zu einer der sichersten Be* 
weise dafur, dafi wieder eins 
mal irgendwo eine Unter* 
schicht besonders derb in den 
Malstrom der geldwirtschaft« 
lichen Entwicklung gerissen 
worden ist. 
102. Dorbcck. Btriirer K«ikaiur. Vm i8» Die stadtischen und staats 







90 



lichen Behorden driickten 

selbst zu den grausamsten 

Judenverfolgungen stets 

beide Augen zu. Ja, noch 

mehr: nicht selten sind es 

gerade ihre Organe gewe* 

sen, von denen zuerst der 

schreckhafte Ruf ins Land 

gegangen war: „Der Jud 

istschuld." DieseMethode 

hat ihre guten Griinde: 

der im Judenhafi sich 

schrankenlos austobende 

Volkszom vergifit auf diese 

Weise am leichtesten die 

Hauptschuldigen, namlich 

die Regierung, die Steuer 

auf Steuer haufte usw. Fur 

diese Tatsache gibt es zahls 

reiche historische Beweise; 

angefangen von den in verschiedenen Ratsprotokollen der mittelalters 

lichen Stadtobrigkeiten vermerkten Empfehlungen zum ..Judenschlagen" 

bis herauf zu den direkten ProgromsAnweisungen des letzten zaristischen 

Polizeiministers. 

Wenn ich oben sagte: mit den schweren wirtschaftlichen Noten, die 
im Verlauf der geldwirtschaftlichen Entwicklung unerbittlich immer von 
neuem iiber die Massen hereinbrachen, sind die im Verlauf der Geschichte 
ebenfalls standig wiederkehrenden und niemals ganz abbrechenden Judens 
verfolgungen erklart, so habe ich damit selbstverstandlich nicht gesagt: diese 
Greuel sind dadurch auch entschuldigt. Die Schmach der Judenverfolgungen 
kann nur entschuldigen, wer sie dauernd erhalten wissen will. 




— Harr Kerpcrol, Harr Afttzier. Harr Generol! Habbe Se de 

Gnod, h-bbe Se dc grauHc Gnod und lasse Se mich nit 

schielien. Ich halt es nit aus. ich kinns nit venrogen. ich 

kann nit riechen da Pulver, ich fall in da Ohnmacht! 

103. J. Voltz. Jakobs Kriegstaten. Vm isw 



91 



Zweiter Teil 

VI 
Das Wesen der Karikatur 

Ich habe oben (S. 4) die zeitgenossischen Karikaturen als wichtige 
und aufhellende Wahrheitsquellen der Vergangenheit bezeichnet. Sie sind 
dies kraft des Wesens der Karikatur und infolge der verschiedenartigen 
Tendenzen, die sich wirkungsvoll und augenfallig in der Karikatur zu mani* 
festieren vermogen. 

Die landlaufige Anschauung iiber das Wesen der Karikatur geht dahin, 
dafi man in einer Karikatur eine Verspottung der dargestellten Sache oder 
Person zwecks deren Verhohnung vor sich habe. Infolgedessen unter« 
scheiden die meisten Menschen die einzelnen Karikaturen gemeinhin nur 
nach dem Grade der Heftigkeit und dem groCeren oder geringeren Grade 
von Witz, der in einer Karikatur sich offenbart. Diese landlaufige Vor* 
stellung von dem Wesen und Zweck der Karikatur ist nicht zutreffend, 
zum mindesten ist sie durchaus ungenugend, weil sie nur eine Tendenz, 
freilich die am haufigsten vorhandene Tendenz des Karikaturisten hervor* 
hebt. Man kann jedoch mit Hilfe des Karikierens auch das gerade entgegen* 
gesetzte Ziel anstreben und erreichen. Und dies geschieht ebenfalls sehr 
haufig. Diese verschiedenen Tendenzmoglichkeiten der Karikatur werden 
einem klar, wenn man die Mittel und Methoden des Karikierens untersucht 
und das feststellt, wodurch eine beliebige Darstellung erst zur Karikatur 
wird. 

Zuerst mussen wir feststellen, worin die oberste Absicht eines jeden 
Karikaturisten besteht. Diese oberste Absicht des Karikaturisten geht da* 
hin, das Wesentliche einer Erscheinung oder einer Sache sichtbar zu 
machen. Solches ist gewifi nicht blofi die Absicht des Karikaturisten, 
sondern die Aufgabe eines jeden Kunstlers. Der Landschafter will das 
Wesentliche eines Baumes oder einer Gegend geben, ihren spezifischen 
Charakter, ihr inneres Geheimnis, das zugleich die eigentliche Ursache ihrer 
bestrickenden Wirkung auf unsere Seele ist. Der Portratist will nichts 
anderes als das Wesentliche einer bestimmten Person zur Anschauung 

92 




T"^'® 



""9C~**ry<'g^ 





bringen ; er will ihren Charakter, 
ihre geistige und seelische Phy* 
siognomie gestalten, die das Ge* 
setz der aufieren physischen 
Form ist. Das gleiche will der 
Historienmaler, und ganz dem* 
selben Ziel strebt auch jeder Pla« 
stiker zu. Je vollkommener 
diese Aufgabe dem betreffens 
den Kunstler gelingt, um so 
vollendeter ist seine Leistung. 
Alle kunstlerischeGestaltung er« 
reicht dieses Ziel auf die gleiche 
Weise. In erster Linie durch die 
Vereinfachung, durch den Ver* 
zicht, durch das Weglassen von 
allem Nebensachlichen; schon 
dadurch entsteht von selbst eine 
Pointierung des Wesentlichen. 
Zudiesem Negativengeselltsich 
aber auch ein Positives: die Be* 
tonung all der Merkmale, die 
eben das Besondere der betrefs 
fenden Erscheinung ausmachen, die ihres Wesens Kern an die Oberflache 
bringen. Dieses Besondere wird also gewissermaCen unterstrichen. So ar* 
beitete ein Rembrandt, so arbeitete ein Holbein, aber so arbeiteten auch 
ein. Hogarth, ein Rowlandson, ein Daumier und nicht anders ein Wilhelm 
Busch. Sie alle gestalteten auf diese Weise das innere Geheimnis ihrer Ob* 
jekte. Und weil sie dies mit so intensiver Kraft taten, dafi man in den Ge* 
sichtern der von ihnen dargestellten Personen gewissermaCen wie in einem 
aufgeschlagenen Buch lesen kann, um diesen alten aber sehr zutreffenden 
Vergleich zu benutzen, daft man obendrein eine ganze Lebensgeschichte 
daraus ablesen kann, einschlieClich der Geschichte der Vorfahren der Dar* 
gestellten: alle Wege des Lebens, alle Niederlagert oder alle Triumphe, die 
hier zu einem Ausdruck muder Resignation, bei einem andern zu dem eines 



£ 'J9£%i&/5 zen l r nferri<r7it- imn »■ _Ertm/;>ny 
-. /?/■ 7mr?ere £eut . ^^ 



w/c/t/i/v nsr<krli7j:£7i<?KlZ,iirie&e utiter den 

V ^~ ■ C/tr/st&i,. ^ — ^^ / 

-EzW iwen&s/irfrrfrrj 

Xoth-imd-HiilfeTmciatinfiir Jedermann 

iitrhcmnjtem /Sr denJUay/r undZamhrnmn., 

Jm zwaltyt7/&i r . 

I. F, ST ETON, v 



105. Titelblatt einer iiberaus heftigen antisemitischen Flugschrift. 1833 



94 




harten Trotzes gefuhrt haben, — weil die 
betreffenden kunstlerischen Gestalter ge* 
rade das an die Oberflache gebracht haben, 
und zwar in dem Grade, dafi man das ganze 
vollendete Schicksal des Dargestellten im* 
mer von neuem erschiittert miterlebt, da* 
rum sind ihre kunstlerischen Gebilde 
Meisterwerke. In diesem weitgespannten 
Rahmen angeschaut, stehen ein Rem* 
brandt, ein Holbein, ein Daumier und auch 
ein Wilhelm Busch alle auf derselben Linie. 
Ein Daumier strebt zu demselben und er« 
reicht dasselbe wie ein Rembrandt: die 
restlose Aufdeckung des individuellen 
menschlichen Lebensgeheimnisses. Selbst* 
verstandlich ist trotz diesem gleichen Re* 
sultat ein wesentlicher Unterschied auch in 
dieser Richtung zwischen beiden vorhan* 
den. Er besteht in dem, wodurch eben eine 
Darstellung zur Karikatur wird. 

Zur Karikatur wandelt sich die Darstellung einer Person oder einer 
Situation, wenn der kunstlerische Gestaltungsprozefi sowohl im Negativen, 
wie im Positiven, also im Weglassen des Nebensachlichen und im Pointieren 
oder Unterstreichen des Wesentlichen und darum Charakteristischen, vom 
Kunstler so weit getrieben wird, daft diese kunstlerische Absicht, das Her« 
vorheben gewisser Dinge, dem Beschauer formlich in die Augen springt. 
Der Beschauer mufi den Eindruck bekommen, das einzig dies der Zweck 
der betreffenden Darstellung ist. Das aufiere Gleichgewicht einer Dar« 
stellung mufi also bis zu einem gewissen Grade zerstort sein zugunsten 
des Zieles, eine ganz bestimmte Wesensseite des behandelten Objektes 
ostentativ in den Vordergrund zu rucken. Auf diese Weise, durch die 
vom Karikaturisten bewufit angestrebte Gleichgewichtsstorung, entsteht 
auch die fur den starken Eindruck einer Karikatur so wichtige komische 
Wirkung. Diese ist das Resultat einerseits des Widerspruches zwischen 
geistiger Wahrheit und objektiver Unrichtigkeit, und andererseits des grellen 



Kirn/Btw&TT'raJi'-tul&'merdas Cfcwchr hicbc/is 



106. Die Juden als Soldaten. 1833 



95 




107. Hausierer 

G. Cruikshanc. EnsL Karikatur 1832 



Offenbarwerdens der gestalteten Idee. Diese 
Gleichgewichtsstorung kann, wie Hunderte 
von karikaturistischen Meisterwerken erweis 
sen, naturlich auf die kiinstlerischeste Weise 
geschehen, so dafi z. B., kunstlerisch gewertet, 
die Zeichnung eines Daumier unbedingt ne« 
ben der eines Michelangelo oder sonst eines 
ganz Grofien der Kunst rangiert. 

Da die gewbllte Gleichgewichtsstorung 
technisch das Wesentliche fur die Karikatur 
darstellt, ist dies das Prinzipielle, wodurch sie 
sich von der Nichtkarikatur unterscheidet. Bei einem Michelangelo oder 
Rembrandt ist durch die Methode der Vereinfachung das aufiere Gleich* 
gewicht nie gestort. Im Gegenteil: bei ihnen ist gerade die hochste und 
tiefste Harmonie des Ganzen erreicht. Diese grofie Harmonie ist hier sogar 
das kunstlerisch gesteckte Ziel. Freilich wird auch dieses Ziel immer nur 
auf Kosten der sogenannten absoluten Richtigkeit oder Wahrheit erreicht. 
Denn das, was der betreffendeKunstlergibt, sind auch nur zusammengefafite 
Abstraktionen, Versinnbildlichungen einer Idee, und er tut dies in um so 
starkerem und intensiverem Grade, je gestaltungskraftiger er ist. 

Der Karikaturist treibt die Unterstreichungen der von ihm hervorge* 
hobenen Charaktereigenschaften auf die verschiedenste Art und Weise stets 
so weit, dafi seine Absicht in den meisten Fallen sozusagen plakatmafiig 
wirkt: Ich will durch dein Portrat der Welt zeigen, welche Menagerie von 
Gefuhlen hinter deinem zugeknopften Rock sich austobt. Das steht unsicht* 
bar unter jeder guten Karikatur geschrieben. Unterstutzt wird diese Absicht 
vielfach noch durch die Verwendung allerlei symbolischer Mittel. In diesem 
Verfahren gibt es naturlich unendlich viel Nuancen, und so gibt es auch 
ebenso viele Formen des Karikierens. Es ist ein langer und abwechslungs* 
reicher Weg, der vom fein pointierenden Gesellschaftsschilderer im Stil eines 
Gavarni bis in die unbegrenzten Weiten der grotesken Karikatur fuhrt, in 
denen ein Gillray, ein Rowlandson, ein Wilhelm Busch, ein Rudolf Wilke 
und zahlreiche andere geniale Karikaturisten sich bewegen. 

Das innere Geheimnis der Dinge und Menschen zu gestalten, es an 
das Tageslicht zu bringen, ist, wie gesagt, das Ziel jeder Kunst, der ernsten 



96 



< - Vnser Vcrkelir. . . O /d 




Uiiisei'ie Lewfe, wle sie si audi . 
Jiidische Typen 

Niirnberger antisemitischer Bilderbogen. Um 1825 



Beilage *» Edward Fucbs, »Die Juden in der Kjriktlur" 



Aihprt I sincrim Mrt«<»li*m 



wie der grotesken. Die aufiere, die kunstlerisch technische Moglichkeit ist 
darin gegeben, dafi sich der Geist die Form schafft, dafi er nicht nur die Ziige 
des Gesichtes bildet, nicht nur dem Blick seinen spezifischen Charakter 
verleiht, sondern dafi von ihm jede Geste, jede Bewegungdirigiertist, kurz* 
um, daft die gesamte aufiere Erscheinung den seelischen Kern offenbart, 
wie die Haut jeden Muskel erkennen lafit, der unter ihr liegt. Weil aufiere 
Form nur die sichtbare Linie des Geistigen ist, darum kann der Kunstler 
jede Eigenschaft seines Objektes sichtbar machen, nicht nur, dafi der von 
ihm Dargestellte eine grofie Nase hat, sondern auch, dafi er ein Geizhals 
ist. Aber auch nicht nur, dafi der eine ein Geizhals, sondern auch, dafi 
der andere eine Personlichkeit mit grofien Eigenschaften und aufierordents 
lichen Tugenden ist. 

Es darf naturlich nicht ubersehen werden, dafi diese Methode des Kari« 
kierens starkes kunstlerisches Konnen und voile Klarheit daruber voraus* 
setzt, wie sich das Psychische im Physi* 
schen spiegelt. Das sind Eigenschaften, 
die erst bei einer bestimmten zeitlichen 
oder individuellen Reif e erlangt werden. 
Primitive Zeiten und mittelmafiige Kunsts 
ler, denen das Geheimnis, wie man durch 
die Pointierung einzelner menschlicher 
Ziige den ganzen inneren Menschen an 
die Oberflache zerrt, noch nicht aufge* 
gangen ist, oder deren kunstlerische Ge« 
staltungskraft hierzu nicht ausreicht, be* 
nutzen darum die wesentlich einfachere 
und leichtere Methode des Symbolic 
sierens. Sie versehen die von ihnen kari* 
kierten Personen oder Situationen mit 
konkreten Attributen, die Charakter und 
Sinn der dargestellten Sache handgreif* 
lich versinnbildlichen; sie geben dem 
Reichen einen grofien Geldsack in die 
Hand, denGeizigensetzen sie darauf.usw. 
Diese kunstlerisch primitivere Methode 




108. Meyerbeer 

FranzosUchc Kaiikatur von Dantao. 133 



Fuchs, Die Juden in der Karikatuc 



13 



97 







jfrbulfelaf 

fiir die 

liauchtebliclie Jiideiischaft 
ZTZret FEJTJEL 8TEM&. 

Ill 




des Karikierens ist ubrigens 
fur den ungeschulten Verstand 
der Massen immer die ein« 
drucksvollste gewesen, und 
sie ist dies auch heute noch; 
denn die Mehrzahl der Men* 
schen denkt sozusagen gegen* 
standlich. Daher kommt es 
auch, dafi sich selbst tuchtige 
Kunstler dieses Mittels der 
Symbolik standig bedienen, 
und daft auch in dieser Metho* 
de des Karikierens allmahlich 
eine Unmenge glanzender und 
unverganglicher Karikaturen 
entstanden ist. In der mos 
dernen Karikatur werden zu< 
meist beide Methoden mit« 
einander kombiniert. 

Aus dem Umstand, dafi 
man im Physischen durch 
Ubertreibung unbedingt alles 
ohne Ausnahme, also jede 
geistige oder seelische Eigen* 
schaft, ins Licht setzen kann, 
und dafi man noch viel leichter alles durch irgendwelche sachliche Attn* 
bute symbolisieren kann, folgt die fur die Klassifi zierung einer Karikatur 
wichtigste Tatsache. Namlich die, dafi der Prozefi des Karikierens an sich 
tendenzlos ist. Eine Karikatur muli also nicht unter alien Umstanden vers 
achtlichmachend wirken; sie kann dies, aber sie braucht dies nicht. Denn 
wie der karikierende Kunstler diejenigen Ziige unterstreichen und uber* 
treiben kann, die den Typ des Geizhalses schaffen, so kann er auch jene 
Linien auffallig markieren, oder jene Eigenschaften symbolisch verkorpern, 
die den Edelmut, den stolzen Trotz oder irgendeine andere Tugend dem 
Beschauer augenfallig zur Anschauung und zum BewuCtsein bringen. Tut 



iM*uHje/t> verjcJw/ter'tc ^JuflaqB' . 
Meissen 1833 



109. Titclblatt ■ 



- humoristischssatirischen Gedicht« und Witzsammlung 
in jiidischer Mundart. 1855 



98 



xmftttD ^ijt psypvpB, lyttT'm 



b^in nvto^io 



( ^U 



$&p~5 



r#& 



WnM» "^tumbril 



®$ 



i^ 3 fer unnereleute. 

ZweytcrThahl, 

*" i^uriTiereLente de Sterne'urm. de**Schlief 
^ dermit ze kranzeti. 

(5i|o»fleii nnit nuufjfim ntlafat 

ITZIG PEITEL STERN. 



r 



er aber das letztere, so wirkt 
die betreffende Karikatur gar 
nicht verachtlichmachend, son* 
dern sie erreicht das Gegenteil. 
Solche Karikaturen mussen na« 
turlich aus der Liebe, sei es 
einer heimlichen oder einer 
offenen, zu dem behandelten 
Objekt geboren sein. 

Die Karikatur kann also 
mit ihren Mitteln ihre Objekte 
(Personen und Zustande) er* 
niedrigen, sie kann sie aber 
auch erhohen und glorifizieren. 
Und beides tut die Karikatur, 
seit es eine solche gibt, durch 
alle Zeiten hindurch, tagtaglich. 
Das erstere tut sie freilich viel 
haufiger als das letztere, und 
zwar schon deshalb, weil der 
Karikaturist in erster Linie Kris 
tiker der Zeit und der Dinge 
ist, die er aktiv oder passiv er* 
lebt. Der Kritiker strebt nature 
gemafi, weil dies im Wesen der 
Kritik liegt, viel haufiger da* 
nach, die von irgendeiner Ten* 
denz ubertriebenen Werte auf 

ihre wahre Grofie zuruckzufuhren, als dafi er selbst solche kunstlich schafft. 
Aus diesem Grunde ist die Rolle der verkleinernden Kritik dem Karikatu* 
risten selbst dann viel naturgemafier, wenn er selbst das von ihm karikierte 
Grofie anerkennt, als das Bestreben, die Bewunderung und Anbetung einer 
Person oder Sache durch seine Mittel ebenfalls zu unterstutzen und zu 
fordern. Aber — und das ist das Entscheidende — wenn er es will, dann 
kann er es, und er hat es hunderte von Malen in der Geschichte gewollt. 




Mit gam, tvre' l&f>Jt7itidduh*r- mui't.Moeik. ausoetape: 
scat, aatfi, tv£> av AhnJunJurlick, versitgai. 

Leipzig & Meissen. 



110. Titelblatr einer humoristisch>saririschen Sammlung von Gedichten 
und Er=jhlungen in iudischer Mundart- Um 1835 



13' 



99 



D. h. die Karikatur hat in unendlich vielen Fallen ihre „Opfer" erhoht; 
zahlreiche historische Personlichkeiten sind gerade durch die Mittel der Ka* 
rikatur der weitesten Allgemeinheit bewundernswert geworden. 

Mit denselben Mitteln und auf demselben Wege vermag die Karikatur 
den schutzlos Verfolgten zu verteidigen und den Gesturzten zu trosten. 
Und auch diese Aufgabe hat die Karikatur standig und mit den groCten 
Erfolgen erfullt. Weil aber die Karikatur dies alles vermag, erniedrigen und 
erhohen, trosten und verteidigen, deshalb eignet ihr auch eine so grofie Be* 
deutung innerhalb der Kampfe von Volkern und Klassen. 



VII 



Die Rolle der Judenkarikatur 



Die Frage, die wir jetzt zu stellen und zu beantworten haben, lautet: 
In welcher Rolle gefiel sich die Karikatur gegenuber den Juden? War sie 
ihnen gegenuber in jeder der im vorigen Kapitel geschilderten Form en tatig, 
oder nur in einer? 

Die Antwort auf diese Frage ist schon mit den fruheren Ausfuhrungen 

iiber „die Welt von HaC" gegeben, 



mit der beladen die Juden durch die 
ganze Geschichte schreiten. Sie kann 
bei einer solchen historischen Situ* 
ation nur lauten: Die Karikatur tritt 
gegenuber den Juden fast immer nur 
als Anklager auf. Jede Karikatur auf 
die Juden ist tatsachlich letzten En* 
des stets eine Anklage gegen die 
Juden. Dieser Grundton des An* 
klagerischen ist derart dominierend, 
dafi die lachende Form, in die die 
Karikatur die Dinge und Personen 
kleidet, hier viel seltener und we* 
niger als sonstwo versohnend wirkt. 




ilsl 



— afi se gestudirt hat de scheene Rachel de 

Blumensprache. muft de Empfindung Liebe sein. 

Se kimmt! 

111. M. Maifisch. Diissetdorfer Monatshcfte 



100 




Zwei Thaler kann ich geb'n, mchr nich . . . Mache Sc mich nicht arm 

112. Wiener iCirikitur von Uniedelli. I'm 18JS 



Diese Erscheinung, dafi die Judenkarikatur vorwiegend als Anklager auf* 
tritt, ist nun freilich gar nicht verwunderlich. Sie ist nach jeder Richtung 
natiirlich. Man mufi sich iiber eins klar sein: wenn einzelne geniale Ka? 
rikaturisten auch zu alien Zeiten die Fahigkeit besaften, den Menschen und 
Dingen sozusagen auf den Grund zu sehen, — die Einsicht selbst dieser ge= 
nialen Seher, geschweige denn die der grofieren Zahl der Minderbegabten, 
fand stets in der jeweiligen Zeiterkenntnis ihre Grenze. Und darum schaut 
auch der genialste Karikaturist nur mit den Augen seiner Zeit. Oder mit an; 
deren Worten : In der zeitgenossischen Karikatur kann sich immer nur der 
jeweilige Grad der Einsicht in die Zusammenhange der Dinge spiegeln. 
Die Einsicht in die ungeheure Bedeutung des Judentums fur den Gesamts 
komplex unserer kapitalistischen Kultur ist, wie ich bereits bei Beginn des 
Buches ausfiihrte, aber erst ein ganz modernes Resultat der wissenschaffe 
lichen Forschung, und sie ist darum auch jetzt noch lange kein Allge? 

101 



meingut der Erkenntnis, sondern sie 
ist im Gegenteil erst auf dem Wege, 
dies vielleicht in absehbarer Zeit zu 
werden. 

Weil es aber so ist, darum ver* 
mochte der Karikaturist der vergaiv 
genen Jahrhunderte so wenig wie 
seine jeweiligen Zeitgenossen den 
weltaufbauenden Charakter des Ju* 
denvolkes als ..Griinder" einer neuen 
epochalen Wirtschaftskultur zu ah s 
nen, geschweige denn zu sehen. Es 
kommt immer darauf an, wie die 
Personen und Dinge auf der Welt* 
biihne in Erscheinung treten. Der 
Jude trat vielleicht zu jeder Zeit in 
einzelnen Exemplaren imponierend 
auf; aber die Juden in ihrer Masse 
wirkten fast immer unbedeutend, 
und keineswegs wie ein Heer von 
Weltbaumeistem. „Die Juden sind 
wie ein Haufen Gewiirm", sagt ein Schriftsteller des 16. Jahrhunderts. 
Dieser Vergleich ist naturlich verachtlich gemeint. Aber er ist zum min« 
desten nach einer anderen als der gewollten Richtung ganz zutreffend. 
In ihrer steten, alles unterwiihlenden Manier besteht ihre umwalzende ge* 
schichtliche Rolle. Weil aber das Schopferische solchen Tuns tragischer* 
weise im Unerkennbaren ruhte, so erging es den Juden in der allgemeinen 
oftentlichen Beurteilung ungefahr so, wie dem Regenwurm im Vergleich zu 
dem Lowen. Ober den Regenwurm hat man niemals ein verklarendes 
Heldenepos geschrieben, wohl aber dutzendfach iiber den Lowen, obgleich 
der Lowe an der menschlichen Kultur gerade keinerlei imponierende Vert 
dienste hat, um so groftere aber der Regenwurm, der, wie man seit Darwin 
weifi, der stete Regenerator der rruchttragenden Ackererde ist. Der Re* 
genwurm hat aber keine Mahne und briillt nicht. Nun, der kleineSchacher* 
jude briillt auch nicht, er mauschelt nur „und ohrt wie er macht sein Ge« 




102 



schaf t." Durch diese Umstande ist es 

vollauf erklart, dafi in friiherer Zeit 

keine die historische Rolle der Juden 

verklarenden Karikaturen entstan; 

den, keine, wodurch die Juden in 

den Augen der Mitwelt mit beson; 

derer menschlicher oder gar mit 

historischerGrofie bekleidet worden 

waren. Weil man das Umformende 

in der wirtschaf tlichen Tatigkeit der 

Juden f riiher absolut niemals als sol; 

ches erkannte, so erklart es sich hier; 

aus auch, daft von den vielen Funk; 

tionen, die der Jude bei der Heraus; 
bildung der modernen kapitalisti; 

schen Wirtschaftsweise ausiibte, und 

von welchen ich im II I. Kapitel die 

wichtigsten dargestellt habe, sich 

nur wenige in der Karikatur klar 

wiederspiegem. Auf all dieses Ne; 

gative deutlich aufmerksam zu ma; 

chen, ist deshalb von besonderer 

Wichtigkeit, weil sich auch darin die 

einseitig das allgemeine Urteil beeinflussende Tatigkeit der Karikatur ge; 

geniiber den Juden oftenbart. 

Wenn die zeitgenossischen Karikaturisten keine Spur von bewunderns* 
werter Grofie an ihren jiidischen Nebenmenschen wahrnehmen konnten, 
so muftten auch sie, wie gesagt, um so deutlicher der en menschliche Klein; 
heit sehen, d. h. das, was der Zeit nicht nur kleinlich, sondern, mehr noch 
als das, verwerflich und verabscheuungswiirdig vorkam. Und das war eben 
die Tatsache, daft der Jude immer als der haufigste individuelle Urheber 
der zahlreichen schweren wirtschaftlichen Bedrangnisse sich darstellte, in 
denen so viele untergingen. Also sah der Karikaturist immer nur Griinde 
zu gehassigen, die Juden verhohnenden Spottbildern. Und diesen ewigen 
Anreizen folgte er mehr oder minder willig, entsprechend der allgemeinen 




lH> u. Il+. I|]ustneit«r I'mKhUs rinCf chemili vie) ^ft<«rirr. 

SjmmlunR humonsti>ch*tttinwhcr Ct^lichle und yizjhlungrn in 

lUihscher Muniiirt. IS33 



103 



Stimmung der Zeit. Weil der Karikaturist aus denselben Grunden in der 
Pariastellung der Juden kein unverschuldetes, sondern im Gegenteil ein 
reichlich verdientes Schicksal erblickte, darum war er auch nicht ihr Vers 
teidiger, wenn sie verfolgt und gepeinigt wurden. Wieder aus den gleichen 
Grunden war die Karikatur auch niemals ihr Troster im Ungluck. 

Die Karikatur tritt also, wie ich oben sagte, gegenuber den Juden fast 
immer in der Rolle des Anklagers auf. Darum offenbaren die meisten antis 
judischen Karikaturen je nach den Umstanden einen mehr oder minder 
grofien Haft und zugleich eine Verachtung, die alle Grade in sich birgt, 
und nicht selten bis zur letzten Grenze geht. Gerade durch diese Mafilosigs 
keit im HaC und in der Verachtung verraten die antijudischen Karika* 
turen aber noch ein Drittes, was nicht ubersehen werden darf, und das ist: 
sie verraten namlich zugleich eine ganz auCerordentliche Furcht vor den 
Juden. Nur wenn man jemand sehr furchtet, klagt man ihn dermafien hef= 
tig an, wie man die Juden anklagt, nur dann wird man nicht miide, immer 
erneute Anklagen zu erheben oder die alten Anklagen immer wieder in er« 
neuter Form vorzubringen. Andernfalls ignoriert man die betreffende Per* 
son oder Sache sehr bald. Man muE sogar jemand schon wie das Feuer 
furchten, wenn man ihm durch Jahrzehnte hindurch taglich sagt: „Ich vers 
achte dich!" und wenn einem der Atem dabei doch nicht ausgeht. Gerade 
durch ihre grofie Zahl sind die Judenkarikaturen deutliche Zeugnisse fur 
eine zwar nur sehr selten offen zugestandene, aber darum doch heimlich 
vorhandene Angst vor den Juden. Aus manchen Judenkarikaturen spricht 
sogar in nicht miflzuverkennender Weise eine sich ohnmachtig fuhlende 
Wut gegen den angeblichen Todfeind der christlichen Gesellschaft, den man 
hafit, verachtet, furchtet, und dem man dabei doch nicht so an den Kragen 
gehen kann, wie man in seinen heimlichen Wunschen gerne mochte. 

Diese mit HaC und Verachtung gepaarte Furcht vor den Juden wird 
aber nicht nur durch die grofie Zahl und die teilweise Heftigkeit der er* 
schienen Judenkarikaturen offenbar, sondern auch durch den nicht abzus 
leughenden grofien Stil, zu dem sich die antijudische Karikatur zu Zeiten 
erhob. Diesem grofien Stil in der antijudischen Karikatur begegnen wir, 
wie wir weiter unten sehen werden, gleich in ihren ersten Manifestationen, 
und zwar in der groteskskuhnen Symbolisierung des judischen Wesens und 
Treibens in dem Bilde von der sogenannten Judensau. Man begegnet 

104 




Israelchen lut emeu Ducalen-vftrscbhickt . W*A™> £ej*l&a£*jt. 

,/ «AVn. SemJtn'tfcr-n. cue- 4*e ^41 rfrt^-ti&jl d*r &**<&•£ *$t<rt vbtfAK J0 m tnsfa- t**r*Atn fr-mUr^wnJ ***hm, d&s &>U*£hn<Am left* s*+ 






Deutsche Karikatur Urn 1820 



titiUft «u Edujrd Fuchs, JJic Judtrii in acr Kankalur* 



Alberl lanneii, Munclien 



fiiebeScrfldrung cine* jnngea 3u&em 



^erjbrei^enfc. 



3d) miiS!Drepp5(nt * be > dm an ma?, mtt mid (a •pardjw ftftmnfen au iwiij, («§ 




115. Humoristischssatirischcs Liebeslied nebst Alelodie. I'm 1835 



diesem groften Stil weiter im 19. Jahrhundert als die weltbeherrschende 
Macht des judischen Kapitals, verkorpert in der Person des Frankfurter 
Bankiers Amsel Rothschild, aller Welt in ihrer ungeheuren Rolle zum 
staunenden BewuCtsein kam. Da symbolisierte die internationale Karikatur 
diese Macht in einer Reihe von Karikaturen, die durch ihren grofien Stil in 
der Geschichte der Karikatur immer auffallen werden. Ich verweise hier 
nur auf die beiden Beilagen „Wie Rothschild durch die Welt kutschiert", 
und „die Generalpumpe" (neben den S. 112 und 120). 

Weil die Karikatur niemals etwas anderes als der Angreifer gegenuber 
den Juden war und ist, darum hat man in den anti judischen Karikaturen 
einer Zeit schlieClich nichts anderes vor sich, als eine der Formen der jewei= 
ligen allgemeinen Judenverfolgungen; es sind die Bild gewordenen Klassen* 
kampfe, die sich im Hafi gegen die Juden auswirken. Weil man auCerdem 
den Judenkarikaturen allmahlich in ganz Europa begegnet, so mufi man 
sagen: Sie sind das Widerspiel eines ungeheuren, iiber die ganze europaische 
Welt verbreiteten Klassenkampfes. Freilich eines Klassenkampfes, den man 
immer erst seines ideologischen Gewandes, in dem er in Erscheinung tritt, 
entkleiden mufi, um ihn in seiner wahren Gestalt zu erkennen; denn wo 
er auch aktiv wird, immer tritt er in dem den Blick verwirrenden Gewande 



Fuchb. Die Juden in der Karikatur 



14 



105 



des Rassenkampfes auf. Alle anti* 
jiidischen Karikaturen sind geformt 
vom Rassenkampfstandpunkt; denn 
sie charakterisieren den Juden in er* 
ster Linie als den Menschen einer an« 
deren Rasse. Das was ihn im Physis 
schen als andere Rasse erscheinen 
lafit, wird am starksten unterstrichen. 
Am Intensivsten wurde diese Metho* 
de freilich erst im 19. Jahrhundert an* 
gewendet, weil erst von da ab das 
Rassenproblem eine grofiere Rolle in 
der offentlichen Diskussion spielt. — 
Die Judenkarikaturen gingen den 
allgemeinen physischen Gewaltakten 
gegen die Juden teils voran, indem 
sie dabei das iibliche Zeitziel unters 
stiitzten, die Juden dem allgemeinen 
..Volkszorn" auszuliefern, und das 
durch eine stets erwunschte Progrom* 
stimmung schufen; teils bildeten sie die satirische Begleitmusik, wenn es 
wirklich zu physischen Gewaltakten kam. Sie reprasentierten in solchen 
Fallen sozusagen das aufstachelnde und immer mehr vorwartstreibende 
Triumphgeheul. In den Zwischenpausen zwischen den einzelnen Juden* 
schlachten, in welchen man also nur den guten Willen hatte, aber nicht die 
notige Kraft dazu besaft. den jiidischen Mitbiirgern radikal an Kopf und 
Portemonnaie zu gehen, bildeten die Karikaturen gewissermafkn die Form, 
in der man den anders nicht realisierbaren Haft gegen die Juden abreagierte; 
in diesen letzteren Manifestationen herrscht natiirlich der relativ ungefahrs 
liche Spott vor. Da diese Zwischenpausen seit der Mitte des 16. Jahr« 
hunderts immer langer wurden, so uberwiegt die Zahl solcher Karikaturen 
naturgemaft in der Gesamtzahl, die im Lauf der ungefahr fiinf Jahrhunderte 
erschienen sind, seitdem es eine antijiidische Karikatur in der Geschichte 
gibt. Neben den eben genannten Anreizen und Auslosungen fanden die 
Massen in den antijudischen Karikaturen einerZeitschlieftlichdannnoch die 




106 



erwiinschte, weil fur den Einzelnen wie fur 
die Gesamtheit unentbehrliche sittliche 
Rechtfertigung fur ihr auch in den fried* 
lichen Zeiten sehr haufiges feindliches 
Vorgehengegen diejuden. In derBilder* 
sprache der Judenkarikaturen, die selbst 
der einfachste Mann verstand, und die 
durch das Mittel des zum Lachen reizens 
den Spottes fast alien ohne Ausnahme be« 
sonders sympathisch war, sah die Offent* 
lichkeit den uberzeugendsten Beweis fur 
die besondere Schlechtigkeit der Juden. 
Diese verschiedenen Tendenzen er« 
geben zusammen, die, wie man sieht, 
gar nicht komplizierte Rolle der anti« 
judischen Karikatur in der Geschichte. 
Diese Rolle ist besonders augenfallig in 
den vergangenen Jahrhunderten; denn 
Karikaturen, die auch fur die Juden 
Partei ergreifen, ohne dafi diese von 
Juden selbst ausgehen, gibt es tatsachlich erst, seitdem in Deutschland 
eine sozialdemokratische Witzblattpresse existiert. Obrigens begegnetman 
auch den aus der Liebe geborenen Judenkarikaturen, die von der Hand von 
Juden herruhren, erst in den beiden letzten Jahrzehnten. Ich meine damit 
Karikaturen von der Hand von Volljuden, die also nicht nur Juden infolge 
ihrer Abstammung sind, sondern die mit alien Fasern ihres Seins Juden ge« 
blieben sind und ihr Volk mit Liebe umfassen. Um solche Karikaturen zu 
zeitigen, mufite naturlich eine gewisse Entwicklung zur allgemeinen Selbst* 
befreiung innerhalb des Judentums vorangegangen sein; denn zur Selbst* 
geiCelung der eigenen Volksgenossen vor der gesamten Offentlichkeit ge« 
horte fur den Juden ein uberaus grofier Mut. Noch vor einem Menschen* 
alter ware eine solche Tat einem Juden niemals von seinen Stammesge* 
nossen verziehen worden, man hatte ihn als einen verachtlichen Autosadisten 
allgemein verachtet und verfemt. Ich werde auf diese Erzeugnisse in dem 
Kapitel iiber die judische Selbstironie zu sprechen kommen. 




116 u. 117. Umschlag und Titelbild der satirischen Posse 
,,Unscr Verkehr". Gez. von Th. Hosemann- 
(Erste Auflage erschien 1819) 



14* 



107 




Wenn man die Karikatur der fruheren Jahrhunderte, 
also des 15. bis 18. Jahrhunderts, ganz verstehen will, mufi 
man sich immer erst den Standpunkt vergegenwartigen, 
den jene Zeiten gegenuber den Juden einnahmen. So 
kompliziert uns heute Lebenden das judische Problem er« 
scheint, so einfach erschien es den fruheren Zeiten. Die 
Juden sind eben, so sagte man sich, ein in Europa fremdes 
us Zwei Typen aus Volk, das wegen seiner besonderen Sunden und, wie es 
der Frankfurter] uden* so ft heiCt, wegen seinem Mangel an staatenbildender 
Kraft aus seiner Heimat Palastina vertrieben ist. Dieses 
aus seiner Heimat vertriebene Volk fuhrt nun kurzerhand sein die samt« 
lichen N ebenmenschen schadigendes Treiben im Abendland fort und ruinier t 
dies formlich. Was gibt es dieser Tatsache gegenuber Einf acheres, als dieses 
Volk zum Teufel zu jagen? Wenn fortgejagt, scheint das ganze Judens 
problem fur die europaische Christenheit gelost. In dieser wirklich sehr 
einfachen Form erschien das Judenproblem in der Vergangenheit aller Welt; 
heute erscheint es dermaCen einfach nur den rabiat gewordenen SpieB* 
burgern. 

Weil der anklagerische Charakter unter den Judenkarikaturen der 
Vergangenheit der vorherrschende ist, d. h. weil fast nur diese Tendenz sie 
provoziert hat, darum sind die Judenkarikaturen auch die stete Begleiters 
scheinung der im dritten Kapitel geschilderten geldwirtschaftlichen Um< 
walzungen. Weil die Juden, wie ich dort nachgewiesen habe, an jeder dieser 
Umwalzungen stark und vor allem augenfallig beteiligt waren, darum be* 
gegnet man den antijudischen Karikaturen auch besonders oft in den Zeiten 
wirtschaftlicher Krisen, und zwar vornehmlich, wenn es sich um direkte 
Geldkrisen gehandelt hat. Sie kommen mit diesen, und — was als hochst 
wichtig hervorzuheben ist! — sie verschwinden auch langsam wieder 
mit diesen. Die antijudischen Karikaturen sind die Sturmzeichen des 
wirtschaftlichen Wandlungsprozesses, der sich im Schofie der Gesellschaft 
vollzieht. Aus dieser Tatsache leitet sich der folgende, sehr wichtige ge* 
schichtsaufhellende Charakter der antijudischen Karikaturen her. Wenn 
man namlich in einer Epoche und in einem Land haufiger Karikaturen 
auf die Juden findet, so darf man aus diesem Umstand ohne weiteres 
folgern, dafi in diesem Land und zu jener Zeit tiefgehende wirtschaftliche 

108 



Umwalzungen sich vollzogen haben oder sich noch vollziehen. Und zwar 
Umwalzungen, bei denen breite Massen der Bevolkerung in einer ihre 
Existenz gefahrdende Mitleidenschaft gezogen waren oder sind. Die gleiche 
Schlufifolgerung gilt selbstverstandlich auch noch fur heute, und darum 
schwellen auch, besonders in Deutschland, gegenwartig die antijudischen 
Karikaturen so sehr an, indem eben die Liquidation des Weltkrieges zu den 
grundsturzendsten wirtschaftlichen Umwalzungen gefuhrt hat, die sich )t-- 
mals in der Geschichte ausgewirkt haben. In Deutschland wurden diese 
Umwalzungen naturgemaC fruher sichtbar und auch unendlichfuhlbarer als 
in den Siegerlandern. Aus der groCeren oder geringeren Gehassigkeit der 
in einer bestimmten Zeit erschienenen antijudischen Karikaturen kann man 
auCerdem den Grad ablesen, in dem die Existenz der breiten Massen von 
der betreffenden Umwalzung gefahrdet war und ist. Man kann weiter aus 
diesen Karikaturen ablesen, welche Kreise der Bevolkerung besonders be* 
troffen wurden. Wenn eine Wirtschaftskrise in der Geschichte eines Landes 




lis. Haust du meinen Juden, so hau ich deinen Juden. illustriertes Sprkhwon 



109 







120. Englische Karikatur auf die Err 



dpation der Juden. Um 1845 



uberwunden ist, verschwinden, wie gesagt, auch alsbald wieder die besonders 
gehassigen Judenkarikaturen; der Jude hat dann, weil er nicht mehr so oft 
als Exekutor der Zeit erscheint, aufgehort, der mitleidlos gehafite Todfeind 
zu sein. In solchen Zeiten wird die Karikatur den Juden gegenuber dann 
insofern versohnlicher, als man sich damit begnugt, sie als dankbares Spott* 
objekt zu verwenden, genau so wie dies z. B. im 17. Jahrhundert gegenuber 
den Bauern geschah. 

Wenn die Existenz von Judenkarikaturen erweist, daft in der betreffens 
den Zeit wirtschaftliche Umwalzungen vor sich gingen, und wenn diese 
Karikaturen durch ihre sich wandelnde Zahl und durch den wechselnden 
Grad ihrer Scharfe zu sehr beachtenswerten Geschichtsquellen werden, so 
ist das vollige Fehlen von Judenkarikaturen wahrend einer langen Periode 
naturlich ebenso instruktiv. Und solche Perioden, in denen man in einem 
Land vergeblich nach Judenkarikaturen forscht, sind ebenfalls nicht selten. 
Dieses Fehlen erweist, dafi in dem betreffenden Land in jener Epoche die 
wirtschaftliche Situation stationar geworden war, oder dafi die Umformung 
dermafien langsam vor sich ging, dafi die katastrophalen Erscheinungen 
ausblieben. Die Richtigkeit dieser Behauptung ergibt sich daraus, dafijedes 



110 



Land solche Perioden hatte, in denen die antijudische Satire vollig schwieg, 
also auch solche Lander, in denen andere Zeiten geradezu eine Hochflut 
von antijudischen Karikaturen hervorbrachten. 

Und damit komme ich zuletzt noch zu einer anderen durch die Karis 
katur gelieferten Bestatigung: Der Umstand, dafi es immer Lander gab und 
gibt, in denen zahlreiche Juden leben, ohne dafi jahrzehntelang antijudische 
Karikaturen dort erschienen, ist ein weiterer Beweis dafur, dafi die Judens 
frage keine Rassenfrage, sondern vornehmlich eine Klassenfrage ist. Ware 
die Judenfrage nur eine Rassenfrage, so miifite man standig auf Juden* 
karikaturen stofien ; denn der Rassenunterschied ist ein konstanter Unters 
schied. Weil sie aber vornehmlich eine Klassenfrage ist, darum begegnet 
man ihnen nur temporar, namlich dann, wenn die Klassenfrage in den zu 
Konflikten sich steigernden Klassenkampfen aktiv wird. 



VIII 

Bis zur Judenemanzipation 

14. bis 18. Jahrhundert 



DieSpottfigurenanKirchen 
und Rathausern. Die altesten be* 
kannten Judenkarikaturen stammen 
aus dem 14. und 15. Jahrhundert und 
sind plastischer Art. Es sind satiric 
sche Skulpturen aus Stein oder Holz, 
in der Form von Reliefs an Kirchen, 
Rathausern, Bruckenkopfen , Dachs 
gesimsen, Chorstuhlen usw. Ober 
diese Art satirischer Darstellungen 
muC ich einige allgemeine Berner* 
kungen voranschicken. 

Fruher nannte man solche, mit 
dem eigentlichen Zweck des betrefs 
fenden Bauwerks nicht zusammen* 




Ferdinand Lassalle mit der Grafin Hatzfeld 
und deren Sohn. 18 * 7 



111 



hangende und scheinbar ganz willkurlich angebrachte Spottfiguren ge« 
meinhin „Architektenscherze". Man war der Meinung, daft die grotesken 
Darstellungen solcher und ahnlicher Art ausschliefilich auf eine mutwillige 
Laune des betreffenden Rathauss oder Dombaumeisters zuriickzufiihren 
seien, und dafi die Moglichkeit hierzu in der naiven Harmlosigkeit jener 
Zeiten begrundet war, die dem einzelnen zugestand, solche derben Scherze 
sogar an heiligen Orten anzubringen, weil eben alle Welt damals Freude an 
Scherz und Spott hatte. Diese Anschauung ist im Wichtigsten ein voll« 
standiger Irrtum. Ich habe auf das Irrige dieser Meinung schon vor Jah« 
ren in meiner „Karikatur der europaischen Volker" hingewiesen und die 
Behauptung aufgestellt, dafi es sich in den meisten dieser sogenannten 
„Architektenscherze" absolut nicht um blofie Zufallsprodukte eines erfins 
derischen oder boshaft veranlagten Rathaus* oder Dombaumeisters handle, 
der auf diese Weise einer Privatlaune oder auch einer Privatrache genugen 
wollte, sondernum etwas wesentlich anderes und viel wichtigeres. Ich habe 
auseinandergestzt, dafi es sich in der Mehrzahl dieser eigenartigen Spott* 
bilder oder Symboliken um nichts Geringeres als um offentliche Proklama* 
tionen offiziellen Charakters von seiten einer Stadteregierung oder von 
seiten einer Kirchenbehorde handelte. Diese Ansicht habe ich davon abge« 
leitet, dafi bei aller Freude am Derben oder Grotesken, die jene naiven 
Zeiten auszeichnete, alle Verhaltnisse doch zu sehr gebunden waren, um 
dem einzelnen eine solche iiber alles Mafi hinausgehende Betatigung seiner 
individuellen Laune an einem offentlichen Gebaude zu erlauben. Eine solche 
Freiheit war umso weniger denkbar, als damals ein offentliches Gebaude, 
wie Rathaus oder Kirche, ganz anders wie heute im Mittelpunkt des allge* 
meinen Interesses stand, und dafi gerade diese Gebaude stets den hochsten 
und bei jeder Gelegenheit betonten Stolz der betreffenden Stadt bildeten; 
auf ihre Errichtung konzentrierte man jahrzehntelang, bei Domen sogar 
jahrhundertelang den grofiten Teil aller verfugbaren Mittel. Dabei fallt 
noch ganz besonders ins Gewicht, dafi die meisten dieser Spottreliefs an 
sehr sichtbaren Steilen angebracht waren, sodafi sie jedem des Weges Kom* 
menden auffallen mufiten. Manche dieser Spottfiguren sind darum auch 
zum formlichen Wahrzeichen der betreffenden Stadt geworden. Angesichts 
dieser verschiedenen Umstande folgerteich: In jenen Zeiten, wo es noch 
keine Buchdruckerkunst gab, oder diese eben erst erfunden worden war, 

112 




w 



w 



^.^ateihi^jMBa 








$*WfflT 0mm wW M>r- sag Ss-> •,,.- 






Wie Amschel Rothschild durch die Welt kutschiert — die Pleitegeier vorgespannt 
Frankfurter Karikatur. Urn 1840 



Beilage zu Eduard Fuchs, D Die Juden in der Karikatur" 



Albert I-angen, Munchen 



und man also das Plakat noch nicht kannte, da sollten die Steine im 
Namen der Gemeinde reden; diese Darstellungen sollten gewissermafien 
„ewiglich", — denn fruher, wo sich die Zustande nur langsam wandelten, 
rechnete man immer mit dem Mafistab der Ewigkeit — dem Volke eine be* 
stimmte Moral taglich vor Augen fuhren. Diese Ansicht hat inzwischen ihre 
dokumentarische Bestatigung gefunden, indem sich bei der Durchforschung 
von alten Ratsprotokollen und Stadtrechnungen in den letzten Jahren mehr« 
fach ergeben hat, dafi anlafilich bestimmter Ereignisse angesehene Bildhauer 
vom Rate einer Stadt ausdrucklich mit der Anfertigung und Anbringung 
eines entsprechenden „Schandbildes" beauftragt worden waren, und dafi 
die Kosten auch aus der Stadtkasse bezahlt worden sind. Aus solchen Pro* 
tokollen ergab sich weiter, dafi die Stadtvater sich mitunter nicht nur mit 
einem allgemeinen Auftrag begnugt, sondern dafi sie auch genau vorge* 
schrieben hatten, in welcher Weise sie ein solches Schandbild im Einzelnen 
ausgefuhrt haben wollten. 

Dieser Umstand, dafi es sich bei diesen alten, vielf ach noch erhaltenen 
Spottfiguren an Kirchen, Rathausern usw., wenn nicht immer, so doch viels 
fach um offizielle Veranstaltungen der mafigebenden Korperschaften handelt, 
erhoht naturlich die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser satirischen Stein* 
dokumente ganz aufierordentlich. Was sonst nur 
Dokument individueller kunstlerischer Phantas 
sie und Laune gewesen ware, wird hierdurch zu 
einem Zeitdenkmal wichtigen Ranges. 

Ich habe oben gesagt, dafi man in solchen 
Spottfiguren an Kirchen und Rathausern die al* 
testen bekanntenjudenkarikaturenbesitzt; einige 
von ihnen durften wahrscheinlich als die ersten 
Judenkarikaturen uberhaupt gelten. Denn in 
anderer Form waren Karikaturen nur in den 
spatmittelalterlichen Handschriften moglich ge* 
wesen. Solche sind aber meines Wissens bis jetzt 
nicht bekanntgeworden. Diejudendarstellungen 
im Heidelberger Sachsenspiegel von 1220 haben 
keinen karikaturistischen Charakter. Die fruhe* 



Surcii nieine @ctml&- 




— £a6 Sit jjtinc Sufi nii, Stir SS.uiiflc? 

— 53'6itt' an brr .6ttt! $&llt ft m.-r bit Jtron' on 
SafJ rruiitr gtbrott)t. uo« uftt ! §olte |ld) loffe nia*t Wt^f 
matttl 219 bod) if til itj s« fpai. Jtami nit nwifit in tatni 
QltliEtE, fan ltd) be R&ont wit tllia) Tag cirifjifd'liaj nmtM 
gnngti fe toa$t idj It6' ! l 



sten graphischen Judenkarikaturen stammen erst 

Fuchs, Die juden in der Karikatur 

113 



122. Karikatur auf Louis Philipp 

Eulenspicgcl, Siuttgait. IS4S 
15 



aus der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts, da der Holzschnitt erst in 
dieser Zeit aufkam. 

Diese Spottreliefs stehen nun aber nicht nur der Zeit nach an erster 
Stelle, sie stehen an dieser Stelle auch infolge ihrer sonstigen Bedeutung, 
Es handelt sich bei diesen steinernen „Schandbildern" auf die Juden tatsachs 
lich um nichts anderes, als um die bedeutsamsten Judenkarikaturen aller 
Zeiten. Diese aufierordentliche Bedeutung erhielten sie vornehmlich durch 
die mafilose satirische Form, in der die Juden in dieser auffalligsten aller 
Publikationsmethoden der Offentlichkeit demonstriert und damit dem alls 
gemeinen Spott ausgeliefert werden sollten. Diese Demonstration geschah 
namlich fast durchweg in dem Gleichnis von der sogenannten Judensau. 

Die Judensau. Dieses Bild, das den Juden zur Schande, wie man 
damals sagte, an den Kirchen und Rathausern der verschiedensten Orte 
immer wieder von neuem errichtet wurde, zeigt eine Anzahl von Juden in 
innigster Beziehung mit einem riesigen Mutterschwein. Luther beschreibt 
die aus dem 15. Jahrhundert stammende Darstellung der Judensau an der 
Pfarrkirche zu Wittenberg, die zu den typischen gehort, wie folgt: 

Es ist hie zu Wittenberg an unser Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen, da liegen junge Ferkel 
und Juden unter, die saugen, hinter der Sau stehet ein Rabin, der hebt der Sau das rechte Bein empor, 
und mit seiner linken Hand zeucht er den Pirtzel uber sich, buckt und guckt mit grofiem Fleifi der 
Sau unter den Pirtzel in den Talmud hinein, als wollte er etwas scharfes und sonderliches lesen und er* 
sehen, daselbsther haben sie gewifilich ihr Schemhamphoras, denn es sind. vor Zeiten sehr viel Juden in 
diesen Landen gewest, das beweisen die Namen der Flecken, Dorfer, auch Burger und Bauren, die 
ebraisch sind, noch heutiges Tags. Dafi etwa ein gelehrter ehrlicher Mann solch Bild hatt angeben und 
abreifien lassen, der dem unflatigen Lugen der Juden feind gewesen ist. 

Dieser .Judensau", so nannte man dieses satirische Spottbild im 15. 
und 16. Jahrhundert allgemein, begegnet man am fruhesten, namlich bereits 
Ende des 13. Jahrhunderts, am Dom zu Magdeburg. Von hier aus — vielleicht 
aber auch von einer noch fruheren, heute jedoch untergegangenen und 
darum vergessenen Darstellung — machte sie ihren Weg durch ganz Deutsche 
land. Am Dom in Regensburg wurde sie im 14. Jahrhundert angebracht, 
am Dom in Freising und an der Pfarrkirche zu Wittenberg anscheinend im 
Anfang des 15. Jahrhunderts. Bei der Judensau am Rathaus von Salzburg 
wissen wir aus den Ratsprotokollen sogar das genaue Jahr, sie wurde im 
Jahre 1487 aufgestellt. Im 16. Jahrhundert errichtete man sie an dem Rats 
haus von Kehlheim, (heute an der dortigen Apotheke eingemauert) des* 
gleichen an der steinernen Brucke in Frankfurt am Main. Das sind die* 

114 




15* 



jenigen Darstellungen der Judensau, die sich teils im Original, teils in Ah* 
bildungen erhalten haben. Nach verschiedenen zeitgenossischen Berichten 
aus dem 16. und 17. Jahrhundert soil es jedoch damals noch eine ganze An* 
zahl von Orten gegeben haben, wo die Judensau entweder an einer Kirche 
oder am Rathaus dargestellt war. So heifit es z. B., dafi in der Nahe von 
Magdeburg, und ebenso in der von Regensburg mehrere Orte waren, in 
denen sich solche steinerne Zeugnisse des damaligen Judenhasses befanden. 
Direkt genannt werden die Stadte Zerbst und Bamberg. Ihre wirkliche 
Zahl durfte also wohl nach Dutzenden gezahlt haben. (Bild 6, 9, 16.) Auch 
aufierhalb Deutschlands, vornehmlich an franzosischen und flamischen 
Kirchen, sah man mehrfach die Judensau. (Bild 15.) In den flamischen 
Kirchen findet man ubrigens noch andere Spottfiguren auf die Juden (Bild 7 
u. 8); und zwar nicht nur in Stein, sondern auch in Holz geschnitzt am Chor* 
gestuhl, das bekanntermaften haufig zu solchen Zwecken benutzt wurde. 

Die verschiedenen bekannts 
gewordenen Darstellungen der 
Judensau sind sich nicht voll* 
kommen gleich; sie decken sich 
nur in der satirischen Grundidee. 
Jede Stadt hat irgend eine Pointe 
variiert, eine neue hinzugefugt, 
oder auf eine andere verzichtet. 
Auf der Judensau des Doms zu 
Freisingreitet z. B. nur ein Jude 
auf einer Sau; auf einer anderen 
ist der. Sau ein machtiger Kots 
haufen vorgesetzt, den sie eifrig 
beschnuppert. Aufierdem ist 
mehrfach ein erlauternder Text 
eingemeifielt. Unter der Judens 
sau zu Freising las man: „So 

- Segen iiber Israel und seine Kinder. Mer wer'n Wahr die MaUS die KatZ nit frifit, 
kriegen gleiche Rechte mit dem Gojim. Was sagst i i t i i y^i 

dazu Schabsi? wird derjud ein wahrer Christ", 

- jeich dun mer lieber handlen, in der Handlung zaigt an dner an d eren l as man . S aUg 

sich der Mensch. 

12*. La»z.d.m. Auf d ie E„a n2 ip it io„ der juden. w,e„. 1848 du die Milch, Frifi du den Dreck, 




116 






- 






~j£ ic y , r -t ^ . . 
v \--.'-. ;'\,\ 
■ ■*' i { .- ' 




125. Leipziger Karikatur auf die Emanzipation der Juden. 1848 

Das ist doch euer best Geschleck". Dieser hohnische Spruch hat auch 
mehrf ach als Text f iir die spater in der Form von Einblattdrucken erschies 
nenen Judenkarikaturen gedient. (Bild 50.) Auf der Kehlheimer Judensau, 
die laut dem beigefiigten Text an die Vertreibung der Juden aus Rothen* 
burg ob der Tauber ankniipft, wird der Sau von einem Juden eine Tafel 
mit hebraischem Text vorgehalten. (Bild 9.) 

Hier mag eingeschaltet sein, dafi die Judensau am Rathausturm zu 
Salzburg, die dort bis am Ende des 18. Jahrhunderts zu sehen war, zu jenen 
..Schandbildern" gehort, bei denen es sich protokollarisch nachweisen lafit, 
dafi es sich darin um einen direkten Auftrag der Stadtbehorde handelt. Der 
Salzburger Rabbiner Dr. Adolf Altmann hat fur seine, .Geschichte der Juden 
in Stadt und Land Salzburg" (Berlin 1913) die alten Ratsprotokolle durchs 
forschen konnen. Dabei fand er in den Kammerrechnungen des Jahres 
1487 den folgenden Eintrag: „Item dem Valknawer und Heinrich Maler 
um den Juden und Sau Ratturm 6 F. 28 Pf ." Daraus ergibt sich un* 



117 



widerleglich, dafi es sich bei diesem Bild um einen Auftrag der Stadt handelt, 
und dafi zur Zeit der Bezahlung aus der Stadtkasse im Jahre 1487 das Spott* 
bild am Rathausturm bereits angebracht war. Dafi wir aus dieser Ein* 
tragung in den Stadtrechnungen zugleich den Namen des Bildhauers er* 
fahren, den die Stadt mit diesem Auftrag betraut hat, ist auch sehr wichtig, 
weil wir daran feststellen konnen, wie viel der Stadt an diesem Auftrag 
lag; denn sie hat ihn nicht einem beliebigen Steinmetzmeister ubertragen, 
sondern sie hat sich zu seiner Ausfuhrung einen der tuchtigsten seiner Kunst 
ausgesucht. Der genannte Bildhauer Valkenauer ist derselbe, der von 
Kaiser Maximilian I. mit der Herstellung eines groften Denkmals fur die 
Kaisergraber im Dom zu Speyer betraut worden war. Dieses Denkmal gilt 
heute noch als eine sehr gute Leistung. Leider hat sich das von Valkenauer 
fur den Salzburger Rathausturm hergestellte Marmorrelief mit der Juden* 
sau nicht erhalten. 

Der symbolisch*satirische Gedanke der Judensau ist sehr einf ach und 
sehr leicht verstandlich, so dafi die Zeitgenossen keines Kommentars be* 
durften, um dieses Schandbild restlos verstehen und geniefien zu konnen; 
denn alle diese Dinge genofl man damals mit breitem Behagen. Weil man 
damals noch nicht so abwechslungsbedurftig war wie heute, bildeten solche 
Darstellungen immer wieder einen beliebten Gesprachsstoff. Aber es er* 
schienen obendrein auch gedruckte Kommentare, und die Chroniken* 
schreiber kamen jahrhundertelang bei ihren Berichten und Schilderungen 
immer wieder gerade auf solche Wahrzeichen einer Stadt mit Vorliebe zu* 
ruck. Die Beschreibung der Wittenberger Judensau durch Luther habe ich 
schon zitiert. Der Dichter Heinrich Schroter aus Weifienborn deutet die 
Judensau am Rathaus zu Salzburg in seinem 1613 in Darmstadt erschienenen 
Gedicht „Deliciae judaicae" auf folgende Weise: 

Die Sau, darauf em Rabbi reit' Wie sie Christum nur sollen unehren. 

Dadurch wird mancherlei bedeut', Sonst schickt sich auch der Juden Art 

Und steht solch Bild zu Magdeburg Und auch der Schwein fast auf ein Kart. 

Und an dem Rathaus zu Salzburg. Ein Schwein liegt stets in Dreck und stinkt. 

Ein jung Jud saugt die Milch am Schwein, Wanns schon wird geschlagen, daB es hinkt, 

Dieweil die Juden im gemein I.afits doch nicht ab, wenns Nahrung weift 

Ihr Kinder bei der Milch tun lehrn Und frifit garstig allerlei Speis. 

Ober die an der steinernen Brucke von Frankfurt angebrachte Judensau 
sagt ein Chronist: dies Bild bedeute „dafi Juden und Schweinen der Ein* 
tritt in die Stadt verboten sei." 

118 



(Sonfeqtunj. 




,,(Suv (StftVc«i ' 3,n teem getvaltigcn ©ieg, tun 3l)te Srupfen tie uotigc Sfflodje fiber tie 3nfor^enten mod) ten, f)d&en fid) 
meljiere 3fiteen mcifiucvbig ait3ge$eidjnet , unb fjdben and) babor yon 3tnen fd)6ne 93er$temngen auf bit SBruf* erljalten, unb 
jtnb ev£o6cn luotben. 3d) bin a 3ub' 4?dbai @ie bie ©nab', ntir aadj dbj' an^ultum, nn'D mid) $u belo^ntn!" 

„lJJur oem Qjerbienfl fcine Jtrone! Set jufdlfige llmftanb, bap 3fcr mit jenen larfem 9)ldnnent a.tetd>e iReligton l;a6t, 
Gcredjti'gt Cud) itidjt jnm geringfren bernrtigen Stnfjjrud). 

,,6J«<ibfcjiT -Ocrr! fallen Bie 'Bod? ben SBefety 1jerau§gegeben , bap fcet t)Qd)»erTdtl)erii"d!en 93etget)en ein^eliier 3uben luii 
2II(c felitnttfriji* 93cT6irtoIid)teit tjdbcn , lucrum fotlteu ©ie mtr je$t birfe geredjte 99ine afcfd?Lagen? 3JIup id) baa Sofe mit 
leibett U'onim felt id) bii§ ©uh* nitwit aarf) mit genicjjeit?" — 



126. Miinchener Kankatu 



upellose SUatsmoral gegeniiber den Juden. 
Fliegende Blatter. 1849 



Von Kaspar Braun. 



DJtofriJ 3ftwc .fccrfdj tjat roullcn rodtjlcn 

obfrrr 

Id) |)ab' tttd) flcroaljlt! 

©ffener 25rief 



iRofrs 3foor fjrrfd), 

bru brincftahfdjrti Titubunbln mil ©dl fur Jicnifl unb Jotle«bMib nn 

fnnrn (friur.b ©fimui torib, nine bo ill Ciiinbe! btt bbbrrtn rWlrmbtuiij)S. 

SRrthobc in 7d"tDiudiL 




QmgrlftriN wi (£. A. 



tBctlin. 1849. 

C. 30 nil £ lo). 



Fur die Juden konnte es keine 
grofiere Schmahung geben, als diese 
intimeVerbindungmitdem Schwein, 
wie sie die Darstellung der Judensau 
in jeder ihrer Variationen aufzeigt. 
Alles was vom Schwein kommt, ist 
bekanntlich dem Juden durch seine 
Religion aufs strengste verboten. Der 
Jude begeht eine der grofiten Sim* 
den, wenn er etwas vom Schwein ifit; 
er stellt sich hierdurch direkt aufier* 
halb der judischen Gemeinschaft. 
Noch in unserer Gegenwart genugte 
es, dafi, wenn sich ein Jude ostenta* 
tiv vom Judentum (als religiose Or* 
ganisation) loslosen wollte, er nur 
dieses strengste judische Speiseverbot 
offentlich zu ubertreten brauchte. 
Und manche haben es auch auf diese Weise erreicht, wenn sie sonst keine 
Form fanden, vom offiziellen Judentum loszukommen. Als z. B. der 
geistige Mentor meiner Junglingsjahre, der fruhere Rabbiner und hervor* 
ragende Spinozaforscher Jakob Stern , seinen volligen Bruch mit dem offi* 
ziellen Judentum unwiderlegbar an die Offentlichkeit bringen wollte, setzte 
er sich an einem Samstag, also am judischen Sabbath, in Stuttgart mitten 
auf den Marktplatz an eine Stelle, wo zahlreiche aus der Synagoge heim* 
kehrende Juden vorubergehen mufiten, und afi ostentativ eine Anzahl 
Schinkenbrotchen. Der Erfolg, den dieser als Charakter und als Denker 
gleich ausgezeichnete Mann erstrebt hatte, traf ein. Die judische Gemeinde 
verzichtete auf ein solches Mitglied, das nicht nur frei und grofi denken, 
sondern auch unbeschwert von lacherlichen Dogmen leben wollte. Im 14. 
bis 16. Jahrhundert hielt sich selbstverstandlich jeder einzelne Jude streng 
an dieses Gebot, denn damals gab es nur orthodoxe Juden. Das wufite 
damals selbstverstandlich alle Welt, denn das warja einer der bezeichnend* 
sten Unterschiede, durch die sich der Jude in seinen Lebensgewohnheiten 
vom Christen schied. Aber gerade darum lockte es die Zeitsatire, die ent* 



127. Humoristisch?satirischc Flugschrift in jiidischer Mundart auf 
die Emancipation der Juden. 1849 



120 



/*HX 







Die Gene:alpumpe 

Frankfurter Karikatur auf Amschel Rothschild als internationalcn Geldgeber. 1845 



Beilage ju Eduard Fuchs, «Oie Jndcn in dcr Karitetur" 

■-■ ■ ■? , -Vf-'JraB«3'EBJ™iJ ii'V :■-■.■ . .-. ..„—..,-,■ , t — . 



Albert L.inEtn, Munchen 



ivfi ' t 



. «£> . 



Fl 



NTs 



.O. -'W-- 7 A^ V 






Am an. citation 










'"^o^^rtSS^^gjoJS 



Sehimal. [ eintretend } S arcKe , mei du est Trefe ? '. 

Sarche- *Ku, Tvast net / daTs mer amanasibirt sein unter uns . 

Schmul. Amanasibirt ! -weih. geschrie a bis's kan Pcrriick mehr giebt . 

12S. Karikatur auf die Emancipation dcr Judeo. 1848 



gegengesetzte Kombination zu konstruieren, um auf diese Weise die Juden 
zu verhohnen. Sie zeigt deshalb die Juden in der denkbar intimsten Be« 
ziehung zum Schwein, die zugleich die beschimpfendste ist, die es geben 
kann. Die Zeitsatire laflt den Rabbiner rucklings auf dem Rucken einer 
machtigen Muttersau reiten und an deren Schwanz saugen. Sie zeigt wie 
Judenkinder, aber auch Erwachsene, gleich Ferkeln am Gesauge der Mutter* 
sau hangen und deren Milch saugen; ein anderer Jude verschlingt sogar 
gierig deren Kot. Wieder ein anderer Jude schaut unter dem emporgehos 
benen Pirzel der Sau in den — Talmud, wie Luther sagt. 

Wie man sieht, spielt die Obszonitat, durch die man den Juden „Schand 
antut" die Hauptnote in diesem Spottbild. Gewifi mussen wir, wenn wir 
richtig urteilen wollen, uns gerade bei diesem Punkte klar werden, welcher 
Mittel sich die Satire und damit auch die Karikatur im allgemeinen zu den 
verschiedenen Zeiten mit besonderer Vorliebe bedient hat. Und da muC 



Fuchs, Die Juden in der Karikatu; 



121 



man denn ohne weiteres zugeben, dafi im 14. bis 17.JahrhundertdasObsz6ne 
eine sehr haufige Note in jedem satirischen Konzert gewesen ist. Wenn 
die Karikatur eine Person oder eine Sache angriff oder verachtlich machen 
wollte, so griff sie gemaC der derben Zeitanschauung und dem ihr ents 
sprechenden Sprachschatz mit Vorliebe zu obszonen Worten, Bildern und 
Vergleichen. Symbole aus dem Verdauungss und AbsonderungsprozeC 
waren in jenen naiven Zeiten in der Karikatur also nichts Ungewohnliches. 
Die entsprechenden Worte und Bilder waren nicht nur in der Umgangss 
sprache und in dem Ton der breiten Masse „gang und gabe," man konnte 
auch in der sogenannten besseren Gesellschaft sehr oft obszone Worte hos 
ren. Nichtsdestoweniger sind solche Obszonitaten, wie sie fast alle Dar* 
stellungen der Judensau aufweisen, (und wie man ihnen auch in anderen 
aritijiidischen Karikaturen begegnet) Ausdruck und Beweis einer wirklich 
grenzenlosen Verachtung der Juden; denn jene Zeit brachte eben auf solche 

Weise den Hochstgrad ihrer Vers 



.&j,i^3~ 







•*-=-, 2. 



- /Hji^£- 






Die Juden im Bunde mit der monarchischen und 
kirchlichen Reaktion. 1848 



achtung zum Ausdruck. Das 
rum aber ist die obszone Dos 
minante in der Judensau der 
augenfalligste Beweis dafur, bis 
zu welchem aufierordentlichen 
Grad die allgemeine Verachtung 
der Juden in der sogenannten 
offentlichen Meinung mehrere 
jahrhundertelang ging. Denn 
die Demonstration dieses Spotts 
bildes und seine Wirkung war 
ja keine vorubergehende. Die 
von den Schopfern dieser Art 
Spottfresken angestrebte Dauers 
wirkung war in dem Fall der 
Judensau jedenfallsvollkommen 
erreicht worden. Tatsachlich hat 
keine Karikatur der Welt, und 
zwar nicht blofi keine Karikatur 
auf die Juden, eine solche langs 



122 




pun ScAWiXTttte farck cttnpwtrt fad i C fWcgitfy vi #£flT 

Die heraiMgemanxipirtMi JUden. 

bMmmin mut 4 graiftan Cpeetiur t HJtnt . unn etm 4 li&r*nl*i . Ttie&t an/' .tfaltittk tin Hifttt. win Ukuf 
u&d /«y Jjbrrmen/i mU ISO SBimmtn, air (bmmm/dznl yenuinmtn. 

1J0. Wifner Kaiikatur *uf die £rnatilipditt<iD Uer iuden. IWi 

andauernde Beachtung gef unden. Keine einzige wurde im Lauf der Zeit 
von so vielen Menschen gesehen und beachtet. 



Die graphische Satire. Wenn es je einen Zweifel dariiber geben 
sollte, daB die satirische Verhohnung des jiidischen Wesens und Treibens 
durch die Karikatur der Judensau eine dauernde gewesen sei, d. h., wenn 
die Meinung auftauchen sollte, daB dies eine satirische Symbolik sei, deren 
Bedeutung und Wirkung sich auf die Zeit ihrer Entstehung beschranke, 
so ist dieser Zweifel durch die einfache Tatsache widerlegt, daB diese Form 



16' 



123 



Jufcen- ©motif ipation in parent. 




„<?oK mil Sou Mfen ! fonn idj bo<$ fogen, id) bin grtaorben emanfdjtyitL" 

131. Reichsbrcmse, Leipzig. 1848 

der Judenverspottung auch in der Graphik jahrhundertelang sich wieders 
holt, namlich bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die graphischen Darstellungen 
der Judensau sind kulturgeschichtlich gewifi nicht so bedeutsam, wie ihre 
steingemeifielten Vorbilder an den Wanden der Kirchen und Rathauser, 
und zwar deshalb nicht, weil ihnen der gewollt offizielle Charakter und 
auch die machtvolle Demonstrationsform fehlte. Dessenungeachtet nehs 
men auch sie einen ganz besonders hervorragenden Rang in der langen 
Reihe der antijudischen Karikaturen ein. Dies gilt vor allem von der zuerst 
erschienenen graphischen Wiedergabe der Judensau. 

Im selben Augenblick, in dem die Entwicklung dem satirischen Volkss 
geist den Holztafeldruck als Waffe in die Hand gab — das war in der zweiten 
Halfte des 15. Jahrhunderts — in demselben Augenblick nutzte er sie nam; 
lich sofort in ganz derselben Weise gegen die Juden aus. So sehr entsprach 
dieses Motiv der damaligen Stimmung gegen die Juden. Die Wiedergabe 
der Judensau in der Form eines foliogrofien Einblattdruckes war die erste 
auf dem Wege des Holzschnittes vervielfaltigte Karikatur auf die Juden. 
Dieses Blatt gehort, wie sich stiltechnisch nachweisen lafit, zu den allerersten 
Erzeugnissen des deutschen Holzschnittes. Durch einen glucklichen Zu« 

124 



fall hat sich ein Druck dieses Blattes erhalten. Ich gebe es hier etwa in zwei 
Drittel der Originalgrofie (siehe Beilage neben S. 8). Der Urheber dieses 
Blattes ist, wie bei alien Holztafeldrucken dieser Friihzeit nichtbekannt. Was 
einem an diesem Blatt zuerst in die Augen fallt, ist sein durchaus monu* 
mentaler Charakter. Die Bedeutung gerade dieses Blattes ist aber eine mehrs 
fache und nicht auf den monumentalskiinstlerischen Eindruck beschrankt, 
so grofi dieser auch ist; sie ist auch nicht mit der naturgemafi grofien Wich* 
tigkeit im Rahmen der antijudischen Karikatur erschopft. Dieses Spottblatt 
reprasentiert uns aufierdem unter den erhaltenen friihen HolzschnittsEins 
blattdruckendes 15.Jahrhunderts eine der ganz seltenen Profandarstellungen. 
Fast alle anderen bekannten Holztafeldrucke dieser Friihzeit zeigen rein 
religiose Motive. Da ist es denn doppelt interessant, dafi eine der wenigen 
Profandarstellungen aus jener Kulturperiode eine Karikatur ist, dafi es eine 
Karikatur auf die Juden ist, und zugleich die rucksichtsloseste, die wohl 
uberhaupt je in der graphischen Satire gegen die Juden gemacht worden ist. 
Weil es vor dem Flachholzschnitt, in dem 
dieses Blatt hergestellt ist, nur noch den 
sogenannten Schrotdruck als allererste gra* 
phische Reproduktionsform gab, und weil 
in dieser ersten graphischen Technik meines 
Wissens keinerlei karikaturistische, sondern 
nur religiose Darstellungen, Heiligen« und 
Christusbilder bekannt sind, so ist also die 
Holzschnittwiedergabe der Judensau zu* 
gleich die alteste bekannte graphische Kari« 
katur uberhaupt. Das aber bedeutet nichts 
Geringeres als: Mit diesem Blatt beginnt 
die lange und in manchen Zeiten so ruhm* 
reiche Geschichte der graphischen Karikas 
tur. Es ist, wie man wohl sagen kann, der 
wurdige Anfang dieses wichtigen Mittels 
der offentlichen Kritik, denn dieses Blatt 



9« fReptiMitaner. 



\-.—- : 










„@ttWS)e. ©ita, be SfcjaurniDfefdier? Siefcjrl Be, nana beldam 

tTDVfercoee niaten tauter QjiiUanle uab ^Jetle unb follt' id) lie fetten rait 

1 .. 1 . #1 -. -. _. 1# . bee Jlront aaf meia ^aupl, faft* iaj Dir; igata, macfit 1 id) bodj cTdjt feia 

enthalt in sich alle die Elemente, die zu ei* tin *■**: j"* j* «» »»^ »» ta ?* .<» ^ »«»«««»««.- 

' „9tu, toaan ©a abet loitil emaanjiut?" 

T r .t . o fi,.i i .. t-, 3U »as, nerben bie fteri$ten boaj Ijaben !ein ®elb mei,r — bi« 

ner Karikatur groiSen Miles gehoren. Es gj^ti'"^^^! E^Hs^*.? 1 * "*"*"■'■"" »' 



besitzt Einfachheit, Klarheit, Kraft, Kiihn* 



filbert fein'Oetb: JBetjie&jr S)e, <3are[flje?» 

132. Leuchtkugdn, Munches. 1848 



125 



heit, und alles dies, wie ich schon oben sagte, in monumentaler Grofie. Auf 
den fur populare Darstellungen damals ublichen Spruchbandern, die sich 
von den einzelnen Figuren durch das Bild hinziehen, erhalten wir die 
satirische Moral des Bildes erlautert und bekraftigt. Der links in- der Ecke 
stehende judische Weise, anscheinend ein Rabbiner, erklart: „Wir Juden 
sollen all ansehen, wie uns mit der Sau ist geschehen." Damit wollte der 
Kunstler wohl sagen: Den Juden moge es offenbar werden, wie sie durch 
diese Darstellung verhohnt sind. Sehr derb ist der Rat, den der unter dem 
Schwanz der Riesensau stehende Jude seinem iiber ihm sitzenden Glaubens* 
und Volksgenossen gibt. Er soil tuchtig am Schwanz der Sau saugen, das 
fur will er sich am Hintern vergnugen. Nicht viel feiner ist der Vers, der 
sich unter dem ganzen Bild hinzieht. Er lautet: „Und dafi wir nicht essen 
Schweinenbraten, darum sind wir geil und stinkt uns der Atem." 

Diese graphische Darstellung der Judensau ist nun, wie gesagt, nicht 
die einzige geblieben, sie ist nur die erste einer. langen Reihe. Die nachsten 
Wiederholungen sind im 16. Jahrhundert erschienen und zwar ebenfalls in 
der Form von Holzschnitten. Eine dieser Wiederholungen , einen kleinen 
Wittenberger Holzschnitt, der angeblich das Valkenauersche Marmorrelief 
am Salzburger Rathausturm wiedergeben soil, was ich aber ernstlich be* 
zweifle, zeigt Bild 16. In der Bilderfolge „Der Juden Badstub" aus dem 
Ende des 16. Jahrhunderts begegnet man ebenfalls der Judensau (Bild 40). 
Ein drittes Mai findet man sie als quartgrofien Holzschnitt auf einem 
fliegenden Blatt. In der ersten Halfte des 17. Jahrhunderts erschien die 
Judensau als foliogrofier Kupferstich. Dieses Blatt, dessen Gesamtcharakter 
man am treffendsten mit rustikal bezeichnet, ist in der bildlichen Dar« 
stellung noch obszoner als die grofie Holzschnittdarstellung aus dem 15. 
Jahrhundert, indem die Muttersau ihre Exkremente in den Mund eines 
hinter ihr knieenden Juden entleert. Auch der Text ist noch obszoner als 
bei dem grofien Holztafeldruck. Er lautet kurz und knapp: „Saug du die 
Milch, Frifi du den Dreck, Das ist doch euer best Geschleck." Diesen Rat 
gibt der im Hintergrund stehende Judenteufel, um dessen Figur diese Dar« 
stellung erweitert worden ist. Aus dem 18. Jahrhundert sind mir drei Varias 
tionen der Judensau bekannt geworden; alle in der Form von foliogrofien 
Kupferstichen. Sie sind technisch fortgeschrittener, aber auch im Inhalt 
„abgerundeter," namlich durch die Hinzufugung einer weiteren Obszonitat. 

126 



tm kofdjfrt l$ol)lin|tn)htion tion 9ieb 9?od>me tyov&ampel 

^efteBie §5afjf manner unb ^fttiBerger! 




(JUocfti ©it gu! SDtfint 3rau Eft rjer .Ieben — fcunbert 3a!jr fal 
He alt tofit'trt! — (jot elite Stniobii&clt an fid), u" 14 ni«f»c*bia 
id. 9Jooifidj njfnn fie Ijat gemad)! eine Arbeit, obet ein ©ejd)artd)e, 
ober 04 ein $(ajierti)e, unb fie id fertig bamit, [0 fagt ft: ..'Tiadjme' 
Ieben, be 9Borfd)t il geftoppt!" — ©og(eid) affo ttir jeftt e6rr.« 
falls fcaben fltmodjt eine SUbeit unb ein ©efdjaftdje unb ein 
$tajierd)c Nigu, inbem mir (jaben nebbid} flEtvalftt tie geef|rten 
38afcimannerd)eB, alfo fo,ie id; ebenfolld: ,.'.Htit ber 3erd 'Ieben, be 
SBorftbt is geftoppt!" — £Bren ©ie gu! 5)ie aUaljlmanner fein 
tut E3orfdj(^3ltJfit unb bad ©ercerj unb ber $feT7tr unb bod 
<Safj unb. a bidden Rnoblcdj, ant fommt rein in bie ffiotfdjt, un 
ein pnac arifmtrolijdje £ruf|d[fj(n£ fiffb 0$ barunter, road be. 
fanntlidj roirb Qiifaefudjl con oe 'Sdjirieindjed. 

S(ber SHitbergerMeben, loenn bie 3BBWnianner»33orfd)t ifl 
Dtil(id) fd)en geftoppt, tann man Je bod) uodj nid) effen, fonbern 
|ie mug inert tn eift aebraten in nev 8l6georbneten.91$a&[ , unb fc«t- 
nad)er effen mir bie Srninjorfifji. Soium foil ©ott b,uten, roenn 
bie ©ralirjocfdjt id ftbtecot, 'roenn fit id mabblid). mit nutter ft if, 
bafi man mug btfdjen in bie OTillicncn. menn man tb,ut efjen 
taben! Ober aber u m fl«r<l)ii eben jo, toenn tic !ffioifd)t ipt hu- 
eiel "iJeroet$, un Dnf^tWtjte Xruffelii, bag man taocn triat tie 
btinbe |jammeriDen unb bit enenbare Stan?! ©eflteiti) bie Brat- 
morfdjt id [apoie, foil mei ©ett fcelfen, mat' fa>n bejfer, roir 
boiicn gefpiett 93lunn(lcber, aid ju fein aemejen jwnait fieri iu bie 
SBa&lenl fiafic gefe&en. road tb,u id) bamit? ©pas! Slid icb ntiU 
cine (c(t)la\mut}, Dill id? Tie f^on lieber b,aben in meine Eilfinlub', 
Do id) bejoblt ben Iribut an bee 'Icatur, aid in bet 3Bnd]:K;aminer 
uf'n 'Dflnijcfflpf^, mo id) mug bega&Ien bie ©teuent an i-Mon. 
(eben. Unb item, aid id) fdjon mill |'eb.en emeu Sonter, mill id? iljn 
lieber im faciei bond *9j(itt, no e c e r ficft mit fein Operntiiferdje 
in bie Siattond osn bei fflnnft, aid uf tern $atfet ben bem bcb,tn 
£menljau9, mo er licft buraj bie CBcfcer, bie er inat^t in ber dr. 
faffuna! ©oil mir @ott bjtfen. Die ia> t)ab* cedji! 

Sarum, meine liebtn 3Baf|Iaianner'feben. tl)uu ©ie mit'8 Bu 
Pieb unb Dadlen ©ie fa)eine, feine, tof^ereSlb^eoibncte, mud ba= 
ben ®riitj in be SdPP. unb Jfaar uf be 3^"'' un ' a , ^ er .l* e u 'f".. 
tedjten gted, unb Rerjttec im Ceib;-— uKanner, bie toiffen ma4 
fit wodtn, unb t^uu, road fie fBUen, — bie nit pfeiren iebed 9ieb," 
wen" eiit SpiepoEfleli^e fie flaitat bot berWof, —unb Bie nil fur 
ein Xiltelgen benugen jebed 3)tUte(d>en, — unb tie nid>t anbeu 
gen auf ieben 'Cierefet ber ®nnl> Die ein f|una,ritier flarpen, — 
unb bie nidjt deulen mit bie SBBIf in ©djaafpeljen, — unb bie 
nid) bibbern bor fjordjt uiib taffen fid} mad>m j(WuI<8 : 

3&r foOt abtr roijfen, SCntjfmfinner.tefcn, bag tie Stem, 
3eitung geljl ruin. Die ein Xiummelacf, bie ttinbet i« mad>en 
Jord)tfam, unb fdjreii: 

^opp iar g! ^as lllimfterium fttx}tl 

3d) fag* <5ud>, feb;rt Sud) nid>t an bad ©efdjrei bon be 
@tern>,sti>ung, beitH ifar ©inn dat fein Q4eb,ent, unb bie 3 fillJ( M 
(jot teine Stititunj. 3d) fa^' Gud), roeun bad fDIinifteriutn fterjt, 
fieri* cd aEer bur* una. SDie b«St? 3>ie Oonlll "Dollen ed 
fttrjcn, unb utl$ mid man'd fd)ieben in bie Sdjuljl t)ie Oonfer 



(tin Huge l!eut4et; menu die Didjten, caf] mir bad 3Rinifttrium 
merbrn fterjen, fatten fie |idi nidjt blod berbuitben mit Banfe unb 
©cfcmanie, fsntiin rooren and flttiditltn in bit 'XnW' &4~te ge- 
febtn! CSarum follen Mil fiet(en bad Stciniftciiuin? Saturn? 

^ctr 5djn>etin, tier ^jraf, 
^fl botfj ne66idj gut unft 5ran! 

jh mill renieren bad SonB reflfiiJj, aber 3enne regieien [odd* 
riitUim. Pjb 3enne jid> a fine fd)neioen! 

^erc ^aion> van bt Siitanjen, 
§fl anii tt&i gutt tin (baiijcn! 

3r mill immer tiaficc, uab mir mdllen aud> gerne ntbtn, 
aber ein Stunnen ifl aud> audjufrbBppen, unb do nitd)t metjr n't. 
b,at cer ffaifer fein 9ied>t cerloren. Scjliidj roir abtt tuunfAen 
iu l)aben ju tiiegen ein fiaifei, muifen ibil bod) Jndj fcrgen, bag 
er nifebt oeilieit fein Sfedjt! 

^eit §11(113 boh ^Jemutfi, 
■^Jor &em siefj itfi mein ^Joirtf 

3d) roill meiter nifdjt, aid eaQ er nit audi fell fein ein 
EonfUtf'&tirKibeT, foneern er foil maa)en ber ®ered)tigteit ein 
neues flleib, can fie fid), fann laifeit jetjn bar ale Ceut' unb 
breu4t !■* ni4t ati Irfjjoicnt 

Jam 6eneraf oon ^toon, 
c£ie5t ^dfief nnt> ^anonl 

6of j'n nebbid)! fiber et mill dabm immerBu 'UJiilioti, — bad 
id bitter! Er will tie Stidioncn, unb Tatoro liebt ben ^nf^tag! 
Umgefefcct roar' be|fer! iShtbergerd, b,5ren ©ie gu roenn iHooii' 
feben mjdjt' (ieben ben 3u'* lj d f at bad einige Sei)tfa)(anb, roill 
id) mit fjreuben Qtbcn bie >!!? illicit, itnb fell er gaben aid Sjt- 
mad)ome iSoIbar} 3J?cf(*--(*b*n mein @obn, urm ©iieldje- leben 
meine letter ale XcaKetenbern eagu. unb id) fetbft rorrD' i?anB* 
ftorm, fall mer ©ott ^elfen! 

SItfo, torj con bei Sadjc 6u teeen: QBaBtmanner. feiu ofn 
pollen! Quer 3SaI|tjp!uti) fod fein, bad: 

38ftiijc, blcib' brim SSogra! 

'^agt taft ©tetnb(a(td}e piepen « n o fd)r(ien! Sad ©tern- 
fclaitdjc t'd a ©d)auit! Tad eternblartd) e b« Sorcpt oor Wamtlt. 
fflenn'd 3ternbfaltd)e b,Brt: iBalbcil! tnirc'J bl.in, unb utenn'd 
bott: ScrtljUiann! jZWt an ;u bibbem, unb menn'd aar b,on: 
So^auu Oacoblj! friegt'd L'eibfcpiieiben unb ncd) mcbr! pjftr 
jefeljen! Sie ffl/aimer ban tiefe Xiamen fein- Bra oe ^nner unb 
jlaile 'Utinnet, road bad SOTinifteriom fiiiQen beffer. ati fa)(appe 
paiije'^nje' unb fwiiipelmjiiucr, Dad tjaben bie ©eroctmljeit nid) 
;u cranafln, tenbern roeiobeit mutqi^ jurfnf oor^bc 3on(er unb 
jeften fiw riidTroartd ant cie 3Jlcd)iete inntu — eanb. 'Sarum 
fetne jpampttm.innev, fentem ftjlc 3)rJnner! €ternblat(d)e btauCgt 
fid) nid) jj jndfUu. ftonneti Sie bie Smibttt bon be ^Jofener 
Sueen? feoren ®ic Cu! SJie mat bie 'Jefener Seraerfajajt b,at 
emge^clt ben ftciu'd, b,aben tie reid)e 3uten geb'ilbet eine ©d)ro.i- 
brun ;u '5ie'b' uiib baben fid) oerKe'ibet ale Xerfen unb fcaben 
mit eingebclt. 'Sic a% id aefommen becftBnig. id ju ib^m ran- 
fleritltn bee T3am(d (iutiiidjtr ©tuie'inbt^orltclKr), mad roar ftom. 
raanbant bon be Sdjmabrun, unb bai aefagt ju cem ffiuij: 

S)Iaitftal, ierrf)(ctt 'Sic fidj »ta)t, luit jinb teine icrteu! 
2Pir find ifl|"cnrr Oil Sen! 
Sa %at ber ftonig getadjt uno bat jcfajt: „-7lein, ^ert ©umpef 
3)loiej. id) iirdjte mid) nid)tl" Sllfo loevoen aud) fene Slannr. 
;n'j titrnbljitrtje faaen: .,«ttinbljltd)t, feid)icn Sic )ia> nit! 38** 
lommt an auf tie itemen? aBaloetfjlJepalceif , Sdjufte.TJjpuLie! 
£ufte gefeb^en! Sir Uno teine Xtrteti unb teinc 9iebe£lerd! 2Dir 
efcren unfern (ieben ftonia., ©ott erljjir' ij)n. unb lieben nnfer 
ebrcnljofriiefl SJateilanb unb nnfer braocS 33alt! Stir toerben 
3f)n(n niajt biigen, eiernblattdje!" 

Unb nun jum uod)fuB nod) ein aan; Keiu Sing fang dje! 
5-on'ibtr fein bie Stamen! 
©eioab.(t frin Siberafen! 
Hie Sleaction id gefoppt! 
Tic 'Scrfdjl id gefloppt! 
(Unb fo immecgu Xlacapo.) 



@(fd)ierttii im ««e(b()verlaje it* ©eifaJTerf. Bail Cohufelil, 9tofen^aterftra§e 42. 

OruoT «>n £ Stti 



133. Berliner WahlfiugbLitt von EmJl Cohnfeld. lfrlS 



Wie der hinter der Sau knieende Rabbiner den Kot der Sau verschlingt, so 
ist andererseits die Sau im Begriff einen Haufen Menschenkot zu vers 
schlingen, der vor ihr aufgehauft ist. Das Interessanteste und Wichtigste 
an einer dieser Darstellungen der Judensau. ist jedoch ein Teil der Inschrift 
in der oberen Halfte des Bildes, welche lautet: „Diese Abbildung stehet zu 
Frankfurt am Mayn am Bruckenturm abgemahlt." Darnach hatte man 
also in diesem Kupferstich eine Wiedergabe der oben genannten Frankfurter 
Judensau aus dem Ende des 15. oder dem Anfang des 16. Jahrhunderts, die 
im Original seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts ausgetilgt ist. Da dieser 
Kupferstich gemafi seiner Unterschrift in Frankfurt selbst herausgekommen 
ist, und weil es in dem Text heifit, diese Abbildung der Judensau befinde 
sich noch immer am Frankfurter Bruckenturm, so ist wohl kaum anzuneh* 
men, dafi sich der Kupferstecher prinzipielle Abweichungen von seinem 
Vorbild angemafit hat, und die verstarkte Obszonitat z. B. auf sein Konto 
kame. Das wurde also bedeuten, dafi die ursprungliche Frankfurter Dar* 
stellung der Judensau die derbste von alien ist, die aus der Zeit des 13. bis 
16. Jahrhunderts bekannt sind. (Bild 30.) Die spateste Wiederholung der 
Judensau, die ich gefunden habe, ist ein Kalenderbild aus den ersten Jahren 
des 19. Jahrhunderts. Die Verhohnung beschrankt sich hier darauf, dafi 
die Juden die Milch der Sau trinken (Bild 82). 

Ob mit diesen von mir hier aufgefuhrten und beschriebenen Dar« 
stellungen der Judensau samtliche genannt sind, die als fl.iegende Blatter 
oder als Textillustrationen herauskamen, bezweifle ich sehr. Ich bin in der 
Literatur hin und wieder auf Bemerkungen gestofien, die auch noch auf 
andere Variationen hindeuten. Aber ich habe mich bei der Anfuhrung auf 
jene Darstellungen beschrankt, von denen es mir gelungen ist, die betreffens 
den Blatter auch im Original aufzufinden. (Vgl. auch Bild 58). 

Da ich alle diese hier beschriebenen graphischen Darstellungen der 
Judensau nicht nur mehrfach in der Literatur erwahnt fand, sondern oben* 
drein von den Stichen aus dem 18. Jahrhundert im Laufe der Jahre mehs 
rere Exemplare zu sehen bekam, so ist auch dadurch ausreichend bewiesen, 
dafi die Darstellung der Judensau dauernd das Allgemeininteresse in An* 
spruch nahm, d. h. dafi dieses Motiv mindestens vier Jahrhunderte hindurch 
als wichtigstes satirisches Kampfmittel gegen die Juden diente. 

Wenn man dies alles im ganzen uberblickt, was ich iiber die Juden* 

128 




Mi l.i lul H<.n,;>.l. 



Habts Acht ! AViimts eurh zusam flasche In ! mer kiiiiim zml geheit vor uusern 
Kiimaiidanten sein Haus ! RegimeiiUtremler ! sclilog ein ! (rum! bum! tium! 



Beila£r iu Eduard Fuchs, .Dtcjudtii in dcr Kjrilutur* 



Wiener Karikatur auf die Emancipation dcr Juden. 1S4S 



Albert Linjtn, Muncbcn 







^.j.~/£s £~..<~A 



-/r-/~./j-~" T 



/. r v. 



V/~ 






'- £/*.Jt~ -& &l~,—.<4. — •fc*- 



Humoristisch=satirischer Antrag auf Aufhebung des Verbotes vom SchweinefleischgenuB 

durch die Juden 

13*. Frankfurter Karikatur IS48 



sau als offizielle, offentlichste und weitestverbreitete aller Judenkarikaturen 
hier vorgebracht habe, so mufi man schlieClich dahin kommen, als zusam* 
menfassende Schlufifolgerung zu sagen: Wie mit einem grellen Schlaglicht 
ist durch diese satirische Symbolisierung des Judentums die ganze trostlose 
gesellschaftliche Stellung der Juden innerhalb Europas beleuchtet. Wenn es 
die satirische Kritik wagen durf te, nicht etwa blofi einzelne miCratene und 
darum mifiliebige Individuen einer bestimmten Bevolkerungsschicht derart 
zu infamieren, sondern deren uneingeschrankte Gesamtheit in immer er* 
neuten Wiederholungen auf diese zynische Weise dem offentlichen Spott 
auszulief ern, so beweist dies drastischer und unwiderleglicher als alles andere, 
daft diese ganze Volksschicht fur jedermann bis zu einem weiten Grad als 



Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



17 



129 




Mvfcs. MJichaits^Ur Crlmidjt? hut, linaSiflcr ijcrr ? was hebts Waits 
hnaJiflflcr Jjtrr ©raf? 

CSraf. Ijcutc wirt in 3mtral«n cm 3u6t anb rill tifcl ucrbrannt. 
ittafcs. fiut, tafi met 3aibc net ba fcin, hnftbigrr tjerr'. 



Freiwild gait. Der Be« 
griff, daCder Jude eigents 
lich auch ein Mensch 
sei, war damit fur jene 
Zeiten fast ausgeloscht. 
Aber auch noch ein 
anderer Gesichtspunkt 
muC bei der Bewertung 
der Judensau erwahnt 
werden. Und dieser ist: 
Wenn die Gestaltung 
dieses Motives auch zu 
den obszonsten Motiven 
der ganzen Geschichte 
der Karikatur zahlt, so 
muC man andererseits 
doch mit derselben 
Deutlichkeit hervorhe* 
ben, dafi es sich in dies 
sem Motiv aufierdem 
um eine Karikatur ganz 
grofien Stiles handelt. 
Es ist wahrhaft weltge* 
schichtlicher Hohn in 



135. Friedricb Happel. Dusscldorfer Monatshefte. 1851 

monumentalster Gestaltung, der uns aus diesem Motiv entgegentritt 



Der judische Wucherer. Die samtlichen antijudischen Karikaturen 
des 15. und 16. Jahrhunderts bleiben sowohl an Kuhnheit der Idee, an 
Brutalitat des Spottes als auch an Kraft der kunstlerischen Gestaltung ziem« 
lich weit hinter dem grofien Holztafeldruck „Die Judensau" zuruck, mit 
dem die Judenkarikatur ihren Einzug in die graphische Karikatur und die 
graphische Karikatur ihren wurdigen Einzug in die Geschichte hielt. Aber 
damit ist nur ein Verhaltnis ausgedruckt. Sofern man die spateren, die 
nachfolgenden Judenkarikaturen des 15. und 16. Jahrhunderts am Durch* 



130 



schnitt der volkstumlichen Holzschnittkarikaturen ihrer Epoche miflt, muli 
man ebenso unumiwunden anerkennen, daC sie in jeder Weise auf der* 
selben allgemeinen hohen Stufe stehen, die die populare Kunst damals 
einnahm, und die in ihrem neuen Ausdrucksmittel , dem Holzschnitt, 
einen Teil des Herrlichsten schuf, was jemals als Volkskunst den breiten 
Massen diente. Selbstverstandlich fehlt den samtlichen Judenkarikaturen 
der Renaissance jede Kompliziertheit der Idee, weil diese eben der ganzen 
Zeit fehlte. Mit den einfachsten Mitteln wird der einfachste satirische 
Gedanke ausgedruckt. Nur etwas umstandlich sind die meisten dieser 
Karikaturen; denn die Umstandlichkeit im Vortrag einer jeden Sache ist 
ebenfalls ein Hauptwesenszug jener Zeit. Weil jedermann Zeit hatte, eine 
lange Predigt anzuhoren, so verknupfte man mit allem eine lange Pre* 
digt. Und darum sind zahlreiche dieser Karikaturen mit langen erlautern* 
den Texten, in Reimen oder in Prosa, oder in beiden Formen zugleich, ver* 
sehen. Der knappe pointierte Witz, der eine ganze Situation durch ein ein* 
ziges Wort oder durch eine bestimmte konzentrierte Geste jah und bis in 
den letzten Winkel aufhellend beleuchtet, diese Form, der wir heute in der 
Satire den Vorzug geben, ist erst eine Er* 
rungenschaft viel spaterer Zeiten. ;. . 

Der augenfalligste Wesensunterschied 
zwischen der Karikatur „Die Judensau" 
und den nach ihr kommenden Judenkari* 
katuren ist im 15. bis 18. Jahrhundert zuerst 
ein stoff licher. Wahrend sich die Judensau 
sozusagen gegen die Juden als Gesamtbe* 
griff wendet, ist die ubergrofie Mehrzahl 
aller anderen Karikaturen dieser Jahrhun* 
derte nur gegen irgendeine der Tatigkeiten 
gerichtet, durch die die Juden ihren christ* 
lichen Zeitgenossen mehr oder minder un* 
sympatischwaren.. Unter diesen Tatigkeiten 
steht selbstverstandlich der judische Wucher 
obenan. 

Die Mehrzahl dieser gegen den Wucher 
der Juden gerichteten Karikaturen bedarf 




„Wai geschrieen, Joel, was hast de ge= 

macht mit dein Bart?!" 
„As mer doch soil wern emancipiert am 

ganzen Laib, hob' derweil emancipiert 

mei Gesicht!" — 



136. Dfisseldorfer Monatshefte. 1848 

17* 



131 



im Einzelnen keiner besonderen Erklarung. Man findet diese in ausrei* 
chender Weise auf den Bildern selbst, die, wie gesagt, in jenen Zeiten fast 
immer mit einem erlauternden Text versehen wurden. Sehr oft beschrankt 
sich die satirische Absicht dieser Bilder uberhaupt auf diesen erlauternden 
Text. An dem kleinen Nurnberger Holzschnitt vom Jahre 1491 (Bild 14) 
erkennt man gewifi sofort, dafi hier ein Bauer und hinter ihm ein Stadter 
zum wuchernden Juden „zinsen kommen". Aber zur Satire wird diese 
Darstellung erst durch den beigefugten langen Text, der darin pointiert, 
dafl es die Christen den Juden ermoglichen, „ohne alle Arbeit mit ganzer 
Faulheit sich zu nahren". Das Bild „Der Jud", das der Bilderfolge „Die 
Stande" von Jost Amman entstammt, ist an sich nur insofern karikaturistisch, 
als der judische Typ bei der hier versammelten Judengemeinschaft deuts 
lich hervorgehoben ist. Aber vom gewollten Sinn erkennt man aus der 
Zeichnung nichts; es konnte sich um irgendeine beliebige Disputation 
zwischen Juden untereinander handeln. Erst durch den Text erfahrt man, 
dafi damit die mitleidslos wuchernden Juden satirisiert werden sollen 
(Bild 19). Im Zusammenhang mit dieser Darstellung sei auch auf den Geld* 
narren aus derselben Bilderfolge „Die Stande" verwiesen. Hier handelt es 
sich nicht direkt um eine Karikatur auf die Juden, sondern vielmehr um 
eine Karikatur auf jene Christen, die es den Juden im Wuchern gleichtun. 
Das nannte man damals „mit dem JudenspieC laufen" (Bild 22). Da den 

Christen, wie ich im 3. Kapitel 
anfuhrte, das Wuchern, d. h. 
das Zinsnehmen, verboten war, 
ubten sie . dieses verlockende 
Geschaft meist heimlich. Die* 
ses heimliche Wuchern der 
Christen satirisiert sehr derb ei« 
ne Broschure „Der JudenspieC 
bin ich genannt" aus StraCburg 
vom Jahre 1541. AufdemTitel 
heifit es iiber das vom Vers 
fasser verfolgte Ziel: „Von 
grofien Juden ich sagen will, 
Die Schad dem Land tun in der 




91a, ©intue, irarvui gribft nid) ipijirrtn in ie m remit rridwen™ S fln * f" n(n Dbtnt* 
,iEne ii'U id) sod] gtifn icitjittn, 115 id) bed) fdjen fpijinrti?" 



137. F. Schroder. Diisseldorf cr Monatshefte. 1850 



132 




Crfjmrml*. 

„9[o id)'(! ant'iub un liiS cd tic Stunt midjiaufc, fpai id) tod) fiif[e^n Srcuijcr." 
138.. Karl Rittet. DilsseMorfcr Monatshefte. 1S50 

Still". Diese grofien Juden sind zumeist Christen, die noch hohere Prozente 
nehmen als die Juden (Bild 13). 

Ein klassisches Beispiel fur die Umstandlichkeit, mit der man im 
15. Jahrhundert eine satirische Moral vortrug, ist ein grofier Holztafeldruck 
gegen den judischen Wucher, der als Fliegendes Blatt verbreitet wurde 
und wohl nur wenige Jahre spater als der Holztafeldruck „Die Judensau" 
erschienen sein durfte. Auf diesem Fliegenden Blatt kommt die beige* 
fugte Illustration erst in zweiter Linie. Das Wichtigste ist der (ebenfalls in 
Holz geschnittene) Text, in dem umstandlich nachgewiesen wird, wieviel 
der christliche Borger dem judischen Darleiher im Laufe der Jahre fur einen 
einzigen entlehnten Gulden entrichten mull. Die satirische Moral des Ganzen 
lautet: „Der Jud stellt seine Sinne Nacht und Tag, Wie er den Christen 
verderben mag". Aber nicht nur einen deutschen Text, sondern zugleich 
auch noch einen langen lateinischen Text ahnlichen Inhalts bietet dieses 
einzigartige Flugblatt gegen den Judenwucher. An diesem lateinischen 
Text erkennt man, dafi es in erster Linie an die Gebildeten gerichtet war. 
(Siehe Beilage neben S. 16.) 

133 



Im 16.Jahrhundertentstand 
eine Form des Satirisierens einer 
Sache, die schliefilich noch deut= 
licher die damalige Umstand* 
lichkeit im Vortrage einer satiric 
schen Moral demonstriert. Es 
ist das Motiv ,,von der Juden 
Badstub". Dieses Motiv kniipft 
an den damaligen allgemeinen 
Gebrauch der Badestuben. In 
den Badestuben, die jedermann 
von Zeit zu Zeit auf suchte, wird 
man gewaschen, gestriegelt, ge* 
zwackt, geknetet, geschropf t us w., 
damitdie samtlichen schadlichen 
Stoffe aus dem Korper durch die 
Kiinste des Baders ausgeschieden 
werden. An diese gewifi sehr 
hygienische Tugend kniipfte die 
Satire mehrfach an, um in der 
verschiedenf achen Tatigkeit des 
Baders irgendeinen umstand* 
lichen Vorgang aus dem offents 
lichen Leben zu symbolisieren. 
Und so wurde auf diese Weise auch das gesamte Tun und Treiben der Ju= 
den, vornehmlich der jiidische Wucher, satirisch symbolisiert. Diese Sym? 
boliken nannte man „der Juden Badstub." Bald warbeidiesen Darstellungen 
der Text (Bild 12), bald die bildliche Illustration des Vorganges die Haupt* 
sache. Jedenfalls verzichtete man niemals auf das Bild. Mit gutem Grund, 
denn das Bild ist immer die Sprache der Analphabeten gewesen. Wo die 
grofie Mehrheit der Bevolkerung zu den Analphabeten zahlt, haben nicht* 
illustrierte Flugschriften immer nur auf sehr eng begrenzte Kreise gewirkt, 
und bis tief ins 17. Jahrhundert gehorte die grofie Masse der Bevolkerung 
zu den Analphabeten. Wer deshalb z. B. den Text an der grofien Bilder* 
folge „Der Juden Badstub" (Bild 24—41), die wohl eine der popularsten 




— „Hcrsch! wcnn ich dich sch, is mer als wcnn ich seh 
nc game Jagd. Hersch hciBte, in der Jagerslrafie 
wohnste, wie'n Fuchs sichste aus und c Hund bist de." 

— Vi'ai mir! Bin ich e Hund, bin ich doch nicht dcin 
Hund, jonst war ich ja en Scbweinehiind." 

Untcr Glaubcnsgcnosscn 

159. L. Knjut Dassddorfcr Monit?Keft« 



134 



der damaligen Flugschriften ge« 
gen die Juden darstellte, nicht 
lesen konnte, der konnte sich 
den satirischen Gedanken auch 
aus den Bildern herausbuchsta* 
bieren. Denn deren Symbolik 
war eine den meisten gelaufige 
Sprache. Die Vorgange in der 
Badstube kannte jeder aus per; 
sonlichem Erleben; und dafi es 
Juden sind, die hier in der Rolle 
des Baders tatig sind, das sah 
man auf den ersten Blick an dem 
sogenannten Judenring, den das 
mals jeder Jude an seiner KleU 
dung tragen mufite. 

Daft die Briefmaler des 16. 
Jahrhunderts — so nannte man 
damals auch die Karikaturisten ; 
denn einen Brief, eine Zeitung 
wollten sie mit ihren Bildwers 
ken in die Welt hinaussenden 
— mit ihren satirischen Einblatt 5 
drucken oder Fliegenden Blats - 

tern zumeist an alle Schichten der Bevolkerung sich wandten, also nicht nur 
an begrenzte Kreise, das unterliegt schon deshalb keinem Zweifel, wei) sie 
es sehr oft direkt an die Spitze einer Flugschrift schrieben, daft sie ,,An 
Alle" gerichtet ist. Ein Flugblatt, das sich gegen „Die Schalkheit" der 
Juden, also gegen ihre Unredlichkeit und Durchtriebenheit in alien Gelds 
sachen richtete, und in dem der Jude Josel von Rosheim sozuzagen zum 
Wortfuhrer dieser jiidischen Schalkheit gemacht wird, beginnt mit den 
Worten: „H6rt ihr Herren allgemein, Arm, reich, grofi und klein" (Bild 
11). Beziiglich dieses Juden Josel, genannt Gosel, der auf diesem Flugblatt 
in eigener Person dargestellt wird, und zwar wie er mit dem Talmud und 
einem vollen Geldbeutel in den Handen vor einer Saule mit dem goldenen 




Attc, ich hab dich cingckauft in de Btgribniikisse 
fur 2 Thaler, nu kannst de nauslahrc. wenn dc ges 
storbc bist 

Au wai, seind se doch » eggeworftn de 2 Thaler, de 
waillt ja, da(4 ich's t'ahren nit vertragen kann. 



135 



Kalb steht, mag erwahnt sein, daft er in Wirklichkeit wahrscheinlich eine 
sehr achtbare Personlichkeit war. Er gait wahrend der ersten Halfte des 
16. Jahrhunderts gewissermaCen als das Oberhaupt der deutschen Judens 
schaft und hat unter seinen Volksgenossen energisch gegen deren MiC« 
brauche beim Wucher usw. gepredigt. Weil er aber gleichzeitig fur seine 
Volksgenossen eintrat, so wurden die Angriffe, die den Juden als Typus 
galten, eben auch auf ihn ausgedehnt. 

Im Zeitalter des entwickelten furstlichen Absolutismus, also von der 
Mitte des 17. Jahrhunderts an, wurden die Dinge wesentlich anders. In dies 
ser Zeit hatte das niedere Volk bekanntlich rein gar nichts mehr zu sagen. 
Ganz von selbst wandte sich deshalb die Karikatur von nun ab auch aus* 
schlieClich an die besitzenden, d. h. an die regierenden Klassen. Diese 
Tatsache wird schon ganz deutlichdurch die veranderte Technik belegt, die 
jetzt bei den meisten Karikaturen zur Anwendung kam. Der Kupferstich, 
der in dieser Zeit zumeist an die Stelle des immer mehr verschwindenden 
und darum auch sichtlich verkommenden Holzschnittes trat, ist ein erheb* 
lich teureres Verfahren und lafit auch nur wesentlich kleinere Auflagen zu. 
Aber auch die Verschiebung im Stoff lichen belegt die veranderte Situation, 
dafi der Karikaturist mit seinen Wirkungen jetzt vorwiegend auf die oberen 
Kreise der damaligen Gesellschaft rechnet. Dafi der Bauer und der kleine 
Handwerker sein Hab und Gut durch den Judenwucher verlor, war zwar 

nach wie vor in gleicher Weise der Fall, 
aber es interessierte die sogenannte offents 
liche Meinung nicht mehr in dem Mafie 
wie fruher. Umso mehr interessiert jetzt, 
wie der Jude gegenuber dem ihm Geld 
schuldigen Adligen am Verfallstag auf 
seinem Schein beharrt; oder wie er die* 
sem selbst das Hemd vom Leibe zieht, 
weil er die schuldigen Zinsen nicht be* 
zahlen kann. Solche Situationen zeigen 
mit Vorliebe die Karikaturen, die im 18. 
Jahrhundert auf den Wucher der Juden 
gezeichnet werden. Belege hierfur sind 
das Kartenblatt „Der Jude" (Bild 55) und 



2luf bciu ^awpjbooti 




,,'3\e bie Sluljlf burfen'S nicht nchmen, Dai iinbftojuicni'liiijfc." — 

„ft o 3ubeit'£lul}[? ! — iDotiim tin bes Iq jubtn.Sulfjl '.? ! — jo^r 

id| bod) Jd gui rcit'ii 2Iubrtr — m oru m jon'^ fo 3ubEn=Slut|l?" — 



HI. Fliegende Blattet 



136 



Hai ifr eitel? 




.3S<a' 3Jl<mfd|[L iwnn jtjt in ben Grocrn btin thl Scultl 
not Ocjb (age unb btut Sabbath, nixt. murbtjl tj ibu £*;fn 
btin GtjeJ auiijtttn obrt Itrgtn la]]tn ? ' 

.Sits ip OT;S (11(1. 3m ©robm li((it (tin Stutri, uns 
brute i(l n-;$t SajatoeS." 

142. Fliegcnde Blatter. 1850 



die kunstlerisch ausgezeichnete Radierung von 
Reinhard aus dem Jahre 1785: „Die kritische 
Viertelstunde des Rabelais", die uns zwei ty* 
pische Hebraer zeigt, von denen der eine einem 
ihnen begegnenden Adligen den vermutlich 
langst verfallenen Schuldschein vorweist (Bild 
59). Da ubrigens der leichtlebige Hofadel des 
Ancien Regime immer in Geldnoten sich be* 
fand, so war er freilich auch jetzt ein sehr haufi* 
ger Kunde des Geldjuden. Andererseits machte 
der judische Wucherer besonders gern mit dem 

Adel Geschafte. Hier liefien sich die hochsten 

Zinsen nehmen. Der junge Adelssprofi, der in 

Saus und Braus lebte, wollte doch in Allem 

Gentleman sein, also handelte er gar nicht lange, wenn der Jude eine hohe 

Zinsforderung stellte. Die Hauptsache war ihm, das gewunschte Geld zu 

bekommen. Fur den geldleihenden Juden boten sich beim Adel auCerdem 

mannigfache Sicherheiten fur das zu leihende Kapital, wie sie nirgends 

sonstwo so grofi und so vorteilhaft waren: Grundbesitz, Verwandtschaft, 

alter Adel, der verpflichtet ist, unter alien Umstanden einen Skandal zu 

vermeiden, usw. Je mehr aber die Umwandlung des Landadels zum Hof* 

adel vor sich ging, und je haufiger der 

Adel vom Land nach der Stadt zog — und 

das war der vom Ausgang des 17. Jahrhun* 

derts an sich vollziehende wirtschaftliche 

Prozefi, — um so notiger und in um so 

grofierem Umfange brauchte er bar Geld. 

Der geldbedurftige Hofadel war im 18. Jahr* 

hundert uberall eine typische Erscheinung, 

vor allem aber in Frankreich und in Eng* 

land. Den klaren Spiegel dieser wirtschaft* 

lichen Umwandlung sehen wir in der Jus 

denkarikatur der beiden Lander dieser Zeit, 

vornehmlich in der Englands, wo infolge 

der groCeren burgerlichen Freiheiten die 



See Unteteidjt. 




Fuchs. Die Juden in der Kariltatur 



(itaoirrtrnrer. „3ir iinb nidjt aufiHccliam , flirr itcfK (in 
^Idltrl unb 3ie ucbiutn ei:i l JMerlel." 

5?otrr (im .Dinirrgninb) ,.(!ton,l inriitr 91atuT. loartnii foil iie 
nemrnt u ?Idiicl. lueitn iie Innn anionic n ^iettelV!" 

143. Fliegende Blatter 

18 



137 




— Herr Baron, der Bub stiehlt Ihnen Ihr Sacktuch! 

— Lassen sen geihn, mer hab'n aach klein angefangen. 

144. Borsenspekulanten. Fliegende Blatter. 1851 

Karikatur damals eine Rolle spielte, wie.nirgends sonstwo und wie kaum 
friiher einmal in der Welt. Der jenige englische Karikaturist, der die meisten 
derartigen Karikaturen zeichnete, war der geniale Thomas Rowlandson, der 
besser als alle anderen, weil aus eigenster Erfahrung, diese Zustande kannte. 
Rowlandson lebte und verkehrte selbst in den Kreisen des lebenslustigen 
englischen Adels, der kein hoheres Lebensziel kannte, als seinen Besitz 
und seine Krafte mit Sport, Spiel und Weibern zu vergeuden. In die* 
sen Kreisen war der geldleihende Jude ein oft erbetener Gast, und so 
schrieb Rowlandson in seinen Bildern nur die von ihm erlebte Wirklichs 
keit ab (Bild 66). Rowlandson kannte die Juden in alien ihren besonderen 
Typen aufs Genaueste. Er kannte den Kleiderjuden, der um eine zerrissene 
Hose schachert (Bild 63), so genau wie den judischen Elegant, der zu 
geizig ist, sich mehr als zwei Hemden zu kaufen, und der deshalb das eine 
Hemd immer sofort zur Wasche tragen mufi, sowie er es mit dem anderen 
vertauscht hatte (Bild 68). Er kannte die judischen Borsenbesucher, die 
ununterbrochen ihre Kombinationen iiber die Konjunktur diskutierten 
(Bild 65), und er kannte ebensogut den charakteristischen Typ des Borsen* 
maklers, dem auch mancher seiner adligen Kneipkumpane heimlich einen 
Borsenauftrag gab, sei es, um eine gunstige Situation zu nutzen, oder um 
sich durch ein erfolgreiches Differenzgeschaft aus dem „Schlamassel" zu 

138 



retten. (Siehe Beilage neben S. VIII). Er kannte aber auch das intime 
Leben Salomons; das war der Name eines grofien Londoner Bankhauses 
und zugleich der Sammelname fur den geldleihenden Juden in jenen Krei* 
sen. Rowlandson wufite — zum mindesten behauptete er es — , daft sich 
Salomon und seine Kollegen von derWucherzunft hin und wieder im stillen 
Hinterzimmer seines Geschaftslokals am Dukes Place an dem Genufi eines 
gebratenen und bekanntlich gar nicht koscheren Spanferkels gutlich taten 
(Bild 67), und er wufite weiter, dafi Salomon alles andere, nur kein Vers 
achter von prallem und frischem Christenfleisch war, wenn es ihm in Ge« 
stalt von liebesbereiten Christenmadchen gegen honette Bezahlung zur Vers 
fugung stand. (Bild 69). Mit der satirischen Offenbarung dieser Intimitaten 
quittierte Rowlandson die hohen Zinsen, die er selbst so manches Mai an 
den Salomon zahlen mufite, wenn er beim Spiel mehr verloren, als ihm 
seine Kunst eingetragen hatte. 

Weil die Geldleihe und damit die Rolle der Juden in der damaligen 
englischen Gesellschaft eine so hervorstechende ist, so begegnen wir dem 
Juden in jener Zeitnaturlich bei alien englischen Karikaturisten, wenn auch 
nicht so haufig wie bei Rowlandson. Hogarth satirisiert den als Wucherer 
bekannten Bankier Salomon in dem zweiten Blatt seiner beruhmten Serie 
„Der Weg der Buhlerin" 
— Salomon ist bei Ho* 
garth der durch einen 
jungeren Hausfreund du* 
pierte zahlende Liebha« 
ber. Isaac Cruicshanc, 
Bobins, Newton, Wood* 
ward und alle, die sich 
damals in der englischen 
Karikaturdergesellschaft= 
lichen Satire widmeten, 
zeichneten den judischen 
Wucherer, den judischen 



Geizhals, den Borsianer, „ , . . , „, -, , * , , 

,,'jftili! .prritf)! fua to fj&ri ter Slmiqcl. -oat tr tow jept ptmcn ficljn am Ccr So^t roic a 
den ilidischen Madchen* 3"l"*<- a StyttV — 9lw iratum [ell cr nit (wire a 359"- m "« « *<■* p*rf*l*6r in sitt all trni 

J Cajiilii'tc taB ci nit fann a'trc fenij eljnc 3d$cr. — 

handler usw. (Bild 61, HJ . Dasstldorfec MonM5hefM . IS5 , 




139 



62, 70, 72 und die Beilagen „Die Londoner Borse beim Eintreff en schlechter 
Nachrichten". Neben'S. 56 u. 64.) — 

Die Geldleihe ist immer die direkteste Form des judischen Wuchers 
gewesen. Aber es ist diejenige Form des Wuchers, unter der immer nur 
vereinzelte Personen oder Familien zu leiden haben. Ein freilich nur sehr 
bedingt richtiges Sprichwort lautet: „Wer spart, halt sich den Juden vom 
Hals", das soil heifkn: der Sparer braucht sich kein Geld beim judischen 
Wucherer zu leihen, und kommt darum nicht in des Teufels Kuche, wie ein 
anderes Sprichwort sagt. Aber es gab fruher noch eine andere Form des 
judischen Wuchers, der sich niemand entziehen konnte, der jeden Einzels 
nen in die Krallen der Juden brachte, und das war der Wucher mit Lebens* 
mitteln, vorwiegend der mit Getreide. Zum Handel mit Korn wurde der 
Jude durch die aufieren U mstande seines Lebens gelenkt. Die gerade um jene 
Zeit von den stadtischen Obrigkeiten gegen die Juden erlassenen Wohnungs- 
beschrankungen und Verbote vertrieben die Juden in immer haufigeren 

Fallen von der Stadt auf das 
Land. Tausende von Juden 
mufiten in die Dorfer ziehen, 
weil sie in der Stadt nicht mehr 
wohnen durften. So entstanden 
die bekannten zahlreichen Jus 
dendorfer. Damit aber kam das 
flache Land ganzautomatischin 
immer grofterem Umfang in die 
Hande der Juden. Indem aber 
der Jude das flache Land mate* 
riell beherrschte, beherrschte er 
durch seine Preisfestsetzungen 
auch die Stadt. Als Trager des 
mobilen Kapitals auf das flache 
Land geschleudert, wurde er 

— Salomon, Salomon! muB nicht dein Schandwucher, sofort Und dauemd ZUm Selbsts 
9 Prozent zu nehmen, selbst den lieben Gott argers , - n- i i i i. 

Hch machen? - verstandlichen und unausschalts 

— Was wird er wcrden argerlich, sieht doch die 9 von baren Vermittler der Handelss 
oben gesehen grad aus wie a 6. — 

146. h. *i««r. Da SS eido,f e r Monahhefte beziehungen zwischen Dorf und 




140 




147. Hey<kn. Geschaf tsfreundk. 1859 

Stadt, und umgekehrt. Diese Rolle wurde von urn so grofierer Bedeutung, 
als sich damals auch die immer schroffere Scheidung der Stadt vom Dorf 
vollzog. In der Stadt nahm die Zahl der Ackerburger ab; die Stadt wurde 
in immer bescheidenerem Matte Selbstversorger. und ihre Lebensmittel; 
bediirfnisse wurden immer mehr auf dem Wege des Handels gedeckt. Da 
dieser aber ganz in den Handen der Juden lag, so war damit die gesamte 
stadtische Bevolkerung in den Handen der Juden. Die Stadter wurden 
mit ihren eigenen Waffen verpriigelt. Der Jude als alles aufkaufender 
Handler konnte die landlichen Produkte zu den Terminen an die Stadt 
weiter verkaufen und liefern, die seinen Interessen entsprachen, und er 
konnte bis zu einem gewissen Grade auch solche Preise fordem. die ihm 



141 




2o;nru* Sounitod. „£a§ mir raei Snub mit bcinr 
Gentimentelititott, flXdrbt!- 

Stmolio Sojenitod. .23fnn bu flrtiltetl tmf idf fitbif. 
lotnn bu ror mir jirbltcit loif id) dot bir firrjlc. Jriioilt bn 
mtbr ficfjlcn ots bu ficbr.fr. tnuili bo bu o6« nid)t netiril roie 
id) pc^l uiib nid)t dot mil pebtit ro i ( id) dot bii fifbt . biff 
bu nid)I Tontb. ba 6 id) dot bir fitbi. roaS id) uor bir fittjl.' 



148. Fliegende blatter 



*"*"'«> "•••■ «'«»»«■* pafiten. Diese Situation machte den Kornhandel 

ohne weiteres zum Kornwucher. Der Jude 
hielt, soweit es irgend ging, mit dem Verkauf 
des Getreides immer so lange zuruck, bis ein 
starkes Bedurfnis in den Stadten vorhanden war, 
denn dann konnte er stets die hochsten Preise 
erzielen. Dem Bauern dagegen kaufte er sehr 
oft das Getreide schon ab, wenn es noch auf 
dem Halme stand, und dann eben billiger, weil 
der Bauer in den meisten Fallen Geld brauchte 
und damit nicht bis zur Ernte warten konnte. 

In jenen Zeiten, wo es im Kornhandel noch 
keinen iiber ganze Lander, geschweige denn iiber 
die ganze Welt ausgedehnten Handel gab, und 
wo man infolgedessen nicht ohne weiteres den Ausfall des einen Gebietes 
durch den Oberflufi des andern ausgleichen konnte, mufite eine solche Situa* 
tion bei dem naturlichen Wechsel in dem jeweiligen Ernteertrag schon in 
normalen Zeiten zu haufigen Storungen in der Ernahrung fuhren, und vor 
allem zu manigf achen Preisschwankungen. In den Jahren einer Mifiernte 
mufite es geradezu zu schweren Hungersnoten kommen. Wenn nun ein 

solcher Fall eintrat, so erblickte die Bevol* 
kerung in den Kornhandel treibenden Jus 
den stets die Hauptschuldigen, wenn nicht 
gar die Alleinschuldigen ihrer Note. Die 
Grunde, womit die gegen die Juden erho* 
benen Anklagen gestutzt wurden, lagen 
auf der Hand. Man sah, dafi die Korn* 
handel treibenden Juden die Schwierig* 
keiten der Ernahrung so viel als sie konn* 
ten zu ihrem Vorteil nutzten, dafi sie mit 
ihren Vorraten so lang als moglich zuruck« 
hielten, dafi sie ihre Getreidespeicher nicht 
selten erst im letzten Augenblick offheten, 
und dafi hierdurch die Preise immer mehr 
in die Hohe gingen. Das nach Brot 



Seljr ipaljrjrficiuiicij. 




.Urn Sergrbung, room) id) [lure, gnnbigr 3rou 
lid) loobl nod) uieiner enuncru id) fjfiBe fDtoicr 

,3)lein 4H cr, id) geflrbe ojjen . bob id) mid) ,11001 uid)t 
auf 3hie 'CbDtiogHoiiiic rnifinne, abrr es liirimil mil sot, ais 
f)d!i' id) 3bTen Stamen idlon entiuni grbort " 



14-9. Fliegende Blatter 



142 



schreiende Volk erkannte in dieser Methode selbstverstandlich nicht das 

Gesetz des Kapitalismus, der immer in dieser Weise verfahrt, und um kein 

Haarbreit anders, wenn er in den Handen von Christen sich auswirkt. 

Weil es dieses Gesetz nicht erkannte, so stempelte es den Kornjuden 

zum individuellen Verbrecher an der Gesamtheit. Und dementsprechend 

formulierte es seine Anklagen gegen ihn. Da das Volk unter dem Korn* 

wucher tatsachlich in seiner Gesamtheit und am schwersten zu leiden hatte, 

so zahlten die satirischen Anklagen gegen den Kornwucher der Juden zu 

den heftigsten und zugleich zu den haufigsten, die gegen die Juden erhoben 

wurden. Immer und immer wieder und in alien Landern begegnet man 

ihnen. Der wuchernde Kornjude, der dem Volk das Korn wegschleppt, 

oder der wie ein Teufel auf den Kornsacken sitzt, ist eine stereotype Figur 

in der Judenkarikatur. Der Teufel als Symbol alles Schlechten ist auch in 

diesem Fall des Juden steter Bundesgenosse: der Teufel lenkt die Gaule an 

den mit Kornsacken beladenen Wagen, auf 

denen der Jude das Getreide von den Bauern 

abholt; der Teufel schaufelt das gehamsterte 

Getreide in die Speicher der Juden; der Teufel 

leitet aber auch das Fuhrwerk, mit dem der 

wuchernde Jude in rasendem Tempo direkt 

in des Teufels Rachen kutschiert. Auf diese 

Weise charakterisiert und geiCelt die Karika* 

tur den judischen Kornwucher. Da der Jude 

aber nicht nur mit Korn, mit Weizen, Roggen, 

Hafer und Gerste wuchert, sondern auch mit 

Wein und Branntwein, „aller Wein des Landes 

muli in der Juden Fall und durch der Juden 

Fall", so wird er zumeist als Korn* und Wein* 

jud zugleich angegriffen. In dieser Gestalt 

zeigt ihn das Blatt „Der Geiz* und Wucher* 

spiegel" (Bild 44) und die grofie Beilage „Der 

Korn* und Weinjud", von der im Laufe des 

17. Jahrhunderts mehrere Variationen erschie* 

nen sind (neben S. 32). Was das durch Klar* 

heit, Einfachheit und Pragnanz sich auszeich* 




Vivat Ordnung und Freiheit! 
Und MarzsErrungenschaft. — 
So sing i allewei, seit 
I bin in der Gesellschaft! 



Schnadahiipfeln 

150. Flicgende Blatter. 1851 



143 



nende 16. Jahrhundert in einem halben Dutzend verschiedener Karikaturen 
den Massen demonstriert hatte, das vereinigt das 17. Jahrhundert, wie 
man an diesen Proben sieht, in einem einzigen Blatt. Es ist nicht mehr alles 
in einem einzigen Symbol gefafit, sondern in Dutzende verteilt, sodafi ein 
Fliegendes Blatt, wie das vom Korn* und Weinjuden, zu einem ausfuhr* 
lichen Kommentar alles judischen Handelns und Treibens wird. Was dem 
Karikaturisten iiber die Juden irgendwie einfallt, wird in Form einer 
zeichnerischen Glosse in solch ein Bild hineingepackt: Der judische Geiz, 
die judische Hartherzigkeit, die judische Unehrlichkeit, der judische Wucher 
in alien Formen usw. Da die kurtstlerische Potenz in Deutschland um jene 
Zeit fast ganz erloschen und die Kraft zu groCstiliger Pragung erlahmt 
war, so verdTangte das bildlich4iterarische vollkommen alles plastisch 
Anschauliche. Freilich wird man wohl auch sagen mussen, dafi diese Form 
des Vortrags die propagandistische Wirkung der Karikatur wahrscheinlich 
sehr eindringlich machte. An solchen Blattern, in denen wir die erste Form 
der spateren volkstumlichen Bilderbogen vor uns haben, konnte der ein« 
faltige Sinn des Volkes immer wieder von neuem herumspintisieren; sie 
boten ihm stets irgendeine neue Anregung, und darum wurde die Zeit 
nicht miide, dieselben Blatter immer wieder von neuem herauszugeben. 



Der judische Kipper und Wipper. Ich habe im dritten Kapitel 
nachgewiesen, wie der Jude infolge seines grofieren Reichtums an Barmitteln 
und noch mehr infolge seiner besonderen intellektuellen Fahigkeiten fur 
alle Gebiete der Geldwirtschaft allmahlich zur herrschenden Finanzmacht 
emporgestiegen ist. Diese Tatsache fand ihrenaufieren Ausdruck zuerst durch 
diebesondershaufige Verpachtung von furstlichen, bischof lichen und stadti* 
schenMunzstatten an die Juden. Selbstverstandlich war damit dem skrupel* 
losesten Egoismus und einer ununterbrochenen Ausplunderung der Volks* 
massen Tur und Tor geoffnet. Freilich nicht etwa blofi deshalb, weil diese 
Munzstatten vorwiegend an die Juden verpachtet wurden, sondern weil 
uberhaupt die Geldauspragung aus einem behordlichen zu einem privaten 
Unternehmen gemacht wurde, bei dem die amtliche Kontrolle nur ganz 
ungenugend sein konnte, und bei dem man uberhaupt gar nicht strenge 
sein wollte. Die grofite Gefahrlichkeit dieses Betriebes, die seine Wirkung 

144 




Der wandernde Ewige Jude 

FarbiRer liolzsclmiit von Gustive Doic. 1S52 




„Jud, dir kuckt der Spitzbub aus dem 

Gesicht." 
,,Mai, hab l ich doch nicht gewufit, d-iti 

mein Gesicht ein Spiegel war." 

151. H. Ritter. Diisseldorfer Monatshefte 



schliefilich zu einer katastrophalen fur 

die gesamte Volkswirtschaft machte, be* 

stand jedoch darin, dafi die Verpachter 

der Munzstatten an ihre Pachter Forde* 

rungen stellten, die an sich schon nichts 

anderes als ein glatter Betrug auf Kosten 

der Taschen des Volkes waren. Die 

privaten Munzmeister sollten das Geld 

strecken! Sie sollten durch immer groGe* 

ren Zusatz von Kupfer bei den Silber* 

munzen die seitherigen Munzen gerings 

wertiger auspragen, sie sollten aus einer 

alten vollwertigen Munze vier, fiinf, ja 

bis zehn neue — zum gleichen Werte her« 

stellen. Auf diese Weise glaubten und 

hofften im 17. Jahrhundert die Munzherren, Fursten und Stadte aus ihren 

besonders im DreiCigjahrigen Kriege immer grofier werdenden Geldkalamis 

taten herauszukommen. Die Banknote und die Notenpresse gab es damals 

noch nicht, also konnte man noch nicht mit den Mitteln „arbeiten", wie es 

seit dem Weltkriege in alien europaischen Staaten geschieht. Aber das schliefi* 

liche Resultat war damals dasselbe wie heute: der vollige Zusammenbruch 

der Geldwirtschaft. 

Wer die systematische Munzverschlechterung in dieser Form urspriing* 
lich erfunden hat, ob ein schlauer judischer Ratgeber oder ein in schweren 
Geldnoten brodelnder christlichsfrommer Landesvater, steht bis heute nicht 
fest, wohl aber steht die Tatsache fest, daft diese Methode bereits sehr aus* 
giebig von einer Reihe Fursten gehandhabt wurde, noch bevor sie ihre 
Munzstatten an diejuden verpachtet hatten. Die erste Funktion derjuden 
bei diesem Geldverwasserungsprozefi bestand darin, das alte vollwertige 
Geld zusammenzuholen, und das neue minderwertige in Kurs zu bringen. 
Selbstverstandlich konnte hierfur uberhaupt niemand anders in Frage 
kommen, als die Juden, da diese nicht nur die grofiten Bargeldbesitzer, 
sondern auCerdem in alien Landern seit Jahrhunderten die privilegierten 
Wechsler waren. Als die Munzherren zu der Uberzeugung kamen, daft 
sie bei dieser Gaunerei im grofien ein noch viel besseres Geschaft machen, 



Fuchs, Die juden in der Karikatur 



145 



Ser "J'Jjie ©ef)utt§tag ber ©rofiimitter. 




HBinu flit roerb pari, metnc Setten, fcin ©ic ubtcjcogt, tD«b* id} unmodjcn b«©tabt en Sfopitdtcbc Don 100,000 ©ulbcu." 

1S2. Karikatur auf Rothschild. Fliegende Blatter 

wenn sie auch den technischen Betrieb der Umpragung in die Hande von 
Privatpersonen und vor allem in die von Juden legten, fafiten sie alle der 
Reihe nach diesen heroischen Entschlufi, ihre Untertanen auf diese fur ihre 
furstlicheTasche lohnendste Weise zu prellen. Wie rentabel diese Prellereien 
fur manche Fursten waren, erweist die eine positive Zahl, daft die Wiener 
Juden, denen die kaiserliche Munzstatte verpachtet war, im Jahre 1618 dem 
Kaiser blofi die kleine Summe von wochentlich — 19000 Gulden ab« 
liefern mufiten. Das durften nach heutigem Geldwerte ungefahr eine viertel 
bis eine drittel Million Goldmark gewesen sein. 

Um solche und ahnliche Summen wurden die getreuen Volker von 
ihren vaterlichen Fursten und Obrigkeiten jahrzehntelang bestohlen — bis 
der Zusammenbruch da war. Zuerst begriffen die Massen den Betrug 
naturlich nicht, weil sie damals noch weniger als heute eine Ahnung von 
den Zusammenhangen und den Gesetzen der Geldwirtschaft hatten. Man 
freute sich im Gegenteil daruber, daft man plotzlich so viel mehr Geld 
hatte; genau wie heute. Als aber die unkorrigierbaren Gesetze der Wirt* 
schaft eines Tages mit ihrer furchterlichen ehernen Logik auftrumpften und 
dem Volke zeigten, dafi sein Besitz sich in Nichts aufgelost hatte, daft es 

146 



Sent tSexbieufte feitte kronen. 



Teufelsgold, d. h. Teufelsdreck besafi, wie man das entwertete Geld nannte, 

da gingen die emporten Volksmassen — nicht etwa hin und jagten die 

grofien furstlichen Auftraggeber und obersten Nutzniefier der Geldvers 

schlechterung mitsamt ihrer liederlichen Politik zum Teufel, sondern sie 

schimpften wie ublich morderlich uber die Juden, was viel verlockender, 

weil ganzlich ungefahrlich war. Es entstand die grofie Literatur uber die 

judischen Kipper und Wipper, in der man seinen gerechten Zorn leider 

nach der ziemlich falschen Seite austobte. Mit dem Schimpfwort „Kipper 

und Wipper" wollte man die Juden als die betrugerischen Benutzer der 

Geldwage kennzeichnen. Mansagte: Siekippen und wippenbeim Abwagen 

des Geldes so geschickt, dafi sich die Schale der Geldwage immer zu ihren 

Gunsten senkt. Nicht weniger wutend als man einst uber die judischen 

Wucherer geschimpft hatte, schimpfte man jetzt uber die Kipper und Wip« 

per. Die Karikaturen, die uns Zeugnis von dieser allgemeinen und sehr 

lange wahrenden Volkswut ablegen, ahneln inhaltlich und technisch volls 

kommen denen auf die Korns und Wein« 

juden; denn sie stammen ja ausnahmslos aus 

derselben Zeit: der ersten Halfte des 17. Jahr« 

hunderts. Die Satire bedient sich also auch 

hier ausschlieClich einer umstandlichen Sym« 

bolik, die fur uns nur zeitgenossisches Inter* 

esse hat. Ein typisches Beispiel dieser Karika* 

turen ist der Kupferstich „Der judische Kipper 

und Aufwechsler" (Bild 46). Die satirische 

Moral tritt in alien diesen Blattern, wie da« 

mals ublich, in einem religiosen Gewande 

auf. Der Teufel, der Engel des Guten, die 

Verkorperung des Geizes, der Gerechtigkeit, 

der Unersattlichkeit usw. sind die stereotypen 

und durftigen Requisiten der Symbolik, die 

man bei den verschiedenen Karikaturen nur 

verschieden gruppiert sieht. Da die Geldver« 

schlechterung die gesamte Existenz der Massen 

auf lange hinaus gefahrdete und die Erholung 

nur sehr langsam sich vollzog, so wurde des 




23ei6 ©ott, Salomon, tjafte nidjt befommen Dor Seine 
ferdjlertidje Hufopftrung Dot gerjl unb 3kter!anb en' Stem? 
— is jet^n ^Seijent §ail S)e ni^t betomme ben Xitel oon 
e ©ocoun? t>ajl 3}e getnunne nod) 15 <perjenll SSarum 
lottp be nit adt b,aifcn 5>roptietoit=3nt|abec Don e Regiment 
Don be Keiterei? U 20 ipetjent! — 38 Solomon Stolen - 
jtueig gfRieger. ojn faafunDerj'g 'Jlerjenll!" 



153. Fljegenck- Blatter 
19* 



147 



Kippers und Wippers ebensolang in der Karikatur auch dann gedacht, 
wenn man irgend eine andere Seite der judischen Geschaftstatigkeit kari* 
kierte. Und da man es damals liebte, wie ich oben sagte, in eine Karikatur 
alles hineinzupacken, was einem Nachteiliges iiber den zu Karikierenden 
gerade einfiel, so finder man auch in den zahlreichen anderen Karikaturen 
jener Epoche Einschiebsel, die sich auf den judischen „Kipper und Wipper" 
beziehen. (Vgl. auch die Beilage „Der Korn* und Weinjude" neben S. 32.) 



Der Hofjude. Die Institution des Hofjuden, des personlichen Finanz* 
vertrauensmannes des regierenden Fursten, die ihre hochste Bluteim 18. Jahr* 
hundert erlangte, so dafi es um jene Zeit nur sehr wenige europaische Hofe 
ohne einen oder mehrere Hofjuden gab, hat bei dem Volke immer Haf? 
und Feindschaft ausgelost. Diese Feindschaft war an sich schon in dem 
Widerwillen der Volker gegen das absolute Regiment begrundet, dessen 
wichtigster Handlanger der Hofjude war. Dazu gesellte sich, daf? — wie 
immer — auch in diesem Fall der Vollstrecker mehr gehafit wird als der 
Urheber. Was im Wesen des furstlichen Absolutismus von vornherein 
begrundet ist: willkurliche Steuererhebung, Munzverschlechterung, Amter* 
verkauf, Dienstwucher und ahnliche finanzpolitische Gaunereien, alles das 
wurde zumeist den jeweiligen Hofjuden von der Offentlichkeit als person* 
liche Schuld angerechnet, wahrend sie doch immer nur die Erfuller der 

Wunsche ihrer Brotherren waren. Womit 
naturlich nicht bestritten ist, daft die Hof« 
juden bei der Erfullung der ihnen uberwie« 
senen Aufgabe, die furstliche Hofkasse 
tagtaglich aufzufullen, in fast alien Fallen 
auch der Fullung der eigenen Kasse nicht 
vergafien, sondern dieses mit grofitem Eifer 
und mit immer glanzendem Erfolg taten. 
e«.«i. f«* w vmtt a, ? «ft a.i«at e .s«™»! Freilich: gerade das letztere sahen die 

unb Pa fdjju Ijcr, H'.is id; erfjaiicelt Ijoo for a |a)oiic3 blucfuje O 

■in ten nb! 
G<iroIj. ^Jfiii Samuft, lua3 madjflSu far ©cfpaH? Sic 
;ift S)u JjcimfcliJigcu foldjc Sum pen? 
SoiuiicI, 23ie Ijaiijl Sivmptn? 3<J) Jag' Sir ©ara^ 

[*I .""*' "'f"; *>'". »*" 6 «i"»J>™pn. t»«, s <6e,; m achtiger und reicher wurde, daf? er sich eine 

o orodjuve , Idas xiirtjUjinri£{t bie flouje SiifttcrBiiutio, ° 

ist. Funsch. Miinch.n grofie Dienerschaft und prachtige Karossen 

148 




*' 1 '" E! Massen. Denn das war ja das Augenfalligste 

r™*, »„ t™ t ,i„ s .„ i*s«p..! f ar sie> d a ^ <} er Hofjude von Tag zu Tag 




Die Borse oder die Knute! 

155. Honort Daumier. Karikatur auf die Brandschatzucg der russischen Juden durch Nikolaus I. 1855 



hielt, dafl er sich die schonsten Palaste kaufte, prunkvolle Feste gab, und 
dafi niemand zu einem Posten und zu seinem Recht kam, der nicht den 
Beistand des Hofjuden zu erringen vermochte. Oder in einem Vergleich: 
das Volk in seiner Masse, das damals sehr wenig oder meistens uberhaupt 
nicht an die dem System entspringenden Zusammenhange dachte, sah in 
erster Linie den, der das Metzgerhandwerk an ihm auszuuben hatte, und 
das war in der Finanzwirtschaft der Hofjude. Und deshalb fluchten sie ihm 
und machten ihn zum mindesten fur die jeweiligen Methoden ihrer Aus« 
wucherung verantwortlich. 

Diese uberall gleiche Stimmung der Bevolkerung gegenuber den Hofs 
juden zeitigte zahlreiche Karikaturen und literarische Satiren auf sie. Da 

149 



f~ 



-"* 



©c&iditc imb<Sd)crje iu ifl&tfdjcrSftiiiibnrt, 

SlfaS ten tytttttlafimeu Japicrcn 
MB 

Slathmi STuIp en t^af, 

^hnfjrliaArr o. P. 




k- 



.. 93S&J 

t).Vn?rl <3il*«tfl# m (burin =c&F!r. jrtldicEainJ UnrerliftliJUil urn « t tSdidci 
iir m ^bejitis ttcat'fiUTii, nj*tufcnB:j 

^■CTdnfdlo ocrlicr* mcr bic llbr nifdjr!" 

jtrcijj 2 1 /., <£ilbcr<trtf]"d>cn. 

(CSnotD plod). 

Qirms: 2. SiilTori! 53ird>luiiblijn;j. 

fflr ur nlttatc ?!r. 5 in 3«:in. 



aber die Hofjuden in jedem Lande all; 
machtig waren, und vor allem in der 
Justiz ihr gefugigstes Werkzeug be* 
safien — denn Richterstellen konnte 
man gemafl des Amterverkaufs damals 
haufig nur durch sie erlangen — , so war 
ein offentlicher Angriff ihrer Person 
oder ihrer Tatigkeit ebenso gefahrlich 
und deshalb auch ebenso selten, wie 
ein solcher Angriff auf den regierenden 
Fursten. Was darum an gezeichneten 
oder literarischen Pamphleten gegen 
die Hofjuden gemacht wurde, konnte 
nur heimlich erscheinen, und das meiste 
kursierte sogar nur handschriftlich. 
Aus diesem Grunde sind auch die 
meisten dieser Produkte fast restlos vers 
lorengegangen, so dafi man von ihrer 
ehemaligen Existenz nur aus verein« 
zelten zeitgenossischen Berichten in Briefen und Tagebuchern etwas erfahrt. 
Offentlich und durch den Druck konnten solche Angriffe im gunstigsten 
Falle nur nach dem etwaigen Sturz eines Hofjuden herauskommen. Dieser 
Fall lag bei dem beruhmtesten aller Hofjuden vor, bei dem Juden Sufi* 
Oppenheimer, dem vielverlasterten Hofjuden des Herzogs Karl Alexander 
von Wiirttemberg. SuC^Oppenheimer war sicher kein Musterbild der Ehr* 
lichkeit und der selbstlosen Aufopferung im Dienste seines schwabischen 
Herrn. Er hat als geheimer Finanzrat die eigenen Taschen reichlich gcfullt, 
und er hat die ihm verliehene Macht weidlich miCbraucht zu Gunsten 
seiner eigenen Interessen. Auch sein sittlicher Lebenswandel war nicht 
gerade vorbildlich. Er liebte die schwelgerischen Freuden der TafeL, er 
liebte die Genusse der Venus, auch wenn die Spenderinnen nicht koscher 
waren; er liebte den Luxus in jeder Gestalt und ganz besonders in alien 
Formen des offentlichen Auftretens. Wenn er ausfuhr, so geschah dies stets 
im kostbaren Galawagen und begleitet von Vorreitern und zahlreicher 
Dienerschaft Sein Machtgefuhl veranlaCte ihn, von alledem der Offent* 



156. Titelblatt einer Berliner Anekdotensammlung 



150 



hi 

©ebidjte unb Sdjerje in jiibifdjerSWunbart. 

JV? 3. 



Scfjmod? 2Itf»tje^n. 




^3r- 



S ftrei3 2 V 3 gilbctfltpfcfrcn. 
(£Buar£i filed). 

in 3) (din, 3tst«ilta&e i. 



lichkeit nichts zu verheimlichen. Also 

alles in allem: der Jud Sufi war kein 

Mustermensch und kein Musterjud. 

Sein endliches Schicksal, dafi er nach 

dem plotzlichen Tod Karl Alexanders 

verhaftet, nach ..peinlicher" Unter« 

suchung zum Tod verurteilt, und aller 

Welt zum Spott in einem eisernen 

Kafig an einem eisernen Galgen auf 

einer Anhohe vor Stuttgart aufge* 

henkt wurde, braucht als solches die 

Nachwelt nicht mehr aufzuregen. Und 

trotzdem gibt es kein gemeineres 

Zeugnis fur die Engstirnigkeit und 

politische Charakterlosigkeit der das 

maligen Burgerkanaille, als die Flut 

von Schmahungen, die iiber den Juden 

Sufi bei seinem Sturz im Jahre 1737 

und noch lange nachher ausgegossen 

wurde. Alles was der Jude Sufi „verbrochen" hat, die Gaunerei bei der 

Munzpragung, den Amterschacher, die willkurliche und brutale Steuer* 

erhebung, die schweren Mifibrauche der Justiz usw. — alles war in letzter 

Instanz herzoglicher „Wunsch". Wenn der Jude Sufi durch diese Methoden 

auch in schamloser Weise die eigenen Taschen fullte, so flofi der Hauptteil 

des Raubes doch in die Kasse des mehr als skrupellosen herzoglichen Lan« 

desvaters, des Duodez«Despotchens Karl Alexander, der in seiner schwabi* 

schen Tolpelhaftigkeit den franzosischen Sonnenkonig kopieren wollte, und 

der fur seine aberwitzigen Soldatenspielereien nie genug Geld von Sufi her* 

beigeschafft bekommen konnte. Und gegen diesen Musterdespoten sagte 

der sogenannte ..ehrliche Volkszorn" kein Wort. Er gait nach wie vor als 

der wurdige, brave Landesvater, der einzig von dem schlechten Judenkerl 

umgarnt und mifibraucht worden war. Freilich, um selbst einen toten Lan« 

desvater anzugreifen, hatte es „Burgerstolz vor Konigsthronen" bedurft; 

denn die furstliche Verwandtschaft hat dem Volke gegenuber immer Soli* 

daritatsgefuhl bewiesen, auch wenn ihr, wie in diesem Falle, der Verstor* 



157. Titclblatt einer Berliner AoekdoteosammluDg 



151 



bene tot sympathischer als 
lebendig war. Zum mafiloses 
sten Angriff gegen den aufge* 
henkten Judenhund bedurfte 
es aber keines Mutes, also be* 
tatigte ihn der Burger um so 
stoker. Die schwabische Re; 
gierung, vertreten durch die 
verwitwete Herzogin, wufite 
andererseits sehr wohl, was 
sie tat, wenn sie, wie es hiefi, 
..gerechterweise" zuliefi, dafi 
sich der Volkszorn nicht nur 
bildlich und literarisch an dem 
toten Juden Sufi austobte, 
sondern dafi er sich aufierdem 
an alien seinen Stuttgarter 
Glaubensgenossen mit den 
Fausten giitlich tun durfte. 
Auf diese Weise hatte man die 
sichere Gewahr, dafi die auf* 
gespeicherte Volkswut restlos verrauchte, und dafi die herzogliche Mit« 
verantwortlichkeit an dem jahrelangen Erpresserregiment in Wiirttemberg 
ganzlich aus dem Spiel blieb. Es war die alte Methode, weshalb man die 
Juden fur die Siinden der Regierenden extra hatte erfinden miissen, wenn 
sie das historische Schicksal uns nicht sowieso auf unsern Weg gefuhrt hatte. 
Von den verschiedenen satirischen Darstellungen, die sich an den Sturz 
des Hof juden Sufi kniipften, erfuhr die typographische Anordnung eines 
Spottgedichtes in der Figur des Galgens mit dem Kafig, in dem Sufi zur 
Schau aufgehenkt wurde, die starkste Verbreitung (Bild 53). Des weiteren 
sind neben seinem karikierten Portrat auch mehrere Spottmiinzen gepragt 
worden, von denen die eine ebenfalls den eigenartigen eisernen Galgen zeigt 
(Bild 51). Auf diese Spottmiinzen komme ich in einem spateren Kapitel, 
das speziell den Spottmiinzen auf die Juden gewidmet ist, naher zu sprechen. 




Salomon und Rebckka im Griincn 

158 Berliner Karikrtir 



152 




[)is Jun>;ste Gericht endt-t seine Qualen 

Der Ewige Jude 

Kranziisischcr Ilolzschnitt von Gustave Dort. 1856 



Bridge tu FdmrJ Fuihs, .Die Juden in der Karik ilur' 



Alt*H Lucre, Mflncfcm 




Der Jude als Soldat. Von den *>" * K " sd,mn<t - 

Tugenden, die man dem Juden immer 
absprach, steht an erster Stelle der 
personliche Mut gegenuber korper* 
lichen Gefahren. Man beschimpfte 
ihn ebenso oft als feig und behauptete : 
jeder Jude huldige mehr oder we* 
niger dem in seiner Richtigkeit gewifi 
nicht zu bestreitenden Satz: „M6g« 
lichst weit vom Schufl ist der Vor* 
sicht bester Teil". Und weiter sagte 
und witzelte man: „der Jude konne 
uberhaupt das Schiefien nicht ertra* 
gen". Wie weit diese Charakteristik 
zutriff t, ist eine noch unentschiedene 
Frage. Dafl es eine Form des Mutes 
gibt, die viel bewundernswerter ist 
als der hochste physische Mut, brau« 
che ich hier nicht erst zu beweisen. 159. staub«. FHe gt nd t Biateec 

Was dagegen nicht unangebracht ist, hier hervorzuheben , ist die Tat* 
sache, dafi physischer Mut bis zu einem gewissen Grad ein Gefuhl des 
individuellen SelbstbewuCtseins voraussetzt. Wer sich absolut recht* und 
schutzlos weifi, ist an sich ganz naturgemaC mutlos. Er ist jedenfalls eher 
f rech als mutig. Auf diese Weise erklart sich auch die sogenannte judische 
„Chuzbe", die alles in sich birgt, was Mut sein konnte, aber doch eine ins 
Niedrige sich senkende Abart des Mutes ist. Weil der wirkliche, der stolze 
Mut, als Massenerscheinung ein Gefuhl des individuellen Selbstbewufitseins 
voraussetzt, darum liefie sich wahrscheinlich zum mindesten das eine er* 
weisen, dafi namlich heute der physische Mut der Juden ein ungleich 
grofierer sein diirf te als zu Zeiten ihrer volligen burgerlichen Rechtlosig* 
keit. Oder was ein allgemeiner und nicht nur hinsichtlich der Juden sehr 
beachtlicher Gesichtspunkt ist, dafi nicht nur der physische Mut, sondern 
jede Art Mutstets im selben Verhaltnis positiv oder negativ ist, in dem das 
Einzelindividuum, eine Klasse, oder eine ganze Volksschicht iiber das Recht 
auf Selbstbewufitsein im Rahmen der Allgemeinheit verfugt. 



„§n«n Sie. iSaron, Dljre JJrau Qtmaljltn tragi Oa eintn Edjmmf. 
raie idj in 5J)aii3 unb Conbon [eintn jdjoniren jal) !" 

„!Rtd)t Ijnb'n ji, ^ittt ©raf ; rtijt Ijab'n [e. unb loaS bte ^auptjad) 
tS — mein' JJrau. bit Saionin jitfjt'n an im 3ubr jroitmal, oieQeidjl aad) 
breimal, unb toft' il)t oQentat jtdjjefjnhmi&ttt Gtulben, io*nn met brrtd). 
net bie $rojent flit's Sapital/ toaS id) §ab' gegebrn fur Oie Sraner '" 



Fuchs, Die Juden id der Karikatui 



20 



153 




Vorgethan und nachbcdacht hat manchen urn Geld und Gut gcbiacht 

160. Kixikitur luf die Mitlkidilosigkeir det jadi xhen Wuchcrcr 



An sich entspricht dem Oberwiegen des Intellektualismus bei einem 
Individuum ganz von selbst ein naturlicher Abscheu gegen alle physischen 
Formen der Beweisfiihrung und darum auch ein Ausweichen, wenn es zu 
solchen zu kommen droht. Da die Juden, wie ich weiter oben nachge* 
wiesen habe, in ihrer Gesamtheit unbedingt intellektualistischer sind als 
z. B. wir Nordlander, so wiirde dem auch ein allgemeiner Abscheu gegen* 
iiber alien gewalttatigen Handlungen entsprechen. Dieser Schlufif olgerung 
stehen jedoch zahlreiche verbiirgte Beobachtungen des Weltkrieges und der 
Revolution entgegen. Diese beweisen, dafi Tausende von Juden dieselbe 
Summe personlichen Mutes gegeniiber physischen Gefahren aufbrachten 
wie ihre nichtjiidischen Kameraden. Von hervorstechenden Einzelbeispielen 
seien nur die folgenden genannt. Die russischen Rotarmisten behaupten, 
dafi es in der ganzen Sow jetarmee keinen mutigeren Soldaten gabe als ihren 
jiidischen Oberbefehlshaber Trotzki. Auch von dem ungarischen Juden 
Bela Khun steht es fest, dafi erein iiberaus kiihner Heerfuhrer ist. Der sows 

154 



jetistische Generalstab hat ihn wahrend des Burgerkrieges mehrfach an 
solche Stellen kommandiert, wo vom personlichen Mute des Fuhrers und 
seiner Kuhnheit die Rettung aus der groCten Gefahr abhing. Unter diesen 
Umstanden ware also der starkere Intellektualismus jedenfalls nicht ohne 
weiteres mit physischer Feigheit zu iibersetzen. Denn bei einem Mann wie 
Trotzki wurde sich mit hochstem physischen Mut der hochste Intellektua* 
lismus paaren; selten hat sich ein Staatsmann geistig beherrschender era 
wiesen als Trotzki in BresbLitowsk. Wenn es auCerdem wahr sein sollte, 
was die Antisemiten so fest behaupten: dafi der kuhne napoleonische Ge« 
neral Massena ein Jude gewesen ist, und ursprunglich Manasse hiefi, so ware 
schon durch diese wenigen Beispiele hinreichend erwiesen, dafi kuhnes, zur 
Selbstaufopferung bereites Heldentum nicht unbedingt die christliche Ge* 
burt voraussetzt. 

Aber es gibt sicher auch sehr viel Falle, wo in diesem Punkte der Schein 
unbedingt gegen die Juden spricht. Und da die Karikatur, wenn sie im 
Dienst einer Tendenz steht, gar nicht gerecht sein will, so nimmt sie stets 
den Schein fur die Wirklichkeit, wenn dieser Schein in ihr Programm pafit. 
Das erklart die zahlreichen Karikaturen auf die angeblich typische Feigheit 
der Juden und vor allem auf die angeblich besonders typische Scheu der 
Juden vor dem Soldatwerden. Zu solchen Karikaturen kam es zuerst im 
18. Jahrhundert und anscheinend am fruhesten in Osterreich, weil dort die 
Juden zuerst zum Militardienst gezwungen 
wurden und das sich Loskaufen vom Militar* 
dienst aufgehoben worden war. Die besten 
dieser osterreichischen Karikaturen auf die 
Juden als Soldaten stammen von dem da* 
mals popularsten Wiener Karikaturisten, dem 
Kupferstecher Johann Loschenkohl. Sie sind 
sehr amusant, vor allem der grofie Stich, den 
ich als Beilage gebe. Zum besseren Vers 
standnis sind diese Stiche stets mit Versen 
versehen. Bei Bild 57 sind diese sogar die 
Hauptsache. Da die grofie franzosische Re* 
volution unter der Gleichberechtigung, die 
sie den Juden verlieh, selbstverstandlich auch 



SBerfiner Storie. 



gtgtttn, anl Han&se.dur. 




161. Bremse, Munchet 

20* 



155 



die Pflicht zum Militardienst verstand und da manche franzosische Juden 
auf diese Beigabe lieber verzichtet hatten, so entstanden in der franzosischen 
Revolution einige Karikaturen auf den Juif als Soldat contre cceur. Auf der 
einen sieht man einen Juden, wie er mit der einen Hand begehrlich nach 
dem Burgerbrief greift, den ihm die Republik uberreicht, mit der anderen 
Hand aber weist er gleichzeitig ganz angstlich eine Muskete von sich, die 
ihm zugleich mit dem Burgerbrief ubergeben werden soil. In Deutschland 
kam es in den zwanziger unddreifiigerjahren des verflossenenjahrhunderts 
zu einer ganzen Legion von Karikaturen auf den Widerwillen der Juden 
gegen den Militardienst. Einige der besten gebe ich in den Bildern 103—106. 
Da ich im weiteren Verlauf dieses Buches nicht mehr in einem geson* 
derten Abschnitt auf den Juden als Soldaten zu sprechen komme, so mochte 
ich schon an dieser Stelle bemerken, dafi unter den zahllosen Witzblatt* 
illustrationen der internationalen Witzblattpresse des 19. und 20. Jahrhun* 
derts ebenfalls sehr haufig das Motiv vom Juden im Militardienst in alien 
moglichen Variationen wiederkehrt. 



^n fiie [jmnffurttT San^irinS, H>cld)( in tylqt ocr 
Sf!|anblung btr ©rati fid) Jut 3IusrcanGentnc) <nt[dj!c|j(n, CT: 
fl«bfn tic Dtt[4ifteniUn Slnerbiftimani. Dif(tr unbjcufr |ubb(ut[d)e 
Stoat fud;t fie !,ii fidj b<n"ibcrju;ir!jcn. 




Sdjroabt. _^u wig mujje ©' tomme, £>errle, bet Un3 
fjmfdjt gieitjcit uiib a g'orbneter 3ne|tanb. ©tuttgarbt i§ q 
iounberid;on'3 ©rouftdblle unb a guetc Gamebie ill au' bort, 
locnn ©' a Jreunb ballon fin'. 

Scntr. atj, loaS tbun ©' benn £ei bit ©djroab'n? 9tad) 
Sjanmt mii&en ©' gtlwn, n:enn Sie '§ ydjon fiabeu tttotieu. 
Sa is '§ nod) toon" 3 u *" n fd)ted)t 'gauga. Jur Sbiirn 
gibt'3 teinen anbtm Drt at§ Tiundjen. Gin neucr (Jifd)= 
biuitnen, etnt auSgcjeidjiltfe „^fritonerin* / teintll Qatfen* 
ilvcidj mc()T unb bie 3ad)au§fc$r auf 8 lage rcbucirt, brr 
STuFeitlTiatl is jc&t tinjig 

162. Punsch. Miinchen. 1868 



Aufier diesen in der Karikatur immer 
oder wenigstens mehrfach und in den vers 
schiedensten Zeiten und Landern wieder* 
kehrenden Motiven gibt es naturlich auch 
solche, die man nur vereinzelt findet, weil 
sie sich an ein spezielles Ereignis, oder was 
dasselbe ist, an eine ganz bestimmte Person 
knupfen. 

Der damals in alien Landern verbreitete 
Brauch, auffallige Naturereignisse, Mifige« 
burten, absonderliche Sitten eines fernen 
Landes und vor allem verubte Verbrechen 
bildlich darzustellen und diese Dinge dann, 
mit entsprechendem Text versehep, in der 
Form von Fliegenden Blattern auf Markten 
und Gassen zu verbreiten, — dieser Brauch 
wurde auch gegenuber den Juden weidlich 



156 




2Bie tit 3ubcn in liei gjlollwu oerfoljt mreben. 



ausgeniitzt. So haben wir Abbildungen 3»ta»«fot 3 un 3 cn o 

iiber Judenverbrennungen im Mittels 

alter, iiber die mannigfachen Juden* 

ausweisungen, wie z. B. aus Rotten* 

burg (Bild 18), aus Wien, aus Prag, aus 

Frankfurt, iiber den Fettmilchaufstand 

in Frankfurt, iiber seltsame judische 

Gebrauche usw. Kam schon bei den 

meisten dieser Darstellungen (Bild 81) 

die Satire auch zum Wort, sei es durch hamische Bemerkungen im Begleits 

text, sei es durch irgendeine zeichnerische Unterstreichung des judischen 

Benehmens, so wurde der satirische Charakter fast immer uberwiegend, 

wenn es sich um die Bekanntgabe irgendeines judischen Verbrechens han* 

delte. Dasjenige judische Verbrechen, das die Flugblattliteratur am meisten 

und dauernd befruchtet hat, ist der angebliche Ritualmord an dem Knab* 

lein Simon von Trient im Jahre 1475. Wie ich schon friiher erwahnte, ist 

langst erwiesen, dafi es sich bei dem Tod dieses Knaben weder um einen 

Ritualmord, noch uberhaupt um einen von den Juden begangenen Mord 

gehandelt hat, sondern einfach um einen Unglucksfall (die Leiche des zu* 

fallig ertrunkenen Knaben blieb im Flusse vor dem Hause eines Juden 

hangen), den der skrupellose JudenhaC raffiniert miCbrauchte, um die Ge* 

muter zu allgemeinen Judenverfolgungen zu entflammen. Dieser Erfolg 

trat leider nur zu oft ein, und kaum ein anderes Bild hat so oft die soge= 

nannten .Judenschlager" auf die Beine 

gebracht, die fanatisiert von Ort zu 

Ortzogen, um dieWucherer zu strafen t 

denen es aber vielmehr um Plunderung 

der vermogenden Juden und um die 

Vernichtung der in ihren Handen be* 

findlichen Schuldscheine zu tun war. 

Die typische bildliche Darstellung des 

Knaben bemerkt man sehr oft auch im 

Rahmen anderer Karikaturen; so sehen 

wir sie als letztes Bild in der Bilder* Unl) Bie „,„„ flc in ^^ mi acrlilI ocrfl)l8t . 

folge „Der Juden Badstub" (Bild 41) 163 „. m . Punseh , Mailchen . 1868 



neunse^nten 3 (l ?) t % un ' ,evt - 




157 




165. Alter Jude. lOrikitur vcu> Alphonse L*vy. 1871 

und ebenso auf den verschiedenen Frankfurter Karikaturen von der 
Frankfurter Judensau; anscheinend war es auch auf dem Urbild der 
Frankfurter Judensau am Frankfurter Briickenturm angebracht. Die Dar« 
stellung des angeblich Trientiner Knabenmordes bekam durch den beis 
gefiigten Text sehr haufig eine satirische Note. Das gleiche gilt von den 
verschiedenen Darstellungen iiber die zahlreichen, den Juden zur Last ge» 
legten Hostienschandungen. Die am haufigsten erwahnte und auch satirisch 
dargestellte Hostienschandung ist die zu Sternberg in Pommern im Jahre 
1492. Ich gebe hier das karikaturistisch behandelte Titelbild einer solchen 
Schilderung (Bild 10). Auch durch diese Schilderungen mit ihren hand* 
greiflichen Darstellungen des angeblichen Vorganges sollte der latente 
Judenhafi zu entsprechenden Taten auf geputscht werden. Dal? es auch in 
diesem Fall bei den entsprechenden Voraussetzungen mitunter zu den ge« 



158 



wunschten Folgen kam, ist ohne weiteres glaubhaft; denn eine Hostiens 
schandung wiirde selbst heute noch fur ein strengglaubiges christliches Ge= 
mut zu den furchtbarsten Verbrechen gehoren. Das ist in seinen Augen 
ja nichts Geringeres als ein direktes korperliches Attentat auf Jesum 
Christum. Im 15. Jahrhundert gab es in der Vorstellung der Glaubigen — 
und das war die gesamte Christenheit — wohl uberhaupt kein todeswurdi« 
geres Verbrechen. Wenn einem Karikaturisten friiher also nichts Aktuelles 
einfiel, so brauchte er nur eine solche Legende, denn das war es in den 
meisten Fallen, wieder aufzuwarmen, um des Erfolges sicher zu sein. 

Neben den satirischen Flugblattern, die an diese alle Welt interessierens 
den Motive anknupften, traten naturlich jene an Bedeutung sehr weit zu« 
ruck, die die Entlarvung oder Bestrafung irgendeines diebischen oder sonst* 
wie verbrecherischen Juden zum Gegenstand haben. Ein solches ist z. B. 
das Flugblatt auf den diebischen Juden Amschel vom Jahre 1671 (Bild 49). 
Ein ahnliches satirisches. Flugblatt erschien im Jahre 1740 auf den Juden 
Isaac Nathan Ischerlen zu Ansbach, der wegen umfangreicher Betruge* 
reien in dem genannten Jahr in Ansbach verhaftet wurde, und nun im 
Kerker in Ketten geschmiedet sein Todesurteil erwartet. Der Zeichner 
satirisiert den in seinem Kerker schmachtenden Juden, wie ihm der Teufel 
in der Gestalt eines feuerumlohten Schweines erscheint, das in der einen 
Klaue einen Geldsack (die Symbolisierung des ergaunerten Gutes) und in 
der anderen einen eisernen Schurhaken halt, an dem der eiserne Kafig mit 
dem darin eingeschlossenen Juden Sufi 
baumelt. Auf diese Weise prophezeit der 
Teufel dem armen Missetater das eigene 
bevorstehende Schicksal. Die Karikatur des 
Nathan Hirschl in Prag soil ebenfalls die 
Karikatur eines betrugerischen Juden sein 
(Bild 43). In dem karikaturistischen Kupfer 
von Jakob Homburg, der einen in einem 
Buche lesenden alten Juden darstellt, sind 
die Juden durch den beigefugten Text so 
geschildert, dafi ihr samtliches Denken und 
Forschen uberhaupt nur dem Betrug diene, 
um sie darin erfolgreicher zu machen: „Ich 







Der Schiichterne 

166. Wiener Karikatur von Klic 



159 



alter ehrlicher Schmuhl, Sitze hier auf meinem Stuhl, Ohr in meinem 
Buch, Dafi mir glucke der Betrug". (Bild 54.) Das sind einige wenige 
Beispiele fur diese Kategorie. 

In dieselbe Kategorie gehoren naturlich auch jene Karikaturen allge* 
meinen Charakters, auf denen frohlockend dargestellt ist, wie die Juden im 
allgemeinen ihr verdientes Schicksal ereilt. Dieses Schicksal besteht regels 
mafiig darin, daft sie, wie wir schon an anderen Blattern gesehen haben, 
unbedingt eines Tages in des Teufels Krallen fallen und von diesem flugs 
in den lodernden Hollenrachen spediert werden. Solches demonstriert uns 
z. B. der satirische Kupfer „vom Mefikram der Juden" aus dem Anfang des 
17. Jahrhunderts. Der Text dieses Kupfers erklart auch satirisch den Ur* 
sprung und die Bedeutung des sogenannten .Judisehen gelben Rings", den 
die Juden vielfach als sogenanntes Judenabzeichen, das sie jedermann als 
Juden kenntlich machen sollte, an ihren Kleidern tragen mufiten (Bild 21). 
Der satirische Kupfer „Die Judenholle" aus dem 18. Jahrhundert illustriert 
wiederum, daft man zu alien Zeiten glaubte, die Juden dadurch am vers 
achtlichsten zu behandeln, dafi man sie mit Schweinen in Verbindung brachte ; 
denn der Satiriker verurteilt verbrecherische Juden zu der Strafe, in der 
Holle auf Schweinen reiten zu mussen. (Bild 60.) 



Der judische Typ, wie er heute in der Karikatur herrscht und jeders 
mann gelaufig ist, ist, wie ich schon in einem anderen Zusammenhang er* 
wahnt habe, eine relativ spate Errungenschaft; er ist erst das Resultat einer 
ziemlich langen Entwicklung. Man findet ihn eigentlich nicht vor der 
zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts. Erst um diese Zeit hatte er sich so 
klar herausentwickelt, dafi er den Karikaturisten gelaufig und zur feststehen* 
den Formel wurde, so dafi man in einer Zeichnung ohne weiteres an den 
spezifischen Zugen, der Haltung und den Gesten einer Figur erkennen 
kann, dafi in der betreffenden Person unbedingt ein Jude dargestellt sein 
soil. Ursprunglich, also im 15. und 16. Jahrhundert, bediente sich die Kari* 
katur zur Darstellung des judisehen Wesens hauptsachlich symbolischer 
Mittel, indem sie dem Juden einen Geldsack in die Hand gab, oder indem 
sie ihn vor einen Tisch mit Geld setzte. Ein weiteres sehr wichtiges und 
darum auch oft benutztes Hilfsmittel, eine Figur als Juden zu kennzeichnen, 

160 




Nach dem Krach 

Anonyme Wiener Karikatur. Lithographic. 1875 



Beilage zu Eduard Fnchs, B Die Jades in der Karikatur' 



Albal I-angoi, MBnchn 



boten damals die den Juden an vielen Ortenvorgeschriebenen Merkmale 
ihrer Kleidung, das sogenannte Judenhutlein, dem wir bei den fruhenplastis 
schen und graphischen Darstellungen der Judensau begegnen, und das 
Judenringlein, das, wie ich auch schon erwahnt habe, die Juden vielerorts 
und lange Zeit gezwungen waren, als Zeichen ihrer .Jiidischkeit" auf der 
linken Schulter zu tragen. (Bild 12, 21, 23.) Am korperlichenTyp bemerkt 
man selbstverstandlich als erstes judisches Merkmal den Bart. Denn der 
Bart war fur den erwachsenen Juden eine rituelle Vorschrift. Darum trug 
der Jude einen solchen auch in den Zeiten, wo er bei den Nichtjuden durch 
die Mode ganz verdrangt war. Dieser Umstand machte den Bart von vorns 
herein zu einem ebenso unentbehrlichen wie dankbaren Charakterisierungss 
mittel fur die Karikatur. Die erste Bartform, auf die wir stofien, ist jedoch 
nicht diejenige, die spater so typisch fur den Judenbart wurde, es ist die 
des machtigen Patriarchenbartes, mit dem man sich z. B. Moses vorstellte, 
und mit dem die ernste Kunst ohne Ausnahme die alten Propheten und 
die biblischen Patriarchen auf ihren Bildern schmuckte. Mit einem solchen 
Patriarchenbart versahen z. B. Wanderreiser und Jost Amman die von ihnen 
dargestellten Juden, um sie als solche zu kennzeichnen (Bild 19 und 23). 
Diese erste judische Bartform machte am 
Ende des 16. Jahrhunderts dem Spitzbart 
Platz (Bild 21), der an sich freilich die da* 
malige Bartmode uberhaupt war; der judis 
sche Spitzbart war jedoch langer gezogen 
als der Modebart. Er war gewissermaCen 
eine Kombination mit dem fruheren Patriars 
chenbart. In der allmahlichen Weiterents 
wicklung kam es gegen Ende des 17. Jahr* 
hunderts schlieClich zu der sogenannten 
Bartkrause, die die judischen Rabbiner bis 
ins 19. Jahrhundert herein trugen, und die 
dadurch das Hauptmerkmal der spezifisch 
judischen Physiognomie wurde. (Bild 43, 
54 und Beilage „Gott, wie heifit?" von Bern* 
hart Strauch neben S. 24). Vollstandig war 
der judische Gesichtstyp aber erst, als die 



Sport. 




— 3d) Hit ©e romme laffe, ifdjemS, not fdjmered 
©elfc, nu muijen Se met @fyre mctdje; fptcdjcn oabe id) 
mit Sbne £eutfd) — aud fjhincip — abet Sie muffcn 
fciH fcin mie lT €djcn&e[Dian, rote 'n Sportsman — 

©ott, mad foil id) 3^ne oeiter fagen mit einem 

3Boit, feien Se „e n g I i f d)." 



Fuchs, Die JudeQ in der Karikatur 



167. Der judische Sportsmann. 
21 



Puck. Leipzig 



161 



tDloodjetttr 



PBLSCB. 

Qin bumonftif$f3 Origmalblalt pen St. ff. @41ri4. 

91eirajri)uitr Sunt. 

KV* fw* ^alblfiltigerabonnnnniKeKi*: infflsBmil B. „ n m - IHRfi 



Expedition in Munchen: Lowengrube Nr. ', 



9h>tl>f4>il*'£ fiTie 8 «bercitfd)aft. 




durch ihre Grofie auffallende Hakens 
nase, die sogenannte Judennase, dazu 
kam. Diese sehen wir bei den hier 
wiedergegebenen bildlichen Beispielen 
in den Figuren des Narrenkramers 
(Bild 56), und vor allem in dem abs 
stofienden Gesicht der Karikatur des 
Prager Juden Nathan Hirschl (Bild 43). 
Wir sehen sie weiter in alien Juden* 
karikaturen Rowlandsons (Bild 63—68) 
und so fort. Es darf freilich nicht iibers 
sehen werden, dafi schon von dem 
unbekannten Kunstler der grofien Jus 
densau und von Jost Amman die Nase 
als judisches Rassenmerkmal betont ist. 
Die den Juden in ihrer Masse uns 
moglich abzustreitende aufiergewohn* 
lich grofie und zumeist auch auffallig, 
namlich hakenmafiig, geformte Nase 
mufite ganz naturgemaC zum Haupts 
hilfsmittel der Judenkarikierung wers 
den. Sie mufite sozusagen den Angelpunkt einer jeden Judenkarikatur bilden, 
als die Entwicklung der Karikatur so weit war, daft sie das Psychologische 
nicht mehrnur durch objektive Symbole (wie z. B. einenGeldsack), sondern 
vor allem in den spezifischen Linien der physischen Erscheinung zu vers 
korpern strebte. Die Nase gibt nicht nur dem Gesicht in erster Linie seinen 
Charakter, sondern uberhaupt der ganzen Erscheinung, und schon allein 
durch eine judisch betonte Nase vermag der Karikaturist auf die eins 
fachste und zugleich eindringlichste Weise eine Person, gleichgultig ob 
Mannlein oder Weiblein, als Juden zu kennzeichnen. Als nicht weniger 
wichtig kommt hinzu, dafi schon die geringste tJbertreibung an der Nase 
genugt, um dadurch einen lacherlichen Eindruck beim Beschauer hervors 
zurufen. Schon allein aus diesem Grunde wurde die sogenannte Judennase 
allmahlich zum besonders bevorzugten Tummelplatz aller humoristischen 
und satirischen Zeichner der gesamten Weltkarikatur. Da die Halfte der 



• 3d) gib' SiidjtS ^tt! 3d) f)af [tin GStlb! Sltin tin. 
jigtS Sergnugtn ift Sieutraiitdt. Hub tin ffltrgniigtn 
J mrb' idj bod) nocf) §oitn burjtn? 



I 



168. M. ScMeich. Titclseitc des Munchner Punsch. 1866 



162 



3>ie 



BREMSE 



£attrirtt)-l)umnri[U[d]fO fl)od)cnblMt. 
§erau3gegebeir Don Dr. 3- Sifll. 

M 34. rortcliHitlU) 80 ■■: 21- )Uau|tl»75 . 

(2j2^ altera '3BUichro&er. ^3S> 




in diesem Bande vereinigten judischen 
Karikaturen ein nur zu deutlich spre= 
chender Beweis fur diese Tatsache ist, 
so ist es uberflussig, hier noch auf be* 
sondere Beispiele zu verweisen. Nur 
auf ein einziges Bild sei speziell hinges 
wiesen, namlich auf die ganz ausge* 
zeichnete Karikatur von Stauber in den 
,,Fliegenden Blattern" vom Jahre 1851. 
Diese Karikatur zeigt in iiberwaltigen* 
der Weise bis zii welchen grotesken 
Kuhnheiten sich die Karikatur bei der 
Karikierung der Judennase mitunter 
verstieg (Bild 5). 

Aber diese rein komische Wirkung 
durch die Ubertreibung ist nur die eine 
Seite der Sache. Ungleich wertvoller 
im Hinblick auf die Bedeutung der 
Karikatur im Dienste einer speziellen 
Tendenz ist der Umstand, dafi der 
Karikaturist durch eine bestimmte Po= 
intierung der Nase ihrem Trager mit besonderer Deutlichkeit alle Leiden; 
schaften und alle Laster ins Gesicht schreiben kann. Die Nase druckt dem 
Gesicht oder dem ganzen Menschen deshalb in erster Linie seinen spezifi* 
schen Charakter auf, weil sie nicht nur das auffalligste , sondern zugleich 
auch das ausdrucksfahigste korperliche Organist. Sie spiegelt je nachdem: 
Trotz, Feigheit, Kuhnheit, Hinterlist, Kraft, Verschlagenheit, Habgier, 
Lusternheit, Wildheit usw. Und wie gesagt: sehr haufig in besonders deuts 
licher Weise. Sie ist bei vielen Menschen ein ihnen von der Natur mitge* 
gebener Steckbrief. Der Karikaturist braucht also z. B. an der Nase einer 
Person nur jene Linien zu ubertreiben, die die Habgier verraten, und der 
entsprechende Steckbrief ist damit der betreffenden Person aller Welt lesbar 
ins Gesicht geschrieben. Indem aber der Karikaturist beim Juden sowieso 
niemals die Nase ignorieren kann, so ergibt es sich von selbst, dafi dieses 
spezifisch judische Rassenmerkmal ebenfallsganz von selbst zum besonders 



„Sie ^teiajsgrnnMng' ftx iocaf!" 
glatQ IMS Die jUTgemeine. 
3>ier 6cj|et tjl bod) Das 23eta!I 
ginb gitt'ge tfiajfenftfjeinr. 

l?on fdjndoein ^Summon niiro tin &auf' 
^cfantmert una gefd)aatct; 
glno eine ^errfojaft fiant fitf) orauf 
JKit ber $t nte gut faciei. 



169. Titelscite des MUnchner Witzblattes: 



21* 



163 




auffalligen Trager der besonderenCharaktermerks 
male ihres karikaturistisch gekennzeichneten Be* 
sitzers wird. 

Zum judischen Gesamttyp gehoren noch ei« 
nige weitere korperliche Merkmale: die judischen 
Plattfufie und die ebenfalls als spezifisch judisch 
bezeichneten Sabelbeine. „So ist Schmulchen 
Schiewelbeiner, Schoner ist schon unsereiner", 

Der Gegenstand der meisten judischen reimt Und illustriert Wilhelm Busch (Bild 181). 
Diskussionen . .. i o i • t-> • 1 r 1 • 1 i 

Ich glaube, dalS die rraee wissenschalthch noch 

170. Deutsche Karikatur ° ° 

unentschieden ist, ob der Jude tatsachlich relativ 
haufiger als der Christ mit Plattfufien und mit krummen Beinen behaftet 
ist. Aber da, wie ich schon einmal sagte, die Karikatur niemals erst das 
Resultat einer wissenschaftlichen Nachprufung abwartet, sondern den 
Schein oder die Verleumdung als Tatsache annimmt, wenn es ihr in den 
Kram pafit, so wurden auch diese auffalligen korperlichen Merkmale von 
ihr dem Typ des Juden hinzugefugt. Diese satirischen Errungenschaften 
sind jedoch jungen Datums, sie sind der Karikatur erst im 19. Jahrhundert 

hinzugefugt worden und darum 
begegnet man ihnen in den Karis 
katuren, die bis zum Ausgang des 
18. Jahrhunderts erschienen sind, 
nur vereinzelt. 

Als besonders gute Beispiele 
judischer Typen in der Karikatur 
aus der Zeit vor der Judenemanzi^ 
pation mochte ich die schon er= 
wahnte Karikatur des Prager Juden 
Nathan Hirschl (Bild 43) bezeich* 
nen. Angesichts dieser Karikatur 
glaubt man fest, daft sein lebendes 
Urbild ein in ziemlich vielen 
Wassern gewaschener Schelm ge= 
wesen sein mull. Ob er freilich 
wirklich ein Ausbund aller Diebes 




- €H)ti»[Qi: :fiuh( in* Sut foil id)? 34 frtjrotV Etr. mi ii fon»ij daffm attit". 

- 'Hat [iM'TXaat edjtui! - ©a* fsRttcd) qlrid) Ut &trr bob Deib Bam brim sun 3a»iKr <£tl«41 
»<« 9H<i(i<ib ttu Sdlittten! 

171. Fuck. Leipzig 



164 




rei war, ist durch diese 

Karikatur nicht erwiesen, 

sondern nur, dafi die 

Karikatur mit ihren Mits 

teln solches glaubhaft zu 

machen vermag. Das aus 

derselben Zeit stammers 

de Portat des Jakob Riefi 

ist weniger bedeutend. 

Es ist dagegen insofern 

interessant, als dieser Riefi 

ein Mitglied der Familie 

Riefi ist, die um 1670 he* 

rum in Berlin diejudische 

Gemeindegrundete. Sehr 

treffend ist die Karikatur 

des in seinem Buche lesenden alten Juden von Homburg (Bild 54). Nicht 

minder gut ist die Judenfamilie von Erhard auf dem Kupfer „Man redet 

von Geschaften" (Bild 86); aber am besten ist das ausgezeichnete kari= 

katuristische Portrat eines alten Rabbiners von dem Nurnberger Meister 

Leonhard Strauch. (Vgl. die Beilage „Gott, wie heifit?" neben S. 24). 

Judische Karikaturen in der Form von Gemalden, d. h. solche, bei denen 

der betreffende Kunstler eine direkte Judenkarikatur schaffen wollte, zahlen 

zu den grofiten Seltenheiten. 



— Fraulein Goldstein, ich suche schon lange eine Frauensperson, 
auf der ich als mein Weib nicht eifersiichtig zu sein brauch', 
warum? weil die Eifersucht im Geschaft storend ist. Sie Frau* 
lein, waren so gerade nach meinem Geschmack ... 

172. Puck, Leipzig 1876 



Ich komme zum Schlufi dieses Kapitels. Die Zahl der in der Zeit vom 
ersten Auftreten der Juden in der Karikatur bis zum Vorabend ihrer Emans 
zipation — das ist am Ende des 18. Jahrhunderts — erschienenen Juden* 
karikaturen ist naturlich um das Vielfache grofier, als die von mir hier 
vorgefuhrten und beschriebenen Beispiele. Immerhin steht deren Zahl in 
keinem Vergleich zu der Zahl, die das 19. Jahrhundert fur sich allein hers 
vorgebracht hat. Dessenungeachtet spielten diese Karikaturen trotz ihrer 
wesentlich viel geringeren Zahl nicht etwa eine geringere Rolle als die 
Judenkarikaturen des 19. Jahrhunderts, sondern sie spielten eine viel grofiere 



165 







17j>. A. GreviD. Jacques Offenbach. Journal amusant 

Rolle. Das aber, resultiert daher, dafi das Bild eben immer die Sprache 
der Analphabeten ist, und dafi bis weit in das 18. Jahrhundert hinein un« 
zahlige Menschen zwar schauen, aber im besten Falle nur durftig lesen und 
schreiben konnten, also wenigstens soweit Analphabeten waren, daft sie 
Gedrucktes nur sehr ungern und sehr selten zur Hand nahmen. Auf die 
so wichtige Tatsache mull man immer wieder von neuem hinweisen, aber 
auch darauf, dafi von allem Bildlichen das zum Lachen reizende wiederum 
besonders begehrt war. — 

Bevor ich nun zu den Judenkarikaturen des 19. Jahrhunderts uber« 
gehe, mufi ich jedoch erst noch einiger anderer Formen der Satire gedenken, 
deren sich die offentliche Kritik gegenuber den Juden bediente. Das ist in 

166 



erster Linie die literarische Satire dieser Epoche, und zweitens die im 
Sprichwort zur drastischen Form gewordene sprachliche Satire, soweit 
sie sich mit den Juden beschaftigen. Diese beiden Kapitel sind von meinem 
Thema schon deshalb untrennbar, weil beide stets aufs engste mit der gra* 
phischen Satire verknupft sind, indem sie mit dieser zumeist vereint auk 
treten. Weiter kommt noch in Frage die plastische Satire, von der ich 
bis jetzt nur die Kirchenskulpturen behandelt habe. Es gab aber hiervon 
im 15. bis 18. Jahrhundert noch eine ganz spezifische Form, namlich die 
Spottmunze. Unsere Vorstellung von der Rolle der satirischen Bekampfung 
der Juden wird erst dann relativ vollstandig sein, wenn wir alle Zungen 
gehort haben, in denen die Satire von den Juden sprach. 



Die literarische Satire. In welcher Tiefe eine Zeit von einem be« 
stimmten Problem menschlich ergriffen war, offenbart sich stets an dem 
Umfang, in dem dieses Problem den Stoff fur eine rein kunstlerische Ge* 
staltung geliefert hat. In der sogenannten schonen Literatur und auch in 
den objektiven Kunsten (Bildhauerei und 
Malerei) des 14. bis 17. Jahrhunderts 
fehlte der Jude als stoffliches Problem 
fast ganz. Dies ist der drastische Beweis 
fur die vollige Verstandnislosigkeit dieser 
Zeit den menschlichen und seelischen 
Konflikten gegenuber, die die Lage des 
judischen Volkes in Europa damals in so 
reicher Fulle bot. Ich habe sowohl fur 
dieses Buch, als auch fur andere kultur* 
geschichtliche Arbeiten, ganze Stofie von 
Volksliedern aus dem 14. bis 17. Jahr* 
hundert durchforscht, — die fur jene Zeit 
maCgeblichste Kunstform— , um scMieC* 
lich ein einziges Volkslied zu finden, in 
dem die tiefe Kluft, die damals Christen 
und Juden menschlich voneinander trenn* 
te, als rein kunstlerischer Vorwurf vers 




2>et femitifd|;mufifaHfd)=ariobatifrf)e ©orilia (Simla 
Afi'enbnch), netdjer auf bem SSoc^ang. bes griebriii)=2Bi(^efin; 
flitbtifdjen 2l)eateiS bad 'publicum lange angrinfle, war feiner 
3eit bic tfieube aOei Speiettentrjiergiirten, in benen et burd) 
{cine oft feljr broQigen Seine aDe mufiTafifd)en flinbet ttgij&te. 
@r ging jttor auf alien mufifalifdjen SJieren , petite abrr bocb 
au'd), meltn man i^n bei bet Paterne Son „3ortnnioa 
Pieb" Detradjtete, mujitmenfa^d^nlii^e SDiDinente. Oogleidj in 
ffoln geboren, ifl erfcod) in $aiid gejiirtjtet, toofeloft iljn bie 
„fd)onen $e[enen, ©enooefen unb 3Qeioec Don ©eorgien an 
fetnent „Slau6art" trabbeln. (Segenluartig i|t ec, ba fid) bie 
2Beli iniTOifdjen tittle anbeee Slfjen gelaiift t;at, ettoaS auger 
5)cobe aefomnten. 

174. Offenbach. Puck, Leipzig. 1876 



167 




wendet wurde. Es ist das Lied von der Juden* 
tochter. In diesem aus dem 15. Jahrhundert 
stammenden Volkslied ist die tragische Liebe 
einer schonen Judin zu einem Schreiber, wie 
man die Gelehrten damals nannte, geschildert. 
Dieses ergreifende Lied lautet: 



2>ie Itrnoifar @tfinl>t if flange ndjtct 
fid) ouf. SjdfuM Iritt iftr mufljig tirifluttn* urn 



Es war eine stolze Judin, 
Ein wunderschones Weib, 
Die hatt' eine schone Tochter, 
Ihr Haar war glatt geflochten, 
Zum Tanze wollt' sie gehn. 



Ach Tochter, liebste Tochter, 
Das tu mir aber nicht, 
Es war ja eine Schande 
Vorm ganzen jiidischen Lande, 
Wenn du zum Tanze gehst. 



Die Mutter kehrt den Riicken, 
Die Tochter sprang hinaus, 
Sie sprang wohl uber die Strafte, 
Allwo ein Schreiber safie, 
Dem Schreiber sprang sie zu. 

Ach Schreiber, liebster Schreiber, 
Mein Herz tut mir so weh) 
LaB mich eine kleine Weile 
Ruhen an deiner Seite, 
Bis dafi es wird vergehn. 



Ach Judin, liebste Judin, 
Das kann furwahr nicht sein! 
Das war mir eine Schande 
Im ganzen Christenlande, 
Wollt' ich 'ne Jiidin frei'n. 

Die Tochter schwang den Mantel 
Und dreht sich nach dem See: 
Ade, mein Vater und Mutter, 

Ade, du stolzer Schreiber, 
Ich seh' euch nimmermehr! 



Aber das Fehlen des Juden als rein kunstlerisches Motiv ist fur jene 
Zeiten gar nicht erstaunlich. Auf den Juden schaute man, wie ich gezeigt 
habe, uberall mit fast bodenloser Verachtung, gleichsam wie auf einen Aus= 
satzigen, der von aller Welt ausgestofien ist. Also bietet er kein lyrisches 
Stimmungselement, das in der christlichen Volksseele widerklingen wurde 
und nach dem sie deshalb Verlangen truge. Zurtendenzlosen kunstlerischen 
Form gestaltet sich in der Volkskunst immer nur das, wonach die Volks^ 
seele gewissermafien kategorisch, wenn auch 
unbewufit, verlangt. Die Volkskunst ist immer 
nur die Erfullerin der ofFenen und geheimen 
Sehnsuchte der Volksseele. 

Um so starker ist aus demselben Grunde 
der Widerhall des jiidischen Problems dort, wo 
der Geist ohne weiteres alles Menschliche aus^ 
schalten kann. Und das ist eben in der Satire 
moglich. Man kann, wie ich oben dargelegt 
habe, gewifi auch aus Liebe zuchtigen. Zumeist 




objujitf>€ii mit bein ganitn &tolj finer 
Firrfulifchfn Sfilf. 

175 u. 176. Aus den zwolf Arbeiten des 
Lasker.Herkules. Puck, Leipzig. 1876 



168 



Ecce Caesar nunc lriutopbaos! 




Iciuml)f)itrH6 lag id) tcabeu Un& gefeSfelt 

Xrijfan jr$t uut. audi 3[ol&en. ftolgt bee Seinbe 

■£>ci! die £olbeu! Sdiraatm 6em SBagen.. 

ZGogtla 'JBfia! 

Richard Wagner bandigt die ihm feindliche jiidische Theaterkritik durch die Auffiihrung 

von Tristan und Isolde. 

177. Puck. Leipzig. 1876 



ist es jedoch die Liebe zu sich, weshalb man den anderen ziichtigt. Wie 
aufierordentlich stark das Widerspiel des jiidischen Problems in der gezeich* 
neten Satire jener Zeiten ist, haben wir gesehen, in der literarischen Satire 
ist es anscheinend noch viel grofier. Alle grofien Wortsatiriker des 16. 
und 17. Jahrhunderts sind in irgendeiner Form gegen die Juden zu Felde 
gezogen. Ich nenne nur die wichtigsten: Abraham a Santa Clara, Heinrich 
Bebel, Boccacio, Sebastian Brant, Johann Fischart, Folz, Franck, Frey, Gei« 
ler von Kaisersberg, Pamphilius Gengenbach, Grimmelshausen, Caesarius 
von Heisterbach, Luther, Morlini, Moscherosch, Murner, Pauli, Poggio, 
Hans Sachs, Jorg Wickram. Vor allem aber tat es der Grofite der Grofien 
aller Zeiten: Shakespeare, der im Shylock mit seiner Riesenfaust auch nach 
diesem Problem gegriffen hat. Denn der Shylock ist in seiner Figur eine 



Fuchs. Die Juden in der Karikatut 



22 



169 



deutlich pointierte Satire auf die Juden. Es ist eine Satire auf den hereon* 
tigten Hafi der Juden gegen die Christen, von denen sie so furchterlich vers 
folgt werden und gleichzeitig auch auf die Geldgier der Juden, denen der 
materielle Besitz uber alles geht. Hinsichtlich des letzten Punktes erinnere 
man sich nur der Szene, wo Shylock nicht nur der entflohenen Tochter 
nachjammert, sondern mehr noch den von seiner Tochter mitgenommenen 
Dukaten und Edelsteinen: 

„Mein' Tochter — mein' Dukaten — o mein' Tochter! Gestohln von meiner Tochter; und Juwelen, 

Fort mit 'nem Christen — o mein' christliche Du- Zwei Stein' — zwei reich' und kostliche Gestein, 

katen! Gestohln von meiner Tochter! O Gerichte, 

Recht und Gericht! mein' Tochter! mein' Dukaten! Find't mir das Madchen! — Sie hat die Steine bei 
Ein Sack, zwei Sacke, beide zugesiegelt, sich 

Voll von Dukaten, doppelten Dukaten, Und die Dukaten." 

Neben diesen Grofien aus dem Reiche der Literatur, deren satirische 
Polemiken gegen die Juden viele Bande fullen, steht aber aufierdem ein 
ganzes Heer von Namenlosen, die als Verfasser von Osterspielen, Passions* 
spielen, Schwanken, Dialogen, Fazetien, satirischen Erzahlungen, Spott* 
gedichten usw. die Juden mit der Feder satirisch bekampft haben. Die Pro* 
dukte dieser Namenlosen sind der Zahl nach vielleicht noch grofier, in 
ihrem Inhalt sind sie vielfach nicht weniger bedeutsam; denn man findet 
unter ihnen einen Teil des Heftigsten und darum Bezeichnendsten, was in 
satirischer Absicht gegen die Juden geschrieben worden ist. . , 

Die literarische Satire ist in ihrem Stoffgebiet naturgemafi viel reicher 
als die gezeichnete Satire. Die letztere ist immer auf das beschrankt, was 
sich in einer typischen Figur oder in einem Symbol bildlich gestalten lafit. 
Unendlich viel Motive lassen sich aber absolut nicht auf diese Weise bild* 
lich veranschaulichen und sind deshalb von der gezeichneten Satire aus* 
geschlossen. Fur die literarische Satire gibt es diese Grenzen nicht, sie kann 
alles in den Kreis ihrer spottischen Betrachtung ziehen. Und so begegnet 
man in den literarischen Satiren auf die Juden aufier den uns aus der ge* 
zeichneten Satire bekannten Motiven noch zahlreichen anderen Stpffen: 
satirischen Verhohnungen des Talmud, des judischen Gottesdienstes, der 
judischen Gebrauche, ihrer Redeweise, ihrer — ihnen aufgezwungenen — 
vielfach lacherlichen Tracht usw. 

Wenn man also ein halbwegs vollstandiges Bild von dem satirischen 
Kampf bekommen will, den die Christenheit ihrem machtigen wirtschaft* 

170 



fflamesalB - J$Ute. 



if 
\ 



.mdlms til 




Cofliimirtcr Soli (iEiroler IDeinlcfe) bei'm (Commersicriratb, 36'9 pon 36'9f tc ' n - 




3litgenel]mc Uiiterbrectiung burd] bas Sorfeublatf. 



178. Karikatur voc Adolf Oberla'nder. Fliegende Blatter. Miinchen. 1882 



22* 



lichen Gegner lieferte, so mufi man unbedingt auch die literarische Satire — 
und freilich ebenso die sprachliche Satire — in den Kreis der Betrachtung 
ziehen. 

Da den Christen an den Juden alles mififiel, so kam ihnen z. B. der 
vollig unverstandliche judische Gottesdienst hochst aberwitzig vor. Die 
hebraischen Gebete wirkten auf sie wie sinnloses Kauderwelsch, und sie 
verspotteten sie dementsprechend in ihren Volksspielen und Schwanken. 
In dem „Luzerner Osterspiel" „hoppen" die Juden auf einem Bein um das 
goldene Kalb, als ihrem wahren Gotte; bei dessen Errichtung singen sie die 
folgenden Verse: 



Seid frohlich, seid frohlich all, 
Dem neuen Gott mit reichem Schall! 
In cordis mambre jubilo, 
Hebron, lehem, lo, lo, lo, 
Paternoster Pirentbitz, 



In dem Namen Taberitz, Taberitz und Isack, 
Isack und Abraham, Abraham und Kickrion, 
Kickrion und Schlachisschlofi, 
Schlachisschlofi und Schweinefleisch, 
Treibt den Juden aus den Schweifi .... 



So etwas lafit sich naturlich nur in Worten und nicht im Bilde darstellen. 
Das gleiche gilt von der Verhohnung der judischenWissenschaft: uber die 
judischen Arzte gibt es sicher mehr Spottverse als Lobgedichte, obgleich 
sie die letzteren damals unbedingt mehr verdient hatten. In einem seiner 
Schwanke, in denen Hans Sachs die Juden verspottete, in dem Spiel „Der 
schwangere Bauer," lafit er einen ,Judenarzt" auftreten, der sich falschs 

licherweise fur einen Arzt aus* 
gibt und so die Bauern betrugt: 

Ich hab der Schwarzkunst nicht studiert, 
Noch Medicina doktoriert, 
Darf derhalb in kein statt nicht mehr, 
Und mich nur bei den Bauern nehr, 
Dann ich auf alle DorfsKirchweih zeuch, 
Da ich aufschlag alle scheuch 
Grofi Siegel und Brief auf und ab, 
Wie ich dem und jenem gholfen hab. 

1st doch erdichtet und erlogen, 
Hab die Bauern lang bschissen und trogen, 
Wann ich kann nichts zu ArzneisSachen, 
_ Denn ein schlecht Purgatzen machen, 
Die den Bauern macht ein Griimpl im Bauch, 
Einem hilft's, der andere stirbt daran, 
Da liegt mir eben nichtsen dran. 




Ein alltagliches Bild auf der Grimmaischen Strafie 

179. Arthur Lcwin. Leipzigcr Karikatuc 



Die Judensau ist auch in 
der literarischen Satire eines der 



172 



am friihesten auftauchenden Motive. 
In dem aus dem 14. Jahrhundert 
stammenden Spiel „Der Herzog von 
Burgund" werden die Juden zur 
Strafe ihrer an Christus und den 
Christen begangenen Missetaten zu 
alledem gezwungen, was wir in den 
verschiedenen Bildern von der Ju* 
densau dargestellt sehen. Der dazu 
gesprochene Text lautet: 

Ich sprich, daB man vor allcm Ding 
Die allcrgrofitc Schweinsmuttcr bring, 
Daruntci sic sich schmiegen all 
Saug jeder cin Tutten mit Schall; 

Der Messias licg untcrm Schwantz! 

Was ihr entfall, das soil cr gantz 

Zusammen in cin Sacklein binden 

Und dann dassclb zu einem mal verschhnden. 

Dieselbe Szene und ahnliche Verse 
kehren auch noch in anderen Volks? 
spielen wieder, die zur Ergotzung der 
schaulustigen Menge an den kirch* 
lichen Feiertagen vor versammeltem 
Volk aufgeftihrt wurden. Ich nenne 
aus dem 14. Jahrhundert nur „Das 
alte grofi Spiel vom Auf* und Unter* 
gang des Antichrist." Von diesem 
Stuck ist bekannt, daft es 1469 in 
Frankfurt am Main und 1473 und 
1481 in Xanten aufgeftihrt wurde. 
Welche Wirkung solch ein Spiel mit* 
unter auf die Massen ausiibte, das 




Aaron und scin Frcund Levy gehen an eincm 
schoncn Sommcrabcnd miteinandcr spazicrcn. 
Beim Anblick des hcrrlich gestirnten Himmcls 
gcratcn sic in cine sentimentale Stimmung, in der 
sic philosophischc Bctrachtungcn anstcllen. — Da 
fallt plotzlich cine Stcrnschnuppc. Levi (schncll 
zu Aaron): „Wic vie] hast de dir gewunscht?" 

ISO. AdollF Ofctrljindtr lomcl dcfSclbe. 

OWrtindtr Album 1900 



erhellt aus dem Umstand, daft der Rat zu Frankfurt bei der Auff iihrung 
im Jahre 1469 gezwungen war, Vorsichtsmaftregeln zum Schutze der Juden 
zu treffen. 

In diesen Volksspielen ist also das, was der Steinmetz im Relief bilde 
in die Kirchenwande einfugte, oder im Auftrage des Rats am Rathausturm 



173 



anbrachte, kurzerhand in die Wirklichkeit ubertragen und agiert worden. 
Martin Luther, der, wie wir an anderer Stelle bemerkt haben, in derbster 
Weise die an der Wittenberger Pfarrkirche in Stein gemeiCelte Judensau 
beschrieben hat, hatte sich damit noch lange nicht genug getan. In ders 
selben Weise verhohnt uhd beschimpft er die Juden bei der Darlegung, 
dafi sie nicht wert seien, in der Bibel lesen zu durfen: 

Seid ihr doch nicht wert, daB ihr die Biblia von auBen sollet ansehen, schweige daB ihr darinne 
lesen sollet: ihr sollet allein die Biblia lesen, die der Sau unter dem Schwanz steht, und die Buchstaben, 
so daselbst herausf alien, fressen und saufen, das ware eine Bibel fur solche Propheten, die der G6tt= 
lichen Majestat Wort, so man mit alien Ehren, Zittern und Freuden horen sollt, so sauisch zu wiihlen, 
und so schweinisch zu reiBen. 

An dieser Stelle sei auch erwahnt, dafi Luther mehrere Streitschriften vers 
fafite, die sich ausschliefilich gegen die Juden wandten. Die heftigste tragt 
den Titel „Von den Juden und ihren Lugen" und erschien 1543 (Bild 17). 
Luthers Stil ist, wenn er schimpft, bekanntlich vorwiegend satirisch. Und 
so gehort das meiste von dem, was er gegen die Juden geschrieben hat, in 
das Kapitel der literarischen Satire. 

Wie in der bildlichen Karikatur, so greift auch die literarische Satire 
jahrhundertelang immer wieder zu diesem Motiv und walzt es mit brei« 
testem Behagen aus. Noch in einem Volkskalender aus dem Anfang des 
19. Jahrhunderts, in dem der hier als Bild 82 wiedergegebene Kupferstich 
als Titelblatt vorangestellt war, ist auch eine gereimte Schilderung dieses 
Motives enthalten. (Vgl. auch den Text unter Bild 42.) 

Der judische Wucher ist in der literarischen Satire, genau wie in der 
gezeichneten, eines der haufigsten Motive, das man wirklich niemals miide 
wurde, immer wieder zu variieren. Dafi die Karikaturen auf den judischen 
Wucherer stets mitentsprechendenTexten versehen waren, habe ich bereits 
oben hervorgehoben, von der Mitteilung solcher werde ich deshalb an 
dieser Stelle absehen (Bild 19). Ich begnuge mich hier mit der auszugs* 
weisen Anfuhrung zweier Satiren, bei denen der Text die Hauptsache ist. 
Aus einer Ausgabe „Der Juden Badstub" vom Jahre 1535, die mehrere tau* 
send Verszeilen umfafit, zitiere ich die folgenden Stellen: 

Er la'Bt dich Wucher geben, borgen. Das du erarbeitst und dein Gsind, 

Und laBt die lieben Vogel sorgen. Damit hebt sich das Grauen an 

Wann er zu Nachtszeit schlaft und ruht, Des armen und verpfandten Mann, 

Sein Gwinn ihm allzeit vorgehn thut, DaB er des Nachts nit schlafen kann. 

Mit Schlafen er sein Geld gewinnt, 

174 



Sunfteo Capitel. 



It 



uti die 6ofc, Uug t>rr Xocf, 
Ktutnm !>i( Viaft unto txr Stotf, 
Kugcii fcfcrearj nub ©eele grau, 
«$ut nacb biiicm, tttiene fctjlsu — 




80 if* t3djmuldjrii Bctjuwelbenier. 
(@dj6ncr ift toocfc imfertiiier I) 




(Kr 1ft graS oor Jittiga €I;t'tr; 
Kauifamoan! erfcfeallc cb tjicr. 
Kaum rerOfillt tirr ratine JTsn, 




€0 erfotgc t>cts IDeicre fcbort. 




Uub, roic fdjnell er 04) and) t>rrtjt, 
■##, cr fu&U, rt ift ju fpit; 




Uiiterljalb dee Xotfeiorea 
Oefct fcin gaitje Sad? Fap^rce. 



181.. Wilhelm Busch. Aus Plisch und Plum 



Kein Ordnung, noch kein Unterscheid 
1st jetzt mehr untern Juden alien, 
Sie handlen nach ihrem Wohlgefallen, 
Beim Wuchcr miissens vorhin bleiben, 
Das durften sie und nichts mehr treiben, 
Jetzund so schrepfen sie uns recht,, 
Wir Christen seind der Juden Knecht, 
Die Juden Herren bei uns Armen, 
Es mocht ein steinen Herz erbarmen, 
DaB man sie schrepfen lafit so scharf, 
Darin ihn niemand wehren darf. 



Denn welcher betrieg ein Christenmann, 
Der thu Gott ein Gefallen dran. 
Ihr Talmud lernt sie d'Leut bescheifien, 
Den auch ein jeder kann und lehrt, 
Ehe er vierzehn Jahr alt werd. 



Was soil man aber hiezu sagen, 
DaB wir von ihnen miissen leiden, 
DaB sie die beste Miinz beschneiden, 
Welchs ihm doch nit befohlen ist, 
Es ist ein boser diebscher List. 



So nimmts der Jud von eim ohn Scham, 

Und wanns von Gottes Altar kam. 

Ja mordst du taglich und brachst's ihm, 

Wann ers sehon wiiftt, nahm er den Gwinn 

Gestohlen Gut ihm willkomm ist, 

Wie so er merkt in alle Frist. 



Auf Bschiss Ziehen sie ihre Kind, 
Die Weiber und all ihr Hausgesind, 
Was Bos sie thun den Christen geschwind, 
Das achten sie alls fur kein Sund, 



Ob sich ein Jiid schon taufen lat. 
So ist es doch nit Fisch ohn Grat, 
Und hatt dazu zwolf Eid geschworen, 
Ist Krisam und Tauf daran verloren, 
Ja noch auf diesen heutigen Tag 
Ist es ein Volk gleich wie es mag, 
Dem niemand mit Spitzfindigkeit 
Geleichen mag auf meinen Eid, 
Durch welch sie ausgegossen han, 
Verderbet manchen Biedermann. 



Das zweite Beispiel, auf das ich hier verweisen will, ist das 1571 erschienene 
Pamphlet „ Der Juden Ehrbarkeit", dessen ebenfalls satirisches und fur die 
derbe obszone Form der Verhohnung sehr bezeichnendes Titelblatt ich in 
Bild 20 wiedergebe. Das zweite Stuck dieses gegen funftausend Verszeilen 
umfassenden Pamphletes handelt in einem „Gesprach zweier Christen 
von Juden und ihren Mitgenossen" speziell vom Wucher. Ich kann aus 
diesem Riesendialog hier naturlich nur einige bezeichnende Stellen an* 
fuhren: 



In einer Stadt viel Burger waren, 
Ist nicht sehr lang, vor kurzen Jahren, 
Die stellten sich zu nahren wohl, 
Mit ihrer Arbeit, wie man soil, 
Und baten Gott, er wollt bescheeren, 
DaB sie sich ehrlich mochten nahren, 
Ohn alien Aufsatz, Trug und List, 
Wie sonst der Welt Gewohnheit ist. 

Es wohnen auch viel Jiiden do, 
Des waren die Burger nicht sehr froh, 
Doch hatten sie ihren Schutz von Herren, 
Die wollten ihrer nicht entbehren, 
Und hielten fleifiig uber ihn, 
Meinten es bracht' ihnen Nutz und Gewinn. 
Zu solcher Herren einer kam, 



Ein Burger, Albert war sein Nam, 
Und sprach: Ich hab ein Kauf getan, 
Mufi nun Geld zur Bezahlung han, 
Ach lieber Nachbar helft dazu, 
Ich will's verdienen spat und fru. 
Der sprach, dazu weifi ich wohl Rat, 
Es ist ein Jud hier in der Stadt, 
Zu dem ich dich wohl fordern will, 
Jud Schlomi, der leiht dir so viel, 
Ich acht er sei dir wohl bekannt, 
Sprich, ich hab dich zu ihm gesandt, 
Vom Gulden jede Woch* soil er 
Ein Pfennig nehmen und nicht mehr, 
Das soil er thun um meinetwillen, 
Ich acht es werd ihn nicht bevillen. 



176 




Susanna im Bade. Nach dcm Gemaldc von Arnold Bbcklin 
Mil Gcnehmigung der Photographischcn Union in Miinchcn 



Btilage za Ednard Fachs, ,.Die Jqdtn in dor Karilaiuf 



Albeit Langen, Munch*n 



Da dem geldbediirftigen 
Burger kein anderer Ausweg 
bleibt, zu Geld zu kommen, so 
schickt er sich an, den ihm ge= 
gebenen Rat zu befolgen. Un= 
terwegs begegnet ihm jedoch ein 
anderer Burger, der ihm alsbald, 
als er von seiner Absicht, zum 
Juden zu gehen, hort, eine grofie : "^§t 
Rede uber die Schlechtigkeiten 
der Juden halt und ihm die Ge= 
fahren vorstellt, denen er seine 
Seele und auch seinen Geld* 
beutel aussetzt: 

Der Freund mit Namen 

Christmann gut, 
Der sprach, wie kommt dir 

das in Mut? 
Das kommt gewifi vom 

bosen Geist, 
Der Juden Handel du 

nicht weifit, 
Ein grofter Schad daraus entspringt, 
Der dich um all dein Nahrung bringt, 
Dazu auch um der Seelen Heil, 
Dafi du dem Teufel werdst zu Teil, 
Ach lieber Freund du bist zu schlecht, 

Dem folgt die Schilderung des Geschaftssinnes der Juden und wie sie die wucherische Ausbeutung 
der Christen betreiben, — die Hauptsache! 




„Wenn ich mein Augenglas verlege, bin ich ein ohnmachtiger 

Mensch.!" 
„Ganz so geht es mir, Herr Professor, wenn ich die Coupon* 

schere nicht finde!" 

182. J) er Parvenu. Fliegende Blatter 

Du kennst die J uden noch nicht recht, 
Welcher Christ mit ihnen hat zu thun, 
Der kann doch nimmermehr begrun, 
Sie unterstehn ihn zu betriigen .... 



Sie richten all ihr Sach dahin, 
Dafi sie bekommen viel Gewinn, 
All unser Nahrung an sich bringen, 
Und wir mit Armut miissen ringen. 
Wo etwas wohlfeil ist zu kaufen, 
So kommen zwei, drei, vier gelaufen. 
Die raffen alles zu sich auf, 
Und geben's denn zum hochsten Kaut, 
Zu Schad den Burgern und zu Trotz, 
Dieweil sie haben starken Schutz, 
Von etlichen ihren Mitgenossen, 
Das hat die Burger oft verdrossen- 
Auch schinden sie die ganze Welt 
Mit ihrem verfluchten Wuchergeld, 
Sie bringen viel um Haus und Hof, 
Und all ihr Nahrung geht daruff. 
Gar selten einem wohl gelingt, 
Der von den Juden Geld aufnimmt, 
Sie nehmen nur zu Bitt und Fleh, 
Vom Hundert vierundzwanzig und meh, 
Und schlagen auch gar offterraals um, 

Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



Mehr Wucher, dafi grofi werd' die Summ, 
Jawohl, wenn ich mich recht bedenk, 
Zum Schlufi, Jiid David weifi die Rank', 
Der nimmt von hundert Gulden noch 
Zween Gulden drei Ort jede Woch, 
Das tragt vom Hundert jedes Jahr 
Wohl hundertvierzig drei, ist wahr, 
Von tausend rechens zehenmal, 
Macht vierzehnhundertdreiftig in Zahl, 
Doch soils noch erst ein Freundschaft sein. 
So wissen sie's zu schmiicken Fein, 
Dafi mans fur Wucher nicht erkenn, 
Ein Liebnus wollen sie es nenn, 
Der Teufel dank ihnen solcher Lieb, 
Die schekes sind neunfeltig Dieb, 
Die Schelmen geben grofi Ursach, 
Zum Rauben, Stehlen und Morden auch, 
Weil das Gestohlne ihnen kommt Wilkom„ 
Sie geben kaum das Dritteil drum. 
All ihre Hab ist Dieberei, 
Verdammter Wucher, Schinderei, 



23 



177 



3»i 9JioBt. 



Wollt Gott man hing sie wie die Hund, So waren wir ab einer groBen Last, 

Sammt alien die ihnen gutes gunnt'. Die Wid ich gem bezalen wollt, 

Je vier. fiinf, sechs an einen Ast, Wenn's schon drei Taler kosten sollt. 

Es war ein damals alltaglicher Fall, dafi die ganz grofien Herren, mach* 
tige Fiirsten und Grafen, der JudenWucher dazu benutzten, um sich selbst 
auf vorteilhafte Weise in den Besitz begehrter Burgen, Schlosser, Lan« 
dereien usw. zu setzen. Das geschah auf die Weise, daft die „groCen 
Hansen", wie man sie nannte, dafiir sorgten, dafi der den Juden zinsende 
geldarme Kleinadel, der insgesamt in den Handen der Juden war, mitleid* 
los von den Juden gepfandet werden durfte, wenn er am Verfalltage nicht 
zahlen konnte. Waren dann die Burgen, Schlosser und Landereien in den 
Handen der Juden, so kauften ihnen die grofien Hansen ihre Beute um 
billiges Geld ab. Bei solchem Handel machten naturlich beide Teile ein 
gutes Geschaft. Das kleine Junkerlein freilich kam fur immer ins Elend. 
Ein solches lukratives Geschaft trieben z. B. im 15. Jahrhundert die Grafen 
Vitztum , die allmachtigen Gunstlinge des Herzogs Wilhelm von Sachsen. 

Aus Stolles Chronik vom Jahre 1446 er« 
fahrt man das Nahere. Dort heifit es 
uber dasTreiben dieser graf lichen Hinters 
manner derWucherjuden: „Sie hielten's 
auch mit den reichen Juden, und wenn 
die Juden arme Grafen und Ritter mit 
Gesuch (d. h. mit ihrem Recht auf Pfan* 
dung bei Nichtzahlung der Schuld am 
Verfallstag, d. V.) von ihren Schlossern 
drungen mit der Vitztume Rat und Hil* 
fe, so halfen sie dann den Juden getreu* 
lich. Und danach kauften sie den Juden 
die Schlosser ab urns halbe Geld." Im 
satirischen Volkslied fand dieses sehr 
haufige Kompaniegeschaft „zwischen 
den grofien Hansen und den Juden" 
ebenfalls seinen Ausdruck. Auf diesel* 
ben Grafen Vitztum war das folgende, 
an den Landesvater Wilhelm von Sach* 
sen gerichtete Gedicht im Schwange: 




SNorifj, roarum [leigcn roit in unfer'm neuen 
©cbirgflofium ni^l emal au\'n Strg?" — „2Da§ jollen mtr 
mit be lf)euti'n Slnjug' auf'n 55rrg o6cn niodjeu, mo ]'e to' 
SJitnt* jiillt?!" 



185. Hermann Schlittgen. Fliegeade Blatter 



178 



MHiftenOSttb. 




3" & c * ZOiijic &cr Satiatatj 
(Sing &er rtatfjan mit &et SaraEf; 
t£r tjaufirt* mit £jofenfutter, 
5ic roar feine Sdnniegennnttcr. 
Saraf; fagte : „23atfjan, fietjfte, 
23ings tjerum ijl nidits als ZDiifte ; 
fflie w\ll\tc uns 511 Tetten tjoffen, 
Kcim' cin tEiger jetjt gcloffen?" 



natfjau fagte: „Kam* cin iligcr, 
Sagf id] : bas if t meine ScEjiDteger* 
2T(iitter — idj bin uberjfiugt, 
Da% &as Untfrier 6ann cntpeudit!" 
2Ufo fprad? fcer weife 2Tatt;an 
KfiE)ii 511 feines fjaufes Satan, 
S» &et Sd]ioiegermiitter Saralf 
3n &er iPufte &er Sahara!;. 

21. Ho&eridj. 



184. Adolf Oberlander. Oberlander=Album 



Wo der Geier auf dem Gatter sitzt, 

Da gedeihen die Kuchlein selten ; 

Es diinkt mich fiirwahr ein Narrenspiel, 

Welcher Herr gehorcht seinen Raten soviel; 

Mufi mancher arme Mann entgelten. 

Ein edler Herr aus Thuringer Land, 

Herzog Wilhelm von Sachsen, 

Liefit ihr die alten Schwertgroschen wieder schlan 

Als eure Voreltern haben gethan, 

So mocht euer Heil wieder wachsen- 



So wurden die Stadte von Gelde reich 

So wurden wieder gute Zeiten, 

Die armen Leut konnten auch wohl beistahn, 

Wollt ihr sie in Noten rufen an, 

Es sei zu Stiirmen oder Streiten. 

Wo das gute Geld im Land umfahrt. 
Das haben die Pfaffen und Jiiden; 
Den Reichen ist alles unterthan, 
Die den Wucher mit den Jiiden han; 
Man vergleicht sie mit einem Stockruden.. 



Aus diesem Gedicht erfahrt man auch von der bereits im 15. Jahrhun* 
dert einsetzenden Zerruttung der Geldwirtschaft, die das Volk in immer 
schwerere Note brachte. Der dem Fursten gegebene Rat, die alten Schwert* 
groschen, d. h. vollwertige Geldstucke, wieder schlagen zu lassen, war aber 
leichter gegeben als befolgt. Weil das notige Geld infolge des noch unent* 
wickelten Warenhandels auf keine andere Weise zu erlangen war, als dafi 
man das fruhere gute Geld streckte, so pfiffen die Fursten auf den Rat ihrer 



23* 



179 



in Sorgen und Noten stohnenden Untertanen, und machten, wie ich in 
einem fruheren Kapitel ausfuhrte, obendrein die Juden zu ihren Munz« 
meistern, weil diese sich in den von ihnen geforderten Praktiken am ge« 
schicktesten erwiesen. Die Tatigkeit der Juden als Munzmeister hat zahls 
reiche literarische Proteste gezeitigt. Ich gebe als Beleg den folgenden, der 
ebenso prazis wie kurz ist: 

Wenn Gold und Silber das Metall Welches seine rechte Miinzprob halt? 

Wird so verderbet uberall, Ist das nicht eine Sund und Schand', 

Wo wird man endlich nehmen Geld, DaB Juden miinzen in. Teutschland? 

Der Geiz der Juden, der diese angeblich zu den absonderlichsten Aus* 
fluchten greifen lafit, um irgendeine groCere Geldausgabe zu sparen, hat die 
grotesk*satirische Anekdote von dem eingepockelten Isaac geformt, der 
man in verschiedenen Fassungen (im Italienischen z. B. bei Poggio) begegs 
net, und die auch mehrfach bildlich dargestellt wurde. 

Von zwei Juden, Salomon und Isaac, die nach fernen Landen verreist waren, starb der eine, Isaac, 
unterwegs. Da Salomon die Leiche seines Glaubensgenossen in die Heimat zuriickbringen, die teuren 
Frachtkosten einer menschlichen Leiche sich aber sparen wollte, so zerteilte er sie und verpackte sie so 
in ein FaB. Dieses FaB gab er auf dem Schiff, mit dem er heimfuhr, auf und deklarierte den Inhalt als 
gepokeltes Schweinefleisch. Unterwegs brach infolge Seenot Nahrungsmangel auf dem Schiff aus, und 
der Kapitan lieB heimlich von den im Schiff befindlichen Waren entnehmen. Als das SchifF endlich 
seinen Bestimmungsort erreicht hatte und der Jude sein FaB ausgeliefert bekam, war es leer: der ein* 
gepokelte Isaac war ebenfalls aufgegessen worden. In seinem Schrecken brachte der iiberlebende SaIo= 
mon, der ahnungslos doch auch von dem Fleisch des toten Isaac gegessen hatte, die Sache an den Tag 
und erregte mit seiner grauenhaften Enthiillung allgemeines groftes Entsetzen. Natiirlich kam der Jude 
ins Gefangnis. 

In Bild 72 haben wir ein englisches Beispiel der verschiedenen bildlichen 
Verarbeituhgen dieses Motivs. 

Die gefahrliche Konkurrenz des Juden im Handel, als der Konkurrent 
eines jeden, nicht blofi eines einzigen Handwerkers, hat, wie wir wissen 
(S. 83), die Emporung der kleinen Handwerker und Kaufleute ganz be« 
sonders aufgestachelt und zu immer neuen Protesten veranlafit. Das fol* 
gende Regensburger Lied aus dem 16. Jahrhundert ist ein solcher Protest 
in satirischer Form: 

Hunger und Not und groBen Zwang Und was er sonst im Haus nicht hatt, 

Das leidet der arme Handwerksmann. Das f and er bei den J uden zuhand, 

Es war kein Handwerk also schlecht, Es war ihnen alles gesetzt zu Pfand. 

Dem der Jud nicht groBen Schaden bracht. Denn was man stahl und raubt mit Gewalt, .- 

So einer ein Kleid kaufen wollt. Das hatt' alles da seinen Aufenthalt. 

Sofort er zu dem Juden trollt, Was jemand in der Kirchen fand, 

Silbergeschirr, Zinn, Leinwand, Barett Das kam dem luden heimlich zuhand.. . 

180 




185, Parodie auf das Umschlagbild des von Otto Julius Bierbaum herausgegebenen ,,Pan". IS95 



Ein Gut, das flinfzig Gulden kam, 
Das nahm der Jud fur zehen an, 
Hatt' er*s acht Wochen oder neun. 
So zog er's f iir sein eigen ein. 



Mantel, Hosen und allerlei. 

Das fand man bei dem Juden feil; 

Der Handwerksmann konnt' nichts verkaufen; 

Es war alles zum Juden gelaufen. 



Es war begreiflich'erweise sehr naheliegend, die Juden beim Geschafte* 
machen iiberhauptaller denkbaren Diebereien und Verbrechen anzuklagen. 
Des Raubes, des Meineids, des Mordes — zu allem sei der Jude fahig, wenn 
er nur dabei ein Geschaft mache. Die folgende Stelle aus Moscheroschs 
Philander infernalis (1648) ist ein solches Register von Schlechtigkeiten, 
deren man die Juden beschuldigte: 

Im Kaufen und Verkaufen, liigen und triigen, wuchern und stehlen, Junge und Alte ins Verderben 
bringen, die Hausgenossen zur Untreu und die Diebe zum Diebstahl veranlassen, den Diebstahl ab= 
nehmcn. Burger und Bauer in der Zahlung des Geldes betriigen, den Wucher bis auf 30 per cento un* 
menschlich erhohen, die Notarios mit Geld bestechen, die Handschriften von einfaltigen Leuten bei den 
Notariis auf Gericht zu sich nehmen, aber das Geld darnach nicht bezahlen, jedoch aber, dafi es ge= 
schehen sei, bei der Obrigkeit mit jiidischem Eid behaupten, den Diebstahl verschweigen, ihre Schatzung 
nicht recht anzeigen, und dadurch die Obrigkeit betriigen, heimlich alle Bubenstiicke, auch die greulichsten,' 
verdiistern, die Christen taglich verschreien und verfolgen, sie als Goim betriigen, und daft es keine Siinde 

sei, die Goim zu betriigen, offentlich lehren, 
in Gerichten alles leugnen und falsche Eide 
dariiber schworen, und endlich Christum, 
ihren Messias verleugnen und taglich lastern 
und dann in Summa solche Laster begehen, 
welche sonsten unter Menschen, auch unter 
Heiden, ja von den Teufeln selbst nicht 
haben erdacht werden konnen. 

Der von Moscherosch am 
Schlufi erhobene Vorwurf, dafi 
die Juden Jesus Christus vers 
leugneten, ist jene Anklage ge* 
gen die Juden, der man wohl 
am haufigsten begegnet, denn 
sie bildetmeistens den BeschluC 
aller anderen Anklagen. Dieser 
Vorwurf wurde deshalb mit 
ganz besonderem Vorbedacht 
immer wieder erhoben, weil 

Der Herr Geheime Kommerzienrat und Gemahlin 
erscheinen auf ihrem Hauskostumball als Napoleon und man dadurch die EmpOrung der 

Josephine - glaubigen Christen am heftig. 

Zur EmpiresMode. 

186. Hc, m a,„ sch)i<t gt „. Fi,«g tD d« bis>.„ steii aufstachelte. Wenn man 




182 



deshalb die Juden in 
irgendeiner Form per* 
sonlich zu Wortekoms 
men laflt, also z. B. 
in Passionsspielen, so 
legt man ihnen mit 
Vorliebe Lasterungen 
gegen die Jungfrau 
Maria oder gegen Jes 
sus Christus in den 
Mund. Pamphilius 
Gengenbach lafit in 
dem Gedicht von den 
„Funf schnoden Jus 
den", in dem er eine 
judische Hostien* 

schandung behandelt, 
den einen der Juden 
in folgenden vernon* 
nenden Worten Maria 
als die Schuldige an 
dem Elend des jiidi* 
schen Volkes ankla* 



gen: 



Das ist das 6d verfluchte- 

Weib, 
Aus welcher Bosenwichten 

Leib 
Ist uns hcrkommen all 

unser Keib, 
Wann sie uns den falschen 

Mann geboren, 
Dardurch wir hand all unser Land verloren 




In Schliersee: ,,Moritz, alle Leut* lachen. Ich glaub', mer sin 
popular". 

1S7. Karikatur von Bruno Paul. Simplicissimus 1900 

Und sind allsamt also ins Elend kommen. 



Zu dieser fur die Juden so gefahrlichen Anklage gesellte sich eine 
zweite, die in ihrer Art ebenso diabolisch war, und die man mit demselben 
Raffinement in die Gehirne der Massen hammerte. In den Passionsspielen, 
Schwanken usw., in denen Juden auftraten, lieC man diese namlich neben 



183 



i^ppS" 




Hi] ictg' iDu tec Grams- 



1S8. Albert Engstrom. Simp]; 



ihren Schmahungen uber Maria und Jesus Christus noch aufierdein in langen 
Reden auseinandersetzen, sie, die Juden, wurden, wenn sie in der Lage der 
Christen waren, d. h. wenn sie uber die Christen dieselbe grofie Gewalt 
hatten, wie sie die Christen uber die Juden haben, — dann wurden sie mit 
den Christen noch ganz anders verfahren, als diese es mit ihnen machen. 
Sie wurden ihnen die Haut bei lebendigem Leibe abziehen. Auf diese 
schlaue Weise wollte man nicht nur die Volkswut aufs Hochste gegen die 
Juden aufreizen, sondern aufierdem die den Juden von den Christen zuteil 
werdenden Drangsale entschuldigen und beschonigen. Ein besonders be* 
zeichnendes Beispiel dieser raffiniertesten Art der Judenverfolgung bietet 
„Ein seltsam und wunderbarlichs Gesprach von zweien judischen Rabinen 
gehalten", das naturlich, wie man damals mit Vorliebe fingierte, um 
Leser und Horer moglichst grundlich zu beeinf lussen, von einem biederen 
Christenmenschen „von ungefahr" mit angehort worden sein sollte. Ich 
gebe nur den Anfang und den Schlufi dieses aus der zweiten Halfte des 
16. Jahrhunderts stammenden, ganz aufierordentlich interessanten Dialogs, 
der insgesamt mehr als dreitausend Zeilen umfafit: 



184 



Rabi 

Rabi Senderlein, konnten wir erwerben, 
Alle Christen durchaus zu verderben. 
Ich dichte darnach friih'und spat, 
Wie der Sachen war zu finden Rath, 
Dafi wir Herren wiirden in ihrem Land, 
Ihr Geld, Gut bringen in unser Hand.. 
Alsdann so hatten wir den Gwalt 
Beid todt zu schlagen jung und alt, 
Ja in der ganzen Christenheit 
Geschichts nicht bald, so ist mirs leid. 
Fiirwahr das sag ich dir auch heut 
Denn die kein Geld han sein arm Leut. 



Fey del 

Es steht auch all mein Sinn und Muth 
Nur nach der Christen Gut und Blut. 
Darzu so helf uns Gott und Gliick, 
Die Christen zu verstofien gar zuriick, 
Daft sie nicht wiederum auffstehn 
Und blofi auss all dem ihren gehn, 
So hatten wir dann die Oberhand 
Alle Herrn zu stoften aus ihrem Land. 
Und wir darinnen sicher bleiben 
Niemand wiirde uns daraus vertreiben, 
Das sag ich dir bei meinem Eid. 
Rabi Senderlein wie gefallt dir der Bscheid? 



Rabi Senderlein: Fiirwahr der Bscheid gefelt mir wol usw. 



Der SchluB des Dialogs lautet: 



Hiemit wolln wir nun beschliefien 

Und sollt es alle Gojim verdrieften. 

So miissen sie solches von uns Ieiden 

Und sollts ihnen Wunden ins Herz einschneiden 

Und speien sie an ihr eigen Zahn*. 

Woher sie kommen, gehn oder stehn, 



Rabi Senderlein - 

LaB sie nur tapffer auf sie greifen, 

Sie konnen bald weder tantzen noch pfeiffen, 

Wir wollen also fort mit ihnen handeln, 

DaB keiner behalte Rock oder Mantel, 

Es sitzt mir schon einer im Haus, 

Der war auch gem gezogen aus. 



Xtbjifyiiliuna 




3n ^tringaWtf 




(lilunc&ux ltatnno&tttta 




T ^,,cf| 



189—191. Karikaturen » 
Fuchs. Die Juden in der Karikatur 



; E. Thony und F. v. Reznicek. Simplicissimus. 



185 



24 



Dem mufi ich gehn sein Sachen machen, 
Auf dafi er morgen nicht wird lachen, 
Derhalben ist es jetzt mein Zeit, 
Ich sag aber doch nicht alien Sachen queyt, 



Du wollest der Sach auch weiter nachdencken, 
Den Gojim ein recht Blutbad zu schencken, 
Wie ich dann lang darauf hab gedacht, 
Darauf hab dir ein gute Nacht.- 



In einer „Komodie vom Soldan von Babylonia" von J. Ayrer, in der u. a. 
auch ein Jude auftritt, wird dieser gleich im Personenverzeichnis als „der 
Jude und Christenverrater" bezeichnet, und darum werden ihm auch die 
entsprechenden Worte in denMund gelegt. Der Jude hohnt iiber die simple 
Harmlosigkeit der Christen in folgender Weise: 



Bei Gott, grofi Narren seind die Christen, 
Dafi sie jedoch aus unseren Listen 
Nicht mercken, dafi alle Juden seind 
Ihnen von Herzen gram und feind. 
Traun, ich sage bei meinem Eid, 



Es ist mir in meinem Herzen leid, 
Dafi ich sie nur mufi sehen leben, 
Wenn mir Gwalt uber sie war geben 
Wie sie Gwalt uber die Juden haben, 
Sie hatten langst gefressen die Raben. 



A ROTHSCHILD, IE ROl DES GMNCHES 



Ich begntige mich mit diesen wenigen charakteristischen Beispielen 
aus dem Gebiet der literarischen Satire. Denn schon diese wenigen Proben 
genugen vollauf, um hinreichend zu belegen, worauf es hier in der Haupts 
sache ankommt: da6 eben alles aus demselben Geist geboren ist, Bild und 
Wort, und dafi das Bild, die gezeichnete Karikatur, deshalb im Einzelnen 
wie im Ganzen ein getreuer und darum zuverlassiger Spiegel der Gefuhle 

ist, mit denen die Massen in den hier in 
Frage stehenden Jahrhunderten und Lans 
dern den Juden gegenuberstanden. 



Im Rahmen dieses Kapitels mufi zum 
SchluB noch eines Motives gesondert ge* 
dacht werden, daseine groBe Rolle in der 
Weltliteratur spielt, und das unbedingt hier* 
her gehort. Es ist dies die Sage von Alias* 
verus, dem Ewigen Juden. In diesem Motiv 
verkorpert sich das Symbol der ewigen 
Ruhelosigkeit und der Heimatlosigkeit der 
Juden: „G6tter kommen und schwinden — 
ewig wandert Ahasver." Dieses Motiv ge* 
hort deshalb in den Rahmen dieser Arbeit, 
weil es in seiner Idee karikaturistisch ist, 




Quel grvx cuchonl It est tjraa de notre maigreur. 
192. Rothschild. Pere Peinard. Paris 



186 



Rulomobil, Patent Sdtmul 
Billigrtcr Bttrieb! 

Oanllidi' gcfahrlos 1 




jJAttlO- 



193. J. Bahr. Der Scherer. Innsbruck. 1900 



und zwar grotesk4tarikaturistisch. Und es mufi dieses Motives sogar etwas 
eingehender als manches anderen gedacht werden, weil es einerseits das 
einzige rein kunstlerische Motiv ist, in dem im Mittelalter das Massenschicks 
sal der Juden Form gefunden hat, und weil es andererseits das einzige 
tragische Motiv ist, zu dem die Rolle der Juden in der damaligen Gesell* 
schaft die schopferische Kraft der Volkspsyche inspiriert hat. 

Das fur fruhere Zeiten, also bis tief ins 18. Jahrhundert hinein Aufs 
falligste am Schicksal der Juden war deren Heimatlosigkeit in Europa, 
und ihre Ruhelosigkeit, die sie iiber alle Strafien der bekannten Welt 
trieb. Diese allgemeine Eigentumlichkeit im Lebensschicksal des judischen 
Volkes war auch das Auffalligste fur jene Zeiten der lokalen Gebunden* 
heit des Einzelnen. Dieses Unterscheidende im Dasein der Juden muBte 
jener Zeit wiederum als ein grausamer Fluch vorkommen, der an ihnen 
Allen haf tete, dem sie standig zu entf liehen suchten, und dem kein Einziger 
zu entfliehen vermochte. Eine andere Vorstellung war nicht denkbar. In 
jenen Zeiten, wo es noch kaum eine Spur von nationaler Solidaritat gab, 
geschweige denn von einer allgemein menschlichen, wo die Tatsache aus* 
reichte „er ist nicht ortsansassig", um den Betreffenden bar jeden Schutzes 
zu machen, wo man sich nur unter den schwersten Miihen an einem andern 

187 




19t. Das judische Pferd. Karikaturistischer Hol2sehnitt von B. Berneis. 1905 

als dem Geburtsort ansiedeln konnte, — in jenen Zeiten war der Zustand 
der Heimatlosigkeit das traurigste Los, das einem Menschen beschieden 
sein konnte. . Es gait als fast so schlimm wie der Tod, und die Stadtver* 
weisung war eine der hartesten Strafen, die iiber einen Missetater verhangt 
werden konnte. Wenn also ein ganzes Volk in dem Zustand der ewigen 
Heimatlosigkeit sich befand, wenn seine Glieder iiber die ganze jeweils 
bekannte Erde verstreut waren, und wenn man an dem ewigen Wanders 



188 



trieb, der die Juden beseelte, es so empfand, als ob sie immer auf der Suche 
nach einer bleibenden Heimat seien, so mufite dies fur die Vorstellungskraft 
jener Zeiten unbedingt als die Folge eines furchtbaren Fluches erscheinen, 
der auf den Juden als Gesamtheit laste. Und dieser Fluch konnte wiederum 
nichts anderes als die Strafe fur das grofite Verbrechen sein, das einer der 
Ihren einmal begangen hatte, und fur das nun dauernd sowohl die Gesamt? 
heit der Juden als auch jeder Einzelne von ihnen in der Form der steten 
Heimatlosigkeit und der ewigen Ruhelosigkeit zu bufien hatte. Was 
konnte es aber fur jene Zeiten Verbrecherischeres geben, als eine schwere 
Versundigung an Jesus Christus. Fur die damalige Vorstellungsweise gab 
es, wie ich schon.weiter oben sagte, keine grofiere Siinde. Und dieses un* 
verzeihliche Verbrechen hat ihnen denn auch der sagenbildende Volksgeist 
jener Zeiten in der Sage von „Ahasverus, dem ewig wandernden Juden" 
angedichtet. In einer Schrift aus dem 17. Jahrhundert, die die Volkssage 
von Ahasverus als geschichtliche Wahrheit annimmt, wird die Tat und 
das Schicksal des Ahasverus 
folgendermafien geschildert: 

„Als Christus unser wertester Heiland 
zum schmahlichen Kreuzestod verurteilt und 
solche neue Zeitung unter die Leute zu Jerus 
salem, deren bei dem instehenden Osterfest 
ein fast unzahlbare Zahl waren, gekommen, ist 
jedermann die Exekution, wie es in dergleichen 
Fallen ublich ist, zu sehen zugelaufen. Da 
sei unter andern ein Jude Namens Ahasverus, 
ein Schuster seines Handwerks, der nahe an 
dem Thor, wodurch Christus zur Richtstatt 
mufite gefiihrt werden, wohnte, aus seiner 
Werkstatt herausgelaufen, auch sein Gesinde, 
es mit anzusehen, gerufen, da nun der Heiland 
ganz mud und abgemattet mit der schweren 
Kreuzeslast vor des Juden Ahasveri Tiir etwas 
stillgestanden und ruhen wollen, da habe es 
dieser Jude nicht wollen zugeben, sondern 
den Herrn mit dem Leist, so er in der Hand 
gehabt, geschlagen, fortgestofien und heilien 
fortgehen; worauf ihn Christus mit zornigem 
Angesicht angesehen und gesagt: Ich will 
zwar hier ruhen, Du aber sollst gehen, bis 
ich wiederkommel Darauf der Jude sofort 
sein kleines Kind, so er auf dem Arm gehabt, 
niedergesetzet, Christo zur Richtstatt nach* _ Ein koscheres Paar 

gefolget, Sein jammerliches Leiden, Schimpf- 195. Katikatumtischer Holischnitt von B. Bemeis 




189 



liche Kreuzigung und schmerzlichen Tod selbst mit angesehen, nach deren Verrichtung er nicht wieder 
nach Jerusalem kehren konnen, habe also sein Weib und Kind nicht wieder zu sehen bekommen, sons 
dern sei in der Welt herumgereiset, wandere auch noch bis auf den heutigen Tag umher." 

Diese Sage vom Ewigen Juden , die die ganze Weltliteratur befruchtet 
hat, hat in Wahrheit in der Bibel keine Stutze; sie ist erst etwa im 13. Jahrs 
hundert entstanden. Es ist ausschliefilich der Volksgeist, und zwar der satis 
rische Volksgeist, der hier dichterisch am Werke war. 

Es kann gar nicht bestritten werden, dafi die Figur vom Ewigen Juden 
ein karikaturistisches Gebilde ist, und genau so in das Gebiet der Kari* 
katur gehort, wie Don Quichotte, der Held des Cervantes. Denn das Gro* 
teske, die iiber MenschenmaB hinausragende Ruhelosigkeit als Schicksal 
des Ewigen Juden, ist eben der Wesenskern dieser Dichtung. In der unge* 
heuer grotesken Steigerung des Gedankens, nie und nimmer zur Ruhe zu 
kommen, durch die Jahrtausende hindurch wandern zu miissen, an alien 
grofien Fahrnissen der Menschheitsgeschichte, den Tod und damit die Er* 
losung suchend, teilzunehmen, immer aber nur den Tod und den Unter* 
gang der andern zu erleben, — in dieser Vorstellung hat der Menschengeist 
ohne Zweifel eine seiner kuhnsten Karikaturen geschaffen. GewiB zugleich 

eine seiner erschutterndsten. Wenn sich 
nun ein Motiv wie das von Ahasverus 
an die Juden kniipft, so muB man ge* 
wifi sagen, dafi damit auch das Mitleid 
an die Vorstellung vom Volksschicksal 
des Judentums geknupft ist. Das heifit 
also : durch die Erschaffung dieser Figur 
erweist sich die Volkspsyche auch als 
mitfuhlend mit den Juden. Nichts* 
destoweniger handelt es sich auch in 
diesem Motiv sogar in erster Linie eben* 
sosehr um eine schneidende Satire auf 
das Judentum. Denn die Sage lafit die 
Juden die Qualen dessen, der niemals 
Ruhe finden kann, der ewig nach der 
ErlosungsuchenmuB, als durchaus vers 
dient erleiden. Mit Wonne werden in 




Comment, ;u es encore avee uit Juif J Dccidemcnt iu cs 



co mme Ja mcr Rouge -lu ne t'cntr'cuvfcs que pour les Hebrcux. 
196. Galante Karikatur von A. Guillaume 



190 




Kurgaste 

197. \V. J. Konijaeuburg. Aus De Kroniek, Amsterdam 1895 

den volkstumlichen Behandlungen dieser Sage die Gefahren ausgesponnen, 
denen sich Ahasverus immer von neuem aussetzt, um in ihnen den Tod 
zu finden. Deshalb aber ist es viel zutreffender, wenn man folgert: dieses 
Motiv ist ebensosehr aus grofitem HaB wie aus verstehendem Mitleid 
geboren. Damit aber uberwiegt in fruheren Zeiten von selbst der Hohn, 
das heifit das Satirische in diesem Motiv. 

In der Figur des Ewigen Juden handelt es sich selbstverstandlich durch* 



191 




aus um ein literarisches Motiv, 
und gar nicht um einen objektiv 
bildhaften Gedanken; denn der 
Inhalt und damit die Wesenheit 
seines Schicksals kann nur in 
einer epischen Darstellung um* 
spannt werden. Die Idee gipf elt 
nicht in einer einzigen Pointe, 
sondern in Dutzenden ; sie zeigt 
eine Reihe von Gipfeln. Die 
Behandlung war darum auch 
uberwiegend eine literarische. 
Gleichwohl kam es auch zu 
bildhaften Gestaltungen , und 
zwar vornehmlich in der Form 
der grotesken Darstellung eines 
sturmisch iiber die Erde dahin* 
eilenden alten Juden. Von dies 
ser Verkorperung gebe ich hier 
ein sehr gutes Beispiel. (Siehe 
Beilage neben S. 144.) Eine andere bildliche Losung bot die Form einer 
ganzen Bilderserie, in der die verschiedenen Erlebnisse des Ewigen Jus 
den dargestellt sind. Diese Darstellung ist naturlich noch haufiger ge* 
wahlt worden. Am beruhmtesten sind von solchen Darstellungen die 
Illustrationen, die Gustav Dore zu dem Gedicht „Le Juif Errant" von 
Dupont gemacht hat. Diese zwolf Blatter offenbaren die ganze GroBe der 
grotesken Phantasie Dores. Ahasver wandert durch die ganze Geschichte 
der Menschheit. An ihren gefahrlichsten Entscheidungen und Augenblicken 
ist erTeilnehmer. Aber immer geht er heil daraus hervor. In kuhnster und 
groteskester Steigerung zeigt uns Dore die Gefahren, denen Ahasver sich 
aussetzt; die Phantasie kann wirklich keine tolleren Gebilde entwerfen, und 
sie hat sich auch nie toller ausgelebt als auf diesen Blattern. Ich gebe hier 
als Beilage (neben S. 152) das letzte Blatt dieser Serie, auf dem Ahasverus 
als alter Jude endlich beim Jungsten Gericht angelangt ist und hier nun 
Ruhe findet. Die Trompete des Jungsten Gerichtes schmettert ihm in die 



Schnorrer (zum Bankier der ihm energisch die Tiire 

gewiesen): „Das sagen Sie mir, Herr Silberberg! 

Bin ich nicht ebensogut e Mensch wie Sie?!" 
Bankier: , Machen Sie, daft Sie hinauskommen, oder 

ich lasse Sie durch meine Dienerschaft hinauswerfen, 

Sie unverschamter Patron!" 
Schnorrer: „Was? Wie? . . . Wenn Se waren e 

Kavalier und wenn ich war auch e Kavalier, wiird' 

ich Se jetzt ford em!" 

198. F. Harburger. Wenn — ! Fliegende Blatter 



192 




Paul Singer, sozialdemokratischer Fiihrer und Reichstagsabgeordneter 
Deutsche Karikatur von P. Brandt; Kladderadatsch. 1903 



Bellage in Eduard Fncbs, .Die Jnden in der Karikatm* 



Albert Ltngen, Mflncben 



Ohren: „Du bist erlost, deine 
Siinde ist gebiiBt!" Und erlost 
atmet er . auf ! Zum erstenmal 
darf er die zerfetzten Schuhe 
von den FuBen tun, und mit 
wahrer Wollust streift er sie ab. 
Das gesamte Judentum fiihlt 
man in diesem begluckt auk 
atmenden alten Juden, dem der 
Bart bis fast zu FuBen herab 
gewachsen ist, von seinem alten 
Fluch erlost. Es ist bis jetzt frei* 
lich nur in den Hohen der Dich* 
tiing erlost. 




„Veitelleben, setz dich nauf auf den Braunen!"' 
..Vaterleben, was soil ich machen den Umweg, liu 
kommen auf die and're Seit'!?" 

199. Ludwig von Nagel : Vorahnung 



Die sprachliche Satire. Auch in der Sprache hat sich der morali* 
sierende Kritizismus eine spezifische Ausdrucksform geschaffen: das 
Sprichwort. Das Sprichwort redet fast immer mit satirischem Munde. 
Schon aus diesem Grunde gehort auch das Sprichwort, soweit es sich mit 
den Juden beschaftigt — und es beschaftigt sich sehr viel mit ihnen — in 
den Rahmen dieser Arbeit. 

Das Sprichwort ist die von der Masse selbst geschaffene Lebensphilo* 
sophie fur den Tagesgebrauch. Es ist die durch tausendfache Erfahrung 
gesammelte, formulierte und korrigierte Weisheit der Gasse. An jedem 
Sprichwort hat ein ganzes Volk mitgearbeitet. An jedem einzelnen haben 
Tausende und Zehntausende geformt und geschliffen, bis es seine spezifis 
sche Form erlangte, die ihm einen Allerweltskurs verschaffte und es sozus 
sagen auf die Hohe eines Glaubenssatzes erhob. Das Sprichwort ist des* 
halb bis zu einem gewissen Grade nichts anderes als eine populare und 
profane Erganzung der biblischen Glaubenssatze; diese drangten nach Er* 
ganzung, weil ihre Weisheit nicht fur alle Falle des Lebens ausreichte. 
Darum stammt das Sprichwort zumeist auch aus jenen Zeiten, in denen es 
auBer der Bibel und auBer den religiosen Glaubenssatzen noch keinerlei 
andere Morallehren fur die Massen gab. In diesen Zeiten muBte sich das 



Fuchs. Die Juden in der Karikatuc 



193 



Volk seine Wissenschaft, deren es zur Erleichterung seiner Existenz bedurfte, 
selbst schaffen. Und es schuf sie sich auch selbst, und zwar auf dem Weg 
der selbstgewonnenen Erfahrung. So entstand z. B. die Volksmedizin. In 
der praktischen Lebens* und Menschenkunde, wenn man esso nennen will, 
formulierte das Volk seine Erkenntnisse in der Form des Sprichwortes. Das 
Sprichwort ist empirisch errungene Volksweisheit auf die knappste Formel 
gebracht. In dieser Knappheit wurzelt, neben seiner apodiktischen Form, 
seine Einpragekraft bei den Massen. Aus diesen Zusammenhangen erklart 
es sich, dafi das Sprichwort seine unbestrittene Herrschaft auch am langsten 
in den Volkskreisen und den Landern behauptet hat, die besonders lange 
und besonders hermetisch von den alles Hergebrachte korrigierenden Ein* 
fliissen der exakten Wissenschaften abgeschlossen blieben. Das sind uberall 
die Bauern, die kleinen Handwerker und der Mittelstand. In diesen Kreisen 
hat man an die Richtigkeit eines Wortes, das einmal zum Sprichwort ge* 
worden war, viele Jahrhunderte lang geglaubt. Heute entstehen aus den 

gleichen Griinden keine Sprichwort 



•- — « ©ic Usefcfaneitiuitg 




200. Kikeriki. Witn 1912 



ter mehr. Die exakte Wissenschaft 
Hndet mit ihrer richtigstellenden 
Tatigkeit heute selbst in die kleinste 
Bauemstube des abgelegensten Dor* 
fes ihren Weg, und ware es nur in 
den Spalten des Bauernkalenders, 
den jeder Dorfler kauft und liest, 
wenn er auch sonst kein Geld fur 
Gedrucktes ausgibt. Dem Sprich* 
wort ist aber auch schon das Todes* 
urteil gesprochen, wenn das Dens 
ken und Fiihlen der verschiedenen 
Klassen von starken Gegensatzen 
beherrscht ist. Das Sprichwort kann 
nur aus einer einheitlichen Volks* 
meinung entstehen. Und diese starke 
Gegensatzlichkeit im Denken und 
Fiihlen der verschiedenen Klassen 
ist bekanntlich schon lange und 



194 



Die 



Kkctttldemo e&ttt e 



iiberall das Wesenss 
merkmal der Zeiten. 

Diese Umstan* 
de, unter denen ein 
Sprichwort entsteht 
und sich verbreitet, 
erheben es fur jene 
Zeiten, in denen es 
unbestritten herrsch* 
te, wo es haufiger als 
das bare Geld kur= 
sierte, zu einem Kul« 
turzeugnis allererster 
Ordnung. Weil die 
in einem Sprichwort 
ausgedriickte Mei« 
nung sozusagen von 
der Gesamtheit der 
betreffenden Zeit 
approbiert ist, darum 
ist es aufierdem der 
entscheidende Mafis 
stab fur die Richtig* 
keit oder Unrichtigs 
keit aller anderen aus 
dieser Zeit stammen* 
den Werturteile. Auf 

unseren Gegenstand angewandt, bedeutet das: auch das Sprichwort erweist, 
bis zu welchem Grade die Karikatur in ihrem extremen Gewande die 
Wahrheit sagt oder falscht; es ist dieser gegeniiber Mafistab und Korrektur 
zugleich. Auch aus diesem Grunde ist das Sprichwort, in dem von den 
Juden die Rede ist, fur diese Arbeit von Wichtigkeit. 

Schlieftlich kommen die Sprichworter noch aus einem dritten Gesichts* 
punkt fur uns hier in Frage. Sehr haufig sind bestimmte Karikaturen nur 
illustrierte Sprichworter; der satirische Sinn des Sprichworts schuf dem 




i» ,£#wi *t w&tWr, tatitjMi urn ,Jhfmfi - 

201. Kikeriki. Wicn 



195 



is* 



Karikaturisten den Anreiz. Das gilt auch von manchen Judenkarikaturen, 
die nichts anderes sind als Illustrationen zu besonders popularen Sprichs 
wortern uber die Juden (Bild 23). 

Die Sprichworter des 15. bis 17. Jahrhunderts — das ist ihre Haupts 
blutezeit — behandeln selbstverstandlich nicht nur auch die Juden, son-- 
dern behandeln sie, wie ich schon eingangs dieses Kapitels sagte, sogar oft. 
Die Sprichworter, die sich mit den Juden beschaftigen, diirften nachTausen* 
den zahlen. Man begegnet Sprich wortern uber die Juden nicht nur in jeder 
Sprache, sondern vielfaltig in jeder Mundart, und aufierdem sind zahlreiche, 
ja sogar die meisten von ihnen, in alien Sprachen anzutreffen. Das eine 
wie das andere ist nicht weiter verwunderlich. Weil die Juden in ihrem 
Wesen gleichartig sind, und weil sie in alien Landern dieselbe Rolle inner* 
halb der Geldwirtschaft gespielt haben, darum gelangte man notgedrungen 
auch uberall zu denselben Erfahrungen. 

Das Fazit, das man aus dem Sprich worterschatz der verschiedenen 
europaischen Lander ziehen mu6, ist nun, dafi das Sprichwort nirgends die 
in der Karikatur zum Ausdruck kommende Allgemeinanschauung uber die 
Juden korrigiert, sondern die sprachliche Satire deckt sich vollkommen mit 
der graphischen und der literarischen Satire. Es unterstreicht diese alle so* 
gar noch vielfach durch seine grofiere Knappheit. Im Sprichwort lebt der* 
selbe HaB gegen die Juden, in ihm werden gegen die Juden dieselben Vor* 
wiirfe erhoben und die gleichen angeblich spezifisch judischen Eigenschaften 
als Laster bekampft. 

Ich habe hier eine kleine Auswahl charakteristischer Sprichworter uber 
die Juden zusammengestellt, die, bei aller Beschrankung, dieses Urteil wohl 
hinreichend belegen werden. 

Der tiefe Hafi gegen die Juden, soweit er sich im Sprichwort ausdriickt, kann nicht drastischer dokumen 
tiert werden, als durch die drei folgenden Sprichworter, von denen die beiden ersten in mehreren Sprachen 
vorkommen: „Sc*hlage einen Jiiden tot, so nimmt es deiner Seele vierzig Siinden ab." „Die Spreu vom Weizen 
auslesen, heifit Juden und Huren ertranken," und: „Man mufi es machen wie der Kosak Gonta, der die 
Juden reihenweise aufspiefien liefi." (Russisch.) Das zweite Sprichwort heiftt in der Ukraine: ...Spreu 
vom Weizen auslesen, ist Polen und Juden ausschlachten." 

Das ewige Judenschreckwort: „Der Jud ist schuld" und die bis auf den' heutigen Tag so stereotyp 
wiederholte Anklage: Die Juden sind dasUngluck der Welt, und die Juden sind schuld an unserem Ungliick, 
spiegeln die folgenden Sprichworter: ,,Die Juden haben die Luge in die Welt gebracht"; „Der Juden 
Reden und Liigen unterscheiden sich wie Eier von schwarzen Hiihnern und weifien". „Wo ein Jude 
hinspuckt, wachst Unkraut"; in einer anderen Fassung: „Wo ein Jude: hinspuckt, gibts Ungliick"; „Wenn 
einen der Teufel verderben will, kommt er in der Gestalt eines Juden"; „Ein Ungliick kommt selten 
allein, sagte der Bauer, da sah er drei Juden des Wegs kommen"; „Das Ungliick lauft in Judenschuhen 

196 



Das untertrbtfcfye lUi^lanb. 







(tin J»ili> aljuc SUoi-tv turn Cinvoljiuen. 



202. Kikcriki. Wien 



ITlei' Cioarrcnfptft. 




„Wer sein Haus rein halten will, der vcrschliefi die 
Tiii voi Juden und Huren." „Juden und Edelleute 
verdetben alles in Giund und Boden." 

Das angeborcne Gcschick der Juden zum 
Geldverdienen und zum Reichwerden diiicken die 
drei folgenden Sprichworter gcradezu k (assise h aus: 
„Setz den Juden auf einen trocknen Stein und gib 
ihm einen Beutel Geld in die Hand, ei wird reich" 
(Tschechisch): „Ein Jude hat immei Gliick, und 
wenn er bis Mittag im Bett bleibt" (Preufiischl; 
..Reich wie ein Jude" (Franzosisch). 

Auf die Geldgier der Juden: daft sic aufier 
ihren Geschaften nichts im Kopfe haben. daft sie 
liberal] anzutreffen sind, wo es etwas zu verdienen 
gibt. und dal5 ihnen kein Weg zu weit ist, wenn ein 
Rebbach winkt. darauf gibt es begreiflichcrwcisc 
besonders vielc Sprichworter. Typischsind die folgen= 
den: ..Wenn dem Juden ein Groschen winkt. lauft 
er durch ein ganzes Kirchspiel"; ..Wenn es etwas zu 
verdienen gibt, fricrt's den Juden niemals in die 
Fiifte"; ,,1-ieben wir uns wie Briider, und feilschen 
wir wie Juden", — das soil heificn: In der Kirche 
ist man der Bruder des andern, aufterhalb ist einer 
fiir den andern nur Gcschaftsobjekt. „Kein Sumpf 
ohne Teufel, kein Herrenhof ohne Juden"; „Wo 
ein Jude Nachlese gehalten bat, kratzt kein hungriger 
Wolf mehr etwas heraus". Wenn es etwas zu verdie> 
nen gibt, macht der Jude angeblich so wenig wie die Hure einen Unterschicd, woran und wo er vcrdient, 
darum sagt man: ,.Die Huren und die Juden sind alien feil". Die angeblich haufigerc Unreellitiit der Juden 
beim Geschaftemachen und ihre Durchtriebenheit gehoren ebenf alls hierher. Ein hierauf sich beziehendes 
polnisches Sprichwort lautet: „Den Polen hintergeht der Deutsche, den Deutschen der Walsche. den Walschen 
der Spanier, den Spanier der Jude. den Juden aber blofi der Teufel"; ein zweites polnisches Sprichwort lau* 
tet: „Gott soil behiiten vor goische Hand' und vor jiidische Kopp". Deutschen Ursprungs sind die folgen* 
den: „Der Jurist mit seinem Buch, der Jud mit seinem Gsuch, das unter der Frauen Fiirtach. Diese drei Ge* 
schirr machen die ganze Welt irr"; „Wer einem Wolf traut auf der Heid, einem Juden bei seinem Eid, einem 
Kramer bei seinem Gewissen, der wird von alien drei gebissen". ,, Juden und Kramersleut sind des Teufels 
seine Freud". Unter den folgenden Umstanden sind sie angeblich aber auch die des lieben Herrgotts: ..Wenn 
ein Jud den andern, ein Pfaff den andern, oder ein Weib das andere betriigt. so lacht Gott im Himmel". 
Die Sparsamkeit der Juden, ihre Unersattlichkeit in Geldsachen und ihren Geiz behandeln die f olgen= 
den Sprichwoiter: ..Selten sind sieben Dinge. Eine Nonne, die nicht singe, Ein Madchcn ohne Liebe, Ein 
Jahrmarkt ohne Diebe, Ein Geiftbock ohne Bait, Ein Jude, der nicht spart, Ein Komhaus ohne Mause. 
Und ein Kosak ohne Diuse '. „Huren und Juden sind wie ein grundlos Merr, Sie verschlucken Leib, Gut 
und Ehr". „Der Jude dreht jeden Pfennig dreimal um, bevor er ihn ausgibt". „Gcizig wie eine Rabbinerss 
frau". „Des Juden Herz klopft im Geldbeutel". „Ein Jude lafit seinen Rock dreimal wenden." ..Der Jude 

und der Bauer sch nur auf den eigenen Acker". 

Die starke jiidische Sinnlichkeit ist ebenfalls ein nicht seltenes Thema im Sprichworterschatz der vers 
schiedenen Nationen. „jude und Bock stinken vor Geilheit". „Er ist geil wie der Jud am Schabbes". ,.Wer 
wird niemals satt? des Juden Geldbeutel und der Jiidin F . . ." „Was eine richtige Jiidin ist, iftt auch gern 
treefe' r . Um einen sinnlichen Menschen zu charakterisieren, sagt man in Schwaben: „Er tragt ein Juden> 
hemd", worunter man die auf grofiere Sinnlichkeit der Juden gedeutete starke Behaarung an Brust. Annen 
usw., bei Frauen den Schnurrbartansatz, versteht. 



£l Bur? (Jyn . 
3. Kiktiilri. Wira 



198 



Es diirfte wahrscheinlich keine den Juden eigentiimliche oder ihnen angedichtctc Eigenschaft geben, 
die der Volksmund nicht zu einem moralisierenden Sprichwort ausgemiinzt hatte. Weil der Jude in alle 
Dinge seine Nase steckt. sagt ein poln'isches Sprichwort: „Kein Handelchen ohne ein jiidisches Kopfchen' . 
Uber die ewige Unruhe der Juden heifit es: „Er treibt sich in der Welt herum wie ein Jude". Da an: 
gehlich niemand so unterwiirng ist wie der Jude, so heiBt es: ,,SchmeiBt man den Juden vornen hin- 
aus, so kommt er hinten wieder herein". Ein anderes Sprichwort sagt es noch drastischer: „Spei dcm 
Juden ins Gesicht. und er sagt: es regnet". Aber das ist nur scheinbar; nur ins Gesicht sei der Jude 
unteiwiirfig. In Wahrheit verzeiht der Jude niemals eine ihm zuteil gewordene Dcmiitigung. Ein spanisches 
Sprichwort sagt: ..Jude, Weib und Kronentrager verzeihen nie". Auch auf die jiidische Freundschaft 
sei so wenig wie auf die eines Monches ein voller VerlaB: „M6nch und Jiid sind niemals gute Freunde" 
Deshalb rat ein anderes Sprichwort: „Mit Juden und PfafTen habe nichts zu schaffen". Um einen unge* 
bildeten Menschen zu kennzeichnen. sagt ein ungarisches Sprichwort: „Es ist ein Jude im Hausc" — weil 
der jude nicht weifi. daft man in einem fremden Hause den Hut abnimmt. Ober die jiidische Unsauber? 
keit sagt ein polnisches Sprichwort: „Der Jude' und der Russe waschen sich nur einmal im Jahr. und 
wenn sie zufallig ins Wasser gefallen sind. gar nicht". Wenn einer fortwahrtnd nur mit Worten um sich 
wirft. ohne iemals Taten folgen zu lassen. sagt man: ..Jiidisches Vesperlauten" — das soil bedeuten: des 
Juden ganze Frdmmigkeit be* 

stehe in seinem Geschrei m 2iusit>anbcrung nad} palaftina. 

der Synagoge. Die Putzsucht 
der Jiidinnen soil grofter als 
die alter anderen Frauen sein. 
darum heiBt es: ..An einem 
ludenweib hangt immer tt- 
was, und wenn sie noch so 
arm ist". Vor allem aber ist 
der Jude der groftte Real* 
politiker. ihm imponiert nur, 
wasvorhanden ist: „Fur'sGe» 
wesene gibt der Jud nichts". 
In dieser Weise konnte 
man noch lange fortfahren 
bis man zu Ende kame. Ich 
muB mich aber im Rahmen 
dieser Arbeit auf diese knappe 
Auswahl beschranken. Es 
bleibt nur noch eine einzige 
Kategorie, die nicht (iber* 
gangen werden darf, und das 
sind die Sprichworter auf die 
getauften Juden. Mit den ge- 
tauften Juden beschaftigen 
sich gin: besonders viel 
Sprichworter. Man begegnet 
solchen schon in allerf itihester 
Zeit und ebenfalls in jeder 
Sprache, weil eben die gesell* 
schaftlichen Zustande jedes 
Landes immer wieder zahl* 
reiche Juden dazu zwangen, 

sich tauf en zu lassen. Da >"*■ S* *• •"* •" ^ * ? '° 4t " * li * [| ■ 

nur mit ganz wenigen Aus- v». KikcnU. Wto 




199 



$2cue bev „ju&ifd?e genius" c*usfiei?f . . . 



nahmen,. sodafi man eigentlich ohne Obertreibung 
sageii konnte niemals, andere Griinde als solche 
rein aufierlicher Art den Religionswechsel der Juden 
bestimmten, so hat sich auch dadurch nichts an 
ihrem Wesen geandert: „Jud bleibt Jud t und wenn 
er sich zehnmal schmatten lafit" (was besonders 
Geschaftskundige wegen des jedesmaligen Patens 
geldes f'riiher auch nicht selten getan haben sollen). 
Das ist der Tenor samtlicher Sprichworter uber die 
getauften Juden. Sie sind sich im Sinn alle dariiber 
einig, dafi aus einem Juden niemals ein richtiger 
Christ werde, dafi das durch die Taufe vom Juden 
angenommene Christentum nicht ernsf zu nehmen 
se'i, ja, dafi der getaufte Jude sogar ein besonders 
minderwertiger Mensch sei. Ich beschranke mich 
fur alles dies auch nur auf einige besonders be? 
zeichnende Proben. Die al teste deutsche, die ich 
gefunden habe, lautet: „Ob sich ein Jud schon 
taufen lat, So ist er doch nit Fisch un Grad Und 
hat dazzu zwolf Eid geschworn Ist Krisam und 
Tauff dran verlorn". Ein anderes deutsches Sprich? 
wort lautet: „So wenig die Maus die Katz frifit, so 
wenig wird der Jud ein guter Christ". Wie wenig 
der getaufte Jud taugt, behauptet das Sprichwort: 
,Getaufter Jud tut selten gut". Denselben Gedanken 
driickt ein polnisches Sprichwort so aus: „Gezahm= 
ter Wolf, getaufter Jud, gelotet Schwert und ein 
versohnter Feind sind wenig wert". Dafi die ge= 
tauften Juden in der Skrupellosigkeit geradezu 
den Gipfelpunkt darstellen, prazisiert wieder ein 
deutsches Sprichwort, und zwar indem es die un= 
getauften und die getauften Juden in ihrem Ver= 
halten gegeniiber Christum miteinander vergleicht: „Die (ungetauften) Juden verkauften Jesum Christ; 
war er noch auf Erden, er wiirde von den getauften Juden aber verkauft werden". Weil man nun mit 
den getauften Juden angeblich uberall die gleichen traurigen Erfahrungen macht, darum empHehlt die 
Volksmoral im Sprichwort der verschiedensten Lander auch uberall das gleiche. Das beste sei, so sagtsie, 
sich der getauften Juden so rasch und so griindlich wie moglich wieder zu entledigen. „Mit den ge* 
tauften Juden nur wieder ins Wasser" heilit es im Tschechischen, und in der Ukraine heifit es gar: 
,Taufe den Juden und hau ihm den Kopf ab". 

Mit diesen Sprichwortern auf die getauften Juden, die besser als alle anderen beweisen, dafi man 
dem Juden seinjudentum niemals verzeiht, auch dann nicht, wenn er sich hat taufen lassen, konnte ich 
dieses Kapitel abschliefien Aber wenn ich es tate, ware es unvollstandig, weil dann die Gegenseite, die 
Gerechtigkeit gegeniiber den Juden im Sprichwort, gar nicht erwahnt ware. Diese Gerechtigkeit kommt 
in den Sprichwortern zwar nicht oft, aber doch hin und wieder zu Worte. Das ist ein kleiner Unter* 
schied gegeniiber der Karikatur fruherer Jahrhunderte. Ein Sprichwort, das den Umfang der jiidischen 
Leiden anerkennt, ist das folgende preufiiche: „Das halt keinjude aus, viel weniger ein Christ". Durch 
dieses Sprichwort soil ausgedruckt sein, dafi die Juden Meister im Dulden sind, dafi sie gewohnt sind, 
die grofiten Qualen zu ertragen. Ein zweites ahnliches Sprichwort lautet: „Wenn der Jude stohnt, heult 
der Christ schon drei Tage". Dieses Sprichwort ist aus derselben Anschauung entstanden. Ein weiteres 
Sprichwort behandelt die rasche Hilfsbereitschaft der Juden, es lautet: „Bis der Christ sich umdreht, hat 
der Jude schon langst geholfen". Die grofie Hilfsbereitschaft der Juden kommt auch in den beiden 




En aibunMotl Jflt ben r ftan(t!riti!tt* ba ,3taea 5"iin ?cc[It* 



205. Kikcriki. Wien 



200 



cffifieriffi'&ifder'Sogen. 



Nr. 2. 




flier full' id) not Jm IToiljon Koljn, 
Den aniiakii IDnnbcrfoIni, 
Pen Bern bie 3ubcnficbl trj5f)ll, 
<£\ tnerb' cmol bos fidjl bcr IDcli. 
Klon is btr Haitian Holm — vie tiaiftt? 
Ijail" is or fdjon c K ie|' i in <5 a i ft* 



***P 



JTatfyan Kofjn, t>er XDunberfofya 




tiff 2<ml)on roar crfl alt r 3oW 

lis CC C -iolj bcr Diamine WOT. 

Del Catelciicn, be mijd'pod)', 



5c matCH ollt fioljtr noifj. 

Dos 3iiii*jel mil on' 3ohr — of €l|r'l - 

plaillilijjelt roic c oiler Ejctrl 




lUit's flctjl fo in bet scitcit £ouf, 
Drr Haitian n-ru+jl jrijon langfom mil, 
<£r Ijat jerjt fd.-ou c faincn Wig 



Unl u'trfi t)crum mil <5eiftesblit;\ 
Be £hri[;ciiinaicln foppf CT g«ni, 
lUcil die fid; foitncu bod) tttr metit'n. 




BalD juifrr er [id; iin Ttad'batfjans 
Sic hd^e aiiluujts.lfaUc aus 
£s is Htbcffo Deildgcnfclb, 



Sic Mica,! cmol c big! <Bcti>. 

£r fdjroocl it)r o* Eicb' fc is e-ftgnugi, 

Dog fc ben q'Jd/ei&trn natb,an riicgl. 




Da Tlanc ZIotImn roartjfi rj*ran. 
Da fongt er benn je tjanbeln an. 
l"ie cr [tod) raufpert trie cr fpurfi. 



Dam date hot cr's abgcgiirlt. 

Jor'n Kcbbart; t|Ol et !angj"t Sen Sin i, 

Drum bring) bet JTTajjcs ilim (Seirinn. 



iSfes, 




Unb Mift cnifte^l c groig' *5efd>fiit, 
Oo met *t fdjonfitii So* hi irefi'i. 
G> ©unbfr — fciirf unb Perfonel 



tfmrogen (id) in jcoem .?all ; 

Dcim bt'tbt futtt bet Haitian cot - 

Da haut bit <5orm user's ©'K. 




;jnil) in bet 5djnl' giljl ITatljan qcen 
Do alSujt fei' lDcishctl niic c Stent 
Do jeitji bos golb'nc rUunbetfinb, 
Wit hell fei" Saifl is ttnb qdunb. 
3a, in bet ganjeu 3ubeiig*frtjldjt' 1 
Do is ct Irefflitt) untctridjl'i. 



Die lehrcn, roos bcr Calmnb preift, 
tjar lief unb ganj ctfagt fei' (SaViL 
Uttb lilies lau[d)t, menn rt oenihrl 
Dtu .5ajnlrtjan Urudj* nicmotitt, 
IDtnn er mil patlioS fprirfpl cfoi 
Uom bunimen, vogtlfcricn <9oit 



(Etnjdn in t^od|fiin» ^usftattntig 20 fitUrr- 




3luf biefeni Stl> yty. mtt ^ fett. 

Dcr iliitrjan (Sciitaliiat. 

Das (Dpfec feincc Klnflljeit iff 



C (Sanfcrl, bos cr gent geti'iegi. 
Dodj iicfcsmal matb arg — be Sdfani)'! 
Des ITotban's (Senilis Detfaitnt. 







Die polijti — cot bcr ilmi granst — 
pacft Ilathan Kob.n mtt ro(]tt ^an(t. 
UeactioiiirtJ 3»(lil(l^ 






Dos cinlptttl, Dcnn man maufen titvii 
Dom Haihon glaube tdj jcbod;: 
$a 3a& paffirt i(« 5/Uf b«c>I 



Wiener antisemitischer Bilderbogen des „Kikeriki". 1910 



Bcibge zu Eduard Fuchs, *Die Juden in der Karikatur" 



Albert Laneen. Munch en 



gas gragte ®etreibe=Pud)ertl)ter bcr gldt 



folgenden Sprichwortern zum Ausdruck: 
,,Er hat ein jiidisches Herz". Das mit= 
tiihlende judische Herz soil an Giite das 
aller anderen Menschen ubertreffen, darum 
sagte man auch: ,,Christus war so giitig, 
denn er hatte ein wahrhaft jiidisches 
Herz". Das Recht der Verteidigung auf 
seiten der Juden gegeniiber ihren Peinigern 
hat die beiden folgenden Worte gepragt: 
„Wenn man den Wurm tritt, so kriimmt 
er sich, sagt der Jud" (Franken) und: „Der 
Jud ist doch eigentlich auch ein Mensch". 
Dafi nicht nur beim Juden sondern auch 
beim Christen derEigennutz die Menschen 
lenkt, druckt ein siiddeutsches Sprich? 
wort so aus: „Kommt die Not, so ist der 
Jud willkommen, ist sie voriiber, zeigtman 
dem Juden die Tur". Dafi die einseitige 
Schimpferei auf die Juden als Wucherer 

eine Ungerechtigkeit ist, spricht schon ein 

Sprichwort im 16- Jahrhundert aus: „Man 
bedarf keiner Juden mehr, es sind andere, 

die wuchern konnen". 

Hier vermag ich nun nicht zu sa= 

gen: „so konnte ich fortfahren!" Denn 

diese neun Stuck sind alles, was ich an 

Sprichwortern, die fur die Juden Partei 

ergreifen, unter den vielen Tausenden von 

Sprichwortern gefunden habe, die ich fur 

dieses Kapitel nachzulesen und aufzu= 

treiben vermo'chte. Es mag in Wirklich? 

keit gewifi viel mehr geben, aber auch 

dann sind es immer nur verschwindend 

wenige im Vergleich zu der Zahl jener, 

die gegen die Juden Stellung nehmen. 

Weil es aber so herzlich wenige Sprichworter gibt, die fur die Juden Partei ergreifen, so sind auch sie 

in ihrer Art letzten Endes nur Beleg fur die typische Einheitlichkeit der Massenstimmung in den ver= 

schiedenen Zeiten und Liindern, die eben immer gegen die Juden ist. 




2?catfte loofojildk $atBcdianq B<9 iiilirtiSi. 



206. Kikeriki- Wicn 



Die plastische Satire. Der Ha6 gegen die Juden hat sich bei seinen 
Proklamationen tatsachlich aller irgendwie anwendbaren satirischen Mittel 
bedient; er hat wirklich kein einziges ungenutzt gelassen. Darum gesellte 
sich in dem schrillen Konzert der Judenverfolgung zu alien Methoden von 
Anfang an die plastische Satire in ihren verschiedenen Moglichkeiten. 

Der bedeutsamste, weil beredteste Teil der plastischen Satire sind die 
mannigfachenkarikaturistischenSteinreliefsanKirchen,Rathausern,Brucken^ 



Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



26 



201 



JJur ^tencttju^f-JUtsfleffuttjj. 



llllllfe 



kopf en, Briickenpfeis 
lern und ahnlichen 
Kreuzungspunkten 
des offentlichen Vers 
kehrs. Weiter die 
ebenfalls nicht seltes 
nen holzgeschnittes 
nen Spottfiguren am 
Chorgestuhl der Kirs 
chen, an Treppen* 
gelandern von off ent* 
lichen und privaten 
Gebauden. Ich habe 
diese Formen der 
plastischen Satire 
schon weiter oben 
(S. Ill) behandelf, 
weil diese Steinfress 
ken, wie ich dort 
gesagt habe, iibers 
haupt die ersten For* 
men der offentlichen 
Judenverspottung 
darstellen, und weil 
sie deshalb den Aus* 
gangspunkt bei der 
207 K.wikf. wi«. Schilderung der Jus 

denkarikaturen iiber haupt bilden mufiten, um so mehr, als die fruhesten 
in der Form von Fliegenden Blattern verbreiteten Holzschnittkarikaturen 
ja nichts anderes waren, als die graphische Wiederholung der zuerst und 
mehrfach als Steinreliefs ausgefuhrten Judensau. Darum kann ich mich 
an dieser Stelle mit der blofien Registrierung dieser altesten und eindruck* 
vollsten Form der plastischen Satire begnugen. 

In der plastischen Satire beruhren sich die Gegensatze des Formates: 
neben den in Riesenformaten prasentierten satirischen Steinskulpturen steht 




iSas n&fcl boc& alTcr giri-ifi iei- JltCcilsDicn 
Sie mutTcn (lets ben Jan ten Svejpnen bicut 
3ic i&xes gtfeiftcs ^rudjt JwrjeDven 
5Inb iJaCci (<f>TcdMc& fitfi weriiieiSren! 



202 



als kleinste Form, in ^n tar Affaire Drcvfll5 

der sich jeweils die 

Satire betatigte, die 

Spottmiinze. Aber 

so unscheinbar das 

Format der Spotts 

miinze im Vergleich 

zu alien anderen For; 

men der Satire ist, 

so ist sie doch sehr 

oft nichts weniger 

als harmlos. 

Die Spottmiinze 
ist seit einigen Jahr* 
zehnten gegeniiber 
ihrer friiheren Be* 
deutung wesentlich 
zuruckgedrangt. Die 
graphische Satire hat 
infolge ihrer ein* 
fachen und raschen 

Herstellungsweise, 
zu der sich eine fast 
unbegrenzteVerbrei* 
tungsmoglichkeit ge« 
sellt, die Spottmiinze 
fast ganz aufter Kurs 
gebracht. Gewifi begegnete man im Weltkrieg auch einer Anzahl Spotts 
miinzen, aber keine kam zu einer grofieren Bedeutung oder erlangte eine 
irgendwie beachtliche Verbreitung. Man wertete sie alle mit Recht mehr 
als Kuriositaten. 

Friiher war dies anders. Wie zu den wichtigsten Ereignissen und histo* 
rischen Gedenktagen stets bildgeschmuckte Denkmiinzen gepragt oder ge= 
gossen wurden, so erschienen bei den entsprechenden Gelegenheiten aiich 

Spottmiinzen. Wenn nicht auf die meisten, so doch auf zahlreiche Politiker 




irt i.* Utijl,' irnrvr cfttfcift. t*i lKf> >\i W« agf kit 9*t«4rm Haipurr kit. 



208. Kikcnki. Win 



26* 



203 



und Staatsmanner, auf Fursten unci deren Matressen, auf lokale und polis 
tische Ereignisse, die zur Satire reizten und das Allgemeininteresse dauernd 
in Anspruch nahmen, usw., sind Spottmunzen gemacht worden. Das 
Allgemeininteresse an einer Sac he war naturlich das Entscheidende:. eine 
Person, eine Sache oder ein Zustand mufite wirklich die grofiere Alls 
gemeinheit interessieren , und obendrein dauernd, wenn sie zur Hers 
stellung von Spottmunzen Veranlassung geben sollte. In der Spottmunze 
wollte man, ganz wie in der Denkmunze, der betreffenden Sache oder 
Person gewissermafien ebenfalls ein ewiges Denkmal setzen. Diesen un< 
ausgesprochenen Sinn barg schon das Material in sich. Denn Metall ist 
im Gegensatz zu Papier unverganglich, also rechnete man auch auf eine 
dauernde, oder wenigstens auf eine lang andauernde Kursfahigkeit. Aus 
diesem Grunde begegnet man auch auf den Spottmunzen vornehmlich Sas 
tiren allgemeiner Art, also Satiren auf allgemeine menschliche Laster und 
Untugenden. Wenn Fursten und Staatsmanner auf Spottmunzen karikiert 
wurden, so waren es auch nur solche, die lange im Mittelpunkt des allges 
meinen Interesses und der allgemeinen offenen oder heimlichen Diskussion 
standen. Solches war z. B. bei Napoleon III. der Fall; denn dessen Res 
gierung hielt ganz Europa jahrzehntelang in Atem, und so sind zahlreiche 
Spottmunzen auf ihn erschienen. Spottmunzen, welche besonderen Beifall 
fanden, wurden sehr haufig entweder immer wieder direkt nachgeformt, 
oder nur wenig variiert von neuem in Umlauf gebracht. Wenn die Sports 
munze besonders oft gegenuber den Fursten in Anwendung kam, so hatte 
dies freilich auch noch seine besonderen Grunde. Der erste ist der, dafi das 
auf einer Spottmunze in Kurs gebrachte karikierte Furstenportrat eine nahes 
liegende satirische Form ist, nachdem das in den Kurs gegebene Metallgeld 
in den meisten Fallen das idealisierte Portrat des betreffenden Fursten zeigte. 
Die Spottmunze war also gewissermafien die richtigstellende Antwort „in 
der gleichen Munze heimbezahlt". Der weitere und wohl wichtigste Grund, 
weshalb Spottmunzen auf Fursten in fruheren Zeiten hauf iger waren, durfte 
in ihrer leichteren und darum gefahrloseren Herstellungss und Verbreis 
tungsmoglichkeit zu finden sein. Dieser Umstand hat die Verbreitung von 
Karikaturen in der Form der Spottmunze jedenfalls sehr gefordert. Die 
leichte Verbreitungsmoglichkeit war sicher oft ausschlaggebend in einer 
Zeit, wo die strengste Zensur herrschte und die regierenden Herren sich 

204 






Mieses Geschaft. 





.© 




Und die Moral von .ler G^hichi' 
Ranft nie um tins Has* nichl! — 
Dean e* st5rt *ie ubtrull. 



Zuni Achillas mengt ncli J is ~VT.ii: 
Und jtdsr z&lilt tin — Hodenbeu 

D\t Konkurreui auch i]i**#» Fall! 
Warden viuzeln beide wmutelu, 
KuqiiWb did ermlgreicb. ,rlaudiJu!- 



209. Antisemitischer wiener Bilderbogen des Kikeriki 




210. Juden und Studenten 



nicht scheuten, die ihnen 
unbequemen Pasquillans 
ten jahrelang in den Kers 
ker zu werfen (wie Her* 
zog Karl Alexander von 
Wiirttemberg den Dichter 
Schubart), oder ihnen gar 
die Handeabhackenoder 
die Zungen ausreiften 
lieBen, welch christliche 
Mittel sogar gewisse Paps 
ste handhabten. Einen 
satirischen Kupferstich oder Holzschnitt herzustellen , das war zu alien 
Zeiten sehr umstandlich. Bei ihrer Herstellung mufiten verschiedene Per* 
sonen zusammenwirken, Zeichner, Stecher oder Holzschneider und Drucker. 
Zur Herstellung einer Spottmiinze geniigte fast immer ein einziger, der 
Modelleur, der immer zugleich auch Giefier oder Prager war. Obendrein 
konnte man ein ..Fliegendes Blatt" niemals so leicht vor den Augen der 
strengen Obrigkeit verbergen wie eine Miinze, die man standig in der 
Tasche mit sich fuhren und ohne Gefahr heimlich herumzeigen konnte. 

Auf die Juden sind nun ebenf alls eine ganze Anzahl Spottmunzen er* 
schienen. Wenn bei einer Spottmiinze auf die Juden nun gewifi niemals 
die Gefahr vorlag, sich durch ihre Anf ertigung und Verbreitung einer ernst* 
haften Bestraf ung auszusetzen, so trat hier um so mehr das liberal! vorhan* 
dene und viele Jahrzehntelang gleichbleibende Allgemeininteresse in den 
Vordergrund. Wer bei irgendeiner Gelegenheit eine Munze herumreichte, 
die den Juden Schande antat.der hatte immer alle Anwesenden — die Juden 
eingerechnet — zu Interessenten. Das Judenthema interessierte immer alle 
Welt. Darumsind schon sehr friih Spottmunzen auf die Juden entstanden. 

Die friiheste bckanntc Spottmiinze auf die Juden sUmmt aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts; 
sic zcigt auf der einen Seite einen Juden, der auf einer Sau reitet. auf der anderen Seite belindet sich 
eine gehornte Teufelsfratze. Aus dcrselben Zeit wird eine Medaille crwahnt, auf der sich die friiher be* 
schriebcne und am weitesten vcrbrcitetc Darstellung der Judensau befiindct. (Bild 6 u. 9.) Etwa hundert 
Jahre spiter, im Jahre 1641, erschien ein Taler, auf dem die biblische Legende von David und Bathseba 
satirisch glossiert ist. Die auf einem Polster ruhende nackte Batbseba beschaut sich in einem Hand* 
spiegel: zu ihren FiiBen knict eine Dienerin, links ist ein Bassin mit Fontaine, im Hintergrund ist das 
Konigshaus, auf dessen saulengeschmucktem Dache Konig David die Harfe spielt. Die Inschrift lautet: 



206 



..Objecta movent sensus" ISolchc Schaustcllungcn crrcgcn die Sinne). Eine ahnliche satirische Darstellung 
zeigt eine Bronzcmcdaille aus etwas spatcrer Zeit. Bathseba sitzt hier bereits im Bassin. Der Text lautet 
..David bricht die Eh mit Bcrsabea". Dieses crutischc Motiv hat die Satiriker zu alien Zeitcn gelockt, 
sowohl urn die allgemeine. als auch urn die angeblich grofie jiidische Sinnlichkeit zu satirisieren. Ans 
scheinend ebenf.ills aus dem 17. Jahrhundert stimmt eine talerformige Medaille, die den Obertritt der 
Juden zum Christentum verspottet. Die landlaufigc Anschauung iiber die Judentaufen ging im 16. und 
17. Jahrhundert unter anderem auch dahin, die Juden wiirden sich nur dann taufen lassen. wenn ihnen 
wegen irgendeiner Missetat eine ernste Gef ahr drohe; das ist auch der satirische Sinn dieser Spottmiinze 
Der dieser Anschauung entsprechende Text auf der einen Seite der Medaille lautet: „Selten wird ein Jud 
ein Christ, Er hat denn was begangen, Auch thut ers meist umbs Geldt, Dah er nicht hangen darft, 
Denn wann ers anders stiehlt, So strarTt man ihn zu scharrT." Die Randschrift lautet: „Wenn die Maus 
die Katie frifit, Dann wird ein Jud' ein wahrer Christ." Auf der zweiten Seite ist ein Bild, auf dem 
dieser Text satirisch illustn'ert wird. An einem felsigen Ufer kniet ein Jude, der einen Miihlstein an 
einem Strick um den Hals tragi; hinter ihm steht ein Priester, der mit Schale und Gebetbuch die Taufs 
handlung an ihm vollzieht. Seitwarts naht eine Gerichtsperson , welche mit den Handen eine segnende 
und zugleich untertauchende Bewegung macht. Die ebenfalls satirische Unterschrift zu dieser Darstellung 
lautet: „So (also crsauft!) bleibt er am bcstandigsten." In derselben Zeit sind mehrere Variationen einer 
Medaille erschienen, in denen der Jude als Hahnrei verspottet wird. Der zumeist gleiche Text lautet 
..Ich trage die Fedem, dafi jedermann schaut, Ein anderer traget sic, der es nicht traut." Die Darstellung 
zeigt einen ..Federjuden" mit Federhiitchen. Brille und niedrigen Stulpenstiefeln; auf dem Riicken tragt 
er einen groften Sack. Da in friiheren Jahrhunderten infolge der mangelhaften Transportverhaltnisse 
jede schlechte Emte sofoit zu Teuerung und Hungersnoten fiihrte, so war, wie ich schon weiter obcn 
auseinandersetzte, der Jude als Komwucherer besonders vcrhaftt, und alles, was sich mit dem Kornwucher 
beschaftigte, war dauemder Beachtung sicher. Darum hat der jiidische Kornwucher nicht nur zu vers 
schiedenen Spottmiinzen gcfUhrt, sondern diese gchoren anscheinend auch zu den verbreitesten Spottmiinzen 
auf die Juden iiberhaupt; denn man begegnet ihnen heute noch am haufigsten von alien bekannten 
Judenspottmiinzen. Die schonste dieser Miinzcn, aus dem Hungerjahr 1694 stammend, hat die Form 
eines Silbertalers; sic zeigt auf der einen Seite einen auf der LandstraHc nach rechts schreitenden Juden 
mit einem Kornsack iiber der Schulter. Auf dem Komsack sitzt ein kleines Teufelchen, das den Sack 
heimlich offnet (oder aufgeschlitzt hat), sodaH das Korn auf den Weg rieselt und so nutzlos verloren 
gebt. Die Umschrift lautet: „Du Komjude", die Unterschrift ..Theure Zeit 1694". Auf der Ruckseite ist 
ein stehendes SchefFclmafi abgebildet. 
Auf der inneren Seite des Malles liest 
man: „Wer Korn inhelt, dem fluchen 
die Leute"; auf der auBeren: ,.Aber 
Segen kommt iiber, der so es ver= 
kauft. Spruch Salomo (Bild 47 u. 48). 
Diese Miinze mufi ganz besonderen 
Beifall gefunden haben, denn ans 
scheinend noch im selben Jahre ers 
schienen nicht weniger als vier vers 
schiedene Variationen dieser Miinze. 
in Silber, Blei und Bronze mit dem* 
selben Bilde und denselben Texten, 
nur in der Zeichnung und in der Ans 
ordnung etwas verandert. Miinzcns 
kenner verweisen diese Komjuden* 
Medaillen in ihrem Ursprung nach 
Hamburg und nach Schlesien. Dort 
mogcn sie entstanden sein. aber ihren 
Weg haben sic iedenfalls durch ganz 




210 u. 211. 



Juden und Patienten 

Aus dem jntiKmirixhen Dscsdciwr Bildfrbogco: 

Der Teufel in Deutschland 



207 



Deutschland gefunden. Wie beharrlich jene Zeiten an einer einmal popular gewordenen Forme fests 
hielten, erweist der Umstand, dafi man fast achtzig Jahre spater, im Hungerjahre 1771/72, ganz dieselbe 
Idee in zwei neuen Spottmiinzen wiederholte; mit der einzigen Abanderung, dafi man hinter dem das 
Korn wegtragenden Juden ein Weib anbrachte, das emport ob dieser Freveltat die Fauste ballt. Aufier 
dieser Variation eines fruheren Motives erschien in diesem.Jahr auch noch eine andere Spottmiinze mit 
eirier selbstandigen Idee. Sie zeigt auf der einen Seite den Kornjuden, vor dem sich ein riesiger Teufels= 
rachen auftut. Die Umschrift lautet: „Korn Jude verzweifel — geh zum (Teufel) Theure Zeit 1772." 
Auf der Riickseite sind die Teurungspreise dieses Hungerjahres verzeichnet: 1 Pfd. Brot 12 Kreutzer, 
1 Pfd. Schweinefleisch 10 Kr., 1 Pfd. Rindfleisch 8 Kr., I Metze feines Mehl 5 Gulden, I Pfd. Butter 
30 Kr., 1 Mafi Bier 3 Kr. Diese Medaille,. von der auch eine Variation erschien, stammt von dem Me= 
dailleur J. Chr. Reich in Fiirth. Als aul die schlechte Ernte von 1771 im Jahre 1772 eine ebenso gute 
folgte, gab auch dies zu einer Spottmiinze auf die Juden Veranlassung. Diesmal werden die Juden 
verhohnt, weil sie die Hereingefallenen waren, indem sie angeblich wieder eine schlechte Ernte erwartet 
hatten. Auf der einen Seite dieser Spottmiinze sieht man ein Kornfeld mit Schobern und einem Btindel 
riesig grofier Ahren. Der Text lautet: „Der Gerechten Wunsch mufi doch wohl geraten" und „Wir 
wiinschten diese Fruchtbarkeit". Auf der anderen Seite sieht man einen leeren Kornboden, auf dem sich 
der Kornjude erhenkt hat. Der dazu gehorige Text lautet: „Ich aber hoffte theure Zeit. .1772." Der 
Sinn dieser Darstellung ist, dafi die Kornjuden noch im Sommer 1772 auf eine schlechte Ernte hofften 
und dadurch bankrott wurden, weil sie mit ihrem Getreidevorrat zu lange zuriickgehalten hatten. 

Der grofie Brand in der Frankfurter Judengasse im Jahre 1711 hat ebenfalls zu einer Gedenkmunze. 
Veranlassung gegeben. Von. einer Spottmiinze kann man in diesem Falle jedoch nur insofern sprechen, 
als im Text mit einer gewissen Schadenfreude konstatiert ist. daft nur das Judengut und nicht der Christen 
Gut vom Feuer verzehrt worden sei, Dieser Text lautet: ..Inner vierundzwanzig Stunden Hat das Feuer 
was es funden In der Judengafi verzehrt. Doch blieb alles unversehrt, Was der Christen Wohnung war. 
Man schrieb damals Tag und Jahr 1711 den 14. Jan." Diese Satire scheint mir besonders bezeichnend 
fur den allgemeinen Judenhaft der Zeit zu sein. Denn daft man das Wuchern mit Korn zu einem satirischen 
AngrirT ausmiinzt, ist ganz natiirlich. Daft man aber ein solches allgemeines menschliches Ungliick wie 
eine entsetzliche Feuersbrunst nicht vorubergehen lafit, ohrie in seiner Notifizierung dem so hart Betroffenen 
aufterdem noch einen Fufttritt zu versetzen, das dokumentiert deutlicher als alles andere, daft man im 
Juden eben niemals in erster Linie den Menschen, sondern immer den bosen Feind sah. Gewifi entsp/icht 
diese Satire auch der christlichen Lehre von der gottlichen Gerechtigkeit.. Der Juden Gut verbrtnnt, 
weil sie schon dadurch, daft sie Juden sind, allzumal Sunder sind, der Christen Gut wird von den Flammen 
verschont, nun weil sie eben Christen sind. 

Der in aller Welt Staub aufwirbelnde Prozefi des Hofjuden Sufi Oppenheimer; und seine Hin= 
richtung im Jahre 1738, die jahrelangen Gesprachsstoff bildete, hat, wie ich schon oben (S. 150) erwahnte, 
ebenfalls zu Spottmiinzen gefuhrt. Auf der einen dieser Munzen ist die bildliche Darstellung die gleiche, 
die man damals auch auf zahlreichen graphischen Darstellungen sieht, namlich der eiserne Galgen, in 
dem Oppenheimer am Richtplatz aufgehenkt wurde. Der Rundtext lautet: „Aus diesem Vogelhaus schaut 
Suss der Schelm heraus". Auf der anderen Seite ist das unkarikierte Portrat Oppenheimers mit der Ins 
schrift: ,.Jucl Joseph Sufi Oppenheimer 1738." Eine zweite Medaille zeigt auf der einen Seite ganz das* 
selbe Portrat Oppenheimers mit ebenfalls demselben Text, es ist also die gleiche Form beniitzt worden, 
dagegen zeigt die Riickseite eine andere satirische Behandlung des Stoffes. Das Bild ist in zwei Halften 
geteilt. In der oberen sieht man Oppenheimer in einer mit vier Pferden bespannten und von Leibjagern 
begleiteten Karosse davonjagen. Der Text lautet: „Fort Fort". Es behandelt also seinen Fluchtversuch. 
In der unteren Halfte sieht man wie Oppenheimer auf dem Henkerskarren, begleitet von Militar, zum 
Galgen gefuhrt wird. Der Text lautet: „Hier ist dein Ort" (Bild 51 u. 52). 

Da die Zahl der weiterhin auf die Juden erschienenen Spottmiinzen sehr gering ist, so will ich 
diese auch schon in diesem Zusammenhang erwahnen. Aus dem Ende des 18. und dem Anfang des 
19. Jahrhunderts sind mir keine weiteren Spottmiinzen auf die Juden bekannt geworden. Die groBe franzo= 
sische Revolution, die in Frankreich die Juden alien andern Staatsburgern gleichstellte, scheint keine oder 
nur vereinzelte Spottmiinzen hervorgebracht zu haben. Dagegen hat das Jahr 1848 mit seiner EmanzU 

208 




Rothschild 

Franiosisiihe K.irikatur von C. I.c.lndre. 1S9S 



Eeilage 7u Eduard Fuchs, »Dir Juden in der Karikatur* 



Albert UngeHj Muncnm 





212—214. Aus einem antisemitisthen Wiener Bildetbogen 



pation der Juden in Deutschland mehrere hervorgebracht. Ich habe diese jedoch nicht im Original auk 
zufinden vermocht, sondern nur ihre gelegentliche Erwahnung in der zeitgenossischen Literatur. Ich mufi 
mich deshalb mit dieser allgemeinen Erwahnung begniigen. 

Die grofie antisemitische Welle der siebziger und achtziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts 
hat mehrfach zu Spottmedaillen auf die Juden gefuhrt. Ihre Hersteller, denen anscheinend jede kiinsts 
lerische Gestaltungskraft fehlte, begniigten sich in der Hauptsache mit der Anbringung irgend eines antise* 
mitischen Schlagwortes. Auf der einen liest man den bekannten antisemitischen Schlachtruf: „Hepp! 
Hepp!" und ,,Hoch Stocker, Forster, Henrici, Vivant Sequentes!" Auf einer anderen hat man sich geistig 
schon etwas mehr strapaziert, hier liest man: „Muth zeigt auch der Mameluk, Die Chuzbe (Ur^verfroren* 
heit) ist des Juden Schmuck. Berlin 1881". Eine dritte Spottmedaille aus dieser Zeit tragt die Inschrift: 
„Der echte deutsche Mann mag keinen Juden leiden, doch sein Vermogen hatt' er gem". Aber dies ist 
eigentlich mehr eine Satire auf den echten deutschen Mann; denn der bildliche Teil dieser Miinze, ein 
Hut mit Feder, darunter zwei gekreuzte Stocke, und der Kopf eines Juden, der durch die Finger schaut — 
diese Darstellung kann man wohl beliebig deuten. Diese samtlichen zuletzt genannten Stiicke stammen 
aus den Jahren 1880 und 1881 und aus Berlin. Damit ist auch ihre kiinstlerische Diirftigkeit vollauf 
erklart. Es gab wohl kaum eine trostlosere und impotentere Kunstepoche, und das Berlin jener Jahre 
war die diirrste Heide fiir die Kunst. 

Das herrliche Aufbliihen der deutschen Kunst, das in den neunziger Jahren einsetzte, hat infolge 
der gigantischen Entwicklung der graphischen Kunste und ihrer leichten Verbreitungsmoglichkeit zu 
keinen weiteren Judenspottmiinzen mehr gefuhrt. Das heifit, eine Kategorie scheint auch in dieser Zeit 
nicht vollig ausgestorben zu sein: die rein pornographische Satire. Davon begegneten mir mehrere Beispiele. 
Von diesen will ich jedoch erst in dem Kapitel uber die Erotik in der antijudischen Karikatur etwas 
eingehender reden. 

In anderen Landern erschienen ebenfalls Spottmiinzen auf die Juden, aber an Zahl und Bedeutung 
bleiben sie zweifellos stark hinter den in Deutschland erschienenen zuriick. Ich habe vor dem Kriege in 
einer englischen Miinzensammlung eine Anzahl Spottmiinzen auf die Juden gesehen. Neben den deutschen 
befanden sich darunter, wie ich bei oberflachlicher Betrachtung feststellen konnte, zwei oder drei franzo= 
sische und ebensoviel hollandische. Die mir zugesagten Photographien und Beschreibungen erhielt ich 
infolge des Krieges leider nicht. Da mein damaliger Mittelsmann wahrend des Krieges nach Amerika 
ausgewandert ist, so ist mir eine erneute Nachforschung unmoglich gemacht. 

Mit den Spottmiinzen ist das Repertoire der plastischen Judenkarikaturen noch nicht erschopft. 
Im 18. Jahrhundert und in den Zeiten einer Dauerkonjunktur des Antisemitismus brachten die Jahr= 
marktshandler von Porzellan und Fayencefiguren regelmafiig Porzellan= und Fayencefiguren und Gruppen 
zu Markte, in denen in der verschiedensten Weise die Juden und ihr Metier verspottet wurde. Am 
hauHgsten waren die Typen des Pferdejuden, des Schacherjuden und des Kleiderjuden. ..Jiidische Unter* 
haltung", ,,Ein gutes Geschaft", „Der geprellte Jud", „Jud und Christ", „Wai geschrieen" — lauteten die 

Fuchs, Die Juden in der Karikatur 27 

209 



Titel von Gruppen in der entsprechenden Form. 
Die Darstellung war stetc so, dafi die Juden dadurch 
lacherlich gemacht wurden. Die Kaufer dieser 
keram'ischen, meist buntbemalten Gruppen. die nur 
wenige Groschen das Stuck kosteten. waren zus 
meisi Bauern. Ihre Herkunft diarite Thiiringen 
gewesen sein. Ich erinnere mich aus meiner Ju* 
gend, mehrfach solche .Judefigiirle", wie man sie 
in Schwaben nannte, auf den MeBstanden der Jahrs 
markte noch gesehen zu haben. In der Gegend 
von Frankfurt am Main waren im IS. Jahrhundert 
und bis hinein in das 19. Jahrhundert eine Art 
stoffbekleideter Fuppen zum Aufctellen auf Kom> 
moden sehr beliebt. Ein Teil von ihnen zeigte 
jiidische Typen in karikierter Form und in ahns 
licher Zusammenstellung wie die vorhin genannten 
Porzellans und Steingutgruppen. Auch der Stamm* 
vater des Hauses Rothschild, der alte Maier Roths 
schild, wurde in dieser Ait mannigfach humori; 
stischssatirisch dargestellt. Diese Puppen waren 
ebenfalls meist sogenannte Jahrmarktcartikel. In 
einer Frankfurter Privatsammlung wurde mir vor 
einigen Jahren eine ganze Kollektion solcher antjs 
jiidischer Spottpuppen gezeigt; es waren teils Ein* 
zelfiguren, teils kleinere Gruppen. Das meiste dies 
ser Art durfte jedoch wegen seines verganglichen 
Materials im Laufe der Zeit achtlos verworfen und darum zugrunde gegangen sein. 

Flastischen Karikaturen auf die Juden begegnet man weiter auf gepreflten Zinntellern und in der 
Form von Kriigen, und besonders oft auf Schnupftabaksdosen (Bild 89). Eine modeme plastische Karis 
katur, die sich auf den angeblichen Kiewer Ritualmord bezieht, zeigt Bild 266. 

Zum Schlufi dieses Kapitels mochte ich noch eine wirklich einzigartige Karikatur erwahnen, die ich 
einige Jahre vor dem Krieg Gelegenheit hatte zu sehen. Wie sich gewbse Gartenkiinstler auf ihrem Rasen 
aus verschiedenen Blumen irgend ein Symbol, einen Anker, ein Kreuz, oder auch aus Buchstaben Namen 
zusammensetzen. so schuf sich ein antisemitisch veranlagter Gartenbesitzer in Mitteldeutechland auf dies 
selbe Weise inmitten eines grofien Rasens die bluhende Karikatur eines feisten jiidischen Kapitalisten. 
Diese ganz amiisante Karikatur war iibrigens in einem wichtigen Funkt absolut nicht gehassig, sondern 
eher das Gegenteil: Dieser bluhende Jude war namlich gar nicht miflduftig, sondern sehr wohlduftend. 
Und das ist eine Eigenschaft. die die Antisemiten, wie bekannt, den Juden gemeinhin nicht zuschreiben. 

So erganzt die plastische Satire die graphische, die literarische und die 
sprachliche in wertvoller Weise. Der Ring ist geschlossen, ohne eine Liicke 
zu lassen. 




Beim Kiewer Prozeft ist das Judentum mit einem 
blauen Auge davongekommen. 

215. Kikttiki. «*ien 



210 




216. Antisemitischc Postk'aite des Kikcriki. Vt'ii n 



IX 

Die Juden 

in der Karikatur des 

19. Jahrhunderts 

Im 19. Jahrhundert erhielt 
die Geschichte des europaischen 
Judentums ihren wichtigsten 
Einschnitt. Und zwar durch die 
in diesem Jahrhundert in Westeuropa sich durchsetzende Emanzipadon der 
Juden, worunter deren offizielle burgerliche und politische Gleichberech* 
tigung zu verstehen ist. 

Die Emanzipationserklarung der Juden hat in den verschiedenen wests 
europaischen Landern immer ein ganz bestimmtes Datum: Frankreich die 
grofie Revolution und die napoleonische Gesetzgebung, Amerika dieselbe 
Zeit, Ungarn 1839, Deutschland 1848, England 1858, Italien 1859, Schweiz 
1866 usw. Aber trotz dieser offiziellen Daten handelte es sich iiberall um 
einen allmahlichen WandlungsprozeB, der seinen AbschluB mitunter erst 
sehr viel sparer gefunden hat; je nach den besonderen wirtschaftlichen und 
politischen Verhaltnissen des betreffenden Landes. In dem hohenzollern* 
schen Deutschland war dieser Prozefi noch lange nicht abgeschlossen, als 
die feudalistische Arroganz, ge= 
hetzt von politisch unklaren 
Massen, in ihrer Dummheit 
Sundenblute in den Weltkrieg 
hineintapste wie das Rhinozeros 
in eine Fallgrube. Andererseits 
besafien die Juden in England, 
kraft dessen reiferer politischer 
Entwicklung bereits im 18. Jahr* 
hundert sehrweitgehende Rechs 
te. Im ostlichen Europa, in 
RuBland, war die burgerliche 
Gleichberechtigung den Juden 




Der dritte: Dr. Ofener; der vierte: Viktor Adler, 
der sechste: Leo Verkauf. 

217. Wahlkandidaten. Wahlpostkartc des Wiener Kikeriki 



27* 



211 



bis zum Weltkrieg noch ganzlich versagt gewesen; sie ist erst durch die 
bolschewistische Revolution verwirklicht worden. 

Die 'Emanzipation der Juden wird zumeist als ein Resultat der Huma< 
nitat gepriesen: als das Resultat der wachsenden Einsicht, dafi der Jude 
..sozusagen und eigentlich" auch ein Mensch sei. Dieser so oft behauptete 
Triumph der Humanitat ist ein blanker Unsinn, weil die Geschichte solche 
Triumphe niemals kennt. Sie kennt nur Triumphe von wichtigen wirtschafb 
lichen Lebensinteressen einer Zeit, die im verhullenden Gewande des 
Triumphs der Humanitat in Erscheinung treten. Und so verhielt es sich 
auch in jedem einzelnen Land bei der Emanzipation der Juden. 

Die Emanzipation der Juden ist die politische Form fur die endgultige 
Befreiung der Geldwirtschaft aus der Vormundschaft einer kurzstirnigen 
Obrigkeitsregierung, die diese in ihrer schrankenlosen Entfaltung hemmte. 
Denn vollig schrankenlos mufite sich die Geldwirtschaft um diese Zeit ent* 
falten konnen, wenn sie die von der Entwicklung der Technik, der Industrie 
und des Handels bedingten weltwirtschaftlichen Aufgaben erfullen wollte. 
Zu einer Emanzipation der Juden wurde dieser Vorgang, weil man unmogs 
lich die Geldwirtschaft entfesseln konnte, ohne zugleich ihrem der Zahl 
und der fachtechnischen Kapazitat nach wichtigsten Trager die politisch 
logischen Rechte des Besitzes einzuraumen. Man kann nicht die Sache be« 
weglich machen, solange man die Hande gefesselt halt, die sie dirigieren 
sollen. Die Emanzipation der Juden wurde deshalb das politische Existenzs 
minimum der grofikapitalistischen Entwicklungsmoglichkeit in Europa von 
dem Zeitpunkt an, wo das Manufakturzeitalter vom Maschinenzeitalter abs 
gelost worden war und dessen ungeheure wirtschaftliche Perspektiven 
immer klarer in den Gehirnen der Weitblickenden aufblitzten. Und von 
diesem Zeitpunkte an wurde sie auch, teils friiher, teils spater, Wirklichkeit. 
Es ware also viel klarer, wenn man statt von einer Emanzipation der Juden 
von einer Emanzipation der modernen Geldwirtschaft sprechen wurde. 
Aber die Menschheit liebt es nun einmal, sich selbst zu belugen. 

Weil es in der kapitalistischen Produktionsweise, wenn sie einmal inau* 
guriertist, keinen Stillstand, geschweige denn ein Ruckwarts, sondern immer 
nur ein Vorwarts gibt, darum lag die Emanzipation der Juden als politische 
Formel fur die vollige Entfesselung der Geldwirtschaft in alien Landern 
mindestens ebensosehr im Interesse derer, die sie gaben, wie in dem derer, 

212 



1" Ann6e. — N' 1. 



Paris et Dep&rtementa, le Numero: 1. O Centimes. 



Lundi 17 juillat 1893. 



LA LIBRE PAROLE 



ILLUSTRI 



U France am Francals 



REDACTION ^ -.,«,. ^^ nn ..„ «. m ADMINISTRATION 

i«, uo-iev.rd mmnii Directeur : EDOUARD DRUMONT u. boumud >oiaun 



I.A SECHF.RES SE 







218. • Titetseite der eisten Nummer der pariser aotiseminschen Zeitung La libre Parole. 1893 
Titelbild von Adolf Willette 




— Mochten Sie nicht von meinen Renten leben? 

219. J. Forjin 



die sie forderten. Indem durch die 
Emanzipation der Juden die ungeheu* 
ren Geldkrafte und die auBerordents 
lichen geistigen Potenzen des west* 
europaischen Judentums (seine un« 
erreichten Spezialkenntnisse in der 
Geldwirtschaft) ganzlich frei wurden, 
wurden diese Krafte nicht nur frei 
und dienstbar fur den allgemeinen 
Aufbau der modernen groBkapitas 
Hstischen Profitwirtschaf t, sondern zu* 
gleich auch fur den Aufbau des modern 
nen burgerlichen Staates, der auf dies 
sem Wege entstand. Der moderne 
burgerliche Staat aber ist eine „jus 
dische Grundung", deren Errungen* 
schaften in jedem Lande mindestens 
funfzigmal mehr Christen als Juden zugute kamen. — 

Der Obergang vom Manufakturzeitalter zum Maschinenzeitalter, die 
fundamentale wirtschaftliche Umwalzungder Neuzeit, die sich gemeinhin 
in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts vollzog, hat uberall in den dadurch 
zur Auflosung verurteilten Mittelschichten zu schweren Krisen und Geld* 
noten gefuhrt. Im unvermeidlichen Zusammenhange mit dieser tiefgehen* 
den Umwalzungsperiode kam es uberall zu star ken antisemitischen Stros 
mungen. In einzelnen Landern, und zwar vor allem in Deutschland, nahm 
der JudenhaB so schwere Formen an, wie man ihm seit Jahrhunderten 
nicht mehr begegnet war. Diese neue Periode der Judenverfolgung war 
um so auf wiihlender , als ihr die erste Etappe der westeuropaischen Judens 
emanzipation — in Frankreich — vorangegangen war. 

In Frankreich hatten die Juden durch die grofie Revolution mit einem 
Schlage alle burgerlichen und politischenRechte erlangt. Wenn Napoleon I. 
diese Rechte auch etwas einschrankte, so blieben sie wahrend seiner ganzen 
Herrschaft doch so umfangreich, dafi die Juden Europas wirklich alien 
Grund hatten, dauernd fur Napoleon begeistert zu sein. Wo seine Regimen* 
ter ihren FuB hinsetzten, brachten sie den Juden die Gleichberechtigung. 



214 



Napoleon hatte besser als alle seine legitimen Kollegen auf den Thronen 
Europas die ungeheure Bedeutung der judischen Bundesgenossenschaft er< 
kannt. Soweit Deutschland unter dem vollen Machtbereich Napoleons 
stand, erhielten auch hier die Juden damals schon sehr viele Rechte. So 
z. B. im ganzen linksrheinischen Preufien, ebenso in Hamburg und in Meek* 
lenburg. (Dagegen blieben in Bayern die meisten, in Sachsen und Oster* 
reich alle alten Beschrankungen der Juden aufrecht.) Der Sturz Napoleons 
anderte die Situation. Mit seinem Untergang erhoben auf dem Kontinent 
alle Machte der feudalen Reaktion sofort wieder ihr Haupt, um die ihnen 
durch die stattgefundene Revolution abgenommenen Vorrechte moglichst 
restlos wieder zuruckzugewinnen. Zu diesen feudalen Restitutionen gesellte 
sich die gerade um jene Zeit verdoppelt einsetzende wirtschaftliche Um? 
walzung; die napoleonischen Kriege hatten den Gang der wirtschaftlichen 
Entwicklung ganz aufierordentlich beschleunigt. Eine vernunftige Politik 
hatte die Folgen dieser veranderten wirtschaftlichen Situation mildern 
konnen. Die in Europa wieder auferstehende Reaktion wandelte die Dinge 
zum Gegenteil. Indem sie der 



gesunden Weiterentwicklung 
hundert Knuppel in die Wege 
warf, machte sie den naturlich 
nicht aufzuhaltenden Umwals 
zungsprozeB zur schwersten und 
viele Jahre lang wahrenden 
Elendskrise fur den gesamten 
Mittelstand. Auf einem solchen 
Bbden mufite der JudenhaB ems 
porwuchern, und er wucherte 
wie ein alle Vernunft ersticken* 
des Unkraut in geilster Oppig* 
keit empor. Weil in Deutschland 
die wirtschaftlichen Note am 
grofiten waren, gellte hier lauter 
und machtiger als sonstwo von 
neuem der schreckliche Ruf 
durchs Land: „Der Jude ist 






("**4 



Jill" ": ; " « \&§&k £©7%.. / :" n,J ~ : ^£ '"' 










>20. Toulouse-Lautrec. Galizier 



215 



schuld!" Tausende von Kleinburgerkehlen gellten es in der einen Stadt 
hinaus, und ebensoviele antworteten der Reihe nach in Hunderten von 
deutschen Stadten. So kam es im Jahre 1819 zu dem furchtbaren Hep* 
HepsSturme, der in Wurzburg einsetzte und unter Plunderung von Judens 
laden, Zerstorung von Judenhausern, durch erneute Vertreibung von Juden 
aus ihren seitherigen Wohnsitzen jahrelang wie eine entsetzliche geistige 
Epidemie durch halb Deutschland tobte. In einer ganzen Reihe von Stadten, 
wie Hamburg, Danzig, Darmstadt, Dusseldorf, Frankfurt, Heidelberg, Karls* 
ruhe usw.,nahm dieser HepsHepsSturm, wie man ihn nannte, solch bedrolls 
liche Formen an, dafi den Behorden, die das Toben der entfesselten Massen 
gegen die Juden im Grunde garnicht ungern sahen, schlieBlich selbst angst 
und bang wurde und sie Militar mobilisieren muBten. Freilich geschah dies 
weit weniger zum Schutze der in ihrem Eigentum und an ihrem Leben be* 
drohten Juden, als um zu verhindern, dafi die Volkswut eines Tages etwas 
hohere Ziele bekame. In Frankfurt am Main, das im 18. Jahrhundert seine 
groBe Bliite ausschlieBlich den Juden zu verdanken gehabt hatte, aber trotz 
alledem eine sehr schamlose Politik gegenuber den Juden verfolgte, hatten 

endlich im Jahre 1811 die Juden das 
Vollburgerrecht errungen. Kaum aber 
war die sogenannte „freie Stadt" ganz 
in den Handen eines kleinburgerlichen 
Pfahlburgerklungels (1815), als auch 
sof ort dieses Vollburgerrecht der Juden 
wieder aufgehoben wurde. Und wie* 
derum hatte, genau wie fruher, jeder 
beliebige Riipel, sofern er nur ein Christ 
war, das Recht, einen jeden ihm be* 
gegnenden Juden mit den Worten: 
„Mach' Mores, Jud!" vom FuBsteig auf 
die StraBe zu verweisen. Wie fruher 
durften die Juden nur in gewissen 
Stadtteilen wohnen. In Bremen und 
Liibeck wurden die Juden uberhaupt 
aus der Stadt vertrieben. Usw. Als die 
22i. i For.™ Verfugung herauskam, daB sich die Jus 




-— -"■- ",*■■? — 



— Aber das waren ja fiinf Franken, die du 
dem Bettler geschenkt hast? 

— Gewifi, aber sie sind falsch ; sage es jedoch 
nicht Mama, sie hatte sich das Stuck fur 
einen Kutscher reserviert. 



216 



i 



LECTIONS KEGIStATIV 

du22Septembre 1889 



t'liij'i n s 



Gai! Gai ! serrons nos rangs 

Esperance de la France 

Gai! Gai! serrons nos rangs 
En avant Gaulois el Francs 



Ad.WILLETTE 

(BaaididatJIntisemite 

'TJlrrond* 



^irconscription WmS^SMsM 



•*^*#^^^***^^» 




iW*st%Wf* 



«,#■' 



\N>* 



Les Juifs nesont grands.que par[ce que 

nous sommes a genoux ! , 

LEVONS ^10US! 

lis sont cinquante mille a beneficier 
seuls du travail acharne et sans esperance i 
de trente millions de Fraips devenus leurs 
esclaves tremblants . >#jp 

II n est pas question de religion , le |l j |P 
Juif est d'une race differente et ennemie IPs 
delanotre... , /JfP§r 

Le JUDAJSMEvoila I'ennem/I ^^ 
Enmepresentantje vous donne I'occasion 
de protester avec moi contrela tyrannie 
Juive. faites le donaquand ga ne serait 
quepourThonneur! 

DiKfCTEiui{ ou Pierrot 




Willetle. 79 rue Rochethouart 



Franzosischer antisemitischer Wahlaufruf 

Entworfen und gezeichnet von dem aniisemitischen Kandidaten Adolf Willette. 1889 



Beilage «i Eduard Ppcbs, ,ple Juden in der Karikalur* 



Albert I'metn, M6p*»o 



den burgerlicheNamen beizulegen hatten, 
war dies, besonders in Osterreich, fur 
zahllose Burokratengehirne eine gunstige 
Gelegenheit, ihrer subalternen Arroganz 
und aufierdem ihrer Gier nach Schmiers 
geldern die Zugel schiefien zu lassen. 
Wer yon den Juden gut bezahlte, durf te 
sich einen schonen oder unauffalligen 
Namen wahkn. Wer kein Geld hatte 
und die christliche Gier nach Schmier* 
geldern nicht befriedigen konnte, dem 
wurde irgend ein lacherlicher oder gar 
gemeiner Name — z. B. Wohlgeruch, 
Galgenvogel, Schweifiloch usw. — auk 
oktroyiert. Auf diese Weise kam es dazu, 
dafi so viele Juden schon durch ihre Namen lacherlich wirken. 

Unter solch aberwitzigen Ausgeburten der^Borniertheit liquidierte 
der Obrigkeitsstaat. Leider dauerte diese Liquidation uberall verschiedene 
Jahrzehnte. 




Ich rechne Ihnen nur 18 Prozent; Sie 
konnen also wirklich nicht sagen, dafi 
ich ein Halsabschneider bin. 



Die Karikatur jener Zeiten ist ein 
deutlicher Spiegel von alledem. Sie ist 
ein krasses Zeugnis dafiir, mit welch 
kleinem Witz das durch den grandiosen 
historischen Auftakt der franzosischen 
Revolution nicht belehrte, sondern nur 
vorubergehend erschreckte Spiefiergehirn 
nach wie vor alien Problemen der Zeit 
entgegentrat. In Deutschland war durch 
den Sturz Napoleons und durch den 
darauffolgenden Triumph der „heiligen 
Allianz" der Spiefiburger noch allmach* 
tiger geworden als in jedem anderen 
Land; er war geradezu alleinherrschend. 
Alles offentliche Geschehen trug seinen 




^14r1_ ///? 



Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



In deinem Alter, Samuel, hatte ich schon 
dreimal Pleite gemacht. 

222 u. 225. Jossot. 1896 
28 



217 




nie zu verkennenden Stempel. Und darum auch die Karikatur auf die Juden. 
Sie war nie spiefiburgerlicher als zu jener Zeit. Keine Spur von Kuhnheit, 
nichts von Kraft und GroCe war in ihr zu spuren. Dagegen um so mehr 
lacherliche Oberhebung. Jedes einzelne Blatt ist dafur ein drastisches Bei« 
spiel. Man betrachte die Blatter „Absalons Tod", „Der Jud' in der Fuchss 
falle", „Empfindsame Betrachtung des Mondes"und ahnliche (Bild87— 97); 
sie belegen diese Stimmung auf das Deutlichste. Gewifi, der Humor, der 
im Spiefierbehagen noch immer seinen fruchtbarsten Boden hat, kommt 
hierbei nicht selten zu seinem vollen Recht. Das Blatt ,,Israelchen hat einen 
Dukaten verschluckt" ist hierfur ein kostlicher Beleg (siehe Beilage neben 
S. 104). Auch das Blatt „Empfindsame Betrachtung des Mondes" (Bild 97) 
ist, humoristisch gewertet, ein Prachtstuck. Freilich wurde dieser Humor 
sehr bald und sehr stark durch die unsagbare Gehassigkeit uberwuchert, die 
nach dem Ausbruch des HepsHepsSturmes immer mehr die Dominante 
bildete. Denn schon in diesen, durch ihren wirksamen Humor auffallens 
den Blattern klingt eine auCerordentlich starke Gehassigkeit mit. Solche 
Gesichter wie auf dem Blatt „Israelchen hat einen Dukaten verschluckt", 
vermag nur die uberlegende Bosheit zu formen. Mit dem Einsetzen dieser 
neuen Judenverfolgungbeganneine Hochflut von antijudischen Karikaturen, 
wie man es in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr erlebt hatte. 
Zahlreiche Stadte brachten Judenkarikaturen auf den Markt, die meisten 
jedoch Nurnberg, das damals einen Mittelpunkt dergraphischen Volkskunst 
bildete. An neuen stoftlichen Motiven kam um diese Zeit manches hinzu: 



218 




224 u. 225. Baronin v. Veilchenstock auf der Promenade. Caran d'Ache 

der Jude als Literat, als Liebhaber, als Modegeck usw. Freilich, vieles 
stammte schon aus einer etwas fruheren Zeit. Die Epoche der literarischen 
Fehden, mit der das neue Jahrhundert einsetzte, hatte im Jahre 1804 einen 
travestierten „ Nathan den Weisen" hervorgebracht (Bild 75), und die gleichs 
zeitige Taschenbuchs und Almanachmode prasentierte auch satirische 
„Taschenbucher fur die Kinder Israels", in denen man dem Juden nicht 
mehr blofi als Kramer oder Wucherer, sondern auch als Weltmann, als Ele« 
gant usw. begegnet (Bild 77—80). Zu erwahnen sind hier auch die 1806 er« 
schienenen mit vier Holzschnitten gezierten „Fastenbrezeln fur Juden und 
Christen." 

Die neue Hochflut der antijudischen Karikaturen knupft sich im Be* 
sonderen an die im Jahre des Hep«Hep«Sturmes, also 1819, erschienenen 
Posse „Unser Verkehr" ein. Diese Posse, die unter dem Pseudonym K. 
B. Sessa erschien, verspottete die judische Geldgier in ebenso witziger wie 
boshafter Weise; ich gebe an anderer Stelle zur Charakteristik die erste 
Szene dieser Posse. H inter dem Pseudonym Sessa verbarg sich ein Halbers 
stadter Superintendent Maertens, was jedoch erst nach Jahrzehnten in die 
Offentlichkeit kam. Die Zeitgenosssen hielten in weiten Kreisen und lange 
Zeit Goethe fur den Verfasser, was garnicht so verwunderlich ist, da dessen 
Judenfeindschaft notorisch war. Bei den Juden hat diese Posse eine ganz 
ungeheure Emporung ausgelost. Rothschild soil eine hohe Belohnung auf 
die Entdeckung des wirklichen Verfassers ausgesetzt haben. Diese Empo* 
rung ist angesichts der grimmigen Bosheit, die in jeder Zeile steckt, sehr 



219 



wohl begreiflich. Um so mehr, wenn man bedenkt, daft das Stuck einen 
formlichen Triumphzug iiber fast alle deutschen Buhnen hielt und darum 
sofort ahnliche Elaborate provozierte. Ich nenne nur die im gleichen Jahr 
erschienene Posse „Die Juden in der Klemme." Der Beifall, den „Unser 
Verkehr" ausloste, war so nachhaltig, dafi noch vierzig Jahre sparer neue 
Auflagen erschienen (Bild 116 u. 117). Aber es kam noch ein weiterer Um* 
stand hinzu, der die Emporung der Juden standig von neuem aufstachelte: 
diese Posse wurde namlich das Arsenal, aus dem sich die Karikaturisten 
der verschiedensten Stadte unausgesetzt Motive zu Karikaturen auf die Ju« 
den holten. Die wichtigsten Szenen des Stuckes und die samtlichen darin 
vorgestellten Typen wurden immer und immer wieder satirisch illustriert. 
Und in den Schaufenstern aller deutschen Buchladen hingen viele Jahre 
lang diese popularsten aller Judenkarikaturen. Ich gebe hier einige der 
verbreitetsten dieser Karikaturen (Bild 85, 87, 98 und Beilage neben S. 96). 
Die durch Bild 85 illustrierte Sentenz wurde am haufigsten wiederholt. 

Den Hohepunkt der bildlichen und literarischen Judenbekampfung 
jener Jahre bildeten die zahlreichen Schmahschriften, die der Goedtsche* 
sche Verlag in Meifien in den dreifiiger Jahren herausbrachte. Gegenuber 
diesem konzentrierten Massenangriff verschwindet alles andere. In etwa 
zehn illustrierten Bandchen von je 100 bis 150 Seiten wurden die Juden auf 
jede erdenkliche Weise und auf das Mitleidloseste verhohnt, verlastert und 
verspottet. Durch Spottgedichte, durch in Noten gesetzte parodistische 
Liebeslieder, Erzahlungen, Anekdoten usw. Alles in judischer Mundart; 
d. h. in jenem verdorbenen Deutsch, das als sogenanntes Judendeutsch 
gilt; an anderer Stelle gebe ich eine kleine Probe. Als Verfasser dieser 
samtlichen Pamphlete ist stets Itzig Veitel Stern genannt. Hinter diesem 
Pseudonym soil sich ubrigens tatsachlich ein judischer Literat verborgen 
haben. Wenn dies wirklich der Fall gewesen sein sollte, so wurde sich 
damit freilich nur dasselbe wiederholt haben, was man in der Bekamp* 
fung der Juden so oft erlebt: daft es zumeist judische Renegaten sind, von 
denen die blutigsten Angriffe gegen die Juden ausgehen. Im 16. Jahrhun* 
dert hat bekanntlich kein Christ die Juden mehr geschmahtals der getaufte 
Jude Pfefferkorn. Die wichtigsten dieser satirischen Pamphlete, die alle 
mehrere Auflagen erlebten, sind „Das Schabbesgartle von unsere Leut", 
„ Israels Verkehr und Geist" und „Gedichter, Perobeln unn Schnoukes fur 

220 



Der Antisemit: . . . „die Juden! . . . 
Rauber! . . . Gauner! . . . Wuche* 
rer! . . . Habsiichtige! . . ." 

Der Verniinftige: „Ta, ta, ta! Ob Jud 
oder Christ, alle sind von derselben 
Geldgier erfiillt. Ich werde es Ihnen 
beweisen . . ." 




f * tq 




-Wis. 



A 




. ..Also nehmen Sie zum Beispiel einen Christen und einen Juden 




i.Legen Sie ein Zwanzig=Frankstiick auf den Boden . . . und Sie werden sehen, dafi beide 

mit dem gleichen Eifer sich darauf stiirzen werden." 
Der Antisemit: „Das ist ja richtig." 



v^JtiXAjicT 




&— 



Der Verniinftige: „Sie sehen also, dafi ich Recht habe . . . Nur. . . . und das ist der 
ganze Unterschied . . . der Jude wird es sein, der das Geldstlick erwischt!" 



226-229. Caran d'Ache: Die Judenfrage. • Figaro 1396 



unsere Leut", letzteres in mehreren Teilen. Ich gebe hier sowohl einige 
der satirisch illustrierten Umschlage und Titelblatter, als auch einige der 
beigefugten satirischen Illustrationen (Bild 105, 106, 109, 110, 113-115). 

Selbstverstandlich waren die Juden bei diesem ProzeB, den ihnen die 
aufgepeitschte Volkswut machte, nicht gerade die volligschuldlos verfolgten 
Lammlein. Der Judenwucher lastete damals besonders schwer auf den gelds 
armen Kleinburgern und Kleinbauern, und er beschleunigte in zahllosen 
Fallen deren Zusammenbruch. Dazu kam, dafi das judische Selbstbewufits 
sein allmahlich doch erwacht war. Nachdem der kleinburgerliche Juden* 
hafi mit fanatischer Wut alles lasterte und verfolgte, was irgendwie mit 
den Juden zusammenhing, drehten einige judische Schriftsteller den SpieB 
um, und schmahten ebenso derb alles, was christlich und deutsch war. Ich 

nenne hier nur den Berliner 
Schriftsteller Saul Ascher und 
dessen sehr hamische Schrift 
„Die Germanomanie". Das Urs 
teutonentum, das im Gefolge 
der Napoleonischen Fremdherrs 
schaft uberall in Deutschland 
auf den Plan getreten war, kam 
durch solche Antworten naturs 
lich aufier Rand und Band. Ans 
dere zu jverpriigeln, das hat der 
mit T geschriebene Deutsche 
immer als ein ausschliefilich ihm 
von Gott verliehenes Recht be* 
trachtet; dafi man aber auch ihn 
verprugelte, das erschien ihm 
formlich als Gotteslasterung. Ein 
drittes Element, das der antis 
judischen Bewegung jener Jahre 

Herr Abgeordneter, das ist nicht, damit Sie sich der Starke Und berechtigt erscheis 

Abstimmung enthalten, sondern dafi sie gegen das nen de Stutzpunkte gab, Waren 
Gesetz stimmen . . . sofern Ihnen am Wohlwollen 

unserer Geseiischaft geiegen ist. die aller Welt sichtbaren intimen 

230. Charles Hu«J. Parlamentarische Unabhangigkeit Beziehungen der judischen Gelds 




222 




— „Aber, verehrtes Fraulein, man nimmt die Versprechungen eines Kindes doch nicht ernst! . . . Mein 
Sohn zahlt knapp 27 Jahre und vermag noch keinen Pfennig allein zu verdienen ... Es ist mir 
leid, aber es ist einzig und allein Ihre Schuld, daft Sie sich in dieser Lage befinden." 

231. J. steinlcn. Aus Israel. Der verstandige Papa 

konige zu den Reprasentanten der schamlosesten Reaktion, zu einem Metters 
nich, einem Gentz usw. Dadurch erschien der Jude in seinen einfluCreich« 
sten Vertretern geradezu als der Stutzpunkt jener politischen Bevormun« 
dung, iiber die damals alles fluchte, was mit dem Sturz Napoleons den 
Anbruch einer freien und grofien Zeit fur Deutschland erwartet hatte, statt 
dessen aber das Gegenteil erleben muftte. 

Das von den Dingen nicht zu trennende dialektische Widerspiel 
mufite eines Tages gleichwohl zum entgegengesetzten Ziele fiihren. Das 

223 



Geschimpf Fichtes und seiner teutonischen Nachbeter vom Stile Luds 
wig Jahns konnte die Burschenschafter gegen die Juden als Fremdlinge 
aufputschen, und es konnte auch die deutschen Pfahlburger wenigstens 
in diesem Punkte zu einem Herz und einer Seele mit den ihnen sonst gar 
nicht sympathischen Teutschtumsschwarmern zusammenschweifien, aber 
mit diesem Geschimpfe waren weder die Geldnote der Wiener Hofburg 
noch die eines einzigen Duodezfursten gestillt. Diese vermochte nur das 
Haus Rothschild zu bannen, d. h. die in diesem verkorperten judischen 
Finanzmachte. Darum aber bekamen eines Tages vom deutschen Bundess 
tag nicht die Kleinburger recht, die den Juden alle Freiheiten vorenthalten 
wissen wollten, sondern die Dynastie Rothschild, die speziell in der Franks 
furter Judenfrage zum ersten Mai aus dem Dunkel heraustrat und mitihrer 
politischen Macht auftrumpfte. Den christlichen Herren Landesvatern war 
das Wohlwollen des alten Amsel Rothschild — in der Volkssprache „der 
alte Amschel" genannt — unendlich wertvoller als der Beifall der Hepsheps 
schreienden Untertanen. Das Wohlwollen des alten Amschel hatte Duka* 
tenklang, das wohlklingendste, was es fur leere Staatskassen geben kann, 
der Beifall der Kramer aber hatte uberhaupt keinen metallenen Klang. Mit 
durren Worten: die undiskutierbaren Gesetze der Geldwirtschaft diktierten 
eines Tages die Befreiung der Hande, in denen das Geld war, d. h. die 
Emanzipation der Juderi. Die Stimmung in den geistigen Oberschichten 
der Gesellschaft aber wandelte sich aus einem entgegengesetzten Grunde 
ebenfalls allmahlich zugunsten der Juden. Wenn in den zwanziger Jahren 
die intimen Beziehungen zwischen den reichen Juden und den ministeriellen 
Fiihrern der internationalen Reaktion einen doppelten Grund zum Haft 
gegen die Juden abgaben, so mufiten in den dreifiiger Jahren dieteils in den 
deutschen Kasematten schmachtenden, teils durch alle Lande gehetzten Vor« 
kampfer eines einigen und freien Deutschland es erleben, dafi es haupt* 
sachlich die Juden waren, die die heifiesten und kuhnsten Vorkampfe fur 
sie fuhrten, namlich der Frankfurter Jude Lob Baruch, unter dem Namen 
Ludwig Borne, und der Dusseldorfer Jude Heinrich Heine. Diese beiden 
Juden waren die hellsten und weithin strahlenden Sterne, die damals aus 
der deutschen Nacht leuchteten und in eine bessere Zukunft wiesen . . . 

Naturlich bedeutete die Emanzipation der Juden nirgends ein Vers 
schwinden der antijudischen Karikaturen. Im Gegehteil. Wo und wann 

224 




9«. , C VA ^hJS^X. , J*.4t CKaya^ JS**f~ 



Gatantc franzosische Lithographic von Gtiin. Um 1900 



Btilige iu Eduard Fuchj, .Die Jodcn in dcr Karikalur- 



Albert Langrn, .Vnnchcn 



diese Frage in einem Lande akut wurde, befruchtete sie sofort und lange 
die Karikatur. Das liegt schon deshalb auf der Hand, weil die Karikatur 
doch immer in erster Linie die Begleiterin der Tagesgeschichte ist. Was bei 
dieser also im Mittelpunkt der offentlichen - Diskussion steht, das lafit sich 
die Satire niemals entgehen. Am allerwenigsten, wenn es sich um ein so 
dankbares Thema wie die Juden handelt. 

Da in den damaligen Karikaturen auf die Juden meistens die SpieB* 
burger das Wort hatten, so wurde ihnen als das Hauptziel, dem sie durch 
die Emanzipation angeblich zustrebten, naturlich das albernste unterschoben ; 
denn der Spiefiburger hat nur einen Spiefiburgerhorizont. Dieses haupt* 
sachlichste Ziel sollte sein — das Recht auf den GenuB von Schweinefleisch. 
Sowie die Emanzipationsbestrebungen der Juden in einem Land auftauch* 
ten, erscheint auch dieser Witz auf der Bildflache. Wir begegnen ihm in 
England, in Frankreich, in Deutschland, kurz uberall. Uberall wird dem 
Publikum gezeigt, dafi der emanzipierte Jude sein Emanzipiertsein nur das 
durch dokumentiert, dafi er sich vor aller Welt an Schweinefleisch ergotzt 
(Bild 71, 74, 128, 134). Von 
ahnlicher Haufigkeit sind die 
Karikaturen auf die emanzipiers 
ten Juden als Nationalgardisten. 
Mit den gleichen Rechten sind 
auch die gleichen Pflichten ge* 
kommen. Die Republik muB 
verteidi,*t werden, also bildet 
,,man" ypezielle Judenkompa* 
nien. Das heifit: Die Karikatur 
allein konstruiert sie, um auf 
diese Weise den behaupteten 
negativen Heldenmut der Juden 
zu demonstrieren. Der Wiener 
Karikaturist Lanzedelli, von des* 
sen Hand zahlreiche Judenkari* 
katuren herruhren, zeigt unter 
anderem den Juden als Natio* 




nalgardisten auf der Wache. Es 



Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



Carao d'Ache. Schlachtfeldhyanen 
29 



225 



. m mi 




Der Vater der Frau Hcrzogin 

233. Charles Huard. In Israel 

geniigt, dafi dieser „Held aus eigener Machtvollkommenheit" hinter sich 
Schritte hort, und schon geht es bei ihm los. Zwar nicht das Gewehr, 
das lafit er fallen, sondern etwas anderes, das auch zu riechen ist (Bild 
123). Die Fahne, die der neugebildeten Judenkompanie gestiftet wird, 
ist das eine Mai das Hasenpanier, denn ein Hase baumelt daran (Bild 
130), das andere Mai, wo sie stolz „an dem Kumandanten sein Haus" 
vorubergetragen wird, zeigt sie, wie man angeblich in Israel das gleiche 
Recht mit den Christen auffafit: ein gekronter Jude kutschiert in einem 
Wagen, der von zwei nackten Christen auf Handen und FuBen gezogen 



226 




Wir sind die alteste Aristokratie der Welt 

23t. Charles Huard. In Israel 



wird (Beilage neben S. 128). Ich gebe von dieser Wiener Karikatur aufier* 
dem eine Leipziger Variation, um zu zeigen, wie weitgehend damals be* 
stimmte Motive allgemein aufgegriffen und verwertet wurden (Bild 125). 
Selbstverstandlich hatte man die ehemalige Bundesgenossenschaft mit der 
Reaktion: dafi diejuden esimmergewesenwaren, diediewankendenThrone 
mit ihren Goldstangen versteift hatten, nicht vollig vergessen. Und so 
polemisierten manche Karikaturisten auch jetzt noch in der Weise gegen 
die Juden, dafi sie diese als die steten Bundesgenossen der Reaktion dar* 
stellten (Bild 129). Zu den wichtigsten und teilweise auch zu den besten 



29* 



227 



Karikaturen dieser Zeit gehoren jene auf den damals die Finanzkassen ganz 
Europas beherrschenden Amsel Rothschild. Ich gebe hier zwei besonders 
bezeichnende Beispiele aus der groBen Zahl der Rothschildkarikaturen: 
„Wie Rothschild mit den Pleitegeiern durch die Welt kutschiert" und „Die 
Generalpumpe". (Beilagen neben S. 112 und S. 120). Die erste erschien 
in Frankfurt, die zweite in Berlin. Beide Blatter treffen in anschaulichster 
Weise den Kern des Problems, und beide offenbaren einen wirklich 
groBen Stil. Zu ihrem sachlichen Verstandnis bedarf es keiner groBeren 
Erlauterungen. Die Mitleidlosigkeit, mit der das Kapital, verkorpert in 
Rothschild, seine Forderungen auf der ganzen Welt eintreibt, ist bei der 
ersten dem alten Rothschild so deutlich ins Gesicht geschrieben, daB es der 
stumpfeste Blick erkennen muB. Nicht minder deutlich driickt sich in dem 
Blatt „Die Generalpumpe" die uberwaltigende Macht des Geldes aus: daB 
die Rollen vertauscht sind, daB die GroBen der Erde, die „angestammten" 
Fursten und Konige der Erde, im Vergleich mit der einzigen wahrhaft die 
Welt beherrschenden Macht des Geldes hilflose Bettler sind. Der MitteU 
punkt der Welt ist der Louisd'or. Aus diesem Zentrum wird die Welt 
regiert. Vom Geld erst empfangen die leiblichen Herren der Welt ihre 
Macht. Erst wenn das Geld in ihre Taschen flieBt, bekommt ihr Wille Kraft. 
Darum sind sie alle armliche Bettler vor diesem finsteren und gewaltigen 
Gotzen. (Vergl. auBerdem Bild 168, 192 und Beilage neben S. 208.) 

Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts und vor allem die Jahre 1848 
und 1849 sind in Deutschland und Osterreich die Geburtsjahre der satiris 
schen Presse; in England und Frankreich hatte bereits das Jahr 1830 sie 
gebracht. Darum ist der Kampf boden der Karikatur von da ab in diesen 
Landern hauptsachlich in die Witzblattpresse verlegt, und die Karikatur in 
der seitherigen Form des Einzelflugblattes tritt immer mehr in den Hinter* 
grund. Im Revolutionsjahr 1848/49 halten sich beide freilich noch die Wage. 
Das Witzblatt muBte sich die Alleinherrschaft erst erobern. Die Munchener 
„Fliegenden Blatter" waren das erste deutsche Witzblatt; sein Geburtsjahr 
ist das Jahr 1844. Im Jahre 1848 wurde es politisch, wie alle die anderen, 
die damals in den Hauptstadten der verschiedenen deutschen Vaterlander, 
vom Marzwind herausgelockt, erschienen. Die wichtigsten sind: der Pfaus 
sche „Eulenspiegel" in Stuttgart, der „Kladderadatsch" in Berlin, die „Leucht* 
kugeln" in Munchen, die Keilsche „Reichsbremse" in Leipzig. Diese alle 

228 




S+«*J&^1 



Das Recht ist zwar auf ihrcr Seite, der Buchstabe des Gesctzes dagegen auf der seinigen. Die Ju^tir 
aber schiitzt nicht das Recht, sondem den Buchstaben 

235. Ste»D]«n. FmucmxHc K»rlunu 




haben in ihrem bildlichen Teil auch die 
Frage der Judenemanzipation behandelt. 
Zum Teil in einer sehr geistreichen 
Weise. Die „Reichsbremse" zeigte in dem 
Bild „Die Judenemanzipation in Bayern" 
drastisch und uberzeugend den krassen 
Widerspruch, der in Bayern zwischen der 
Theorie und der Praxis der Judenbefreis 
ung bestand (Bild 131). Die „Fliegenden 
Blatter", die in jenen Jahren unbedingt 
die starksten zeichnerischen Krafte zu 
ihren Mitarbeitern zahlten, brachten auch 
iiber die Judenemanzipation einiges des 
Besten. Ein Beispiel dafur ist die ausgezeichnete Karikatur „Konsequenz" 
von dem wackern Kaspar Braun, die sich zwar nicht direkt auf die Emans 
zipation der Juden bezieht; es ist ein geistreicher satirischer Hieb auf das, 
was fur die Juden nach wie vor geblieben war, namlich die Ungleichheit 
vor dem Gesetz (Bild 126). 

Da die Judenemanzipation in Frankreich um jeneZeit bereits ein halbes 
Jahrhundert Tatsache geworden war, so begegnet man dort selbstverstand* 
lich keinen Karikaturen iiber dieses Thema, wohl aber in England, wo um 
die gesetzliche Sanktion eines langst zuerkannten Rechtes immer noch ges 

rungen wurde. Ein Beispiel ist Bild 120, 
das etwa aus dem Jahre 1846 stammt. 
Lord Peel hatte anlafilich der Bankakte 
eine Rede zugunsten der politischen 
Gleichheit gehalten. Dafur setzen die Jus 
den seine Buste auf ein Piedestal, bekrans 
zen sie und fuhren einen triumphierens 
den Rundtanz auf. DaB diese Karikatur 
gegen die Juden gerichtet ist, verraten 
neben der ganzen Auffassung auch die 
Worte, die ihnen der Karikaturist in den 
Mund legt. Sie spotten, dafi sie es in jeder 
Situation verstehen werden, ihre besons 




230 











fiStF^gj^F^^* i, ^^^^^^=^— - "'; ..' 








''■ . , ■_ 


1 

1 


/M 




-=3? 




/» »' (HE 

L'". 








! " s 





deren Geschafte zu machen, dafi sie sich 
dabei aber selbstverstandlich ebenso kor* 
rekt benehmen werden wie der christliche 
Konkurrent, so dafi kein Mensch etwas 
merkt usw. 

Wahrend in den fiinfziger Jahren in 
England immer wieder Karikaturen zu 
dem Thema „die Emanzipation der Jus 
den" erscheinen, denn gesetzlich wurde 
diese, wie schon erwahnt, erst 1858 
sanktioniert, horen diese Karikaturen in 
Deutschland mit dem Jahre 1850 fast 

ganzlich auf. Freilich viel weniger, weil _jr.n*».tai..;.«-.i ,.•««« *.«•• ■.. • 

diese Frage durch die neu errungene Verfassung und das Staatsgrundgesetz 

nun als gelost gelten konnte, als vielmehr deshalb, weil mit der im Jahre 

1850 einsetzenden allgemeinen Reaktion alle ernsten Probleme aus der 

satirischen Presse verschwanden. Der Jude wurde damit fur lange Zeit 

wieder das fruhere Witzobjekt fur das Spiefiervergnugen, das man endlos 

variiert, weil es unbegrenzte Moglichkeiten des Spottens und Witzelns 

bietet. In jenen Jahren entstanden die meisten der bekannten, heute noch 

gelaufigen und immer wieder als neu aufs 

getischten Witze auf die Juden. Die besten 

Beispiele finden sich in den „Fliegenden 

Blattern" und in den „Dusseldorfer Mo« 

natsheften" der Jahre 1850—55, an denen 

ebenfalls eine Reihe der besten Kunstler 

jener Zeit mitarbeiteten : Schrodter, Ritter, 

Achenbach, Knaus usw. Die gute kunsts 

lerische Losung und der mitunter kosts 

liche Witz versohnt hier wie auch in den 

Fliegenden Blattern mit dem Defizit an 

GroBe und Tiefe in der Auffassung dieses 

in alien seinen Stadien welthistorischen 

Problems (Bild 135-153). -„**.——,—«**.—. 

236—239. h ■■ Gerbault. Verfriihte Freude, 
£ oderr Einer, der sich zu beherrschen weifi 




231 



Obgleich sich die Tatsache der politischen Gleichberechtigung der Juden 
im Gesellschaftlichen fast iiberall nur sehr langsam durchsetzte, so dafi die 
gesellschaf tliche Verfemung in manchen Landern noch Jahrzehnte wahrte, 
so fiihrte die politische Gleichheit doch dazu, den Juden sofort eine ganze 
Reihe von Berufen und Betatigungsmoglichkeiten zu eroffnen , die ihnen 
bis dahin hermetisch verschlossen waren. Und so weit diese Betatigungss 
moglichkeiten in der Linie des spezifischen judischen Intellektualismus lagen, 
wurden sie auch alle sofort von den Juden okkupiert. 

Aus dieser ungeheuren Erweiterung der judischen Mitarbeit auf zahls 
reichen Gebieten des wirtschaftlichen und offentlichen Lebens ergab sich 
ganz von selbst ein im gleichen Umfang zunehmender Reflex in der Karis 
katur der verschiedenen Lander. Dieser vermehrte karikaturistische Reflex 
ist freilich in erster Linie darauf zuruckzufuhren, dafi der Jude, dank seiner 
geistigen Beweglichkeit, dort, wo er seine Tatigkeit aufnahm, zumeist auch 
sehr bald eine stark maBgebende Rolle spielte. Diese auf der ganzen Linie 
veranderte Situation spiegeln die in diesem Band vereinigten Karikaturen 
nach meiner Meinung sehr deutlich wieder. Bei den bildlichen Demons 
strationen aus dieser Zeit konnte es sich naturlich nur um eine uberaus 
knappe Auswahl handeln, und mein Ziel muBte ausschlieBlich darauf 
gerichtet sein, in dieser knappen Auswahl die Hauptwesenszuge der Judens 
karikaturen dieser Epoche durch typische Beispiele aufzuzeigen. Selbst* 
verstandlich kann ich auch textlich nur in derselben summarischen Weise 
verfahren. Ich muB mich wiederum damit begnugen, das Material in einige 
Hauptgruppen zusammenzufassen und diese in ihrem Gesamtcharakter zu 
umschreiben. — 

So sehr sich die historische Situation fur die Juden nach ihrer Eman« 
zipation auch geandert hat, das Fundament der judischen Macht — ihr relativ 
groBerer Besitz und ihre uberragenden Talente fur alle Gebiete der Gelds 
wirtschaft — ist dadurch doch nicht im geringsten verschleiert worden. 
Das Gegenteil ist der Fall. Weil die Emanzipation der Juden in letzter 
Instanz nur die politische Form fur die entscheidende Emanzipation der 
Geldwirtschaft ist (S. 212), darum ist die Rolle der Juden in der Geldwirts 
schaft nach ihrer Emanzipation noch unendlich umfangreicher und zugleich 
um so auffalliger geworden. An die Seite der einen Dynastie Rothschild, 

232 



DSST 



f 



Images 
par 



FORAIN 
CARAN D'ACHE 



cs»^i.ca,i£^a^e3<£i.E3 c cp ssais e3^^sa2ESns>J2 



N a 6 

42 Uas 1893. 



Le NUMERO : 10 centimes. 



BUREAUX 

que Gaboocu, Pima. 



Le Coffre-fbrt 







sf lift ;h !*■<•. 

liili 

fit ft 

lUllfMlH! 

ilill 

fell!, 1 

•ill :; '• : 



•faiM***- 



— Patience!... Avec ca, on a le dernier mot! 



Nur Geduld! . . . Mit dem da hat man das letzte Wort! 

Der Kassenschrank 

Forain. Titelseite des antisDreyfusistischen Witzblattes „Psst...!" Paris 1898 



Beilage zu Eduard Fuchs, .,Die Juden in der Karikatur" 



Albert Langen, Munchen 





I f <k_J^ — ill. / > 



240. H. Gerbauh. Die Konige aus dem Morgenlande auf 
der pariser Weltausstellung. Le Rire. 1900 




die in fiinf verschiedenen Lans 
dern durch die fiinf Sonne des 
alten Amsel Rothschild regierte, 
traten allmahlich Dutzende von 
Finanzkonigen: Pereira, Fould, 
Bleichroder, Mendelssohn, Ops 
penheimer usw. Und man be* 
gegnet ihnen alien in der Karis 
katur der verschiedenen Lander. 
Fur die Charakteristik der Alls 
macht des Geldes, seiner unbes 
schrankten Weltherrschaft, seis 
ner skrupellosen Gier, die Taus 
senden, mitunter sogar ganzen 
Volkern, bloB deshalb den Huns 
ger diktiert, um die jeweilige 
Profitrate zu steigern, bleibt 
Rothschild freilich nach wie vor der Typ. Nicht weil die furchterliche 
Skrupellosigkeit des Grofikapitals sich mehr an den Namen der Rothschilds 
als an den der anderen Finanzkonige knupfte, sondern nur deshalb, weil 
der Name Rothschild langst ein in der ganzen Welt feststehender Begriff 
fur die Weltmacht des Besitzes geworden war (Bild 192 u. neben S. 208). 
Durch die Einfuhrung von Darlehnskassen, Hypothekenbanken und 
ahnlichen Institutionen ist die geldwirtschaftliche Funktion des Juden als 
privaten Geldleihers, die ihn automatisch zum Wucherer werden liefi, in 
einer sozial gesunden Weise abgelost. Gewifi noch nicht ganzlich. Der 
Jude als Wucherer ist noch nirgends vollig ausgestorben (Bild 100, 146, 
206, 212, 220); am haufigsten begegnet man ihm noch in den ostlichen 
Provinzen. Naturlich ist damit die Figur des judischen Wucherers als vors 
herrschender judischer Typ aus der Karikatur verschwunden. Denn der 
Jude ist eben nicht mehr ohne weiteres, geschweige denn erschopfend 
charakterisiert, wenn man ihn als Wucherer karikiert. An die spezielle 
Stelle des Wucherers sind der judische Borsianer, der judische Bankier und 
der judische Kapitalist getreten (Bild 99, 143, 144, 152, 161, 162 ; 
183, 186, 188, 191, 193, 198, 211, 221, 222, 313, Beilagen neben S. 1 



Fuchs, Die Juden in der Karikatu 



233 





241. Joseph und die Potiphar. „Er mag net". Piek ; me*up. London. 1899 

Zwischen dem jiidischen Bankier von heute und dem jiidischenWuches 
rer von ehedem ist im Prinzip kein grofier Unterschied, denn die Tatigkeit 
der beiden ist im Wesen vollig gleich. Auch der moderne Bankier tut in 
der Hauptsache nichts anderes als Geld auf Pfander leihen. Der Gewinn, 
den er dabei erzielt, ist ebenfalls nicht kleiner als der, den der ehemalige 
Wucherjude einheimste. Im Gegenteil. Weil der Bankier das Verleihen von 
Geldern auf Pfander auf einer hoheren banktechnischen Stufe ausiibt, ist 
der Ertrag dieser Tatigkeit fur ihn sehr oft noch unendlich viel grofier. Und 
auch die Methoden, deren sich der geldleihende Bankier beim Eintreiben 
seiner Guthaben bedient, entbehren jeder Spur von Sentimentalitat. Es 
existiert nur der eine Unterschied, dafi das Abwurgen der Kleinen durch 
die GroBen heute gerauschloser als friiher sich vollzieht. Trotzdem ist der 
moderne Bankier in der allgemeinen offentlichen Meinung nirgends mehr 
mit eineun ahnlichen Makel behaftet wie der Wucherjude von ehedem. 
Die einfa.che Ursache ist, dafi, wie ich eingangs dieses Kapitels auseinander 



234 



gesetzt habe, in unserer Zeit die Geldwirtschaft sich restlos durchgesetzt 
hat. Daraus ergab sich mit zwingender Notwendigkeit, dafi das Empors 
steigern der individuellen Profitrate zum selbstverstandlichen Recht fur die 
Gesamtheit, also fur Christ und Jude, geworden ist. Und damit sind alle 
Funktionen der Geldwirtschaft sozusagen „ehrlich" geworden. Als anstoBig 
gilt hochstens die Ungeschicklichkeit im Geldverdienen. Dafur ist ein 
boses Wort, das die ertragreiche Geschaftskonjunktur des Weltkrieges in 
Deutschland hat entstehen lassen, sehr bezeichnend: „Ein Kaufmann, der 
in dieser Zeit nicht zum Millionar wird, ist nicht wert, diese grofieZeit er» 
lebt zu haben." 

Diese Wandlung in den herrschenden Anschauungen iiber die berechs 
tigten Methoden des Profitmachens hat in der Karikatur dazu gefuhrt, dafi 
jemand heute viel weniger ob der Art verspottet wird, wie er sein Geld 
verdient, als vielmehr darob, wie er sein Geld ausgibt. In dieser Weise 
kapitulierte das offentliche Gewissen vor den Tendenzen des Grofikapitas 
lismus, es verlangte von dessen einzelnen Vertretern hinfort nur die Wahrung 
der aufieren gesellschaftlichen Formen. Die Henker und die Rauber miissen 
Glacehandschuhe tragen. Sie 
miissen sich in solchen Lebenss 
formen bewegen, die das Reichs 
sein als eine ihnen von Geburt 
an eigentumlicheSelbstverstands 
lichkeit vortauscht. Ist ihr ge* 
sellschaftliches Benehmen der* 
art, dann gelten sie als tadellos, 
und hiemand wird wagen, sie 
als Person anzugreifen. 

Angesichts dieser verander* 
ten Situation wird der geldbes 
sitzende Jude immer haufiger ob 
seines gesellschaftlichen Benehs 
mens verspottet, soweit dieses 
die Herkunft aus dem Ghetto, 
oder moderner ausgedruckt, aus 
der Grenadierstrafie verrat (Bild 




&% 



Joseph ! 



242. Caran d'Ache. Die moderne Potiphar 

30* 



235 



288). Er wird verspottet als Pars 
venii, der den alten Sportsmann 
mimt (Bild 167), als Protz, der 
seine Kalle mit einem Juwelier* 
laden behangt (Bild 159), als 
der ewige Borsenspekulant, der 
beim Erscheinen des Borsens 
berichtes alle anderen Freuden 
der Welt vergiGt (Bild 178). Er 
wird weiter verspottet als der 
Kommerzienrat, derdengrofien 
Mann vorstellen will (Bild 186), 
als der groBe Geldausgeber, der 
von aller Welt umworben wird 
(Bild 162—164), und vor allem 
als der, der durch seine starke 
Vorherrschaft im offentlichen 
Leben den Mittelpunkten des 
gesellschaftlichen Treibens ihr 
ganz besonderes Geprage vers 
leiht. Diese Mittelpunkte sind: das Theater, der Sport, der hauptstadtische 
Korso, das Modebad, usw. (Bild 197, 222, 224, 225, 234, 244). 

Auf diese Weise vermag die Karikatur zwar nicht solch furchtbare An* 
klagen gegen die Juden zu schleudern wie ehedem, wo jeder Jude nur in 
der Gestalt des mitleidlosen Blutsaugers vor das geistige Gesichtsfeld der 
Mitwelt trat, aber der Witz und die Satire und auch die kunstlerische Be* 
waltigung der verschiedenen Motive haben auf diese Weise eine ungleich 
reichere Ernte gehalten. Die Blatter von Busch, Caran d'Ache, Forain, 
Oberlander uberragen durch ihr Genie alles, was die fruheren Jahrhunderte 
an satirischem Witz gegen die Juden vorzubringen vermochten. (Bild 178, 
180, 181, 184, 223—229). Aber dieser Unterschied gilt auch gegenuber fast 
alien modernen Karikaturisten, die die Juden zum Gegenstand ihres Witzes 
gemacht haben (Bild 179, 182, 183, 186, 187, 190, 191, 194, 195, 198, 199). 




Die Armee der Zukunft 

243. Caran d'Ache. Pst. . . 189 



236 




Die antisemitische Witz* 
blattpresse. Das 19. Jahrhun* 
dert hat auch eine spezifisch anti* 
semitische Witzblattpresse her* 
vorgebracht. Also eine Presse, 
die nicht nur auch Judenkaris 
katuren bringt, wie fast alle 
Witzblatter der Welt, sondern 
die sich ausschlieBlich dem sa* 
tirischen Kampf gegen diejuden 
widmet, und die alle Dinge und 
Ereignisse aus diesem Gesichts* 
winkel anschaut. 

Zwischen den Judenkari* 
katuren dieser Zeitungen und 
dieses Charakters und den sozus 
sagen allgemeinen Judenkarika* 
. turen mu6 man selbstverstands 
lich streng unterscheiden. In 
diesen allgemeinen Judenkari* 

katuren, von denen ich als kunstlerischste deutsche Beispiele die kostlichen 
Blatter von Oberlander, Busch, Harburger, Schlittgen usw. nennen mochte, 
ist der Jude nicht so sehr das Ziel des Spottes, als vielmehr das dankbare 
Mittel, um in wirkungsvoller Weise Witz und Humor zu gestalten. Genau 
wie der Bauer zum speziellen Trager der Verschlagenheit, des besonders 
raffinierten Geschaftsgeistes usw. gemacht wird. Indem man sich in dieser 
Weise auf Kosten der Bauern und der Juden lustig macht, handelt es sich 
in dem einen Fall so wenig wie in dem andern um einen prinzipiellen Kampf 
gegen die Bauern und gegen die Juden, sondern hauptsachlich um die Be* 
tatigung des absoluten Rechtes des Humors, alle Erscheinungen des Lebens 
zu seinen Zwecken auszubeuten. Das frohliche Lachen als Selbstzweck ist 
das Ziel dieser Art Judenkarikaturen, das Lachen im Dienste der allge* 
meinen Stimmungssteigerung. Solchen Judenkarikaturen, der en Zweck 
sich hierin erschopft, begegnet man uberall, und solchen Judenkarikaturen 
wird man sicher auch begegnen, solange der Jude sich nicht ganzlich assis 



Das Richterkollegium im Dreyfus=Prozefl 



2«. Carm d'Ache. Psst. 



237 



miliert hat, solange es also noch 
auffalligejiidischeEigenartengibt. 
Ganz anders verhalt es sich bei 
den Judenkarikaturen der anti* 
semitschen Witzblatter. Diese 
sind, wie die meisten Judenkaris 
katuren vor der Emanzipation 
der Juden, direkte Kampfmittel 
und Kampfansagen gegenuber 
den Juden. Bei ihnen soil der 
Zweck und das Ziel des Lachens, 
das sie entfesseln, niemals im 
Lachen allein, also in der bloBen 
Stimmungssteigerung, erschopft 
sein, sondern sie sollen beim Be* 
schauer genau wie friiher ein Ge« 
fuhl der Verachtung gegenuber 
den Juden zurucklassen. Denn 
durch dieses Gefiihl der Verachs 
tung soil, wie ich schon oben 
(S. 107) sagte, die betatigte oder 
propagierte politische Unter* 
druckung der Juden, die Revision 
ihrer Emanzipation, ihre Zurucks 
fuhrung ins Ghetto, ihre Auss 
weisung aus Europa, usw. ge* 
rechtf ertigt sein. 

Das alteste antisemitische Witzs 
blatt diirfte der Wiener „Kikeriki" 
sein. 1862 als allgemeines und 
politisches Witzblatt und speziell 
als antiklerikales Kampf blatt begrundet, gelangte der Kikeriki in dieser Form 
zu einem berechtigten und weit iiber die Grenzen Osterreichs hinausreichens 
den Ansehen. Mit dem Auf kommen der christlichssozialen Partei in Oster* 
reich, in den neunziger Jahren, verzichtete das Blatt immer mehr auf seinen 





J ^^ > 




mM. sS 




^WtA<<^ 




^1 1 






X ^PP 






^N\ 


M. 





Das Judenschicksel 

245. Hermann Paul. Fraczosischc Karikatur 



238 



ursprunglichen Charakter und stellte sich in gleicher Weise in den Dienst des 
Antisemitismus, das heifit in den der Kreisler und Tandler; denn diese bil* 
den den Kern der christlichssozialen Partei in Osterreich. Zweifellos gab es 
in Wien besonders viele und dauernde Anreize zu Angriff en auf die Juden. 
Das Judentum beherrschte hier schon lange und sehr stark die Wirtschaft 
und die Politik, aufierdem hatte Wien standig unter dem ununterbrochenen 
Zuzug der Ostjuden zu leiden. Diese bediirfnislosen Massen wurden die 
gefahrlichsten Konkurrenten des ansassigen Kleinhandwerks und Kleins 
handels; denn sie waren dank ihrer Herkunft beim Geschaftemachen von 
alien Skrupeln unbeschwert. Auf einem solchen Boden muBte sich der pos 
litisch organisierte Antisemitismus eines Tages formieren. Weil dieses aber 
infolge der geographischen Lage Wiens kein vorubergehender, sondern 
ein dauernder und immer deutlicher sich auspragender Zustand wurde, je 
mehr die ostlichen Massen in Bewegung kamen, darum wurde der Antise* 
mitismus in Wien sowohl eine Dauer* als auch eine Massenbewegung. 
Damit aber war auch einem Witzblatt, das alle Ereignisse und alle wirts 
schaftlichen und politischen Fragen aus dem Gesichtswinkel der judischen 
Verantwortlichkeitanschautundglossiert, 
die fur seine Existenz notige Leser* und 
Abnehmerzahl verburgt. Und darum 
wandelte sich der Kikeriki zum antisemis 
tischen Witzblatt und konnte sich auch 
als solches bis auf den heutigen Tag be* 
haupten. Sein fruheres Ansehen vers 
mochte er freilich nicht zu behaupten, 
denn eine Kreislerperspektive kann sich 
eben niemals zu einer Weltperspektive 
weiten. 

Einen derart gunstigen Boden wie in 
Osterreich und speziell in Wien hatte 
der politisch organisierte Antisemitismus 
in andern Landern , abgesehen von Rufis 
land, immer nur vorubergehend. Eine 
solche vorubergehende Periode der Vors 
herrschaft des Antisemitismus im gesams 



Raphael Viau 



Oty! ees * Jeroboam! 




PRIX 

80 C=si 



ivmm 



Uibrairie flntisemite, 45, rue tfivieone - PBRIS 



Umschlagseitc eines fraczosischec 
Pamphlets 



239 




Weshalb man die Revolution von 1789 machte. I. Vorher 



ten offentlichen Leben 
war in Deutschland die 
schon geschilderte Zeit 
des HepsHepsSturmes. 
Aber damals war die 
Zeit fur das satirische 
Witzblatt in Deutsche 
land noch nicht ges 
kommen. Bei der nachs 
sten starken antisemiti« 
schen Flutwelle, die mit der Griinderzeit der siebziger Jahre zusammenhing, 
lagen die Dinge in dieser Richtung schon anders und sofort kam es zur 
Grundung eines satirischenWitzblattes, des Leipziger „Puck", der zwar nicht 
ausschliefilich antisemitische Karikaturen brachte, aber seine antisemitischen 
Tendenzen auch nicht verhullte, wie die hier wiedergegebenen Bildproben 
deutlich zeigen (Bild 167, 171—177). Diese Bewegung flaute jedoch sehr 
bald wieder ab, und so ging auch der Puck wieder ein. Die nachste, von 
dem Hofprediger Stocker und dem beruchtigten Rektor Ahlwardt, dem 
Rektor aller Teutschen — wie sich dieser furchterliche Hohlkopf selbst 
nannte — , geleitete antisemitische Bewegung war von lingerer Dauer und 
ergriff auch ziemlich breite Mittelschichten. Wieder wurden im Verlauf 
dieser Bewegung verschiedene Versuche gemacht, ein antisemitisches Witzs 
blatt zu grunden, aber das einzige greifbare Resultatbildeten die in zwangs 
loser Folge in Dresden erscheinenden ..Antisemitischen Bilderbogen." Die 
kunstlerische und literarische Qualitat dieser durchweg satirischen Bilders 
bogen war jedoch derart minderwertig, dafi auch diese Grundung nur den 
bescheidensten Anspruchen genugte und darum nach der zwanzigsten 
Nummer wieder einschlief. Bild 2, 210 und 211 zeigen einige Bildproben; 
sie sind dem zuletzt, unter dem Titel „Der Teufel in Berlin" erschienenen 
Bilderbogen entnommen. Ich bemerke jedoch ausdrucklich, dafi diese Bilder 
unbedingt die besten oder richtiger : die einzig ertraglichen aus dieser ganzen 
Serie sind. Was man in dieser Redaktion unter literarischer Satire verstand, 
werde ich noch an anderer Stelle kurz belegen. Erst die gegenwartige anti* 
semitische Hochflut, die Deutschland seit dem Kriegsende durchtobt, und 
die starker ist als je eine zuvor, hat ein spezifisch antisemitisches Witzblatt 



240 



gezeitigt, das seit 1920 in Berlin erscheinende ..Deutsche Witzblatt". Aber 
dieses antisemitische Witzblatt fuhrt trotz der antisemitischen Hochkon* 
junktur, die so unendlich viele Leute um den bescheidenen Rest ihres 
Verstandes gebracht hat, eine sehr wenig beachtete Existenz. Auch in die* 
sem Fall ist dieser Umstand durch das unsagbar tiefe Niveau des Blattes 
hinreichend erklart (Bild 287, 289, 296). Alle diese Bilder sind auch als 
Ansichtskarten und zum Teil auch als Klebemarken erschienen. Anderer* 
seits machen die samtlichen fuhrenden deutschen Witzblatter standig der* 
art starke Konzessionen an den Antisemitismus, dafi schon damit der 
vorhandene Bedarf hinreichend gedeckt ist. Kriegsgewinner, Schieber, 
Revolutionsgewinner usw. werden in den meisten Fallen als Juden darge* 
stellt. Zwar weifi alle Welt, dafi auf diesen ertragreichen Gefilden Christ 
und Jud paritatisch vertreten sind, aber der skrupellose Verdiener macht 
sich eben in der Gestalt des Juden fur die Karikierung am effektvollsten, 
und so stempelt der Karikaturist diese peinlichen Gestalten stereotyp zu 
Juden (Bild 288, 290-294). 

In Frankreich haben die Juden sowohl in der Wirtschaft als auch 
in der Politik, wie ich schon im dritten Kapitel gezeigt habe, immer eine 
grofie Rolle gespielt. Da dies bei der geringen Entwicklung der franzo* 
sischen Industrie und bei dem uberwiegend kleinbauerlichen und kleinburs 
gerlichen Charakter 
der Gesamtbevolke* 
rung in der Offent* 
lichkeit naturgemafi 
stark auffallen mu6* 
te, so istder Antisemi* 
tismus in Frankreich 
trotz der hier am fruhs 
esten erfolgten Eman* 
zipation der Juden 
seitlangemeinechro* 
nische Erscheinung. 
Trotzdem kam es in 
Frankreich sehr yiel 

Weshalb man die Revolution von 1789 machte. II. Nachher 

Spater alS Z. B. in 247 u . 2 48. Caran d'Ache. 1898 

Fuchs, Die Juden in der Karikatur 31 

241 




Deutschland zu einem planmafiig organisierten Kampf gegen die Juden. 
Diese Verzogerung ist darauf zuriickzuf iihren, daft in Frankreich die fiihren* 
den jiidischen Kreise stets auf das Engste mit den jeweils herrschenden Ge* 
walten liiert waren. Jede franzosische Regierung wurde von einer ganz 
speziellen jiidischen Kapitalistengruppe, d. h. von einem ganz bestimmten 
Bankhaus, gestiitzt. Louis Philipp zuerst von Laffitte — diesem Bankhaus 
hatte er 1830 seine Thronbesteigung zu verdanken — , spater von Rothschild. 
Unter Napoleon III. war die Geldmacht Pereira neben Rothschild der 
wirtschaftliche Stutzpunkt der kaiserlichen Politik usw. Unter solchen Urn* 
standen konnte der Kampf gegen die Juden sich nicht vereinheitlichen; denn 
der Teil der Bevolkerung, der zur Regierung stand, — das waren das eine 
Mai die Kleinbiirger, das andere Mai die Kleinbauern, — ware bei einem 
organisierten Kampf gegen die Gesamtheit der Juden jeweils ausgeschie* 
den, da ein Teil der Juden immer die eigenen Bundesgenossen darstellte. 
Andererseits war der gegen die jeweilige Regierung gefuhrte Kampf immer 
nur ein Kampf um die politische Regierungsform, niemals aber ein prinzi? 
pieller Kampf um die okonomische, d. h. die kapitalistische Basis der Ge? 




2«9. Bob. La France und ihte Beschiitzer. FfanwuKhc Kjnlurac 



242 




250. Monsieur Le due von Bob (CiSn M«tsU) 

Fraoaosiscbe lOuilutur 



sellschaft. So fuhrte die Niederlage jedes 
Regierungssystems in Frankreich letzten 
Endes immer nur zu einem Wechsel in 
dem herrschenden Bankhaus. Um die 
wahre Situation nach den Februartagen 
des Jahres 1848 zu kennzeichnen, sagte 
Proudhon sehr treffend: „Unsere Juden 
haben gewechselt". 1851 nach dem Staats; 
streich und 1870 nach dem 4. September 
hatten letzten Endes ebenfalls nur die 
Juden gewechselt. 

Erst in den achtziger Jahren, als der 
VerreibungsprozeB der Mittelschichten 
sich in Frankreich zu den gleichen langs 
andauernden Wirtschaftskrisen steigerte 
wie in Deutschland, kam es zu einer klar 
ausgepragten antisemitischen Bewegung. 
Ihr geistiges Haupt wurde der heute noch 
lebende getaufte Jude und Monarchist Edouard Drumont, ein ziemlich ge« 
schickter Schriftsteller, der sich durch sein 1887 erschienenes und auch ins 
Deutsche iibertragene Buch „Das verjudete Frankreich" mit einem Schlage 
bei alien unkritischen Kopfen beriihmt machte. Drumontgriindete im Jahre 
1893 die satirisch illustrierte Zeitschrif t „La libre Parole", der er das Leitwort 
voransetzte „La France aux Francois;" denn der Kernpunkt aller seiner An« 
klagen gipfelt darin, Frankreich gehore langst nicht mehr den Franzosen, 
sondern sei mit alien seinen Besitzquellen in den Handen der Juden. Ich 
gebe hier die Titelseite der ersten Nummer dieser teilweise sehr interessanten 
Zeitung (Bild 218, 306). Der Erfolg dieser Zeitung, und dafi sie sich durch 
die schwierigsten materiellen Fahrnisse hindurch bis in den Weltkrieg hin* 
ein am Leben zu erhalten verstand, war vor allem der haufigen Mitarbeit 
angesehener Zeichner zu danken. In dem kleinbiirgerlichen Frankreich 
entstammen auch die meisten Kunstler kleinbiirgerlichen Kreisen, und 
deshalb stoBt man unter den franzosischen Kiinstlern auf so viele antise* 
mitische Regungen. Verschiedene der bedeutendsten franzosischen Kari* 
katuristen sind ausgesprochene Antisemiten. Ich nenne nur Adolf Willette, 

243 




ttS«NHM^^^^^n|I^U|W^ 



251. J. Kuhn.Rcewcr Die keusche Susanne und die beiden Greise. t9n 

Forain, Leandre, Huard, Caran d" Ache; der Letztere ist iibrigens nach 
Abstammung ein Russe. Ein Jeder von diesen hat Hunderte von direkt 
antisemitischen Karikaturen gemacht. Die Gerechtigkeit fordert jedoch, 
zu erklaren, dafi sich darunter eine Anzahl Blatter befinden, die nicht 
nur zu den Besten unter alien jemals erschienenen Judenkarikaturen ges 
horen , sondern die iiberhaupt in der Geschichte der Karikatur einen hers 
vorragenden Platz einnehmen. Von Caran d'Ache nenne ich als Beweis 
den genialen Bilderwitz „Die Judenfrage", der 1896 in einer der Monj 
tagsnummern des , .Figaro" erschien (Bild 226—229), von Forain ver* 
weise ich auf das nicht weniger geniale Titelbild aus dem ,,Psst . . .1": 
„Der Kassenschrank" (Beilage neben S. 232) und von Willette auf das 
Titelbild in der ersten Nummer von „La libre Parole" (Bild 218). Neben 
diesen weltberiihmten Namen der franzosischen Karikatur lieferten aber 
noch standig Dutzende von anderen angesehenen Karikaturisten anti= 
semitische Karikaturen: Steinlen, Jossot, Gerbault, KuhnsRegnier, Viau, 
und vor allem Bob, hinter dem sich die als Schriftstellerin wie als Kari= 
katuristin gleich originelle monarchistische Grafin Martell verbirgt. Diese 
Grafin hat sich den Kampf gegen das Judentum ebenf alls zu ihrem be* 
sonderen Ziel erkoren. In der Verfolgung dieses Zieles hat sie mehrere 
geistreiche Biicher verfafit, die sie auch selbst illustriert hat. Die be* 



244 



riihmtesten sind „Les gens chics" und „Ohe les Dirigeants!" (Bild 196, 222, 
223. 230-240, 245, 246. 249-255, 260). 

Als der Dreyf usprozefi im Jahre 1897 von neuem ins Rollen kam und 
man in Frankreich monatelang von nichts anderem sprach, griindeten Forain 
und Caran d'Ache gemeinsam das durchaus antisemitische Witzblatt 
„Psst . . .!", das ausschlieftlich von ihnen beiden illustriert wurde. Der An> 
tisemitismus und auch dieses Witzblatt standen selbstverstandlich auf der 
Seite der Dreyfusgegner. Dieses Blatt, das nur aus Zeichnungen bestand, 
brachte wahrend der zwanzig Monate seines Bestehens eine Reihe glanzen* 
der Karikaturen auf die Juden (Bild 224, 232, 243, 244, 247 und Beilage neben 
S. 232). Als Oberst Dreyfus, dieses Opfer der monarchistischsantisemitis 
schen Agitation, vom Kriegsgericht in Rennes freigesprochen werden mufite, 
verzichteten Forain und Caran d'Ache auf die weitere Herausgabe des 
Blattes; denn sein ganzer Inhalt war nur auf den Kampf gegen Dreyfus 
eingestellt gewesen. Der Panamaskandal, der begreiflicherweise in alien 
seinen Teilen eine vorherrschend antisemitische Note hatte, hat nur zu Vers 
suchen von antisemitischen Witzblattgriindungen gefiihrt, aber meines 
Wissens zu keinem positiven Erf olg. Im iibrigen war ja der Bedarf in der 
Hauptsache durch diesatirischillustriertenMontagssund DonnerstagssAuss 
gaben des klerikalen Figaro gedeckt. — 

Aufier diesen Landern be« 
gegnet man nur noch in dem 
zaristischen Rutland antisemitis 
schen Witzblattern. Dieses ins 
famste aller europaischen Regies 
rungssysteme, das jeden freien 
Geist mit der Katorga und mit 
Sibirien bedrohte, wenn er im 
Interesse des kulturellen Forts 
schritts und der Freiheit sich der 
Presse bediente, wurde in der 
schamlosesten Weise nachsichtig, 
wenn der Antisemitismus in 
irgend einer Stadt es untemahm, 
die Massen durch Flugblatter, 252. j. K^«.**g*,«. Simson und DeliU 




245 



Zeitungen usw. gegen die Juden aufzuputschen und Judenprogrome vor« 
zubereiten oder diese durch die Presse zu rechtfertigen. Infolgedessen 
konnten in RuBland verschiedene antisemitische Witzblatter entstehen und 
ungestort die gemeinste Sprache gegen die Juden fiihren. Ich gebe hier 
eine Reihe Proben aus zwei solchen antisemitischen Witzblattern. Das eine 
hiefi „Der Odessaer Gummiknuppel", es erschien 1905, das andere hiefi 
„Pluvium" und erschien seit 1906 in Petersburg; keines von beiden hatte 
jedoch ein langes Leben. (Bild 276—280 und Beilage neben S. 272). — 

Das Rezept, nach dem die antisemitischen Witzblatter der ganzen Welt 
ohne Unterschied arbeiten, ist das bekannte, schon an den verschiedensten 
Stellen erwahnte Rezept des Antisemitismus, wonach die Juden von alters* 
her an allem Unheil der Welt schuld sind, dafi sie in allem die Hand 
im Spiel haben, und dafi dieses Spiel immer betrugerisch ist. Darum bes 
diirfen die hier vorgefuhrten Karikaturen auch gar keiner besonderen 
Wurdigung im Einzelnen. Der einzige Unterschied gegen friiher ist der, 
dafi die Zahl der gegen die Juden erhobenen Anklagen sich vervielfacht 
hat, entsprechend ihrem erweiterten Tatigkeitsgebiet im wirtschaftlichen 
und politischen Leben. Weil der Jude heute auch uberall in der Justiz eine 
Rolle spielt, ist, entsprechend der antisemitischen Phraseologie, auch iibers 
all die Justiz von ihm korrumpiert, das Gleiche behauptet der Antisemitiss 
mus von der Presse, der Politik usw. Und er demonstriert dies auch dem« 
entsprechend in seinen Karikaturen. Auf die Juden in der Politik, in der 
Literatur und Kunst, die ein besonders grofies Kapitel in der antisemitischen 
Karikatur bilden, komme ich deshalb noch in einem gesonderten Abschnitt 
zu sprechen . . . 

Abgesehen von den stofflichen Unterschieden , die durch die beson* 
deren politischen und anderen Ereignisse der einzelnen Lander bedingt 
sind, unterscheidet nur die formale Losung die antisemitischen Karikaturen 
der verschiedenen Lander voneinander. Die Franzosen sind auch in ihrem 
Kampf gegen die Juden am geistreichsten und ihre Karikaturen sind aufiers 
dem- die kunstlerischesten. Die Russen sind, wie die von mir hier vorges 
fuhrten Beispiele aufs Deutlichste zeigen, stets uberaus teuflisch in ihren 
Angriffen. Von den Deutschen kann man wiederum sagen, dafi ihre antis 
semitischen Karikaturen zumeist die albernsten sind; sie stehen weit hinter 
denen der Osterreicher zuriick, freilich haben diese auch eine viel langere 

246 




253. J. Kuhn.Regnier. Ein Fest in den Garten dcr Semiramis 

Tradition im Hep«Hep«Schreien. Wenn die heftigsten franzosischen Karis 
katuren nicht selten durch ihren Witz und ihre kiinstlerische Form vers 
sohnen — was auch von den Judenkarikaturen der Miinchener „Fliegenden 
Blatter" und denen des „Simplicissimus" gilt — , so versohnt Einen bei den 
Osterreichern haufig deren Bonhommie. 

Ich habe oben (S. 235) gesagt, daft die moderne Judenkarikatur immer 
mehr an die Formen des Geldausgebens und immer weniger an die Formen 
des Geldverdienens ankniipft. Fiir die antisemitische Witzblattpresse gilt 
dies, wie man sieht, nicht. Hier gibt es keine Wandlung. Im Gegenteil: 
der Antisemitismus hat auf die friiheren Methoden der Judenbekampf ung 
nicht nur nicht verzichtet, sondern diese obendrein noch um die samtlichen 
neuen Errungenschaften vermehrt. 



Der Jude in der Politik. Wo auch der Jude in der Geschichte die 
Arena betritt, immer erleben wir das gleiche Schauspiel wie beim Auftreten 
des Juden in der Geldwirtschaft und im Handel. Er rebelliert gegen die 

247 



hergebrachten, nur durch die Tradition geheiligten Formen und vernichtet 
durch seinen Intellektualismus und durch seine vielfach hemmungslose Be* 
weglichkeit die siiBe, bis dahin herrschende Ruhe. Das Wichtigste dabei ist 
jedoch, dafi derjude nichtnur am erstenTage seines Auftretens, sonderndafi 
er dauernd rebelliert. Das war selbstverstandlich auch die Rolle des Juden 
in jedem Lande, als er in die Politik eintrat, und es ist seine Rolle in der Poli* 
tik bis auf den heutigen Tag geblieben. Indem aber der Jude in der Politik 
gegen die hergebrachten Formen standig rebellierte, sprengte er diese auch, 
— er ist bis zu einem gewissen Grade unbedingt das Dynamit in der poli* 
tischen Geschichte der Volker. Aber er sprengt nicht nur die seiner Be* 
weglichkeit lastigen alten Formen, er entwickelt auch neue, beweglichere, 
die der Nervositat der entwickelten Geldwirtschaft entsprechen. Es ist 
nicht ubertrieben, wenn man sagt, dafi z. B. der moderne Parlamentaris* 
mus in weitem Umfange durch die Juden sein spezifisches Geprage be* 
kommen hat. Es konnte gar nicht anders sein , weil der Parlamentarismus 




25*. J. KuhnsRegnicr. Salomon und die Konigin von Saba 

248 



die dem modernen Kapitalismus 
entsprechendeund von ihm nicht 
zu trennendepolitische Form ist. 

Eine ganz logische Konse* 

quenz der gesamten Stellung des 

Juden ist, daft er iiberall dort, 

wo eine konservative Regierung 

am Ruder ist, meistens auf der 

Seite der Opposition steht. Nicht 

weniger folgerichtig ist, daft er 

am allerhaufigsten auf der Seite 

der auftersten Opposition steht; 

in Deutschland also z. B. auf der 

Seite der Sozialdemokratie. Daft 

man in den deutschen Parlamen; 

ten vor dem Weltkrieg den Ju* 

den fast nur in den Reihen der 

Sozialdemokratie begegnete, und 

nur als verschwindenden Auss 

nahmen in den Reihen des Frei< 

sinns, obgleich dieser doch direkt 

als „Judenpartei" stigmatisiert 

war, hatte seine besondere Ursache in der politischen Charakterlosigkeit des 

deutschen Biirgertums. Zwar vertrat der Freisinn durch Dick und Diinn 

das Finanzkapital, in dem die Juden dominieren, aber aus Riicksicht auf die 

kleinburgerlichen Mitlauf er, deren Stimmen man bei einer Wahl nicht ver* 

lieren wollte, sah man ebenso angstlich von der Auf stellung jiidischer 

Kandidaten ab. Der biirgerliche jiidische Abgeordnete war darum nur in 

den stadtischen Dreiklassenparlamenten als Vertreter der Wahler erster 

Klasse zu finden, weil hier der Freisinn seine Abgeordneten gewissermaften 

bloft zu ernennen brauchte. Eine der wenigen Ausnahmen war der nation 

nalliberale Abgeordnete Lasker, der in den 70er Jahren den Kampf gegen 

den Griinderschwindel im deutschen Reichstag aufnahm, und mutig — auf 

halbem Wege stehen blieb. (Bild 175 u. 176). 

Der Hauptvorwurf , den die antisemitisch inspirierte Karikatur gegen 



^tiflife&fe.' j '*'«^fli 


^B^^jj* <* ' 




' 


. 





ft M 






.'n- 'csI^IJf ' 




^^~1 


-o^H 


' m 




* 


K 


""^"' » 1 



Ein Fall, in dem der Judc immer gem mit dem 
Christen gebt 

255. Adolf VE'illcne. Ftan>«isd» Kinlumr 



Fuch*. Die Juden m der Kjtnkjtur 



32 



249 




Wagnerianer und Wagnerianerinnen in Tristan und Isolde 

Z56. Aubrey BeardiWy Enfilische Kjtikjfur 

den politisch tatigen Juden erhebt. besteht darin, dafi der Jude die ihm an* 
geblich angeborenen Schachermanieren auch auf das Politische ubertrage. 
Karikaturen dieser Art auf jiidische Politiker liefien sich eine ganze Reihe 
anfiihren. Ich begniige mich mit einem klassischen Beispiel. Es ist die an 
sich ausgezeichnete Karikatur des ehemaligen sozialdemokratischen Fuhrers 
Paul Singer von G. Brandt im Kladderadatsch (siehe Beilage neben S. 192). 
Aber diese Karikatur ist bei aller zwingenden Komik, die sie ausstromt, 
doch eine sehr wenig erschopfende Charakteristik dieses bedeutenden Ar? 

250 



beiterfuhrers aus der Glanzzeit der deutschen Sozialdemokratie. Denn 
Paul Singer war alles eher als ein politisierender Schacherjude. Freilich, 
der Zweck, eine geringschatzende Vorstellung zu erwecken, indem der erste 
Vorsitzende der deutschen sozialdemokratischen Partei zum ..Muhlens 
dammer" gestempelt wird, dieser Zweck ist erreicht. Auch Ferdinand Lass 
salle, dem Grunder der deutschen Sozialdemokratie, begegnet man in der 
Karikatur nur in einer Gestalt, die ihn als kleinen knifflichen Schacherjuden 
erscheinen laBt (Bild 121), trotzdem alle Welt schon beim ersten Auftreten 
dieses genialen Agitators begriffen hatte, dafi hier eine ganz einzigartige 
Personlichkeit in die politische Arena getreten war. Hier mag eingeschaltet 
sein, da6 man dem grofien sozialistischen Theoretiker Karl Marx meines 
Wissens nur ein einziges Mai in der Karikatur begegnet, namlich in seiner 
Eigenschaft als Redakteur der Rheinischen Zeitung im Jahre 1848. In 
diesem Blatt ist Marx jedoch nicht als Jude karikiert, sondern im Gegens 
teil heroisierend als der an die Druckerpresse geschmiedete Prometheus. 

Die geistige Beweglichkeit der Juden und ihr Intellektualismus , der 
gegen alle hergebrachten Formen und Schrans 
ken Sturm lauf t, — diese Eigenschaf ten wurden 
von der Karikatur naturlich niemals als das 
revolutionare Element gekenhzeichnet, das im 
politischen Leben zu neuen Formen fuhrt, 
sondern immer nur als das storende, die Zeit 
und die Geduld des Parlaments stets mid 
brauchende Element. In dieser Weise sind 
all die judischen Politiker in den deutschen, 
franzosischen und sonstigen Parlamenten dar= 
gestellt; die sich Dank der Beweglichkeit ihres 
Intellekts an alien Debatten beteiligten und 
unermudlich waren in immer neuen Kontro* 
versen, Antragen usw. Man denke von deut* 
schen Parlamentariern dieser Art nur an den 
bekannten Berliner Reichstagsabgeordneten 
Arthur Stadthagen, fur den es nicht nur in 
den Fragen des Arbeiterrechts, wo er eine von 
Freund und Feind anerkannte Autoritat war, 




Uradel 

Aubrey Bcardslc 

52* 



251 




Krippenspiel in Berlin. „Ich find' die Idee so originell!" 

258. Karikatur von Ernst Heilemacc. Simplicissimus. 1907 



sondern fur den es uberhaupt kaum eine einzige politische Frage gab , wo 
er sich nicht berufen fiihlte, mitzusprechen, und der deshalb von der burs 
gerlichen Karikatur fast nur als Argernis erregender Vielredner behandelt 
wurde. „Musik wird storend oft empfunden, dieweil sie mit Gerausch 
verbunden" sagt Busch; so geht es auch mit den schonsten und in ihren 
schliefilichen Resultaten sehr fruchtbaren Revolutionen, sie werden in alien 
Stadien als storend empfunden, weil sie leider in den meisten Fallen mit 
sehr viel Gerausch verbunden sind. 

Weil die burgerlichen Parteien mit Rucksicht auf ihre kleinburgerlichen 
Wahler die Juden zumeist aus ihren parlamentarischen Vertretungen fern* 

252 



halten, wahrend die Sozialdemokras 

tie diese Konzessionen nie machte, 

so treten die in der Sozialdemokratie 

offentlich tatigen Juden ganz von 

selbst in der Politik am starksten in 

den Vordergrund. Es erweckt den 

durchaus falschen Anschein, als stuns 

den die Juden in ganz besonders 

grofier Zahl auf der Seite der Sozials 

demokratie, wahrend nicht nur in 

England, Frankreich, Osterreich, sons 

dern auch in Deutschland das Gegens 

teil der Fall ist. Andererseits wieder 

wurde dadurch der schon von Heine 

so prachtvoll karikierte Vorwurf bes 

festigt: ,,Auslander, Fremde sind's 

zumeist — Die unter uns gesat den 
Geist — Der Rebellion". Und so 
wurden denn auch von der nicht 
sozialdemokratischen Karikatur die 
Juden gemeinhin als die Verfuhrer 
der Arbeiter hingestellt. Wenn man 
der antisemitischen Karikatur der verschiedenen Lander glauben sollte, 
waren alle revolutionaren Arbeiterparteien der Welt und ihre Politik nur 
das Werk der off en oder heimlich drahtziehenden Juden. Die an sich harms 
losen Massen waren in Wahrheit nur die arglos Verfuhrten (Bild 295). 
Eine deutliche Probe aus diesem ewiggleichen karikaturistischen Konzert, 
das den Juden als den allein Schuldigen an jeder Art Rebellion gegen die 
doch so brave Obrigkeit, als den Anstifter aller blutigen Revolutionstaten 
der Welt enthullt, ist das Bild „Das unterirdische Rufiland" aus dem Wiener 
Kikeriki. Der Jude grabt die Minen, der Jude fiillt die Bomben, der Jude 
fanatisiert die Gemuter, der Jude bestimmt den, der das beschlossene Attens 
tat auszufuhren hat usw. (Bild 202). Er selbst aber, der alles dies nur aus 
purem Egoismus tut, riskiert fur seine Person niemals das Geringste. Ers 
freulicherweise — man kann auch sagen leider — sind die weltgeschichts 




Judisches Theater: Er red mit de Hand 

259. R. GroCmann 



253 



lichen Tendenzen, unter deren taglichen Schlagen gerade gegenwartig die 
ganze .Welt heftiger als je erzittert, etwas tiefer verankert als im selbsts 
suchtigen Interesse einiger hundert, oder auch einiger tausend mifigunstiger 
Juden. 

DaB die Politik der Juden einzig von deren direkt personlichen Inter* 
essen diktiert sei, das ist der oberste, zwar niemals bewiesene, aber frisch* 
weg immer von neuem gegen die in der Politik tatigen Juden erhobene 
Vorwurf. Der zweite Vorwurf ist der einer skrupellosen {Corruption : dafi 
der judische Politiker kauflich sei, dafi er der bezahlte politische Agent 
judischer Finanzgruppen sei, dafi er seine Wahl nur dem Wohlwollen ge* 
wisser judischer Gruppen verdanke, und dafi er dieses Wohlwollen durch 
eine Politik in deren Interesse abverdienen musse, usw. GewiB gab es 
solche Falle mehrfach in der internationalen Geschichte des Parlamentariss 
mus. Der Panamaskandal hat eine solche Kloake aufgedeckt, und die Karis 
katur hatte hier alles Recht, gegen den judischen Parlamentarier Herz, den 
Hauptagenten der Panamisten, die deutlichste Sprache zu reden. Aber mit 
ihrer Pointierung auf die Juden als die Alleinschuldigen und ihrer Behaups 
tung, dafi mit deren Ausmerzung aus dem Volkskorper alle peinlichen 

Begleiterscheinungen des Wirtschaftslebens 
verschwanden, hat sie erst an dem Tage 
recht, an dem sie erweist, dafi der Kapita* 
lismus seine Ernten nur in judische Taschen 
leitet, dafi die jahrlichen Millionenubers 
schusse der christlichsfrommen und glau* 
bensstarken Krupp, Stinnes, Vanderbilt, 
Morgan und wie dieseprononcierten Stutzen 
der Christenheit alle heifien, vom Himmel 
regnen, und nicht der zu Gold gemunzte 
SchweiB von Millionen Arbeitern und ebens 
so vielen kleinen Steuerzahlern sind. 

In der englischen Karikatur bin ich 

keinerlei Karikaturen auf den Juden als 

Politiker begegnet. Es ist naturlich nicht 

ausgeschlossen, dafi trotzdem einige erschies 

2«>. Bob. Sara begibt sich zu Bett nen sind, und dafi mir diese entgangen sind. 




254 




261. J. J. Vrieslander. Frau Salome's Schleiertanz 

Immerhin ist es sehr charakteristisch und als eine schon zur Selbstvers 
standlichkeit gewordene Anerkennung der absoluten Gleichberechtigung 
der Juden zu deuten, dafi in England ein Jude, Benjamin Disraeli, nicht 
nur Lordkanzler werden konnte, sondern dafi dieser Mann in den huns 
derten von Karikaturen, die von ihm gemachtworden sind, niemals in seiner 
Eigenschaft als Jude angegriffen wurde. Auch von dem bald nach der 
Emanzipationserklarung der Juden in England ins Oberhaus berufenen 
Baron James Rothschild ist mir keine antijudische Karikatur begegnet. Das 
Gleiche gilt von Italien, wo seit Jahrzehnten besonders viele Juden hohe 
Staatsstellungen bekleiden. 



255 



„Der Jude in der Politik" ist in der Karikatur einzelner Lander, und 
zwar besonders in der Deutschlands und Osterreichs und zeitweise auch 
in der Frankreichs, ohne Z\yeifel ein ziemlich umfangreiches Kapitel, aber 
es ist gleichzeitig doch ein sehr monotones Kapitel. Diese Monotonie ruhrt 
daher, weil in der Politik, in der es sich doch in gewissem MaBe immer 
„um der Menschheit groBe Gegenstande" handelt, das Fehlen von prinzis 
piellen Gesichtspunkten am meisten auffallt und auf die Dauer auch am 
meisten enttauscht. Die Karikatur auf den judischen RoBtauscher braucht 
nicht prinzipiell zu sein; wenn man aber gegenuber einem judischen Polis 
tiker als Hauptpointe immer nur seine .Judischkeit" in der Physiognomie 
und in den Gesten, seine Nase und seine PlattfiiBe als Beweis seiner be« 
sonderen Schlechtigkeit demonstriert bekommt, wenn in dieser .Judischs 
keit," in der „Fremdrassigkeit," das einzig Prinzipielle der Kritik besteht, 
so ist dies eben hochstens fur den Bierbankpolitiker und fur einen ..volki* 
schen" Studenten ein ausreichender Beweis. (Bild 217, 230, 265). 



Der Jude in der Literatifr und Kunst. Die Literatur des 19. Jahrs 
hunderts ist das Gebiet, auf dem Freund und Feind den Juden ihren urns 
walzenden EinfluB, und sogar ihren schopferischen EinfluB, seit langem 
zugestehen. Dieses freiwillige Zugestandnis hat auf Seiten der den Juden 
feindlichen Kreise freilich alles andere als die objektive Gerechtigkeit zur 
Basis, die auch dem Feinde das geben will, was dem Feinde gebuhrt. Es 
resultiert vielmehr daraus, daB man auf Grund dieses Zugestandnisses in 
der Lage zu sein glaubt, einen Teil besonders schwerer Vorwurfe gegen die 
Juden zu erheben. Die Antisemiten erklaren namlich die ganze Literatur 
und vor allem die ganze Presse als korrumpiert. Diese Korruption aber sei 
ausschlieBlich das Werk der Juden, weil Literatur und Presse ganzlich vers 
judet seien, wie sie sagen. 

Es ist nicht zu bestreiten, daB die Juden seit langem uberall in der 
Literatur eine sehr groBe Rolle spielen, und daB sie vor allem in der ganzen 
internationalen Presse einen maBgebenden EinfluB ausuben. Der immer 
wiederkehrende Versuch, diese Tatsache durch den Nachweis zu wider* 
legen, daB neunzig Prozent aller Schriftsteller Christen seien, und daB sogar 
mehr als neunzig Prozent aller Zeitungen von Christen geleitet und im Be* 

256 




Joseph und die Potiphar 

Radieiung von Mesek. 1913 
(Verlag J. Gurlitt, Berlin) 



Bcilage zu Ednard Fuchs, .Dit Jodtn ill det Karikatur" 



Albert Langcn, Munchen 



sitz von Christen seien , ist eine kindliche Taschenspielerei. Denn diese 
Statistik widerlegt absolut nicht das, worum es sich handelt. Es kommt ein* 
zig darauf an, in welchem Verhaltnis und in welcher Funktion die Juden an 
der relativ kleinen Zahl der grbfien, wirtschaftlich und politisch international 
mafigebenden Zeitungen tatig sind. Und im Rahmen dieser Zeitungen 
uberwiegen die Juden fraglos; die leitenden Stellungen dieser Zeitungen 
sind in den meisten Fallen in den Handen von judischen Schriftstellern. 
Es kommt weiter darauf an, dafi die wirklich mafigebenden Wochenschrif ten, 
die auf die Selbstandigkeit des Urteils ihres Leiters gestellt sind, sogar fast 
ausschliefilich judische Grundungen sind. Zum Beweis nenne ich nur die 
angesehensten deutschen Wochenschriften aus der jungsten Vergangenheit 
und der Gegenwart: die ehemalige ..Gegenwart" war herausgegeben und 
geleitet von Paul Lindau; „Der Morgen" von G. A. Bondy, „Die Zukunft" 
wird von Maximilian Harden, „Die Weltbuhne" von Jacobsohn, „Die 
Fackel" von Karl Kraus, „Das Tagebuch" von Stefan Grofimann heraus* 
gegeben. Welches sind nun diesen Zeitschriften gegenuber die von Christen 
geleiteten Organe, die sich dieselbe literarische und politische Bedeutung 
anmafien diirfen? Ich kenne keine; niemand kennt sie. Und es kommt 
drittens darauf an, dafi die moderne Literatursprache, der moderne Zeitungs* 
stil, die ganze Zeitungstechnik ihr ganz spezielles Geprage durch die Juden 
bekommen haben. Daf iir lassen 
sich ebenfalls unwiderlegliche 
Beweise in Hulle und Fiille an* 
fuhren. Kein Mensch wird be* 
streiten, dafi es die beiden Jus 
den Ludwig Borne und Heins 
rich Heine gewesen sind, die 
fur Deutschland das moderne 
Feuilleton und den politischen 
Leitartikel eingefuhrt haben, 
dafi sich an deren Stil und Techs 
nik mehrere Generationen ges 
bildet haben. Die grofien inter* 
nationalen Telegraphenagentu* 
ren , durch die die Zeitungen 




Fuchs, Die Juden in der Karikatur 



262. Daniel Greiner. Im Privatkontor 

33 



257 



erst ihre aktuelle Note bekamen, Reuter, Havas, Wolff, sind durchwegs 
von Juden gegrundet worden, und Juden waren von jeher in den meisten 
Fallen die Oberleiter dieser Telegraphenagenturen. Die Zeitungskorrespons 
denzen, die sich heute auf alle Rubriken eines Blattes erstrecken, wurden 
ebenfalls in den meisten Fallen von Juden zuerst ins Leben gerufen. Die 
Annoncenburos — die mit ihrer Macht fast alien Zeitungen das moralische 
Ruckgrat zerbrechen und dieses durch das bekanntlich weit stabilere 
Ruckgrat einer hohen Rentabilitat ersetzten — sind von den Juden Mosse 
und Haasenstein gegrundet worden und heute noch im Besitz der direkten 
Erben der Grunder. Der gesamte moderne Zeitungstyp wurde ebenfalls 
hauptsachlich von Juden geschaffen. In Deutschland war es vornehmlich 
Leopold Sonnemann, der den burgerlichen, Bruno Schonlank, der den 
sozialdemokratischen Zeitungstyp schuf. Diese kategorischen Tatsachen 
lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man sie ignoriert oder vers 
schleiert, sondern man muB ihren inneren Zusammenhangen nachgehen, 

um festzustellen, ob sich in 
dieser Entwicklung ein Fauls 
nisprozefi oder ein notwens 
diger und darum logischer 
Entwicklungsvorgang dokus 
mentiert. 

Das letztere ist der Fall, 
und dafi es so ist, hat seine 
undiskutierbaren historischen 
und intellektuellen Grunde. 
Es ist eine historische Not* 
wendigkeit, dafi die Juden seit 
ihrer Emanzipation dauernd 
diesen grofien EinfluB auf die 
internationale Literatur und 
Presse ausuben. Nachdem die 
Geldwirtschaft im 19. Jahrs 
hundert ihre letzte Fessel ges 
Die emporten Baiierinen sprengt hatte, war es das wich* 

263. Ungarische Karikatur auf einen Budapestet Thcatcrskandal. . ^-^ 1,1 r> 1 1 O 

Bors^m janko. 1897 tigste GeDot der Stunde, daii 




258 




26*. Berlin W tanzt Duncan Rudolf Wilke. Simplicisrimus 190* 

die Presse dieselbe geistige und technische Beweglichkeit erhielt wie die 
Geldmachte, zu deren wichtigstem Instrument sie sehr rasch wurde. Und 
der Presse diese Beweglichkeit zu verleihen, waren die Juden kraft ihres 
Intellektualismus und ihrer spezifischen Beweglichkeit von vornherein an 
erster Stelle berufen. Die fatalen Begleiterscheinungen dieser Gesamtent* 
wicklung der Presse wurden von der Kurzsichtigkeit, wie immer, so auch 
in diesem Fall, dem Instrument der Entwicklung, also den Juden, als per* 
sonliche Schuld gebucht. 

Die vielen Vorwurfe, die der Antisemitismus gegenuber der Tatigkeit 
der Juden in der Presse erhebt, laufen alle in dem einen Hauptvorwurf zus 
sammen, dafi der Jude die von ihm geleitete oder bediente Zeitung skrupels 
los im Interesse seiner besonderen personlichen, zumeist materiellen Inters 
essen und im allgemeinen Interesse des Judentums ausnutze; dafi diesen 
personlichen und Gemeinsamkeitsslnteressen alle Rubriken eines Blattes 



259 




dienstbar seien, angefangen vom 
politischen Leitartikel, der nur 
die Aufgabe habe, bestimmte 
Borsenmanipulationen zu stiit* 
zen, bis herab zur Rubrik der 
Buchbesprechungen, ind er die 
Werke christlicher Autoren sy» 
stematisch heruntergerissen und 
die Werke. von judischen Glaus 
bensgenossen ebenso systema* 
tisch gelobt wiirden. Dafi der 
Handelsteil der Judenzeitungen 
eineeinzige Korruptionsplantage 
sei, daf? jeder Handelsredakteur 
ein von irgendeiner oder gleich 
von mehreren Bankgruppen ge» 
kauftes Subjekt sei — ,,denn man 
kann schreiben links und man 
kann schreiben rechts" — , und 
dafi in letzter Instanz vor allem 
der Inseratenteil die Stellung der Redaktion im einztlnen bestimme, — das 
sind in antisemitischen Kreisen festgewurzelte Glaubenssatze. Weiter wird 
die beriichtigte Skandalpresse, die im Interesse des Abonnentenfanges auf 
die niedersten Leidenschaf ten der Menge spekuliert, die afto nur vom Skan* 
dal und dessen Ausschlachtung lebt, als spezifisch jiidische Erfindung pros 
klamiert. 

Es kann gar nicht bestritten werden, daf? sehr viele dieser gegen die 
Allgemeinheit der Presse erhobenen Vorwiirfe im einzelnen absolut zu< 
treffend sind, dafi hundert Mai die Politik in den Dienst der Borse gestellt 
wurde und wird, daft es zahlreiche auf irgendeine Art bestochene Han* 
delsredakteure gibt, dafi im redaktionellen Teil keinerlei unbequeme Be* 
sprechungen solcher Unternehmungen aufgenommen werden, die dem 
Inseratenteil 2u verdienen geben. Auch die Methoden der Skandalpresse 
sind eine taglich hundertfach zu konstatierende intern ationale Tatsache. 
Diese Binsenwahrheiten zu bestreiten, ware mehr als lacherlich. Es ist zu» 



Dr. Aretidi: Ob Lfcbert hat 'ne Ahnung, dafl ich ge» 
wesen bin mal a Fremdkorperl? 

Der Fraklionsbruder 

26S. Karikatur aof den gebuFteJi fcanstrvativen, Reichst-ifisabtfeordoetCD 
Dr. Aroint. UJk, Berlin. 1915 



260 



treffend, daB die Presse immer ein ungeheurer Korruptionsherd gewesen 
und es bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Hochstens die Formen 
haben sich in neuerer Zeit gewandelt, indem die Kauf lichkeit nicht mehr 
so handgreiflich plump betatigt wird, wie friiher, wo sie jedermann mit 
Handen greifen konnte. Nicht zutreffend aber ist, dass es sich in diesen 
Korruptionserscheinungen urn einen vermeidlichen, einzig auf die laxe 
Moral der Juden zuriickzufiihrenden Schonheitsfehler des Zeitungswesens 
handelt, und dass mit der radikalen Austreibung der Juden aus der 
Presse auch alle diese Mangel radikal aus den Zeitungen verschwinden 
wiirden. Diese „Schonheitsf ehler" sind die unvermeidlichen Begleiterschei; 
nungen des Umstandes, daB die Presse ein Geschaft wie jedes andere ist. 
Mit dem einen Unterschied, daB sie unter der Flagge „des Dienstes fur die 
Allgemeinheit, das offentliche Gewissen" und wie diese Spiegelfechtereien 
sonst noch tauten, segelt. Aber diese Flagge sollte heute nur noch die 
groBten Dummkopfe tauschen. Weil die Herausgabe einer Zeitung in 
erster Linie ein Geschaft ist, gerade darum sind die von den Antisemiten 
nur der Judenpresse zugeschriebenen MiBstande von jeher Allgemein« 
erscheinungen. Statt eines langen Beweisregisters genugt die einfache Kon* 
statierung, daB die meisten der geriigten Laster — in der entsprechenden 




366. PoIais«bt Karikjrtur (FUkdte) tut den aaffeblicbea Kjubcnmotd voo Kbchiociu 

261 




III. - L'ANMVEllSJUiUi 



£U LiCCLU 

267- Alphonse Levy. Am Jahrestag 



Form natiirlich — keine einzige Zeis 
tungskategorie so sehr zieren wie die 
antisemitische Presse. Man erinnere 
sich der Zeitungsgeschichte der letzs 
ten Jahre vor Ausbruch des Welts 
krieges, und man kontrolliere das 
Strafienbild von heute, wo" z. B. in 
Deutschland die antisemitische Skans 
dalpresse unbedingt jeden Rekord 
schlagt. Das ist eine ebenso heitere 
wie bittere, aber ebenfalls unvermeids 
liche Ironie ; denn die antisemitische 
Presse ist infolge der inneren Uns 
wahrhaftigkeit ihres Programms zu 
den der Presse eigentiimlichen Kors 
ruptionslastern geradezu verdammt, 
— weil sie eben auch ein Geschaft ist. 
Daraus aber folgt, dafi die Korruption 
der Presse erst an dem Tag verschwinden kann und wird, wo die Presse 
aufhoren wird, ein Geschaft zu sein, dessen Aufgabe es ist, mindestens 
ebenso hohe Profite abzuwerfen wie die Fabrikation von Unterhosen oder 
die Haltung eines Bordells. 

Die gegen die angeblich besondere Korruption der sogenannten Judens 
presse erhobenen Vorwurfe haben sich mannigfach auch zu Karikaturen 
verdichtet. Jedoch nichtin der Haufigkeit, die der Zahl und der Heftigkeit 
dieser Vorwurfe entsprechen wurde. Und zwar deshalb nicht, weil die 
gegen ganz bestimmte Personen gedachten Angriffe immer sehr schwer zu 
substanziieren sind. In allgemeiner Form lassen sie sich aber nur sehr schwer 
formulieren und hochstens symbolisch ausdrucken. Solche symbolische 
Karikaturen auf die Korruption der Judenpresse sind z. B. die beiden ame> 
rikanischen Karikaturen aus dem „Life" auf die judische Skandalpresse und 
auf das dem neuen (dem judischen) Journalismus zugedachte Schicksal 
(Bild 273 und 275); ebenso die schon personlich zugespitzte Karikatur des 
Wiener „Kikeriki" auf den Kunstkritiker der „Neuen Freien Presse", die 
neben der ,, Frankfurter Zeitung" und dem ..Berliner Tageblatt" als das aus* 



262 




Lfc JUV AV U1U 



268. Alphonsr Levy. 



Der Jude mit dem Kugelhupf 



gesprochenste Judenblatt der Welt 
gilt. Solche symbolische Karikatu* 
ren sind aber niemals besonders zug* 
kraftig. Das Publikum verlangt 
handgreif lichere Annagelungen. Die* 
se aber werden hier noch mehr als 
wo anders durch die Fangeisen der 
Strafgesetzbiicher gehindert (Bild 
205). 

In Frankreich ist anlaftlich der 
Panamaaffare und des Dreyfusskan* 
dais eine besonders grofte Zahl von 
Karikaturen auf die verjudete Presse 
erschienen. Beim Panamaskandal 
standen zahlreiche Pressebestechun* 
gen tatsachlich fest, aber on avait 
touche — namlich die beriichtigten 
Schecks des Oberpanamisten — inner* 

halb und aufterhalb Israels. Beim Dreyfusprozeft wurde der Einfachheit 
halber die ganze Dreyfusistische Presse als judisch gestempelt und dem* 
entsprechend von den Dreyfusgegnern karikiert. Caran d'Ache zeichnete 
sie als ein im tiefen Kot stehendes und iiber und iiber mit Kot bekleckertes 
Schwein, das sich davon jedoch nicht im geringsten anfechten lafit, sondern 
stolz erklart „Nul ne m'approche!" 

In Italien und in England begegnete ich keinen Karikaturen auf die 
verjudete Presse; diese miissen also, wenn sie wirklich vorkommen, sehr 
gering an Zahl sein. 

Als ein ganz besonderes Kapitel in der Verjudung der Presse gait lange 
Zeit die Theaterkritik, und innerhalb dieser „der Fall Wagner", der die 
jiidische Allmacht in der Zeitungskritik besonders klassisch und drastisch 
belegen sollte. Der speziellen Feindschaft, mit der die Judenpresse Richard 
Wagner angeblich systematisch verfolgte, soil es in erster Linie zuzuschrei* 
ben ge wesen sein , daft Wagner sehr lange um den Weg auf die Biihne zu 
kampfen hatte, und daft er beim Publikum ebenfalls jahrzehntelang unver* 
standen blieb, — das behauptete Wagner selbst, und das behaupteten die 



263 





%^V\ertes jiidiscljes WrtTfi 




269. Titelkopf des jijdischec WitzbJattes Schlemiel 



unter seinen Verehrern, die mit 
ihm durch Dick und Dunn 
gingen. Weiter sagten sie, erst 
durch die elementare Gewalt 
von Tristan und Isolde sei die 
mifigunstige judische Theaters 
kritik zum Schweigen gekoms 
men. Wagner habe sie auf diese 
Weise gezahmt. Und so illus 
strierte es auch die zu Wagner 
haltende antisemitische Presse 
(Bild 177). Heute, und zwar schon seit etlichen Jahrzehnten, liegen die 
Dinge bekanntlich gerade umgekehrt. Der Antisemit Richard Wagner hat 
keine fanatischeren Verehrer als die Juden. Und auch dieses illustriert die 
Karikatur. In diesem Fall durch eine der besten Judenkarikaturen, die 
es uberhaupt gibt, durch das wundervolle Blatt von Beardsley: „Wags 
nerianer und Wagnerianerinnen in Tristan und Isolde" (Bild 256). Die 
lange Ablehnung Wagners und sein schliefilicher Triumph hatten in Wahrs 
heit wesentlich andere Griinde, und zwar gesellschaftspsycholpgische; 
sie beruhten tatsachlich auf dem resignierenden Grundton seiner Welts 
anschauung. Wagner blieb so lange beim deutschen Burgertum unpopular, 
wie dieses politisch noch nicht ganzlich auf seine Kampferrolle verzichtet 
hatte. Dagegen wurde er im gleichen Mafie popular, in dem das zahlungss 
fahige Publikum als politischer Faktor auf dem Welttheater kapituliert 
hatte. Es liegt hier derselbe Fall vor wie bei Schopenhauer, dessen 
Philosophic das deutsche Burgertum ebenfalls so lange kategorisch abs 
lehnte, wie es noch eine Spur von politischem Herrschaftswillen in den 
Knochen hatte, dem es aber sofort begeistert in die Arme sank, als bei 
ihm das Prinzip gesiegt hatte: Das Geschaft iiber alles. Auf Grund dieser 
wirklichen Zusammenhange wird also z. B. ein Richard Wagner niemals 
bei den breiten Volksmassen popular werden; denn die Massen resignieren 
niemals im Hinblick auf ihren Herrschaftswillen, sie werden hochstens 
vorubergehend miide. 



264 



In der Kunst ist das Theater der Kunstbetrieb, bei dem die Antis 
semiten den Juden ebenfalls den groBten und schadlichsten EinfluB zu« 
schreiben. Die Rolle der Juden im Theaterbetrieb ist zweifellos auf der 
ganzen Welt auBerordentlich groB. Der uberwiegende Teil der groB* 
stadtischen Theater wird seit langem von Juden geleitet. In Deutschland 
waren bis zum Weltkrieg fast nur die Intendantenposten der Hofbuhnen 
prinzipiell judenrein; seit der Revolution werden auch manche dieser Buhs 
nen von Juden geleitet. Die hauptsachlichsten Vorwurfe, die angesichts 
dieser Verjudung des Theaters von den Antisemiten in Wort und Bild er* 
hoben werden, sind, daB der judische Intendant das Repertoire vornehms 
lich auf den Sinnenkitzel und auf die Sensation einstelle, und daB der judis 
sche Direktor seine Machtstellung gegenuber dem weiblichen Personal mehr 
als jeder andere Direktor zur Befriedigung seiner individuellen Lusternheit 
(im antisemitischen Abe ist jeder 
judische Theaterdirektor beson* 
ders lustern) miBbrauche. Die 
antijudische Karikatur bewegt 
sich, soweit sie sich mit diesem 
Thema beschaftigt, ausschlieB* 
lich in diesen beiden Richtungen. 
Der Direktor unterbricht die 
Anstellung suchende Sangerin, 
die ihm etwas vorsingen will, 
mit den Worten: ,,Ach, mein 
liebes Kind, beim Publikum 
kommt es viel mehr auf die 
Strumpfbander als auf die 
Stimmbander an, diese miissen 
Siemirzeigen"; oder: ..DieFulle 
des Inhalts Ihres Korsetts er* 
scheint dem Publikum viel wich* 
tiger als die Eulle Ihrer Stimme." 
Der Engagementskontrakt einer 
Dame wird nur im Privatzim* 
mer des Herrn Direktors und 

Fuchs, Die Juden in der Karikatur 34 




Enlwurf fur das geplante Plendelssohn-Denkmal. 

270. Aus dem jiidischen Witzblatt Schlemiel 



265 



auf dessen — Chaiselongue unterzeichnet. Dort erwerben sich die weibs 
lichen Theatermitglieder auch einzig das Recht auf dankbare Partien. Das 
Ballett ist der Harem des Herrn Direktors usw. Das sind so ungefahr die 
Themen, mit denen karikaturistisch die Verjudung des Theaters bewiesen 
werden soil'. Es ware auch in diesem Fall absurd, behaupten zu wollen, 
solche MiBbrauche kamen auf dem Theater nicht vor. Sie kommen vor. 
GewiB heute weniger als friiher, wo derartigeTheaterskandale, wenn nicht 
die Gerichte, so doch die Mauler der Leute ziemlich haufig beschaftigten 
(Bild 263). Heute hat die uberall vorhandene Organisation der Buhnens 
mitglieder der Liebesknechtschaft des weiblichen Theaterpersonals einen 
starken Riegel vorgeschoben. Immerhin : solche Dinge kommen heute noch 
vor, nur ermangeln peinlicherweise auch die christlichen Theatergewaltigen 
gar manchmal jener sittlichen Kraft, deren man bedarf, um den besonders 
starken Verfuhrungen ihres Berufes siegreich zu widerstehen. Auch sie 
leiden unter dem Kitzel des Fleisches. Es gibt, wie die Statistik langst nach* 

gewiesen hat (vgl. H. Lux: Die 
Juden als Verbrecher) viel mehr 
Berufs* als Konfessionssunden. 
Der Mifibrauch knupft sich stets 
an die Tatsache der Allmacht, 
und nicht an die der Konfession. 
Wenn deshalb z. B. in der In* 
dustrie die Mifibrauche der 
christlichen Chefs und der 
christlichen Vorarbeiter gegen* 
iiber dem weiblichen Personal 
unendlich . viel haufiger vor* 
kommen als solche der judi* 
schen Chefs und der judischen 
Vorarbeiter, so resultiert dies 
aus dem wirklich einfachen 
Grunde, dafi ihre Zahl unends 
lich viel grofier ist als die der 
Juden, und nicht etwa daraus, 
27i. Rahd saw. Die Agentin dafi sie in diesem Falle die 




266 




272. Rihel Sulit. Die Ameiikafahrcr: Die Sonne geht im Wcsten auf 

schlechteren, die Juden aber die besseren Kerle waren. Das Gleiche gilt 
umgekehrt vom Theater. — 



Die produzierenden wie die reproduzierenden Kiinstler haben immer 
in dem Matte, in dem sie das offentliche Interesse auf sich lenkten, auch 
ihren Spiegel in der Karikatur gefunden. Am haufigsten gilt dies von den 
Komponisten, Theaterdichtern , Schauspielern, Sangern usw., weil sich das 
Publikum fur alles, was mit dem Theater zusammenhangt, zu alien Zeiten 
am meisten interessiert hat. Darum begegnet man auch den karikierten Por* 
trats der die Offentlichkeit besonders interessierenden jiidischen Kiinstler 
besonders oft. An hervorragender Stelle stehen deshalb die jiidischen Kom* 
ponisten Meyerbeer, Offenbach und Halevy . Die Werke dieser drei haben die 
gesamte Offentlichkeit aller europaischen Lander jahrelang stark interessiert. 
Unter den vielen Karikaturen, die von Meyerbeer und Offenbach gemacht 
wurden, sind begreiflicherweise auch verschiedene, die an deren jiidische 
Abstammung ankniipften und diese zur Pointe ihrer Karikatur machten. 



34' 



267 



Ein Beispiel fur Meyerbeer zeigt die Karikatur, die der bekannte franzosii 
sche Karikaturist Dantan von ihm gemacht hat (Bild 108). Als Offenbachs 
„ Orpheus in der Unterwelt" ganz Paris enthusiasmierte, brachte das .Jour* 
nal amusant" eine Karikatur: Offenbach aux Enfers, die das Judische in 
seinem Portrat zwar sehr markierte, die aber dessenungeachtet eine direkte 
Huldigung fur" ihn ist (Bild 173). Von allem anderen als von Sympathie 
eingegeben ist dagegen die Karikatur, die der Leipziger „Puck" von Offens 
bach brachte, als dessen Operetten in den 70er Jahren wiederholt iiber die 
Buhne des FriedrichsWilhelmstadtischen Theaters gingen. Der „Puck" nennt 
ihn den ..semitischsmusikalischsakrobatischen Gorilla" und stellt ihn auch 
als solchen dar (Bild 174). Bei dem ausgesprochen antisemitischen Chas 
rakter dieses Blattes ist eine solche Auffassung ganz selbstverstandlich. 
Das grofie Genie Offenbachs, dem die Menschheit einen Teil der kostlich* 
sten musikalischen Besitztumer verdankt, ist freilich durch eine solche 
simple Karikatur nicht im geringsten charakterisiert. 

Von den zahlreichen judischen Schauspielern und Schauspielerinnen 
gibt es relativ wenige Karikaturen, die an deren Judentum anknupfen, und 
zwar aus dem einfachen Grunde, weil die meisten judischen Theaterkunstler 
sich einen Theaternamen beilegen, der ihre judische Abstammung nach 
aufien verschleiert. Man begegnet auf keinem einzigen Theaterzettel einem 
Isak Veigelblut oder einer Sarah Mandelbaum, und doch tragen beruhmte 
Kunstler solche und ahnliche Namen. — 



Der Jude in der Karikatur des Weltkriegs. Besonders zu erwah* 
nen ist auch die Rolle, die die Juden wahrend des Weltkriegs in der Kari* 
katur der verschiedenen Lander gespielt haben. Diese Rolle muB besonders 
erwahnt werden, nicht etwa wegen ihrer hervorragenden Bedeutung, denn 
die hat sie keineswegs gehabt, sondern einzig deshalb, weil die ungeheure 
Bedeutung des Weltkrieges dazu zwingt, die samtlichen chronischen Fragen 
derWeltgeschichte, und dazu gehort eben die Judenfrage, auch in der Rolle 
aufzuzeigen, die sie wahrend des Weltkrieges gespielt haben. 

Die Juden in der Karikatur des Weltkrieges nehmen ein uberaus kleines 
Kapitel ein. So grofi das Kapitel des Weltkrieges in der Karikatur ist, so 
bescheiden ist darin der Abschnitt, der auf die Juden entfallt. Das ist aber 

268 



gar nicht verwunderlich , und die Ursache ist in jedem Lande gleich. In 
jedem Lande wurde bei Ausbruch des Krieges dasselbe proklamiert, was 
die deutsche Kriegsphraseologie den Burgfrieden nannte; in Frankreich 
hiefi es: L'union sacree. Das ganzliche Aufhoren jeder innerpolitischen 
Diskussion wurde von jedem Staat als die unerlafiliche Voraussetzung er* 
kannt, um die gesamten Massen zusammen zu schweifien und auf die Dauer 
durch Vermeidung der groftten Reibungen zusammenhalten zu konnen. 

Weil Klassenkampfe jeder Art wahrend des Weltkriegs schwiegen, so 
schwieg auch ihre tragikomischste Form : die Judenbekampf ung in Wort 
und Bild. Von Deutschland kann man sagen: sie schwieg fast vollstan* 
dig; denn selbst die unpolitischen Witzblatter, wie z. B. die Fliegenden 
Blatter, wurden in dieser Zeit derart feinfuhlig gegeniiber ihren jiidischen 
Mitbiirgern, daft sie sogar die harmlosen Judenwitze auf den kouponschnei* 
denden Kommerzienrat und ahnliche Inventarstiicke des Alltagshumors 
fiir spatere Zeiten auf Lager legten. Man wurde iiber Nacht gerecht, weil 
man doch ein Herz und eine Seele war. Ein Volk in Not und Gefahr. Als 
man freilich im Friihjahr 1918 die Friedensverhandlungen von Brest* Litowsk 
karikierte, da erinnerte man sich sofort seiner wahren Neigungen. Der Witz 
des Kladderadatsch z. B. erschopft sich in der Darstellung des russischen 

UnterhandlersTrotzki als eines jiidischen 
Schacherjuden, der verachtlich alle An* 
gebote ablehnt, solange man ihm angeb* 
lich gut zuredet, der aber sofort und 
klaglich kapituliert, als ihndie Herren 
Hindenburg und LudendorfF an den 
Ohren nehmen (Bild 284 u. 285). Wenn 
man neben dieses Bild die vier ersten 
Zeilen set'zt, mit denen der fiirchterliche 
Hausbarde des Kladderadatsch, Herr 
Warnke, sein Leitgedicht in derselben 
Nummer anhebt, dann hat man schon in 
diesen beiden.Dokumenten einen Schliis* 
sel fiir Deutschlands Niederbruch, denn 
sie verraten die ganze trostlose politische 
Borniertheit des deutschen Burgers gegen* 



Die jeljetme 



& 



(if dliiftflfpdji! tet f ita. I 

— I 

Sin gonb- nub gilfsbndj fit silt, wtiist mit 3nbtn § 
in Srfdtnflenttbinlinng 8tb>n nno ort l|( btoifnjtn Snronjr 
(Iter fog. P^nThtfprmfjr) nnhnntig-fin). 




SRit cinem (c|r ctjii^Ii^cn Mjnng: 

gtttn- unb Soilttb oufn 8nobIi<$, t bitt[tiinnrigt J Ittjttt, 

it Ongc ouf be (BiUjac nit bcc SSigdinc berlici. 

Stalin: Scr Uj nnb btS Sctlinec SiclbobcoZbiilcc. 

Sum 6djfu6 : $octi[4c Sclcodjlins bet Mntur. 



274. Umschlag eines aDtisemitischen Pamphlets 



270 



LIFE- 



mm 







„ ,: r} 









U. 



Angenehme Fahrt! 

275. Amecikanische Karikatur von F. T. Richards auf den jiidischen Journal ism us. Life. New York 

iiber dieser so klaren Situation. Diese vier ersten Zeilen lauten: „Du stehst 
im Morgenglanze, Geliebtes deutsches Vaterland, Und mit dem Siegers 
kranze, Kront segnend dich des Friedens Hand." So witzelte und so bras 
marbasierte der deutsche „Intellektualismus" in den Stunden, in denen er 
die eigenen Fiihrer hatte bei den Ohrennehmen miissen, wenn er nur einen 
Schimmer politischen Verstandes — und aufierdem die notige Zivilcourage! 
— gehabt hatte; dann hatte er — vielleicht — noch das letzte Unheil vers 
mieden. 

In Osterreich bietet sich aufierlich dasselbe Bild. Aber gerade Osiers 
reich erweist, dafi der Burgfrieden durchaus einseitig war, da6 er in 
Wahrheit nur die Kapitulation der Unterdruckten , deren einseitiger Vers 
zicht auf die Wahrung ihrer Menschenr^chte bedeutete. Wahrend in der 
Presse ein schoner Gottesfriede waltete, wurden an der Front die kleinen 
galizischen Judchen dutzendweise gehenkt. Wann und wo etwas nicht 
klappte, stets waren die armen galizischen Juden schuld, deren Dorfer in 
der Nahe der Front lagen; bald war es einer, bald waren es mehrere, und 
schon baumelten ebenso viele an den nachsten Telegraphenstangen. 

271 



In dieser Weise wurde auch auf der anderen Seite, hinter der russischen 
Front, der Burgfrieden in die Praxis ubersetzt. Nur dafi man hier noch 
skrupelloser verfuhr, indem die Kosaken gleich ganze Judendorfer bis auf 
den letzten Einwohner folterten und massakrierten, nachdem sie vorher nicht 
versaumt hatten, alles was weiblich war, zu schanden. Solche Progroms 
stimmungen wurden selbstverstandlich nicht erst durch die Presse, also 
etwa auch durch Karikaturen, vorbereitet. Denn diese drang nicht bis an 
die Front. Den Kosaken genugte zur Auslosung ihrer Plunderungss, Schans 
dungs* und Mordlust das vage Gerucht: die Juden taten Spionagedienste. 
Und ein solches Gerucht lag immer in der Luft, weil es den bequemsten 
Ausweg aus jeder Situation sicherte. Aber im Innern Rufilands sollen aufiers 
dem mehrfach Judenkarikaturen erschienen sein, in denen die Juden teils 
als offene, teils als heimliche Bundesgenossen der Zentralmachte, und darum 
auch als Spione in deren Diensten, gekennzeichnet wurden. Solche Karis 
katuren sollen in Petersburg und mehrfach in Odessa erschienen sein. Auf« 
finden konnte ich leider kein solches Blatt. 

Weder aus England noch aus Italien wurden mir Judenkarikaturen bes 
kannt, die mit dem Weltkrieg im Zusammenh'ang standen. Dagegen wurden 
in Frankreich Leute, die sich als Pazifisten bekannten, und solche, die man 
als Defaitisten bezeichnete, und die in Frankreich besonders rucksichtss 
los verfolgt wurden, schon vom Jahre 1915 an vielfach als Juden karikiert. 
Man erklarte, der Pazifismus und der Defaitismus seien ausschliefilich eine 
judische Mache. Und wenn man diese Tendenzen karikierte, so verlieh 
man den betreffenden Reprasentanten stets judische Typen. Solche Karis 
katuren brachte z. B. „La Victoire", das Blatt des sozialistischen Rene* 
gaten Herve (Bild 283). Auch die Druckeberger, die es verstanden, sich 
standig reklamieren zu lassen, wurden mit Vorliebe als Juden karikiert. Von 
diesen Typen abgesehen, haben die Juden in der franzosischen Karikatur 
des Weltkrieges ebenfalls eine sehr geringe Rolle gespielt. 

Der belgische Karikaturist J. Doumergue, der ebenso fruchtbar wie 
mafilos gehassig war — von seiner Hand stammten wohl die wutendsten und 
gemeinsten Verlasterungen der Boches — hat in einigen Karikaturen auch 
die Juden im Weltkrieg karikiert. Naturlich waren die Juden entweder 
Feiglinge oder Verrater, aufierdem waren sie aber besonders gerissen. Das 
originellste Blatt, mit dem er eine von seinen verschiedenen Karikaturserien 

272 



V 



nninEiaffl'b 

umm mm, txmm nmx 



J&18. 



C.-HeTep6yprt, CyOGoTa, 3-ro <PeBpann 1907 ro^a. 



ft 18. 




- Hy H (I0AABABTE BAllTb rOJJOCb 3A KAAETYOUL 



Titelseite einer Nummer des russischen antisemitischen Wochenblattes ..Pluvium". 1907 



Beilage zu Eduard Fuchs, »Die Juden in der Karikatur" 



Albert Langen, Muncben 



abschloB, zeigt einen deutschen und einen judischen Soldaten, die sich gegen* 
seitig die Fahne ihres Regiments zureichen. Der franzosische judische Poilu 
sagt zu dem deutschen Glaubensgenossen: „Komm, laB uns ein Tauschge* 
schaft machen, du gibst mir deine Fahne, und ich gebe dir die meinige, und 
wir melden dann beide, wir hatten sie erobert." 

Die amer ikanische Karikatur brachte wahrend des Weltkrieges ebenfalls 
nur hin und wieder Karikaturen auf die Juden, denn diese verschwinden 
fast ganzlich unter der ungeheuer grofien Masse von anderen Karikaturen, 
mit denen die amerikanische Presse ihr Land uberschwemmte. Als Beispiele 
gebe ich hier zwei Blatter. Das eine zeigt uns das von den Juden in 
Fesseln geschlagene Albion (Bild 281), die es hindern, seine Kraft zu ents 
falten. Das andere richtet sich nicht gegen die Juden, sondern verhohnt 
den bekannten zaristischen Aufruf: „An meine lieben Juden". Weil man 
in RuBland nach den groBen Aderlassen der ostlichen Niederlagen Freis 
willige braucht, streckt der Judenhenker RuBland seine vom Blut der Judens 
progrome triefende Hand den an beiden Armen gefesselten Juden entgegen. 
(Bild 282.) Beide Karikaturen stammen aus der Zeit, bevor Amerika selbst 
am Kriege beteiligt war. 



Das antisemitische Plakat. Die bezeichnendsten Dokumente des 
die Lander der Besiegten seit den Novembertagen des Jahres 1918 iiber* 
flutenden Antisemitismus sind nicht die weiter oben beschriebenen antises 
mitischen Witzblatter, sondern 
viel mehr die antisemitischen 
Plakate, denen man seit dieser 
Zeit in Deutschland, Osterreich, 
Ungarn und Polen immer wies 
der an den Mauern der meisten 
Stadte und Dorfer begegnet. 
Diese Plakate bilden sozusagen 
den Gipfel der modernen antis 
semitischen Karikatur. Es ist 
ein Gipfel, dessen Perspektiven 
und dessen Aufschlusse fur die 

Fuch$> Die Judea in der Karikatur 35 

273 




Die Borse 

276. Russische Karikatur von SokoEowski 




geistige Verfassung weiter Massen 
nicht erhst genug genommen wer* 
den kann. 

Das satirisch illustrierte antisemitische Plakat 
ist nicht erst eine Errungenschaff der Nachkriegs* 
zeit. Man begegnete ihm hin und wieder schon 
bei friiheren Gelegenheiten, vor allem bei friiheren . 
Wahlkampf en. Die osterreichische christlichssoziale 
Partei hat bei verschiedenen Kommunals und Reichs* 
ratswahlen mit satirischen Wahlplakaten gearbeitet; 
genau so, wie sie sich bei ihren Wahlkampagnen' 
satirischer Wahlflugblatter bediente (Bild 297). 
Auch in den franzosischen Wahlkampfen ist das 
satirisch betonte antisemitische Wahlplakat hin und 
wieder aufgetaucht. Als bezeichnendes und bestes 
Beispiel nenne ich das effektvolle Plakat von Adolf 
Willette aus dem Jahre 1889, auf dem dieser sich 
selbst als antisemitischer Kandidat den Wahlern des 
Montmartre vorstellt und fiir seine Wahl zur De= 
putiertenkammer in effektvoller Weise eigenhandig 
Propaganda macht. Ich gebe diese Originallithos 
graphie Willettes, die zu den interessantesten Er= 
zeugnissen der moderneh Plakatkunst gehort und 
heute als iiberaus selten gelten kann, neben S. 216 
als doppelte Beilage. 
Wenn man jedoch unsere Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht, so ergeben sich verschiedene* 
bezeichnende Unterschiede. Der erste ist: Was friiher immcr nur ein Einzelfall gewesen ist, das steht 
heute formlich auf der Tagesordnung, und dabei in einem Umfang, wie ihn friihere Zeiten niemals auch 
nur annahernd gekannt haben Bei den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung im Jahre 1919, und 
bei den Wahlen in Osterreich im Jahre 1920 waren in alien Stadten Deutschlands und Osterreichs die 
Mauern mit zum Teil iiberaus wirkungsvollen antisemitischen Wahlplakaten iibersat, bei denen der sati= 
rische Charakter durchaus im Vordergrund stand. Ich gebe hier einige charakteristische Beispiele und 
verweise besonders auf das Hakenkreuzplakat, das als Text nur das Wort „Deutschland" tragt. Die ziem= 
lich albern in die Welt schau'ende Maid, durch die auf diesem Plakat das germanische Deutschland ver= 
korpert sein soil, diirfte anspruchsvolleren Gemiitern freilich ebensowenig ifnponieren, wie die da« 
nebenstehende hafiliche Judenfratze (Bild 302). Weiter verweise ich aut das in Rjesenformat erschienene 
osterreichische Wahlplakat ,,Rettet Osterreich!", auf dem in effektvoller Weise dargestellt ist, wie der 
osterreichische Adler durch die Umschniirung der jiidischen Schlange erdrosselt wird (S. Beilage neben 
S, 296) — dafi das Ultimatum an Serbien von den Wiener Juden erlassen worden ist, diirften aufier den 
Antisemiten freilich nur wenig Leute ernsthaf t glauben. Fiir die osterreichischen Verhaltnisse ist es be* 
sonders bezeichnend, dafi dort auch die sozialdemokratische Partei, die sich doch iiberall als den eners 
gischsten Gegner des Antisemitismus ausgibt, auf die antisemitischen Instinkte, der Massen spekuliert. 
Gewifi ist es der Kapitalismus, den sie auf diese Weise darstellt. Aber indem sie diesen durch einen jiidi« 
schen Bankier charakterisiert, begeht sie, vom sozialdemokratischen Standpunkt aus, eine feige Speku« 
lation (richtiger: feige Kapitulation vor niederen Instinkten der politisch unklaren Massen). -Denn die 
sozialistische Lehre erklart den Kapitalismus in seinen Wirkungen als vom individuellen Trager . durch= 
aus unabhangig {vergl. auch Bild 2S6). 

So schr bezeichnend die satirischen antisemitischen Wahlplakate sowohl durch ihre grofSe Zahl als 
auch durch ihre mafilose Hef tigkeit sind, so ist es doch noch ungleich beachtenswerter, dafi sich der AntU 



Einer, der auch ohne eine Duma seinen 
Vorteil findet 

277. Russischc Karikatur. Piuvium 1907 



274 




semitismus unserer Tage — und das ist der zweite Punkt, 

durch den sich die Gegen wart von friiheren Zeiten mar* 

kant unterscheidet — des satirischen Plakates nicht nur in 

den aufgeregten Zeiten der Wahlen bedient, sondern daB 

er uns auch zur Empfehlung von antisemitischen Romas 

nen und antisemitischen Theaterstiicken von den Wanden 

entgegenschreit. Beispiele dieser Art, und zwar in beiden 

Fallen sehr gute Beispiele, sind das Plakat, auf dem fur 

den Roman „Die Siinde wider das Blut" Propaganda 

gemacht wird (Bild 303) und die beiden ausgezeichneten 

Theaterplakate von Julius Klingcr fur das Lustspiel 

„Meyers" im Theater am Zoo (Bild 305 und 306). Als 

pikanten Umstand mochte ich hier einschalten, daB das 

eine Plakat, das den grofien grotesken Judentyp aufzeigt, 

der Theaterdirektion im letzten Augenblick zu gewagt er=. 

schien, so daB sie es vor dem Ankleben zuruckzog und 

Klingcr mit der Anfertigung eines zweiten. von weniger 

antiiudischsaggressivem Charakter beauftragte. Das Re* 

sultat war Bild 305, das sie denn auch fur ihre Reklame* 

zwecke verwendete. Solche offenen Demonstrationen des 

Antisemitismus in literarischen und kiinstlerischen Ange* 

legenheiten kannten friihere Zeiten -niemals. DaB sie 

heute immer und immer wieder unternommen werden, 

erhebt sie, wie gesagt, zu so bedeutsamen Beweisen fin- 
die geistige Verfassung der Massenpsyche. 

Fiir den Antibolschewismus, unter dessen Flagge es 

die monarchische Gegenrevolution in den verschiedenen 
Landern in ebenso raffinierter wie skrupelloser Weise er= 

reicht hat, daB die Revolution nirgends zu ihren logischen 

Zielen gelangt ist, war es eine mit Freuden begriifite Tat* 

sache, daB in den Reihen der russischen, polnischen, uns 

garischen und deutschen Bolschewiks eine Anzahl Juden 
an leitenden Stellen standen und stehen — in RuBland 
Trotzki und Radek, in Deutschland Rosa Luxemburg, in 

Ungarn Bela Khun und die Briider Szamuely. Da die Konterrevolution den Antisemitismus zu seinem 
wichtigsten Bundesgenossen zahlt, so benutzte sie diesen Umstand, um die letzten antisemitischen Leiden* 
schaften durch solche Plakate aufzuputschen, auf denen die Bolschewisten stets als Juden dargestellt sind. 
Natiirlich als bestialisch raubende und mordende Juden. Ein polnisches Riesenplakat aus der Zeit des 
polnischsrussischen Krieges zeigt Trotzki als roten Judenteufel auf einem Schadelberg, im Hintergrunde 
rauchende Stadte. Hinter ihm steht der Tod, der ihm immer neue Scheusaligkeiten zufliistert; und mit 
einem Browning und einem blutigen Dolch in den Handen horcht Trotzki gierig auf diese Zufliisterungen 
(siehe Beilage neben S. 280). Die polnischen antibolschewistischen Plakate werden noch weit in den 
Schatten gestellt durch die Brutrunstigkeit, mit der man in Horthy*Ungarn die antibolschewistische Juden* 
hetze betrieb: Der jiidische Bolschewist trieft von Blut, aus den Kellern des Parlamentsgebaudes rinnt 
das Blut in groBen Stromen in die Donau (Bild 300); der jiidische Leninbube hat die mit zahlreichen 
Tapferkeitsmedaillen geschmiickten ungarischen Bauern reihen weise an Galgen aufkniipfen lassen; der 
jiidische Bolschewistenfiihrer hat dem an der Mauer hingesunkenen Kriegsinvaliden das Letzte geraubt 
und flieht nun, mit Beute beladen, aus Ungarn (Bild 298), ein anderer jiidischer Bolschewist flieht mit 
einem riesigen Geldsack auf dem Riicken aus Ungarn und la'Bt die Arbeiter hilflos stehen, usw. usw. 
Die meisten dieser Plakate stammen von dem Zeichner Manno Miltiades. Wenn man an der namenlosen 



fl-TOTo, K.Cl""0 HMHTO H£ AK)6HTo 
rl BCC ^(tHBylii£t l^_A^H€TZi .... 

^-tot-jj.hto Pycb ca?iTyH! rysHra- 
H UpoBb HapoAHyw c'occti,!.. 

Ich bin der Mann, den alle hassen. 

Den alle Welt verflucht. 

Ich bin der Mann, der das heilige RuBland 

zu Grunde richtet, 
Ich bin der Mann, der dem Volk das Blut 

aussaugt. 



.78. Kussische Rarikatur. 



Lcrmontoft. 
Pluvium. 1906 



275 



Kulturschmach des ungarischen HorthysRegiments noch den geringsten Zweifel hatte, — durch diese Pla* 
kate sind sie behoben. Es mufi hier freilich ausdriicklich gesagt werden, dafi die deutsche Gegenrevolution 
das allergeringste Recht hat, sich etwa fur wesentlich besser in ihren Manieren zu dunken: sie hat die 
Hausermauern der deutschen Stadte und die Phantasie des deutschen Burgers genau so schamlos besudelt 
wie dies HorthysUngarn tat, nur dafi in Deuischland die antisemitische Note etwas gedampfter war. 

Anschliefiend mochte ich hier noch bemerken, dafi die meisten dieser Plakate, vor allem die polnU 
schen und ungarischen, uberaus schwer zu erlangen sind. Die Horthyregierung z. B. hat "nichts ins Land 
hinein und nichts aus dem Land herausgelassen; alles wurde an der Grenze konfisziert. Die Vorlagen 
zu meineh Wiedergaben stammen aus der Sammlung des Vorsitzenden des Vereins der deutschen Plakat* 
freunde, Dr. Hans Sachs, dem es, vielleicht als Einzigem, mit vieler Miihe gelang, sich diese bezeichs 
nenden Dokumente der modernsten Plakatkunst zu verschaffen. 

Fiir einen zukiinftigen Kulturgeschichtsschreiber werden speziell diese 
Dokumente die wichtigsten und deutlichsten Aufschliisse dariiber geben, 
auf welchen Tiefstand der allgemeinen Charakterverrohung die europaische 
Kultur der Nachkriegszeit hinabgesunken war. Denn es sind nicht die un«' 
gebildeten Arbeitermassen, von denen diese moralischen Scheufilichkeiten 

ausgingen, sondern ausschliefilich die Organisatio* 
nen derer, die sich riihmen, die Reprasentanten von 
..Bildung und Besitz" zu sein. Sie haben in den 
Wirren der Nachkriegszeit einen einzigen Tag ihren 
materiellen Besitz gefahrdet gesehen, und alsbald 
gaben sie ihren gesamten Besitz an „Bildung" preis, 
um nur ihr Bankguthaben zu retten oder wieder* 
zuerlangen. 



Die literarische Satire. Die samtlichen Ge* 
sichtspunkte, die ich oben (S. 167 u. fig.) bei der 
Wiirdigung der literarischen Satire des 14. bis 18. 
Jahrhunderts als bedeutsam fiir die Beurteilung 
der graphischen Satire dieser Jahrhunderte ange* 
fuhrt habe, gelten auch fiir das 19. Jahrhundert 
und fiir die Gegenwart. Es wiirde sich deshalb 



S0IUHO<JiyuiaTejib HHaepaiopciaro jMneepcHTeia BV yreep- 

WACHHOlt MKHHCIbPCTWJMk Ipopill. 



Ein Hospitant der kaiserlichen 

Universitat in der vom Minis 

sterium genehmigten Tracht. 

279. Russischc Karikatur. 
Pluvium. 1906 



durchaus rechtfertigen, wenn ich mich an dieser 
Stelle auch mit der literarischen Satire der Neu* 
zeit eingehender beschaftigen und durch entspre* 
chende literarische Proben all das unterstreichen 
wiirde, was ich in dem vorhergehenden Kapitel 



276 




UtHa s\> Oaecct 10 Hon. 



-^N6s* Ns. 5. f&e^- 



Bi APyrHXb mwn> 12 Hon. 



280. Der Odessaer Gummiknuppel. Titelkopf eines russischen antisemitischec Witsblattes. 1908 



aus der graphischen Satire zur Kennzeichnung der jeweiligen offentlichen 
Meinung abgeleitet habe. Dessenungeachtet muB ich hiervon absehen, und 
zwar deshalb, weil die literarischen Satiren der Neuzeit auf die Juden im 
Umfang gerade so ins Ungeheure gestiegen sind, wie dieZahl der modernen 
graphischen Karikaturen auf die Juden im Vergleich zu denen der vers 
gangenen Jahrhunderte. Um ein einziges Beispiel zu nennen, sei nur an 
die geradezu unzahlbaren Judenwitze erinnert, die jahraus, jahrein in den 
verschiedensten Landern auf die Juden gemacht und veroffentlicht wurden 
und ununterbrochen immer noch tagaus tagein gemacht werden. Wenn 
man hier von Tausenden spricht, so ubertreibt man keineswegs. Gewifi 
ist der Judenwitz das satirische Gebiet, auf dem sich sowohl der private 
als auch der politisch organisierte Antisemitismus seit langem am unban* 
digsten manifestiert, und zwar deshalb, weil diese satirische Ausdrucksform 
ebensosehr der modernen Psyche entspricht, wie z. B. das Sprichwort der 
des 15. bis 17. Jahrhunderts. Aber der Judenwitz bietet keine Ausnahme. 
Der Reichtum auf alien Gebieten der mit den Juden sich beschaftigenden 
literarischen Satire ist so grofi, dafi diese langst eine ganze Bibliothek fullt, 
und dafi es eines umfangreichen Werkes bedurfte, um auch nur einen ans 
nahernden Begriff von der Vielseitigkeit des Stoffes zu geben. Im Rahmen 
eines Kapitels, das gemafi der Anlage dieses Buches hochstens ein Dutzend 
Seiten umfassen konnte, ist diese Aufgabe nicht zu losen. Dazu kommt, 
trotzdem dieses fur die politische Geschichte wie fur die Volkspsychologie 
gleich aufschlufireiche Buch noch nicht geschrieben ist, dafi es doch schon 
eine Reihe von -Veroffentlichungen gibt, in denen wenigstens Versuche 

277 



oder Einzelarbeiten in dieser Richtung vorliegen. Ich nenne nur die vers 
schiedenen Sammlungen der guten oder der besten judischen Witze, die 
speziell in Deutschland in den letzten Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges 
erschienen sind. Unter diesen Umstanden muB ich mich damit begniigen, 
an dieser S telle jene Zitatezusammenzustellen, auf die ich schon weiter 
oben direkt verwiesen habe. 

In erster Linie kommt hier in Frage eine Szene aus der falschlicher* 
weise Goethe zugeschriebenen Posse „Unser Verkehr", die, wie ich oben 
(S. 219) darlegte, das Hauptarsenal fur die Karikatur in den Zeiten des 
HepsHepsSturmes und dendarauffolgendenjahrenbildete. Die erste Szene 
dieser uberaus gehassigen Posse, in der sich der alte Jude Abraham Hirsch 
und seine Frau Rachel von ihrem Sohn Jakob verabschieden, der nun in 
die Welt gehen soil, sein Gluck zu machen, lautet: 

(Strafie.) Abraham H irsch; Rachel und J akob. (Letzterer mit einem Biindel Kleider, reisefertig, 
treten auf.)— Jakob (seiner Mutter die Hand driickend): NuMemme.bleibt gesiind!— Ra ch el(ihnumarmend): 




281. John Bull, der Beherrscher der Meere. Karikatur auf die Weltmaeht der Juden 

278 




„An meine lieben Juden! . . ." 

282 Amerikanischc Karikatur auf die im Weltkricg plot:Iich erwachte Judensympathie des russischen Zarec 

As de siillst leebenlangejohr!— Jakob (seufzend): 's gaiht mer su Herzen! —Rachel (schluchzend): Miraach! 
ai waih! — Be id e (schluchzendj: Aiwaih! ai waih! — Abraham: Mai! wos is? Wosstaihter, wosschraiter? wos 
fangt er an an gewaltigen Spektokel uf offentlicher Strafie? — As der Siihn sull raisen ebbes Moos verdienen — 
nii, so wollen mer wtinschen gliickliche Geschafte uf denWeg! — Er still finden blanke Tholer un' Luges 
dore, er sull sich in Acht nehmen fer falschen Papieren und schofler Woore! — Raisen is a Vergniigen, 
Geschafte machen is a graufies Vergniigen, Perssente nehmen is a gor gratifies Vergniigen. — Jakob 
(weinerlich): Jo Perssente! Hast de gesehen? Aus Nix wird Nix. — Abraham: Dii! Was hast de ge* 
sogt? Aus Nix wird Nix? Wai geschrieen! — Jakob: As mer de Tate gegeben hatt a poor hiindert 

Tholer? Abraham: A poor hiindert Thooler? Wai geschrieen! — J akob: Aber asau — nich fiinfzig, 

nich vierzig, nich dreifiig, nich swanzig — sehne hot er mer gegeben. — Abraham: Wos? Hob ich der 
nich gegeben noch a Sackel mit falsche Groschen? — Jakob: Jo! wer wird se nehmen? — Abraham: 
Wer wird se nehmen? As de se reibst mit Mitzenpulver, kennt se kaGoi! — Hob ich der nich gegeben 
an Fuchspelz? — Jakob: Mai! den hoben de Ratten zerbissen und de Motten halb kohl genogt. — 
Abraham: Hab ich der nich gegeben zwei poor manchesterne Hausen, und ane Felbelweste, un an 
braunen Malbisch, den ich hob gestern gehandelt von an Schlachter? Hob ich der nich gegeben a Perpli' 
— Du Schelm von an Pancher! Siillst du verschwarzt liegen as du sogst, aus Nix wird Nix! Gott hot 
er gemacht de Welt — aus wos? aus Nix! Jakob ist geworden a raicher Mann — aus wos? aus Nix! — 
Jakob: Jo! ver alten Zeiten ist gewesen wohlfeil! as is geschaffen worden de Welt aus Nix! — Abra* 
ham: Hor su! wos schraist de? Hoben wer nich ver Augen Exempel von unsere Leit, die fangen an mit 
Nix, un horen auf mit Landgiiter und de Barone? — Ober mer mufi doch hoben an Verstand derssu! — 
Rachel: Oder de Gewalt? — Abraham: Nu, se kiimmt nach, aber der Verstand ist erste. As wer uns 
werden hinlegen und pekern, werd kiimmen su gaihn der Rebbe Abraham, nu? werd er frogen, was hast 
de gemacht uf de Welt? Bist de gewesen HeilSig? Do werden mer zeigen, wos mer hoben gemacht. 
Perssente, wos mer genummen, Wechselche, wos mer hoben mit Profit gekaaf t. Gold, Jouwelen, Geschmeide, 
wos mer hoben gehandelt von de reichen Gois, un de Verdienste werden seyn unsre Verdienste, uud der 
Gott Obraham, lsaak und Jakob werd alles nehmen fer sich, und werd uns schreiben gute Hachven. Ober 
de Goien werden haben nix, und werden liegen un ssahnklappen fer Angst und fer Begier nach dem 



279 



Geld und de eintraglichen Geschafte. — Jakob: Der Tate is an graufier Schriftgelehrter. Ich bin geriihrt! 

— Rachel: Er ist geriihrt! — Abraham: Bist de geriihrt? — Jakob: Soil mer Gott helfen, ich bin ge= 
riihrt. — Abraham: Du mufit werden a neier Mensch! Du mu Bt wandern aus Egypten von de Fleisch* 
topfe der Memme! Du muBt siehen in de Wiiste, wo sie der nich geben werden an Trunk Wasser urns 
sonst! Du mufit sehen das gelobte Land von de raiche Gois! du muBt der " nehmen dein Erbtheil von 
ihnen, wie de kannst, as de willst seyn a rechter Pancher vom Soomen Israel! — Rachel (die Hande 
faltend): Der Segen Jakob soil dich starken derssu! — Jakob: Der Tate is a graufier Redner, a heller 
Kernel! Er hat mich erleuchtet durch und durch! Ich will doch werden a neier Mensch! ■— Rachel 
(geriihrt): Er will werden a neier Mensch! — Abraham: Willst du werden a neier Mensch? — Jakob-" 
Gott soil mich strafen, ich will werden a neier Mensch! '— Abraham: Du siillst verkriimmen, wenn's 
nich wohr ist! — Rachel: Still der wachsen Gras vor deiner Thiir, wenn de schweerst falsch. — Jakob: 
Ich will schneiden die Krie, ich will kriegen an Aussatz! — Ich will liegen wie Hiob auf an Mist, ich 
will verderben neun und neunzig mol! — Abraham und Rachel (machen Geberden des Schreckens): 
Ai waih! ai waih! — Abraham: 's kimmt uf de Femilie! — Jakob: Ober Tate — — Abraham: Wos 
redst de? — Jakob: Ich hobe doch nur gekriegen sehn Tholer! wellt er mer nich noch geben serine? 
Do hob ich swanzig zum Anfang! — Seyd so giitig! — Abraham (zornig): Sehn Tholer! Hiind! Wos 
hast de geschworen? — Jakob: As er mer nich noch gebt.de sehn Tholer, will ich doch sain a Hiind, 
wenn ich halt meinen Schwur! — Abraham: Ai waih! du Schelm! du Spitzbub! — Hor su! Nii — 
kiimm her! — Nii, ich will der noch geben fiinf Tholer Minze! — Jakob: Fer wos? 's gaiht doch nischt! 

— Abraham: Du Lump! 's gaiht nischt? — Ich werde dir geben an Fluch! — Jakob: Nii — wos wellt 
er fluchen? Gebt mer doch lieber fiinf Tholer Kerrent! — Abraham: Minze! — Jakob: Kerrent! — 
Abraham: Minze! Ich will der geben an Seegen zum Agio! —Jakob (rechnend): Ach und siebzig 
Perssent Agio staiht de Minze — kiimmt auf an Seegen swei und swanzig. — — Abraham: Nii, Hebe 
Seile? — Jakob: Tate, 's gaiht nischt! Ihr setzt an Seegen su hoch in Cours! — Hairt! gebt mer fiinf 
Tholer redussirt, fers Andre an Seegen! — Abraham: Nii, was will ich machen? — 's is der Siihn, Blut 
von meinem Blut! — Ich wills doch geben! (er zahlt ihm das Geld unter Seufzen). — Jakob (kiiBt ihm 
die Hand): Der Tate is der graufimiithigste Mann! — Ihr hobt an Seegen vergessen, Tate! — Abraham 
(legt ihm die Hande aufs Haupt und spricht einen hebraischen Segen). — Jakob: Nii, bleibt gesiind! (will 
gehen). — Abraham: Halt! Wos rennst de? ■ — Werst de rennen mit an Geld ins Ungliick? — Werst de 
verthun den sauren Schweifi deiner Eltern? — Jakob: Ich soil doch gaihn. — Wos halt er mich uf? — 
Abraham: Ich will der geben Lehren uf an Weg! — Gott! das schaine Gait, wos er hat mitgenommen! 

— As du gaihst und kemmst nich wieder neun und neunzigmool schwerer — will ich der speien ins An* 
gesicht! — Gaih! gaih! — Lofi dich treten von de Leit, loB dich werfen aus de Stuben, loB dich verklogen 
bei de Gerichte, lofi dich setzen ins Hiindeloch, loB dich binden mit Stricke und Ketten, loB dich 
paitschen, lofi dich martern halb taudt! aber (drohend) du mufit doch werden raich! — (mit Rachel ab.) 

Wie man an dieser Probe sieht, ist die satirisehe Anwendung des jiidi* 
schen Jargons, in dem man ein verdorbenes Deutsch vor sich hat, ein Haupt* 
hilfsmittel zum Zwecke einer moglichst erfolgreichen satirischen Verhoh* 
nung der Juden. Dieses Mittels bediente sich die literarische Satire hinfort 
mit ganz besonderer Vorliebe. Die zahlreichen Pamphlete des antisemiti* 
schen Verlages von Goedsche in Meifien, in denen die starke antisemitische 
Stromung der dreifiiger Jahre ihren literarischen Spiegel fand, sind durch* 
wegs im jiidischen Jargon abgefafit. Aus dem im vorigen Kapitel ange* 
fiihrten „Schabbes*Gartle" (Bild 114), das zu den gelesensten Pamphleten 
jener Jahre gehort, gebe ich das folgende Stuck, in dem der Geiz eines judi* 

280 



WOLNOSC BOLSZEWICKA 




Katikatut auf den russischen Volkskommissai for das Kriegswesen Leo Tiotzki 
Polnisches antibolschewistisches Flakat von Skabowski. Aus der Zcit des polnischirussischen Kricges. 1920 



Brflaer n Edsird F«chi, .Die Jodea In der K»itt»»u- 



Albert Lanfni 



schen Elternpaares dadurch verhohnt wird, dafi diese durch ein Mifivers 
standnis ihre ledige Tochter fur schwanger halten und nun vor Freiiden 
freigebig werden, als dieses von ihnen selbst verschuldete Mifiverstandnis 
sich aufklart: 

De Konfusiuh vun en unrechte Verstandniss. Sou gehts, wemmer de Leut net ousreden lesst. 
Frummele Ochs hat e Griiese Tochter gehat, e Roritat Schickselche, weifi unn routh wie Elf en* 
bahknochen unn Bocksblut, unn was das Best^^rbey, Mesummen hatt se nach gekriegt. Beckche hat 
se gehahfien mit Nume, eppes e Roritat weit unn braht. Beckche is schoh unn grofi, aber was nutzt es, 
hot es alle Tag nor schoufle Klahder ahnziehen gediirft, wou der Ette unn die Memme eihngserfet haben. 
Beckche macht sich ganz betrubt unn mocht nach gem scheme Klahder haben t net alleh an Jontoff unn 
Schabbes, aach an die andere Tag in der Wuch. 

Is emouhl Frummele hehm kumme ze gaihn mit en groufie Revach, alle Taschen voll Geld, unn 
Scheiner unn Schuldverschreibincher aach, um gotgewaltige Simches. Ass'r seiner Ische die Massematten 
erzahlte, unn aach die voll Simches werd, kriegt Beckche Kurahsch unn faftt sich a Harz, unn will Memme 
unn Ette bitten, ass se ihren Schabbesrock dorfet tragen auf alle Tag. Geht se nah an Tisch , wou se 
sitzen, nimmt de Memme an Hals unn sagt: „Memme, Ette, ich mufi Euch eppes sagen, aber sett net bos. 
Sagt die Memme: Was heste ze sagen? Frougt Beckche: Dorf ich? Frougt der Ette: Nu, was is es? 
Beckche sagt: — Memme! — Ette! — ich trag — ..Gottswunder! Schme Israel! schreyt Frummele, — was 
en Ungliick! — Tragen thuste? — Meperes biste?" „Au waih geschrien! schreyt de Memme, ach! 
.meih Kind, ach mein Beckche, was heste gethun? Eitel Rouches unn ganz schwarz springt der Ette auf: 
„Wer hots gethun? Vun wien biste meperes? Vun wien tragste? Gleich sags, ouder ich worf dich ous 
die Wanden!" ,,Sett kah Schrude, sagt Beckche, bin ich doch net meperes. — Voun was sallet ich meperes 
seyhn? Hebh ich doch kahn Chusen net. Memme frougt: Lieb Beckche, biste werklich net meperes? 
Sagt Beckche: Worr ich meperes seyhn, — uzt euch net. Ich heb mit kahn Menschen nix ze thun gehatt. 
Sagt der Ette: Nu, worum heste gsagt, ass de tragst. Sagt Beckche: Hot mich der Ette ousreden gelosst? 
— Ich hab sagen gewellt: ich trag mein Schabbesrock ouf alle Tag. — Net wohr Ette, net wohr 




Jene, die den deutschen Frieden wollen Jene, die den franzosischen Frieden wollen 

285. Frjnzosische Karikatur auf den Defaitismus. La Victoirc. 1915 
Fuchs, Die Juden in der Karikatur 56 

281 




Irogfi 



„3b tiidji jit marfjcn, mtint § trr'n! 
3'dj fjbr' ouf fetiben Oljrtn fdilertil.' 



Memme? Sagen Ette unn Memme: Meintwiegen — weil de net meperes bist, kennst en tcagen ouf alle 
T-ig, unn die ander Wuch kriegst e neue Schabbesrock, doch mit dien Beding, ass de kahmohl nix 
anderst tragst as en Rock (meperes = schwanger). 

Das am meisten verbreitete Spottlied auf die Juden aus der antisemi? 
tischen Bewegung der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist das aus 
Siiddeutschland stammende Loblied auf den Knoblauch: 

Ehren= unn Loblied oufn Knoblich, 

e vierstimmiges Terzett 

ze singe ouf de Gitahr mit der Vigeline derbei 



Knoblich, Knoblich, toffes Gwarz 
Starkst dien Jiiden Sinn unn Harz, 
Unn giebst ihn die ganze Wuch 
Aechten, koschern Jiideng'ruch, 
Ass um ihn die ganze Luft 
Angeniehm unn lieblich duft: 
Knoblich! Knoblich! 

Knoblich, Knoblich, wie so gut 
Filterierst du's Jiidenblut! 
Gar gah andre Wurzel gitt 
Sou wie du en Appetit, 
Un ka Zwiefel un ka Laach 
Macht's Gedirm wie du so waach : 
Knoblich! Knoblich! 

Knoblich, Knoblich, wie so lind 
Treibst Nefiches du geschwind. 
Ass es nouch dien Acheln bald 
Wie e schwer Gewitter knallt! 



Wie e Blitz, so £ahrt es nous, 
Unn es riecht das ganze Hous: 
Knoblich! Knoblich! 

Knoblich, Knoblich, wie .so hahii 
Treibst de"n Jiiden du en Schwahlx 
Machst dien Magen rain un klor. 
Ass net drinne bleibt e Hoor; 
Machst e su e feine Hout, 
Ass mer kahm die Aagen trout: 
Knoblich! Knoblich! 

Knoblich, Knoblich, mit Begier. 

Greift die Kalle aach nouch dir, 

Unn ihr Haucher riecht so schoh, 

Ass mer kcnn net weiter geh ; 

Wie e Nagele unn Roos " 

Riechst ous ihren Moul unn Schoofi: 

Knoblich! Knoblich! 



282 




9lu — Soit, Datum ni<l)t? Jurdltfiac qcrn! 
OHc Ift ja icoci Sriebe ce^t!" 

Verschiedenartiges Zureden bei Friedensverhandlungen oder Feder und Schwert 

28+ u. 285. B.Johnson. Klatlderadatsch. 1918 



Knoblich, Knoblich, ouf der Welt 
Lob ich dich nor unn das Geld! 
Nektor unn Embrosia, 
Gor nix is es, bist du da 
Milch unn Honig, Kuttelfleck; 
Senn nor giegen dich e Dreck: 
Knoblich! Knoblich! 

Knoblich, Knoblich, wie dein Saft 
Mut uns unn Korahsch verschafft, 
So entflammt er aach mein Sinn, 
Ass ich gleich e Dichter bin, 



Unn ich kenn ver dein Geruch 
Schreiben net unn dichten gnug: 
Knoblich! Knoblich! 

Knoblich, Knoblich, mein Gemiit 
Dichtet dir das feine Lied! 
Dort in Iiden laben wir 
Ewig, Knoblich, uns an dir, 
Unn wir schreie voller Freud 
Dorch die ganze Ewigkeit: 
Knoblich! Knoblich! 



Der kunstlerischen Qualitat der Zeichnungen, die ich der Dresdener 
antisemitischen Flugschrift „Der Teufel in Deutschland" (Bild 210 und 211) 
entnommen habe, entspricht durchaus die geistige Hohe des satirisch sein 
sollenden Textes dieser Flugschrift. Ich zitiere einige wenige Zeilen aus 
diesem sehr umfangreichen Elaborat der fanatisierten Beschranktheit: 

„Es ist der Geist, der sich den Korper baut", sagt Schiller; was mufi das also fur ein schwarzer. 
niedriger und krummer Geist gewesen sein, der sich die niedrigen, dunklen und krummen Judenkorper 
gebaut hat? . . . Gegen ihren teuflischen Dunkel ist schwer-anzugehen. Das einzige, was man den Juden 
als Gegcnbeweis unter die Augen halten konnte, sind die amtlichen Militaraushebungslisten aller zivili= 
sierten Lander, aus denen sich ubereinstimmend ergibt, dafi die Juden allerdings an scheclen Augen, un* 

36* 

283 



gleichen Schultern, schwachen Briisten, schiefen Riicken, krummen Beinen, platten Fiifien und hiedrigem 
Korperwuchs das Vollkommenste leisten, was an korperlicher Unvollkommenheit geleistet weirden kann . 
Man braucht einem echten, kleinen, schwarzen, krummen, verbogenen Juden nur Horner auf zusetzen, und 
der unruhig bewegliche Teufel ist fertig . . . Juden und Liigen haben kurze Beine, wie auch der Teufel 
sehr kurzs, wenn auch sehr bockbeinig ist . . . Gott ist wahrhaft; der Teufel muB also mordsmaBig liigen, 
und der Jude tut es. Der Jude liigt mit und ohne Zweck. Die Luge ist seine Lebensluft . . . Franzosen, 
Hollander, Salzburger sind ebenso landfliichtig nach Deutschland gekommen wie die Juden; aber wah« 
rend jene mit ihrem Gut und Blut. in ihr neues Vaterland untertauchten , blieben die jiidischen„Morali= 
idioten" nicht nur krampfhaft in ihrem auserwahlten Blutdiinkel isoliert, sondern diese Satanssohne 
bilden sich auch heute noch ein, sie miiBten eigentlich die wahren Gottesherren in Deutschland sein! 

Die angebliche Verjudung der deutschen Sozialdemokratie ist vor dem 
Weltkrieg durch eine Parodie auf die bekannte Audprfsche Arbeitermar* 
seillaise verspottet worden, von der ich hier den ersten und den letzten 
Vers gebe: 

Arbeiter = Mauschellaise 

Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, Auf, rote Judenkameraden, 

PaBt nicht zu uns, den werft hinaus. Steht fest zum groBen Judenbund 

Es kommt ja auch, genau betrachtet, Und tut den schlauen Asiaten 

Nicht allzuviel dabei heraus. Die Bundestreue wedelnd kund. 

Wir brauchen, um es kurz zu sagen, Halt du es mit den fremden Gasten, 

Zur Volksbefreiung Geld in bar, Du deutsches Proletariat, 

Drum miissen wir, das ist doch klar, Sa' aus fiir sie die Drachensaat, 

Uns mit den Juden gut vertragen; — Und wer zuletzt lacht — lacht am besten. 

Drum hoch der Levysohn, Drum hoch der Levysohn, 

Der Nathan, Schmul und Kohn! Der Nathan, Schmul und Kohn! 

Es keim' und bliih', dem Knoblauch gleich, Es keim' und bliih', dem Knoblauch gleich, 

Das Zukunfts=— Judenreich! Das Zukunfts*— Judenreich! 

Dieses Gedicht ist massenhaft als Flugblatt verbreitet worden, und wurde 
nicht selten auch in antisemitischen Versammlungen nach der ebenfalls be* 
kannten Melodie der Marseillaise gesungen. Diese Poesie ist jedoch wirk* 
lich harmlos, wenn man sie mit den Produkten vergleicht, in denen sich in 
unseren Tagen manche Ritter vom Hakenkreuz austoben. Die Ermordung 
des Miinchener unabhangigen Sozialdemokraten Gareis wurde durch ein 
Gedicht verherrlicht, von dem schon der erste und der letzte Vers genugen, 
um es hinreichend zu charakterisieren : 

Du tapferer Held, du schofit den Gareis nieder, Haut immer Teste auf den Wirth! 

Du brachtest alien uns Befreiung wieder Haut seinen Schadel, dafi es klirrt! 

Von einem saubern Sozihund. Knallt ab den Walter Rathenau, 

Welch' Licht in unserer Trauerstund! Die gottverfluchte Judensau! 

Es ist ein zynisches Mufi der Geschichte, daft untergehende Kulturen 
sich stets selbst das Todesurteil schreiben. Die wilhelminische Kultur erfullt 
ihr Geschick in solchen Dokumenten und in den darin verherrlichten Taten . — 

284 



(Sure jefriqett Sufjrer! 





$t. C4l|fu, 
tat. BliuninlnlUrt - _ - 

SX. ». S. 9«t<MluftUJnt»l&« 




Brat, Sotijri-SrJH»ri (n|, StootltrfirlSf Smog. Unkr|la«Of& Bnn, OnlnfiuUfeft. OMurt Sanfxia 




Rakcf, Clara {cffln (U.S.9.) atalKr StlfciwH, Jbtta Sailtmg 

MMmqinimiet «.».«- ftrktHoMMan 



Barftfrta (6. n. «.) 
IS. t. «. 




CshA ttofaifeOr, 

Styia b« U. 6. «. Dttnt bet U. 6. 9. 



(O.6.V.) X*» (lotn). ei™». 

R. ». «. SrlebaiMbacoitaicln Saugai* ftmfl* 

SaiMtantf In BcifailM 



©ann trifttt &eu<fcftno<ti>nafl 



(Ich verweise hier noch auf die in den Abbildungen 105, 109, 110, 113, 
114, 116, 117, 127, 156, 157, 246, 274 u. 304 wiedergegebenen satirisch for* 
mulierten oder satirisch illustrierten Titelblatter und Umschlagseiten einiger 
der hier zitierten antijudischen Pamphlete des 19. Jahrhunderts.) 



X 

Das Erotische in der antijudischen Satire 

1st das Obszone in der antijudischen Satire in uberwiegender Weise 
der Ausdruck der in bestimmten Landern herrschend gewesenen allgemeinen 
Verachtung gegenuber den Juden und nur im Nebenzweck auch der Auss 
fluB des der jeweiligen Zeit gemafien Behagens am Schwelgen in Obszoni* 
taten , so ist das Erotische in ebenso uberwiegender Weise Selbstzweck. 

GewiB macht man dem Juden sehr haufig eine besonders starke und 
auch skrupellose Sinnlichkeit zum Vorwurf, und man macht es ihm weiter 
zum Vorwurf, dafi er als Objekt dieser besonderen Sinnlichkeit sich mit 
boshafter Vorliebe Christentochter auswahle. Weiter wirdbehauptet, dafi die 
Judinnen mehr als andere Frauen zur Ausschweifung geneigt seien, und 
dafi sie ihrerseits wiederum besonders gern den Christen gef allig seien. Ein 
Sprichwort, dem ich in der Literatur des Vormarz begegnete, lautet: „Ihr 
lustet's nach einem guten Bissen wie der Jiidin nach einem Christenhengst." 
Ein anderes aus etwas spaterer Zeit lautet: „Wenn eine Jiidin einen Christen 
um etwas bittet, dann fallt sie nicht auf die Kniee, sondern auf den Riicken." 
Weil man VOrwurfe solcher Art den Juden von jeher machte, darum be* 
gegnet man auch in der antijudischen Literatur imrner einem Abschnitt, der 
auf derartige „Versundigungen der Juden" besonders hinweist. In der 1768 
erschienenen „Sammlungjudischer Geschichten", die der Schweizer Johann 
Ulrichs nach alten Zuricher Ratsprotokollen herausgab, ist z. B. ein ganzes 
Kapitel dem „Ehebruch und der Hurerey der Juden" gewidmet. Am^Be* 
ginn dieses Kapitels heifit es: „Die Erfahrung allerZeiten hat gezeiget, dafi 
die Judische Nation diesem Laster auf eine besondere Weise ergeben ge= 
wesen, und solches eigentlich ihre FavoritsSiinde ausgemachet." Dann 

286 



folgen aus den Zuricher Ratsprotokollen eine Reihe Mitteilungen uber staffs 
gefundenen Verkehr zwischen Juden und Christinnen und „wie diese 
Leichtfertigkeit der Juden von hiesiger Obrigkeit sey abgestraft worden." 
Ich zitiere einige Beispiele von vielen , die ubrigens alle sehr weit zurucks 
liegen. Eine „Erkanntnus" vom Jahre 1322 lautet, dafi „Winelin der Jud, 
Burger Zurich, gethurmt, mit Wasser und Brot gespiesen, und um 20 Mark 
Gelt seye gestraft worden, darum dafi er bei einem Christen Wyp ergriff en 
worden." 1331 findet sich folgendes Urteil verzeichnet: ..Salomon Lowen, 
des Juden von Konstanz Sohn, ist in Hansen Grumikers Scheuer, bey einer 
Christen Frauen gelegen und hat sie genimmt; ward deswegen gethurmt 
und um 40 Mark gebiifit." 1388 heifit es in dem RathssManual: „Man soil 
nachgahn und richten, als Matys Jud, Eberhardten Sohn geschuldig ist, dafi 
er mit einer Christen Frauen zu schaffen gehabt in Hurs Weifi." Das Result 
tat ist: „Matys der Jud wird gestraft um 5 Gulden." Gegenuber den schuls 
digen ChristensFrauen verfuhr der Zuricher Rat nicht weniger hart. Sie 
wurden ebenfalls gethurmt und der Stadt verwiesen. Bei unerlaubter Ruck* 
kehr in den Bannkreis der Stadt sollten sie vom Scharfrichter geblendet 
werden. In schweren Fallen wurden sie vor der Ausweisung erst noch mit 
einem Judenhutlein auf dem Kopf auf einen Karren gesetzt und zum allge* 
meinen Spott durch die Stadt gefuhrt. . 
Eine „Ratserkanntnus" vom Jahre 1322 
lautet: „Elfi von Luzern und Elli von 
Konstanz, weil sie sich von Juden brau* 
ten lassen, mufiten die Stadt verschweren 
Anno 1382 heifit es: ,, Ellin von 



Konhiltation. 



usw. 



Zofingen mufite schweeren ein halb Meil 
von unserer Stadt Zurich, um dafi sie 
heimlich bei einem Juden funden war." 
usw. Die Frankfurter Judenchronik von 
Johann Schudt, erschienen 1714, enthalt 
ebenfalls ein grofies Kapitel uber der Ju« 
den Unzucht, die sie nicht nur unter 
sich, sondern vor allem gern mit den 
Christinnen und Christen trieben. In den 
von demselben Verfasser herruhrenden 




S r. .5>irjd)j el t : „Sic Illicit ,;ionc n Heine Scrj» 
nifcition, oiecben obce bcu Slnior&cruitficn ciller Stnrt*= 
tiinjeriii voUauf fecit qcn)ud)Kit, ^rrinlcin ^imfarlen: Gic 
mit 3fitcK Sdjuciniaucicii loccbeii teflon rnndjen Raeeicec. 
"ilat enoil^ itecejr nidjlcn tniijjen Se |idj. '.'Jtcinc ffremiiie 
c [ ( c it icaoe (ec Sditiieiiicjleijd), nber ) e tj c n rnanen fe 
i>odj gcenc rcdjt oiel bauon auf c i 11 c n Snufert • &j. 

287. Aus „Djs dcutschc WiKblaet." 1920 



287 



Merkwiirdigkeiten ist ausgefiihrt, daft im 17. Jahrhundert die bohmischen 
Jiidinnen in Prag besonders stark unter den offentlichen, und darum vor 
alien den Christen gefalligen Dirnen vertreten seien. 

Solche Mitteilungen lieften sich mit leichter Miihe beliebig vermehren. 
Aber wenn man auch die Richtigkeit dieser Mitteilungen gar nicht bestreitet, 
so beweisen sie doch absolut nicht das, was die betreffenden Chronisten 
damit beweisen wollen, und was Ulrichs in den Satz zusammenfaftt, daft 
solches (Ehebruch und Hurerey) der Juden Favoritsiinde ausmachte. 
Alle diese Mitteilungen belegen vielmehr nur, daft die damals allerorts 
existierenden Verbote iiber den Umgang der offentlichen Dirnen mit Juden 
nicht nur auf dem Papier standen, sondern daft die XJ bertretungen sehr oft 
auch aufs Strengste geahndet wurden. Denn bei alien vorhin genannten 
Fallen handelte es sich niemals um eigentliche Liebesbeziehungen zwischen 
Juden und Christinnen, sondern stets um einen gelegentlichen Geschlechts* 
verkehr zwischen Juden und offentlichen Dirnen. Wenn daher spatere 
Autoren solche Mitteilungen beniitzen, um damit eine besondere Gier der 
Juden auf Christenfrauen zu belegen, so verfalschen sie direkt den Sinn 
dieser Verhaltnisse. Am allerwenigsten beweist der Umstand, daft friiher 
und.heute in verschiedenen Gegenden die Jiidinnen ein sehr groftes Kontin* 
gent zur Prostitution stellten und stellen, etwas fur eine besondere Neigung 
der Jiidinnen zur Ausschweifung. Die Prostitution ist als Massenerschei* 
nung stets ein wirtschaftliches Problem und keines der individuellen Aus* 
schweifung. Wenn in den ungarischen, rumanischen, polnischen und den 
friiheren russischen Bordellen die Mehrzahl der Insassinnen Jiidinnen sind, 
so beweist das nur die beispiellose Not unter den Ostjuden. 

Es ist gewift nicht zu bestreiten, daft die Juden gemaft ihrer Herkunft 
ein heiftes und sinnliches Temperament haben. Aber darum ist gegeniiber 
den Juden doch keinVorwurf ungerechtfertigter als der einer skrupellosen, 
in Ausschweifungen sich austobenden Sinnlichkeit. Zum mindesten ist 
dieser Vorwurf unberechtigt im Hinblick auf die Vergangenheit. Denn 
wenn man den Dingen ernstlich auf den Grund geht, wenn man das Fami* 
lienleben der Juden unbefangen nachpriift, die Verhaltniszahlen der unehe* 
lichen Geburten bei den Jiidinnen usw., dann muft man sogar feststellen, 
daft der Jude viel sittlicher ist als die meisten der Volker, in deren Mitte 
er lebt. Es ist dies zweifellos eine Folge seiner Religion, die ihn viel starker, 

288 




Berliner Bilder: Grenadierstrafte 



28S. Karikatur von Karl Arnold. Simplicissimus. 192l 



Fuchs, Die Juden in dct Karikatur 




,8W> nb fcfiAft tads, Utfctt ttOQd, ttwa* Iflfftn ail All ft" "»$ nbrlfl.' 



289. Aus ,.Das deutsche Witzblatt.' 



als dies bei fast alien andern 
Konfessionen der Fall ist, in 
ihren starren Banden halt. Man 
kann sogar sagen, dafi diepotens 
zierte Beschaftigung der Juden 
mit Geschaften, ihr Abstraktis 
zismus, wahrscheinlich zu einem 
grofien Teil kunstlich verdrangte 
Sinnlichkeit ist. Wie die Dinge 
in diesem Punkte heute liegen, 
wo die kunstliche AbschlieBung 
der Juden meistenteils aufgehos 
ben ist, lafit sich nicht feststellen, 
denn dafiir ist noch keine brauchs 
bare MeBmethode gefunden. 
Der relativ geringere Anteil der 
Juden an der Zahl der Scheiduns 
gen und an den unehelichen Geburten wiirde immer noch sehr zu Gunsten 
einer grofieren judischen Sittlichkeit sprechen. 

Weil also der den Juden gemachte Vorwurf der Ausschweifung viel 
haufiger als sonst sozusagen an den Haaren herbeigezogen ist, so ergibt 
sich hieraus von selbst, dafi es sich in den meisten erotischen Satiren aller 
Art auf die Juden tatsachlich um einen Ausdruck der allgemeinen Freude 
an der Pornographie handelt. Andererseits ist es ganz naturgemafi, dafi 
man diese Freude, wo es irgend geht, gern an solche Volksteile kniipft, bei 
denen man sich alles erlauben darf und das Publikum aufierdem besonders 
gern geneigt ist, alles Nachteilige ohne Nachprufung zu glauben, und ein 
solcher Volksteil sind eben uberall vorziigsweise die Juden. — 

Die Zahl der erotischen Satiren auf die Juden in Form von Sprichwortern, Anekdoten, Erzahlungen, 
Witzen, Karikaturen, kurz in alien den verschiedenen Formen, deren sich die Satire bedient, ist zu alien 
Zeiten verhaltnismaftig sehr grofi. Es gibt allein viele Hundert von modernen erotischen "Witzen und 
Anekdoten auf die Juden, und ununterbrochen werden neue fabriziert. Zahlreiche Individuen (inden 
ihr ganzes Leben lang das grofite Vergniigen daran, besonders saftige erotische Witze auf die Juden zu 
kolportieren. Angesichts der grofien Liebe, mit der dieses Gebiet zu alien Zeiten und nicht 2Um ge = 
ringsten in unserer Gegenwart beackert und gepflegt wurde, ist es also linerlattlich, der erotischen Satire 
auf die Juden im Rahmen dieser Arbeit ein gesondertes, wenn auch knappes Kapitel zu widmen. Eine 
lgnorierung dieser Seite der antijiidischen Satire ware geradezu eine Fortlassung eines sehr wichtigen 
Teiles dieser Materie und kame einer Falschung des Gesamtbildcs gleich. Andererseits zieht mir der 



290 



Umstand, daft ich mich mit dem vorliegenden Buche an einen unbeschrankten Leserkreis wende, selbst* 
verstandliche Grenzen. Ich muB mich auf allgemeine Angaben und Registrierungen beschranken; von 
einer Wiedergabe der zum Teil direkt pornographischen erotischen Karikaturen und der nicht minder 
kiihnen sprachlichen und literarischen Satiren erotischen Charakters mufi ich naturgemafi absehen und 
niich mit der Vorfiihrung solcher Belege begniigen, bei denen die starke kiinstlerische Form die Kiihn* 
heit des erotischen Witzes rechtfertigt oder die erotische Pointe in den Hintergrund drangt. 

Die Renaissance vereinigt sehr haufig die Obszonitat mit der Erotik, weil sie in ihrer naiven Un* 
befangenheit sich uhgeniert sowohl des einen als auch des anderen Elementes zur Pointierung ihrer 
satirischen Angriffe auf Personen und Sachen bedient. Dieser Vereinigung begegnet man auch auf 
mehreren Judenkarikaturen. In einer fur jene Zeiten relativ harmlosen Weise demonstriert dies das 
Titelblatt der von mir schon weiter oben mehrfach zitierten Flugschrift „Der Juden Ehrbarkeit" (Bild 21). 
Ungleich weniger harmlos, sondern im Gegenteil in unglaublichster Kiihnheit, demonstriert eine erotische 
Variation der Judensau die derbste Anwendung der Obszonitat und der Erotik zum Zweck der Ver* 
hohnung der Juden. Es 1st dies ein quartgrofier Holzschnitt, auf dem man die Judensau in der ublichen 
Stellung sieht. Wahrend das Mutterschwein einen Kothaufen beschnuppert, ergotzt sich gleichzeitig ein 
jiidischer Rabbiner in sodomitischer Weise mit ihr. Eine weitere sodomitische Variation der Judensau 
in der Form eines Kupferstiches ist mir aus dem 17. Jahrhundert bekannt geworden. Eine dritte sodo* 
/ mitische Judenkarikatur, ebenfalls in der Form eines Holzschnittes, soil demonstrieren , „wie das Unheil 
in die Welt gekommen ist". Die betreffende Karikatur zeigt einen Teufel in Bocksgestalt im sodomu 
tischen Verkehr mit einem Rabbiner. Solche und ahnliche Darstellungen sollen sich auch an einigen 
Kirchen befunden haben. Die jiidische Sinnlichkeit im allgemeinen satirisiert ein Holzschnitt, der einen 
Juden im intimen Verkehr mit zwei nackten Frauen zeigt; vermutlich ist dies eine Anlehnung an die 
biblische Erzahlung von Lot und seinen Tochtern. 

In der literarischen Satire des 14. bis 16. Jahrhunderts begegnet man ebenfalls mehrfach erotischen 
Motiven bei der Verspottung von Juden. Man trifft auf solche in den damals ublichen Erzahlungen, in 
den Fazetien, in den Ratselfragen, in Sprichwortern, in einzelnen Spottgedichten und schliefilich am 
derbsten in den zahlreichen Fastnachtsschwanken, bei denen die obszone und erotische Derbheit der das 
maligen Zeit wohl uberhaupt ihre tollsten Orgien feierte. Das hauptsachlichste Motiv, an das der 
erotische Witz jener Zeiten ankniipfte. ist die Beschneidung. 
Die getauften Juden werden auf diese Weise verspottet, 
daft die Taufe ihnen nichts niitze, niemals werde aus 
einem Juden ein vollkommener Christ, und zwar wegen 
des nicht reparierbaren Defizits. Verschiedene Sprich* 
worter und zeitgenossische Redensarten driicken dies aufs 
Deri ste aus. Ganz zahm ist dieser Zweizeiler: ..Getaufter 
Jud ist nie ein Christ, Dieweil er doch beschnitten ist." 
In den Dunkelmannerbriefen, dieser beriihmtesten sati- 
rischen Kampfschrift der deutschen Renaissance, werden 
die boshaften Angriffe gegen Johannes Pfefferkorn, der 
ein getaufter Jude war, mit dem allerbreitesten Behagen 
auch auf diesen Punkt ausgedehnt. Der ganze 37. Brief. 
den der fingierte Lupoid Federfuchser an den Magister 
Ortuin Gratius richtet, handelt in satirischer Form von 
diesem Thema. In diesem Brief wird in der bekannten 
wichtigtuerischen und ernsthaft seinsoIlendenForm dariiber 
debattiert, ob dieses korperliche Defizit der Juden durch 
die Vornahme der christlichen Taufe sich wieder erganze. 
In den Fazetien des Heinrich Bebel, des bekannten Hus 
manisten, wird in dem „Disput eines Juden und eines 
Christen" (ob der christliche oder der jiidische Glaube 




IHiillcc: „3<f utDdjte Ood) OI05 man totifcn. loarum 
be 3»bcn afle bculfdic $foimen ttabca?" 

SifjaUc: „2cl roccRtc noc^ nity? 'Weil ic bet^ettcn 
lenceii iallcit. un$ Tcutfdtc ouS^uiattnen." 

290. Antisemitische Postkarte 



291 



37 s 






91u tjiir' mat ju; 

Go mirJ'fi tin ..Edjmul)"! 



(Sin SBaggondje mit Sdimaial 
Gin SBaggondie mit Sped — 



GUI* i|* 
291—295. Weihnachten bei Familie „Schieber" oder die geschenl 



besser oder wahrer sei) von dem Juden die Beschneidung als die bessere Form, von Gott gezeichnet zu 
sein, benannt. Vom Chrsten wird darauf der Jude der Schamlosigkeit geziehen und verhtihnt, er solle sich 
an den Galgen scheren, da er doch bcim jiingsten Gericht diese Form, wie er gezeichnet sei, nicht vor 
den Tausenden, die auf des hochsten Richters Urteil harren, demonstrieren konne. In den meisten 
Fallen ist jedoch die Beschneidung fiir die Satiriker der beliebteste Ankniipfungspunkt, um mit ent? 
sprechenden erotischen Scherzen die Sinnlichkeit der Jiidinnen zu verhohnen, die darin stets eine gar 
nicht erfreuliche Kiirzung ihrer berechtigten Anspruche und Wiinsche erblicken wiirden. Aus diesem 
Grunde hielten vor allem die Jiidinnen viel mehr von der Taufe als von der Beschneidung. Mit klaren 
Worlen ist dies ausgedriickt in der Fazetie „Der Spruch einer Jiidin", die Heinrich Bebel gleich an der 
Spitze — als zweites Stuck — seiner Fazetiensammlung bringt. Dieser Witz fand solchen Beifall, dafi er in 
Form von hochst derben Sprichwortem , Redensarten und Spottversen immer wieder aufgetischt wurde. 
Von bekannteren Schwankdichtern prasentiert ihn z. B. Jakob Frey in seiner Gartengesellschart. Im - 
iibrigen mag schon an dieser Stelle erwahnt sein, daft nicht nur jene naiven Zeiten der Renaissance an 
diesem erotischen Witz ein besonderes Gefallen fanden, sondern dafi gerade dieses Motiv zu den be? 
liebtesten Objekten des pornographischen Witzrepertoires aller Zeiten zahlt. Wenn es der Satire in den 
Kram paftte, wurde freilich auch das Gegenteil behauptet, daft namlich die Frauen den beschnittenen 
Mannern vor den unbeschnittenen den Vorzug geben. Diese Fiktion paRte z. B. den Verfasscrn der 
Dunkelmannerbriefe, als es ihnen in den Sinn kam, den verhafiten Pfefferkom auch durch seine Frau zu 
verhohnen. Wa'hrend verschiedene Brief schreiber an den Magister Ortuin melden, dafi sie selbst mit der 
Frau des Pfefferkom zu schaffen gehabt, und dafi dieser und jener ebenfalls sich ihrer als Unterlage be* 
diene, wird von einem anderen Briefschreiber dies zum Schein auf folgende Weise widerlegt: „Allein 
ihr sagt, er (der getaufte Jude Pfefferkom) stehe bei unsern Magistem und Biiigermeistem in Gunst 
wegen seiner, schonen Frau. Das ist nicht wahr, denn die Biirgermeister haben selbst schone Frauen . . . 
Sie selbst aber ist eine so ehrenhafte Frau, wie es nur eine in Coin gibt: lieber wollte sie ein Auge als 
ihren guten Ruf verlieren. Auch habe ich oft von ihr gehort, ihre Mutter habe ihr hauHg erzahlt, die 
beschnittenen Manner machten den Frauen grofieres Vergniigen als die unbeschnittenen; aus diesem 
Grunde sagt sie auch, wenn ihr Mann sterbe und sie einen anderen nehme, so diirfe er auch keine Vor= 
haut am Gliede haben; daher ist nicht zu glauben, daft sie die Biirgermeister liebt, denn die Burgers 
meister waren keine Juden und sind nicht beschnitten, wie Herr Johannes Pfefferkom." Schon an 
diesem einen Beispiel, das gar keine Ausnahmestellung einnimmt, sondern im Gegenteil als typisch fiir 
die personliche Satire jener Zeit gelten kann, erkennt man, daft die Renaissance den Begriff der Scheu 
vor etwas Unaussprechlichem nicht kennt. Danach mag man die Sprache der Fastnachtsspiele ermessen 
und die Deutlichkeit ihrer erotischen Pointen, wenn sie dieses Thema nach dem robusten Geschmack der 
breiten Volksschichten durchhechelten. 

Was die allgemeine erotische Satire des 17. und 18. Jahrhunderts von der des 15. und 16. Jahr? 



292 





DCfl! 



iElfbunbevt ^cojcntll" 



2Boa bleibt in be $5nb'7 



lilldereisenbahn. Karikatur von Werner Hahmann. Kladderadatsch. 1920 

hunderts unterscheidet, das unterscheidet auch die erotischen Satiren auf die Juden wahrend dieser beiden 
Epochen. In dem Zeitalter des fiirstlichen Absolutismus wandelt sich die naive Derbheit der Renaissance 
immer mchr zu schmutziger Liisternheit. Wahrend in der Renaissance die Verwendung von obszonen 
und erotischen Pointen immer Ausdruck eines Kraftgefiihls ist, das sich in seinem Oberschwang an keine 
Schranken gebunden halt, ist in den Zeiten des Absolutismus, in denen das freie Wort vollig gebunden 
ist, der erotische Witz fast nur wohliiberlegte Stimulanz, die sichtlich nach immer raffinierteren Formen 
und Wirkungen strebt. 

Die bezeichnendste Form der erotischen Satire des 17. Jahrhunderts auf die Juden ist die Vers 
wendung und Pointierung der bekannten erotischen Motive des Alten Testamentes, die ja auch in der 
ernsten Kunst dieser Zeit„ eine so grofie Rolle spielen. Obenan stehen die Szenen ,, Susanna und die 
beiden Greise," ..Joseph und die Pbtiphar," „Loth und seine Tochter," ..Bathseba im Bade" und ..Salomon 
mit seinen vielen Frauen". In verschiedenen derartigen Karikaturen von ..Susanna und die beiden 
Greise" haben die beiden Alten prononziert judische Physiognomien; natiirlich begniigen sie sich nicht 
bloft mit dem heimlichen Belauschen der nackten Susanna, sondern betatigen ihre Liisternheit auch noch auf 
andere, zum Teil hochst handgreifliche Weise. Auf einer antijudischen Karikatur von Salomo sitzt dieser 
als liisterner Jude inmitten von einem Dutzend nackter Frauen, von denen er zwei zugleich in den 
Armen halt. Die Unterschrift „Der Konig Salomon erfreuet sich mit seinen Kebsen" erlautert das 
iibrige. Das Motiv ..Bathseba im Bade," dessen Verwendung auf antijudischen Spottmiinzen ich bereits 
weiter oben (Seite 206) erwahnt habe, sieht man auf einem kleinen erotischen Kupfer so dargestellt, wie 
Bathseba alles tut, um die Liisternheit des Konigs David zu wecken. Das Motiv ..Joseph und die Poti* 
phar" gehort neben , .Susanna und die beiden Greise" zu denen, worin die judische Sinnlichkeit am 
haufigsten dargestellt wird, aufterdem aber auch am erotischsten. GewiB sind diese Darstellungen nie= 
mals kiinstlerisch so gewaltig gestaltet, wie von Rembrandt auf der gleichnamigen Radierung (siehe meine 
Geschichte der erotischen Kunst, Bild 65), aber in der szenischen Darstellung noch weitergehender als es 
die Bibel berichtet. Hier mufi erwahnt werden, daft es sich bei alien diesen Darstellungen ausnahmslos 
um Satiren auf die Sinnlichkeit des mannlichen Juden handelt. Der Jiidin begegnet man auf erotischen 
Karikaturen erst im 19. Jahrhundert; fruher war sie fast niemals das Objekt der Karikatur. Da.s durfte 
seine Ursache in der strengen hauslichen Zuriickgezogenheit haben, in der die Jiidinnen damals lebten. 
Eine Ausnahme machen zwei erotische Karikaturen, die ich von ..Simson und Delila*' und von .Judith 
und Holofernes" gefunden habe, auf denen in beiden Fallen die weiblichen Partnerinnen den erotisch 
aktiven Teil reprasentieren. Aber beide Male ist das Judische im Typ der beiden Frauen nicht be* 
sonders auffallig gemacht, so daft man diese erotischen Kupfer nicht ohne weiteres als judische Karika? 
turen ansprechen kann. (Vergl. auch Bild 3.) 

Neben diesen biblischen Motiveri treten die profanen erotischen Judenkarikaturen im 17. Jahr* 
hundert wesentlich zuriick. Jedoch begegnet man solchen ebenfalls immer hin.und wieder. Eine derbe 



293 



Karikatur, etwa aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, zeigt „die Bauerin, die einem Juden zinset," namlich 
mit ihrem Leib und auf dem Heuboden, wahrend der Bauer auf dem Felde daneben maht. Ein anderer 
Kupferstich aus etwas spaterer Zeit illustriert in einer ebenso eindeutigen Weise das schon friiher immer ■ 
debattierte Thema: „Der Jude und das Christenweib." Von diesem Motiv diirfte es mehrere Variationen 
geben. Schliefilich fehlt auch nicht der Hohn auf den beschnittenen Juden, der wegen dieses Umstan= 
des von den Weibern verachtet wird. In dem satirischen „Almanach der Heiligen auf jedes Jahr'*, der 
1789 erschien, ist ein satirischer Kupfer auf den beschnittenen Wundermann Mayer enthalten, der nach 
dem beigefiigten Text eine Kariktur auf die jiidischen Heiligen sein soil. Im 18. Jahrhundert verschwins 
den die biblischen Motive allmahlich, zum mindesten uberwiegen in dieser Zeit immer mehr die profaneh 
Motive.. Man begegnet jetzt den Juden im Umgang mit Freudenmadchen: wie der Jude beim Schafer* 
stiindchen ertappt und aller Welt zum Spott nackt oder im Hemd auf die StraBe gesetzt wird. In den 
Dirnenkneipen buhlen die Dirnen am liisternsten um die Begehrlichkeit Salomons, weil er mit blanken 
Dukaten die ihm gewahrte Liebesgunst bezahlt. Der reiche Jude Levi vergniigt sich im chambre separee 
des Badhauses oder in seiner petite maison mit mehreren Christenmadchen zugleich (ein ahnliches Motiv 
zeigt in harmloser Form die Beilage neben S. 56) usw. 

Die literarische erotische Satire dieser Jahrhunderte bewegt sich in denselben Bahnen. Auch hier. 
dominieren in den erotischen Schwanken, satirischen Anekdoten usw. zuerst die biblischen Motive. Sehr 
bezeichnend ist in dieser Richtung die deutsche geistliche Komodie, der ..Agyptische Joseph" von dem 
Pastor Balthasar Voigt, die im Jahre 1619 erschienen ist. In dieser Komodie wird das Liebesbegehren der 
briinstigen Frau Poriphar mit dendenkbar deutlichsten Worten und Gebarden ausgedriickt. Sowie Joseph 
erscheint, packt sie ihn sofort am Mantel und ruft: „Sieh diese Brust und weifi Armeleiri! Ach driick 
dich an mich.'' Als aber Joseph sich loszureifien versucht, ruft sie: „Ach nein, ich will vor gar aufstehn 
Dafi du meinen ganzen Leib mogest sehen". Das ist aber noch eine zahme Stelle. Das fur jene Zeiten 
bezeichnende an dieser Komodie ist, dafi sie ausdriicklich fur die Schule geschrieben und vom Verfasser 
dem Biirgermeister und Rat von Halberstadt gewidmet ist. Fur die Auffiihrung war hinsichtlich der 
erotischen Deutlichkeit des Textes keine Einschrankung verlangt, nur bezuglich der Entblofiungen heiftt 
es in der Vorschrift fur die Auffiihrung: „Was von EntbloBung hier gesagt wird, soil nur gehort und 

Zucht halber doch nicht reprasentiert oder gesehen wer= 
den." Im Jahre 1666 erschien in Augsburg ein sogenannter 
..Frauenzimmerspiegel," in dem die jiidischen Frauen* 
gestalten der Bibel in zum Teil drastischen Versen satirisiert 
werden. Von Rahel z. B. heifit es: „Rahel war ein heid* 
nisch Weib, Ja ein solchs, das ihren Leib Um ein Huren* 
geld vermietet . . ." In einer ahnlichen Liedersammlung 
aus dem 18. Jahrhundert wird die Gestalt Saras folgen; 
dermaften verspottet: „Deiner Bruste Umfang ist Gar 
nichts zu vergleichen. Selbst die grofite Schweizerkuh 
Hat nicht halb soviel wie Du Darin aufzuweisen." 

Das Ausschweifendste, was die literarische Satire 
aller Zeiten wohl uberhaupt gegeniiber den Juden her? 
vorgebracht hat, sind zwei deutsche Romane aus den 
Jahren 1800 und 1801. ..Behemoth und Leviathan", vers 
faftt von einem gewissen Riem. In beiden handelt es sich 
um Satiren derbster Art auf den Talmud. Im Talmud 
gibt es bekanntlich lange Abhandlungen uber Abrahams 
Vorhaut, uber die BescharTenheit der Geschlechtsteile und 
die verschiedenen Arten der Ausiibung des Geschlechtss 
aktes. Diese talmudistische Erotik persiflierte der deutsche 
Schriftsteller Riem in. den beiden genannten Romanen. 
Die- genauen Titel lauten: , .Behemoth. Der Roman uber 



pavabet. 




Es ging ein Mann aus Syrerland 
Fiihrt ein Kamel am Halfterband 

296. Antisemitische Postkarte. Berlin 



294 




om ticfftcn Sdjntetjc gcbcugt, gcben bte Untetjetdmeten alien Detroanbtcn, 
^rcunben unb Sefannten bie etfdjuttetnbe TXadjtxd^t Don bcm fjinfcfyetben 
ifyres einjigen, inntgftgcliebten Sofynes, tefp. Datcrs, Hcffen, <Enfels ic. ic, 
bes fjettn £)erm 




tberaltsmus, 



tr>c(d)ct, Don d)tiftltd;*bcutfd)cn t£ltcrn im 3 a '? r,: \8%8 gcborcn (fpdtct fidi 
befdjnetben Iicjj, confefftonslos rourbc) unb nun nadj langem fotpctlidjen unb 
gciftigen Siedjitjum an tnnerer ^erfi^ung, (Rucftenmartlfcarte uub RranttBaften 
(TleuBtfoungen fanfl, abet Ijetjlos uetfdjicbcn tft. 

Die 2(ufbal;tung bes tljeuten £>orblid;cncn finbet mdljtenb bcr nddjften 
£an&fags< un& (RetcBerafBawaBfen ftall unb toitb nad) bcnfelben btc itbtfdjc 
J}ulle bes Detftotbenen com Stetbetjaufc: oftctt. (pavfamentegeBauie, I. ;Jtan= 
jensting \, abgeljoll unb auf ben polttifdjen ^ciebtjof (tft. 2lbtl;eil.) iibetfutjtl 
toetben, roofelbft bet unoctgef Itdje tEobtc tm eigenen <Stabe jut eictgen (RuBe 
beftattet toetben tottb. 

ID ten, tm Jtugufl (896. 

(Urn [tiSte tgtittii nivi geSeien! 

3\t JiB^frauBrniJcn 1§inlErbItEbKnEn: 



©r. JUfcr, ©r. 6EBogen 

als (natiirl.) Soljne. 

QUorij £c86»e 
•Baron jScBarf 
etiae §»eicBef 

als Befdjneibungspatlieii. 

©r. KronaioeKer 

als fjausfreunb. 

Ijane 'Kuiftcfi 
als (Dnfel (aus Zlmerifa). 



©ev tame TUrf uon QSten 

(f 1896) 

als (natiirl.) Dater. 

©te QJereintgfe JJinfte 

als Stiefmutter. 

©r. gmefj, Q3Dra6c^, (Tloefie 

als Sol;ne (aus 2. £l|e). 
©u€anfe aue ier JStcBfegafle 
©te beuffcBe forffcBrtMsparfei (prof.Qtlarcfief.lprof.lgenoeE 

als utiterfdjobenes Kinb. als £eidjenbitter. 



©te fbjtaflemeftraltrcfie 
(partei 

als Stf?n>tegertodjter. 

fflr. (Ttofgnagef 
fjausarjt. 

QjJerfBa von ^uffner 
emerit. (Seburisfraii. 



MnD fammtltdjc BtfrfE- unl> J9tB^iui>cn. 

3m Sevlog be§ £>. g. 58etg'3 „Sifetifi", bet urn 2 ft. pet SBtettetjuljr, SEiett, I. ©tiin= 
angetgaffe Dh\ 1 abonnttt roetben tottn. 



297. Satirische Traucranzeige der osterreichischen christlictusozialen Partei 



alle Romane. Oder Leben, Thaten und Meynungen des irrenden Ritter Orthodox" und ..Leviathan oder 
Rabbinen und Juden. Mehr als komischer Roman und doch Wahrheit. Voll der kurzweiligsten Er= 
zahlungen und doch Ernst." Als Erscheinungsort und Zeit ist bei dem zweiten angegeben: Jerusalem, 
im Jahre nach der kleinen Zeitrechnung 561. Der Christlichen 1801. Der Republikanischen 9. Aus 
diesen Titeln, die ich nur der Genauigkeit halber vollstandig anfiihre, ist von dem zynisch erotischen 
Charakter dieser beiden umfangreichen Satiren noch nichts zu erkennen. Aber hinreichend genug aus 
einigen Kapiteliiberschriften. Ich zitiere aus , .Behemoth" die folgenden: „Ein gestorter Coitus verschafft 
die ewige Priesterwurde." ..Offentlicher Beyschlaf eines Fursten und einer Prinzessiri;'* „Zadok und Abi== 
melech in derGarderobe von Salomos Matresse;" „Da es in Israel nichts zu thun giebt, so geht Orth'os' 
dox nach Jerusalem, wo er an die.Spitze der Huren* und Religionskommission gestellt wird." Aus dem 
noch zynischeren , .Leviathan" zitiere ich diese: „Die Sura: Abrahams Vorhaut." ..Zebedai" (Kapitel 
uber den mannlichen Geschlechtsteil), „Der Siindenfall," „Die Kinder Gottes und die Tochter der Men= 
schen;" „Praktische Regeln, auf dem Abtritt zu beobachten; wenn man seine Frau beschlaft, oder in 
seinem Hause allein ist." ..Unterschied zwischen einem b'eschnittenen Juden und Ismaeliten." „Das 
heimliche Gemach des Rabbi Jahoscha."' Die Titel versprechen durchwegs nicht mehr, als die betreffen* 
den Kapitel halten. Schlieftlich sei noch erwahnt, daft das 18. Jahrhundert unter seiner bekannten 
galanten Literatur auch mehrere satirischserotische Gedichte auf die Juden uber ahnliche Stoffe hervor* 
gebracht hat. — 

Alles was die Zeiten vor der Judenemanzipation an erotischer Satire auf die Juden hervorgebracht 
haben, wirkt, wenigstens hinsichtlich der Quant itat, unbedeutend im Vergleich zu den Bergen von Material, 
die das 19. Jahrhundert in diesem Genre dem Historiker bietet. Ich habe bereits eingangs erwahnt, daft 
das 19. Jahrhundert allein Hunderte von erotischen Witzen auf Kosten der Juden gemacht hat, und daft 
es dieser Zahl Tag fur Tag neue hinzufiigt. Aber zu "diesen Hunderten von Witzen kommen zahllose 
erotische Gedichte, Anekdoten, Erzahlungen und viele Hunderte erbtische Karikaturen. Da im 19. Jahr* 
hundert auf dem Gebiete der erotischen Satire die Gemeinheit sozusagen restlos siegte, so ist der uber* 
wiegende Teil direkt als Pornographie gekennzeichnet, die der ublichen und auch ublen Stammtisch; 
unterhaltung „nur fur Manner" diente. Die Gerechtigkeit verlangt jedoch zu konstatieren, daft einiges 
nicht nur uber dieses Niveau hinausreichte, sondern zum Teil sogar ins Gebiet der Satire groften 
Stils gehort. 

Das letztere gilt gleich von verschiedenen erotischen J udenkarikaturen, die der machtvolle Auftakt 
hervorbrachte, mit dem die biirgerliche Karikatur in Europa einsetzte. Diesen machtvollen Auftakt 
reprasentiert bekanntlich die moderne Karikatur, die mit Hogarth anhub, und in Newton, Cruikshanc, 
Gillray und Rowlandson ihre imponierendsten Gipf el erstieg. Von diesen Allen hat jeder Einzelne ~zahl= 
reiche erotische Karikaturen gemacht, denn dies entsprach vollkommen der robusten Stimmung, mit : der 
das Biirgertum in Europa die Herrschaft antrat; drei von ihnen haben auch erotische J udenkarikaturen 
gemacht. Es ist natiirlich harmlos, wenn Jsac Cruikshanc ^Salomon in seiner Glorie" so darstellt, wie 
dies die betreffende Beilage (nebenS.72) zeigt. Aber schon weniger harmlos sind die beiden beriihmten 
erotischen Kupfer „Before" und ..After" von Hogarth, die zwar keine direkt antijiidische Pointe haben, 
die aber nach einigen Kommentatoren in der mannlichen Figur den schon fruher genannten groften 
judischen Bankier Salomon darstellen sollen (s. meine Geschichte der erotischen Kunst Bild 245 und 246). 
Garnicht harmlos, sondern im Gegenteil von hochstergrotesker Phantasie und Kuhnheit, darum aber auch 
durchaus gerechtfertigt — weil genialer Geist auch uberschaumende Kuhnheit rechtfertigt — ist die 1787 
erschienene Karikatur „Moses errichtet die erzene Schlange in der Wuste" (Bild 63). Das ist Rabelais 
ins Englische ubertragen. Diese geistreiche symbolische Karikatur, die keinen direkt antijiidischen Cha* 
raktei tragt, sondern einfach das freie ausgelassene Spiel einer grotesken Phantasie darstellt, ist zwar 
anonym erschienen (der Urheber scheint James Gillray zu sein), aber sie kam ganz offen in einem an* 
gesehenen Karikaturenverlag heraus, der das Blatt ungeniert in seinen Schaukasten zum Verkauf stellte. 
Nicht von derselben grotesken Phantasie eingegeben, aber von einem bezwingenden Humor, der eben? 
falls die Kuhnheit rechtfertigt, ist die sehr eindeutige Parodie ..Moses in den Binsen". (Beilage neben 
S. 80) Auch in diesem Blatt handelt es sich um keine Karikatur mit antijiidischer Tendenz, sondern 

296 




fcETTET- 6STE kfcE I CH \ 



Osterrekhischts antiscmitisches Wahlplakat. 1920. Von Berad Steiner 



Bdkge n Edaard Facbt, .Die Jndea in 6a Kirikibu* 



ABwri 




298. Ungarisches antibolschewistisches Plakat von Manno Miltiades. 1919 



ebenfalls um ein freies Spiel ausgelassener parodistischer Laune, fiir die das gegebene Motiv nur den 
giinstigen Ankniipfungspunkt fiir eine das Lachen entfesselnde Kontrastwirkung bietet. Dieses 1799 ers 
schienene Blatt ist nicht nur ebenfalls offentlich bei einem der grofiten englischen Karikaturenverleger, 
W. Holland, herausgekommen, sondern obendrein auch von seinem Urheber gezeichnet, es ist dies G. M. 
Woodwood, einer der angesehensten englischen Karikaturisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die 
Tatsache, dafi derartige Karikaturen, — und Karikaturen dieser Art sind, wie gesagt in der englischen 
Karikatur jener Epoche keine Seltenheit, sondern geradezu an der Tagesordnung — offentlich erschienen 
und nachgewiesenermafien aller Welt offentlich zur Schau standen, ist fiir die richtige Beurteilung der 
damaligen Anschauungen in England uber den BegvifE der offentlichen Sittlichkeit von ausschlaggebender 
Bedeutung. Es sind Kulturdokumente ersten Ranges. Diese Karikaturen dokumentieren eine vollige Frei* 
heit der Anschauungen in sexuellen Dingen fiir die Friihzeit des modernen biirgerlichen Staates. Aus 
derselben Verfassung des offentlichen Geistes in England sind auch die zahlreichen, in die Hundert 
gehenden direkt erotischen Karikaturen von Thomas Rowlandson entstanden, unter denen esauch mehrere 
gibt, die an die Juden ankniipfen. Ich nenne von diesen erotischen Judenkarikaturen Rowlandsons 
(nach den vor 15 Jahren in Wien veranstalteten Neudrucken) „Die liisternen Alten," eine Art Parodie 
auf Susanne und die beiden Greise; ,,Die Neugierigen," wo Christen und Juden als gleich ausschweifend 
in ihrer erotischen Neugier gekennzeichnet sind, und „Der Jude, w wo die Liebesbrunst eines gierigen 
alten Juden von einem ihn besuchenden schonen Christenmadchen gestillt wird. In dieser letzteren Art 
hat Rowlandson noch mehrere Karikaturen auf die Juden gezeichnet. In alien diesen erotischen Blattern 
Rowlandsons dominiert so sehr die robuste Freude an der Erotik, die stets die letzte Schranke ubers 
springt, dafi man auch in diesem Falle niemals von einer eigentlichen antijiidischen Tendenz sprechen 
kann. Die Rowlandsonschen Blatter sind zwar nicht offiziell offentlich erschienen, denn es handelte sich 
in alien um die unverhiillte Darstellu'ng des Geschlechtsverkehrs und der Geschlechtsanbetung und um 

Fucbs. Die Juden in der Karikatur 38 

297 




299. Ungarisches antibolschewistisches Plakat von Minno Miltiadcs. 1919 

die stirkste Pointierung des Erotischeo, aber sie waren allgemein im Handel und wurden ungestdrt von 
den Buchhandlern vcitrieben- 

Zu diesem kiihoeo Auftakt der biirgerlichen Karikatur gibt es our in der politischen Karikatur des 
Frankreichs der 30er Jabre, rcprasentiert vor allem durch Daumier. ein ebenbiirtiges Seitenstiick. Die 
Begriffe der offentlichen Sittlichkeit waren dagegen infolge der veranderten Zustande und Voraussctzungen 
andere geworden, und so war die erotische Karikatur in ihren spateren Zwecken und Absichten iiberall 
zumeist Phaakenvergniigen. Nichts anderem dienten z. B. die zwei oder drei Berliner erotischen Karika« 
turen, in denen die angeblich besonders freien Sitten karikaturistisch dargestellt wurden. die nach der 
Meinung der Spiefier in dem Salon der Jiidin Rahe) geherrscht haben sollen. Die charakteristischsten 
und zahlreichsten Beispiele fur die Erotik im Dienste der Spiefier und Phaaken sind jedoch die zahl= 
reichen erotischen Scherze auf Schnuprtabaksdosen, Pfeifcnkdpfen, in Bierkriigen usw. Da dies in den 
weitesten Kreisen des Bierphilistettums ein allbcliebles Erheiterungsmitlel war, so hat sich in diesen 
Formen auch der antijiidische Witz auf Schritt und Tiitt fast ein ganzes Jahrhundeit lang breit gemacht, 
— genau solange, als der Spicftbiirger die Dominante im offentlichen Leben der verschiedenen Lander 
bildete. Auf den Stammkriigen, deren sich die biederen Spiefier bei ihrem Abendschoppen in ihren 
Stammkneipen bedienten, bestand der beliebteste erotische Scherz darin, dafi die betreiiende Darstellung 
sich nicht au6en am Kruge, sondern innen auf dessen Grund angebracht war, so dafi das Bild immer 
erst sichtbar wurde, wenn der Krug leergetrunken war. In einer Stuttgarlcr Kneipe, in der ich Aufang 
der neunziger Jahre hin und wieder verkehrte, batten zwei ehrbare „schduegerder" Handwerksmeister 
zwei solche Kriige als Stammkriige. Auf dem Boden des einen war eine erotische Karikatur angebracht, 
unter der zur Verdeutlichung zu lesen war: „Die Judenhochzeit," auf dem Boden des anderen befand 
sich eine gleichartige Karikatur „Der Schabbesbraten." Der erste' der beiden Handwerksmeister wurde 



298 



vom Wirt stets mit Hannes angeredet. Wenn er nun fragte: „Was ischt Hannes, willscht au no en 
Schoppe?" so Uutete die Antwort regelmaBig cntweder: „Noi, i sieh mei Judehochzet no net." oder: 
„Komm Jakob (so hieB der Wirt), bring mer no en Schoppe, i sieh jetzt mei Judehochzet.*' In dicser 
Weise amiisierte man sieh jahrelang tagaus tagein. 

Eine ahnliche „scherzhafte" Form dicser Art war die Anbringung von Judenkarikaturen auf dem 
Grunde von — Nachtgeschirren. Auf dem Grunde von Nachtgeschirren obszone Darstellungen anzu< 
bringen, ist ein sehr alter Witz. dem man besonders oft im 18. Jahrhundert in England begegnetc. Der 
Witt bestand meistens darin, daB ein Manner, oder Fraucngesicht dargestellt war, mit liistetn auf> 
geristcnen Augen, und darunter stand — deutsch. englisch oder franzosisch — : „Wcnn du wiiBteit, was 
ich sehel" Je nachdem war die Darstellung noch auGcrdem erotisch oder obszSn pointieit. In einer 
deutschen Favencesammlung wurden mir zwei derartig ..innendekorieite" Nachtgeschirre gezcigt. in denen 
die Juden in crotisch^obszoner Weise lacherlich gemacht wurden. Auf dem e'inen sieht man einen Juden, 
iiber den sieh der Inhalt eires Nachttopfes ergieBt, und darunter steht: „Das, Jud, ist f iir dich;" auf dem 
andern sieht man eine stark entbloBte junge Jiidin und darunter steht: „Was ich sch', das brauch' ich 
jeden Tag." 

Am haufigsten begegnete man friiher jedoch derartigen erotischen Judenkarikaturen auf Pfeifenkopfen 
und auf Schnupf tabaksdosen. Die Motive sind naheliegend und die iiblichen: .Der ertappte Jude," der vom 
heimkehrenden Bauer mit der Bauerin iiberrascht wird, und den der Bauer nun aus dem Bett priigelt; 
„Der betrogene Isaac," der den jiidischen Nachbar bei seiner Ehehalfte iiberrascht, und die den ver« 
dutzten Gatten trostet, ..der Jakob ist doch einer von unsere Lcut'!". oder „Das verliebte Scliickselche, 
das der Welt den Messias schenken mochte." Bei der blofien Karikierung eines mannlichen jiidischen 
Gesichtes bestand eine mannigfach verwens 
dete erotische Po'inte darin, daB die grofie 
Judennase als riesiger Phallus gefoimt war. 
In ahnlicher Weise wurden auch die Schnupf: 
tabaksdosen geschmiickt. Ich gebe in Bild 
89 ein Beispiel einer durch eine deraitige 
Judenkarikatur ..verschonten" Schnupftabaks> 
dose. 

Eine andere groteske Form, deren sieh 
der erotische Witz zum Tagesgebrauch des 
SpieBers bediente, ist ..Die jiidin als StiefeU 
zieher." Es handelt sieh dabei um die be= 
kannte. seit altersher iibliche Form des 
Stiefelziehers, der friiher, solange die Man= 
ner noch meistens Rohr* oder spater Zug» 
stiefel trugen, unter jedem Bett stand. Die- 
sem n'icht nur aus Holz gefertigten, son< 
dem haufig auch aus Eisen gegossenen Stie< 
felzieher begegnet man hin und wieder auch 
in der Form einer auf dem Riicken liegens 
den, die Beine spreizenden Frau; zwischen 
die Beine klemmte man den FuB, um sieh 
so des Stiefels zu entledigen. Ich fand 
einen solchen Stiefelzieher, der insofem 
eine plastische antijiidische Karikarur dar> 
stellte, als die weibliche Figur eine junge. 
sehr liistem aussehende Jiidin darstellte, und 
als auf ibrem entbloBten Bauch die Worte 
standen: „Ich diene Jud' und Christ." 




Ungarisches antibolschewtstisches Plakat 

38» 



299 



Zu den plastischen erotischen Karikaturen des 19. Jahrhunderts auf die Juden gehoren auch 
mehrere franzosische und deutsche Spottmiinzen. In relativ kiiristlerischer Form zeigt ein Tranzosischer 
Zinkgufi in FUnffrankengrofie auf der einen Seite ein auf einem Bette liegendes, halb entkleidetes, hiibsches 
Judenmadchen, auf der anderen Seite einen Judenjiingling, die sich beide selbst befriedigen. Eine zweite 
franzosische Spottmunze, ctwas handwerksmafiiger in der Ausfiihrung, die anscheinend in die Kategorie 
der sogenannten Bordellmunzen gehort, zeigt auf der einen Seite eine schone Jiidin in einer sehr 
pornographischen Stellung, auf der anderen Seite steht die genaue Adresse: Mademoiselle Sarah, Rue X. 
An deutschen erotischen Spottmiinzen auf die Juden wurden mir ebenfalls zwei Stuck bekannt. Auf der 
einen sieht man ein jiidisches Liebespaar beim Geschlechtsakt; die Ruckseite tragt einen entsprechenden 
zynischen Vers als Inschrift, dessen erste Halfte lautet: „Veilchenduft uns sehr entziickt . . ." Auf der 
zweiten sieht man zwei Liebespaare beim zartlichsten Liebesspiel, das eine Mai einen Juden mit einer 
Christin, das andere Mai einen Christen mit einer Jiidin. Der jeweils im Umkreis angebrachte gereimte 
Text erlautert in entsprechend zynischer Weise, um was es sich handelt Bei dem Bild, das den 1 Juden 
in den Armen einer Christin zeigt, heifit es: „Der Jude liebt die Christengans;*' die textliche Porno* 
graphie besteht in einem darauf passenden Reim. Derartige erotische Spottmiinzen auf die Juden soil 
es noch mehrere geben. 

Erotische Karikaturen auf die Juden von ausgesprochen antisemitischer Tendenz, die man wenigstens 
bis zu einem gewissen Grade als gesellschaftliche Satiren ansprechen kann. gibt es sowohl in Frankreich 
als in Deutschland eine ganze Reihe. Die Leibesknechtschaft der weiblichen Theatermitglieder spielt 
dabei ein besonders oft wiederkehrendes Motiv. Eine franzosische Karikatur aus den 90er Jahren zeigt 
eine junge Theaterdebiitantin im Privatkontor des Direktors einer Theateragentur. Als Beweis, dafi sie 
eine gute Theaterfigur zu machen versteht, hat sie in pikanter Stellung auf der Chaiselongue Platz ge« 
nommen und ihre Rocke bis zu den Knien emporgerafft. Dem Theatergewaltigen geniigt dies aber noch 
lange nicht Er erklart: Plus haut . . . beaucoup plus haut! Noch viel weiter sind die Feststellungen 
bereits gediehen, die ein jiidischer Theaterdirektor bei einer ihn in seinem Privatkabinett besuchenden 
Soubrette macht. Eine andere franzosische Karikatur, aus der Zeit des Dreyfusprozesses, zeigt eine schone 
reiche Jiidin, die einen jungen Husarenleutnant in ihrem Boudoir empfangt und durch ihre sehr negative 
Bekleidung und noch deutlicher durch ihr Benehmen dem militarischen Besucher keine Zweifel dariiber 
lafit, wie sie die Dienste der Armee zu lohnen gedenkt. Wieder eine andere J udenkarikatur, aus der Zeit 
des Panamaskandals, satirisiert den bekannten judischen Parlamentarier Herz, wie er der jungen Frau eines 
Deputierten fur ihre eben bewiesene Liebesgefalligkeit einen Scheck uber zehntausend Franken ausstellt. 
Aus dieser Zeit stammt auch die geistreiche Karikatur des bekannten franzosischen Karikaturisten A. Griin 
(siehe Beilage neben S. 224). An deutschen erotischen Karikaturen ahnlicher Art ist in den neu nziger Jahren 
eine ganze Kollektion erschienen, die sich aus zwolf Blattern zusammensetzt. Die Titel der wichtigsten 
sind: ..Schabbesfreuden," „Isidor in der Sommerfrische," „Die jiidische Bordellmutter," „In Cohns Private 
kontor," „Der jiidische Schwitzmeister,'' „Der jiidische Schmock," „Der Jude als Frauenarzt, : ' ,,Im Sana* 
torium," „Die Ballettprobe." „Die Ballettprobe" zeigt einen judischen Inspizienten, dem sich das ganze 
Ballett der Reihe nach nackt vorstellen mufi. Die Balletteusen wissen natiirlich, worauf sich die Inspek* 
tion beziehen wird und treffen daher bereits im Vorzimmer die notigen Vorbereitungen. „Der jiidische 
Schmock ; ' zeigt, „wie sich Schmock Veiteles eine gute Theaterkritik von einer schpnen Schauspielerin 
honorieren lafit," namlich durch ihre handgreiflichen Liebkosungen. „Der Jude als Frauenarzt" zeigt einen 
judischen Arzt, der seine Begierden an einer narkotisierten Patientin betatigt. „In Cohns Privatkontor" 
empfangt der Chef der Firma Cohn eine junge Dame, die sich als Buchhalterin bewirbt; ob sie sich fiir 
diesen Posten wirklich eignet, kann er aber erst entscheiden, wenn er noch mehr als den Inhalt ihrer Bluse 
kennen gelernt hat. Usw. usw. Solche Karikaturen waren zweifellos fur viele Falle zutreffende Satiren, 
aber bei alien diesen Blattern war den Urhebern nicht die Satire die Hauptsache, sondern die rein porno* 
graphische Form der Darstellung. 

Auch im 19. Jahrhundert wurden die bekannten biblischen Motive mannigfach zu direkt erotischen 
Karikaturen auf die Juden ausgedehnt. In rein pornographischer Wdse geschah dies in einer franzosi* 
schen Lithographiensefie der 50er Jahre und in einer ahnlichen deutschen Nachahmung aus den 70ei 

300 



Deutoche<$ Volk! 

Wills! du die^cm 
Scfyleksal enfrinnen, 




50 wafyle 

naiional- 
demokratod?! 



Ml. Antisemitisches Wahlplakat von Max Liebenwein. 1919 



jahren unter dem Titel ..Leipziger Mefifreuden." Andererseits boten diese Motive aber auch mehrfach 
grofien Kiinstlern den Anreiz zu jiidisch betonten galanten Darstellungen. Ich nenne hier nur zwei Bei* 
spiele aus der Geschichte der groften Kunst. Es ist dies das beriihmte Gemalde Bocklins „Susanna und 
die beiden Greise," das ausgesprochen jiidisch pointiert ist und in der Susanna eine direkte Karikatur 
auf eine ganz bestimmte Dame der Gesellschaft sein sollte (siehe Beilage neben S., 176), und zweitens 
die ausgezeichnete Radierung von Messek „Joseph und die Potiphar" (siehe Beilage neben S. 256). Nie* 
mand wird bestreiten konnen, daB es sich auch in dieser amusanten Radierung viel mehr um eine satis 
rische Betonung des jiidischen Typs handelt, als um eine kiinstlerische Demonstration allgemeiner weib= 
licher Sinnengier, wie Rembrandt dieses Thema in seiner schon erwahnten bertihmten gleichnamigen 
Radierung behandelt hat. Im Pariser ..Salon des Humoristes" des Jahres 1913 war von. dem Maler 
J. Kuhn^Regnier eine ganze Kollektion Aquarelle ausgestellt, die in galant betonter Weise die samtlichen 
biblischen Legenden dieser Art in der Form von Judenkarikaturen vorfiihrten. Diese in zahlreichen 
Photographien verbreiteten Aquarelle sind jedoch. in keiner Richtung aggressiv, sondern nur humoristisch 
gedacht. Ein Oberlander hatte dies freilich besser und auch geistreicher gemacht. Ich gebe hier einige 
als Proben: ..Salomon und die Konigin von Saba," „Simson und Delila," „Die keusche Susanne" und 
„Ein Fest in den hangenden Garten der Semiramis" (Bild 251—254). Hier sind auch die galanten Juden* 
karikaturen der Grafin Martell zu erwahnen, die kiinstlerisch nicht nur auf einer viel hoheren Stufe 
stehen, als die im Grunde blutlosen Aquarelle Kuhn=Regniers, sondern die wirklich kiinstlerisch hervor* 
ragende Leistungen bedeuten (Bild 260). Ebenso ist hier John Jack Vrieslanders ( ,Salbme" zu erwahnen 
(Bild 261). der von dem genialen Beardsley (Bild 256 und 257) leider nur das Schema abgeguckt hat. 
Zum SchluB nenne ich Daniel Greiners kraftig derben Holzschnitt „Im Privatkontor" (Bild 262). 

.In der erotischen literarischen Satire des 19. Jahrhunderts gibt es keine Erotik grofien Stils, wie ihn 
z. B. die englische Karikatur in den Jugendtagen des biirgerlichen Staates produzierte. Ich bin wenigstens 
nicht einem einzigen Dokument dieser Art begegnet. Die oben (S. 280) erwahnte antisemitische Literatur 
der 30er Jahre, „Das Schabbesgartle" und ahnliches, verhohnt in mitunter sehr witziger Weise Dinge, 
wie die Erwartung des Messias durch die Juden, oder die Untreue der Judenweiber usw. Aber die 
erotischen Keckheiten dieser vielbelachten satirischen Erzahlungen sind von Satiren grofien Stils sehr weit 
entfernt. Auch die kiinstlerisch gestaltete literarische Satire erotischen Charakters auf die Juden ist mir 
nirgends begegnet. Um so mehr aber die reine Pornographic Die Pornographie iiberwiegt in der 
literarischen Judensatire des 19. Jahrhunderts unbedingt noch mehr als in der graphischen Karikatur. 
Unter den Hunderten erotischen Judenwitzen ist der grofiere Teil ausgesprochen pornographisch. Das* 
selbe gilt auch von unzahligen antijiidischen Spottversen, Schiittelreimen, Anekdoteh, Wortspielen, 
Ratselfragen, Varianten zur „Wirtin an der Lahn" usw, die in bunter Menge, teils gedruckt, teils hand? 
schriftlich, zumeist aber mundlich kursieren. 

Ich wiederhole womit ich dieses Kapitel eingeleitet habe: der uber? 
wiegende Teil der erotischen Judensatiren aller Zeiten, vornehmlich aber 
der des 19. Jahrhunderts, verfolgt einen erotischen Selbstzweck, und dieser 
Selbstzweck ist der Kultus der jedes feinere Gefuhl verletzenden Zote. 
Gegenuber diesem Selbstzweck tritt der eigentliche antisemitische Kampk 
charakter sehr stark zuruck. Es ist gewissermafien die Form, in der sich der 
personliche Antisemitismus entladet. Angesichts dieser Tatsache gehoren 
diese peinlichen Produkte der erotisch irritierten Phantasie zu jenen Doku* 
menten, die besonders deutlich die schmutzigen Niederungen erweisen, 
durch die der Philistergeist der Zeiten, der immer nur die engsten Horizonte 
des Daseins kennt, mit immer gleichem Behagen hindurchstapft. 

302 




102. Antisemitisches Wahlplakat zur Reichstagswahl. 1920 



XI 

Die judische Selbstironie 

Die Satireauf die Juden hat einen Hauptmitarbeiter, der in einem Buche, 
wie dem vorliegenden, nicht ungenannt bleiben darf, — die Juden selbst. 
Dieser Mitarbeiter zeichnet sich dadurch aus, dafi aus seinem Geiste unbe* 
dingt ein iiberaus grofier Teil dessen, und ein Teil des allerbesten, hervor* 
ging, wodurch das Judentum im Laufe der Zeiten und in den verschieden* 

303 



sten Landern satirisch glossiert wurde. In einem kurzen Satz zusammens 
gefafit: die besten Witze auf die Juden stammen zumeist von Juden. 

Der Antisemitismus hat fur diese altbekannte Erscheinung eine sehr 
einfache Erklarung. Er leitet sie aus der angeblich inneren Haltlosigkeit dc 
Juden her, ihrer Oberflachlichkeit im Fiihlen, und vor allem aus ihrer bf 
sonderen Charakterlosigkeit, der rein gar nichts heilig sei, — aus diesen 
Grunden schreckten sie nicht davor zuriick, sich auf das zynischste vor 
aller Welt iiber sich selbst lustig zu machen, ahnlich wie eine Strafiendirne, 
die sich ebenfalls vor aller Welt schamlos entblofie. So einfach liegen die 
Dinge nun freilich nicht. Die Selbstironie der Juden, die sich in Tausenden 
von erstaunlichen Beweisen spiegelt, und die in Heinrich Heine ihren klass 
sischsten Vertreter gefunden hat, hat wesentlich tief ere Ursachen. Treitschke 
schreibt iiber „die sonderbare, judische Unart der Selbstverhohnung" an 
einer Stelle: „Dies Volk ohne Staat, das weithin durch die Welt zerstreut, 
Sprache und Sitten anderer Volker annahm, ohne doch sich selber aufzus 
geben, lebte in einem ewigen Widerspruche, der, je nachdem man sich stellte, 
bald tragisch, bald komisch erschien. Dem behenden judischen Witze konnte 
die Lacherlichkeit des Kontrastes morgenlandischer Natur und abendlan* 
discher Form nicht entgehen. Seit langem waren die europaischen Jude 
deshalb gewohnt, sich selber mit der aufiersten Rucksichtslosigkeit zu ve. 
spotten." Dieses so haufignachgeplapperte Zitat bleibt, wie es bei Treitschke 
dem die tieferen Zusammenhange der Dinge niemals aufgingen, auch nicht 
zu verwundern ist, durchaus an der Oberflache. Es ist vielmehr eine Kon* 
statierung der vorhandenen Tatsache als eine Erschliefiung der Urquellen, 
aus denen die judische Selbstironie zwangslaufig fliefit. Fritz Engel drin^ 1 : 
in seinem Buch iiber die deutsche Stilkunst schon wesentlich tiefer ein, ins 
dem.er sagt: „Der Witz ist eine gute Waffe, aber doch mehr eine des 
Schwachen als des Starken, mehr des Gedruckten als des Herrschenden. 
Daher jenes Oberwuchern des Witzes bei den Juden . . . die Juden schliffen 
sich die feine Waffe des Witzes erst, nachdem ihnen die grobere der staats 
lichen Macht entwunden war." Aber auch damitistdas Entscheidende noch 
nicht ganzlich gesagt, weil die judische Selbstironie, die sich in der Form 
des Witzes betatigt, fast gar nicht dem Kampfe gegen die Judengegner dient, 
sondern viel haufiger den Verzicht auf einen Kampf darstellt. Nach meiner 
Meinung offenbart sich in der judischen Selbstironie die Resignation dessen, 

304 




fflattftes &€ftost Merlag (kipjio 



der nicht kampfen will. Die judische Selbstironie ist als jene Form der 
Selbstbefreiung anzusehen , durch die sich der Jude yon dem lastenden 
Druck des gesellschaftlichen Erniedrigtseins immer von neuem erlost. Der 
Jude geht auf diese Weise dem Kampfe aus dem Wege, er entwaffnet den 
Gegner, indem er diesen in geistreicher Weise iibertrumpft, und viel schlagen* 
der, als dieser es vermag, beweist: „Ja, ja, du hast schon recht." Es gibt be* . 
kanntlich keine feinere und auch keine bessere Form des Eigenschutzes, so* 
fern man iiber keine Keule verfugt, mit der man dem Gegner zur gegebenen 
Zeit den Schadel einschlagen kann, und insofern diese letztere Methode 
dem Wesen des betreffenden Unterdruckten widerspricht. Und beides ist 
bei den Juden der Fall. Sie haben seit Jahrtausenden nirgends eine staat* 
liche Gewalt in den Handen, und ihrem ihnen ebenfalls bereits vor Jahr* 
tausenden angezuchteten Intellektualismus entspricht auch nicht die massive 
Beweisfuhrung mit dem Dreschflegel. Dazu gesellte sich die Beweglichkeit 
ihres Geistes, die sie zu virtuosen Wort* und Gedankenspielern formlich 
pradestinierte. Unter diesen Voraussetzungen muBte sich bei den juden 
in den vielen Jahrhunderten ihres standigen Erniedrigtseins die Fahigkeit 
und die Lust zur Selbstironisierung — wie das Mimikri eines von beson* 
ders viel Feinden umgebenen schwachen Tieres — formlich zu einer spezi* 
fisch judischen Geisteseigenschaft entwickeln. 

Aber noch ein weiterer Gesichtspunkt mu6 hier erwahnt werden. Wenn 
sich in der Selbstironie sehr haufig auch die Resignation gegenuber dem 
aktiven Kampf ausdruckt, so ist sie darum dpch nicht ohne weiteres ein 
Beweis der Schwache, sondern sehr oft einer des Gegenteils. Die Fahigkeit 
und die Lust, iiber sich selbst Witze zu machen, mit eigenem Munde seine 
Schwachen vor der Welt zu enthullen, ist ebensosehr AusfluB von be* 
grundetem Selbstgefuhl. Der Jude will auf diese Weise seine geistige Ober* 
legenheit an den Tag bringen. Der Jude ist namlich auch der geborene 
Schauspieler. Der Schauspieler lechzt nach Beifall. Wie die Zuhorer iiber 
ihn und seinen Esprit urteilen, das ist ihm die Hauptsache. So ist auch der 
Jude. Der Beifall ist vielen das unentbehrliche Lebenselixir. Daher kommt 
es'auch, dafi der judische Witz vornehmlich in Wortspielen sich bewegt; 
„er spielt buchstablich mit den Worten, wie ein geschickter Akrobat mit 
MessernundSchwertern, damitman staune, bewundere und ihm zujauchze." 
Um nur einen einzigen derartigen Wortwitz zu zitieren, nenne ich diesen: 

306 



„Was istfiir ein Unterschied zwischen Napoleon I. und Amsel Rothschild? 
Napoleon hatte ein tatenreiches Leben hinter sich, Rothschild ein reiches 
Tatteleben." Dieser Witz ist in seiner Ironie gewifi harmlos, aber in seiner 
Losung geradezu uberwaltigend. DaB man den Urheber bewundere, das 
will in einem gewissen Mafie auch die Selbstironie erreichen. 

Naturlich ist mit all diesem die judische Selbstironie, diese bedeuts 
same geistige Wesenheif der Juden, die sich in ahnlicher Weise sonst bei 
keinem anderenVolkefindet, nochlangenicht restlos entschleiert. Mancher 
wichtige Gesichtspunkt kommt hierbei noch in Frage, wohl aber diirften 
damit einige ihrer wichtigsten und tiefsten Wurzeln aufgedeckt sein. . . . 

Es ist eine unausschaltbare Folgerichtigkeit, dafi die judische Selbsts 
ironie durch ein allgemeines Verstandnis fur judische Witze auf judischer 
Seite erganzt wird. Ein guter Witz auf Kosten der Juden hat nicht nur 
besonders oft einen Juden zum Urheber, sondern er hat tatsachlich kein 
dankbareres Publikum als die Juden selbst. Ein feines Wort iiber das, was 
ein guter judischer Witz sei, druckt dies sehr geistreich aus: „Das Kenns 
zeichen eines guten judischen Witzes ist, dafi ihn jeder Jude bereits kennt 
und ein Goj nicht versteht." Auch der allgemeine Beifall, den selbst direkt 
antisemitische Witze, sofern sie gut sind, bei 
alien geistig regsamen Juden finden, und der 
damit nicht erklart ist, das man sagt: „die 
Juden sind naturgemafi die besten Sachkenner, 
sie kennen besser als alle anderen ihre Feh« 
ler," ist ebenfalls kein Zeichen von Schwache, 
sondern auch viel eher das eines nicht ins 
Wanken zu bringenden Selbstbewufitseins. 



Unter solchen Ums.tanden ist es scheinbar um so erstaun- 
licher, dafi die von Juden und fur Juden herausgegebenen Witzs 
blatter — in DeutschLind z, B. „der Schlemiehl," (Bild 4 u. 
270) — hinsichtlich ihrer geistigcn und kiinstlerischen Qualitat 
durchwegs sehr diirftig sind, und immer schon nach kurzem 
Bestand wieder eingtngen. Angesichts der iiberragenden Potenz 
der Juden im Ironischen mufite man doch eigentlich das Gegen= 
teil annehmen. Aber das ist nur auf den ersten Blick erstaun^ 
lich. Dieses Manko hat eine absolut ausreichende Erklarung. 
Ein gutes Witzblatt setzt eine, wenigstens bis zu einem ge? 
wissen Grade, einheitliche Leserwelt voraus. Das Judentum, das 
als Leserkreis fur ein jiidisches Witzblatt naturlich in erster Linie 



DatBltm* Bill 



8APB1SL TUO 



Ces Bons||| 

juiisi m 




30t. X.;msch lag seite 
eines franzosischen antisemitischen 
Pamphlets 
39* 



307 






THEATER AM ZOO 




Reklameplakat fur das Theater am Zoo, Berlin 

305 Von Julius Kliogtr 



in Betracht Icamc, stellt aber heute in seiner Masse so wenig wie das Christentum etwas Einheitkches 
dar. Es scheidet sich genau wie dieses in jedem einzelnen land streng und weit nach Standen und Klassen. 
Darum aber deckt sich der arme Jude mit seinen Gefiihlen gar nicht mit dem reichen Juden, sondem 
■nit dem armen Christen. Genau so ist es beim reichen Juden, dessen Hauptgcfiihle sich mit denen des 
reichen Christen decken. Mit anderen Woiten: der arme und der reiche Jude haben beide ihre eigenen, 
also ihre getrennten Gertihlswelten. Dazu kommt, daB die auf die Juden ausgedehnte Deklassi'erung 
zwar den armen Juden noch vielfach fast zum Paria stempelt, wahrend sie den reichen Juden ganzlich 
unberiihrt laBt. Ein Beispiel: Der sozialdemokratische Polizeiprasident von Berlin Schick t den ihm lastigcn 
armen Juden aus der GrenadierstraBe im Polizeiwagen nach Zossen ins Konzentrationslager; der sozul- 
demokratische Reichsprasident schickt den ihm genehmen reichen Juden Rathenau aus dem Berliner 
Westen im Salonwagen nach Wiesbaden zur Schachermachei mit dem christlichen Juden lx>uchcur. 

Gegeniiber solchen tiefen Dissonanzcn, auf die ich schon im drilten Kapitcl hingewiesen habe, 
schiumpft die alien Juden gemeinsame Gefuhlswelt auf ein derart engbegrenztes Gebiet zusammen, dal? 
dieses nicht ausreicht, derart starke und derart viele humoristischssatirische Resonanzen zu erwecken, um 
damit die gesamte Judenschaft dauernd und nicht bloB voriibergehend zu fcxcln. Und das ist die uner- 
laBliche Voraussetzung fiir ein Witzblatt. wenn man es auf eine literarische und illustrative Hohe heben 
will, die den modernen Anspriichen geniigt. — 

Die bekanntesten Beispiele der literarischen Selbstironie sind die iiidischen Possen, denen man 
jahrzehntelang auf den venchiedenen jiidischen Theatern von Neuyork, Wien, Budapest, Berlin (H<rrn> 
feld'Theater) und anderen Orten begegnete. Aber dies sind durchweg sehr grobe Beispiele. Sie ver> 

308 




Reklameplakat fur das Theater am Zoo, Berlin 

306* Von Julius Kb'ngrr (uovnoffcntlicht gcblicbca) 

folgtcn zumeist nur den Zweck der Geldmacherei mil plumpen Mitteln. t-'einerc Beispide dieser Art 
sind die Werke eines Peretz, eines David Pinski und eines Schalom Asch. bei denen sich immer mit dem 
tragischen Ernst cine ironische Selbstbespiegelung mischt. Von modernen satirischen Romanen und Er» 
zahlungen, die fur die Lust der Juden an der Selbstiromsicrung bezeichnend s'utd. nenne ich neben den 
feinen Erzahlungen dcs Schalom Asch das robuste Buch ..Tohuwabohu. Milieuschilderungen aus dem 
Judentum" von Sami Gronemann. Das feinste und reichste an jiidischer Selbstironie Kndet sich jedoch 
in den zahllosen Judenwitzen, von denen eine Reihe der allerbesten Alexander Moszkowski zusammen> 
gestellt hat; noch viel mehr enthalt ..Das Buch der jiidischen Witze," von M. Nuel herausgegeben. Aus 
dieser Sammlung zitiere ich einen einzigen. der deutlich erhellt. daft der sich selbst ironuierende Juden> 
witz nicht nur im Wortwitz, in Wortspielen besteht, sondcm daB dessen starke Wirkungen vornehmlich auf 
der jahen und drolligen Enthiillung der jiidischen Menschenseele beruhen. wie Nuel in seinem Vorwort 
sehr richtig sagt: „Der Sohn eines beriihmten deutschen Juristen. der — ein getaufter Jude — eine der 
hochsten richterlichen Stellen bekleidct hatte und in den Adelsstand erhoben worden war. verlobte sich 
mit der Tochtcr eines Bankiers, der ebenlalls einer — wenn auch auf anderem Gebiete — beriihmten 
jiidischen Familie entstammte. Auch er, der Papa der jungen Braut, war christlich geboren, dens schon 
sein Vater hatte sicb taufen bssen. Die Brautmutkr ist besonders begliickt iibcr das Ereignis. und sie 
sagt zu dem Brautigam: „WeiBt du, so einen Schwiegersohn. wie du bist, gerade so einen habc ich 
mir immer gcwiinscht . . ." ,.Und wie sollte der sein?" firagt er lachelnd. „WeiBt du . . . so einen 
netten christlichen jungen Mann aus einer bekoweten jiidischen Familie . . ." (bekowet 
= ehrenwert). 



309 



Dafi die moderne zeichnerische Satire unter den jiidischen Ktinstlern ganz hervorragende Talente 
zahlt, beweisen schon die beiden Namen: Th. Th. Heine und Pascin. Von diesen beiden aber hat der erste 
meines Wissens nur vereinzelte Karikaturen auf die Juden gemacht, dagegen gibt es yon Pascin e^ne Reihe 
Blatter, in denen speziell das jiidischc Prostituiertentum , der jiidische Bordellhalter, die jiidische Dime, 
der jiidische Zuhalter, in ganz diabolischer Weise gekennzeichnet sind. Solche Blatter sind aber kaum 
aus einer heimlichen Liebe zum Judentum geboren, aus einem auf dem Wege der Selbstironie ringenden 
Drang nach Selbstbefreiung. Sehr wohl aber gilt dies von einer Reihe anderer jiidischer Kunstler: von 
dem grofien Russen Chagall, dem Elsasser Alphonse Levy und der Polin Szalit. Jeder Strich dieser 
Drei ist von einer grofien und tiefen Liebe zu ihren Stammesgenossen eingegeben. Ihr leiser Spott iiber 
die Wesensmerkmale der jiidischen Physiognomie und des iudischen Gebarens, der alien den Blattern 
eignet, die sich auf die Juden beziehen, ist Ausdruck verliebter Zartlichkeit, ist im letzten Grunde Lieb? 
kosung (Bild 267—272). Das gill vor allem von den zahlreichen satirischen Litographien der Polin Rahel 
Szalit, von denen ich hier zwei ganz ausgezeichnete Beispiele wiedergebe: „Die jiidische Agentin" und 
,Dic Amerikafahrer" (Bild 271 u. 272). 

„Die Sonne der Juden geht im Westen auf" steht unter dem Blatt „Die 
Amerikafahrer." In Amerika hofFen sie eine Heimat und die Erlosung aus 
der sie niederdruckenden Lebensqual zu finden, — so war es gestern. Die 
geschichtliche Entwicklung hat die Dinge richtiggestellt: die Sonne der Juden 
geht nicht in Amerika auf, sie geht auch nicht in Palastina auf. Die Sonne 
geht im Osten auf. Und nicht nur fur die Juden. 



Der Judenfresser 




' -W 1* 



%W\fl 



307. Franzosische Karikatur von C. Leandre auf den getauften Juden und Antisemitenfiihrer 

Eduard Drumont 



Von Eduard Fuchs sind im Verlag von Albert Langen, Miinchen 

erschienen: 



Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart 

Drei Hauptbande und drei Erganzungsbande 

Die Frau in der Karikatur 

Zur Zeit vergriffen! 

Die Geschichte der erotischen Kunst 
Die Karikatur der europaischen Volker 

Erster Band: Vom Altertum bis zum Jahre 1848 
Zweiter Band: Vom Jahre 1848 bis zum Vorabend des Weltkrieges 

* 

Der Weltkrieg in der Karikatur 

Erster Band: Bis zum Vorabend des Weltkrieges 
Der zweite Band erscheint spater 



Die Juden in der Karikatur 

* 

Eduard Fuchs und Alfred Kind 

Die Weiberherrschaft in der Geschichte der Menschheit 

Zwei Bande. Zur Zeit vergriffen! 
* 

Honore Daumier 

Herausgegeben und mit umfangreichen Einleitungen versehen von Eduard Fuchs 
Erster Band: Holzschnitte. Zweiter bis vierter Band: Lithographien 

Prospekte uber die Werke von Eduard Fuchs auf Verlangen vom Verlag 



Druclc von Hesse & Becker, Leipzig