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Die Juden
in der Karikatur
Ein Beitrag zur Kulturgeschichte
von
Eduard Fuchs
Mit 307 Textillustrationen und 31 schwarzen und farbigen Beilagen
Albert Langen, Verlag, Munchen
Copyright 1921 by Albert Langen, Munich
Alle Rechte, insbesondere das Ubersetzungsrecht, auch fur Rufiland, vorbehalten
Albert Langen Eduard Fuchs
Die ersten hundert Exemplare dieses Werkeswurden auffeinstem Kunstdruckpapier
abgezogen, handschriftlich numeriert und mit der Hand in Halbfranz gebunden
2. Titelleiste aus einem antisemitischen Dresdener Bilderbogen „Der Teufel in Deutschland" 1897
Vorwort
Dieses Buch lag auf meinem Weg, genau wie mein fruheres Werk ,,Die Frau in der Karikatur." Die
Judenfrage ist neben der Frauenfrage eines der auffalligsten Sondergebiete in der Karikatur aller Zeiten
und Vblker. Ich muBte dieses Buch also eines Tages schreiben, nachdem ich die Karikatur als eine wich=
tige Wahrheits quelle fiir die geschichtliche Erforschung der Vergangenheit crkannt und proklamiert hatte.
Der Plan zu diesem Buch ist deshalb schon sehr fr.iih bei mir aufgetaucht, und die ersten Vorarbeiten —
das Sammeln der bezeichnendsten Judenkarikaturen und der fiir die Ausarbeitung ebenso wichtigen lite=
rarischen Flugblatter — liegen ebenfalls schon sehr wcit zuriick. Meine urspriingliche Absicht war, das
Buch etwa um das Jahr 1915 herauszubringen, nach Vollendung meiner Daumier*Ausgabe. Der Weltkrieg
hat diesen Plan zerstort. Er hat es mir unmoglich gemacht, mein Material zu vervollstandigen, das un*
entbehrliche Quellenmaterial aufzutreiben, und er hat auch die technischen Vorbedingungen der Herstellung
Jahre hindurch zunichte gemacht. Diese technischen Vorbedingungen sind erst seit kurzem wieder ganzlich
gegeben. Lcider unter den allgemein bekannten veranderten Umstanden, die ein Buch sechs= bis achtmal
so teuer machen wie friiher. Und das ist fiir mich die grolJte Hemmung beim Schreiben. Bucher
schreiben, die in der Hauptsache nur noch von Leuten mit ungeheuer gesteigertem Einkommen gekauft
werden konnen, das ist fast literarischer Hurendienst. Wenigstens empfinde ich es so. Fur eine neue
Menschheit zu schreiben, miifite kostlich sein, nicht aber fiir die neuen Reichen. Gliicklich iene, die diese
neue Menschheit erleben.
Da es sich in diesem Buch um eine rein historische Arbeit handelt, der jede parteipolitische oder
agitatorische Tendenz mangelt, und da die Erkenntnisse, zu denen mein-i historischen Untersuchungen fiihren,
nur insofern aktuelle Bedeutung haben, als sie die Gesetze aufdecken, die auch in der Gegenwatt bei der
Entstehung von Judenkarikaturen letzten Endes wirksam sind, so hat diese Verzogerung in der Ausarbeitung
und im Erscheinen auf den ursprunglichen Plan keinerlei EinfluR ausgeiibt. Dagegen haben die Erfahs
rungen des Weltkrieges, der besonders in den Landern der Besiegten zu einer neuen und starken antise;
mitischen Welle gefuhrt hat, meine Erkenntnisse uber die geschichtlichen Zusammenhange des Antisemitismus
im Gegenteil nach jeder Richtung bestatigt und bekraftigt. —
111
Ober das Arrangement der Bildbeigaben auf den folgenden Seiten mochte ich an dieser Stelle einige
Worte voranschicken. Es ist zweifellos fiir den Leser am bequemsten und fur das aufmerksame Lesen am
eindruckvollsten, wenn Bild'und Text sich insofern miteinander decken und verschmelzen, daft die Bilder
sich dem Beschauer auch auf den Seiten darbieten, auf denen im Text davon die Rede ist. So sehr ich
die Wichtigkeit dieses Umstandes einsehe, muB ich doch leider erklaren, daft diese Absicht alsbald ein
technisch unlosliches Problem darstellt, wenn man sich gleichzeitig von dem Bestreben leiten laftt, so viel
als nur irgend moglich an Bildmaterial vorzufiihren. Dieses aber scheint mir das Wichtigere zu sein. Das
zeitgenossische Bild ist fiir mich, wie gesagt, eine iiberaus wertvolle Wahrheitsquelle, die nach meiner
Oberzeugung niemals durch Worte ebenbiirtig zu ersetzen ist. Darum suche ich bei alien meinen Biichern
dem Leser so viel an Bildmaterial vorzufiihren, wie buchtechnisch irgendwie moglich ist. Dazu kommt im
vorliegenden Falle, daft das Bild nicht den Text illustrieren soil, sondern daft der Text den Bilderreichtum
begriinden soil. Unter diesen Umstanden ist selbstverstandlich ein Zusammentreffen von Text und Bild
ausgeschlossen , und der Leser muB sich mit der Unbequemlichkeit abfinden, an der Hand der ent*
sprechenden Hinweise im Text dasZusammengehorige selbst aufzufinden. Die Reihenfolge der einzelnen
Bilddokumente habe ich in der Hauptsache historisch getroffen, im besonderen aber ist das Arrangement
bestimmt gewesen von dem Wiinsch nach einer kunstlerischsharmonischen Gesamtwirkung
Noch einen Punkt mochte ich an dieser Stelle erwahnen; Die Besitzer meiner „Karikatur der euro*
paischen Volker" und der „Frau in der Karikatur" werden in diesem Bande einigen Karikaturen begegnen,
die ich bereits in diesen beiden Biichern wiedergegeben habe. Es handelt sich hierbei um insgesamt
12 Abbildungen. Ich weise auf diese Wiederholung hier deshalb mit besonderer Absicht hin, weil ich
damit von meinem bis jetzt streng eingehaltenen Plan abgewichen bin, in jeder neuen Veroffentlichung
auch absolut neues Bildmaterial vorzufiihren. Bei einer Sonderbehandlung eines Einzelgebietes, wie es
z. B. die Juden in der Karikatur darstellen, muB ich natiirlich alles bezeichnende Material vereinigen und
durfte nicht auf jene Blatter verzichten, die ich fruher schon in anderem Zusammenhang vorgefiihrt
habe, wenigstens nicht, soweit es sich um besonders bezeichnende Beispiele handelt.
Berlin^Zehlendorf, im Sommer 1921
Eduard Fuchs
Susanna und die beiden Greise
3. Englische Karikatur. 1830
IV
Wic sich dcr Chanukalcuchlcr des Zicgenfellhandlers Cohn in Pinne zum Christbaum des Komnicrzienrats Conrad
in der TiergartenstraBe (Berlin W.) entwickche.
4. Aus dem jiidischcn WitlW.itt ..Schlcmiel". 1906
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil
I. Allgemeines . .
II. Die Bcdeutung der Karikatur
HI. Die Rolle der Juden in der Geschichte ....
IV. Der Anteil der Juden an der europaischen Kultur .
V. Warum sind die Juden von allcr Welt gehattt? .
Zweiter Teil
VI. Das Wesen der Karikatur . .
VII. Die Rolle der Judenkarikatur .
VIII. Bis zur Judenemanzipation. 14.-
Seite
.1-91
1
3
8
70
75
92-312
. . . .... . . ... 92
. . 100
-18. Jahrhundert Ill
IX.
X.
XI.
Die Spottfiguren an Kirchen (111); die Judensau (114); die graphische Satire
(123); der jiidische Wucher (130); der jiidische Kipper und Wipper (144); der
Hofjude (148); der Jude als Soldat (153); verschiedene Motive (156); der jiidische
Typ (160)
Die literarische Satire , ... ... 167
Die sprachliche Satire . .... 193
Die plastische Satire .... . . 201
Die Juden in der Karikatur des 19. Jahrhunderts 211
Die Judenemanzipation (217); die antisemitische Witzblattpresse (237); der Jude
in der Politik (247); der Jude in der Literatur und Kunst (256); der Jude in der
Karikatur des Weltkriegs (268); das antisemitische Plakat (273)
Das Erotische in der antijiidischen Satire . . ... 286
Die jiidische Selbstironie 303
Beilagenverzeichnis
neben Seite
Das grofie Judenschwein, deutsche Karikatur, 15. Jahrhundert ... 8
Der Jud Stellt seinen Sinn . . . Deutsche Karikatur, 15. Jahrhundert ... 16
Wai geschrieen! Nurnberger Karikatur von Leonhard Strauch. 17. Jahrhundert 24
Der Koms und Weinsjud, deutsche Karikatur, 17. Jahrhundert 32
Der jiidische Geizhals, deutsche Karikatur, 17. Jahrhundert ... 40
Deutsche Karikatur auf die Juden als Soldaten, 18. Jahrhundert 48
Einer vom Stamm Levi . . ., englische Karikatur:, 1778 56
Die Londoner B6rse . . ., englische Karikatur, urn 1780. 64
Salomon in seiner Glorie, von Isac Cruikshanc, 1790 . 72
Moses in den Binsen, von G. M. Woodward, 1799 . 80
Ein jiidischer Makler, von Thomas Rowlandson, 1801 ... . Vill
Schwarmerischer Blick in die Sonne, deutsche Karikatur, 1820 . 88
Unsere Leute, wie sie sind, Nurnberger Karikatur, urn 1825 ... 96
Israelchen hat einen Dukaten verschluckt, deutsche Karikatur, 1820 . 104
Wie Rothschild durch die Welt kutschiert, Frankfurter Karikatur, 1845 112
Die Generalpumpe, Berliner Karikatur, 1845 .... 120
Habts Acht! . . . Wiener Karikatur von Loschenkohl, 1848 . , 128
Der wandernde Ewige Jude, von Gustav Dore, 1852 144
Der Ewige Jude beim jiingsten Gericht, von Gustav Dore, 1858 . 152
Nach dem Krach, Wiener Karikatur, 1875 . 160
Susanna im Bade, von Arnold Bocklin . 176
Paul Singer, von Gustav Brandt, Kladderadatsch 192
Kikeriki*BildersBogen, Wiener Karikatur 200
Rothschild, von C. Leandre, 1898 208
Antisemitisches Wahlplakat, von Adolphe Willette, 1889 . .216
Galante franzosische Lithographie, von Griin, um 1900 . . . 224
Titelseite des Psst . . . !, von J. Forain, 1898 232
Joseph und die Potiphar, von Mesek, 1913 256
Titelseite des russischen Witzblattes Pluvium, 1907 . ... 272
Polnisches antibolschewistisches Plakat, 1920 ... . 280
Oesterreichisches antisemitisches Wahlplakat, 1920 . . 296
VI
Die Juden in der Karikatur
5. Staubcr. Flie^endc Blatter. 1S51
VII
Ein jiidischer Malcler
EnBl'ische Karikatur von Thomas RowUndson. 1801
Ueiliac za Edutrd Facts. .Die Juden is icr Kifikalur"
Albert Langra, Muacfeen
6. Das Judenschwein am Regensburger Dom
Kapitcllverzierung. Satirische Steinskulptur. 13. Jahrhundert
Erster Teil
Allgemeines
Das Lachen und das Weinen ist gleicherweise untrennbar vom menschs
lichen Leben, vom Leben des Einzelnen wie von dem der Gesamtheit, —
darum ist die Karikatur die Begleiterin der Menschheit auf alien ihren We«
gen; sie ist nichts anderes als ein gesteigerter bildhafter Ausdruck fur beides.
Weil Weinen und Lachen, in ihrer gemeinsamen zeichnerischen Aus«
strahlung der Karikatur, sozusagen ewig sind, mufi ich mit der Raums
und Zeitbegrenzung, die meine Arbeit umspannen soil, anfangen. Sie er«
streckt sich ausschlieClich auf die europaische Kultur — selbstverstandlich
gehort hierzu auch Amerika; denn es ist ausschliefilich europaischer Geist,
der dort expansiert — und beginnt mit der Fruhzeit der Wirtschaftsweise,
aus der sich unsere heutige europaische Kultur entwickelt hat; das ist das
14. und 15. Jahrhundert. Zwar gab es in Europa schon viel fruher eine Jus
denfrage, namlich bereits im Mittelalter, aber erst vom ausgehenden viers
zehnten Jahrhundert an sind Judenkarikaturen in Europa nachzuweisen
und erhalten. Also setzt meine Arbeit mit diesem Zeitpunkt ein.
Fuchs, Die Juden in der Karikatur 1
1
Vom IS. Jahrhundert an gibt es in den
verschiedensten, d. h. der Reihe nach in
samtlichen Landern Europas Karikaturen
auf die Juden. Bald gab es deren viele, bald
wenige, bald gar keine, dann wieder eine
ganze Hochflut. Dieser standige, wennauch
nicht immer auf den ersten Blick erkenm
bare Wechsel im Auf und Nieder der Zahl
wie in dem der Leidenschaft, die in den
einzelnen Blattern pulsiert, entschleiert uns
das Gesetz, das als zeugende Kraft fur alle
Lander und alle Zeitabschnitte gilt. Dieses
Gesetz zu enthiillen, darzustellen , durch
die Jahrhunderte hindurch mit karikaturistischen Dokumenten zu belegen,
ist das dieser Arbeit von mir gesteckte Ziel. Die bildliche Beweisf iihrung,
die ich damit unternehme, ist, wie der Leser schon beim oberflachlichen
Durchblattern feststellen mufi, in sehr vielen Fallen eine sehr lustige und
sehr amiisante. Sie ist nicht selten sogar verbliiffend geistreich. Wo sie
weder lustig noch amiisant ist, da ist sie zum mindesten interessant; es gibt
kein einziges Dokument in dieser Sammlung, das nicht nach irgendeiner
Seite fesselte; auch wenn man weder die gedankliche noch die kiinstlerische
Losung anerkennt. Dieser allgemein interessante Charakter riihrt daher,
dafi hier nicht nur haufig die heftigsten LeU
denschaften am Werke waren, sondern daft
sich auch der Spott und die Satire gegen*
iiber den Juden zumeist hemmungslos aus*
toben konnten. So kam es, daft man unter
den Judenkarikaturen vornehmlich der nas
menlosen und simpeln Volkskunst begegs
net. Die grofien Namen der Karikatur
fehlen jedoch auch nicht, und einige von
ihnen sind sogar mit wahren Meisterlei*
stungen vertreten. Weil dem Spott gegen*
7. u. 8. Satiren auf die juden iiber den Juden keinerlei Schranken gesetzt
CborrfvblKhniezctticn in der KJrcfae Notre Djme j ■ . . . f 1 . J
»» Ac^hot i? j.hrho»d trt waren, darum verbirgt sich wie bei dem
Spiegel, den die Frau in der Karikatur
der verschiedensten Zeiten und Volker
gef unden hat, auch hinter dem lustigen
Schellengeklapper der Judenkarikatu*
ren nicht selten ein grofiTeil des schwer*
sten Menschenleids und der tiefsten
Menschheitstragodie. Und wenn es
auch nicht meine Absicht sein kann,
nie gewesen ist, und nie sein wird, die
Geschichte des Lachens mit Leichen;
bittermiene oder gar als posthumer
Schulmeister und Moralpauker zu
schreiben, sodarf einem beim Schreiben
die Schellenkappe doch nicht ins Ge«
sicht baumeln; man mufi sie sich ein
wenig in den Nacken schieben. So
habe ich es bei meinem Buch iiber die
Frau in der Karikatur gemacht, und so will ich es hier wieder machen.
Man soil das Lauten der Schellenkappe immer horen, aber der ernst sonore
Grundton, die Qual der anderen, der Angegriffenen, die sehr oft nicht nur
bis in den Geldbeutel, sondern wirklich bis ins Herz getroffen wurden,
dieser Ton mufi stets mitgehort werden.
9. Spoltbild aus Kehlheim auf die 1519 aus Regcns>
burgvcrtricbenen Judcn. Sni D skuiph>c
II
Die Bedeutung der Karikatur
Die Karikaturen iiber Menschen und Dinge, denen wir bei jeder Rucks
schau auf Schritt und Tritt begegnen, stehen selbstverstandlich niemals zu*
sammenhanglos in der Geschichte. Sie sind niemals einf ach blofi da, ohne
dafi ein zwingender Grund f iir ihre Existenz vorhanden ware. Wie fiir das
Entstehen eines Gewitters ganz bestimmte Spannungen und Widerstande
in der Luft vorhanden sein miissen, so sind fiir das Entstehen einer jeden
Karikatur ganz bestimmte gesellschaf tliche Spannungen die Voraussetzung.
Karikaturen iiber eine bestimmte Person, iiber bestimmte Volksgruppen oder
uber irgendwelche Dinge und Erscheinungen sind stets provoziert worden
von einem wenn auch nicht immer aufierlich sichtbaren, so doch stets stark
empfundenen Widerspruch zwischen diesen Personen und.Dingen und dem
sozusagen landlaufigen Allgemeinzustand der Gesellschaft.
Aus diesem Umstand resultiert auch der historische Wert, den ich der
Karikatur als Wahrheitsquelle fur die Vergangenheit beimesse. Man kann
an einer Karikatur noch nach Jahrhunderten ablesen, welcher Art Span*
nungen und Widerspruche wahrend der Zeit ihrer Entstehung in der Ge*
sellschaft vorhanden waren. Aus dem grofieren oder geringeren Grad der
Heftigkeit und aus der Zahl der in einer Zeit oder einem Lande uber be*
stimmte Personen, Zustande oder Ereignisse erschienenen Karikaturen
kann man denUmfang und die Tiefe dieser Spannungen ermessen und ent*
nehmen, wie stark jene Zeit von den in den betreffenden Karikaturen zum
Ausdruck gekommenen Widerspruchen durchwuhlt war. Man kann weiter
aus den durch die einzelnen Karikaturisten angewandten satirischen Mitteln
mit Leichtigkeit feststellen.welchen
Rang der karikierte Zustand — Per*
son oder Sache — in der orient*
lichen Achtung oder Wertschat*
zung damals eingenommen hat;
ob die karikierte Person oder das
von ihr verkorperte Prinzip be*
wundert oder gef urchtet war, oder
ob es ein Objekt der allgemeinen
Verachtung war, das man gerade
gut genug fand, urn in ihm alle
moglichen verachtlichen Laster zu
brandmarken. Aus dem Charak*
ter der einzelnen Karikaturen,
ihrem geistigen Wesen, kann man
mit derselben Leichtigkeit erken*
nen, ob zur Zeit der Entstehung
Prefifreiheit herrschte, froher und
frohlicher Meinungsaustausch in
Sfernebftdj.
^Mixnbofetnottnvolgtt \ftt c^u gf)efcJ?kjjt
Par to va an fulueegnmerlthKgi>e£>?cj)t
10. Die Durchstechung der Hostie durch die Juden
zu Sternberg. 1492
.4
B
i>«S i«f> iMi'a nil Jfi gsnOCn
tVwwcitipu^ii mimefointt
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OdBttlWwUtttUtam ftilteh fltitl
]EVmin$t|%ttpt&igG: nn tiWm
ttttiotfmtmtivns vuo«Mt<uk
11. Der Jude Josel von Rosheim vor dem goldenen Kalb als ..Herold aller Jiidisilhkeit"
Satiiischcs Flugblatt auf die Schalkheit dec Juden. Anfang 16. [ahihundert
Obung war, oder ob das freie, offene Wort verpont war und die Karikatur
dem heimlichen Pfeil aus dem Hinterhalt glich, den man niemals wagen
durfte, offentlich abzuschnellen. Ebenso wichtige Aufschlusse iiber die Zeit
ihrer Entstehung gibt der jeweilige kunstlerische Wert einer Karikatur oder
einer ganzen Karikaturengruppe. Ob es eine Zeit bluhender Volkskunst
oder des allgemeinenkulturellenNiederganges war, ob stolze, schopferische
Kraft die Zeit und die Menschen erfullte, oder ob sie zu geistiger Armut
und zur Unfruchtbarkeit verdammt waren. An ihren Techniken — ob Holz«
schnitt, Radierung oder Kupferstich — erkennt man, in wessen Diensten der
f£in awe^ng jrermamgfelrigen
fd) tblid) « ^rt»bd/$§ tajmung alien Ct>2ifi«n/
fccti tcuflli'djeit !i(t^f < y»«« jffntftwydjtn
XOttvdfCta ttil toaa fctonbvnt |^>at
S&lc/piinget aup t* m jiutco baft/
XVijItirorrfib,<n6|?rAtj«rtri?it>t.
satirische Geist einer Zeit stand,
fiiir wen er seine satirischen Pfeile
scharfte, ob fur das Volk in sei«
ner Gesamtheit, ob „fiir die
Gasse", oder nur fur den Salon.
Und so weiter.
1st so die Karikatur durch
diese verschiedenen Umstande
eine zwar einseitige, aber gerade
kraft ihrer Einseitigkeit wert«
voile Wahrheitsquelle fur die
Vergangenheit — weil in der
Ubertreibung des Wesentlichen
einer Erscheinung das Element
der Karikatur besteht, tritt in
der Karikatur dieses Wesentliche
am sinnfalligsten in Erschei*
nung — , so mufi man anderer*
seits zuerst die historische Situas
tion entschleiern, aus der be*
stimmte Karikaturen vorubergehend und dauernd entstanden sind, oder
noch entstehen, um zum richtigen Verstandnis der einzelnen karikaturisti?
schen Dokumente zu gelangen. Man mufi die Stimmungen, die sich in
den Karikaturen uber gewisse Zustande oder Erscheinungen spiegeln, in
ihrer gesellschaftlichen und in ihrer psychologischen Bedingtheit aufdecken,
wenn man den Einzelwert wie den Gesamtwert der Karikatur einer Zeit,
ihre sogenannte historische Rolle,. rich tig beurteilen will. Erst dadurch er«
langt die zeitgenossische Satire in unserer Vorstellung ihren entscheidenden
Inhalt und Eindruck, und erst dadurch bekommt das Grofie und Starke
seine voile Bedeutung zugewiesen, dagegen das Nebensachliche den ihm
gebuhrenden untergeordneten Rang. Diese Aufdeckung der gesellschaft::
lichen Spannungen und Widerspriiche, die seit Jahrhunderten in fast alien
europaischen Landern antijiidische Karikaturen gezeugt haben und taglich
von neuem zeugen, mufi darum die Basis aller meiner Darlegungen sein.
Selbstverstandlich kann es sich hierbei nur um eine Darlegung in grofien
12. Titclholzschnitt der satirischen Schriit: „Der Judcn Badstub." 1535
©tf§ubotfpteg6t'nfc8
gen ant/
3d>far»a^erburd>alle lanto/
Von graftal 3"bfn i<£ fagot tril
©it fdjab ban 4anb t fe&n «" bcr (Ml.
©a-<Bci(ili$feJlt »nb triirt ju nidfee
0crtsclrIi$mt$ti0bo<i? aiiffbu^t/
Vnb if anbern ombfeer in ban £anb
XJ nfer T»a^t ift la(i<ri( iinb vnb f$4n!k»
Zugen handeln, um eine Schilderung
der nach meiner Meinung prinzipi*
ellen und programmatischen Ge*
sichtspunkte. Eine Geschichte des
Judentums bei dieser Gelegenheit
zu geben, ist vom Stoff nicht be*
dingt und ist auch nicht der Zweck
dieser Arbeit, um so weniger, als
mir hierzu die notige wissenschaft*
liche Qualifikation fehlt. Fur meine
Ausfuhrungen iiber die geschicht*
liche Rolle der Juden mufi ich mich
deshalb vielfach auf solche wissen*
schaftliche Erkenntnisse stutzen, die
in dieser Frage bereits von anderen
gewonnen worden sind, und ich
muB mich damit begnugen, aus die*
sen Erkenntnissen auszuwahlen, was
sich mit meinen in anderer Rich*
tung gewonnenen tJberzeugungen
deckt. Im allgemeinen mochte ich
hier jedoch vorausschicken, dafi es trotz der vielen tausend Bucher, die
iiber die Juden geschrieben worden sind, das, was man eine den heutigen
wissenschaftlichen Anspruchen entsprechende Geschichte des Judentums
nennen kann, uberhaupt noch nicht gibt. Eine solche wird es freilich erst
an dem Tage geben, an dem das in Frage kommende Grundproblem end*
gultig gelost ist. Dieses Grundproblem lautet: Gibt es einen innerlich be*
dingten Widerspruch zwischen der geistigen Wesenheit des Judentums
und derjenigen der in Europa vor dem Auftreten der Juden ansassigen
Volker? Und wenn ja: worin besteht dieser Widerspruch? Wurde er zu
einer Erganzung fur unser nordisches Wesen oder zum Gegenteil? Erst
aus der erschopfenden Beantwortung dieser Frage ermoglicht sich dem
Geschichtsschreiber ein richtiges historisches Urteil, das heifit eine auf*
hellende Verwendung des ihm zu Gebote stehenden geschichtlichen Ma*
terials. Fur die Losung dieses Grundproblems gibt es meines Wissens bis
15. Titelhohschnitt der satirischen Schrift: ,,Dec JudenspieG",
Strafiburg 1541
jetzt nur einen einzigen grofieren und bedeutsamen Beitrag, namlich das
Buch von Werner Sombart: „Die Juden und das Wirtschaftsleben". Da
mich die Studien, die ich zu meinen verschiedenen kulturgeschichtlichen
Buchern gemacht habe, und auch die bereits vor zehn Jahren begonnenen
Vorarbeiten zu diesem Buche zu einer Reihe von Urteilen gefuhrt haben,
die sich mit denen Sombarts decken, so gab mir sein Buch, als ich es vor
einigen Jahren zu Gesicht bekam , zahlreiche erganzende Anregungen. Ich
habe diese im nachsten Kapitel mannigfach verwertet.
Ill
Die Rolle der Juden in der Geschichte
Welchen Anteil haben die Juden an unserer europaischen Kultur, das
heifit: an ihrem Aufbau und an ihrer Entwicklung? Haben sie diese be*
einflufit, und in welchem Sinne? Waren sie
Forderer und Mitbaumeister unserer Kultur,
oder immer nur Schmarotzer und Schadlinge
an ihr?
Ich glaube, hierauf muE man die Frage
zuspitzen. Denn die Kultur ist das, was aus
der Vielheit der Einzelindividuen, Gruppen,
Klassen und ganzen Volker eine Einheit im
grofien Stil macht; sie ist also fur die Betref*
fenden das Gemeinsame und das Verbindens
de. Von einem gewissen Zeitpunkt der Ents
wicklung an, wo die Menschen und Volker
anfangen, ihre Geschichte mit Bewufitsein zu
machen, ist sie in einem gewissen Umfange
auch das Gewollte, weil sie, ebenfalls bis zu
einem gewissen Grade, das jeweilige Resultat
des allgemeinen Strebens nach fortschreitens
der Vervollkommnung des Einzelnen wie des
Ganzen darstellt. Aus der Art und dem Urn*
ad> ban vii iufcifc^ lifftfeyi
yr fiirfetjt apt on all atbeyt
mil goBetfaultdt (id) MJ tttm
14.
Bauer und Stadter beim jiidischcn
Geldverleiher
Niiroberger Holuchoitt 1491
8
Das grofie Judenschwein
Deutsche Karikatur auf die Juden. 15. Jahihundert
Beilige zn fidnard Pocht, .Die Jnden In der Karifcttur*
Altai Langen, Mfacaea
15. Satire auf die Juden
Steinskulptur an ciner flamtschen Kirche
14. Jahrhundert
fang, in demdie genannten einzelnen Teile eines
bestimmten Kulturkreises an der spezifischen Aus* '
bildung der betreffenden Kultur mitgewirkt haben
oder noch mitwirken, ergibt sich der Mafistab fur
deren historischen Wert oder Unwert.
Die Antwort auf die Frage nach dem Anteil
der Juden an der europaischen Kultur bekommt
man, wenn man feststellt, welche Rolle die Juden
bei der Ausbildung und Durchbildung der kapita*
listischen Wirtschaftsweise gespielt haben. Denn
diese ist Wurzel und Nahrboden zugleich unserer
gesamten modernen europaischen Kultur.
Die Kultur einer historischen Epoche ist nie«
mals etwas anderes als die direkte Ausstrahlung der wirtschaf tlichen Krafte,
die in ihr lebendig sind, und der Organisationsform ihrer Produktionsweise.
Das heifit: der Denks und Gefiihlskomplex einer Zeit, ihre Moralien, ihre
Kraft zu kunstlerischer Gestaltung der Erscheinungen des Lebens, — sie alle
sind letzten Endes bedingt von der Hohe der Entwicklungsstufe, auf der die
betreffende Zeit ihre materiellen Lebensbediirfnisse — Essen, Kleiden, Woh«
nen — befriedigt. Wie eine Zeit produziert und wie sie konsumiert, — davon
hangt in letzter Instanz alles andere ab, und danach formt sich darum auch
alles Geistige. Je primitiver die Wirtschaftsweise einer Zeit ist, desto primi*
tiver ist deren Denken und Fiihlen. Und umgekehrt; je hoher die Stufens
leiter der okonomischen Allgemeinentwicklung einer Zeit ist, um so weiter
ist der Umfang des Horizontes ihres Denkens, um so komplizierter ist ihre
Gefuhlswelt, um so reicher ihr kiinsts
lerisches Gestaltungsvermogen. Dies
se Zusammenhange zwischen Wirt«
schaft und Kultur brauchen hier nicht
mehr naher begriindet zu werden, das
ist von Berufeneren langst erschop*
fend getan.
Auf Grund dieser Erkenntnis
mufi man also sagen: wie z. B. die
mittelalterliche Kultur der Reflex der
Fuchs, Die Juden in der Karlkatur
16. Die Judensau
Wittenberger Spottbild. Holzschnitt. 16. Jahrhundert
teudalen Jfroduktionsweise, der reinen
Natural wirtschaft war, so ist unsere
moderne burgerliche Kultur nichts an*
deres als die Ausstrahlung der kapitas
listischen Wirtschaftsweise, und deren
Besonderheiten sind ihre Besonder*
heiten.
Auf diese Besonderheiten kommt
es namlich an. Das heifit auf die beiden
Fragen: Worin bestehen sie, und auf
welchem Wege kamen sie in die Ge*
schichte? Das festzustellen , sind die
beiden zu losenden Aufgaben.
Die Antwort auf die erste Frage —
Worin bestehen diese Besonderheiten?
— lautet: Sie bestehen im Aufkommen
und vor allem in dem InsBewegung::
Kommen der Geldwirtschaft. Dieser
Prozefl setzte am fruhesten im sud*
lichen Italien ein, und zwar im 1 1. und
12. Jahrhundert. Auf Italien folgten Frankreich und Spanien , dann der
Reihe nach alle westeuropaischen Lander; bis zum Ausgang des 15. Jahr*
hunderts waren allmahlich alle Mittelmeerlander von diesem ProzeiT er«
griffen, und damit in ihnen das Mittelalter uberall abgeschlossen. Das Geld
hatte in alien diesen Landern seinen revolutionaren und alles von Grund
auf umwuhlenden und umsturzenden Siegeszug uber die Welt begonnen.
In einzelnen Gebieten des Mittelmeerkreises, wie z. B. in Italien, war es
im 14. und 15. Jahrhundert sogar schon zu einer der imponierendsten Aus*
strahlungen der neuen, auf der Geldwirtschaft aufgebauten Wirtschaftss
weise gekommen, zu der so zauberhafte Bluten treibenden Fruhrenaissance,
und zwar infolge einer ganz ungeheuren Bliite der Geldwirtschaft in diesem
Lande. —
Das Geld. Das Geld als spezieller Faktor der Entwicklung bedarf im
Rahmen dieser Arbeit einer besonderen Erorterung. Der revolutionare
Charakter des Geldes kann kaum ubertrieben werden. Das Geld ist das
17. Titelblatt von Martin Luthers Schrift wider
die Juden
Satirischer Hohschnitt von Lukas Cranach. Wittenberg 1543
10
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18. lllustrieites Fliegendes Blatt auf die Veitreibung der Juden aus Rothenburg a. d. Tauber
16. Jjhrhundert
2*
§r r 3&t>.
revolutionarste Element, das iiberhaupt
jemals in die Welt eintrat. Diese Wir*
kung entsteht aus den folgenden Eigen*
schaften des Geldes. Durch die Einfiih*
rung des Geldes als Tauschmittel fur ge*
leistete Arbeit wird die Arbeit mobil und
transportabel. Bis dahin war sie fast aus*
schliefilich an den Ort ihrer Entstehung
gebannt. Sie mufite bis zu einem hohen
Grade dort verbraucht werden, wo sie
geleistet worden war. Damit waren der
Produktivitat und der Auswirkung der
Arbeit naturgemafi die engsten Grenzen
gezogen.und die Allgemeinzustande einer
solchen Zeit konnten sich nur in einem
durchaus primitiven Rahmen bewegen.
Das war in Europa z. B. die Signatur des
fruhen Mittelalters. Diese Beschranktheit
der Arbeitsverwertung horte in dem
Augenblick auf, als es zur Einfuhrung
des Geldes in der Form von Metallgeld
kam. Edelmetall war wegen seiner spezi*
fischen Eigenschaften uberall begehrt und
dadurch wurde das Metallgeld schliefilich zum alleinigen Wertmesser und
Werttrager. Von dieser Stunde an konnte man die an einem Ort geleistete
Arbeit an jeden beliebigen anderen Ort nicht nur des Landes, in dem man
lebte, uberfuhren, sondern schliefilich uberall dorthin, wo ebenfalls Tausch*
handel auf der Basis des Metallgeldes sich entwickelthatte. An jedem die*
ser Orte konnte die im Gelde verkorperte Arbeit wieder lebendig und
damit die Arbeit wieder fruchtbar gemacht werden, die Arbeit des Slid*
landers im hohen Norden und umgekehrt. Dies ist, das braucht nicht erst
naher begrundet zu werden, eine derart wichtige Eigenschaft, dafi sie in
ihrem Einflufi kaum uberschatzt werden kann. Aber zu dieser einen Eigen*
schaft des Geldes, der Beweglichmachung der Arbeit, tritt noch eine an*
dere, gleich wichtige. Durch die Einfuhrung des Metallgeldes als Tausch*
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19. Derjude
Holzschnitt von Jost Amman. Frankfurt 1568
12
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20. TitelbUtt der situischen Spottschrift ,,Dcr JudeD Ehrbarkeit". 1571
mittel fur Arbeit war, im Prinzip, hinfort keinerlei uberschussige Arbeit
mehr nutzlos getan und verloren; weder von der Arbeit des Einzelnen
noch von der ganzer Gruppen, wie es bis dahin stets der Fall war. Bis
zur Einfuhrung des Metallgeldes war die an einem Ort geleistete Arbeit
z'u dem Teil verloren, der nicht an Orfc und Stelle verbraucht werden
13
konnte. Darum gab es aiich zur Zeit der Naturalwirtschaft kein intensives
Streben zur Steigerung des Arbeitsertrages, und die Entwicklung dieser
Periode vollzog sich nur im Schneckentempo. Die Lokomotive der Ent«
wicklung muB mit iiberschiissiger Arbeit geheizt werden; und sie kann
nur damit geheizt werden. Das war, wie gesagt, moglich mit dem Auf kom*
men der Geldwirtschaft. Aller Arbeitsuberschufi konnte von da an aufge*
stapelt und beliebig lang aufbewahrt werden. Man konnte die Arbeit im
vollen Sinne des Wortes „auf Lager" legen, sie bekam hierdurch ein wahr«
haft ewiges Leben. In Verbindung mit. der erstgenannten Eigenschaft des
Geldes, der Beweglichkeit, konnte man jetzt die Arbeit, d. h. ihre gehei*
men Krafte, in ihrer ewig lebenden Form zugleich an jedem Ort, wo man
ihrer bedurfte, konzentrieren, und obendrein in unbeschranktem Umfang.
Auf diese Weise war den Menschen die Moglichkeit geschaffen, Auf gaben
zu unternehmen und zu losen, die iiber die Befriedigung der nackten Lebens*
bedurfnisse hinausgingen. Jetzt erst konnten sie Hauser und Stadte bauen,
gewaltige Kathedralen und stolze Rathauser auffuhren; jetzt erst konnten
sie breite Flusse mit Brucken uberspannen, den Flussen ihre Wege weisen
und ihre Krafte sich dienstbar machen; jetzt erst konnten. sie den Schofi der
Erde aufbrechen und deren Schatze ans Licht heben; jetzt erst konnten sie
die Gebirge durchbohren, die Meere uberqueren und schlieBlich einen Welt*
teil an den anderen ketten. Jetzt erst entstanden aber auch solche Bedurf*
nisse in der Menschheit.
Auf diese Weise und durch diese Eigenschaften revolutionierte das
Geld die Welt. Wo es zur Geldwirtschaft kam, wurden die gesellschaft*
lichen Verhaltnisse reich und vielgliedrig; sie komplizierten sich in dem
gleichen Mafie, wie sich der Geldverkehr ausdehnte. Der Horizont des
Denkens der Menschen reichte so weit, als das Geld zu rollen vermochte,
und die Phantasie der Menschen bekam taglich neue Schwingen.
Alles dieses in einen Satz zusammengefafit heifit: Das Geld ist der
Erwecker aller Kultur. Im besonderen Falle: unserer Kultur, aller ihrer
Errungenschaften, aller ihrer technischen Wunder, aller ihrer kunstlerischen
Schopfertaten. Das Geld hat unser Leben gestaltet auf Schritt und Tritt bis
auf den heutigen Tag, — im Bosen freilich ebenso wie im Guten : die silbernen
Kugeln haben tatsachlich den Weltkrieg entschieden, wie sie jeden welt*
historischen Kampf in letzter Instanz entscheiden. Mit Genie, sagte Napo*
14
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leon I. einmal, kann man hochstens eine
Schlacht, aber keinen Krieg gewinnen.
Obendrein ist das grofiere Genie meistens
beim groCeren Geldhaufen. Nur auf dem
mit Gold gedungten Kulturboden wachsen
geniale Kopfe oder reifen geniale Taten.
Nur weil jahrhundertelang ein Goldstrom
durch Italien flutete, erwuchsen an seinen
Ufern solche Wunderstadte wie Siena, Pe?
rugia, Bologna, Venedig, Florenz, Rom
und Dutzende von anderen. Wunderstadte
mit Wundermenschen wie: Giotto, Michel*
angelo, Raffael, Leonardo da Vinci, Cellini,
Ghiberti, Donatello und hundert andere.
Einzig deshalb erlangten hier die Literatur
und die Wissenschaften um jene Zeit ihre
hochste Blute. Nur weil zu anderer Zeit
ebenfalls grofie Geldstrome nach dem klei*
nen Holland fluteten, entwickelten sich
dort ein Rembrandt, Franz Hals, Jan Steen
usw., nur deshalb florierten um diese Zeit
in Holland die Universitaten. Man kann
dieses alles vielleicht noch viel besser im
Negativen als im Positiven beweisen: Wo das Geld aus irgend welchen
auCeren Grunden ausblieb, kam es niemals zu einer grofieren Kultur, wo
das Geld rar wird oder gar ganz verschwindet, dort verdorrt auch alsbald
die Kultur und geht schliefilich ganz zugrunde, mag sie zuvor noch so
bluhend, noch so machtig gewesen sein. Das alte Rom zerbrach mit seiner
gesamten gewaltigen Kultur am Edelmetallmangel; es fehlte allmahlich
das Geld, um dauernd die zum Schutze seiner Macht notigen Soldner abzu«
lohnen. Das bluhende Spanien der Renaissance ging zugrunde und blieb
bis in die letzten Jahrzehnte unserer Gegenwart eine trostlose Steinwuste,
weil ihm im 15. Jahrhundert das Geld ausging (weil es von dort auswan*
derte), — darum ging Kolumbus auch auf die Fahrt, um neues zu holen.
Denn was er zu entdecken suchte, war nur Ophir, das sagenhafte Goldland
(Ein©fUnarrfotwrbicf? gcnannt/
•£>n ru§ if? mc in fy rf?/munB »nt> Bant)/
3Buidjnurgro|@clf on& 3Jfi^(^uin&
SOnBtrfcfecnipt fifttg vbt t( umty
£9?ir6f>n3«i<fnrpie6^u id) lauffh/
SSflit ^Dur^rr/ dufflaSn vnt> vt rf aijffn/
SSinDccf J>atbtt)(<fyrQtttauambt(it&J
34 FfW bapgui vno 5 ifi Pae org.
22. Der Geldnarr
Holzschnitt von Jost Amman. Frankfurt 1568
16
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Cfetupo •ptmm hw^fe w>S wfeta Wtc vfum<ttn»?a»ptmd
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If^utemtni
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favtttufom
CjU'Jfe'mi tea*? t^ tt^mtatr tfitiwc&f-
$fiffl&tfp
Der Jud stellt seinen Sinn Nacht und Tag, wie er den Christen verderben mag
Deuischer satirischer Einblattdruck auf den jiidischcn Wucher. IS. Jahrhundert
Bellige m Eduard Fuchs, ,Die Judfn In der Ksrlttatur*
Albert Langen, Mflnchen
der Alten. Der Zusammenbruch dieser beiden Kulturen infolge Versiegens
des Geldstroms sind nur zwei besonders augenfallige Beispiele aus der Ge*
schichte, wo diese Ursache ganz off en zutage liegt, und nicht, wie in zahl*
reichen anderen Fallen, erst als letzte, wenn auch entscheidende Instanz
wirkte. Mit dem Geld geht die Sonne iiber den Menschen auf, mit sei*
nem Verschwinden geht sie unter.
Erkennt man diese von Grund aufbauende und grundsturzende revo*
lutionare Rolle des Geldes in der Geschichte, und akzeptiert man diese Be*
deutung, so bedarf es furwahr keines Saltomortales der Logik, um daraus
den sehr wichtigen Schlufi zu ziehen: also sind die Geldbesitzer, als Trager
der Geldwirtschaft, zu alien Zeiten die wichtigsten Mitbaumeister am Auk
bau der europaischen Kultur, und ihre besondere geistige Wesenheit mull
unserer Kultur einen Teil ihrer bezeichnendsten Ziige verliehen haben.
Diese Geldbesitzer aber waren in Europa von der Zeit an, von der ich
mit dieser Arbeit einsetzen
will, bis herauf in unsere Ge*
genwart, infolge Abstain*
mung, Herkunf t und einerRei<
he anderer historischer Um*
standeineinemganzauffallend
grofien Umfange — die Juden.
Da nun die Juden in ganz
besonderem Mafie die Geld*
besitzenden waren und sind,
so sind also auch sie es, die
in besonderem Mafie das kul*
turelle Antlitz Europas beein*
flufit haben und es ist ein glei*
cherweise untrennbares histo*
risches Schicksal, daft man den
Spuren der geistigen Wesen*
heit des Judentums in zahlrei*
chen unserer politischen und
gesellschaftlichen Zustande
begegnen mufi.
F u chs , Die Juden in der Karikaiur
23. Der Jurist, der Jude und die Frau machen die ganze Welt irr
Spottbild von Hans Wandereisen. Nurnberg 1520
3
17
24-32, Der Juden Bidstub
Sitinsthr BiLderfolge. Kupferstiche jus dtm AnfjnR des IT. Jjhrhunder:
Das ist die Antwort auf die zweite der beiden oben (S. 10) gestellten
Fragen: Auf welchem Wege kam in Europa die Geldwirtschaft in die Ge*
schichte?
Das Wie dieses Geschehens, und in welchem Umfange es ein histo*
risches Schicksal war, dafi es gerade die Juden waren, welche die Gelds
wirtschaft in Europa in Fluft brachten und in ihrem neuen und besonderen
Wesen bestimmten, das ist angesichts der Tatsache, daft mit dieser veran?
18
33-41. Der Juden Bad stub
Sjtiristhc Bildcrfolge. Fomctzung, Kupfrrstiche jus drm Anfjng dcs 17. Jjhrhundert
derten Wirtschaftsweise eine neue ganz einzigartige Kultur entstand, natim
lich der Kernpunkt unseres Themas. Man mul? dabei bedenken: aus diesem
„Wie?" resultieren letzten Endes auch alle die Konflikte und Spannungen,
die sich in den Tausenden von antijudischen Karikaturen spiegeln, die seit
dem 14. Jahrhundert erschienen sind. Deshalb erfordert dieses „Wie?"
auch eine breitere Behandlung.
19
Man kann naturlich nicht behaupten: zur kapitalistischen Wirtschafts*
weise (und damit zur kapitalistischen burgerlichen Kultur) sei es in Europa
einzig und allein durch die Juden gekommen. Eine solche Behauptung ware
gedankenlos. Denn jedes historische Ereignis, und noch mehr eine welt*
historische Situation von solchem AusmaC nach Breite und Tief e, wie es die
kapitalistische Wirtschaftsorganisation geworden ist, kann nur das Resultat
einer ganzen Reihe zusammenwirkender, nach derselben Richtung drangen*
der und sich gegenseitig erganzender Faktoren sein. Was man jedoch sehr
wohl behaupten kann, ist dies: es ist zum Kapitalismus in Europa gekom*
men, weil es gerade die Juden waren, die „unter Volkerschaften gerieten,
die reif zur Entwicklung des Kapitalismus waren", und weiter, dafi es ohne
diesen Zusammenstofi der nordischen Volker mit den Juden wohl kaum
zum Kapitalismus gekommen ware. Hier mufi jedoch hinzugefugt werden,
dafi es zu einer kapitalistischen Entwicklung freilich trotz alledem nicht
hatte kommen konnen, wenn man die Edelmetallschatze Amerikas nicht ge*
funden hatte; denn dann waren die von den Juden der Entwicklung zuge*
fuhrten geistigen Elemente eben nicht lebendig geworden. Um eineMaschine
in Gang zu bringen und in standiger Bewegung zu halten, bedarf man der
Kohle, die sie heizt. Fur eine intensiv entwickelte Geldwirtschaft, denn
eine solche stellt der Kapitalismus dar, braucht man standig grofie Mengen
Edelmetall.
Die Hauptrolle der Juden beim Aufbau des Kapitalismus, die man
mit tausend guten Grunden belegen kann, besteht darin, dafi die kapita*
listische Wirtschaftsweise nicht nur bei ihrer Entstehung, sondern auch in
ihrem ganzen weiteren Verlauf dadurch von den Juden in auCerordent*
lichster Weise beeinflufit worden ist, dafi diese, wie gesagt, in der ganzen
Zeit die mafigebendsten Vertreter der Geldwirtschaft geblieben sind, und
dafi infolgedessen fast alle Formen und Institutionen der kapitalistischen
Geldwirtschaft sozusagen judische Erfindungen oder judische Schopfungen
sind. Alle grofieren und kleineren geldwirtschaftlichen Umwalzungen, die
sich wahrend der letzten sechs bis acht Jahrhunderte in den verschiedenen
Landern des europaischen Kulturkreises abgespielt haben, sind mehr oder
weniger mit den Juden verknupft. Die notwendige Folge dieser aufieror*
dentlich wichtigen Rolle der Juden im kapitalistischen Entwicklungsprozefi
mufite sein, dafi die kapitalistische Wirtschaftsweise in ihren wichtigsten
20
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ictjlidj wifrr Srrebcii mdjj»bciiemin<n/
25?cubie ©e|cllfcf>afftiflt«jnarito fonwt.
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42. Der Juden Synagog. Sjtiriscbir EinbUttdrack. Kupfenticb 17. Jabrbundert
Teilen deutliche Ziige der judischen geistigen Wesenheit an sich tragt.
Diese Rolle der Juden im Werdeprozefi des Kapitalismus kann man nun
nicht nur behaupten, sondern schon heute, obgleich das vorhandene Mates
rial erst zu einem geringen Teil durchforscht ist, Zug um Zug beweisen.
Ich werde versuchen, die wichtigsten Ergebnisse der Wissenschaft in dieser
Richtung hier wenigstens summarisch zusammenzustellen.
Die Juden waren die Trager des Geldverkehrs fast seit dem Tage, an
dem sie in die Geschichte eintraten. Sie waren dies , rein aufierlich ange*
sehen, schon infolge ihres notorischen Geldreichtums, der sich wie ein gol«
dener Faden durch ihre ganze Geschichte zieht, ,,ohne an einer Stelle abzu*
reifien: von Salomo bis Bleichroder". Dieser notorische Reichtum der Juden
ist nicht dadurch widerlegt, dafl man selbstverstandlich mit vollem Recht
sagenkann: esgibtunzahlige arme Juden. Undwer nur einen einzigen Blick
in das Judenquartier einer ostlichen
Judenstadt geworfen hat, z. B. in das
von Lodz, der weifi uberhaupt erst,
was Massenarmut ist. Darauf kommt
es jedoch nicht an, sondern auf die
Verhaltniszahl und den Durch*
schnittsreichtum innerhalb eines be*
stimmten Bezirkes. Und darnach
sind unter der gleichen Zahl Juden
und Christen immer mehr reiche Jus
den als reiche Christen. Andererseits
ist der Durchschnittsreichtum der
Juden stets ein grofierer als der der
Christen. Einige positive Zahlen aus
Deutschland mogen dies belegen. In
Berlin betrug (um 1905) der prozen*
tuelle Anteil der Juden an der Ge«
samteinwohnerzahl 5,06 Prozent, der
prozentuelle Anteil der von den Jus
den aufgebrachten Steuern am Ge*
samtsteuerertrag dagegen 30,77 Pro*
zent. Ganzahnlich ist das Verhaltnis
XXcdcux J>b-fc6f ^triprog cri (d) t Sut>ca frficrfff Pri.
rn.as.xaib fcrf> (jo&TrifHjm Qtfaiiis arpprpb'terier
'pHrycAX -mat f£er, in fnnem $eb u[Wc t}t>(
Jin ttufibimfc offer £t£,-ft fcfiefjrt, a tjakjjtfiriiJ)
tar piciyct in trfrij) irti Itfi (cat a/roftcs tjlurfb,
iir {Alt jQar{<£$.3\tt> fdojoori jmear £ral|i o Xeuln
irtfj Jfin tttrf flroifi imb vorbi t
( &er~&\ftljou wrr^houixi
43.
Karikatur auf Nathan Hirsch], Vorsteher der
Prager Judengemeinde
Kupferstich von Elias Back. Anfang 17. Jahrhundert
22
«&«# mt> 8gv§aSkw&tl
3" iccff&enifi(^&icieiiigmii)ot}utcf(^aiten^a6en/faiuit&cma6fcbdw[ti&e»£flrtcrBc|}t)netf»H(ii£&en
(Sa'^vncS'Gwcljercbi^alfta/iurtrtiDljirui^tiiQIIariiuiigfiiraHgtngtlJtllct-
44. Der judische Geiz= und Wucherspiegel
Satirische Allegorie. Fliegcndes BUtt. Kupferstich. Anfang 17. Jahrhuodert
in anderen Stadten, wo besonders viele Juden wohnen. In Breslau sind
die Juden mit 4,3 Prozent an der Bevolkerung beteiligt, am Einkommen da*
gegen mit 20,3 Prozent. Auch wenn sich die Zahlen iiber ein ganzes Land
erstrecken, ist das Resultat das gleiche. Im fruheren Grofiherzogtum Baden
waren die Juden (am 1. Dezember 1905) mit 1,29 Prozent an der Bevolke*
rung beteiligt, an der Einkommensverteilung auf Grund der Gesamtein*
kommensteuer dagegen mit 9,06 Prozent. Die Juden sind also auf Grund
dieser Zahlen im Durchschnitt stets nahezu runf« bis sechsmal so reich wie
die Christen. So war es durch alle Zeiten hindurch. Und es ist sogar an*
zunehmen, weil es in der Natur der Sache lag, dafi in fruheren Jahrhun*
derten, im Mittelalter und in der Fruhzeit der kapitalistischen Entwicklung,
als das Geld in den Handen und Truhen der Bauern und Handwerker noch
eine gar seltene Sache war, das Reichtumsverhaltnis zugunsten der Juden
noch wesentlich grofierwar.' Fur die Tatsachlichkeitdes judischen Reichtums
in jenen Zeiten will ich hier nur ein paar historisch feststehende Beispiele
23
nennen: Mardochai Meisel in Prag, der im 16. Jahrhundert lebte, war so
reich, dafi er es vermochte, eine prachtige Synagoge bauen und die ganze
Judenstadt pflastern zu lassen. Das Vermogen des im 17. Jahrhundert in
Holland lebenden portugiesischen Juden De Pinto wurde auf achtMillionen
Gulden geschatzt. Aus dem Jahre 1725 sind iiber die vermogenden Juden
in Altona und Hamburg folgende Namen und Zahlen bekannt: Salomon
Berens besitzt 1,600000 Mf., Meyer Berend 400000 Mf., Elias Oppenheimer
300000 Mf., Joel Salomon 210000 Mf., Berend Salomon 600000 Reichstaler,
Meyer Berens 400000 Reichstaler und so fort. Aus Frankfurt sind vom Ende
des 18. Jahrhunderts folgende Zahlen und Namen bekannt: Speyer 604000
Gulden, Reifi Ellissen 299,916 Gulden; Haas Kann 256500 Gulden, Amschel
Schuster 253000 Gulden und so fort. Unendlich lange Listen konnte man
in dieser Weise fullen. Fur das 16. und 17. Jahrhundert ist die aufierordents
liche Hohe der Zwangsdarlehen beweiskraftig, die den Juden dieser oder
jenerStadt von den Konigen oder Kaisern immer wieder auferlegt und von
den betreffenden Juden auch aufgebracht wurden. In derselben Zeit gab
es zahlreiche Gemeinden, wo die Mehrzahl der ansassigen christlichen Be*
volkerung einigen wenigen, mitunter sogar einer einzigen Judenf amilie vers
schuldet war.
Der grofie Reichtum der Juden ist in alien Zeiten und Landern sprich*
wortlich gewesen. Soweit eine Nachprufung im einzelnen Fall moglich ist,
erweist sie stets die Richtigkeit dieser Annahme, und obendrein die Tat*
sache, dafi die Juden fast immer die reichsten Leute der betreffenden Stadt
sind, d. h. dafi sie zumeist mehrfach reicher sind als die Christen, in deren
Mitte sie wohnten. Gewifi kann man aus der jungsten Vergangenheit sagen,
dafi z. B. im zaristischen Rufiland der reichste Mann kein Jude war, weil
es der Zar. war, und man kann weiter sagen, dafi die reichsten Amerikaner,
sofern ich mich nicht tausche, ebenfalls keine Juden sind, aber darin kann
nur ein Dummkopf einen Widerspruch finden.
Hier an dieser Stelle mochte ich gleich noch etwas einschalten: weil
der judische Geldreichtum einen so grofien Anteil am Gesamtvermogen
ausmacht, und fruher, wie gesagt, einen noch grofieren als heute, so erklart
sich schon dadurch, dafi eine Stadt oder ein Land alsbald verarmten und in
ihrer Kultur verblafiten, wenn die Juden der betreffenden Stadt oder des
betreffenden Landes aus irgendeinem Grunde auswanderten, wahrend ans
24
Wai geschrieen!
llumoristiscli:sa1irische Darstcllung eincs alten Nurnbergor Judcn
Gcmilde von Lconhard Strauch. 17. Jahrhundert
l.ige zu liduard Fuc lis. .Die Juden in ier Karilatur"
Albert L.insen, Muncheii
s„i, it™,;..,, j„;„ j, r JuJ.»H*Wm™ A~*i^
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dererseits dortalsbald eine besondere Blute
der Kultur entstand, wo. die andernorts
vertriebenen Juden ihre neuen Wohnsitze
aufschlugen. Es gibt fur diese krasse Er*
scheinung zahlreiche Beispiele in der Ge*
schichte. Der schon oben erwahnte Zu*
sammenbruch Spaniens und die Blute
Hollands und Englands im 17. Jahrhun*
dert sind durch diese Geldverschiebungen
fast restlos zu erklaren. Die Verschiebung
des wirtschaftlichen Schwergewichtes vom
Suden Europas nach dem Norden Europas
im 16. Jahrhundert durfte viel weniger,
oder richtiger gar nicht, zusammenhangen
mit der Entdeckung der neuen Seewege,
sondern vielmehr mit der durch Gewalt
herbeigefuhrte Abwanderung der Juden
aus dem Suden nach dem Norden Italiens,
denn mit ihnen, in ihren Reisesacken.wan*
derte der mobile Reichtum aus dem Suden nach dem Norden. Als der
Senat von Venedig 1550 beschlofl, auch die getauften Juden, die Marannen,
auszuweisen und den Handel mit ihnen zu verbieten, erklarten die christ*
lichen Kaufleute, dafi sie dann auch gleich mit fortziehen konnten, weil
die Juden den gesamten Handel mit dem Ausland in Handen hatten. In
Antwerpen erlebte man um dieselbe Zeit genau dasselbe Schauspiel. Die
Bemuhungen der christlichen Kaufleute Antwerpens waren jedoch erfolg*
los; die Juden wandten sich nach Amsterdam, und mit Antwerpens Blute
war es zu Ende. Die kurze Blute Antwerpens im 16. Jahrhundert fallt tat*
sachlich geriau in die Zeit zwischen der An* und Abwanderung der Juden.
Als in Bordeaux im Jahre 1675 infolge der Plunderungen eines Soldner*
heeres einige grofte portugiesische Juden (darunter Gaspard Gonzales und
Alvares) die Stadt verlassen hatten, horte alsbald der ganze Groflhandel auf .
Hamburg und Frankfurt haben im 17. und 18. Jahrhundert eine Blutezeit
durchgemacht wie zur selben Zeit wenig franzosische und englische Stadte,
und beide waren damals die klassischen Judenstadte. Um 1700 zahlte Frank*
45. Karikatur auf den Wiener Juden
Jakob Ries aus Prag
Kupferstich von V'alk. Ende 17. Jahrhundert
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
25
furt 3000 juden bei einer Gesamteinwohnerzahl von 18000! In Hamburg
durfte das Verhaltnis ein ahnliches gewesen sein. Nurnberg, Ulm, Augs*
burg verfallen um die gleiche Zeit, — dort werden die Juden verfolgt.
Genau ebenso ist die Situation in Frankreich: alle die Stadte bluhen sehr
bald, wohin die andernorts vertriebenen Juden hinstromen: Bordeaux, Mar*
seille, Rouen. Es sind die bluhendsten Stadte Frankreichs im 18. Jahrhun*
dert, und es sind zugleich Frankreichs Judenstadte in dieser Zeit. Diese
zwingenden Zusammenhange sind bis jetzt den allerwenigsten Wirtschafts*
historikern aufgegangen.
Auf die Frage, der wir uns jetzt zuwenden mussen: woher ruhrt ur«
sprunglich der Reichtum der Juden? durfte zu sagen sein, dafi es so
scheint, „als sei ihnen in den Anfangen ohne ihr Zutun viel Geld zuge=
flossen; oder richtiger: Edelmetall zugeflossen, das sich dann spater in
Metallgeld umgewandelt hat. Man hat, so viel ich sehe, noch niemals
darauf geachtet, welche grofien Mengen von Edelmetall— damals vor=
wiegend nicht in der Geldform naturlich — zur Konigszeit in Palastina
mussen aufgehauft gewesen sein." (Sombart.) Diese Reichtumer sind
spater, als sich das Bargeld durchgesetzt hatte, standig und in ganz aufier*
ordentlicher Weise durch die Tempelsteuern der vielen jahrlich nach
Jerusalem wandernden Pilger angewachsen. Diese liefien naturlich auch
sonst viel Geld in Jerusalem. Es gibt mehrere Berichte aus dem Altertum ,
die Angaben iiber den gewaltigen, auf diese Weise in den Handen der Juden
sich sammelnden Reichtum machen. In Jerusalem mufi darnach in jenen
Zeiten ein ganz ungeheurer Geldzusammenflufi stattgefunden haben, der
selbstverstandlich zu sehr viel individuellem Reichtum fuhrte, und der zu
einem grofien Teil naturlich auch in den Handen oder Taschen der aus
Palastina abwandernden Juden blieb.
Aber durch diesen Umstand allein, dafi ursprunglich grofie Geldstrome
nach Palastina fluteten, ist der notorische Reichtum der Juden, der durch
alle Jahrhunderte hindurch und bis auf den heutigen Tag festzustellen ist,
absolut nicht erklart. Und noch weniger der Umstand, der schliefilich der
allerwichtigste ist, dafi unter den gleichen Verhaltnissen die Vermogen der
Juden immer viel rascher zunahmen als die ihrer christlichen Mitburger,
woruber es ebenfalls eine ganze Reihe zuverlassiger Zahlen gibt. Gewifi
„heckt das Geld von allein", wie das Sprichwort sagt. Aber andrerseits ist
26
-a -a
§ 1
u *
O
E
a -2.
(
es doch ebenso notorisch , daft in
hunderten von Fallen die groften
Vermogen im Laufe der Zeit wie*
der in Nichts zerflossen sind. Frei«
lich muli hier die Einschrankung
gemacht werden, daft es sich bei
diesen Vermogensauflosungen in
47 u. 48. Spottmiinze auf den Kornwucher der Juden. .11
1694 den selteneren Fallen um jiidische
Vermogen gehandelt hat. Aber
trotz alledem reicht die palastinensische Urquelle des jiidischen Reichtums
nicht aus fiir die Erklarung, daft die iiber die ganze Welt verstreuten Juden
dauernd und in wachsendem Mafte an dem lokalen, wie an dem nationalen
Reichtum beteiligt waren. Es muftten unbedingt noch andere Umstande
hinzutreten , um zu diesem Resultat zu fiihren. Die Juden muftten eines*
teils in eine Lage kommen, die sie zwang, oder die es ihnen mindestens er«
moglichte, den jeweils vorhandenen oder erworbenen Besitz zu bewahren,
undandererseitsmuftten sie ein besonderes Talent dafiir haben, ihren Besitz er«
tragreicher als dieVolker, in deren Mitte sie lebten , anzulegen und zu mehren.
Und diese beiden Umstande kommen auch tatsachlich hinzu. Ich werde
versuchen, dies zu beweisen. In Deutschland z. B. hat die Juden ihr Schick;
sal fast immer dazu verdammt, viel weniger Gelegenheiten als die Christen
zu haben, ihr Geld auszugeben. Infolge ihrer standigen Zuriicksetzung im
biirgerlichen Leben muftten sie noch bis in die jungste Vergangenheit alien
jenen Veranstaltungen fernbleiben, die nie Geld eintrugen, sondern nur
viel Geld kosteten. Ihre Sohne konnten weder Offiziere werden, noch
sonstige Berufe ergreifen, die zu einem standesgemaften, geschweige denn
zu einem luxuriosen Leben zwangen. In f riiheren Jahrhunderten standen
die Juden — freilich nicht nur sie allein , sondern auch alles sogenannte
niedere Volk — direkt unter einem ihnen auferlegten Luxusverbot. Im
Ghetto war ihre Wohnungsweise die denkbar diirftigste, und gerade dieser
Zustand hat sich iiberall nursehr langsam gebessert. Mit einem Wort: alle
..Geschaftsspesen" der herrschenden Klassen waren den Juden erspart. Eine
solche historische Situation wirkt enorm kapitalbildend, und da dieser Zu;
stand, der kategorische Ausschluft von allem grandseigneuralen Leben, Jahr*
hunderte wahrte, so wurde den Juden hierdurch aufterdem das Sparen
28
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3)ig roarB(FOb(rfl©'taum/3flrniie<Fbu:CD(founfr(
•fin 6ci>(lm unB ( flfg Sdb auj aD» ^<u)f tla%uaf\<f
iDmrf IIi6(r irfrr fts^/nas Dl(f(i ^uBgrfdjIidjui/
tfr (at Btf fytndttt 3mp(/an 3ub«n aud) «riKr)lc(/
AlcjfK grptfnlgl gar/rjill 6(d) »er foIdftmSdB/
S« b((f ( iaflrr «Q bi'6 an fan Snbt tritft.
3)ff p<r 3uD«n Q(r)aB«Bcni4,3ana<S7u
3nBJ<3u6i(d}r Spnjgngdi dbrrfdp'ffrt ; Bar-
be? g(6(»n foldjfs bimTt. "prop^ra Schilo
Sabathoy auff 9 t^flc iu conimunioirni.
49.
Illustriertes Spottgedicht auf den diebischen Juden Amschel
Fliegendes Blatt. 1671
systematisch angeziichtet. Der Jude wurde auf diese Weise zum typischen
Sparer. Weil jedem Juden schon in der fruhesten Jugend das Sparen an*
gewohnt worden war, so zerflofi der vererbte Reichtum in den seltensten
Fallen in den Handen verschwenderischer Erben.
In alledem ist gewifi eine der Wurzeln des judischen Reichtums zu
suchen. Aber viel ausschlaggebender ist doch der zweite Umstand, das an*
geborene Talent der Juden zum Geldverdienen: dafi sie es verstehen, ihren
Besitz ertragreicher als die Christen anzulegen und umzusetzen. Das ist in
der Tat der in letzter Instanz ausschlaggebende Faktor. Dieses Talent zum
Geldverdienen besteht in dem ausgesprochenen Sinn der Juden fur die Gelds
wirtschaft. Dieser Sinn hat die Juden fruhzeitig die lohnendste Seite der
Geldwirtschaft finden lassen: die Geldleihe'. Selbstverstandlich nichtdie
Geldleihe aus Gefalligkeit, sondern als Geschaft, gegen Entschadigung, gegen
Zins. Geldleihe gegen Zins bedeutet: ohne brutalen Zwang andere fur
sich arbeiten zu lassen und auf diese Weise auch des Ertrags der Arbeit
anderer teilhaftig zu werden. Dieser angenehmsten aller Beschaftigungen
hat sich der Jude mit Vorliebe und mit dem allergrofiten Eifer durch alle
Jahrtausende hindurch gewidmet, wo er auch war: der Jude lieh in Palastina
„auf Pfander" — denn diese mufiten ihm als Sicherheit fur das hergeliehene
Geld dienen; er lieh im Mittelalter „auf Pfander", er tat dies, als Hofjude
im 18. Jahrhundert, und er tutheute noch dasselbe als Bankier. Aus dieser
Tatigkeit vor allem stammt der notorische Reichtum der Juden, von dem
wir oben einige genauere Zahlen kennen gelernt haben. Aus dieser Tatigs
keit stammt aber auch noch ein zweites, namlich die kapitalistische Wirts
schaftsweise. Der Kapitalismus ist aus der Geldleihe geboren. Was das
Wesen des Kapitalismus ausmacht, steckt im Keime alles in der Geldleihe.
In der Geldleihe fehlen alle personlichenBeziehungen zur Arbeit. Die Gelds
leihe ist keine Arbeit, die zu einem Produkt fuhrt, sondern sie fuhrt nur
zu einem Gewinn. Die Geldleihe ist ein nacktes Rechenexempel, wobei es
sich ganz gleich bleibt, ob es sich bei der Hergabe des Geldes um die In*
stallierung eines Hurenhauses oder um den Bau eines Sanatoriums handelt.
Alles das sind auch die Wesenszuge des Kapitalismus. Vor allem aber deckt
sich der Kapitalismus mit der obersten, schon weiter oben genannten
Haupteigenschaft der Geldleihe: andere fur sich arbeiten zu lassen; mit den
schwersten korperlichen Arbeiten Geld zu verdienen, ohne sich selbst im
30
Annomj ian5^^nU^totBxnfi^h roar Dns^in^fria Simeon
C«r enfant. narnmr'OtVman. aae <)«■ 2 ^Aris /ur tuc par krj/iufs
{? } enJ%aJ>lt iSinscnd, ok. a'u'^fhiikfu oWtA. au au'
"f5 iff fori] aflrSrif eurr brfirs&ffryrrf" !
SSi7ts^Aiauc/tf bets ct tatf .' ._ Uu/io/.r J/utfs ires ordures'
G?J sotU fhartikt pour votu, Oe^ban,nfy confitures
£u hiidrn Xm^rttnrtferi dm'JRmjii briijjotjiinn
50. Das Schwein als jiidische Nihrmutter
SomiKher Einhlitidnick. Fraoifurt. AofjDg 18. JdhrhuDdert
51 u. 52. Spoltmiinzen auf den wurttembcrgbchen
Hofjuden SuB Oppenheimer. 1738
Geringsten korperlich anstren*
gen zu miissen.
Weil also die Juden die
Geldwirtschaft in Flufi brach;
ten, und weil sie dabei in Eu*
ropa mit einer Entwicklung zu*
sammentraf en, die reif zum Ka*
pitalismus war, darum wurden
sie auf diese Weise direkt und
dauernd die standigen Inspi*
ratoren der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Das ist dieser Frage letztes
Geheimnis.
Der auffallende und gewift nicht wegzuleugnende besondere Sinn der
Juden fiir die Geldwirtschaft wurde seither zumeist aus der Ursache erklart,
daft den Juden seit dem Ausgang des Mittelalters keine andere Form des
Geldverdienens zuganglich gewesen sei, und daft sie fruher ebenfalls auf
andere Weise, z.B.als Acker bauer.ihr Geld verdient hatten. Diese Erklarung
ist zum grofteren Teil falsch und zum ubrigen mindestens unzureichend.
Es ist nicht wahr, daft die Juden fruher Ackerbauer gewesen sind. Es ist
auch falsch, daft die Juden von Natur ein handeltreibendes Volk sind. Die
klassischen Handelsvolker der Antike waren die Phonikier, die Griechen,
die Syrier, aber nicht die Juden. Die Juden haben dagegen von Anf ang an
eine besondere Begabung fiir das Geldleihgeschaft gehabt, und sie trieben
dies, wie gesagt, schon in Palastina. Mit welch groftem Erfolg, das erfahrt
man aus der Bibel mit aller Deutlichkeit. Jahve, der Gott der Juden, vers
heiftt seinem Volke: „Der Herr Dein Gott wird dich segnen, wie er dir
geredet hat. So wirst du vielen Volkern leihen und wirst von Niemand
borgen." Das Religionsbuch der Juden, derTalmud, ist nicht zum kleinsten
Teil ein wahres Lehrbuch fiir diese ertragreichste aller Tatigkeiten. Wie ers
tragreich das „Geld auf Pfander leihen" im Mittelalter und in der Friihzeit
der kapitalistischen Wirtschaftsweise war, erfahrt man aus einer Reihe Vers
ordnungen, worin die Hohe des Zinses festgelegt worden ist, der den Juden
2,u nehmen erlaubt war. Nach den Feststellungen von Dr. Ignaz Schwarz
in seiner Studie zur Geschichte der Wiener Juden betrug der Zinzsatz im
15. u. 16. Jahrhundert in Wien bis zu 65 Prozent. Der Zins, den die Juden
32
^itmrro . JCoa km budikin Zobi: «Mnu£, -^roytoimicfet, ^f#U, wtfc attfera fiiRtfJfea bypotiposibs :
mtfc
Oorumft lotil j6r fcU^nrten jpn&ertnic&t vnb mmmt b«$%>rn mi aroSen tajun turn j^ntn, fo foCt $r in
frfietfen. fcs *i£ if* , vt* errne fun* ftic jW ; finJ. 9**J> r
Beilage zu Eduard Fuchs, .Die Jndcn in der Karikttor"
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©«r gemfe nrirfc (left frewcn, WAn cr foCc^e rac^, fl6el . pf- ^5 .
Der Korn? und Wein*Jud
Deutsche symbolische KarikatUr auf dsn jttdisclien Korn* und Weinwtichtf. 1?. jahrhundert
Albtrt Langen, Mooches
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53. Stuttgarter Spottflugblatt auf die Hinrichtung des Hofjuden Sufi Oppenheimer
Spottgedicht. Typographische Darstellung des Galgens in dem Siili Oppenheimer aufgehangt wurde. 1738
nahmen, war fruher nicht selten sogar so hoch, dafi er im Verlauf eines
Jahres ebensoviel und noch mehr ausmachte als die Hohe des geliehenen
Kapitals. Das wurde vor allem durch den sogenannten Wochenwucher
erreicht, indem man den vereinbarten Zins per Woche berechnete. „Nur
ein Groschen von der Mark wochentlich" (Kohut) gait schon als eine Mas
fligung. Diesen hohen Zinssatzen standen freilich standig grofie Verluste
an den ausgeliehenen Betragen gegenuber, und sie wurden sehr haufig damit
auch begrundet. Im 17. und 18. Jahrhundert waren 10 bis 15Prozent Zin«
sen noch allgemein ubliche Satze, die man gar nicht ubertrieben fand, und
Fuchs, Die Juden in der Karikatuc 5
33
54. K^riltitur iuf ritien jltcii llandelijuden. Kupftrstkh von Jjkoh HomburR. t-rankftirt urn 1775
fiir die der Geldbediirf tige froh war, Geld zu bekommen, auch wenn er dem
Darleiher sowieso alle gewiinschten Sicherheiten leisten konnte. Dazu kam,
daft der Jude jahrhundertelang keinerlei ernstliche Konkurrenz bei dem
Beruf des Geldleihens hatte; denn dem Christen war es nach der Bibel vers
boten, Zins zu nehmen; dem Juden dagegen war es ein Verdienst, wenigs
stens gegenuber dem Fremden, und das waren alle Nichtjuden. Das,
34
■It*. JX.ff,V.^*JllgW?N^V ■»* , «>■ j^ftAA
worauf es hier ankommt, ist jedoch, dafi es sich um ein Sondertalent der
Juden „zum Wuchern" handelte. Gemocht und gemacht haben es namlich
trotz alien kirchlichen Verboten gewifi sehr viele Christen, d. h. alle Na«
tionen und alle Glaubensbekenntnisse; aber verstanden hat dieses Geschaft
niemand so gut wie die Juden. Daruber gab es nirgends und bei niemand
einen Zweifel. Und darum hat man in den Zeiten des sich steigernden
Wirtschaftsverkehrs , als alle Welt flussiges Geld brauchte, das Nehmen
von Zins, d. h. den Wucher der Juden, nicht nur geduldet, nein, die
Stadtoberhaupter haben den judischen Wucher sogar mit alien Kraften ge*
fordert. Weil niemand die neuen Probleme der Geldwirtschaft in derselben
Weise zu bewaltigen verstand wie die Juden, wurden diese von den Stadts
verwaltungen im Mittelalter geradezu angef leht, sie mochten doch ja in die
Stadt .wuchern' kommen. Sie sollten alle nur erdenklichen Vergunsti«
gungen erhalten. Formliche Vertrage wurden noch im 15. und 16. Jahr«
hundert von italienischen Stadtgemeinden mit den angesehensten judisclen
„Wucherern" abgeschlossen, damit diese eine
Leihbank errichteten oder sonstwie auf Pfans
der liehen. Auf diese Weise wurdederWucher,
worunter man ursprunglich auch das reelle
Zinsgeschaft verstand, iiberalldasMonopol der
Juden. Statt Zinsen sagte man daher vielfach
.Judenkosten". Naturlich waren reiche Juden
in den geldbedurftigen Zeiten obendrein auch
sehr begehrte Steuerzahler, deren Zuzug sehr
erwunschtwar. Dasgaltnicht nur fur einzelne
Stadte, sondern fur ganze Lander, so z. B. fur
England zur Zeit des Langen Parlaments im
17. Jahrhundert, und unter Karl II., wo die
Geldbedurfnisse in England sehr grofi waren.
Als Dankfurihre oft sehr erwunschteAnwesen=
heit und Tatigkeit nahmen die Stadte und Fur*
sten die Juden in kritischen Zeiten in Schutz;
wenigstensbestimmteFamilien. Soentstanddas
System der Schutzjuden, der Kammerknechte
und im 17. Jahrhundert das der Hofjuden.
Wywiwa'.m wuiii^
55. Wie ein Jude seinen Schuldner
bis aufs Hemd auszieht
Deutsche satirische Spielkarte. IS. Jahrhundert
5*
35
tc*wm=lprtmm
Vermoge ihres individuellen Reichtums und noch mehr infolge ihrer
internationalen Beziehungen konnten diejuden denStadten und den Fursten
auch die notigen grofien Kredite verschaffen, die diese im Zeitalter der Gelds
wirtschaft zur Bewaltigung ihrer kommunalen Aufgaben oderzur Deckung
ihrer Kriegfuhrung brauchten. So wurden die Juden die fruhesten und
haufigsten Anleihegeber. Der Jude Suasso leiht Wilhelm von Oranien im
Jahre 1688 zwei Millionen Gulden. Der Jude Sinzheimer, der neben den
Juden Oppenheimer und Wertheimer der bedeutendsteStaatsglaubigerOsters
reichs war, hatte im Jahre 1739 Forderungen an den Staat von etwa funf
Millionen Gulden. Sampson Gideon bringt im Jahre 1745 in England eine
Anleihe von 1700000 Pfund auf. Auf die Gideons folgen in England die
Juden Salvador als Finanzmacht und bei Beginn des 19. Jahrhunderts die
iiber ganz Europa verbreitete Finanzdynastie Rothschild. Samuel Bernard
ist in Frankreich unterLudwigXIV. derGeldgeber im spanischen Erbfolges
krieg. Er gait damals als der grofite Bankier Europas.
Eine aufierordentlich grofie Rolle spiels
ten diejuden vom 15. bis 18. Jahrhundert
als Heereslieferanten. Sielieferten einfach
alles: Waffen, Munition, Ausrustung,
Verpflegung, und aufierdem das Geld fur
die Lohnungen. Eine ganze Anzahl Jus
den sind geadelt worden blofi wegen
ihrer grofien Verdienste um die erfolgs
reiche Heeresbelieferung. Der portugie*
sische Jude Carvajal, der um 1630 in Lon«
don einwanderte, ist der bedeutendste
Heereslieferant des damaligen englischen
Freistaates gewesen. Zur Zeit der grofien
englischen Revolution gehort er zu den
funf grofien englischen Kauf leuten, denen
der Staatsrat die Getreidelieferung fur das
Parlamentsheer ubertrug. Man nannte
ihn „the great Jew". In der nachsten
Periode spielte Sir Solomon Medina die*
selbe Rolle, er wurde dafur in den Adels«
56. Judenware
Satirischcr Kuplerstich. 18. Jahrhundeit
36
Sie (Trfj bet) <£rlermmg beg <£retcttiiimg beHagenben jubifefcert SRcfrutcru
ttlttufc&tl-
Pf>cM»eifctnteS ©efefjief ! ou roei ! wit finb bectocen.
*v adein jum Unglucf (inb mi: quf tie 2BeIt gebol)C«t.
<2d)au t)€tf o Deutfdje 2Belf ! fd)au mit SenuunDcung ait
SH3ic jieben in Da^3eI0. 2lc&! fdjicft fid) Dicfetf Dann?
(Jin OTaufdjel unD ©olbatjugleid) rote mufen roetben.
SttJic fdjit>6cen beo bem ©act, bep £immet unD beg ffcDuij
S)ie <3ad)e gebt nidjt a n , roeiis a n Sucage feblt.
Unb Dennod) tnccDen reir DemSciegec jugefcllt.
ting Dief eg gac nid)t fdjmecft , tuir (jaben feme Sceube,
2Bir fiibfen Rete D.uaal, unb lautec £«$enieiDe.
Murage beo ung feblt* man ladjtunB a\xi unbein.
<£.i Cann ein junge ka§ bey uns ein ©cacfe fepn.
&orpocal.
©u(^)erj, mein©obn ! tm gelDroicb |Td) bccSttutl) fdjon mefoccn.
£tf Eann dec £a§tl)locf eud) aud) Outage lebcen.
ttTaufdKl.
2(u reci/ ^)ecc .Corporal! um8 -Oimmeftf 2Gunbec Dod) f
SBas bietbet tltr un6 an? SuiDad ecjdblt ibx nodj ?
3Bie voicb 0a6 ©oicnoolF nidjt in Die £cinDe fiatfdjen ,
SttSeun uritf Dec .£)afiel|rod; foil auf bem ijiutfel bat |d)eu!
9BAc roibec ba6 @efcfc ; mt finO eS nidjt gereobnt.
Sid; tag turn Diefem bod) un* 3&ben feun weefdjont.
Rorpocal.
9fldt$t nidjt t>ul*}MauDetei), fdjicft eud) jum €wctcen;
©onfi roili ben 35utf cl end) red) t tapf cc cuntec fd)mtnen.
tfTaufc&el-
•&brt ju,.,f)ert Svoruotol! roir finbbaluentfdj[b|fen;
$ld) fcyO bod; tibecutttJ nidx jocntguub txcbroift-tt,
2£ir sceifcii toillig an; bod; fagen 101c babei),
'*26ie Dag wMj.uufctm gteif nia)t ttiel ju hon, cn f<^
3Bir furdjten 'ISntoecraud) , unb and) Dec £uge( pfcifcn ;
213ic fucd) ten imtf fcl)t liacE luenu Die Sanonen jlceifen.
SSctrnctjten ©ie , rae tief unS Dicp ju pcrjen gebt *
SBcnn uns Dec toflc gcinb einmat cnrgcgeri |r«fct.
S33ie (eidjtlict) f oilmen ivic nod) ubec all !&c[d)TOCCDen
-3" foldjec SebendgefalK ivoljl sax ecfdjoiTen toetben.
2torpoc(tL
S5ucdj eine Sugel fficbt ein bcasec ^etbforoat.
28enntf end) nidjt betfee gebt/ i'|i roenig |uc «tid) ©djab.
ITTaufJ)eL
©ott malt/ -Oetc^otpocal! Cos (ann bod) ntdjt beflebm;
(£6 roiicO in ccm ©efe^ ein gco§ec %cudj ge|'d)ebti).
Sinmal fiic alfemat , s Eanngeiui§ nidjt feon,
3bc rotffet obne Datfr njicelfenni^tBoonlSttjroetn.
2Senn tt*ic bey ^Joien fe?n, anD mit Den ^ucEeti fed)ten r
SQSec roicD unS mittlerroeil juc ©pels Die Di^ien fd)e<$ren ?
2&ec giebtunSanbceSmebc? roecgiebt une^ofebetronr.?
3$ fag t$ erjelia)/ -pert! eSfanngerinls nid)t feijn.
AorporaL,
3m $elb tft allet! fee? , too Dad &eTe| gefeobea;
^)cummait)tmicCein^)efd}revmueucenfd)led)ten9coben<.
'IZBatfbectdolDat <jeme£t/ it)m ailejcit mobl fd>n«c£i/
2inion|t bet- >Oa^l{tO(f eud) 2Jppetit ecroecft.
ITT^ufd)eL
3Jiocb taufenb ?KageS roeU i$t oaiff ben ^eufet gTe&ert/
3^tbei)tS, Den^utfclljec! e8 buft Ecin 'Sitt nod) i^irbct:.
Sfutoet! Dec ^eufct (jat Das (Sdjtagen aufjjcbracrjt;
2(u roei/ -Deer x'ocpocat' l)6ct tpie Die Siippen fcadjt.
2(u roei! WegiaS Eomm; actilagbein £ornood)blnfen/
^Gie Sonnet uom OTittag mit @tucmen unb mit iKafeii.
Siu net ! acb Eomm iu Jjutf Dec acmen 3ubenf tbaat i
Slu toet! aq) cette una cot © tceirt) unb £cb«ni»§«fat)t-
2/u ivei! .t^crr Corporal ! ad) t'd)ont mid) untecoeifen ,
^tcroollcn Eolicec Suifd), ^uurfciunniD Anotel ftclTej?-
& i|l un6 alteS gut , e& i(r an^ ait^ cedjt ,
2Jd) t)6ct bod) einmat auf mil Ot'efcai ©'tocf gefedjt.
^3it fceiTen Dugne^ucio rait ftefjen ©pert unb *l>lunienj
Slu rod, Jpctc ^ocporai! ki) mus in b'-poun bninjcn.
Suioet, *S>ecc ifocoocal! cct)orct mem ^efdjeev-
SSocSdjmetienueftsid)/ auioet! au ivci! auiwei!
tUe£ btm Wiener (Priginal geSrndl , uni van
57. Wiener Spottgedicht auf die Juden als Soldaten
Flugblatt. Kupfecstich von Loschcnkoh!. Um 1780
stand erhoben „er ist der erste (ungetaufte) adlige Jude in England". Der
Marschall Moritz von Sachsen, der Sieger von Fontenoy, aufierte, dafi seine
Armeen niemals besser verproviantiert gewesen seien, als wenn er sich an
die Juden gewandt hatte. Der Jude vermochte solche Leistungen, die den
Christen versagt waren, zu Wege zu bringen, kraft seiner Beziehungen und
infolge des Zusammenhaltes unter den Juden, wodurch er uberall seine
Helfershelfer hat. Die Juden erwiesen sich so als die ersten grofien geschafts
lichen Organisatoren.
Ohne die finanzielle Geschicklichkeit und Willfahrigkeit der Juden
lafit sich kein Krieg fiihren, — das war bis in unsere Zeit herein die feste
Meinung der meisten Staatenlenker, und es ist jedenfalls mehr als blofi ein
guter Witz, wenn die Anekdote erzahlt wird, die Frau von Amschel Roths
schild habe einmal gegenuber einem Besuch auf dieFrage, ob es wohl Krieg
gabe, geantwortet: „Nei, nei, es gibt kein Krieg, mei Amschel gibt kei Geld
her." Aus den Hofjuden wurden die Steuerpachter, die Schatzmeister und
schliefilich die Finanzminister, die nicht nur hinter den Kulissen, sondern
ganz offen die Finanzen der Stadte und Lander beherrschten. Man kann
wohl sagen, dafi die Juden jahrhundertelang die Finanzen Europas fast aus*
schliefilich beherrscht haben. Wahrend der Regierung der KoniginAnnall.
in England ist Menasseh Lopez der leitende Finanzmann Englands. Im 17.
und 18. Jahrhundert gibt es nicht einen deutschen Hof, der nicht seinen
Hofjuden hatte, manchmal hatte er auch mehrere. Ober anderthalb Jahrs
hunderte lang waren die Hofbankiers am
Wiener Hof nur Juden. Auch Bismarck
und die Hohenzollern hatten ihren Hof*
juden, namlich Bleichroder. Und wie im«
mer, so auch in diesem Falle, kamen alle drei
Parteien auf ihre Kosten: Bismarck, die
Hohenzollern und Bleichroder.
So wurde die besondere Geschicklich*
keit der Juden in den Fragen der Geldwirt*
schaft die oberste Ursache ihrer grofien
DerLovrbe nut 2 entprajjen. Kraym Macht und ihres starken Einflusses in Ge«
Wird biffig hier DerWetZZurSchjclu- . , , „. , ... , ..
VoriJeiKeriiKleppei-lwngdTayen- memde und Staat, woruber sie trotz ihrer
58. N-iirnbcrger Kirikau, 1785 Unterdruckung immer und uberall verfiig*
Her Hitter von- ~c>erwiii)eitSau.
38
59. „D»e kritische Viertdstuniic des Rabelais"
Rjdienin? v<m KeinbarJ. I"8'
ten, oder wenigstens immer wieder sehr bald verfugten, wenn sie auch kurz
zuvor noch so heftig verfolgt worden waren.
Wie es nicht wahr ist, dafi die Juden von Natur ein Ackerbauvolk sind,
so gehort es, wie gesagt, zu den verbreitetsten Irrtiimern, dafi sich die Juden
immer nur gezwungenermaften der Geldwirtschaft zugewandt hatten, weil
ihnen angeblich schon im Mittelalter und vielfach bis nahe an unsere Ge«
genwart heran alle anderen Berufe verschlossen gewesen waren. Es ist ge?
wifi richtig, dafi den Juden friiher in unendlich vielen Fallen und an sehr
39
vielen Orten die Ausubung eines Handwerks verboten war, dafi sie in den
Zunften und Gilden niemals Zutritt fanden, dafi sie nur mit ganz bes
stimmten Artikeln Handel treiben durften, und dafi ihnen der Erwerb von
Grund und Boden an vielen Orten versagt war. Hieraus darf auch ge=
folgert werden, dafi diese stark eingeengte Stellung im Erwerbsleben die
Neigung zur Beschaftigung in derreinen Geldwirtschaft bei ihnen sehrges.
fordert hat, und^dafi damit eine vorhandene Geldliebe kunstlich bei ihnen
weiter gezuchtet worden ist. Aber wenn es mir auch nicht einfallt, die den
Juden in fruheren Zeiten zuteil gewordenen Beschrankungen geringer ein*
zuschatzen, als sie in Wirklichkeit gew'esen sind, so mufi doch mit aller
Entschiedenheit immer wieder gegen den landlaufigen Irrtum protestiert
werden, als sei die vorzugsweise Beschaftigung der Juden auf den Ge*
bieten der Geldwirtschaft ein ihnen erst in Europa sozusagen mit Gewalt
angezuchteter Beruf. Ich habe bereits geschildert, dafi auch in Palastina die
Geldwirtschaft die Hauptfunk*
tion der Juden bildete. Es ist
aber auch nichtwahr, wenn man
sagt, dafi ihnen in Europa nie*
mals ein anderer Ausweg ge*
blieben sei, als die Beschafti*
gung in der Geldwirtschaft. Es
ist leicht nachzuweisen und
durch Hunderte von Beispielen
zu belegen, dafi sich die Juden
in unendlich vielen Fallen der
Geldwirtschaft widmeten, wo
absolut kein aufierer Zwang da*
zu vorlag, dafi sie auf die Aus*
ubung eines Handwerks vers
zichteten, obgleich sie nichts das
ran gehinderthatte, als ihr eiges
ner Wille; es steht fest, dafi sie
niemals einem Berufe sich wids
meten, der grofiere korperliche
Anstrengungen erforderte. Und
Tbir Maufchd mllfin i,ht in Chalrrj Jl,!^ fitem :
JTu WrifnOr/ noth darru a**ff Jrhwfincn ^rJtr fcUunlztn
U/amTn teii fttibtnnnjl . £u viiOn tjthmuh ymattxl ,
tin? ilfi nn tjaltjtn kin 3*r 9ejim j°tt virntkl .
60. In der Judenhollc
Satirischer Kupfctstich. 18. Jahrhundert
40
Der jiidische Geizhals
Anonymer satirischer Schabstich. 17. Jatirhundert
Beilap jo Eduard Fucbs, .Die Judro in der Kirikitur-
Albert Itngcn, Muncfaen
61. Der judische Geizhals
Englische Kaiikatur vou Bobbins. 1773
zwar handelte es sich hierbei nicht nur um vorubergehende Moglichkeiten,
denn solche wurden nichts bedeuten, sondern um sehr lange wahrende M6g«
lichkeiten; ich nenne nur Holland vom 17. und England vom 18. Jahr*
hundert an. Immer und uberall hat sich nur ein verschwindend kleiner
Teil der Juden der Landwirtschaft gewidmet, auch wenn ihnen der Betrieb
der Landwirtschaft nicht im geringsten verwehrt war. Alles das sind ab*
solut feststehende und leicht belegbare Tatsachen.
Was ergibt sich nun hieraus als Schlufifolgerung? Ich meine, dafi man
gar keinen Grund hat, hieraus auf eine moralische Minderwertigkeit der Jus
den gegenuber den Christen zu schliefien und zu sagen, dafi die Juden
den leichten und den unehrlichen Gelderwerb der ernsten redlichen Ar«
beit vorzogen. Das ist die Logik des wildgewordenen Spiefiburgers, der
unter den Wirkungen der sich stets umwalzenden Geldwirtschaft leidet und
in seiner bornierten Wut den Vermittler mit dem geheim wirkenden Gesetz
verwechselt. Wohl aber mufi man aus diesen Tatsachen schliefien, dafi die
Juden von Natur zu der abstrakten Tatigkeit der Geldwirtschaft pradesti*
niert sind und darum einem fast unwiderstehlichen inneren Zwange folgen.
Das ist wirklich der einzige vernunftige Schlufi, den man ziehen mufi. Die
Juden sind tatsachlich im Vergleich zu uns Nordlandern rein abstrakte Na<
Fuchs, Die tuden in der Karikatur
41
turen. Darin besteht die spezifische Wesenheit ihrer Psyche, sie sind ausge*
sprochene Intellektualisten. Die letzte Ursache dieser spezifischen Geistes*
und Gemutsart liegt in ihrer Herkunft und in ihrer Abstammuhg, d. h.
also: sie liegt den Juden im Blute. Die Juden sind in ihrem Ursprung ein
Wiistenvolk und aufierdem ein Nomadenvolk. Der Pentateuch ist das Res
ligionsbuch eines Nomadenvolkes, das ergibt sich auf jeder Seite. Die Hers
kunft aus der Wiiste bedeutete den Zwang, die Dinge immer im klaren
Lichte und mit ungebrochenen Konturen zu sehen — denn so zeigt sie die
Wuste - und niemals im auf losenden Nebelschleier unserer Flufitaler, unserer
nordischen Walder und unserer Siimpfe. Dieser Ursprung und dieser Zu*
stand, in dem die Juden nach neueren Forschungen mindestens zehntausend
Jahre verbrachten, hat das Abstrakte in ihnen gezuchtet. Dafi die Juden
aufierdem durch ihr historischesSchicksal sehr friih zueinem Nomadenvolk
wurden, das hat ihre spezifische geistige Wesenheit, ihren Intellektualismus
auf jenes Gebiet des Erwerbs gelenkt, das unbedingt eine der wichtigsten
Wurzeln derGeldwirtschaftdars
stellt. Der Nomade ist stets ein
Hirt, der Hirt aber sieht am
raschesten die Ergebnisse seiner
Tatigkeit heranreifen, er mufi
nicht so lange warten wie der
sefihafte Bauer, der seinen Besitz
nur langsam wachsen sieht. Als
Nomade in der Wuste ist der
Hirt aufierdem steten Gefahren
ausgesetzt. Sein Besitz mufi des*
halb beweglich und realisierbar
sein. Das Wustenleben entwiks
kelte infolgedessen fruhzeitig
ein starkes Organisationstalent,
und ebenso die Fahigkeiten des
Verstandes, um eine drohende
Gefahr rechtzeitig zu erkennen,
ihr aus dem Wege gehen zu kon*
nen, und die Dinge im Wechsel
62. Ein jiidischer Handler mit Chrisienrteisch
Englische Karikatur. 18. Jjhrhundett
42
r jMOSES'. erecting tft&BmzenSerpmt. ThtfeDtsert
63. Moses errichtet die erzene Schlange in der Wuste
Englischc Kaiikatur. I7S7
zu meistern. Das Nomadenleben entwickelte weiter eine starke Anpas*
sungsfahigkeit an jede veranderte Situation. Alle diese Eigenschaften sind
abstrakter Natur, sind intellektuelle Fahigkeiten. Und diese Fahigkeiten
zeichnen den Juden in erster Linie aus. Das spatere historische Schicksal
der Juden hat diese Eigenschaften zweifellos noch gesteigert. Die No*
maden wurden Wanderer iiber die ganze Welt, die stets das gelobte
Land suchten, den Ort, wo sie endlich den Frieden finden wurden und sich
fur immer ausruhen konnten. Ahasverus, der Ewige Jude, ist das erschiit*
ternde Symbol dieser ewigen Unstatigkeit, die zugleich eine grandiose Ziels
strebigkeit darstellt. (Vgl. die beiden Beilagen neben S. 144 und 152.) Diese
ewigen Wanderer, die nirgends in der Geschichte die letzte Ruhe fanden,
waren zugleich die anpassungsfahigsten von alien Volkern. Sie haben sich
alien Volkern der Welt angepafit, in deren Mitte sie sich niedergelassen
haben. Sie haben uberall die Dinge gemeistert und wurden schliefilich
uberall die Herren der veranderten Situation. Das spatere historische Schick*
sal der Juden, das nachlegendare, hatohneZweifel auch eine intensive Aus*
lese unter den Juden getroffen, es hat jene Individuen in die Feme gerissen,
in denen der Nomadencharakter am intensivsten wirksam war, und es hat
aufkrdem denen unter ihnen die starksten Entwicklungsmoglichkeiten
43
64. Kleiderjuden
Englische Karikatur von Thomas Rowlands*
geboten, die iiber die vorhin genannten Eigenschaften in besonderem Mafie
verfugten. Das letzteredeshalb, weil dieverschiedenen Kulturen, mitdenen
die Juden bei ihrem Weg iiber die Welt in Beruhrung kamen, bei einem be*
stimmten Grad der Entwicklung gerade dieser Eigenschaften als Erganzung
bedurften. Aus diesem Grunde haben sich diese spezifischen judischen
Eigenschaften, ihre geistige Wesenheit, im Laufe der Zeit nicht nur nicht
verloren, sondern bis auf den heutigen Tag fortgeerbt. Vielfach in der
potenzierten Form, die uns z. B. Charakterkopfe hervorbrachte, wie es
ein Karl Marx ist, der an abstrakter Denkkraft kaum seinesgleichen in
der gesamten Menschheitsgeschichte hat. Dies alles lafit sich aus dem Ur*
sprung und der Herkunft der Juden, aus dem Nomadencharakter eines
Wustenvolkes und aus ihrem historischen Schicksal herleiten. Genau wie
man die nordische Naturalwirtschaft, die in Europa der kapitalistischen
44
Wirtschaftsweise voranging, aus unserem Klima, aus unserem Wald, aus
unseren ganz anderen Lebensnotwendigkeiten, wo man nur in langer, zaher
Bauernarbeit zu einem Ertrag kommt, herleiten kann und herleiten muE.
Der Nomadencharakter der Juden hat natiirlich nur fur boswillige Igno;
ranten etwas Verachtliches an sich. Ich glaube, wir Nordlander haben sehr
wenig Grund, gerade darauf besonders stolz zu sein, dafi unsere Vorfahren
mit Vorliebe auf der Barenhaut herumlungerten und Meth tranken. Erf reus
licherweise ist hierdurch nicht allzuviel an den Nachkommen unserer Rasse
verdorben worden, und es ist nicht dazu gekommen, daB diese nur in
Faulpelzen und Trinkern fortlebt, denn aus ihrem Blute sind immerhin
noch eine Anzahl Gestalten hervorgegangen, deren sich die Menschheit
nicht gerade zu schamen braucht: ein Rembrandt, ein Beethoven, ein
Lessing, ein Kant, ein Schiller usw. Aber das sind auch nicht die Leute,
die zwischen den Volkern und Rassen einen dicken Trennungsstrich zogen
und anmaflend erklarten: Dort sind die Bosen, und hier, wo wir stehen,
sind die Guten, sondern die vielmehr dem einzigen wiirdigen Lebensziel
zustrebten: Alle Menschen, gleich geboren, sind ein adelig Geschlecht —
ob Heide, Jude oder Christ . . .
Weil die Juden von Natur eine
besondere Begabung fiir die Technik
der Geldwirtschaft haben, darum
waren auch sie es, die im Lauf der
Zeit, nachdem durch ihren Zusarn*
menstofi und durch ihre Koalition
mit den abendlandischen Volkern
der Kapitalismus entstanden war, alle
spezifischen Formen der Geldwirts
schaft erfunden haben. Das kann
man wohl sagen, und man kann es
zumeist schon mit dem heute vorlie*
genden Material beweisen. Wo man
es aber nicht direkt beweisen kann,
dafi die Juden die Erfinder gewesen
65. Drei Juden und ein Gedanke
Engluchc Klrikatur von Th. RoMJjnJion
45
Mr'M.y I i..\i>i n.\
66. Die Geldverleiher
tnglischt Karikatur von Thomas Rowtamison. 1784
sind, kann man zum mindesten nachweisen, dafi ihnen ein Hauptanteil bei
der Entwicklung der betreffenden Institution zukommt. Diese vom Kapi«
talismus untrennbaren spezifischen Formen der Geldwirtschaft sind: die
Banknote, der Wechsel, die Aktie, die Obligation und die Borse.
Selbstverstandlich kann man von alien diesen Formen der Geldwirt*
schaft nicht in dem Sinne als Erfindungen reden, wie man etwa bei einer
Maschine von einer auf den Tag zu datierenden Erfindung reden kann. Alle
diese Einrichtungen haben sich mehr oder weniger langsam alsNotwendig*
keiten heraus entwickelt. Und erst bei einem gewissen Grad der Vervoll*
kommnung stellen sie sich dem historischen Beschauer als eine wichtige
und neue Institution der Geldwirtschaft dar. Der erste, der z.B. jeneForm
der Schuldverschreibung anwendete, aus der sparer der Wechsel wurde,
oder der eine Anweisung auf Geld gab, die sich allmahlich zur Banknote
formte, hat natiirlich niemals daran gedacht, damit eine wichtige fur das
46
JEWS AT A LIJ Rt C IW EUK .
67. Juden beim Friihstiick. Englische Karikatur
Geldwesen epochale Neuerung eingefuhrt zu haben. Darum sind auch bei
IceinerdieserverschiedenenFormenderUrheberundderUrsprungsortgenau
bekannt, sondern im besten Fall die Orte, wo von der betreffenden In*
stitution am fruhesten haufiger Gebrauch gemacht wurde. Die Anfange vers
lieren sich samtjich im Dunkel des Alltags. Der alteste bekannte Wechsel,
der sich erhalten hat, stammt z. B. aus dem Jahre 1207 und aus Italien; er
istvon dem Juden Simon Rubens ausgestellt. Es unterliegt jedoch gar
keinem Zweifel, dafi diese Form der Zahlungsverpflichtung um diese
Zeit schon ziemlich lange in Gebrauch war und sich auch nicht blofi auf
Italien beschrankte, sondern langst auch in anderen Landern haufig ange*
wendet wurde.
Aber gerade darum, weil es sich in diesen samtlichen Institutionen um
die Resultate langsamer Entwicklungen handelt und niemals um eine von
Anf ang an vollendete, auf den Tag zu datierende Erfindung, kann man den
besonders groCen Anteil der Juden an diesen samtlichen Institutionen der
47
Geldwirtschaft feststellen. Dem Inhaberpapier begegnen wir, wie man aus
der Bibel erfahrt, bereits bei den alten Juden in Palastina. Darum kann man
in diesem Fall wohl sagen, daft es iiberhaupt jiidischen Ursprungs ist. Der
friiheste bekannte Wechsel stammt, wie vorhin gezeigt, von einem Juden,
aber viel entscheidender diinkt mich der Umstand, daft der spatere Wechsel*
handel jahrhundertelang ausschlieftlich in den Handen der Juden war, und
weiter der Umstand, daft die Orte, in denen friiher der Wechselhandel
kulminierte, wie z. B. Venedig und Amsterdam, die klassischenjudenstadte
jener Jahrhunderte waren. Am wenigsten weift man iiber die Entstehung
der Banknote. Wahrscheinlich hat sie mehrere Geburtsorte, indem sie sich
eben, was ja vielfach vorkommt, an mehreren Orten zu ahnlicher Zeit und
ganz unabhangig von einander als Entwicklungsnotwendigkeit ergeben hat.
Die wahrscheinlichsten Geburtsorte sind Venedig und Holland im 16. Jahr*
hundert. Was freilich hinreichend viel beweisen wiirde, denn beides waren
damals Judenzentralen. Um so mehr und um so Genaueres weift man iiber
6S. Ein jiidischer Elegant. Englische Karikatur von Thomas Rowlandson
48
Deutsche Karikatur auf die Juden als Soldaten. 18. Jahrhundert
fidliee zn Edtttrd Facts, .Die juden in tier kuihttr'
Albert Lingm, Mooches
69. Salomon begluckt sich und zwei schone Christenmadchen
Englische Karikatur von Thomas Rowlandson. lira 1800
die Borse, das unentbehrliche Zentralkontor der Geldwirtschaft. Diese ist
etwa im 16. Jahrhundert als Vereinigung der Wechselhandler entstanden.
Sie war schon deshalb niemals und nirgends in anderen Handen als in
denen der Juden. Wie sollte es auch anders sein? Fur die Wertpapiere
braucht man einen Markt; dieser Markt ist die Borse. Der Handel mit
Wertpapieren ist aber dauernd, wie gesagt, uberwiegend in den Handen
der Juden gewesen, also konnen die Beherrscher des jeweiligen lokalen
Geldmarktes eben auch nur die Juden sein. Die Dinge haben nun einmal
ihre Logik, und in diesem Falle eine solche, die hochstens ein vernagelter
Spiefiburgernichtkapiert: Gevatter Schneider und Handschuhmacherhatten
auf der Borse nichts zu tun. Wenn also eine tendenziose Agitation von
einer „verjudeten Borse" spricht, so ist dies ungefahr ebenso geistreich, wie
wenn jemand uber einen verbauerten Viehmarkt schimpfen wurde, weil
er dort mehr Bauern als z. B. Goldarbeitern oder Optikern begegnet.
Fuchs, Die Juden in der Karikatur J
49
Da ich hier keine Geschichte der Geldwirtschaft schreibe, sondern nur
die Rolle der Juden beim Auf bau der kapitalistischen Wirtschaftsweise auf*
zuzeigen habe, so kommt fur mich die funktionelle Bedeutung dieser vers
schiedenen Formen der entwickelten Geldwirtschaft naturlich gar nicht in
Frage. Wohl aber ist es angebracht, noch auf den Hauptwesenszug dieser
verschiedenen Institutionen der Geldwirtschaft hinzuweisen, um so mehr,
als dieser ein durchaus gleichartiger ist. Dieser gemeinsame Wesenszug be*
steht in der durch sie erreichten vollstandigen Versachlichung des Geldes
und damit in der restlosen Loslosung von allem Personlichen. Die letzte
Beziehung zum speziellen Individuum und seiner Arbeit, als Wertschopfung,
ist damit gelost. Der Besitztitel lebt hinf ort sein Eigenleben, und die Borse
z. B. ist nicht nur Markt, sondern Selbstzweck zugleich. Gerade durch diese
intensivste Versachlichung des Geldes und Geldmarktes in den genannten
Formen decken sich alle diese Formen der entwickelten Geldwirtschaft
wiederum vollkommen mit dem oben beschriebenen spezifischen Wesens*
zug des judischen Geistes, namlich mit dessen kategorischer Tendenz fur
das Abstrakte. Deshalb aber gibt es in diesem Punkt nur eine einzige
Schlufifolgerung und diese lautet: es ist in besonderem Mafie judischer
Geist, der in samtlichen Formen der kapitalistischen Geldwirtschaft sich
auswirkt.
Wie das Geldwesen, d. h. in diesem Falle die direkte Geldwirtschaft,
durch die Juden zu ganz spezifischen For*
men inspiriert und entwickelt worden ist,
so auch der Handel: der Handel auf der
ganzen modernen Welt und der Handel mit
der ganzen modernen Welt.
Die Juden belebten in ganz besonderer
Weise den inneren und aufieren Markt. Die
grofiten Warenumsatze durften hochst
wahrscheinlich immer durch die Juden era
zielt worden sein. Das ergibt sich namlich
schon daraus, dafi sie vom 16. bis zum 18.
Jahrhundert alle Haupthandelsplatze der
Welt fast ausschliefilich beherrschten. Der
3& rfe**> yto&y"
Das Fahrrad der Juden, mit dem sie
dutch die ganze Welt kutschieren, und
mit dem man am schnellsten und auf
jeder Strafie vorwarts kommt
70. Woodward. Engl- Karikjtur auf das
erste Fahrrad
50
HUMOURS of HOUNDSDITCH.
CR A'P S SHEVI l.v A LONCLVG CONDJTIO.V.
-.JAM,-. C.'...i
71. Engtische Karikatur von Thomas Rowlaodson
gesamte Levantehandel war z. B. durch fast drei Jahrhunderte in ihren
Handen, dieser aber bildete damals den wichtigsten Zweig des ganzen
Welthandels. Beruhmt sind vor alien anderen Kaufleuten der Welt die
reichen hollandischen Juden, die schon im 17. Jahrhundert ihre Schiffe auf
alien Meeren schwimmen hatten. Es gibt aufierdem auch positive Zahlen
hierfur, und zwar aus dem England des 17. Jahrhunderts. Ober die Be*
7*
51
teiligung der Juden an der Leipziger Messe, die doch einst und lange der
Mittelpunkt des ganzen deutschen Handels war, gibt es ebenfalls sehr be*
weiskraftiges Material zu diesem Punkt. Wer auch bis jetzt die Geschichte
der Leipziger Messe studiert hat, kommt zu dem ungefahr gleichen Schlufi,
,,dafi die Juden es seien, die den Glanz der Leipziger Messe begrundet ha«
ben". In den Jahren 1810 bis 1820 stehennach den amtlichen Zahlen den
durchschnittlich 14366 christlichen Messelieferanten nicht weniger als 4896
judische gegenuber. In Wahrheit diirfte die Zahl der judischen Mefiliefe*
rantenjedoch noch viel grofier gewesen sein, da wegen der Pafischwierig*
keiten, denen die Juden standig und uberall unterworfen wurden, immer
zahlreiche Juden sozusagen ..illegal" die Messe besuchten. Der internationale
Warenhandel, der Import wie der Export, wurde uberhaupt erst durch
die Juden eingeleitet und kraft ihrer internationalen Beziehungen jahr*
hundertelang fast ausschliefilich von ihnen beherrscht. Zur Zeit der Zu*
nahme des Fleischgenusses in Europa, im 16. Jahrhundert, wurden von ihnen
zuerstdie Gewurze — Pfeffer! — eingefuhrt. Auch die Luxuswaren wurden
von den Juden zuerst eingefuhrt: Goldwaren, Edelsteine, Perlen und vor
allem Seide und Seidenwaren. Den Handel mit Luxuswarenhatten die Juden
lange Zeit sogar ganzlich monopolisiert. Ungleich schwererwiegend ist
jedoch der Umstand, dafi die Juden stets den uberragenden Anteil an dem
Handel mit Massenprodukten hatten, dafi sie es waren, die diesen zuerst in
umfangreicher Weise organisierten, also z. B. den Getreidehandel, den Hans
del mit Leder, Wolle, Flachs, Baumwolle, Zucker, Spiritus, Tabak, und
spater vor allem den mit Edelmetallen usw.
So bedeutsam alle diese Funktionen der Juden auf demGebiete des in*
und auslandischen Handels sind, noch ungleich bedeutsamer ist jedoch ihr
Anteil an der Begrundung der Kolonialwirtschaft. Das war wirtschafts*
geschichtlich ihre bedeutsamste Tat neben ihrer grofien Rolle in der Geld*
wirtschaf t. Denn erst durch die Kolonialwirtschaft wurde der Kapitalismus
lebenss und entwicklungsfahig, erst durch sie wurde er die Jahrhunderte
lang die ganze Welt mit Riesenhanden umformende Wirtschaftsweise.
Man kann ohne Ubertreibung behaupten, dafi die Juden unbedingt
die Schopfer des modernen Kolonialwesens sind, das mit der Entdeckung
Amerikas einsetzt. Es wird sogar neuerdings, und anscheinend auch mit
gutem Recht, behauptet, dafi die Vorfahren des Christof Columbus Juden
52
MCKLEP PORK.
72. Gepokeltes Schweinefleisch oder der verkannte Josef
EuglUche Karikatur von Griaagain. 1822
gewesen seien. Wenn sich dies bewahrheiten sollte (von seiner Mutter
scheint es schon heute absolut festzustehen, dafi sie eine Jiidin gewesen ist),
so ware dies ahgesichts der Rolle, die die Juden hinfort in alien neuent*
deckten Weltteilen spielen sollten, jedenfalls ein sehr guter Witz der Welts
geschichte. Immerhin ist die Antwort auf diese Frage nicht so wichtig wie
die nicht zu bestreitende Tatsache, dafi es Juden gewesen sind, die das Geld
fur die Ausrustung und Reise des Columbus im Jahre 1492 aufgebracht
und riskierthaben. Dieser Umstand alleinerweistAmerika von vornherein
als eine rein judische Grundung. tlbrigens wurde auch die zweite Reise
des Columbus mit Judengeld bezahlt; freilich ist es dieses Mai nicht frei*
willig von den Juden gegeben worden, sondern es stammt aus den Summen,
die von den unterdessen aus Spanien vertriebenen Juden dort zuriickge*
lassen worden waren, und die Ferdinand von Aragonien eiligst eingesackt
hatte, oder wie der hofische Ausdruck dafiir lautet, „die er fur den Staatss
schatz hatte einziehen lassen". Angesichts dieser judischen Herkunft des
53
73. Des Judcn Lejd ist der Gojim Freud. tnRbahc K^riluiuc
Geldes. mit dessen Hilfe Amerika entdeckt worden ist, ist es sehr wahrs
scheinlich, daB die Entdeckung Amerikas nicht auf das Konto der Spanier
gekommen ware, wenn die Juden ein Menschenalter friiher, als dies geschah,
aus Spanien ausgewiesen worden waren. Das Weltbild wiirde hierdurch
wohl ein wesentlich anderes geworden sein. Gewifi ware Amerika nicht
unentdeckt geblieben: seine Entdeckung, d. h. die Auffindung von neuen
Edelmetallquellen, war damals das oberste Bediirfnis der Zeit. Die euros
paischen Silbererzgruben versiegten urn jene Zeit; jedenf alls vermochten sie
mit den damaligen primitiven Fordermitteln nicht entfernt den Bedarf der
gesteigerten Geldwirtschaft zu decken. Aber die Entdeckung und erste
Exploitierung — richtig iibersetzt: Ausrauberung — Amerikas durch ein an*
deres Land Europas hatteeben dieses in besonderem Mafie weltbeherrschend
gemacht; die Belebung des internationalen Warenhandels ware von ihm
ausgegangen, und dorthin waren zuerst die so sehr ersehnten EdelmetalU
strome geflossen. So kniiprte sich dies alles vorerst an Spanien.
Wie es eine nicht zu bestreitende Tatsache ist, daB des Columbus Ent?
deckerfahrten mit jiidischem Geld ..gemanaged" worden sind, so ist es eine
ebenso feststehende Tatsache, daB die ersten Menschenladungen, die in die
Neue Welt verf rachtet wurden, zum grofiten Teil aus Juden bestanden. Schon
54
auf seiner ersten Reise wurde Columbus von einer Anzahl Juden begleitet,
und der erste Europaer, der den Boden der Neuen Welt iiberhaupt betrat,
war der Jude Luis de Torres. Das steht aktenmaftig fest. Da genau in den*
selben Jahren die Juden aus Spanien und Portugal vertrieben wurden und
diese Vertreibungen mehr als ein Jahrhundert anhielten, so stromten un*
unterbrochen immer neue Scharen von Juden, und zwarvor allemspanische
und portugiesische Juden — die geistige Elite des internationalen Juden*
turns — , durch die weitgeoffneten Tore der Neuen Welt. Man nimmt an,
daft die Zahl der Juden, die sich dort eine neue Heimat zu griinden ge*
dachten, rund 25000 betrug. Hierin der Neuen Welt schien sich den Juden
endlich das Kanaan aufzutun, nach dem sie so lange und so vergeblich in
dem alten Europa gesucht hatten. Das Zusammentreffen der Ausweisung
der Juden aus Spanien und Portugal mit derEntdeckungAmerikas ist aufter*
lich natiirlich die Hauptursache, daft die Juden von vomherein eine so aus*
schlaggebende Rolle in der Kolonialwirtschaft gespielt haben. Denn so
wurden sie die ersten und einfluftreichsten wirtschaf tlichen Ausbeuter der
Neuen Welt. Die Juden wurden im wahren Sinne des Wortes ihre Er*
bauer. Sie sind es, die dadurch der
Alten Welt eine neue Weltwirtschaft
angegliedert haben.
In welchem groften Umfange
die Juden es gewesen sind, die als
erste von jenseits des groften Wassers
den internationalen Warenhandel
belebt haben, das zeigen uns schon
einige wenige authentische Zahlen
iiber die von den Juden in den ver*
schiedenen amerikanischen Kolonien
ins Leben gerufenen geschaftlichen
Griindungen. Gleich nach der Ent*
deckung Amerikas, namlich schon
1492,lieften sich portugiesische Juden
in St. Thomas nieder, errichteten
dort die Plantagenwirtschaft, begriin*
74. Eine von den Errungenschsften tier jiiJischen
deten die Zuckerindustrie und be* Emanation
55
schaftigten in kurzer Zeit iiber 3000 Negersklaven. Sechzig Jahre spater,
um 1550, gab es auf dieser Insel bereits sechzig Zuckerrohrplantagen, die
jahrlich rund 40—50000 Zentner Zucker produzierten. Alle dies'e sechzig
Plantagen befanden sich in den Handen von Juden. Die Juden sind es auch
gewesen, die die Zuckerindustrie nach Brasilien verpf lanzten , das damit
alsbald in seine erste Blute trat. Mit Juden und Verbrechern wurde
dieses ganze Land aufgebaut. Zwei Schiffsladungen von Juden und Ver*
brechern gingen jahrlich aus Portugal nach Brasilien. Selbstverstandlich
wurden nicht die Verbrecher, sondern die Juden sehr bald die Herren der
gesamten Situation. Zur hochsten Blute gelangte die brasilianische Kolonie
aber erst, als sie um 1624 in den Besitz der Hollander uberging; denn
nun wurden die reichen und besonders geschickten hollandischen Juden,
die in grofier Masse hinuberstromten, tonangebend. In kurzer Zeit siedelten
sich nicht weniger als 600 reiche hollandische Juden in Brasilien an. Bis
tief in das 18. Jahrhundert hinein beherrschten hier die Juden die gesamte
Plantagenwirtschaft. Der Handel stockte einmal sofort, als im Anfang des
18. Jahrhunderts mehrere der angesehenen Juden in Rio de Janeiro in die
Morderkrallen der Inquisition fielen; es brauchte geraume Zeit, bis sich die
Kolonie von dieser sogenannten Judenreinigung wieder erholt hatte. Aufier
dem Zuckerrohrbau monopolisierten die Juden in Brasilien auch sehr bald
den dortigen Edelsteinhandel.
Durch die christkatholische Inquisition, die mit heiligmafiigem Augens
aufschlag besonders gern die reichen Juden vertrieb oder abwurgte, weil sie
dadurch „herrenlos gewordenes Judengut" einsacken konnte, wurden die
Juden mannigfach zur Auswanderung gezwungen. So z. B. in besonders
grofiem Umfange im Jahre 1654. Zahlreiche brasilianische Juden wandten
sich damals infolge der angeordneten Vertreibung nach dem westindischen
Archipel. Sofort verruckte sich aber auch das wirtschaftliche Schwergewicht
nach dorthin. Die Insel Barbados, wo zwar schon langere Zeit zahlreiche
Juden wohnten, wurde durch die Einwanderung der .brasilianischen Juden
ein reines Judenterritorium. Der Zuckerexport, der bis dahin noch gering
war, stieg in kurzer Zeit so gewaltig, dafi im Jahre 1676 bereits jahrlich 400
Schiffe mit je 180 Tonnen Rohzucker nach England verfrachtet werden
konnten. Die aus denselben Ursachen verstarkte Einwanderung der Juden
auf Jamaika fuhrte zudemselben Ergebnis. 1656gabesdorterstdrei Zucker*
56
Einer void Stamme Levi gedenkt sich mit einer hiibschen Christin zu amiisieren
Anonymer englischer Firbstich. 1778
Bcilage ?:ti Edu:iTd Fuchs, -Die Judeii in der Knrikstur"
Allien Langi-iir Minvhsn
siedereien, 1670 bereits deren 75, von denen
manche 2000 Zentner Zucker im Jahre er*
zeugten. Die englische Regierung machte
mit ihren Juden auf Jamaika so gute Ge=
schafte, dafi sie auf eine Eingabe der christs
lichen Konkurrenz urn Ausschliefiung der
Juden vom Handel durch den Gouverneur
kaltlachelnd antworten lieB, sie denke nicht
daran, denn sie habe keine angenehmeren
Untertanen als die Juden; wortlich: „not
have more profitable su bjects than the J ews".
In Surinam bestand die Bevolkerung am
Ende des 17. Jahrhunderts zum dritten Teil
aus Juden, und von 344 Plantagen waren
115 in den Handen der Juden. Ahnlich was
Nathan <±rWu sl j
7S. Ttlclkuptvr 2u ,.0«r tr*vc*tiette N'jtSjn der
Weise." Posse in z*ci \Iaen. Berlin. I*iQ*
ren die Verhaltnisse in den franzosischen
Kolonien Martinique, Guadeloupe und San Domingo. Oberall war die
Zuckerindustrie die Quelle des Reichtums, und liberal! war diese von den
Juden eingef iihrt oder zur Bliite gebracht worden.
Um diese Rolle der Juden im Zuckerhandel richtig zu bewerten. mufi
man sich vergegenwartigen, dafi der Zucker neben derEdelmetallproduktion
damals das Riickgratder Kolonialwirtschaft bildete, und daB mit ihm iiber=
haupt der moderne Kapitalismus in Europa aufgebaut wurde; es war ein
siifkr und sehr solider Baustoff . In einem Bericht des Pariser Handelsrates
|ahre 1701 liest man: ,, Frankreichs Schiffahrt verdankt ihren glan«
ten Handel seinen Zuckerinseln und kann nur durch diesen erhaU
Ind erweitert werden." Das heifit mit anderen Worten: Frankreichs
fahrt verdankt ihre lohnende Existenz den Juden und dem Juden?
lerz.
Tenn sich bei der Entstehung der Vereinigten Staaten von Nordame*
rikaffauf den ersten Blick kein so iiberragender Einfluft der Juden feststellen
yUm wie dies bei Mitteb und Siidamerika der Fall ist, so gilt dies eben nur
fur den ersten Blick, nur fur eine oberflachliche Betrachtung. Sowie man
den Dingen auf den Grund geht, andert sich das Bild durchaus, es ergibt
sich ebenf alls, daft die Juden auch fur den Aufbau der Vereinigten Staaten
Kuchs. Die Juden in der K^rvkatur
57
Nordamerikas eine uberragende Bedeutung gehabt haben. Nur liegen die
Dingehierkomplizierter.jedoch letzten Endesso, dafi tatsachlichundgerade
„das, was wir Amerikanismus nennen, zu einem sehr grofien Teil nichts
anderes als geronnener Judengeist ist". Werner Sombart beweist dies sehr
ausfuhrlich und sehr uberzeugend in seinem Kapitel iiber,, Die Begrundung
der modernen Kolonialwirtschaft". Leider fehlt mir der Raum, um diese
Begrundung hier resumierend wiederholen zu konnen, da sie nicht anders
als etwas umstandlich sein kann. Ich mufi mich also darauf beschranken,
den Leser auf die Sombartsche Untersuchung zu verweisen, und kann hier
nur den Kernpunkt hervorheben. Dieser besteht darin, dafi die amerika*
nische Kolonistenbevolkerung, durch die Amerikabesiedeltwurde, von An*
fang an sehr stark mit judischen Elementen durchsetzt war, und zwar in
einer so eigenartigen Weise, dafi diese Kolonisten durch die sie nach dem
Westen begleitenden Juden von Anf ang an mit der (wohlgemerkt judischen!)
Geld* und Kreditwirtschaft der Alten Welt in Fuhlung kamen und stets in
Fuhlung blieben. „Das ganze Produktionsverhaltnis baute sich daher von
vornherein auf einer modernen Basis auf. Das stadtische Wesen drang gleich
in die entlegenen Dorfer siegreich vor." Und dieses stadtische Wesen war
eben immer judisches Wesen.
Aber es kommen noch eine ganze Reihe anderer Gesichtspunkte in
Betracht, die den starken Anteil der Juden an der Entwicklung der Vers
einigten Staaten belegen. Wie grofi der quantitative Anteil der Juden am
Auf bau der spateren Vereinigten Staaten war, verrat schon eine einzige An«
deutung. Von den durch die Inquisition aus Brasilien vertriebenen Juden
kamen in der Mitte des 17. Jahrhunderts mehrere Schiffsladungen von Ju«
den, man rechnet 2—300 Kopfe, nach Neu«Amsterdam (das heutige New
York), um sich dort unter englischem Schutz anzusiedeln. Die gesamte
Einwohnerschaft von Neu*Amsterdam betrug damals noch nicht 1000
Kopfe! Die Vereinigten Staaten sind aber nicht nur im Anfang, sondern
dauernd ein besonders beliebtes Auswanderungsziel der Juden gewesen ;
im 19. Jahrhundert vor allem der deutschen und der polnischen Juden. In
gewissen Landesteilen gab es zuzeiten kaum eine einzige judische Familie,
die nicht einen Sohn in Amerika hatte, und immer war es naturlich der
potenteste der Familie, welcher dahin ausgewandert war. Besonders em*
schneidend und schwerwiegend war der weitausgedehnte Handelsverkehr
58
76. Eilreise zum Schabbes. Satirische Rjdierung. Um 1800.
der Juden fur Amerika durch die damalige Abhangigkeit Amerikas vom
europaischen Mutterlande. In seiner ursprunglichen Form als englische
Kolonie durfte Nordamerika seine Bedarfsartikel nur im Mutterlande
kaufen; das war ein Zwang, den ihm England auferlegt hatte. Die unaus*
bleibliche .Folge dieses Zwanges ware gewesen, dafi diese englischen Ko«
lonien eines Tages ausgepumpt gewesen waren; zum mindesten hatten
sie niemals zu einer grofieren Blute gelangen konnen. Denn ihre Handels*
und damit ihre Zahlungsbilanz ware durch diesen Kaufzwang in England
immer passiv geblieben — sofern nicht die Juden gewesen waren. Durch
den sogenannten .Judenkommerz", den die aus Brasilien nach Nordame«
rika eingewanderten Juden dank ihren Beziehungen mit Brasilien und Wests
indien unterhielten, flofi von dort, den Edelmetallandern, standig bares Geld
in den nordamerikanischen Handel. Denn dieser Handelsverkehr mit Bra*
silien und Westindien war naturgemafi stets aktiv; und die Waren, welche
einstromten, bestanden eben in der Hauptsache in dem Edelmetall, dessen
man zur Bezahlung der aufgezwungenen Kaufe im Mutterlande bedurfte.
Diese durch die ursprunglich portugiesischen Juden mit Brasilien .ange*
sponnenen und gepflegten Handelsbeziehungen durfen in ihrer Bedeutung
8*
59
tejungt
fur die Existenz Nordamerikas nicht unters
schatzt werden. Das gleiche gilt fur die Rolle
der Juden im Unabhangigkeitskampf der nords
amerikanischen Staaten. Dieser und die schliefis
liche Unabhangigkeitserklarung von den friis
heren Mutterlandern waren ohne die jiidischen
Heereslief erungen und vor allem ohne die allein
von den Juden aufgebrachten Anleihen nie«
mals moglich gewesen. Eine weitere gewaltige
Einflufisphare der Juden bestand in deren Be*
herrschung der wichtigsten Handelszweige
Nordamerikas. Diese waren von jeher der Ge«
treidehandel, der Tabakhandel und der Baums
wollhandel. Darauf baute sich friiher fast die
gesamte nordamerikanische Volkswirtschaft auf. Und alle diese Handelss
zweige waren lange Zeit von den Juden geradezu monopolisiert.
Die Reihe der jiidischen Einflufispharen beim Auf bau Nordamerikas
ist aber auch damit noch nicht geschlossen, dies sind nur die bezeichnend«
sten aus friiherer Zeit, von den grofien Machts und Einfluftspharen der Ge«
genwart will ich ganz absehen. Es rechtfertigte sich also vollkommen, dafi
der Exgouverneur GroverCleveland im Jahre 1905, als man den 250.Jahres«
tag der Einwanderung der Juden in die Vers
einigten Staaten feierte, in einem Begruftungs*
schreiben an das Festkomitee sagte: ..Wenige,
wenn iiberhaupt eine, von den das amerikanische
Volk bildenden Nationalitaten haben direktoder
indirekt mehr Einflufi auf die Ausbildung des
modernen Amerikanismus ausgeiibt als die
jiidische."
Ich mochte das, was ich weiter oben sagte:
daft es in erster Linie die Juden gewesen sind,
die der Alten Welt eine Neue Welt wirtschafts
lich angegliedert haben, — dies mochte ich an
dieser Stelle noch drastischer formulieren und
sagen: Die Entdeckung Amerikas und seine
60
Angliederung an den Welthandel sind nichts
mehr und nichts weniger als ein einziges groftes
jiidisches Geschaft. —
1st der Anteil der Juden beim volkswirt*
schaftlichen Aufbau Amerikas nachweisbar als
der absolut entscheidende anzusehen, so ist er
bei den anderen kolonialwirtschaftlichen Ge«
bieten der Welt zwarnicht immer ebenso hoch,
aber wahrscheinlich bei keinem einzigen Kolo*
nialgebiete gering anzuschlagen. In Ostindien
waren schon seit dem Mittelalter sehr viel Jus
den ansassig. Als danndie Austreibung aus der
Pyrenaenhalbinsel am Ende des 15. Jahrhun*
derts einsetzte, brachte jedes hollandische und
portugiesische Schiff neue Scharen von Juden nach Ostindien. Bei alien
Neugrundungen, die die Hollander in Ostindien vornehmen, sind die
Juden stark beteiligt. An der Spitze der bekannten ostindischen Kompanie,
also an der Spitze der hollandischsindischen Besitzungen standen mehrfach
jiidische Direktoren. Der hollandische Gouverneur, der am meisten zur
Befestigung der niederlandischen Macht auf
Java beigetragen hat, war der Jude Coen
(Cohn).
Ober den Anteil der Juden an der Begriins
dungder englischen Kolonien in Siidafrika und
Australien weifiman ziemlich viel, und aus alle*
dem, was man weifi, ergibt sich, daft auch hier
die Juden ausschlaggebend gewirkt haben. Die
wirtschaftliche Entwicklung der Kapkolonie
kommt z. B. ausschliefilich auf das Konto der
Juden: ..Julius, Adolf, James Mosenthal be«
griinden den Wolb und Hautehandel und die
Moharindustrie; Aaron und Daniel de Pafi mo«
nopolisieren den Walfischfang; Joel Myers be«
griindet die Straufienzucht, Lilienfeld von Ho«
petown kauft die ersten Diamanten usw. usw."
77—80. Jiidische Typen
tilt die Kinder r^ricLs. Berlin IftCH
61
Von den ubrigen sudafrikanischen Staaten, namentlich von Transvaal,
wird Ahnliches berichtet. In Australien trat, als die ersten Grofihandler,
die bekannte Familie der Montefiori auf. Es gibt wohl uberhaupt keine
einzige koloniale Grundung, bei der die Juden ihre Hande nicht im Spiel
gehabt hatten und ihr Portemonnaie nicht stark engagiert gewesen ware.
Was das alles in allem bedeutet, vermag man erst dann voll zu ermessen,
wenn man sich immer und immer wieder vor Augen halt, was ich oben
schon andeutete, dafi erst durch die koloniale Expansion der moderne Kapi=
talismus uberhaupt zur Blute gelangt ist. Und zwar deshalb, weil eben die
Heranschaffung von Edelmetallen und das standige Hereinstromen von
Bargeld nach Europa die erste Voraussetzung fur diedauernde Entfaltungs*
moglichkeit der modernen kapitalistischen Volkswirtschaft waren. Nicht
mit Eisen, — mit Gold und Silber mufite der Weg der Entwicklung gepfla*
stert sein, wenn der Kapitalismus auf ihm gehen und mit immer grofieren
Riesenschritten vorwarts eilen sollte.
Mit alledem ist aber die revolutionare und schopferische Rolle der Ju=
den beim Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht erschopft.
Die kapitalistische Expansion setzte eine grundliche Umformung der
auf dem Handwerk und auf der primitiven Form des Warenaustausches
basierenden Produktionss und Konsumptionsweise voraus. Ein ganz an*
derer Geist und eine ganz andere Gesinnung, als sie im Zeitalter der
Zunfte und Gilden herrschteh, mufiten beim Geschaftemachen einziehen.
Und auch diese grundsturzende Umformung des Einzeb und des Gesamts
geschaftsgeistes wurde durch die Juden herbeigefuhrt.
Das ist ebenfalls ein sehr wichtiges aber auch ein sehr langes Kapitel,
denn es umfafit nicht weniger als die gesamten Methoden des heutigen
kapitalistischen Geschaftstriebes. Ich mufi mich hier naturlich mit dem
blofien Hinweis auf die wichtigsten Gesichtspunkte und Geschaftsformen
begnugen, die durch die Juden neu in die Volkswirtschaft eingefuhrt
wurden.
Die Juden schufen als erstes das Recht auf Konkurrenz. Das Recht auf
Konkurrenz bedeutet, seine Waren jedermann anbieten zu konnen und sie
obendrein billiger anzubieten, als dies der Kaufmann um die Ecke oder der
62
81. David Und Bathseba. Englische Karikatur. Um 1820
in der anderen Stadt tut. Dieses Recht auf Konkurrenz war ein Begriff, den
man friiher einfach nicht kannte. Nach den fruheren Anschauungen hatte
sozusagen jedermann ein bestimmtes Recht aufs Leben, das ihm von keinem
Nebenbuhler beschnitten werden sollte und durfte. Das bedeutete fur den
Geschaftsmann das Recht auf einen gewissen Kundenkreis, in den kein an«
derer eindringen durfte, und aufierdem das Recht auf einen bestimmten Preis
fur seine Waren. Dieser Preis sollte ihm die Mdglichkeit bieten, ein Leben
auf einer seinem Stande entsprechenden Hohe zu fuhren. Also gait eine
Preisunterbietung durch einen Kollegen des gleichen Gewerbes als unzu*
lassig; wer solches getan hatte, ware aus der betreffenden Zunft ausge*
schlossen worden. Darum wagten solches auch nur die sogenannten ,,B6n«
hasen"; so nannte man jene, die freiwillig oder gezwungen aufierhalb der
zunftlerisch festgegliederten Ordnung standen. Gegen dieseim sogenannten
,,ehrlichen Handel" ublichen Regeln liefen die Juden auf der ganzen Linie
Sturm. Das heifit: sie waren immer und uberall die Bonhasen. Und zwar
schon gezwungenermafien. Die Innungssatzungen zwangen die Zunft*
63
mitglieder, auf das Kreuz zu schworen. Das schlofi die Juden von vorn*
herein ohne weiteres aus. alien Zunften und Gilden aus. Die Gesetze der
Festgegliederten galteninfolgedessen nicht fur sie. Weil die Juden also nicht
an die strengen Zunftregeln gebunden waren, die jeden Schritt des Zunfts
genossen bestimmten, so konnten sie schon aus diesem Grunde auf alien
Gebieten neue Methoden einfiihren, wenn ihnen dieselukrativer erschienen.
Und das taten sie denn auch ohne jede sentimentale Rucksicht auf ihre
christlichen und ihre judischen Nebenmenschen, denn diese Rolle entsprach
aufierdem ihrer spezifischen Geistigkeit, ihrer im Blute liegenden Beweg*
lichkeit und ihrem rein abstrakten Verhaltnis zu den Dingen, mit denen sie
Geschafte machten. Da dieses Verhaltnis sich stets in Geld ausdruckte, so
war ihre innere Beziehung zu den Dingen nicht grofier, ob es zu dem er=
strebten Geldresultat nun auf demWege uber den Knochenhandel kam oder
auf dem uber den Edelsteinhandel. (Das aber ist das Grundproblem des
Kapitalismus : alle Dinge, die erhabensten wie die niedrigsten, sind in ihm
auf ihren Geldcharakter reduziert.) Also stand das vorteilhafte Geldresul*
tat obenan, und damit verschwand dann ganz von selbst die Rucksicht auf
den Kreis jener, die zufallig mit denselben Waren nach ihrem Lebensunter*
halt strebten. Das aber bedeutete in der Praxis die Ausubung des Rechtes
auf Konkurrenz.
In den zahlreichen Beschwerden, die in fruheren Jahrhunderten von
den Handwerkers und Kaufmannsgilden gegen den .Judenkommerz" er«
hoben wurden, wie man diesen mit den Mitteln der Konkurrenz arbeiten*
den judischen Geschaftsbetrieb nannte, wird haufig erwahnt, dafi es nicht
mit rechten Dingen zugehen konne, wenn die Juden diese oder jene Ware
billiger lieferten als der reelle Handwerker und Kauf mann, den sie dadurch
ruinierten oder zum mindesten „in seinem berechtigten Lebensunterhalt
herabsetzten". Es ging jedoch beim Judenkommerz durchaus mit rechten
Dingen zu. Die mannigfachen Behauptungen, denen man bis in unsere
Gegenwart herein begegnet, das billigere Liefern der Juden sei immer auf
irgendwelche betrugerische Manipulationen zuruckzufuhren, der Jude
fuhre unter demselben Namen eine schlechtere Ware, er mogle mit dem
Mafi und Gewicht usw., — diese Unterschiebungen sind nicht stichhaltig;
sie losen das Problem nicht, wenn auch die erhobenen Vorwurfe gewifi
hin und wieder berechtigt waren. Der Judenkommerz ist in seinem Wesen
64
Die Londoner Borse beim Eintreften schlechter Nachrichten
Anonymer englischer Fjrbstkh. I'm 17S0
Reilacc 2n Ed curd Fuchs, .Die Judcn in der Karikalur-
Albert Langcn, Munchen
nicht betriigerischer als der sogenannte ehrliche Handel. Aber die Juden
f iihrten zwei ganz neue Prinzipien in den Handel ein. Das ist der Kern der
Sache und des Ratsels Losung. Diese beiden neuen Elemente sind: die Ein*
fuhrung der Surrogate (Ersatzstoffe) und die Einfiihrung des Geschaftss
grundsatzes: Rascher Umsatz bei geringem Verdienst. Das waren zwei
epochale Neuerungen von gewaltigster, die Technik wie den Umsatz um*
walzender Bedeutung. Die Baumwolle ist z. B. ein Surrogat fiir die Wolle
und auch fiir dieSeide. Dadurch wurden die betreffenden Produkte billiger
und gewifi auch weniger edel, als sie es waren, solange sie nur mit reiner
Wolle und mit reiner Seide hergestellt worden waren. Aber die betreffen*
den Produkte wurden dadurch nicht immer schlechter, sondern mitunter
sogar haltbarer, und die mit der rascheren Zunahme der Bevolkerung
wachsenden Massenbediirfnisse, fiir die es anders keine Losung gegeben
hatte, konnten gerade dadurch in einer Weise bef riedigt werden. Ahnliches
gilt fiir den raschen Umsatz bei geringem Gewinn. Der Jude sagte: Besser
ist es, das Geld im Jahr fiinfmal mit je sechs Prozent Gewinn umzuschlagen,
als bloB zweimal mit je zehn Prozent.
Auch dieses ist die Voraussetzung fiireine
gesteigerte Produktionsweise, die bei
Strafe des Stillstandes oder des Unter*
ganges dem Wechsel der Konjunkturen
folgen will und folgen muB. Und je mehr
die Produktionsweise sich steigert, um so
rascher wird der Wechsel der Konjunk*
turen. Wer ihnen nicht zu folgen ver*
mag, wird automatisch aus dem Produk*
tionsprozeB ausgeschaltet. Das sind heute
Selbstverstandlichkeiten fiir den christ*
lichen wie fiir den jiidischen Kaufman n;
ehedem waren es verponte jiidische Bon*
hasenmanieren.
Die Juden sind weiter die Vater der
Geschaftsanzeige und der Reklame in
ihrenverschiedenen Formen. Denn diese
wurden aus dem von den Juden sich an*
Fuihs. D'tt Jutten in der K*iikjtur
65
82. Das Judenschwein
Sjitirkcht KjlenderiUuttrAtion- (-'m 1SCV
9
83. Der RoBtaUScher. Karikatur von H. Ramberg. 1805
gemafiten Recht auf Konkurrenz ganz von selbst geboren. Wer andern den
Rang ablaufen will, mehr Waren als der andere absetzen will und vor
allem rascher, der mufi naturlich in irgendwelcher Form an die Kunden
herantreten: personlich, durch Vertreter, Agenten, Mittelsmanner, Ge«
schaftsreisende, schriftlich durch gedruckte Anzeigen usw. Er muB auf
diese Weise die Kunden darauf aufmerksam machen, was man alles bei
ihm haben kann, und dafi man es besser und billiger bei ihm haben kann
als wo anders; er mufi mit einem Wort das Publikum anreifien. Das war
gemafi den obendargelegten Grunden ein in der zunftig geordneten Produk*
tionsweise selbstverstandlich ganzlich unbekanntes und auch verpontes Ver«
fahren; der Kaufmann alten Schlages wartete ruhig auf seine Kunden, bis
sie zu ihm kamen, und er bot ibnen nur das an, was sie verlangten. Es
handelt sich in der Tat in alien diesen neuen Anreifiermethoden beim Ge*
schaftemachen um ursprunglich und ausnahmslos judische Manieren. Das
System der Geschaftsreisenden wurde zuerst von den Juden aufgebracht,
und die ersten Geschaftsanzeigen, denen man im 18. Jahrhundert in den
Zeitungen begegnet, stammen fast immer von Juden.
66
84. Trodeljuden im Husarenlager. Karikatur von H. Ramberg. 1805
Zur Reklame gehoren auch das Schaufenster und die Schaufensterdekos
ration. Diese verlockende Zurschaustellung der Waren kannte man in den
Friihzeiten des Handels ebentalls nicht; es sind auch dies nachweisbar
judische Errungenschaften. Selbstverstandlich handelte es sich auch dabei
nirgends um eine auf den Tag zu datierende Einrichtung, sondern immer
nur um langsame Wachstumsprozesse zunehmender^Zeitbedurfnisse.
Aus dem Recht auf Konkurrenz erwachsen alle Formen des Unter*
bietens. Eine dieser Formen ist das Abzahlungsgeschaft. Dadurch, dafi
man es dem Interessenten ermoglicht, grossere Anschaffungen mit Hilfe
selbst der allerkleinsten Abzahlungen zu machen, lockt man den Kauf lustis
gen von jenen Geschaftsleuten weg, die nicht die notigen Barmittel haben,
um einem oder gar alien Kaufern lange Kredite einzuraumen. Das Auf«
kommen der Abzahlungsgeschafte hat sehr viel kleine Geschafte geschadigt,
aber diese Geschaftsmethode stellt doch einen unentbehrlichen Fortschritt
dar. Sie war im Zeitalter der Massenproletarisierung ein kategorisches Be*
durfnis. Die Idee der Abzahlungsgeschafte stammt ebenfalls von den Ju«
den, und alle Abzahlungsgeschafte sind von jeher in den Handen von Juden.
67
Der Vater zum Sohn: „Lofi Dich treten
von de Leit, lofi Dich werfcn aus de
Stuben, lofi Dich verklagen bei de Ge=
richte. lofi Dich setzen ins Hundeloch,
lofi Dich peitschen, loB Dich martern
halb taudt! aber Du mufit doch werden
reich!"
85. Aus ..Unser Verkehr". Salirische Posse
Schliefilich sind es auch die Juden ge«
wesen, die den spezifischsten Typ des mo*
dernen Detailhandels geschaffen haben:
Das Gemischtwarengeschaft grofien Stils,
das moderne Kaufhaus und das Waren*
haus. Diese klassischen Typen des heutis
gen Detailhandels lassen ganz unzweis
deutig ihren judischen Ursprung erkennen.
Es ist das Gewolbe des auf Pfander leihens
den Juden. Weil der Geldbedurftige beim
Juden alles verpfandete, Kleider, Waff en,
Schmucksachen, Haushaltungsgegenstans
de, fertige und unfertige Waren, Werk*
zeuge, Nahrungsmittel usw., und weil
dauernd zahllose Pfander niemals vom
Entleiher wieder eingelost wurden, so vers
fielen sie eben dem Juden. Weil der Jude fur alles Verwendung hatte oder
Verwendung finden konnte, wanderte auch alle Diebesbeute und alle Beute
der Soldaten zumeist in die Gewolbe der Juden. Und sie trieben mitalledem
Handel. Das ist die Urform des Warenhauses. Es istgewifi ein weiter Weg
bis herauf zu den modernen Kaufs und Warenhausern der Wertheim, Tietz,
Jandorf usw., die alle wahre Wunderwerke kaufmannischen Organisations*
genies sind, aber es ist ein ganz gerader Weg . . .
Das ist ein Teil der wichtigsten neuen Formen des kapitalistischen
Handelsbetriebes, die von den Juden erfunden worden sind. Man kann
gewifi sagen: alle diese neuen Formen waren bei einem bestimmten Grad
der allgemeinen Entwicklung neue Bedurfnisse geworden, denen unbedingt
Rechnung getragen werden mufite. Aber dann waren es eben die Juden,
von denen diese neuen Bedurfnisse am fruhesten erkannt wurden. Und
damit kommt man wieder zum gleichen Ergebnis.
Dafi die Juden im Kleinsten wie im Grofiten das Bedurfnis einer Zeit
haufig am fruhesten klar erkannt haben, das eben macht ihre bestimmende
Rolle beim Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise aus. Und darum
will ich alle diese Darlegungen mit dem Hinweis auf die allerwichtigste,
von den Juden am fruhesten erkannte und auch erfullte Zeitnotwendigkeit
68
schliefien: Die Juden waren es, die in der klaren Erkenntnis der Notwens
digkeit eines gesteigerten Verkehrs die ersten und die meisten europaischen
Bahnen gebaut haben. Die Rothschilds waren die ersten Eisenbahnkonige
der Welt; die amerikanischen Eisenbahnkonige, die ubrigens in der Mehrs
zahl auch Juden waren, kamen erst nach ihnen. Die Rothschilds haben in
den 40er und 50er Jahren die franzosische Nordbahn erbaut, die oster*
reichische Nordbahn, die italienischsosterreichischen Bahnen und verschie*
dene andere. Diese Grundertatigkeit auf dem Gebiete des Eisenbahnbaues
ist neben der Grundung der Entdeckung Amerikas ohne Zweifel die epos
chalste wirtschaftspolitische Tat der Weltgeschichte. Und beides sind rein
judische Grundungen. —
86. „Man Spricht VOn Geschaften". Dcutscher sotirischer Kupferstich von F. Erhard. 1S15
69
IV
Der Anteil der Juden an der europaischen Kultur
Ich komme jetzt zur Zusammenfassung alles dessen, was ich bis jetzt
dargelegt habe, und damit zur prazisen Antwort auf die Frage nach dem
Anteil der Juden an der europaischen Kultur, von der ich oben (S. 8) sagte,
dafi man von ihr ausgehen musse.
Mit den vorstehenden Ausfuhrungen ist in grofien Zugen die von mir
aufgestellte Behauptung iiber den ungeheuren Anteil der Juden an dem
Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise wohl ausreichend belegt.
Dieser Anteil ist, wie man sieht, vom ersten Tage an ununterbrochen inspis
rativ gewesen und dauernd neu organisierend. Der. Anteil der Juden an
der kapitalistischen Wirtschaftsweise konnte nicht grofier gewesen sein, und
ich wage wiederholt zu sagen,
womit ich diesen Abschnitt
einleitete: ohne Juden gabe es
keinen Kapitalismus.
Selbstverstandlich ist durch
diese Beweisfuhrung auch zu*
gleich die Frage iiber den An*
teil der Juden an unserer euro*
paischen Kultur nicht blofi in
einer allgemeineri Form, sons
dern ganz prazis beantwortet.
Weil die Juden in ausschlags
gebender Weise die Mitur*
heber und Mitverantworts
lichen fur unsere gesamte ka«
pitalistische Wirtschaftsweise
sind, darum sind sie dies in
gleichem Umfange auch ge«
genuber dergesamten europas
ischen Kultur. Auch hier sind
87. Satiiischer Kupfcrstich zu : .,Uns« Verk.hr". Satimche Posse SIC nlCnt nUI tUf UlCSen OUCr
l:,VV«\Vr.<r. f.,,/,/ ,„„,„ ?:,Jl,r ,„„„ //.,„,* ..(;,/,,/.,/- imiil MMr.'l/ii Jfin/i' •
U.„,„. .! l»/,„,r.&r .lh,„i, .; .,..J,.Js„ ■,IU.,' m lfc-.fc.,.'ilmm-Aw/.* ■>"'
U.„ /.,„, /l,m rim,/,, //„„./. ,/„„ r „,/,„/„, ,(„„„„.£;,„ riiymlii/fiiiwr mi.
,„/,„„ .)lii*i~r,.,J„it, r.raffUi ttam ,r i,iH ,l,i /iirnldi, Jlirtl ii si?/«i ■*<"'
70
SS. Absalons Tod. Sitirischcr Numbtig« BiWcrboKen. 1825
jenen Teil mitverantwortlich, sondern fur das Ganze. Sie haben die euro*
paische Kultur in jedem Sinne und in alien ihren Ausstrahlungen beein*
fluBt. Man kann gerade hier am allerwenigsten scheiden und etwa sagen:
dieser (schlechte) Teil kommt auf das Konto der Juden, und jener (gute)
Teil kommt auf das Konto der Christen. Natiirlich kann man auch nicht
das Umgekehrte sagen. Die europaische Kultur ist ein unteilbares Ganzes,
aus dem sich nicht willkurlich irgendein Stuck loslosen laBt. Sie ist in
ihrer Gesamtheit kapitalistisch, weil sie in ihrer Basis kapitalistisch ist.
Jede einzelne, die geringste wie die groGte ihrer Erscheinungen, ist aus dem
Wesen des kapitalistischen Interesses geboren und von ihm geformt. Darum
also sind die Juden, gemeinsam mit den Christen, auch fur alles verantwort*
lich, fur das Bose und fur das Gute der kapitalistischen Kultur, sofern
man diese Charakterisierung anwenden will. Das muB man als Antwort
geben, wann und wo der iibliche Vorwurt der verhetzten Gedankenlosig*
keit erhoben wird, die Juden seien nur Schadlinge an unserer Kultur.
Man kann nur dann ein Verdammungsurteil iiber die Juden im allge*
71
meinen fallen, wenn man den Mut aufbrachte, zugleich die gesamte kapitas
listische Wirtschaftsweise zu verwerfen, d. h. wenn man erklaren wurde:
die europaische Menschheit ware glucklicher geworden, wenn die Juden
uns Nordlandern niemals begegnet waren, und wenn die europaische Kuls
tur dadurch vom Kapitalismus uberhaupt verschontgeblieben ware. So kann
man gewifi folgern (ob mit Recht, istnaturlich eine andere Frage), und man
kann auch durch tausend tragische Beispiele nachweisen — angefangen von
der Syphilis als dem allerersten Geschenk der Neuen Welt an Europa bis
herauf zum Weltkrieg — , dafi alles dies dann nicht iiber uns gekommen
ware, und dafi die Herrlichkeiten der burgerlichen Kultur damit jedenfalls
sehr teuer bezahlt seien, dafi sich dieses'Assoziationsgeschaft zwischen Jude
und Christ fur die Menschheit letzten Endes doch nicht gelohnt habe.
Einen solchen Standpunkt kann man einnehmen. Aber eine solche Ge«
schichtsphilosophie ist hochst unfruchtbar, denn damit wird die Geschichte
nicht erklart, sondern nur bedauert. Da aber ersteres meine Aufgabe ist,
weil man nicht mit der Geschichte rechten kann, darum mufi man ihren
hinter uns liegenden Verlauf als eine nicht abzuwendend gewesene Zwangss
laufigkeit hinnehmen. Hatt' der Bub das Madel nicht gekufit . . . hatt' der
Herrgott das Madel nicht erschaffen . . . usw., dann ware die Wiege freis
lich leer geblieben. „Sie haben" aber nun einmal, der liebe Herrgott und
der Bub.
Aus derselben Logik heraus mussen wir uns damit abfinden, dafi die
europaische Geschichte seit 6—800 Jahren nicht nur hin und wieder mit
dem judischen Kalb gepflugt hat, sondern dafi sie in der ganzen Zeit nie«
mals ohne dieses gepflugt hat. Und solches hatte seine selbstverstandlichen
Konsequenzen. Diese lauten: die Juden haben unter alien Volkern der Erde
die umwalzendste Rolle gespielt. IhreRolle ist gleich der des Geldes, dessen
umfangreichsteBeherrscher sievonjehersind. Siehabendamitdemmodernen
Antlitz der Welt, dem Gesicht, das diese seit dem Ausgang des Mittelalters
tragt, einen Teil seiner wesentlichsten Ziige verliehen; sie sind durch ihren
Zusammenprall mit dem Abendland zu Menschheitsbildnern gewaltigsten
Stiles geworden.
Selbstverstandlich ist mit dieser Einsicht in die weltgeschichtliche Rolle
des Judentums noch lange nicht jeder judische Schnorrer und jeder Schacher*
jude zur welthistorischen Erscheinung gestempelt. Ebensowenig ist damit
72
Salomon in seiner Glorie
Englische Karikitur von buc Cruikshjnc. 1790
Hcvlip »n Fdoird Fnrhj. .Die Jnd<n ia dtr Kariikatnr-
AllHTt Ijngen, Manckdl
$fi>. GaUnt>sahmthc D«st*JJiine Jut oner ithniiptt^t.^ksdoso
abgeleugnet, daft es zu alien Zeis
ten viele Tausende von Juden
gab, die alles andere, nur keine
reinen Engel des Lichtes waren.
Aber die Geschichte beweist
auch, daft sie dies gar nicht sein
konnten, weil der ewige Pan'a
der Gesellschaft auch alle Laster
des Par iamit sich herumschleppt.
Wenn die Juden also, genau
wie die Christen, hochstens
in einzelnen Exemplaren welts
historische Erscheinungen was
ren, in ihrer Masse dagegen eher alles andere, so erfullten sie in ihrer
Masse trotz alledem und nichtsdestoweniger ein weit auswirkendes welts
historisches Gesetz.
Angesichts dieser Tatsache, die nun einmal nicht bezweifelt werden
kann, ist es schlieftlich ganz miiftig, dieFragenach der schopf erischen Potenz
der Juden aufzuwerfen, der man immer wieder in der Form des Einwandes
begegnet, die Juden seien nur kritizistisch, nur negierend veranlagt und
womit die sich objektiv Nennenden ebenfalls die angebliche Minderwertigs
keit der Juden gegeniiber den Christen beweisen wollen. Dieser Einwand
beruht auf dem groben Irrtum, als gabe es nur eine einzige Form, namlich
unsere abendlandische, in der sich schopf erische Potenz zu ntanifestieren
vermoge. Hier handelt es sich urn kein Problem, das blofi auf Ja und Nein
gestellt ist, sondern um das Problem der verschiedenen Erscheinungsformen
der Potenz. Die Juden sind ebenfalls schopferisch, aber es ist zweifellos,
daft sie dies in einer ganz anderen Weise sind als wir Nordlander. Sie sind
schopferisch aus dem Intellekt und nicht so sehr aus der Anschauung. An
der Kunst ist dies am deutlichsten zu demonstrieren. Ein Wilhelm Leibl
ware aus der jiidischen Psyche nicht zu erklaren, andererseits ist es unbe*
streitbar, daft ein Liebermann mehr mit dem Verstand als mit den Augen
malt. Das Verstandesmaftige ist aber auch in der Kunst nicht ohne weiteres
ein Qualitatss, sondern in erster Linie ein Wesensmerkmal. Wenn etwas die
schopf erische Potenz der Juden erweist, so ist es eben gerade ihr Anteil am
Fuch*, DicJuicn in der Karik*tur
10
73
ja, Rebeck'che, mag michs auch ankommen. wie es will, es muB hcraus — Rebeck'che, verseigen se
Rebeck'chc — ich liebe se! — Gott - es ist heraus, wie werd mer — de Welt werd finster — ich
bin taudt! — Seyn se mer bais wcgcn de Freiheit? — Schamen se sich nicht, heitern se mer auf.
entdecken se mer ihr Herzche — sagen se nicht mehr: Gaihn se furl mcschanter Schmul! — Ach
Gotl — wie schain waren se doch da in der Hilz! —
90. Schmul deklamiert Rebeka seine Hcrzcnsidcc vor
S-jtimcher NurobcrKer Kupfcrstich. I'm 1825
Aufbau der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Diese Gesamtleistung des Jus
dentums ist ein viel zwingenderer, weil geradezu gigantischer Beweis fiir
die judische Schopferkraft, als der Nachweis, daft der oder jener Jude, ein
Baruch Spinoza, ein Heinrich Heine, ein Karl Marx, ein Max Liebermann,
ein Albert Einstein usw., neue und grofie Werte in den kulturellen Besitz?
stand der Menschheit eingefugt hat. Und auch dieser Nachweis ware fiir*
wahr nicht allzu schwer zu fiihren. Solches aber bedeutet schopferisch
sein. Und wenn es Einer ist, so ist es auch die ganze Rasse.
74
Warum sind die Juden von aller Welt gehafit?
Ich habe mich bei meinen seitherigen Ausfuhrungen mit Absicht auf
die rein wirtschaftliche Rolle der Juden im Werdeprozefi unserer modernen
Wirtschaftsweise beschrankt. Um diese Rolle moglichst klar zur Erscheinung
zu bringen, habe ich von alien anderen sich aufdrangenden SchluBfol*
gerungen abgesehen und solche nur erwahnt, wenn das wirtschaftliche Pros
blemdadurch erklartwurde. Ich wollte mirdiese anderen Schlufifolgerungen.
diese zweite Seite der Sache, fur diesen besonderen Abschnitt aufsparen,
um sie hier zusammenfassend zu behandeln.
Die ganz besondere Stellung der Juden innerhalb der Gesellschaft ist
die andere Seite des Problems. Oder mit klaren Worten: Der Jude trug
durch die Geschichte nicht nur
den grofieren Geldsack, sons
dern er trug auf seinem Riicken
aufterdem, wie allbekannt, fast
die ganze Zeit eine Welt von
Hafi. Er trug eine Welt von
Haft mit sich herum, wie sie
aufter ihm niemals einem an;
deren Volk der Welt zuteil
wurde. Diesem Hafi begegne*
ten die Juden seit ihrem Auftre*
ten in Europa, und er ist bis
auf den heutigen Tag niemals
und nirgends ganz erloschen.
Seine Formen waren immerahn«
liche oder die gleichen: gesell*
schaftliche Achtung, Verspot*
tung, Verfolgung, Vertreibung,
systematische Auspliinderung,
Einzelmord, gesteigert bis zur
Abschlachtung ganzer jiidischer
91.
Cbung der Geduld im lieben jiidischen Ehestande
Nurntwrtfcr Kjhk^tvr. Um 1825
10*
75
Bevolkerungen. Die grauenhaftesten Formen des Judenhasses gehoren
leider nicht nur derVergangenheit an, sondern im Gegenteil der Gegenwart.
An die Qualen, denen die Ostjuden wahrend des Weltkrieges uberants
wortet waren, an die Scheusaligkeiten der konterrevolutionaren russischen
Horden unter Koltschak und Wrangel, an die Bestialitaten der ungarischen
Horthyoffiziere, — an diese modernsten Judenverfolgungen reicht nichts
von dem heran, was die Vergangenheit an Judenverfolgungen aufzuweisen
hat. So schrecklich die Judenvertreibungen, die Judenverbrennungen des
Mittelalters mitunter auch waren, sie verblassen gegenuber den Massenfols
terungen und Massenschlachtungen unter den Juden wahrend der letzten
Jahre. Und die hierfur Verantwortlichen sitzen in alien Landern. Nur
Sowjetrufiland ist von dieser Schmach frei.
Diesen durch die Jahrhunderte wahrenden Judenhafi, der selbstvers
standlich der uppige Nahrboden fur die Mehrzahl aller jemals erschienenen
Judenkarikaturen ist, in seinen Wurzeln und in seinen Zusammenhangen
zu erklaren, ist die Aufgabe, die mir fur dieses Kapitel gestellt ist. Das
heifit, es ist gleichzeitig auch die freilich nur scheinbar seltsame Tatsache
zu erklaren, dafi man in den Juden z. B. niemals die Befreier sah, niemals
die zu bewundernden Bahnbrecher usw. , sondern fast ausnahmslos die
Schmarotzer und Schadlinge der europaischen Gesellschaft.
Dafi, wie ich oben hervorhob, zu gewissen Zeiten eine Reihe Stadtver*
waltungen die wuchernden (d. h. geldleihenden) Juden in ihre Mauern
baten, und dafi zu fast alien Zeiten immer einige Juden grofies Ansehen
genossen und iiber Macht und Einflufi verfugten, widerspricht der Permas
nenz dieses Welthasses keineswegs; denn die Masse der Juden war zur
gleichen Zeit doch zumeist verfehmt.
Man kann wohl dreist sagen, und zwar ohne sich dem Vorwurf der
Ubertreibung auszusetzen, dafi, wenn in fruheren Zeiten eine Stadt, ein
Land oder die Menschheit im ganzen von irgendeinem Ungluck heimges
sucht wurde, alsbald der Ruf erscholl: „Der Jud ist schuld!" „Die Juden
haben es angestiftet!" Wenn eine Feuersbrunst ausbrach, nannte man in
den meisten Fallen irgendein harmloses Judchen als den Brandstifter. Bei
einem Mord wurde zuerst gefragt, ob nicht ein Jude des Wegs gegangen
sei; war gar ein Knabenmord vorgekommen, so war der gemordete Knabe
sicher von den Juden zu Ritualzwecken geschlachtetworden. Bei Mifiernten
76
=^4MS
GeMoiues u.emies tun- Rarritii-r. 'if^SS***^ ^ ^'
^*5^-T— ^"t^o -i3~^p-4.. r%>. ■ c^,
.At en *t/a 6*+r '
JicAt «.-. *sA~*„ rr . •«*..' i G«JJt«A AfG..- */,,„,.,., .«-/
92. Nurnbergcr Karikatur. Um 1S30
und Teuerung hatten unbedingt die Juden das Unheil verschuldet. Und
als im 13., 14. und 15. Jahrhundert die europaische Menschheit von der
Pest heimgesucht wurde, hiefi es jedesmal, das grofie Sterben komme
daher, weil die Juden die Brunnen vergiftet hatten. In der unsinnigen Angst,
die die Pest stets ausloste, wo sie auftrat, tobte dann die Wut gegen die
77
Judendurch zahlreiche Stadte des Abendlandes, undHundertevonunschub
digen Juden mufitendiesen Wahnsinn nichtnur mit dem Verlust ihres Hab
undGutesbezahlen, sondern obendrein mit dem Leben. Unsere Gegenwart
kennt dieselben geistigen Epidemien. Als Deutschland im Herbst 1918 end*
lich vor dem von Anfang an unvermeidlichen Zusammenbruch stand, da
wurden wiederum diejudenalsdie Hauptschuldigen ausgeschrieen.siehatten
angeblich den Dolchstofi in den Riicken des Heeres geleitet. Und heute
noch, nachdem die welts und wirtschaftspolitischen Ursachen der deutschen
Niederlage selbst dem beschranktesten Him klar sein miifiten, kann man
noch taglich aus dem Munde U nzahligerhoren, dafi ohne die Juden Deutsche
land als Sieger aus dem Weltkrieg hervorgegangen ware.
Die Abwalzung eines Ungliickes auf eine bestimmte Person oder eine
bestimmte Bevolkerungsschicht ist an sich ganz natiirlich. Diese Methode
entspricht durchaus der christlichen Lehre von der individuellen Schuld,
der Lehre von der Siinde; nach der christlichen Lehre steht hinter alien
Dingen ein personlich Verant*
ZArJ/u/smatertf&AjMe.
^. >"-^ ■.'... j-.^T~' ~
*#*■-*•:
^ii_^_" ~...U: :.^
93. Der Jude in der Fuchsfalte
wortlicher. Daher das Suchen
der Menschen nach dem jewei*
ligen Siindenbock, dessen sie be*
diirfen, um ihn in die Wiiste zu
schicken. Es ist selbst fiir die
Gebildeten eine sehr spate Er*
rungenschaft, die Ereignisse und
Zustande als unvermeidliche
Folgen von Allgemeinzustanden
der Gesellschaft und der Ge*
samtentwicklung zu erkennen.
Die grofte Masse hat sich zu
dieser Erkenntnis bis heute noch
nichtdurchgerungen. Wenndes*
halb die Menschen ein Ungluck
iiberkommt, muB immer ein be*
sonders schlechter Kerl die Hand
im Spiele gehabt haben; von
dessen personlicher Bosheit muft
78
94. Vi'ie ein Krihwinkler Handclsjude kopflos handclt
das betreffende Unheil ausgeheckt worden sein. Und als dieser spezifisch
schlechte Kerl, aus dessen schwarzer Seele immer und immer wieder neues
unverdientes Leid iiber die in ihrem Gemiit ach so braven und ach so ehr*
baren Christenmenschen sich ergiefit, gilt, wie gesagt, zu alien Zeiten vor
allem der Jude.
Das ist die landesiibliche Meinung. Nun ist aber die Frage auf zuwerf en
und zu beantworten: warum ist es gerade immer der Jude gewesen, dem
jahrhundertelang und allerorten die meiste Schuld fur das jeweils iiber die
Menschen gekommene Unheil in die Schuhe geschoben worden ist? Die
Antwort auf diese Frage kann in einigen wenigen Satzen gegeben werden.
Diese lauten: Die Massen erlebten die Entwicklung des Kapitalismus, die
in der Form einer nie rastenden Umwalzung der Geldwirtschaft vor sich
ging, niemals als Erlosung und Befreiung, sondern sie setzte sich fiir sie
unter standigen Noten und Qualen durch, als da sind: immer wiederkehrende
Krisen, Teuerung, Hungersnote. wirtschaftlicher Bankrott der Kleinen und
Kleinsten. Weil man nun infolge des engen geistigen Horizontes das wir«
kende Gesetz nicht erkannte, so sah man den Feind, gemaft den vorhin ge*
79
fnachten Ausfuhrungen, im menschlichen Instrument der Geldwirtschaft.
Dieses aber war, wie ich in den vorhergegangenen Abschnittengezeigthabe,
durch alle Jahrhunderte hindurch in stets hervorragender Weise der Jude.
Der Jude ist das Instrument der Geschichte. Also empfing man auch an*
scheinend am haufigsten aus seiner Hand die furchterlichen Nackenschlage,
unter denen Tausende jahraus, jahrein seufzten, und unter denen Hunderte
zusammenbrachen. Deshalb ist der Jude immer gehafit. Alle Laster
der Geldwirtschaft wurden auf sein personliches Konto gebucht.
In diesem Zusammenhang mufi mit aller Deutlichkeit darauf hinges
wiesen werden, dafi es absolut nicht der Rassenunterschied zwischen
Orientale und Europaer ist, der den Hafi gegen die Juden in seinem Kern
begrundet, sondern dafi es einzig der Jude als Kapitalist ist, der den Hafi
auslost. Jede geschichtliche Nachprufung dieser Materie (desRassenhasses)
erweist, dafi die andere Rasse immer nur dann und erst dann gehafit wird,
wenn sie als gefahrlicher wirtschaftlicher Konkurrent auftritt. Der ameris
kanische Arbeiter hafit z. B. den Japaner, weil dieser als Lohndrucker auft
tritt und die Errungenschaften seiner jahrzehntelangen Gewerkschaftskampfe
gefahrdet. Dafi es so ist und nicht anders, ergibt sich aus der einfachen und
leicht festzustellenden Tatsache, dafi der Rassenhafi.sofort verstummt, so wie
die wirtschaftlichen Gegensatze verschwinden. Weiter daraus, dafi man,
solange es in einem Land oder einer Zeit uberhaupt zu keinem-solchen
wirtschaftlichen Gegensatz kommt, auch niemals den sogenannten Rassens
kampfen begegnet. Wo aber andererseits starke wirtschaftliche Gegen*
satze entstehen und die Trager der verschiedenen Interessen sich nach vers
schiedenen Rassen scheiden, da wandelt sich der Klassenhafi stets zuerst in
Rassenhafi, — es ist dies die niederste Stufe der Klassenkampfe; der alte
Wilhelm Liebknecht hat ein sehr treffendes Wort gepragt, als er sagte: „Der
Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle" — und der Hafi
der in ihrer Existenz sich bedroht fuhlenden Klasse knupft an die soge«
nannten Rassenunterschiede an, er wandelt den wirtschaftlichen Gegensatz
zu einem moralischen und stempelt den Gegner als moralisch geringerwertig.
Alles das, was den anderen von ihm unterscheidet, gilt als das spezifisch
minderwertige. Da diese Methode in Europa seit Jahrhunderten gegen*
uber den Juden geubt wird, so ruhrt daher die Uberheblichkeit aller Ganz«
und Halbspiefiburger uber die Juden.
80
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Es ist der fleischgewordene Hafi gegeniiber dem starksten wirtschafts
lichen Gegner, gegen den man sich in ohnmachtiger Wut verzehrte, weil
man obendrein immer von neuem auf ihn angewiesen war: denn der Jude
war der Besitzer des Geldes, dessen man als Darlehen in steigendem Matt
bedurfte. Man muftte es zu den hochsten Zinsen nehmen, zu 10, zu 20, zu
30 und noch mehr Prozent. Eine solche Verzinsung aufzubringen, war
schlechterdings unmoglich , weil dies an der nicht so hohen Produktivitat
der Arbeit scheiterte. Aber wenn man dies auch vorausahnte, so nahm der
kleine Handwerker, der Bauer, der Kaufmann trotzdem das Judengeld,
weil in den Zeiten der allgemeinen Geldknappheit die Umstande jeden
einzelnen dazu zwangen. Und jeder hoffte eben fur den Verfallstag, an dem
Kapital und Zins zuriickgezahlt werden sollten, auf irgendein Wunder:
vielleicht regnet es einmal Dukaten, und ich bin gerade zur Stelle. Nun,
es regnete eben nie Dukaten. Der Teufel, dem man sich verschrieben hatte,
hielt immer nur in den Volkssagen sein Wort, im wirklichen Leben niemals.
Er liefi weder einen verborgenen Schatz finden, noch holte er den wuches
rischen Juden. An dem Verfallstage erschien nicht der Teufel mit einem
Sack Gold, wohl aber prompt
der judische Glaubiger mit seis
nem Schein, auf dessen Einlo*
sung er wie Shylock bestand.
Nun konnte man aber sehr oft
nicht bezahlen, das Pfand war
in diesen Fallen verfallen, oder
man konnte sich nur unter den
schwersten Opfern weiterhelfen.
Ist es da ein Wunder, daft man
den Juden hafite? Der Judewar
doch offenkundig der schlechte
Kerl, der einem den Hals zuzog.
Wer denn sonst? Diese Wahr*
heit war doch handgreiflich.
Gewifi waren die christlichen
Wucherer nicht selten viel hart*
DerAltczumSohn: Ehrlich wahrt's am lingsttn
herziger als die judischen. Diese «, DtutS(ht Kjrikitut Vmim
Fuchs. Die juden in der Kitiikattit f \
81
Da liegt dcr Jude! Lacht ihn aus!
Do ist nicks zum lachen! Hab kh kbnncn in der Luft hangcn bleiben?
96. frankfurter Kjrilutur. Urn 1820
Anklage kehrt haufig bei den alten Schriftstellern wieder. Aber die Zahl
der judischen Wucherer war ungleich grofier, so dafi sich der Begriff
Wucherer und Jude in der Vorstellung der Masse deckte. Man sagte: Nicht
jeder Wucherer ist ein Jude, aber jeder Jude ist ein Wucherer. Dazu kam
iiberdies noch ein anderer Umstand. Der Christ verbarg sein wucherisches
Gewerbe stets hinter der Maske der Scheinheiligkeit, der Jude dagegen
trieb es ganz often vor aller Welt, und er machte gar kein Hehl daraus,
daft das Geldinteresse bei ihm das oberste Interesse ist. Geiler von Kaisers*
berg sagt in einer Predigt iiber diesen Unterschied zwischen den judischen
und christlichen Wucherem derb und deutlich: „Dann ein Jud setzt sein
Seel oftentlich darauft, und schembt sich solches nicht, aber diese Wucher*
hels richten solches alles auss unter dem Schein des Christlichen nammens."
Weil man also das geliehene Geld wieder zuriickzahlen mufite, und weil
dieses in den allermeisten Fallen besonders schwer fiel, so erschien der Gelds
leiher seinen Geldnehmern stets viel mehr als der Bedranger denn als der
82
Heifer. Er war aller Welt Feind und gait als Niemandes Freund. AIs
Heifer lebte er immer nur einige wenige Tage im Gedachtnis der Leute,
die von ihm Geld geborgt hatten, als Bedranger dagegen oft jahrelang,
nicht selten sogar ein ganzes Leben. In dieselbe Situation des naturgemaf?
von alien Seiten Gehafiten kam der Jude in seiner Tatigkeit als Handler.
Er war, weil alle Art Waren bei ihm verpf andet wurden, und weil er mit
allem Geschafte machte, nicht nur der Konkurrent eines Einzigen, sondern
der aller Handwerker und Kauf leute des Ortes, an dem er sein Handwerk
trieb. Und weil er andere Geschaftsprinzipien als die ehrbaren christlichen
Kaufleute hatte, Prinzipien, die ihm grofieren Absatz garantierten, so war
er zugleich fiir alle ein sehr gefahrlicher Konkurrent. Jeder Handwerker
und Kaufmann fuhlte sich in
seinem Gewerbeund darum mit;
unter in seiner ganzen Existenz
durch den Juden geschadigt und
bedroht.
Und dieser Zustand dauerte
viele Jahrhunderte ununterbro=
chen. Man darf weiter nicht
unterschatzen, was es bedeutet,
daf? alle modernen Selbstver*
standlichkeiten des kapitalisti*
schen Geschaftsbetriebes der
friiheren Wirtschaftsgesinnung
ohne Ausnahme widersprachen.
Was heute fiir jeden Geschafts*
mann, ob Christ oder Jude,
das selbstverstandliche Gesetz
seines Handelns ist, was heute
als durchaus geschaftsmannisch
korrekt angesehen wird, das
wurde ursprunglich, im 15.— 18.
Jahrhundert, vom ziinftigen
Handwerker und Kaufmann als
feindseliger Akt empfunden.
97
Nicht weiB gesotten, nicht plettiert.
Und doch welch ma^niBquer Schein?
Ach, mein Gemuth ist gaDz gcriihrt;
Er muft messiv von Silber sein!
Emplindsamc Betcachtung des Mondes
Doiitschi Koirtatuc. Um 1820
11*
83
Mit anderen Worten: alles das, was die Juden fur die Entwicklung leisteten,
mufiten die Zeitgenossen alsgegen sich gerichtet empfinden. Und jederneue
als feindselig empfundene Akt dieser Art wurde, wie wir gesehen haben,
zuerst von den Juden ausgeubt. Von ihnen wurde der betreffende Trick zum
mindesten stets mit dem grofieren Geschick gehandhabt. Und dieser Zu«
stand, dafi die judischen Geschaftsmethoden als skrupellos und jedem
ehrlichen Gewerbe als nachteilig empfunden wurden, wahrte ebenfalls
viele Jahrhunderte. Wer ist also schuld, wenn ein strebsamer Handwerker
trotz allem Fleifie nicht hochkam? Der Jude, Wer hat es auf dem Ge«
wissen, wenn ein ehrlicher Kaufmann in seinem Handel zuruckging? Der
Jude. Wer bietet Waren feil, durch die das sauer verdiente Geld des Landes
nur aufier Lands kommt? Der Jude. Wer hat dem Bauer den ganzen Er«
trag seiner Felder schon vor der Ernte abgekauft und bestimmt allein den
Preis? Der Jude. Usw. Der Jude ist der Allerweltskonkurrent von Jedem
und Jedermann. Es gibtkeinen Winkel des Landes, wohin er nicht kommt,
keinen Kreuzweg, an dem der Wanderer vorbei mufi, wo der Jude nicht
sein Kramchen auf schlagt. Wenn der Fremde, der Pilger oder der Geschafts*
mann, vor das Gewolbe des zunftigen Gewerbes kommt, hat er den Reise*
sack schon voll Judenware, und seine Groschen und Taler hat bereits der
Jude in der Tasche, der ihm auf der Landstrafie entgegen gegangen war.
Als Allerweltsglaubiger, dem, aufier der Kirche, vom kleinen Bauer*
lein angefangen bis hinauf zum Kaiser alle verschuldet sind, und als Alles*
verderber, der jeden redlichen Handel und Wandel stort und erstickt, —
in diesen beiden Gestalten allein steht der Jude durch die Jahrhunderte hin«
durch vor dem leiblichen und geistigen Auge der Mitwelt.
Und die Zeitgenossen konnten in den fruheren Jahrhunderten auch
gar keine andere Vorstellung von dem Juden bekommen, am allerwenigsten
die eines Wegbereiters und Fuhrers zu der kuhnsten und gewaltigsten Wirt*
schaftsweise der gesamten Menschheitsgeschichte. Diese mufite doch erst
geworden sein, um sie feststellen zu konnen; die historische Rolle der Juden
konnte erstretrospektiv erkanntwerden. Um so mehr, als diese Entwicklung
ja niemals ein bewufites Ideal der Menschen gewesen ist. „Die Menschs
heit" wollte sich fruher doch uberhaupt nicht entwickeln, sie wollte ihr ge«
ruhsames Dasein haben. Das war ihr hochstes Lebensziel, und wer diese
Ruhe gefahrdete, verstiefi gegen das oberste Menschenrecht. Und auch die
84
Polkwitzer
Lydie^
Abraham HerscL.
Rachel
ITnser Verkehr nacli der Tieuesten DarsteThmp
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Li co I) _ ( Iiiidorus Mor(5enliuuU.T Lobe] Grosclieiimaclier
Rebecka
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98. Judischc Typen. Niimbsrgcr Kirikaturen. Urn 182S.
Juden waren selbstverstandlich immer nur unbewufite Instrumente der Ge*
schichte. Sie dachten sich bei ihren Geschaften wirklich nichts Erhebendes,
sie dachten aufier an Jahve nur noch an ihren Rebbach!
Es ist ganz miifiig, die Juden als Einzelindividuen besser darzustellen,
als sie in Wirklichkeit sind. Der Jude war und ist in tausend Fallen der
Ausbeuter fremden Elends. Gewifi. Aber — lautet die andere Frage —
war dies vielleicht der christliche Kapitalismus irgendeines Landes, der be*
sonders in den Anfangen der grofikapitalistischen Entwicklung formlich in
Kinder* und Frauenfleisch schwelgte, etwa weniger? Nein, er war dies in
ganz der gleichen Gestalt. Die Bauern sind unter der Wucht des Judenzinses
nicht hochgekommen. Gewifi. Und wieder lautet die Gegenfrage: Aber
wie hoch sind denn die Kossathen, die Kathner und Budner unter der vater*
lichen Fursorge der Junker gekommen? Ein Unterschied ist freilich vor*
handen : Die christlichen Fabrikanten
der grofikapitalistischen Fruhzeit und
auch die Mehrzahl der Junker sind
als individuelle Erscheinungen nicht
soanstofiigwiedereinzelnewuchern*
de Jude. Nur ist damit nichts gegen
das Judentum erwiesen, sondern nur
sehr viel gegen seine tausendfachen
Unterdriicker. Oder glaubt man vieb
leicht, dafi aus dem Sumpi, in den
man den Juden allerorten nieders
zwang, Lichtgestalten hatten hervor*
gehen konnen? Glaubt man, es hatte
moglich sein konnen, dafi aus einer
solchen erniedrigenden, Jahrhunder*
te wahrenden historischen Situation
Musterbeispiele an Uneigenniitzig*
keit hervorgegangen waren? Nein,
das war schlechterdings unmoglich.
Alle Dinge haben ihre unvermeid*
»„„„... A A . , lichen Konsequenzen. Man mufi im
99. Der Borsianer. An Achtel ^
w^er Karikatur von Zampu Um 1830 Leben immer das eine mit dem andern
86
100. Deutsche Karikatur- Urn 1S35
bezahlen. Davon gibt's keine Errettung. Die Geschichte kennt nie ein
Drumherumdrucken um das peinliche Resultat. So auch in diesem Fall
nicht. Die Juden sind, wie ich schon oben sagte, in ihrer grofien Mehrzahl
jahrhundertelang die Parias der menschlichen Gesellschaft'gewesen, also
schleppen sie auch die Laster des Paria mit sich herum. Das ist ganz un«
vermeidlich. Der allseitige Hafi und die stete Verfolgung haben nicht nur
ihre Tatkraft gefordert, sondern sie auch zu vielen Teilen demoralisiert.
Alles das mufi man zugeben. Aber man mufi ebenso kategorisch er«
klaren: die Christen sind das in anderer Weise nicht weniger. Und deshalb
sind die Juden im ethischen Sinne nicht schlechter als die Christen. Sie sind
nur auch in diesem Falle anders als wir. Weil dieses andere aber, dieses
orientalischsnomadenhafte, in seinem Zusammenprall mit unserer nordischen,
87
aus der Sefihaftigkeit erwachsenen Psyche zu Hunderten von Konflikten
fuhrte und immer von neuem fiihrt, darum erscheint uns das judische Tun
als unmoralisch. Der psychische und okonomische Gegensatz wandelt sich
zum moralischen Gegensatz. Dafi wir, das Herrenvolk, uns von vornherein
als die Moralischen dabei einschatzen, ist selbstverstandlich. Die herrschende
Klasse, und das sind die Christen im Vergleich zu den Juden, glaubt immer
die grofiere Moral auf ihrer Seite.
Die Fragen der Moral entscheiden in letzter Instanz immer die wirts
schaftlichen Interessen; an diesen scheitern auch alle angeblichen gemein*
samen Rasseninteressen. Das gilt auch innerhalb der Juden. Man stellt
judischerseits den gegen die Juden erhobenen moralischen Anklagen stets
den Einwand von dem besonderen judischen Solidaritatsgefuhl gegenuber,
dafi niemals ein Jude den andern vollig im Stich lasse. Gemeinsame Not
fuhrt gewifi die gemeinsam Leidenden zusammen, und unter diesen entsteht
dann eine mitunter erhebende Solidaritat; das gilt auch von den Juden.
Aber die Juden leiden eben nicht immer gemeinsam Not. Und die nicht
leidenden Juden vergessen stets und sehr rasch ihr Rasseninteresse, wenn
ihr Geldbeutel bei diesem Gedachtnisschwund heftig anschwillt. Wer hat
so oft den die Juden ihrer Lander und Landchen unterdruckenden Fursten
das Thronchen mit seinen Goldstangen versteift? Die judischen Geld*
konige. Wer hat den in Judenblut watenden russischen Zarismus 1905 vor
dem Untergang errettet und ihm ermoglicht, weiterhin im Judenblut zu
waten? Das judische Finanzkapital Frankreichs. Niemals ist es dem inters
nationalen judischen Finanzkapital eingefallen, unter Risiko seiner Profite
seine ungeheure Macht in die Wagschale zu werfen und durch ein kate*
gorisches „Entweder— Oder" die trostlose Lage der judischen Bevolkerung in
irgendeinem Lande radikal zu andern. Klassenunterschiede trennen, Klassens
interessen binden, beides uber Meere hinweg. Das gilt fur Christen und fur
Juden. Man schweige also von der sogenannten besonderen Rassensolidaritat
der Juden. Diese geht jedenfalls stets dann in die Bruche, wenn die Profits
rate dadurch ernstlich gefahrdet wurde. Denn es ist nicht Ausflufi der
Rassensolidaritat, wenn der reiche Jude haufiger und in grofierem Malie
als der Christ gegenuber seinen Stammesgenossen Mildtatigkeit ubt. Das
ist im Gegenteil Ausflufi der Klassensolidaritat; denn bis zu einem gewissen
Grade reprasentiert eben, wie ich oben sagte, jeder Jude, auch der reiche,
88
Gotts Wunclcr, wolcher Cihin* unU Schtfin;
i).is mtil! tip's rorts von Vcisjildinj; scyu!
Schwarmerischer Blick in die Sonne
Anonvror deutsdic KariLitur. 1S20
Ceihfitf 211 Lduard Fuchs. .Die Judcn in iter Ksmkatur*
Albert Laniati, Miinchen
gegenuber dem Christen die unters
druckte Klasse. Das Gefuhl des
gemeinsam Unterdruckten manis
festiert sich hierin.
Die eine Weltwirtschaft auk
bauende Rolle der Juden konnte
in ihrem fruheren Verlauf weder
von der Masse, noch von dem Ein«
zelnen wirklich erkannt werden,
aber die taglichen Rippenstofie auf
den Magen, durch das Volk Israel
ausgeteilt, mufite der dickfelligste
Christ empfinden, und damit ist
die Permanenz des Judenhasses in
Europa seit mehr als einem halben
Jahrtausend vollauf erklart. Es ~ r
ist erklart, dafi man die Juden ver«
achtete, es ist erklart, dafi man die
Juden schikanierte, und es ist
schliefilich auch erklart, dafi man
den Juden nach dem Leben trachtete, dafi man sie plunderte, folterte und
mordete. Zu umfangreicheren Judenverfolgungen mufite es kommen,
d. h. zu solchen kam es stets in der Geschichte, wenn im Verlaufe der ka*
pitalistischen Entwicklung besonders schwere Kreditkrisen iiber eine ganze
Bevolkerung hereinbrachen. In Zeiten, wo die Einnahmen noch bescheiden
waren, weil man noch wenig verkaufte, und die Einnahmen deshalb mit
den durch erhohte Steuern und Zinsen gesteigerten Ausgaben nicht Schritt
zu halten vermochten, in solchen Z e i ten > wo a ls° a U e Welt dauernd Bar*
geld brauchte, da kam es vor, dafi nicht nur ganze Ortschaften, sondern
ganze Landschaften den Juden verschuldet waren. Wenn dann die Note
berghoch stiegen und die Einzelerscheinung des wirtschaftlichen Zu*
sammenbruches zur Massenerscheinung wurde, dann rebellierten die dem
101. Ein alter Jude
Fran:dsische Karik.itur
Fuchs, Die Juden in der Karikjtur
12
89
JV*l&.
Untergang geweihten Schichten. Rebellieren konnten sie natiirlich nicht
gegen die Sache, gegen das wirtschaftliche Gesetz, dem sie unterlagen, denn
von diesem ahnten sie ja nichts. Rebellieren konnten sie nur gegen die
Juden, die ihnen bei ihrem beschrankten Horizont als die einzigen Urheber
ihres Elends erschienen, und so schlugen sie die Juden tot und plunderten
deren Truhen. Auf diese Weise glaubte man die Sache obendrein am griinds
lichsten erledigt. Denn dabei konnte man ja auch die den Juden ausge*
stellten Schuldbrief e vernichten — was sehr oft der gar nicht verheimlichte
Hauptsinn und Zweck der blutigen Judenverfolgungen war. Diese Aus*
sichten erschienen so verlockend, daft man mitunter auch ganz willkurliche
Anschuldigungen gegen die
jiidische Bevolkerung einer
Stadt oder eines Landes er*
hob, nur um einen Scheins
gr und f iir ihre Auspliinder ung
zu haben. Alle die bekann-
ten Anschuldigungen wegen
Hostienschandung, wegen jus
dischen Kirchenfrevels und
ohne Ausnahme die jahr;
hundertelang so uppig wu<
chernden Ritualmordmarchen
sind in letzter Instanz hierauf
zuruckzufiihren. Das Auf*
tauchen von Nachrichten iiber
einen irgendwo stattgefuns
denen Ritualmord ist gerade*
zu einer der sichersten Be*
weise dafur, dafi wieder eins
mal irgendwo eine Unter*
schicht besonders derb in den
Malstrom der geldwirtschaft«
lichen Entwicklung gerissen
worden ist.
102. Dorbcck. Btriirer K«ikaiur. Vm i8» Die stadtischen und staats
90
lichen Behorden driickten
selbst zu den grausamsten
Judenverfolgungen stets
beide Augen zu. Ja, noch
mehr: nicht selten sind es
gerade ihre Organe gewe*
sen, von denen zuerst der
schreckhafte Ruf ins Land
gegangen war: „Der Jud
istschuld." DieseMethode
hat ihre guten Griinde:
der im Judenhafi sich
schrankenlos austobende
Volkszom vergifit auf diese
Weise am leichtesten die
Hauptschuldigen, namlich
die Regierung, die Steuer
auf Steuer haufte usw. Fur
diese Tatsache gibt es zahls
reiche historische Beweise;
angefangen von den in verschiedenen Ratsprotokollen der mittelalters
lichen Stadtobrigkeiten vermerkten Empfehlungen zum ..Judenschlagen"
bis herauf zu den direkten ProgromsAnweisungen des letzten zaristischen
Polizeiministers.
Wenn ich oben sagte: mit den schweren wirtschaftlichen Noten, die
im Verlauf der geldwirtschaftlichen Entwicklung unerbittlich immer von
neuem iiber die Massen hereinbrachen, sind die im Verlauf der Geschichte
ebenfalls standig wiederkehrenden und niemals ganz abbrechenden Judens
verfolgungen erklart, so habe ich damit selbstverstandlich nicht gesagt: diese
Greuel sind dadurch auch entschuldigt. Die Schmach der Judenverfolgungen
kann nur entschuldigen, wer sie dauernd erhalten wissen will.
— Harr Kerpcrol, Harr Afttzier. Harr Generol! Habbe Se de
Gnod, h-bbe Se dc grauHc Gnod und lasse Se mich nit
schielien. Ich halt es nit aus. ich kinns nit venrogen. ich
kann nit riechen da Pulver, ich fall in da Ohnmacht!
103. J. Voltz. Jakobs Kriegstaten. Vm isw
91
Zweiter Teil
VI
Das Wesen der Karikatur
Ich habe oben (S. 4) die zeitgenossischen Karikaturen als wichtige
und aufhellende Wahrheitsquellen der Vergangenheit bezeichnet. Sie sind
dies kraft des Wesens der Karikatur und infolge der verschiedenartigen
Tendenzen, die sich wirkungsvoll und augenfallig in der Karikatur zu mani*
festieren vermogen.
Die landlaufige Anschauung iiber das Wesen der Karikatur geht dahin,
dafi man in einer Karikatur eine Verspottung der dargestellten Sache oder
Person zwecks deren Verhohnung vor sich habe. Infolgedessen unter«
scheiden die meisten Menschen die einzelnen Karikaturen gemeinhin nur
nach dem Grade der Heftigkeit und dem groCeren oder geringeren Grade
von Witz, der in einer Karikatur sich offenbart. Diese landlaufige Vor*
stellung von dem Wesen und Zweck der Karikatur ist nicht zutreffend,
zum mindesten ist sie durchaus ungenugend, weil sie nur eine Tendenz,
freilich die am haufigsten vorhandene Tendenz des Karikaturisten hervor*
hebt. Man kann jedoch mit Hilfe des Karikierens auch das gerade entgegen*
gesetzte Ziel anstreben und erreichen. Und dies geschieht ebenfalls sehr
haufig. Diese verschiedenen Tendenzmoglichkeiten der Karikatur werden
einem klar, wenn man die Mittel und Methoden des Karikierens untersucht
und das feststellt, wodurch eine beliebige Darstellung erst zur Karikatur
wird.
Zuerst mussen wir feststellen, worin die oberste Absicht eines jeden
Karikaturisten besteht. Diese oberste Absicht des Karikaturisten geht da*
hin, das Wesentliche einer Erscheinung oder einer Sache sichtbar zu
machen. Solches ist gewifi nicht blofi die Absicht des Karikaturisten,
sondern die Aufgabe eines jeden Kunstlers. Der Landschafter will das
Wesentliche eines Baumes oder einer Gegend geben, ihren spezifischen
Charakter, ihr inneres Geheimnis, das zugleich die eigentliche Ursache ihrer
bestrickenden Wirkung auf unsere Seele ist. Der Portratist will nichts
anderes als das Wesentliche einer bestimmten Person zur Anschauung
92
T"^'®
""9C~**ry<'g^
bringen ; er will ihren Charakter,
ihre geistige und seelische Phy*
siognomie gestalten, die das Ge*
setz der aufieren physischen
Form ist. Das gleiche will der
Historienmaler, und ganz dem*
selben Ziel strebt auch jeder Pla«
stiker zu. Je vollkommener
diese Aufgabe dem betreffens
den Kunstler gelingt, um so
vollendeter ist seine Leistung.
Alle kunstlerischeGestaltung er«
reicht dieses Ziel auf die gleiche
Weise. In erster Linie durch die
Vereinfachung, durch den Ver*
zicht, durch das Weglassen von
allem Nebensachlichen; schon
dadurch entsteht von selbst eine
Pointierung des Wesentlichen.
Zudiesem Negativengeselltsich
aber auch ein Positives: die Be*
tonung all der Merkmale, die
eben das Besondere der betrefs
fenden Erscheinung ausmachen, die ihres Wesens Kern an die Oberflache
bringen. Dieses Besondere wird also gewissermaCen unterstrichen. So ar*
beitete ein Rembrandt, so arbeitete ein Holbein, aber so arbeiteten auch
ein. Hogarth, ein Rowlandson, ein Daumier und nicht anders ein Wilhelm
Busch. Sie alle gestalteten auf diese Weise das innere Geheimnis ihrer Ob*
jekte. Und weil sie dies mit so intensiver Kraft taten, dafi man in den Ge*
sichtern der von ihnen dargestellten Personen gewissermaCen wie in einem
aufgeschlagenen Buch lesen kann, um diesen alten aber sehr zutreffenden
Vergleich zu benutzen, daft man obendrein eine ganze Lebensgeschichte
daraus ablesen kann, einschlieClich der Geschichte der Vorfahren der Dar*
gestellten: alle Wege des Lebens, alle Niederlagert oder alle Triumphe, die
hier zu einem Ausdruck muder Resignation, bei einem andern zu dem eines
£ 'J9£%i&/5 zen l r nferri<r7it- imn »■ _Ertm/;>ny
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-EzW iwen&s/irfrrfrrj
Xoth-imd-HiilfeTmciatinfiir Jedermann
iitrhcmnjtem /Sr denJUay/r undZamhrnmn.,
Jm zwaltyt7/&i r .
I. F, ST ETON, v
105. Titelblatt einer iiberaus heftigen antisemitischen Flugschrift. 1833
94
harten Trotzes gefuhrt haben, — weil die
betreffenden kunstlerischen Gestalter ge*
rade das an die Oberflache gebracht haben,
und zwar in dem Grade, dafi man das ganze
vollendete Schicksal des Dargestellten im*
mer von neuem erschiittert miterlebt, da*
rum sind ihre kunstlerischen Gebilde
Meisterwerke. In diesem weitgespannten
Rahmen angeschaut, stehen ein Rem*
brandt, ein Holbein, ein Daumier und auch
ein Wilhelm Busch alle auf derselben Linie.
Ein Daumier strebt zu demselben und er«
reicht dasselbe wie ein Rembrandt: die
restlose Aufdeckung des individuellen
menschlichen Lebensgeheimnisses. Selbst*
verstandlich ist trotz diesem gleichen Re*
sultat ein wesentlicher Unterschied auch in
dieser Richtung zwischen beiden vorhan*
den. Er besteht in dem, wodurch eben eine
Darstellung zur Karikatur wird.
Zur Karikatur wandelt sich die Darstellung einer Person oder einer
Situation, wenn der kunstlerische Gestaltungsprozefi sowohl im Negativen,
wie im Positiven, also im Weglassen des Nebensachlichen und im Pointieren
oder Unterstreichen des Wesentlichen und darum Charakteristischen, vom
Kunstler so weit getrieben wird, daft diese kunstlerische Absicht, das Her«
vorheben gewisser Dinge, dem Beschauer formlich in die Augen springt.
Der Beschauer mufi den Eindruck bekommen, das einzig dies der Zweck
der betreffenden Darstellung ist. Das aufiere Gleichgewicht einer Dar«
stellung mufi also bis zu einem gewissen Grade zerstort sein zugunsten
des Zieles, eine ganz bestimmte Wesensseite des behandelten Objektes
ostentativ in den Vordergrund zu rucken. Auf diese Weise, durch die
vom Karikaturisten bewufit angestrebte Gleichgewichtsstorung, entsteht
auch die fur den starken Eindruck einer Karikatur so wichtige komische
Wirkung. Diese ist das Resultat einerseits des Widerspruches zwischen
geistiger Wahrheit und objektiver Unrichtigkeit, und andererseits des grellen
Kirn/Btw&TT'raJi'-tul&'merdas Cfcwchr hicbc/is
106. Die Juden als Soldaten. 1833
95
107. Hausierer
G. Cruikshanc. EnsL Karikatur 1832
Offenbarwerdens der gestalteten Idee. Diese
Gleichgewichtsstorung kann, wie Hunderte
von karikaturistischen Meisterwerken erweis
sen, naturlich auf die kiinstlerischeste Weise
geschehen, so dafi z. B., kunstlerisch gewertet,
die Zeichnung eines Daumier unbedingt ne«
ben der eines Michelangelo oder sonst eines
ganz Grofien der Kunst rangiert.
Da die gewbllte Gleichgewichtsstorung
technisch das Wesentliche fur die Karikatur
darstellt, ist dies das Prinzipielle, wodurch sie
sich von der Nichtkarikatur unterscheidet. Bei einem Michelangelo oder
Rembrandt ist durch die Methode der Vereinfachung das aufiere Gleich*
gewicht nie gestort. Im Gegenteil: bei ihnen ist gerade die hochste und
tiefste Harmonie des Ganzen erreicht. Diese grofie Harmonie ist hier sogar
das kunstlerisch gesteckte Ziel. Freilich wird auch dieses Ziel immer nur
auf Kosten der sogenannten absoluten Richtigkeit oder Wahrheit erreicht.
Denn das, was der betreffendeKunstlergibt, sind auch nur zusammengefafite
Abstraktionen, Versinnbildlichungen einer Idee, und er tut dies in um so
starkerem und intensiverem Grade, je gestaltungskraftiger er ist.
Der Karikaturist treibt die Unterstreichungen der von ihm hervorge*
hobenen Charaktereigenschaften auf die verschiedenste Art und Weise stets
so weit, dafi seine Absicht in den meisten Fallen sozusagen plakatmafiig
wirkt: Ich will durch dein Portrat der Welt zeigen, welche Menagerie von
Gefuhlen hinter deinem zugeknopften Rock sich austobt. Das steht unsicht*
bar unter jeder guten Karikatur geschrieben. Unterstutzt wird diese Absicht
vielfach noch durch die Verwendung allerlei symbolischer Mittel. In diesem
Verfahren gibt es naturlich unendlich viel Nuancen, und so gibt es auch
ebenso viele Formen des Karikierens. Es ist ein langer und abwechslungs*
reicher Weg, der vom fein pointierenden Gesellschaftsschilderer im Stil eines
Gavarni bis in die unbegrenzten Weiten der grotesken Karikatur fuhrt, in
denen ein Gillray, ein Rowlandson, ein Wilhelm Busch, ein Rudolf Wilke
und zahlreiche andere geniale Karikaturisten sich bewegen.
Das innere Geheimnis der Dinge und Menschen zu gestalten, es an
das Tageslicht zu bringen, ist, wie gesagt, das Ziel jeder Kunst, der ernsten
96
< - Vnser Vcrkelir. . . O /d
Uiiisei'ie Lewfe, wle sie si audi .
Jiidische Typen
Niirnberger antisemitischer Bilderbogen. Um 1825
Beilage *» Edward Fucbs, »Die Juden in der Kjriktlur"
Aihprt I sincrim Mrt«<»li*m
wie der grotesken. Die aufiere, die kunstlerisch technische Moglichkeit ist
darin gegeben, dafi sich der Geist die Form schafft, dafi er nicht nur die Ziige
des Gesichtes bildet, nicht nur dem Blick seinen spezifischen Charakter
verleiht, sondern dafi von ihm jede Geste, jede Bewegungdirigiertist, kurz*
um, daft die gesamte aufiere Erscheinung den seelischen Kern offenbart,
wie die Haut jeden Muskel erkennen lafit, der unter ihr liegt. Weil aufiere
Form nur die sichtbare Linie des Geistigen ist, darum kann der Kunstler
jede Eigenschaft seines Objektes sichtbar machen, nicht nur, dafi der von
ihm Dargestellte eine grofie Nase hat, sondern auch, dafi er ein Geizhals
ist. Aber auch nicht nur, dafi der eine ein Geizhals, sondern auch, dafi
der andere eine Personlichkeit mit grofien Eigenschaften und aufierordents
lichen Tugenden ist.
Es darf naturlich nicht ubersehen werden, dafi diese Methode des Kari«
kierens starkes kunstlerisches Konnen und voile Klarheit daruber voraus*
setzt, wie sich das Psychische im Physi*
schen spiegelt. Das sind Eigenschaften,
die erst bei einer bestimmten zeitlichen
oder individuellen Reif e erlangt werden.
Primitive Zeiten und mittelmafiige Kunsts
ler, denen das Geheimnis, wie man durch
die Pointierung einzelner menschlicher
Ziige den ganzen inneren Menschen an
die Oberflache zerrt, noch nicht aufge*
gangen ist, oder deren kunstlerische Ge«
staltungskraft hierzu nicht ausreicht, be*
nutzen darum die wesentlich einfachere
und leichtere Methode des Symbolic
sierens. Sie versehen die von ihnen kari*
kierten Personen oder Situationen mit
konkreten Attributen, die Charakter und
Sinn der dargestellten Sache handgreif*
lich versinnbildlichen; sie geben dem
Reichen einen grofien Geldsack in die
Hand, denGeizigensetzen sie darauf.usw.
Diese kunstlerisch primitivere Methode
108. Meyerbeer
FranzosUchc Kaiikatur von Dantao. 133
Fuchs, Die Juden in der Karikatuc
13
97
jfrbulfelaf
fiir die
liauchtebliclie Jiideiischaft
ZTZret FEJTJEL 8TEM&.
Ill
des Karikierens ist ubrigens
fur den ungeschulten Verstand
der Massen immer die ein«
drucksvollste gewesen, und
sie ist dies auch heute noch;
denn die Mehrzahl der Men*
schen denkt sozusagen gegen*
standlich. Daher kommt es
auch, dafi sich selbst tuchtige
Kunstler dieses Mittels der
Symbolik standig bedienen,
und daft auch in dieser Metho*
de des Karikierens allmahlich
eine Unmenge glanzender und
unverganglicher Karikaturen
entstanden ist. In der mos
dernen Karikatur werden zu<
meist beide Methoden mit«
einander kombiniert.
Aus dem Umstand, dafi
man im Physischen durch
Ubertreibung unbedingt alles
ohne Ausnahme, also jede
geistige oder seelische Eigen*
schaft, ins Licht setzen kann,
und dafi man noch viel leichter alles durch irgendwelche sachliche Attn*
bute symbolisieren kann, folgt die fur die Klassifi zierung einer Karikatur
wichtigste Tatsache. Namlich die, dafi der Prozefi des Karikierens an sich
tendenzlos ist. Eine Karikatur muli also nicht unter alien Umstanden vers
achtlichmachend wirken; sie kann dies, aber sie braucht dies nicht. Denn
wie der karikierende Kunstler diejenigen Ziige unterstreichen und uber*
treiben kann, die den Typ des Geizhalses schaffen, so kann er auch jene
Linien auffallig markieren, oder jene Eigenschaften symbolisch verkorpern,
die den Edelmut, den stolzen Trotz oder irgendeine andere Tugend dem
Beschauer augenfallig zur Anschauung und zum BewuCtsein bringen. Tut
iM*uHje/t> verjcJw/ter'tc ^JuflaqB' .
Meissen 1833
109. Titclblatt ■
- humoristischssatirischen Gedicht« und Witzsammlung
in jiidischer Mundart. 1855
98
xmftttD ^ijt psypvpB, lyttT'm
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(5i|o»fleii nnit nuufjfim ntlafat
ITZIG PEITEL STERN.
r
er aber das letztere, so wirkt
die betreffende Karikatur gar
nicht verachtlichmachend, son*
dern sie erreicht das Gegenteil.
Solche Karikaturen mussen na«
turlich aus der Liebe, sei es
einer heimlichen oder einer
offenen, zu dem behandelten
Objekt geboren sein.
Die Karikatur kann also
mit ihren Mitteln ihre Objekte
(Personen und Zustande) er*
niedrigen, sie kann sie aber
auch erhohen und glorifizieren.
Und beides tut die Karikatur,
seit es eine solche gibt, durch
alle Zeiten hindurch, tagtaglich.
Das erstere tut sie freilich viel
haufiger als das letztere, und
zwar schon deshalb, weil der
Karikaturist in erster Linie Kris
tiker der Zeit und der Dinge
ist, die er aktiv oder passiv er*
lebt. Der Kritiker strebt nature
gemafi, weil dies im Wesen der
Kritik liegt, viel haufiger da*
nach, die von irgendeiner Ten*
denz ubertriebenen Werte auf
ihre wahre Grofie zuruckzufuhren, als dafi er selbst solche kunstlich schafft.
Aus diesem Grunde ist die Rolle der verkleinernden Kritik dem Karikatu*
risten selbst dann viel naturgemafier, wenn er selbst das von ihm karikierte
Grofie anerkennt, als das Bestreben, die Bewunderung und Anbetung einer
Person oder Sache durch seine Mittel ebenfalls zu unterstutzen und zu
fordern. Aber — und das ist das Entscheidende — wenn er es will, dann
kann er es, und er hat es hunderte von Malen in der Geschichte gewollt.
Mit gam, tvre' l&f>Jt7itidduh*r- mui't.Moeik. ausoetape:
scat, aatfi, tv£> av AhnJunJurlick, versitgai.
Leipzig & Meissen.
110. Titelblatr einer humoristisch>saririschen Sammlung von Gedichten
und Er=jhlungen in iudischer Mundart- Um 1835
13'
99
D. h. die Karikatur hat in unendlich vielen Fallen ihre „Opfer" erhoht;
zahlreiche historische Personlichkeiten sind gerade durch die Mittel der Ka*
rikatur der weitesten Allgemeinheit bewundernswert geworden.
Mit denselben Mitteln und auf demselben Wege vermag die Karikatur
den schutzlos Verfolgten zu verteidigen und den Gesturzten zu trosten.
Und auch diese Aufgabe hat die Karikatur standig und mit den groCten
Erfolgen erfullt. Weil aber die Karikatur dies alles vermag, erniedrigen und
erhohen, trosten und verteidigen, deshalb eignet ihr auch eine so grofie Be*
deutung innerhalb der Kampfe von Volkern und Klassen.
VII
Die Rolle der Judenkarikatur
Die Frage, die wir jetzt zu stellen und zu beantworten haben, lautet:
In welcher Rolle gefiel sich die Karikatur gegenuber den Juden? War sie
ihnen gegenuber in jeder der im vorigen Kapitel geschilderten Form en tatig,
oder nur in einer?
Die Antwort auf diese Frage ist schon mit den fruheren Ausfuhrungen
iiber „die Welt von HaC" gegeben,
mit der beladen die Juden durch die
ganze Geschichte schreiten. Sie kann
bei einer solchen historischen Situ*
ation nur lauten: Die Karikatur tritt
gegenuber den Juden fast immer nur
als Anklager auf. Jede Karikatur auf
die Juden ist tatsachlich letzten En*
des stets eine Anklage gegen die
Juden. Dieser Grundton des An*
klagerischen ist derart dominierend,
dafi die lachende Form, in die die
Karikatur die Dinge und Personen
kleidet, hier viel seltener und we*
niger als sonstwo versohnend wirkt.
ilsl
— afi se gestudirt hat de scheene Rachel de
Blumensprache. muft de Empfindung Liebe sein.
Se kimmt!
111. M. Maifisch. Diissetdorfer Monatshcfte
100
Zwei Thaler kann ich geb'n, mchr nich . . . Mache Sc mich nicht arm
112. Wiener iCirikitur von Uniedelli. I'm 18JS
Diese Erscheinung, dafi die Judenkarikatur vorwiegend als Anklager auf*
tritt, ist nun freilich gar nicht verwunderlich. Sie ist nach jeder Richtung
natiirlich. Man mufi sich iiber eins klar sein: wenn einzelne geniale Ka?
rikaturisten auch zu alien Zeiten die Fahigkeit besaften, den Menschen und
Dingen sozusagen auf den Grund zu sehen, — die Einsicht selbst dieser ge=
nialen Seher, geschweige denn die der grofieren Zahl der Minderbegabten,
fand stets in der jeweiligen Zeiterkenntnis ihre Grenze. Und darum schaut
auch der genialste Karikaturist nur mit den Augen seiner Zeit. Oder mit an;
deren Worten : In der zeitgenossischen Karikatur kann sich immer nur der
jeweilige Grad der Einsicht in die Zusammenhange der Dinge spiegeln.
Die Einsicht in die ungeheure Bedeutung des Judentums fur den Gesamts
komplex unserer kapitalistischen Kultur ist, wie ich bereits bei Beginn des
Buches ausfiihrte, aber erst ein ganz modernes Resultat der wissenschaffe
lichen Forschung, und sie ist darum auch jetzt noch lange kein Allge?
101
meingut der Erkenntnis, sondern sie
ist im Gegenteil erst auf dem Wege,
dies vielleicht in absehbarer Zeit zu
werden.
Weil es aber so ist, darum ver*
mochte der Karikaturist der vergaiv
genen Jahrhunderte so wenig wie
seine jeweiligen Zeitgenossen den
weltaufbauenden Charakter des Ju*
denvolkes als ..Griinder" einer neuen
epochalen Wirtschaftskultur zu ah s
nen, geschweige denn zu sehen. Es
kommt immer darauf an, wie die
Personen und Dinge auf der Welt*
biihne in Erscheinung treten. Der
Jude trat vielleicht zu jeder Zeit in
einzelnen Exemplaren imponierend
auf; aber die Juden in ihrer Masse
wirkten fast immer unbedeutend,
und keineswegs wie ein Heer von
Weltbaumeistem. „Die Juden sind
wie ein Haufen Gewiirm", sagt ein Schriftsteller des 16. Jahrhunderts.
Dieser Vergleich ist naturlich verachtlich gemeint. Aber er ist zum min«
desten nach einer anderen als der gewollten Richtung ganz zutreffend.
In ihrer steten, alles unterwiihlenden Manier besteht ihre umwalzende ge*
schichtliche Rolle. Weil aber das Schopferische solchen Tuns tragischer*
weise im Unerkennbaren ruhte, so erging es den Juden in der allgemeinen
oftentlichen Beurteilung ungefahr so, wie dem Regenwurm im Vergleich zu
dem Lowen. Ober den Regenwurm hat man niemals ein verklarendes
Heldenepos geschrieben, wohl aber dutzendfach iiber den Lowen, obgleich
der Lowe an der menschlichen Kultur gerade keinerlei imponierende Vert
dienste hat, um so groftere aber der Regenwurm, der, wie man seit Darwin
weifi, der stete Regenerator der rruchttragenden Ackererde ist. Der Re*
genwurm hat aber keine Mahne und briillt nicht. Nun, der kleineSchacher*
jude briillt auch nicht, er mauschelt nur „und ohrt wie er macht sein Ge«
102
schaf t." Durch diese Umstande ist es
vollauf erklart, dafi in friiherer Zeit
keine die historische Rolle der Juden
verklarenden Karikaturen entstan;
den, keine, wodurch die Juden in
den Augen der Mitwelt mit beson;
derer menschlicher oder gar mit
historischerGrofie bekleidet worden
waren. Weil man das Umformende
in der wirtschaf tlichen Tatigkeit der
Juden f riiher absolut niemals als sol;
ches erkannte, so erklart es sich hier;
aus auch, daft von den vielen Funk;
tionen, die der Jude bei der Heraus;
bildung der modernen kapitalisti;
schen Wirtschaftsweise ausiibte, und
von welchen ich im II I. Kapitel die
wichtigsten dargestellt habe, sich
nur wenige in der Karikatur klar
wiederspiegem. Auf all dieses Ne;
gative deutlich aufmerksam zu ma;
chen, ist deshalb von besonderer
Wichtigkeit, weil sich auch darin die
einseitig das allgemeine Urteil beeinflussende Tatigkeit der Karikatur ge;
geniiber den Juden oftenbart.
Wenn die zeitgenossischen Karikaturisten keine Spur von bewunderns*
werter Grofie an ihren jiidischen Nebenmenschen wahrnehmen konnten,
so muftten auch sie, wie gesagt, um so deutlicher der en menschliche Klein;
heit sehen, d. h. das, was der Zeit nicht nur kleinlich, sondern, mehr noch
als das, verwerflich und verabscheuungswiirdig vorkam. Und das war eben
die Tatsache, daft der Jude immer als der haufigste individuelle Urheber
der zahlreichen schweren wirtschaftlichen Bedrangnisse sich darstellte, in
denen so viele untergingen. Also sah der Karikaturist immer nur Griinde
zu gehassigen, die Juden verhohnenden Spottbildern. Und diesen ewigen
Anreizen folgte er mehr oder minder willig, entsprechend der allgemeinen
lH> u. Il+. I|]ustneit«r I'mKhUs rinCf chemili vie) ^ft<«rirr.
SjmmlunR humonsti>ch*tttinwhcr Ct^lichle und yizjhlungrn in
lUihscher Muniiirt. IS33
103
Stimmung der Zeit. Weil der Karikaturist aus denselben Grunden in der
Pariastellung der Juden kein unverschuldetes, sondern im Gegenteil ein
reichlich verdientes Schicksal erblickte, darum war er auch nicht ihr Vers
teidiger, wenn sie verfolgt und gepeinigt wurden. Wieder aus den gleichen
Grunden war die Karikatur auch niemals ihr Troster im Ungluck.
Die Karikatur tritt also, wie ich oben sagte, gegenuber den Juden fast
immer in der Rolle des Anklagers auf. Darum offenbaren die meisten antis
judischen Karikaturen je nach den Umstanden einen mehr oder minder
grofien Haft und zugleich eine Verachtung, die alle Grade in sich birgt,
und nicht selten bis zur letzten Grenze geht. Gerade durch diese Mafilosigs
keit im HaC und in der Verachtung verraten die antijudischen Karika*
turen aber noch ein Drittes, was nicht ubersehen werden darf, und das ist:
sie verraten namlich zugleich eine ganz auCerordentliche Furcht vor den
Juden. Nur wenn man jemand sehr furchtet, klagt man ihn dermafien hef=
tig an, wie man die Juden anklagt, nur dann wird man nicht miide, immer
erneute Anklagen zu erheben oder die alten Anklagen immer wieder in er«
neuter Form vorzubringen. Andernfalls ignoriert man die betreffende Per*
son oder Sache sehr bald. Man muE sogar jemand schon wie das Feuer
furchten, wenn man ihm durch Jahrzehnte hindurch taglich sagt: „Ich vers
achte dich!" und wenn einem der Atem dabei doch nicht ausgeht. Gerade
durch ihre grofie Zahl sind die Judenkarikaturen deutliche Zeugnisse fur
eine zwar nur sehr selten offen zugestandene, aber darum doch heimlich
vorhandene Angst vor den Juden. Aus manchen Judenkarikaturen spricht
sogar in nicht miflzuverkennender Weise eine sich ohnmachtig fuhlende
Wut gegen den angeblichen Todfeind der christlichen Gesellschaft, den man
hafit, verachtet, furchtet, und dem man dabei doch nicht so an den Kragen
gehen kann, wie man in seinen heimlichen Wunschen gerne mochte.
Diese mit HaC und Verachtung gepaarte Furcht vor den Juden wird
aber nicht nur durch die grofie Zahl und die teilweise Heftigkeit der er*
schienen Judenkarikaturen offenbar, sondern auch durch den nicht abzus
leughenden grofien Stil, zu dem sich die antijudische Karikatur zu Zeiten
erhob. Diesem grofien Stil in der antijudischen Karikatur begegnen wir,
wie wir weiter unten sehen werden, gleich in ihren ersten Manifestationen,
und zwar in der groteskskuhnen Symbolisierung des judischen Wesens und
Treibens in dem Bilde von der sogenannten Judensau. Man begegnet
104
Israelchen lut emeu Ducalen-vftrscbhickt . W*A™> £ej*l&a£*jt.
,/ «AVn. SemJtn'tfcr-n. cue- 4*e ^41 rfrt^-ti&jl d*r &**<&•£ *$t<rt vbtfAK J0 m tnsfa- t**r*Atn fr-mUr^wnJ ***hm, d&s &>U*£hn<Am left* s*+
Deutsche Karikatur Urn 1820
titiUft «u Edujrd Fuchs, JJic Judtrii in acr Kankalur*
Alberl lanneii, Munclien
fiiebeScrfldrung cine* jnngea 3u&em
^erjbrei^enfc.
3d) miiS!Drepp5(nt * be > dm an ma?, mtt mid (a •pardjw ftftmnfen au iwiij, («§
115. Humoristischssatirischcs Liebeslied nebst Alelodie. I'm 1835
diesem groften Stil weiter im 19. Jahrhundert als die weltbeherrschende
Macht des judischen Kapitals, verkorpert in der Person des Frankfurter
Bankiers Amsel Rothschild, aller Welt in ihrer ungeheuren Rolle zum
staunenden BewuCtsein kam. Da symbolisierte die internationale Karikatur
diese Macht in einer Reihe von Karikaturen, die durch ihren grofien Stil in
der Geschichte der Karikatur immer auffallen werden. Ich verweise hier
nur auf die beiden Beilagen „Wie Rothschild durch die Welt kutschiert",
und „die Generalpumpe" (neben den S. 112 und 120).
Weil die Karikatur niemals etwas anderes als der Angreifer gegenuber
den Juden war und ist, darum hat man in den anti judischen Karikaturen
einer Zeit schlieClich nichts anderes vor sich, als eine der Formen der jewei=
ligen allgemeinen Judenverfolgungen; es sind die Bild gewordenen Klassen*
kampfe, die sich im Hafi gegen die Juden auswirken. Weil man auCerdem
den Judenkarikaturen allmahlich in ganz Europa begegnet, so mufi man
sagen: Sie sind das Widerspiel eines ungeheuren, iiber die ganze europaische
Welt verbreiteten Klassenkampfes. Freilich eines Klassenkampfes, den man
immer erst seines ideologischen Gewandes, in dem er in Erscheinung tritt,
entkleiden mufi, um ihn in seiner wahren Gestalt zu erkennen; denn wo
er auch aktiv wird, immer tritt er in dem den Blick verwirrenden Gewande
Fuchb. Die Juden in der Karikatur
14
105
des Rassenkampfes auf. Alle anti*
jiidischen Karikaturen sind geformt
vom Rassenkampfstandpunkt; denn
sie charakterisieren den Juden in er*
ster Linie als den Menschen einer an«
deren Rasse. Das was ihn im Physis
schen als andere Rasse erscheinen
lafit, wird am starksten unterstrichen.
Am Intensivsten wurde diese Metho*
de freilich erst im 19. Jahrhundert an*
gewendet, weil erst von da ab das
Rassenproblem eine grofiere Rolle in
der offentlichen Diskussion spielt. —
Die Judenkarikaturen gingen den
allgemeinen physischen Gewaltakten
gegen die Juden teils voran, indem
sie dabei das iibliche Zeitziel unters
stiitzten, die Juden dem allgemeinen
..Volkszorn" auszuliefern, und das
durch eine stets erwunschte Progrom*
stimmung schufen; teils bildeten sie die satirische Begleitmusik, wenn es
wirklich zu physischen Gewaltakten kam. Sie reprasentierten in solchen
Fallen sozusagen das aufstachelnde und immer mehr vorwartstreibende
Triumphgeheul. In den Zwischenpausen zwischen den einzelnen Juden*
schlachten, in welchen man also nur den guten Willen hatte, aber nicht die
notige Kraft dazu besaft. den jiidischen Mitbiirgern radikal an Kopf und
Portemonnaie zu gehen, bildeten die Karikaturen gewissermafkn die Form,
in der man den anders nicht realisierbaren Haft gegen die Juden abreagierte;
in diesen letzteren Manifestationen herrscht natiirlich der relativ ungefahrs
liche Spott vor. Da diese Zwischenpausen seit der Mitte des 16. Jahr«
hunderts immer langer wurden, so uberwiegt die Zahl solcher Karikaturen
naturgemaft in der Gesamtzahl, die im Lauf der ungefahr fiinf Jahrhunderte
erschienen sind, seitdem es eine antijiidische Karikatur in der Geschichte
gibt. Neben den eben genannten Anreizen und Auslosungen fanden die
Massen in den antijudischen Karikaturen einerZeitschlieftlichdannnoch die
106
erwiinschte, weil fur den Einzelnen wie fur
die Gesamtheit unentbehrliche sittliche
Rechtfertigung fur ihr auch in den fried*
lichen Zeiten sehr haufiges feindliches
Vorgehengegen diejuden. In derBilder*
sprache der Judenkarikaturen, die selbst
der einfachste Mann verstand, und die
durch das Mittel des zum Lachen reizens
den Spottes fast alien ohne Ausnahme be«
sonders sympathisch war, sah die Offent*
lichkeit den uberzeugendsten Beweis fur
die besondere Schlechtigkeit der Juden.
Diese verschiedenen Tendenzen er«
geben zusammen, die, wie man sieht,
gar nicht komplizierte Rolle der anti«
judischen Karikatur in der Geschichte.
Diese Rolle ist besonders augenfallig in
den vergangenen Jahrhunderten; denn
Karikaturen, die auch fur die Juden
Partei ergreifen, ohne dafi diese von
Juden selbst ausgehen, gibt es tatsachlich erst, seitdem in Deutschland
eine sozialdemokratische Witzblattpresse existiert. Obrigens begegnetman
auch den aus der Liebe geborenen Judenkarikaturen, die von der Hand von
Juden herruhren, erst in den beiden letzten Jahrzehnten. Ich meine damit
Karikaturen von der Hand von Volljuden, die also nicht nur Juden infolge
ihrer Abstammung sind, sondern die mit alien Fasern ihres Seins Juden ge«
blieben sind und ihr Volk mit Liebe umfassen. Um solche Karikaturen zu
zeitigen, mufite naturlich eine gewisse Entwicklung zur allgemeinen Selbst*
befreiung innerhalb des Judentums vorangegangen sein; denn zur Selbst*
geiCelung der eigenen Volksgenossen vor der gesamten Offentlichkeit ge«
horte fur den Juden ein uberaus grofier Mut. Noch vor einem Menschen*
alter ware eine solche Tat einem Juden niemals von seinen Stammesge*
nossen verziehen worden, man hatte ihn als einen verachtlichen Autosadisten
allgemein verachtet und verfemt. Ich werde auf diese Erzeugnisse in dem
Kapitel iiber die judische Selbstironie zu sprechen kommen.
116 u. 117. Umschlag und Titelbild der satirischen Posse
,,Unscr Verkehr". Gez. von Th. Hosemann-
(Erste Auflage erschien 1819)
14*
107
Wenn man die Karikatur der fruheren Jahrhunderte,
also des 15. bis 18. Jahrhunderts, ganz verstehen will, mufi
man sich immer erst den Standpunkt vergegenwartigen,
den jene Zeiten gegenuber den Juden einnahmen. So
kompliziert uns heute Lebenden das judische Problem er«
scheint, so einfach erschien es den fruheren Zeiten. Die
Juden sind eben, so sagte man sich, ein in Europa fremdes
us Zwei Typen aus Volk, das wegen seiner besonderen Sunden und, wie es
der Frankfurter] uden* so ft heiCt, wegen seinem Mangel an staatenbildender
Kraft aus seiner Heimat Palastina vertrieben ist. Dieses
aus seiner Heimat vertriebene Volk fuhrt nun kurzerhand sein die samt«
lichen N ebenmenschen schadigendes Treiben im Abendland fort und ruinier t
dies formlich. Was gibt es dieser Tatsache gegenuber Einf acheres, als dieses
Volk zum Teufel zu jagen? Wenn fortgejagt, scheint das ganze Judens
problem fur die europaische Christenheit gelost. In dieser wirklich sehr
einfachen Form erschien das Judenproblem in der Vergangenheit aller Welt;
heute erscheint es dermaCen einfach nur den rabiat gewordenen SpieB*
burgern.
Weil der anklagerische Charakter unter den Judenkarikaturen der
Vergangenheit der vorherrschende ist, d. h. weil fast nur diese Tendenz sie
provoziert hat, darum sind die Judenkarikaturen auch die stete Begleiters
scheinung der im dritten Kapitel geschilderten geldwirtschaftlichen Um<
walzungen. Weil die Juden, wie ich dort nachgewiesen habe, an jeder dieser
Umwalzungen stark und vor allem augenfallig beteiligt waren, darum be*
gegnet man den antijudischen Karikaturen auch besonders oft in den Zeiten
wirtschaftlicher Krisen, und zwar vornehmlich, wenn es sich um direkte
Geldkrisen gehandelt hat. Sie kommen mit diesen, und — was als hochst
wichtig hervorzuheben ist! — sie verschwinden auch langsam wieder
mit diesen. Die antijudischen Karikaturen sind die Sturmzeichen des
wirtschaftlichen Wandlungsprozesses, der sich im Schofie der Gesellschaft
vollzieht. Aus dieser Tatsache leitet sich der folgende, sehr wichtige ge*
schichtsaufhellende Charakter der antijudischen Karikaturen her. Wenn
man namlich in einer Epoche und in einem Land haufiger Karikaturen
auf die Juden findet, so darf man aus diesem Umstand ohne weiteres
folgern, dafi in diesem Land und zu jener Zeit tiefgehende wirtschaftliche
108
Umwalzungen sich vollzogen haben oder sich noch vollziehen. Und zwar
Umwalzungen, bei denen breite Massen der Bevolkerung in einer ihre
Existenz gefahrdende Mitleidenschaft gezogen waren oder sind. Die gleiche
Schlufifolgerung gilt selbstverstandlich auch noch fur heute, und darum
schwellen auch, besonders in Deutschland, gegenwartig die antijudischen
Karikaturen so sehr an, indem eben die Liquidation des Weltkrieges zu den
grundsturzendsten wirtschaftlichen Umwalzungen gefuhrt hat, die sich )t--
mals in der Geschichte ausgewirkt haben. In Deutschland wurden diese
Umwalzungen naturgemaC fruher sichtbar und auch unendlichfuhlbarer als
in den Siegerlandern. Aus der groCeren oder geringeren Gehassigkeit der
in einer bestimmten Zeit erschienenen antijudischen Karikaturen kann man
auCerdem den Grad ablesen, in dem die Existenz der breiten Massen von
der betreffenden Umwalzung gefahrdet war und ist. Man kann weiter aus
diesen Karikaturen ablesen, welche Kreise der Bevolkerung besonders be*
troffen wurden. Wenn eine Wirtschaftskrise in der Geschichte eines Landes
lis. Haust du meinen Juden, so hau ich deinen Juden. illustriertes Sprkhwon
109
120. Englische Karikatur auf die Err
dpation der Juden. Um 1845
uberwunden ist, verschwinden, wie gesagt, auch alsbald wieder die besonders
gehassigen Judenkarikaturen; der Jude hat dann, weil er nicht mehr so oft
als Exekutor der Zeit erscheint, aufgehort, der mitleidlos gehafite Todfeind
zu sein. In solchen Zeiten wird die Karikatur den Juden gegenuber dann
insofern versohnlicher, als man sich damit begnugt, sie als dankbares Spott*
objekt zu verwenden, genau so wie dies z. B. im 17. Jahrhundert gegenuber
den Bauern geschah.
Wenn die Existenz von Judenkarikaturen erweist, daft in der betreffens
den Zeit wirtschaftliche Umwalzungen vor sich gingen, und wenn diese
Karikaturen durch ihre sich wandelnde Zahl und durch den wechselnden
Grad ihrer Scharfe zu sehr beachtenswerten Geschichtsquellen werden, so
ist das vollige Fehlen von Judenkarikaturen wahrend einer langen Periode
naturlich ebenso instruktiv. Und solche Perioden, in denen man in einem
Land vergeblich nach Judenkarikaturen forscht, sind ebenfalls nicht selten.
Dieses Fehlen erweist, dafi in dem betreffenden Land in jener Epoche die
wirtschaftliche Situation stationar geworden war, oder dafi die Umformung
dermafien langsam vor sich ging, dafi die katastrophalen Erscheinungen
ausblieben. Die Richtigkeit dieser Behauptung ergibt sich daraus, dafijedes
110
Land solche Perioden hatte, in denen die antijudische Satire vollig schwieg,
also auch solche Lander, in denen andere Zeiten geradezu eine Hochflut
von antijudischen Karikaturen hervorbrachten.
Und damit komme ich zuletzt noch zu einer anderen durch die Karis
katur gelieferten Bestatigung: Der Umstand, dafi es immer Lander gab und
gibt, in denen zahlreiche Juden leben, ohne dafi jahrzehntelang antijudische
Karikaturen dort erschienen, ist ein weiterer Beweis dafur, dafi die Judens
frage keine Rassenfrage, sondern vornehmlich eine Klassenfrage ist. Ware
die Judenfrage nur eine Rassenfrage, so miifite man standig auf Juden*
karikaturen stofien ; denn der Rassenunterschied ist ein konstanter Unters
schied. Weil sie aber vornehmlich eine Klassenfrage ist, darum begegnet
man ihnen nur temporar, namlich dann, wenn die Klassenfrage in den zu
Konflikten sich steigernden Klassenkampfen aktiv wird.
VIII
Bis zur Judenemanzipation
14. bis 18. Jahrhundert
DieSpottfigurenanKirchen
und Rathausern. Die altesten be*
kannten Judenkarikaturen stammen
aus dem 14. und 15. Jahrhundert und
sind plastischer Art. Es sind satiric
sche Skulpturen aus Stein oder Holz,
in der Form von Reliefs an Kirchen,
Rathausern, Bruckenkopfen , Dachs
gesimsen, Chorstuhlen usw. Ober
diese Art satirischer Darstellungen
muC ich einige allgemeine Berner*
kungen voranschicken.
Fruher nannte man solche, mit
dem eigentlichen Zweck des betrefs
fenden Bauwerks nicht zusammen*
Ferdinand Lassalle mit der Grafin Hatzfeld
und deren Sohn. 18 * 7
111
hangende und scheinbar ganz willkurlich angebrachte Spottfiguren ge«
meinhin „Architektenscherze". Man war der Meinung, daft die grotesken
Darstellungen solcher und ahnlicher Art ausschliefilich auf eine mutwillige
Laune des betreffenden Rathauss oder Dombaumeisters zuriickzufiihren
seien, und dafi die Moglichkeit hierzu in der naiven Harmlosigkeit jener
Zeiten begrundet war, die dem einzelnen zugestand, solche derben Scherze
sogar an heiligen Orten anzubringen, weil eben alle Welt damals Freude an
Scherz und Spott hatte. Diese Anschauung ist im Wichtigsten ein voll«
standiger Irrtum. Ich habe auf das Irrige dieser Meinung schon vor Jah«
ren in meiner „Karikatur der europaischen Volker" hingewiesen und die
Behauptung aufgestellt, dafi es sich in den meisten dieser sogenannten
„Architektenscherze" absolut nicht um blofie Zufallsprodukte eines erfins
derischen oder boshaft veranlagten Rathaus* oder Dombaumeisters handle,
der auf diese Weise einer Privatlaune oder auch einer Privatrache genugen
wollte, sondernum etwas wesentlich anderes und viel wichtigeres. Ich habe
auseinandergestzt, dafi es sich in der Mehrzahl dieser eigenartigen Spott*
bilder oder Symboliken um nichts Geringeres als um offentliche Proklama*
tionen offiziellen Charakters von seiten einer Stadteregierung oder von
seiten einer Kirchenbehorde handelte. Diese Ansicht habe ich davon abge«
leitet, dafi bei aller Freude am Derben oder Grotesken, die jene naiven
Zeiten auszeichnete, alle Verhaltnisse doch zu sehr gebunden waren, um
dem einzelnen eine solche iiber alles Mafi hinausgehende Betatigung seiner
individuellen Laune an einem offentlichen Gebaude zu erlauben. Eine solche
Freiheit war umso weniger denkbar, als damals ein offentliches Gebaude,
wie Rathaus oder Kirche, ganz anders wie heute im Mittelpunkt des allge*
meinen Interesses stand, und dafi gerade diese Gebaude stets den hochsten
und bei jeder Gelegenheit betonten Stolz der betreffenden Stadt bildeten;
auf ihre Errichtung konzentrierte man jahrzehntelang, bei Domen sogar
jahrhundertelang den grofiten Teil aller verfugbaren Mittel. Dabei fallt
noch ganz besonders ins Gewicht, dafi die meisten dieser Spottreliefs an
sehr sichtbaren Steilen angebracht waren, sodafi sie jedem des Weges Kom*
menden auffallen mufiten. Manche dieser Spottfiguren sind darum auch
zum formlichen Wahrzeichen der betreffenden Stadt geworden. Angesichts
dieser verschiedenen Umstande folgerteich: In jenen Zeiten, wo es noch
keine Buchdruckerkunst gab, oder diese eben erst erfunden worden war,
112
w
w
^.^ateihi^jMBa
$*WfflT 0mm wW M>r- sag Ss-> •,,.-
Wie Amschel Rothschild durch die Welt kutschiert — die Pleitegeier vorgespannt
Frankfurter Karikatur. Urn 1840
Beilage zu Eduard Fuchs, D Die Juden in der Karikatur"
Albert I-angen, Munchen
und man also das Plakat noch nicht kannte, da sollten die Steine im
Namen der Gemeinde reden; diese Darstellungen sollten gewissermafien
„ewiglich", — denn fruher, wo sich die Zustande nur langsam wandelten,
rechnete man immer mit dem Mafistab der Ewigkeit — dem Volke eine be*
stimmte Moral taglich vor Augen fuhren. Diese Ansicht hat inzwischen ihre
dokumentarische Bestatigung gefunden, indem sich bei der Durchforschung
von alten Ratsprotokollen und Stadtrechnungen in den letzten Jahren mehr«
fach ergeben hat, dafi anlafilich bestimmter Ereignisse angesehene Bildhauer
vom Rate einer Stadt ausdrucklich mit der Anfertigung und Anbringung
eines entsprechenden „Schandbildes" beauftragt worden waren, und dafi
die Kosten auch aus der Stadtkasse bezahlt worden sind. Aus solchen Pro*
tokollen ergab sich weiter, dafi die Stadtvater sich mitunter nicht nur mit
einem allgemeinen Auftrag begnugt, sondern dafi sie auch genau vorge*
schrieben hatten, in welcher Weise sie ein solches Schandbild im Einzelnen
ausgefuhrt haben wollten.
Dieser Umstand, dafi es sich bei diesen alten, vielf ach noch erhaltenen
Spottfiguren an Kirchen, Rathausern usw., wenn nicht immer, so doch viels
fach um offizielle Veranstaltungen der mafigebenden Korperschaften handelt,
erhoht naturlich die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser satirischen Stein*
dokumente ganz aufierordentlich. Was sonst nur
Dokument individueller kunstlerischer Phantas
sie und Laune gewesen ware, wird hierdurch zu
einem Zeitdenkmal wichtigen Ranges.
Ich habe oben gesagt, dafi man in solchen
Spottfiguren an Kirchen und Rathausern die al*
testen bekanntenjudenkarikaturenbesitzt; einige
von ihnen durften wahrscheinlich als die ersten
Judenkarikaturen uberhaupt gelten. Denn in
anderer Form waren Karikaturen nur in den
spatmittelalterlichen Handschriften moglich ge*
wesen. Solche sind aber meines Wissens bis jetzt
nicht bekanntgeworden. Diejudendarstellungen
im Heidelberger Sachsenspiegel von 1220 haben
keinen karikaturistischen Charakter. Die fruhe*
Surcii nieine @ctml&-
— £a6 Sit jjtinc Sufi nii, Stir SS.uiiflc?
— 53'6itt' an brr .6ttt! $&llt ft m.-r bit Jtron' on
SafJ rruiitr gtbrott)t. uo« uftt ! §olte |ld) loffe nia*t Wt^f
matttl 219 bod) if til itj s« fpai. Jtami nit nwifit in tatni
QltliEtE, fan ltd) be R&ont wit tllia) Tag cirifjifd'liaj nmtM
gnngti fe toa$t idj It6' ! l
sten graphischen Judenkarikaturen stammen erst
Fuchs, Die juden in der Karikatur
113
122. Karikatur auf Louis Philipp
Eulenspicgcl, Siuttgait. IS4S
15
aus der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts, da der Holzschnitt erst in
dieser Zeit aufkam.
Diese Spottreliefs stehen nun aber nicht nur der Zeit nach an erster
Stelle, sie stehen an dieser Stelle auch infolge ihrer sonstigen Bedeutung,
Es handelt sich bei diesen steinernen „Schandbildern" auf die Juden tatsachs
lich um nichts anderes, als um die bedeutsamsten Judenkarikaturen aller
Zeiten. Diese aufierordentliche Bedeutung erhielten sie vornehmlich durch
die mafilose satirische Form, in der die Juden in dieser auffalligsten aller
Publikationsmethoden der Offentlichkeit demonstriert und damit dem alls
gemeinen Spott ausgeliefert werden sollten. Diese Demonstration geschah
namlich fast durchweg in dem Gleichnis von der sogenannten Judensau.
Die Judensau. Dieses Bild, das den Juden zur Schande, wie man
damals sagte, an den Kirchen und Rathausern der verschiedensten Orte
immer wieder von neuem errichtet wurde, zeigt eine Anzahl von Juden in
innigster Beziehung mit einem riesigen Mutterschwein. Luther beschreibt
die aus dem 15. Jahrhundert stammende Darstellung der Judensau an der
Pfarrkirche zu Wittenberg, die zu den typischen gehort, wie folgt:
Es ist hie zu Wittenberg an unser Pfarrkirchen eine Sau in Stein gehauen, da liegen junge Ferkel
und Juden unter, die saugen, hinter der Sau stehet ein Rabin, der hebt der Sau das rechte Bein empor,
und mit seiner linken Hand zeucht er den Pirtzel uber sich, buckt und guckt mit grofiem Fleifi der
Sau unter den Pirtzel in den Talmud hinein, als wollte er etwas scharfes und sonderliches lesen und er*
sehen, daselbsther haben sie gewifilich ihr Schemhamphoras, denn es sind. vor Zeiten sehr viel Juden in
diesen Landen gewest, das beweisen die Namen der Flecken, Dorfer, auch Burger und Bauren, die
ebraisch sind, noch heutiges Tags. Dafi etwa ein gelehrter ehrlicher Mann solch Bild hatt angeben und
abreifien lassen, der dem unflatigen Lugen der Juden feind gewesen ist.
Dieser .Judensau", so nannte man dieses satirische Spottbild im 15.
und 16. Jahrhundert allgemein, begegnet man am fruhesten, namlich bereits
Ende des 13. Jahrhunderts, am Dom zu Magdeburg. Von hier aus — vielleicht
aber auch von einer noch fruheren, heute jedoch untergegangenen und
darum vergessenen Darstellung — machte sie ihren Weg durch ganz Deutsche
land. Am Dom in Regensburg wurde sie im 14. Jahrhundert angebracht,
am Dom in Freising und an der Pfarrkirche zu Wittenberg anscheinend im
Anfang des 15. Jahrhunderts. Bei der Judensau am Rathaus von Salzburg
wissen wir aus den Ratsprotokollen sogar das genaue Jahr, sie wurde im
Jahre 1487 aufgestellt. Im 16. Jahrhundert errichtete man sie an dem Rats
haus von Kehlheim, (heute an der dortigen Apotheke eingemauert) des*
gleichen an der steinernen Brucke in Frankfurt am Main. Das sind die*
114
15*
jenigen Darstellungen der Judensau, die sich teils im Original, teils in Ah*
bildungen erhalten haben. Nach verschiedenen zeitgenossischen Berichten
aus dem 16. und 17. Jahrhundert soil es jedoch damals noch eine ganze An*
zahl von Orten gegeben haben, wo die Judensau entweder an einer Kirche
oder am Rathaus dargestellt war. So heifit es z. B., dafi in der Nahe von
Magdeburg, und ebenso in der von Regensburg mehrere Orte waren, in
denen sich solche steinerne Zeugnisse des damaligen Judenhasses befanden.
Direkt genannt werden die Stadte Zerbst und Bamberg. Ihre wirkliche
Zahl durfte also wohl nach Dutzenden gezahlt haben. (Bild 6, 9, 16.) Auch
aufierhalb Deutschlands, vornehmlich an franzosischen und flamischen
Kirchen, sah man mehrfach die Judensau. (Bild 15.) In den flamischen
Kirchen findet man ubrigens noch andere Spottfiguren auf die Juden (Bild 7
u. 8); und zwar nicht nur in Stein, sondern auch in Holz geschnitzt am Chor*
gestuhl, das bekanntermaften haufig zu solchen Zwecken benutzt wurde.
Die verschiedenen bekannts
gewordenen Darstellungen der
Judensau sind sich nicht voll*
kommen gleich; sie decken sich
nur in der satirischen Grundidee.
Jede Stadt hat irgend eine Pointe
variiert, eine neue hinzugefugt,
oder auf eine andere verzichtet.
Auf der Judensau des Doms zu
Freisingreitet z. B. nur ein Jude
auf einer Sau; auf einer anderen
ist der. Sau ein machtiger Kots
haufen vorgesetzt, den sie eifrig
beschnuppert. Aufierdem ist
mehrfach ein erlauternder Text
eingemeifielt. Unter der Judens
sau zu Freising las man: „So
- Segen iiber Israel und seine Kinder. Mer wer'n Wahr die MaUS die KatZ nit frifit,
kriegen gleiche Rechte mit dem Gojim. Was sagst i i t i i y^i
dazu Schabsi? wird derjud ein wahrer Christ",
- jeich dun mer lieber handlen, in der Handlung zaigt an dner an d eren l as man . S aUg
sich der Mensch.
12*. La»z.d.m. Auf d ie E„a n2 ip it io„ der juden. w,e„. 1848 du die Milch, Frifi du den Dreck,
116
-
~j£ ic y , r -t ^ . .
v \--.'-. ;'\,\
■ ■*' i { .- '
125. Leipziger Karikatur auf die Emanzipation der Juden. 1848
Das ist doch euer best Geschleck". Dieser hohnische Spruch hat auch
mehrf ach als Text f iir die spater in der Form von Einblattdrucken erschies
nenen Judenkarikaturen gedient. (Bild 50.) Auf der Kehlheimer Judensau,
die laut dem beigefiigten Text an die Vertreibung der Juden aus Rothen*
burg ob der Tauber ankniipft, wird der Sau von einem Juden eine Tafel
mit hebraischem Text vorgehalten. (Bild 9.)
Hier mag eingeschaltet sein, dafi die Judensau am Rathausturm zu
Salzburg, die dort bis am Ende des 18. Jahrhunderts zu sehen war, zu jenen
..Schandbildern" gehort, bei denen es sich protokollarisch nachweisen lafit,
dafi es sich darin um einen direkten Auftrag der Stadtbehorde handelt. Der
Salzburger Rabbiner Dr. Adolf Altmann hat fur seine, .Geschichte der Juden
in Stadt und Land Salzburg" (Berlin 1913) die alten Ratsprotokolle durchs
forschen konnen. Dabei fand er in den Kammerrechnungen des Jahres
1487 den folgenden Eintrag: „Item dem Valknawer und Heinrich Maler
um den Juden und Sau Ratturm 6 F. 28 Pf ." Daraus ergibt sich un*
117
widerleglich, dafi es sich bei diesem Bild um einen Auftrag der Stadt handelt,
und dafi zur Zeit der Bezahlung aus der Stadtkasse im Jahre 1487 das Spott*
bild am Rathausturm bereits angebracht war. Dafi wir aus dieser Ein*
tragung in den Stadtrechnungen zugleich den Namen des Bildhauers er*
fahren, den die Stadt mit diesem Auftrag betraut hat, ist auch sehr wichtig,
weil wir daran feststellen konnen, wie viel der Stadt an diesem Auftrag
lag; denn sie hat ihn nicht einem beliebigen Steinmetzmeister ubertragen,
sondern sie hat sich zu seiner Ausfuhrung einen der tuchtigsten seiner Kunst
ausgesucht. Der genannte Bildhauer Valkenauer ist derselbe, der von
Kaiser Maximilian I. mit der Herstellung eines groften Denkmals fur die
Kaisergraber im Dom zu Speyer betraut worden war. Dieses Denkmal gilt
heute noch als eine sehr gute Leistung. Leider hat sich das von Valkenauer
fur den Salzburger Rathausturm hergestellte Marmorrelief mit der Juden*
sau nicht erhalten.
Der symbolisch*satirische Gedanke der Judensau ist sehr einf ach und
sehr leicht verstandlich, so dafi die Zeitgenossen keines Kommentars be*
durften, um dieses Schandbild restlos verstehen und geniefien zu konnen;
denn alle diese Dinge genofl man damals mit breitem Behagen. Weil man
damals noch nicht so abwechslungsbedurftig war wie heute, bildeten solche
Darstellungen immer wieder einen beliebten Gesprachsstoff. Aber es er*
schienen obendrein auch gedruckte Kommentare, und die Chroniken*
schreiber kamen jahrhundertelang bei ihren Berichten und Schilderungen
immer wieder gerade auf solche Wahrzeichen einer Stadt mit Vorliebe zu*
ruck. Die Beschreibung der Wittenberger Judensau durch Luther habe ich
schon zitiert. Der Dichter Heinrich Schroter aus Weifienborn deutet die
Judensau am Rathaus zu Salzburg in seinem 1613 in Darmstadt erschienenen
Gedicht „Deliciae judaicae" auf folgende Weise:
Die Sau, darauf em Rabbi reit' Wie sie Christum nur sollen unehren.
Dadurch wird mancherlei bedeut', Sonst schickt sich auch der Juden Art
Und steht solch Bild zu Magdeburg Und auch der Schwein fast auf ein Kart.
Und an dem Rathaus zu Salzburg. Ein Schwein liegt stets in Dreck und stinkt.
Ein jung Jud saugt die Milch am Schwein, Wanns schon wird geschlagen, daB es hinkt,
Dieweil die Juden im gemein I.afits doch nicht ab, wenns Nahrung weift
Ihr Kinder bei der Milch tun lehrn Und frifit garstig allerlei Speis.
Ober die an der steinernen Brucke von Frankfurt angebrachte Judensau
sagt ein Chronist: dies Bild bedeute „dafi Juden und Schweinen der Ein*
tritt in die Stadt verboten sei."
118
(Sonfeqtunj.
,,(Suv (StftVc«i ' 3,n teem getvaltigcn ©ieg, tun 3l)te Srupfen tie uotigc Sfflodje fiber tie 3nfor^enten mod) ten, f)d&en fid)
meljiere 3fiteen mcifiucvbig ait3ge$eidjnet , unb fjdben and) babor yon 3tnen fd)6ne 93er$temngen auf bit SBruf* erljalten, unb
jtnb ev£o6cn luotben. 3d) bin a 3ub' 4?dbai @ie bie ©nab', ntir aadj dbj' an^ultum, nn'D mid) $u belo^ntn!"
„lJJur oem Qjerbienfl fcine Jtrone! Set jufdlfige llmftanb, bap 3fcr mit jenen larfem 9)ldnnent a.tetd>e iReligton l;a6t,
Gcredjti'gt Cud) itidjt jnm geringfren bernrtigen Stnfjjrud).
,,6J«<ibfcjiT -Ocrr! fallen Bie 'Bod? ben SBefety 1jerau§gegeben , bap fcet t)Qd)»erTdtl)erii"d!en 93etget)en ein^eliier 3uben luii
2II(c felitnttfriji* 93cT6irtoIid)teit tjdbcn , lucrum fotlteu ©ie mtr je$t birfe geredjte 99ine afcfd?Lagen? 3JIup id) baa Sofe mit
leibett U'onim felt id) bii§ ©uh* nitwit aarf) mit genicjjeit?" —
126. Miinchener Kankatu
upellose SUatsmoral gegeniiber den Juden.
Fliegende Blatter. 1849
Von Kaspar Braun.
DJtofriJ 3ftwc .fccrfdj tjat roullcn rodtjlcn
obfrrr
Id) |)ab' tttd) flcroaljlt!
©ffener 25rief
iRofrs 3foor fjrrfd),
bru brincftahfdjrti Titubunbln mil ©dl fur Jicnifl unb Jotle«bMib nn
fnnrn (friur.b ©fimui torib, nine bo ill Ciiinbe! btt bbbrrtn rWlrmbtuiij)S.
SRrthobc in 7d"tDiudiL
QmgrlftriN wi (£. A.
tBctlin. 1849.
C. 30 nil £ lo).
Fur die Juden konnte es keine
grofiere Schmahung geben, als diese
intimeVerbindungmitdem Schwein,
wie sie die Darstellung der Judensau
in jeder ihrer Variationen aufzeigt.
Alles was vom Schwein kommt, ist
bekanntlich dem Juden durch seine
Religion aufs strengste verboten. Der
Jude begeht eine der grofiten Sim*
den, wenn er etwas vom Schwein ifit;
er stellt sich hierdurch direkt aufier*
halb der judischen Gemeinschaft.
Noch in unserer Gegenwart genugte
es, dafi, wenn sich ein Jude ostenta*
tiv vom Judentum (als religiose Or*
ganisation) loslosen wollte, er nur
dieses strengste judische Speiseverbot
offentlich zu ubertreten brauchte.
Und manche haben es auch auf diese Weise erreicht, wenn sie sonst keine
Form fanden, vom offiziellen Judentum loszukommen. Als z. B. der
geistige Mentor meiner Junglingsjahre, der fruhere Rabbiner und hervor*
ragende Spinozaforscher Jakob Stern , seinen volligen Bruch mit dem offi*
ziellen Judentum unwiderlegbar an die Offentlichkeit bringen wollte, setzte
er sich an einem Samstag, also am judischen Sabbath, in Stuttgart mitten
auf den Marktplatz an eine Stelle, wo zahlreiche aus der Synagoge heim*
kehrende Juden vorubergehen mufiten, und afi ostentativ eine Anzahl
Schinkenbrotchen. Der Erfolg, den dieser als Charakter und als Denker
gleich ausgezeichnete Mann erstrebt hatte, traf ein. Die judische Gemeinde
verzichtete auf ein solches Mitglied, das nicht nur frei und grofi denken,
sondern auch unbeschwert von lacherlichen Dogmen leben wollte. Im 14.
bis 16. Jahrhundert hielt sich selbstverstandlich jeder einzelne Jude streng
an dieses Gebot, denn damals gab es nur orthodoxe Juden. Das wufite
damals selbstverstandlich alle Welt, denn das warja einer der bezeichnend*
sten Unterschiede, durch die sich der Jude in seinen Lebensgewohnheiten
vom Christen schied. Aber gerade darum lockte es die Zeitsatire, die ent*
127. Humoristisch?satirischc Flugschrift in jiidischer Mundart auf
die Emancipation der Juden. 1849
120
/*HX
Die Gene:alpumpe
Frankfurter Karikatur auf Amschel Rothschild als internationalcn Geldgeber. 1845
Beilage ju Eduard Fuchs, «Oie Jndcn in dcr Karitetur"
■-■ ■ ■? , -Vf-'JraB«3'EBJ™iJ ii'V :■-■.■ . .-. ..„—..,-,■ , t — .
Albert L.inEtn, Munchen
ivfi ' t
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.O. -'W-- 7 A^ V
Am an. citation
'"^o^^rtSS^^gjoJS
Sehimal. [ eintretend } S arcKe , mei du est Trefe ? '.
Sarche- *Ku, Tvast net / daTs mer amanasibirt sein unter uns .
Schmul. Amanasibirt ! -weih. geschrie a bis's kan Pcrriick mehr giebt .
12S. Karikatur auf die Emancipation dcr Judeo. 1848
gegengesetzte Kombination zu konstruieren, um auf diese Weise die Juden
zu verhohnen. Sie zeigt deshalb die Juden in der denkbar intimsten Be«
ziehung zum Schwein, die zugleich die beschimpfendste ist, die es geben
kann. Die Zeitsatire laflt den Rabbiner rucklings auf dem Rucken einer
machtigen Muttersau reiten und an deren Schwanz saugen. Sie zeigt wie
Judenkinder, aber auch Erwachsene, gleich Ferkeln am Gesauge der Mutter*
sau hangen und deren Milch saugen; ein anderer Jude verschlingt sogar
gierig deren Kot. Wieder ein anderer Jude schaut unter dem emporgehos
benen Pirzel der Sau in den — Talmud, wie Luther sagt.
Wie man sieht, spielt die Obszonitat, durch die man den Juden „Schand
antut" die Hauptnote in diesem Spottbild. Gewifi mussen wir, wenn wir
richtig urteilen wollen, uns gerade bei diesem Punkte klar werden, welcher
Mittel sich die Satire und damit auch die Karikatur im allgemeinen zu den
verschiedenen Zeiten mit besonderer Vorliebe bedient hat. Und da muC
Fuchs, Die Juden in der Karikatu;
121
man denn ohne weiteres zugeben, dafi im 14. bis 17.JahrhundertdasObsz6ne
eine sehr haufige Note in jedem satirischen Konzert gewesen ist. Wenn
die Karikatur eine Person oder eine Sache angriff oder verachtlich machen
wollte, so griff sie gemaC der derben Zeitanschauung und dem ihr ents
sprechenden Sprachschatz mit Vorliebe zu obszonen Worten, Bildern und
Vergleichen. Symbole aus dem Verdauungss und AbsonderungsprozeC
waren in jenen naiven Zeiten in der Karikatur also nichts Ungewohnliches.
Die entsprechenden Worte und Bilder waren nicht nur in der Umgangss
sprache und in dem Ton der breiten Masse „gang und gabe," man konnte
auch in der sogenannten besseren Gesellschaft sehr oft obszone Worte hos
ren. Nichtsdestoweniger sind solche Obszonitaten, wie sie fast alle Dar*
stellungen der Judensau aufweisen, (und wie man ihnen auch in anderen
aritijiidischen Karikaturen begegnet) Ausdruck und Beweis einer wirklich
grenzenlosen Verachtung der Juden; denn jene Zeit brachte eben auf solche
Weise den Hochstgrad ihrer Vers
.&j,i^3~
•*-=-, 2.
- /Hji^£-
Die Juden im Bunde mit der monarchischen und
kirchlichen Reaktion. 1848
achtung zum Ausdruck. Das
rum aber ist die obszone Dos
minante in der Judensau der
augenfalligste Beweis dafur, bis
zu welchem aufierordentlichen
Grad die allgemeine Verachtung
der Juden in der sogenannten
offentlichen Meinung mehrere
jahrhundertelang ging. Denn
die Demonstration dieses Spotts
bildes und seine Wirkung war
ja keine vorubergehende. Die
von den Schopfern dieser Art
Spottfresken angestrebte Dauers
wirkung war in dem Fall der
Judensau jedenfallsvollkommen
erreicht worden. Tatsachlich hat
keine Karikatur der Welt, und
zwar nicht blofi keine Karikatur
auf die Juden, eine solche langs
122
pun ScAWiXTttte farck cttnpwtrt fad i C fWcgitfy vi #£flT
Die heraiMgemanxipirtMi JUden.
bMmmin mut 4 graiftan Cpeetiur t HJtnt . unn etm 4 li&r*nl*i . Ttie&t an/' .tfaltittk tin Hifttt. win Ukuf
u&d /«y Jjbrrmen/i mU ISO SBimmtn, air (bmmm/dznl yenuinmtn.
1J0. Wifner Kaiikatur *uf die £rnatilipditt<iD Uer iuden. IWi
andauernde Beachtung gef unden. Keine einzige wurde im Lauf der Zeit
von so vielen Menschen gesehen und beachtet.
Die graphische Satire. Wenn es je einen Zweifel dariiber geben
sollte, daB die satirische Verhohnung des jiidischen Wesens und Treibens
durch die Karikatur der Judensau eine dauernde gewesen sei, d. h., wenn
die Meinung auftauchen sollte, daB dies eine satirische Symbolik sei, deren
Bedeutung und Wirkung sich auf die Zeit ihrer Entstehung beschranke,
so ist dieser Zweifel durch die einfache Tatsache widerlegt, daB diese Form
16'
123
Jufcen- ©motif ipation in parent.
„<?oK mil Sou Mfen ! fonn idj bo<$ fogen, id) bin grtaorben emanfdjtyitL"
131. Reichsbrcmse, Leipzig. 1848
der Judenverspottung auch in der Graphik jahrhundertelang sich wieders
holt, namlich bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die graphischen Darstellungen
der Judensau sind kulturgeschichtlich gewifi nicht so bedeutsam, wie ihre
steingemeifielten Vorbilder an den Wanden der Kirchen und Rathauser,
und zwar deshalb nicht, weil ihnen der gewollt offizielle Charakter und
auch die machtvolle Demonstrationsform fehlte. Dessenungeachtet nehs
men auch sie einen ganz besonders hervorragenden Rang in der langen
Reihe der antijudischen Karikaturen ein. Dies gilt vor allem von der zuerst
erschienenen graphischen Wiedergabe der Judensau.
Im selben Augenblick, in dem die Entwicklung dem satirischen Volkss
geist den Holztafeldruck als Waffe in die Hand gab — das war in der zweiten
Halfte des 15. Jahrhunderts — in demselben Augenblick nutzte er sie nam;
lich sofort in ganz derselben Weise gegen die Juden aus. So sehr entsprach
dieses Motiv der damaligen Stimmung gegen die Juden. Die Wiedergabe
der Judensau in der Form eines foliogrofien Einblattdruckes war die erste
auf dem Wege des Holzschnittes vervielfaltigte Karikatur auf die Juden.
Dieses Blatt gehort, wie sich stiltechnisch nachweisen lafit, zu den allerersten
Erzeugnissen des deutschen Holzschnittes. Durch einen glucklichen Zu«
124
fall hat sich ein Druck dieses Blattes erhalten. Ich gebe es hier etwa in zwei
Drittel der Originalgrofie (siehe Beilage neben S. 8). Der Urheber dieses
Blattes ist, wie bei alien Holztafeldrucken dieser Friihzeit nichtbekannt. Was
einem an diesem Blatt zuerst in die Augen fallt, ist sein durchaus monu*
mentaler Charakter. Die Bedeutung gerade dieses Blattes ist aber eine mehrs
fache und nicht auf den monumentalskiinstlerischen Eindruck beschrankt,
so grofi dieser auch ist; sie ist auch nicht mit der naturgemafi grofien Wich*
tigkeit im Rahmen der antijudischen Karikatur erschopft. Dieses Spottblatt
reprasentiert uns aufierdem unter den erhaltenen friihen HolzschnittsEins
blattdruckendes 15.Jahrhunderts eine der ganz seltenen Profandarstellungen.
Fast alle anderen bekannten Holztafeldrucke dieser Friihzeit zeigen rein
religiose Motive. Da ist es denn doppelt interessant, dafi eine der wenigen
Profandarstellungen aus jener Kulturperiode eine Karikatur ist, dafi es eine
Karikatur auf die Juden ist, und zugleich die rucksichtsloseste, die wohl
uberhaupt je in der graphischen Satire gegen die Juden gemacht worden ist.
Weil es vor dem Flachholzschnitt, in dem
dieses Blatt hergestellt ist, nur noch den
sogenannten Schrotdruck als allererste gra*
phische Reproduktionsform gab, und weil
in dieser ersten graphischen Technik meines
Wissens keinerlei karikaturistische, sondern
nur religiose Darstellungen, Heiligen« und
Christusbilder bekannt sind, so ist also die
Holzschnittwiedergabe der Judensau zu*
gleich die alteste bekannte graphische Kari«
katur uberhaupt. Das aber bedeutet nichts
Geringeres als: Mit diesem Blatt beginnt
die lange und in manchen Zeiten so ruhm*
reiche Geschichte der graphischen Karikas
tur. Es ist, wie man wohl sagen kann, der
wurdige Anfang dieses wichtigen Mittels
der offentlichen Kritik, denn dieses Blatt
9« fReptiMitaner.
\-.—- :
„@ttWS)e. ©ita, be SfcjaurniDfefdier? Siefcjrl Be, nana beldam
tTDVfercoee niaten tauter QjiiUanle uab ^Jetle unb follt' id) lie fetten rait
1 .. 1 . #1 -. -. _. 1# . bee Jlront aaf meia ^aupl, faft* iaj Dir; igata, macfit 1 id) bodj cTdjt feia
enthalt in sich alle die Elemente, die zu ei* tin *■**: j"* j* «» »»^ »» ta ?* .<» ^ »«»«««»««.-
' „9tu, toaan ©a abet loitil emaanjiut?"
T r .t . o fi,.i i .. t-, 3U »as, nerben bie fteri$ten boaj Ijaben !ein ®elb mei,r — bi«
ner Karikatur groiSen Miles gehoren. Es gj^ti'"^^^! E^Hs^*.? 1 * "*"*"■'■"" »'
besitzt Einfachheit, Klarheit, Kraft, Kiihn*
filbert fein'Oetb: JBetjie&jr S)e, <3are[flje?»
132. Leuchtkugdn, Munches. 1848
125
heit, und alles dies, wie ich schon oben sagte, in monumentaler Grofie. Auf
den fur populare Darstellungen damals ublichen Spruchbandern, die sich
von den einzelnen Figuren durch das Bild hinziehen, erhalten wir die
satirische Moral des Bildes erlautert und bekraftigt. Der links in- der Ecke
stehende judische Weise, anscheinend ein Rabbiner, erklart: „Wir Juden
sollen all ansehen, wie uns mit der Sau ist geschehen." Damit wollte der
Kunstler wohl sagen: Den Juden moge es offenbar werden, wie sie durch
diese Darstellung verhohnt sind. Sehr derb ist der Rat, den der unter dem
Schwanz der Riesensau stehende Jude seinem iiber ihm sitzenden Glaubens*
und Volksgenossen gibt. Er soil tuchtig am Schwanz der Sau saugen, das
fur will er sich am Hintern vergnugen. Nicht viel feiner ist der Vers, der
sich unter dem ganzen Bild hinzieht. Er lautet: „Und dafi wir nicht essen
Schweinenbraten, darum sind wir geil und stinkt uns der Atem."
Diese graphische Darstellung der Judensau ist nun, wie gesagt, nicht
die einzige geblieben, sie ist nur die erste einer. langen Reihe. Die nachsten
Wiederholungen sind im 16. Jahrhundert erschienen und zwar ebenfalls in
der Form von Holzschnitten. Eine dieser Wiederholungen , einen kleinen
Wittenberger Holzschnitt, der angeblich das Valkenauersche Marmorrelief
am Salzburger Rathausturm wiedergeben soil, was ich aber ernstlich be*
zweifle, zeigt Bild 16. In der Bilderfolge „Der Juden Badstub" aus dem
Ende des 16. Jahrhunderts begegnet man ebenfalls der Judensau (Bild 40).
Ein drittes Mai findet man sie als quartgrofien Holzschnitt auf einem
fliegenden Blatt. In der ersten Halfte des 17. Jahrhunderts erschien die
Judensau als foliogrofier Kupferstich. Dieses Blatt, dessen Gesamtcharakter
man am treffendsten mit rustikal bezeichnet, ist in der bildlichen Dar«
stellung noch obszoner als die grofie Holzschnittdarstellung aus dem 15.
Jahrhundert, indem die Muttersau ihre Exkremente in den Mund eines
hinter ihr knieenden Juden entleert. Auch der Text ist noch obszoner als
bei dem grofien Holztafeldruck. Er lautet kurz und knapp: „Saug du die
Milch, Frifi du den Dreck, Das ist doch euer best Geschleck." Diesen Rat
gibt der im Hintergrund stehende Judenteufel, um dessen Figur diese Dar«
stellung erweitert worden ist. Aus dem 18. Jahrhundert sind mir drei Varias
tionen der Judensau bekannt geworden; alle in der Form von foliogrofien
Kupferstichen. Sie sind technisch fortgeschrittener, aber auch im Inhalt
„abgerundeter," namlich durch die Hinzufugung einer weiteren Obszonitat.
126
tm kofdjfrt l$ol)lin|tn)htion tion 9ieb 9?od>me tyov&el
^efteBie §5afjf manner unb ^fttiBerger!
(JUocfti ©it gu! SDtfint 3rau Eft rjer .Ieben — fcunbert 3a!jr fal
He alt tofit'trt! — (jot elite Stniobii&clt an fid), u" 14 ni«f»c*bia
id. 9Jooifidj njfnn fie Ijat gemad)! eine Arbeit, obet ein ©ejd)artd)e,
ober 04 ein $(ajierti)e, unb fie id fertig bamit, [0 fagt ft: ..'Tiadjme'
Ieben, be 9Borfd)t il geftoppt!" — ©og(eid) affo ttir jeftt e6rr.«
falls fcaben fltmodjt eine SUbeit unb ein ©efdjaftdje unb ein
$tajierd)c Nigu, inbem mir (jaben nebbid} flEtvalftt tie geef|rten
38afcimannerd)eB, alfo fo,ie id; ebenfolld: ,.'.Htit ber 3erd 'Ieben, be
SBorftbt is geftoppt!" — £Bren ©ie gu! 5)ie aUaljlmanner fein
tut E3orfdj(^3ltJfit unb bad ©ercerj unb ber $feT7tr unb bod
<Safj unb. a bidden Rnoblcdj, ant fommt rein in bie ffiotfdjt, un
ein pnac arifmtrolijdje £ruf|d[fj(n£ fiffb 0$ barunter, road be.
fanntlidj roirb Qiifaefudjl con oe 'Sdjirieindjed.
S(ber SHitbergerMeben, loenn bie 3BBWnianner»33orfd)t ifl
Dtil(id) fd)en geftoppt, tann man Je bod) uodj nid) effen, fonbern
|ie mug inert tn eift aebraten in nev 8l6georbneten.91$a&[ , unb fc«t-
nad)er effen mir bie Srninjorfifji. Soium foil ©ott b,uten, roenn
bie ©ralirjocfdjt id ftbtecot, 'roenn fit id mabblid). mit nutter ft if,
bafi man mug btfdjen in bie OTillicncn. menn man tb,ut efjen
taben! Ober aber u m fl«r<l)ii eben jo, toenn tic !ffioifd)t ipt hu-
eiel "iJeroet$, un Dnf^tWtjte Xruffelii, bag man taocn triat tie
btinbe |jammeriDen unb bit enenbare Stan?! ©eflteiti) bie Brat-
morfdjt id [apoie, foil mei ©ett fcelfen, mat' fa>n bejfer, roir
boiicn gefpiett 93lunn(lcber, aid ju fein aemejen jwnait fieri iu bie
SBa&lenl fiafic gefe&en. road tb,u id) bamit? ©pas! Slid icb ntiU
cine (c(t)la\mut}, Dill id? Tie f^on lieber b,aben in meine Eilfinlub',
Do id) bejoblt ben Iribut an bee 'Icatur, aid in bet 3Bnd]:K;aminer
uf'n 'Dflnijcfflpf^, mo id) mug bega&Ien bie ©teuent an i-Mon.
(eben. Unb item, aid id) fdjon mill |'eb.en emeu Sonter, mill id? iljn
lieber im faciei bond *9j(itt, no e c e r ficft mit fein Operntiiferdje
in bie Siattond osn bei fflnnft, aid uf tern $atfet ben bem bcb,tn
£menljau9, mo er licft buraj bie CBcfcer, bie er inat^t in ber dr.
faffuna! ©oil mir @ott bjtfen. Die ia> t)ab* cedji!
Sarum, meine liebtn 3Baf|Iaianner'feben. tl)uu ©ie mit'8 Bu
Pieb unb Dadlen ©ie fa)eine, feine, tof^ereSlb^eoibncte, mud ba=
ben ®riitj in be SdPP. unb Jfaar uf be 3^"'' un ' a , ^ er .l* e u 'f"..
tedjten gted, unb Rerjttec im Ceib;-— uKanner, bie toiffen ma4
fit wodtn, unb t^uu, road fie fBUen, — bie nit pfeiren iebed 9ieb,"
wen" eiit SpiepoEfleli^e fie flaitat bot berWof, —unb Bie nil fur
ein Xiltelgen benugen jebed 3)tUte(d>en, — unb tie nid>t anbeu
gen auf ieben 'Cierefet ber ®nnl> Die ein f|una,ritier flarpen, —
unb bie nidjt deulen mit bie SBBIf in ©djaafpeljen, — unb bie
nid) bibbern bor fjordjt uiib taffen fid} mad>m j(WuI<8 :
3&r foOt abtr roijfen, SCntjfmfinner.tefcn, bag tie Stem,
3eitung geljl ruin. Die ein Xiummelacf, bie ttinbet i« mad>en
Jord)tfam, unb fdjreii:
^opp iar g! ^as lllimfterium fttx}tl
3d) fag* <5ud>, feb;rt Sud) nid>t an bad ©efdjrei bon be
@tern>,sti>ung, beitH ifar ©inn dat fein Q4eb,ent, unb bie 3 fillJ( M
(jot teine Stititunj. 3d) fa^' Gud), roeun bad fDIinifteriutn fterjt,
fieri* cd aEer bur* una. SDie b«St? 3>ie Oonlll "Dollen ed
fttrjcn, unb utl$ mid man'd fd)ieben in bie Sdjuljl t)ie Oonfer
(tin Huge l!eut4et; menu die Didjten, caf] mir bad 3Rinifttrium
merbrn fterjen, fatten fie |idi nidjt blod berbuitben mit Banfe unb
©cfcmanie, fsntiin rooren and flttiditltn in bit 'XnW' &4~te ge-
febtn! CSarum follen Mil fiet(en bad Stciniftciiuin? Saturn?
^ctr 5djn>etin, tier ^jraf,
^fl botfj ne66idj gut unft 5ran!
jh mill renieren bad SonB reflfiiJj, aber 3enne regieien [odd*
riitUim. Pjb 3enne jid> a fine fd)neioen!
^erc ^aion> van bt Siitanjen,
§fl anii tt&i gutt tin (baiijcn!
3r mill immer tiaficc, uab mir mdllen aud> gerne ntbtn,
aber ein Stunnen ifl aud> audjufrbBppen, unb do nitd)t metjr n't.
b,at cer ffaifer fein 9ied>t cerloren. Scjliidj roir abtt tuunfAen
iu l)aben ju tiiegen ein fiaifei, muifen ibil bod) Jndj fcrgen, bag
er nifebt oeilieit fein Sfedjt!
^eit §11(113 boh ^Jemutfi,
■^Jor &em siefj itfi mein ^Joirtf
3d) roill meiter nifdjt, aid eaQ er nit audi fell fein ein
EonfUtf'&tirKibeT, foneern er foil maa)en ber ®ered)tigteit ein
neues flleib, can fie fid), fann laifeit jetjn bar ale Ceut' unb
breu4t !■* ni4t ati Irfjjoicnt
Jam 6eneraf oon ^toon,
c£ie5t ^dfief nnt> ^anonl
6of j'n nebbid)! fiber et mill dabm immerBu 'UJiilioti, — bad
id bitter! Er will tie Stidioncn, unb Tatoro liebt ben ^nf^tag!
Umgefefcct roar' be|fer! iShtbergerd, b,5ren ©ie gu roenn iHooii'
feben mjdjt' (ieben ben 3u'* lj d f at bad einige Sei)tfa)(anb, roill
id) mit fjreuben Qtbcn bie >!!? illicit, itnb fell er gaben aid Sjt-
mad)ome iSoIbar} 3J?cf(*--(*b*n mein @obn, urm ©iieldje- leben
meine letter ale XcaKetenbern eagu. unb id) fetbft rorrD' i?anB*
ftorm, fall mer ©ott ^elfen!
SItfo, torj con bei Sadjc 6u teeen: QBaBtmanner. feiu ofn
pollen! Quer 3SaI|tjp!uti) fod fein, bad:
38ftiijc, blcib' brim SSogra!
'^agt taft ©tetnb(a(td}e piepen « n o fd)r(ien! Sad ©tern-
fclaitdjc t'd a ©d)auit! Tad eternblartd) e b« Sorcpt oor Wamtlt.
fflenn'd 3ternbfaltd)e b,Brt: iBalbcil! tnirc'J bl.in, unb utenn'd
bott: ScrtljUiann! jZWt an ;u bibbem, unb menn'd aar b,on:
So^auu Oacoblj! friegt'd L'eibfcpiieiben unb ncd) mcbr! pjftr
jefeljen! Sie ffl/aimer ban tiefe Xiamen fein- Bra oe ^nner unb
jlaile 'Utinnet, road bad SOTinifteriom fiiiQen beffer. ati fa)(appe
paiije'^nje' unb fwiiipelmjiiucr, Dad tjaben bie ©eroctmljeit nid)
;u cranafln, tenbern roeiobeit mutqi^ jurfnf oor^bc 3on(er unb
jeften fiw riidTroartd ant cie 3Jlcd)iete inntu — eanb. 'Sarum
fetne jpampttm.innev, fentem ftjlc 3)rJnner! €ternblat(d)e btauCgt
fid) nid) jj jndfUu. ftonneti Sie bie Smibttt bon be ^Jofener
Sueen? feoren ®ic Cu! SJie mat bie 'Jefener Seraerfajajt b,at
emge^clt ben ftciu'd, b,aben tie reid)e 3uten geb'ilbet eine ©d)ro.i-
brun ;u '5ie'b' uiib baben fid) oerKe'ibet ale Xerfen unb fcaben
mit eingebclt. 'Sic a% id aefommen becftBnig. id ju ib^m ran-
fleritltn bee T3am(d (iutiiidjtr ©tuie'inbt^orltclKr), mad roar ftom.
raanbant bon be Sdjmabrun, unb bai aefagt ju cem ffiuij:
S)Iaitftal, ierrf)(ctt 'Sic fidj »ta)t, luit jinb teine icrteu!
2Pir find ifl|"cnrr Oil Sen!
Sa %at ber ftonig getadjt uno bat jcfajt: „-7lein, ^ert ©umpef
3)loiej. id) iirdjte mid) nid)tl" Sllfo loevoen aud) fene Slannr.
;n'j titrnbljitrtje faaen: .,«ttinbljltd)t, feid)icn Sic )ia> nit! 38**
lommt an auf tie itemen? aBaloetfjlJepalceif , Sdjufte.TJjpuLie!
£ufte gefeb^en! Sir Uno teine Xtrteti unb teinc 9iebe£lerd! 2Dir
efcren unfern (ieben ftonia., ©ott erljjir' ij)n. unb lieben nnfer
ebrcnljofriiefl SJateilanb unb nnfer braocS 33alt! Stir toerben
3f)n(n niajt biigen, eiernblattdje!"
Unb nun jum uod)fuB nod) ein aan; Keiu Sing fang dje!
5-on'ibtr fein bie Stamen!
©eioab.(t frin Siberafen!
Hie Sleaction id gefoppt!
Tic 'Scrfdjl id gefloppt!
(Unb fo immecgu Xlacapo.)
@(fd)ierttii im ««e(b()verlaje it* ©eifaJTerf. Bail Cohufelil, 9tofen^aterftra§e 42.
OruoT «>n £ Stti
133. Berliner WahlfiugbLitt von EmJl Cohnfeld. lfrlS
Wie der hinter der Sau knieende Rabbiner den Kot der Sau verschlingt, so
ist andererseits die Sau im Begriff einen Haufen Menschenkot zu vers
schlingen, der vor ihr aufgehauft ist. Das Interessanteste und Wichtigste
an einer dieser Darstellungen der Judensau. ist jedoch ein Teil der Inschrift
in der oberen Halfte des Bildes, welche lautet: „Diese Abbildung stehet zu
Frankfurt am Mayn am Bruckenturm abgemahlt." Darnach hatte man
also in diesem Kupferstich eine Wiedergabe der oben genannten Frankfurter
Judensau aus dem Ende des 15. oder dem Anfang des 16. Jahrhunderts, die
im Original seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts ausgetilgt ist. Da dieser
Kupferstich gemafi seiner Unterschrift in Frankfurt selbst herausgekommen
ist, und weil es in dem Text heifit, diese Abbildung der Judensau befinde
sich noch immer am Frankfurter Bruckenturm, so ist wohl kaum anzuneh*
men, dafi sich der Kupferstecher prinzipielle Abweichungen von seinem
Vorbild angemafit hat, und die verstarkte Obszonitat z. B. auf sein Konto
kame. Das wurde also bedeuten, dafi die ursprungliche Frankfurter Dar*
stellung der Judensau die derbste von alien ist, die aus der Zeit des 13. bis
16. Jahrhunderts bekannt sind. (Bild 30.) Die spateste Wiederholung der
Judensau, die ich gefunden habe, ist ein Kalenderbild aus den ersten Jahren
des 19. Jahrhunderts. Die Verhohnung beschrankt sich hier darauf, dafi
die Juden die Milch der Sau trinken (Bild 82).
Ob mit diesen von mir hier aufgefuhrten und beschriebenen Dar«
stellungen der Judensau samtliche genannt sind, die als fl.iegende Blatter
oder als Textillustrationen herauskamen, bezweifle ich sehr. Ich bin in der
Literatur hin und wieder auf Bemerkungen gestofien, die auch noch auf
andere Variationen hindeuten. Aber ich habe mich bei der Anfuhrung auf
jene Darstellungen beschrankt, von denen es mir gelungen ist, die betreffens
den Blatter auch im Original aufzufinden. (Vgl. auch Bild 58).
Da ich alle diese hier beschriebenen graphischen Darstellungen der
Judensau nicht nur mehrfach in der Literatur erwahnt fand, sondern oben*
drein von den Stichen aus dem 18. Jahrhundert im Laufe der Jahre mehs
rere Exemplare zu sehen bekam, so ist auch dadurch ausreichend bewiesen,
dafi die Darstellung der Judensau dauernd das Allgemeininteresse in An*
spruch nahm, d. h. dafi dieses Motiv mindestens vier Jahrhunderte hindurch
als wichtigstes satirisches Kampfmittel gegen die Juden diente.
Wenn man dies alles im ganzen uberblickt, was ich iiber die Juden*
128
Mi l.i lul H<.n,;>.l.
Habts Acht ! AViimts eurh zusam flasche In ! mer kiiiiim zml geheit vor uusern
Kiimaiidanten sein Haus ! RegimeiiUtremler ! sclilog ein ! (rum! bum! tium!
Beila£r iu Eduard Fuchs, .Dtcjudtii in dcr Kjrilutur*
Wiener Karikatur auf die Emancipation dcr Juden. 1S4S
Albert Linjtn, Muncbcn
^.j.~/£s £~..<~A
-/r-/~./j-~" T
/. r v.
V/~
'- £/*.Jt~ -& &l~,—.<4. — •fc*-
Humoristisch=satirischer Antrag auf Aufhebung des Verbotes vom SchweinefleischgenuB
durch die Juden
13*. Frankfurter Karikatur IS48
sau als offizielle, offentlichste und weitestverbreitete aller Judenkarikaturen
hier vorgebracht habe, so mufi man schlieClich dahin kommen, als zusam*
menfassende Schlufifolgerung zu sagen: Wie mit einem grellen Schlaglicht
ist durch diese satirische Symbolisierung des Judentums die ganze trostlose
gesellschaftliche Stellung der Juden innerhalb Europas beleuchtet. Wenn es
die satirische Kritik wagen durf te, nicht etwa blofi einzelne miCratene und
darum mifiliebige Individuen einer bestimmten Bevolkerungsschicht derart
zu infamieren, sondern deren uneingeschrankte Gesamtheit in immer er*
neuten Wiederholungen auf diese zynische Weise dem offentlichen Spott
auszulief ern, so beweist dies drastischer und unwiderleglicher als alles andere,
daft diese ganze Volksschicht fur jedermann bis zu einem weiten Grad als
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
17
129
Mvfcs. MJichaits^Ur Crlmidjt? hut, linaSiflcr ijcrr ? was hebts Waits
hnaJiflflcr Jjtrr ©raf?
CSraf. Ijcutc wirt in 3mtral«n cm 3u6t anb rill tifcl ucrbrannt.
ittafcs. fiut, tafi met 3aibc net ba fcin, hnftbigrr tjerr'.
Freiwild gait. Der Be«
griff, daCder Jude eigents
lich auch ein Mensch
sei, war damit fur jene
Zeiten fast ausgeloscht.
Aber auch noch ein
anderer Gesichtspunkt
muC bei der Bewertung
der Judensau erwahnt
werden. Und dieser ist:
Wenn die Gestaltung
dieses Motives auch zu
den obszonsten Motiven
der ganzen Geschichte
der Karikatur zahlt, so
muC man andererseits
doch mit derselben
Deutlichkeit hervorhe*
ben, dafi es sich in dies
sem Motiv aufierdem
um eine Karikatur ganz
grofien Stiles handelt.
Es ist wahrhaft weltge*
schichtlicher Hohn in
135. Friedricb Happel. Dusscldorfer Monatshefte. 1851
monumentalster Gestaltung, der uns aus diesem Motiv entgegentritt
Der judische Wucherer. Die samtlichen antijudischen Karikaturen
des 15. und 16. Jahrhunderts bleiben sowohl an Kuhnheit der Idee, an
Brutalitat des Spottes als auch an Kraft der kunstlerischen Gestaltung ziem«
lich weit hinter dem grofien Holztafeldruck „Die Judensau" zuruck, mit
dem die Judenkarikatur ihren Einzug in die graphische Karikatur und die
graphische Karikatur ihren wurdigen Einzug in die Geschichte hielt. Aber
damit ist nur ein Verhaltnis ausgedruckt. Sofern man die spateren, die
nachfolgenden Judenkarikaturen des 15. und 16. Jahrhunderts am Durch*
130
schnitt der volkstumlichen Holzschnittkarikaturen ihrer Epoche miflt, muli
man ebenso unumiwunden anerkennen, daC sie in jeder Weise auf der*
selben allgemeinen hohen Stufe stehen, die die populare Kunst damals
einnahm, und die in ihrem neuen Ausdrucksmittel , dem Holzschnitt,
einen Teil des Herrlichsten schuf, was jemals als Volkskunst den breiten
Massen diente. Selbstverstandlich fehlt den samtlichen Judenkarikaturen
der Renaissance jede Kompliziertheit der Idee, weil diese eben der ganzen
Zeit fehlte. Mit den einfachsten Mitteln wird der einfachste satirische
Gedanke ausgedruckt. Nur etwas umstandlich sind die meisten dieser
Karikaturen; denn die Umstandlichkeit im Vortrag einer jeden Sache ist
ebenfalls ein Hauptwesenszug jener Zeit. Weil jedermann Zeit hatte, eine
lange Predigt anzuhoren, so verknupfte man mit allem eine lange Pre*
digt. Und darum sind zahlreiche dieser Karikaturen mit langen erlautern*
den Texten, in Reimen oder in Prosa, oder in beiden Formen zugleich, ver*
sehen. Der knappe pointierte Witz, der eine ganze Situation durch ein ein*
ziges Wort oder durch eine bestimmte konzentrierte Geste jah und bis in
den letzten Winkel aufhellend beleuchtet, diese Form, der wir heute in der
Satire den Vorzug geben, ist erst eine Er*
rungenschaft viel spaterer Zeiten. ;. .
Der augenfalligste Wesensunterschied
zwischen der Karikatur „Die Judensau"
und den nach ihr kommenden Judenkari*
katuren ist im 15. bis 18. Jahrhundert zuerst
ein stoff licher. Wahrend sich die Judensau
sozusagen gegen die Juden als Gesamtbe*
griff wendet, ist die ubergrofie Mehrzahl
aller anderen Karikaturen dieser Jahrhun*
derte nur gegen irgendeine der Tatigkeiten
gerichtet, durch die die Juden ihren christ*
lichen Zeitgenossen mehr oder minder un*
sympatischwaren.. Unter diesen Tatigkeiten
steht selbstverstandlich der judische Wucher
obenan.
Die Mehrzahl dieser gegen den Wucher
der Juden gerichteten Karikaturen bedarf
„Wai geschrieen, Joel, was hast de ge=
macht mit dein Bart?!"
„As mer doch soil wern emancipiert am
ganzen Laib, hob' derweil emancipiert
mei Gesicht!" —
136. Dfisseldorfer Monatshefte. 1848
17*
131
im Einzelnen keiner besonderen Erklarung. Man findet diese in ausrei*
chender Weise auf den Bildern selbst, die, wie gesagt, in jenen Zeiten fast
immer mit einem erlauternden Text versehen wurden. Sehr oft beschrankt
sich die satirische Absicht dieser Bilder uberhaupt auf diesen erlauternden
Text. An dem kleinen Nurnberger Holzschnitt vom Jahre 1491 (Bild 14)
erkennt man gewifi sofort, dafi hier ein Bauer und hinter ihm ein Stadter
zum wuchernden Juden „zinsen kommen". Aber zur Satire wird diese
Darstellung erst durch den beigefugten langen Text, der darin pointiert,
dafl es die Christen den Juden ermoglichen, „ohne alle Arbeit mit ganzer
Faulheit sich zu nahren". Das Bild „Der Jud", das der Bilderfolge „Die
Stande" von Jost Amman entstammt, ist an sich nur insofern karikaturistisch,
als der judische Typ bei der hier versammelten Judengemeinschaft deuts
lich hervorgehoben ist. Aber vom gewollten Sinn erkennt man aus der
Zeichnung nichts; es konnte sich um irgendeine beliebige Disputation
zwischen Juden untereinander handeln. Erst durch den Text erfahrt man,
dafi damit die mitleidslos wuchernden Juden satirisiert werden sollen
(Bild 19). Im Zusammenhang mit dieser Darstellung sei auch auf den Geld*
narren aus derselben Bilderfolge „Die Stande" verwiesen. Hier handelt es
sich nicht direkt um eine Karikatur auf die Juden, sondern vielmehr um
eine Karikatur auf jene Christen, die es den Juden im Wuchern gleichtun.
Das nannte man damals „mit dem JudenspieC laufen" (Bild 22). Da den
Christen, wie ich im 3. Kapitel
anfuhrte, das Wuchern, d. h.
das Zinsnehmen, verboten war,
ubten sie . dieses verlockende
Geschaft meist heimlich. Die*
ses heimliche Wuchern der
Christen satirisiert sehr derb ei«
ne Broschure „Der JudenspieC
bin ich genannt" aus StraCburg
vom Jahre 1541. AufdemTitel
heifit es iiber das vom Vers
fasser verfolgte Ziel: „Von
grofien Juden ich sagen will,
Die Schad dem Land tun in der
91a, ©intue, irarvui gribft nid) ipijirrtn in ie m remit rridwen™ S fln * f" n(n Dbtnt*
,iEne ii'U id) sod] gtifn icitjittn, 115 id) bed) fdjen fpijinrti?"
137. F. Schroder. Diisseldorf cr Monatshefte. 1850
132
Crfjmrml*.
„9[o id)'(! ant'iub un liiS cd tic Stunt midjiaufc, fpai id) tod) fiif[e^n Srcuijcr."
138.. Karl Rittet. DilsseMorfcr Monatshefte. 1S50
Still". Diese grofien Juden sind zumeist Christen, die noch hohere Prozente
nehmen als die Juden (Bild 13).
Ein klassisches Beispiel fur die Umstandlichkeit, mit der man im
15. Jahrhundert eine satirische Moral vortrug, ist ein grofier Holztafeldruck
gegen den judischen Wucher, der als Fliegendes Blatt verbreitet wurde
und wohl nur wenige Jahre spater als der Holztafeldruck „Die Judensau"
erschienen sein durfte. Auf diesem Fliegenden Blatt kommt die beige*
fugte Illustration erst in zweiter Linie. Das Wichtigste ist der (ebenfalls in
Holz geschnittene) Text, in dem umstandlich nachgewiesen wird, wieviel
der christliche Borger dem judischen Darleiher im Laufe der Jahre fur einen
einzigen entlehnten Gulden entrichten mull. Die satirische Moral des Ganzen
lautet: „Der Jud stellt seine Sinne Nacht und Tag, Wie er den Christen
verderben mag". Aber nicht nur einen deutschen Text, sondern zugleich
auch noch einen langen lateinischen Text ahnlichen Inhalts bietet dieses
einzigartige Flugblatt gegen den Judenwucher. An diesem lateinischen
Text erkennt man, dafi es in erster Linie an die Gebildeten gerichtet war.
(Siehe Beilage neben S. 16.)
133
Im 16.Jahrhundertentstand
eine Form des Satirisierens einer
Sache, die schliefilich noch deut=
licher die damalige Umstand*
lichkeit im Vortrage einer satiric
schen Moral demonstriert. Es
ist das Motiv ,,von der Juden
Badstub". Dieses Motiv kniipft
an den damaligen allgemeinen
Gebrauch der Badestuben. In
den Badestuben, die jedermann
von Zeit zu Zeit auf suchte, wird
man gewaschen, gestriegelt, ge*
zwackt, geknetet, geschropf t us w.,
damitdie samtlichen schadlichen
Stoffe aus dem Korper durch die
Kiinste des Baders ausgeschieden
werden. An diese gewifi sehr
hygienische Tugend kniipfte die
Satire mehrfach an, um in der
verschiedenf achen Tatigkeit des
Baders irgendeinen umstand*
lichen Vorgang aus dem offents
lichen Leben zu symbolisieren.
Und so wurde auf diese Weise auch das gesamte Tun und Treiben der Ju=
den, vornehmlich der jiidische Wucher, satirisch symbolisiert. Diese Sym?
boliken nannte man „der Juden Badstub." Bald warbeidiesen Darstellungen
der Text (Bild 12), bald die bildliche Illustration des Vorganges die Haupt*
sache. Jedenfalls verzichtete man niemals auf das Bild. Mit gutem Grund,
denn das Bild ist immer die Sprache der Analphabeten gewesen. Wo die
grofie Mehrheit der Bevolkerung zu den Analphabeten zahlt, haben nicht*
illustrierte Flugschriften immer nur auf sehr eng begrenzte Kreise gewirkt,
und bis tief ins 17. Jahrhundert gehorte die grofie Masse der Bevolkerung
zu den Analphabeten. Wer deshalb z. B. den Text an der grofien Bilder*
folge „Der Juden Badstub" (Bild 24—41), die wohl eine der popularsten
— „Hcrsch! wcnn ich dich sch, is mer als wcnn ich seh
nc game Jagd. Hersch hciBte, in der Jagerslrafie
wohnste, wie'n Fuchs sichste aus und c Hund bist de."
— Vi'ai mir! Bin ich e Hund, bin ich doch nicht dcin
Hund, jonst war ich ja en Scbweinehiind."
Untcr Glaubcnsgcnosscn
159. L. Knjut Dassddorfcr Monit?Keft«
134
der damaligen Flugschriften ge«
gen die Juden darstellte, nicht
lesen konnte, der konnte sich
den satirischen Gedanken auch
aus den Bildern herausbuchsta*
bieren. Denn deren Symbolik
war eine den meisten gelaufige
Sprache. Die Vorgange in der
Badstube kannte jeder aus per;
sonlichem Erleben; und dafi es
Juden sind, die hier in der Rolle
des Baders tatig sind, das sah
man auf den ersten Blick an dem
sogenannten Judenring, den das
mals jeder Jude an seiner KleU
dung tragen mufite.
Daft die Briefmaler des 16.
Jahrhunderts — so nannte man
damals auch die Karikaturisten ;
denn einen Brief, eine Zeitung
wollten sie mit ihren Bildwers
ken in die Welt hinaussenden
— mit ihren satirischen Einblatt 5
drucken oder Fliegenden Blats -
tern zumeist an alle Schichten der Bevolkerung sich wandten, also nicht nur
an begrenzte Kreise, das unterliegt schon deshalb keinem Zweifel, wei) sie
es sehr oft direkt an die Spitze einer Flugschrift schrieben, daft sie ,,An
Alle" gerichtet ist. Ein Flugblatt, das sich gegen „Die Schalkheit" der
Juden, also gegen ihre Unredlichkeit und Durchtriebenheit in alien Gelds
sachen richtete, und in dem der Jude Josel von Rosheim sozuzagen zum
Wortfuhrer dieser jiidischen Schalkheit gemacht wird, beginnt mit den
Worten: „H6rt ihr Herren allgemein, Arm, reich, grofi und klein" (Bild
11). Beziiglich dieses Juden Josel, genannt Gosel, der auf diesem Flugblatt
in eigener Person dargestellt wird, und zwar wie er mit dem Talmud und
einem vollen Geldbeutel in den Handen vor einer Saule mit dem goldenen
Attc, ich hab dich cingckauft in de Btgribniikisse
fur 2 Thaler, nu kannst de nauslahrc. wenn dc ges
storbc bist
Au wai, seind se doch » eggeworftn de 2 Thaler, de
waillt ja, da(4 ich's t'ahren nit vertragen kann.
135
Kalb steht, mag erwahnt sein, daft er in Wirklichkeit wahrscheinlich eine
sehr achtbare Personlichkeit war. Er gait wahrend der ersten Halfte des
16. Jahrhunderts gewissermaCen als das Oberhaupt der deutschen Judens
schaft und hat unter seinen Volksgenossen energisch gegen deren MiC«
brauche beim Wucher usw. gepredigt. Weil er aber gleichzeitig fur seine
Volksgenossen eintrat, so wurden die Angriffe, die den Juden als Typus
galten, eben auch auf ihn ausgedehnt.
Im Zeitalter des entwickelten furstlichen Absolutismus, also von der
Mitte des 17. Jahrhunderts an, wurden die Dinge wesentlich anders. In dies
ser Zeit hatte das niedere Volk bekanntlich rein gar nichts mehr zu sagen.
Ganz von selbst wandte sich deshalb die Karikatur von nun ab auch aus*
schlieClich an die besitzenden, d. h. an die regierenden Klassen. Diese
Tatsache wird schon ganz deutlichdurch die veranderte Technik belegt, die
jetzt bei den meisten Karikaturen zur Anwendung kam. Der Kupferstich,
der in dieser Zeit zumeist an die Stelle des immer mehr verschwindenden
und darum auch sichtlich verkommenden Holzschnittes trat, ist ein erheb*
lich teureres Verfahren und lafit auch nur wesentlich kleinere Auflagen zu.
Aber auch die Verschiebung im Stoff lichen belegt die veranderte Situation,
dafi der Karikaturist mit seinen Wirkungen jetzt vorwiegend auf die oberen
Kreise der damaligen Gesellschaft rechnet. Dafi der Bauer und der kleine
Handwerker sein Hab und Gut durch den Judenwucher verlor, war zwar
nach wie vor in gleicher Weise der Fall,
aber es interessierte die sogenannte offents
liche Meinung nicht mehr in dem Mafie
wie fruher. Umso mehr interessiert jetzt,
wie der Jude gegenuber dem ihm Geld
schuldigen Adligen am Verfallstag auf
seinem Schein beharrt; oder wie er die*
sem selbst das Hemd vom Leibe zieht,
weil er die schuldigen Zinsen nicht be*
zahlen kann. Solche Situationen zeigen
mit Vorliebe die Karikaturen, die im 18.
Jahrhundert auf den Wucher der Juden
gezeichnet werden. Belege hierfur sind
das Kartenblatt „Der Jude" (Bild 55) und
2luf bciu ^awpjbooti
,,'3\e bie Sluljlf burfen'S nicht nchmen, Dai iinbftojuicni'liiijfc." —
„ft o 3ubeit'£lul}[? ! — iDotiim tin bes Iq jubtn.Sulfjl '.? ! — jo^r
id| bod) Jd gui rcit'ii 2Iubrtr — m oru m jon'^ fo 3ubEn=Slut|l?" —
HI. Fliegende Blattet
136
Hai ifr eitel?
.3S<a' 3Jl<mfd|[L iwnn jtjt in ben Grocrn btin thl Scultl
not Ocjb (age unb btut Sabbath, nixt. murbtjl tj ibu £*;fn
btin GtjeJ auiijtttn obrt Itrgtn la]]tn ? '
.Sits ip OT;S (11(1. 3m ©robm li((it (tin Stutri, uns
brute i(l n-;$t SajatoeS."
142. Fliegcnde Blatter. 1850
die kunstlerisch ausgezeichnete Radierung von
Reinhard aus dem Jahre 1785: „Die kritische
Viertelstunde des Rabelais", die uns zwei ty*
pische Hebraer zeigt, von denen der eine einem
ihnen begegnenden Adligen den vermutlich
langst verfallenen Schuldschein vorweist (Bild
59). Da ubrigens der leichtlebige Hofadel des
Ancien Regime immer in Geldnoten sich be*
fand, so war er freilich auch jetzt ein sehr haufi*
ger Kunde des Geldjuden. Andererseits machte
der judische Wucherer besonders gern mit dem
Adel Geschafte. Hier liefien sich die hochsten
Zinsen nehmen. Der junge Adelssprofi, der in
Saus und Braus lebte, wollte doch in Allem
Gentleman sein, also handelte er gar nicht lange, wenn der Jude eine hohe
Zinsforderung stellte. Die Hauptsache war ihm, das gewunschte Geld zu
bekommen. Fur den geldleihenden Juden boten sich beim Adel auCerdem
mannigfache Sicherheiten fur das zu leihende Kapital, wie sie nirgends
sonstwo so grofi und so vorteilhaft waren: Grundbesitz, Verwandtschaft,
alter Adel, der verpflichtet ist, unter alien Umstanden einen Skandal zu
vermeiden, usw. Je mehr aber die Umwandlung des Landadels zum Hof*
adel vor sich ging, und je haufiger der
Adel vom Land nach der Stadt zog — und
das war der vom Ausgang des 17. Jahrhun*
derts an sich vollziehende wirtschaftliche
Prozefi, — um so notiger und in um so
grofierem Umfange brauchte er bar Geld.
Der geldbedurftige Hofadel war im 18. Jahr*
hundert uberall eine typische Erscheinung,
vor allem aber in Frankreich und in Eng*
land. Den klaren Spiegel dieser wirtschaft*
lichen Umwandlung sehen wir in der Jus
denkarikatur der beiden Lander dieser Zeit,
vornehmlich in der Englands, wo infolge
der groCeren burgerlichen Freiheiten die
See Unteteidjt.
Fuchs. Die Juden in der Kariltatur
(itaoirrtrnrer. „3ir iinb nidjt aufiHccliam , flirr itcfK (in
^Idltrl unb 3ie ucbiutn ei:i l JMerlel."
5?otrr (im .Dinirrgninb) ,.(!ton,l inriitr 91atuT. loartnii foil iie
nemrnt u ?Idiicl. lueitn iie Innn anionic n ^iettelV!"
143. Fliegende Blatter
18
137
— Herr Baron, der Bub stiehlt Ihnen Ihr Sacktuch!
— Lassen sen geihn, mer hab'n aach klein angefangen.
144. Borsenspekulanten. Fliegende Blatter. 1851
Karikatur damals eine Rolle spielte, wie.nirgends sonstwo und wie kaum
friiher einmal in der Welt. Der jenige englische Karikaturist, der die meisten
derartigen Karikaturen zeichnete, war der geniale Thomas Rowlandson, der
besser als alle anderen, weil aus eigenster Erfahrung, diese Zustande kannte.
Rowlandson lebte und verkehrte selbst in den Kreisen des lebenslustigen
englischen Adels, der kein hoheres Lebensziel kannte, als seinen Besitz
und seine Krafte mit Sport, Spiel und Weibern zu vergeuden. In die*
sen Kreisen war der geldleihende Jude ein oft erbetener Gast, und so
schrieb Rowlandson in seinen Bildern nur die von ihm erlebte Wirklichs
keit ab (Bild 66). Rowlandson kannte die Juden in alien ihren besonderen
Typen aufs Genaueste. Er kannte den Kleiderjuden, der um eine zerrissene
Hose schachert (Bild 63), so genau wie den judischen Elegant, der zu
geizig ist, sich mehr als zwei Hemden zu kaufen, und der deshalb das eine
Hemd immer sofort zur Wasche tragen mufi, sowie er es mit dem anderen
vertauscht hatte (Bild 68). Er kannte die judischen Borsenbesucher, die
ununterbrochen ihre Kombinationen iiber die Konjunktur diskutierten
(Bild 65), und er kannte ebensogut den charakteristischen Typ des Borsen*
maklers, dem auch mancher seiner adligen Kneipkumpane heimlich einen
Borsenauftrag gab, sei es, um eine gunstige Situation zu nutzen, oder um
sich durch ein erfolgreiches Differenzgeschaft aus dem „Schlamassel" zu
138
retten. (Siehe Beilage neben S. VIII). Er kannte aber auch das intime
Leben Salomons; das war der Name eines grofien Londoner Bankhauses
und zugleich der Sammelname fur den geldleihenden Juden in jenen Krei*
sen. Rowlandson wufite — zum mindesten behauptete er es — , daft sich
Salomon und seine Kollegen von derWucherzunft hin und wieder im stillen
Hinterzimmer seines Geschaftslokals am Dukes Place an dem Genufi eines
gebratenen und bekanntlich gar nicht koscheren Spanferkels gutlich taten
(Bild 67), und er wufite weiter, dafi Salomon alles andere, nur kein Vers
achter von prallem und frischem Christenfleisch war, wenn es ihm in Ge«
stalt von liebesbereiten Christenmadchen gegen honette Bezahlung zur Vers
fugung stand. (Bild 69). Mit der satirischen Offenbarung dieser Intimitaten
quittierte Rowlandson die hohen Zinsen, die er selbst so manches Mai an
den Salomon zahlen mufite, wenn er beim Spiel mehr verloren, als ihm
seine Kunst eingetragen hatte.
Weil die Geldleihe und damit die Rolle der Juden in der damaligen
englischen Gesellschaft eine so hervorstechende ist, so begegnen wir dem
Juden in jener Zeitnaturlich bei alien englischen Karikaturisten, wenn auch
nicht so haufig wie bei Rowlandson. Hogarth satirisiert den als Wucherer
bekannten Bankier Salomon in dem zweiten Blatt seiner beruhmten Serie
„Der Weg der Buhlerin"
— Salomon ist bei Ho*
garth der durch einen
jungeren Hausfreund du*
pierte zahlende Liebha«
ber. Isaac Cruicshanc,
Bobins, Newton, Wood*
ward und alle, die sich
damals in der englischen
Karikaturdergesellschaft=
lichen Satire widmeten,
zeichneten den judischen
Wucherer, den judischen
Geizhals, den Borsianer, „ , . . , „, -, , * , ,
,,'jftili! .prritf)! fua to fj&ri ter Slmiqcl. -oat tr tow jept ptmcn ficljn am Ccr So^t roic a
den ilidischen Madchen* 3"l"*<- a StyttV — 9lw iratum [ell cr nit (wire a 359"- m "« « *<■* p*rf*l*6r in sitt all trni
J Cajiilii'tc taB ci nit fann a'trc fenij eljnc 3d$cr. —
handler usw. (Bild 61, HJ . Dasstldorfec MonM5hefM . IS5 ,
139
62, 70, 72 und die Beilagen „Die Londoner Borse beim Eintreff en schlechter
Nachrichten". Neben'S. 56 u. 64.) —
Die Geldleihe ist immer die direkteste Form des judischen Wuchers
gewesen. Aber es ist diejenige Form des Wuchers, unter der immer nur
vereinzelte Personen oder Familien zu leiden haben. Ein freilich nur sehr
bedingt richtiges Sprichwort lautet: „Wer spart, halt sich den Juden vom
Hals", das soil heifkn: der Sparer braucht sich kein Geld beim judischen
Wucherer zu leihen, und kommt darum nicht in des Teufels Kuche, wie ein
anderes Sprichwort sagt. Aber es gab fruher noch eine andere Form des
judischen Wuchers, der sich niemand entziehen konnte, der jeden Einzels
nen in die Krallen der Juden brachte, und das war der Wucher mit Lebens*
mitteln, vorwiegend der mit Getreide. Zum Handel mit Korn wurde der
Jude durch die aufieren U mstande seines Lebens gelenkt. Die gerade um jene
Zeit von den stadtischen Obrigkeiten gegen die Juden erlassenen Wohnungs-
beschrankungen und Verbote vertrieben die Juden in immer haufigeren
Fallen von der Stadt auf das
Land. Tausende von Juden
mufiten in die Dorfer ziehen,
weil sie in der Stadt nicht mehr
wohnen durften. So entstanden
die bekannten zahlreichen Jus
dendorfer. Damit aber kam das
flache Land ganzautomatischin
immer grofterem Umfang in die
Hande der Juden. Indem aber
der Jude das flache Land mate*
riell beherrschte, beherrschte er
durch seine Preisfestsetzungen
auch die Stadt. Als Trager des
mobilen Kapitals auf das flache
Land geschleudert, wurde er
— Salomon, Salomon! muB nicht dein Schandwucher, sofort Und dauemd ZUm Selbsts
9 Prozent zu nehmen, selbst den lieben Gott argers , - n- i i i i.
Hch machen? - verstandlichen und unausschalts
— Was wird er wcrden argerlich, sieht doch die 9 von baren Vermittler der Handelss
oben gesehen grad aus wie a 6. —
146. h. *i««r. Da SS eido,f e r Monahhefte beziehungen zwischen Dorf und
140
147. Hey<kn. Geschaf tsfreundk. 1859
Stadt, und umgekehrt. Diese Rolle wurde von urn so grofierer Bedeutung,
als sich damals auch die immer schroffere Scheidung der Stadt vom Dorf
vollzog. In der Stadt nahm die Zahl der Ackerburger ab; die Stadt wurde
in immer bescheidenerem Matte Selbstversorger. und ihre Lebensmittel;
bediirfnisse wurden immer mehr auf dem Wege des Handels gedeckt. Da
dieser aber ganz in den Handen der Juden lag, so war damit die gesamte
stadtische Bevolkerung in den Handen der Juden. Die Stadter wurden
mit ihren eigenen Waffen verpriigelt. Der Jude als alles aufkaufender
Handler konnte die landlichen Produkte zu den Terminen an die Stadt
weiter verkaufen und liefern, die seinen Interessen entsprachen, und er
konnte bis zu einem gewissen Grade auch solche Preise fordem. die ihm
141
2o;nru* Sounitod. „£a§ mir raei Snub mit bcinr
Gentimentelititott, flXdrbt!-
Stmolio Sojenitod. .23fnn bu flrtiltetl tmf idf fitbif.
lotnn bu ror mir jirbltcit loif id) dot bir firrjlc. Jriioilt bn
mtbr ficfjlcn ots bu ficbr.fr. tnuili bo bu o6« nid)t netiril roie
id) pc^l uiib nid)t dot mil pebtit ro i ( id) dot bii fifbt . biff
bu nid)I Tontb. ba 6 id) dot bir fitbi. roaS id) uor bir fittjl.'
148. Fliegende blatter
*"*"'«> "•••■ «'«»»«■* pafiten. Diese Situation machte den Kornhandel
ohne weiteres zum Kornwucher. Der Jude
hielt, soweit es irgend ging, mit dem Verkauf
des Getreides immer so lange zuruck, bis ein
starkes Bedurfnis in den Stadten vorhanden war,
denn dann konnte er stets die hochsten Preise
erzielen. Dem Bauern dagegen kaufte er sehr
oft das Getreide schon ab, wenn es noch auf
dem Halme stand, und dann eben billiger, weil
der Bauer in den meisten Fallen Geld brauchte
und damit nicht bis zur Ernte warten konnte.
In jenen Zeiten, wo es im Kornhandel noch
keinen iiber ganze Lander, geschweige denn iiber
die ganze Welt ausgedehnten Handel gab, und
wo man infolgedessen nicht ohne weiteres den Ausfall des einen Gebietes
durch den Oberflufi des andern ausgleichen konnte, mufite eine solche Situa*
tion bei dem naturlichen Wechsel in dem jeweiligen Ernteertrag schon in
normalen Zeiten zu haufigen Storungen in der Ernahrung fuhren, und vor
allem zu manigf achen Preisschwankungen. In den Jahren einer Mifiernte
mufite es geradezu zu schweren Hungersnoten kommen. Wenn nun ein
solcher Fall eintrat, so erblickte die Bevol*
kerung in den Kornhandel treibenden Jus
den stets die Hauptschuldigen, wenn nicht
gar die Alleinschuldigen ihrer Note. Die
Grunde, womit die gegen die Juden erho*
benen Anklagen gestutzt wurden, lagen
auf der Hand. Man sah, dafi die Korn*
handel treibenden Juden die Schwierig*
keiten der Ernahrung so viel als sie konn*
ten zu ihrem Vorteil nutzten, dafi sie mit
ihren Vorraten so lang als moglich zuruck«
hielten, dafi sie ihre Getreidespeicher nicht
selten erst im letzten Augenblick offheten,
und dafi hierdurch die Preise immer mehr
in die Hohe gingen. Das nach Brot
Seljr ipaljrjrficiuiicij.
.Urn Sergrbung, room) id) [lure, gnnbigr 3rou
lid) loobl nod) uieiner enuncru id) fjfiBe fDtoicr
,3)lein 4H cr, id) geflrbe ojjen . bob id) mid) ,11001 uid)t
auf 3hie 'CbDtiogHoiiiic rnifinne, abrr es liirimil mil sot, ais
f)d!i' id) 3bTen Stamen idlon entiuni grbort "
14-9. Fliegende Blatter
142
schreiende Volk erkannte in dieser Methode selbstverstandlich nicht das
Gesetz des Kapitalismus, der immer in dieser Weise verfahrt, und um kein
Haarbreit anders, wenn er in den Handen von Christen sich auswirkt.
Weil es dieses Gesetz nicht erkannte, so stempelte es den Kornjuden
zum individuellen Verbrecher an der Gesamtheit. Und dementsprechend
formulierte es seine Anklagen gegen ihn. Da das Volk unter dem Korn*
wucher tatsachlich in seiner Gesamtheit und am schwersten zu leiden hatte,
so zahlten die satirischen Anklagen gegen den Kornwucher der Juden zu
den heftigsten und zugleich zu den haufigsten, die gegen die Juden erhoben
wurden. Immer und immer wieder und in alien Landern begegnet man
ihnen. Der wuchernde Kornjude, der dem Volk das Korn wegschleppt,
oder der wie ein Teufel auf den Kornsacken sitzt, ist eine stereotype Figur
in der Judenkarikatur. Der Teufel als Symbol alles Schlechten ist auch in
diesem Fall des Juden steter Bundesgenosse: der Teufel lenkt die Gaule an
den mit Kornsacken beladenen Wagen, auf
denen der Jude das Getreide von den Bauern
abholt; der Teufel schaufelt das gehamsterte
Getreide in die Speicher der Juden; der Teufel
leitet aber auch das Fuhrwerk, mit dem der
wuchernde Jude in rasendem Tempo direkt
in des Teufels Rachen kutschiert. Auf diese
Weise charakterisiert und geiCelt die Karika*
tur den judischen Kornwucher. Da der Jude
aber nicht nur mit Korn, mit Weizen, Roggen,
Hafer und Gerste wuchert, sondern auch mit
Wein und Branntwein, „aller Wein des Landes
muli in der Juden Fall und durch der Juden
Fall", so wird er zumeist als Korn* und Wein*
jud zugleich angegriffen. In dieser Gestalt
zeigt ihn das Blatt „Der Geiz* und Wucher*
spiegel" (Bild 44) und die grofie Beilage „Der
Korn* und Weinjud", von der im Laufe des
17. Jahrhunderts mehrere Variationen erschie*
nen sind (neben S. 32). Was das durch Klar*
heit, Einfachheit und Pragnanz sich auszeich*
Vivat Ordnung und Freiheit!
Und MarzsErrungenschaft. —
So sing i allewei, seit
I bin in der Gesellschaft!
Schnadahiipfeln
150. Flicgende Blatter. 1851
143
nende 16. Jahrhundert in einem halben Dutzend verschiedener Karikaturen
den Massen demonstriert hatte, das vereinigt das 17. Jahrhundert, wie
man an diesen Proben sieht, in einem einzigen Blatt. Es ist nicht mehr alles
in einem einzigen Symbol gefafit, sondern in Dutzende verteilt, sodafi ein
Fliegendes Blatt, wie das vom Korn* und Weinjuden, zu einem ausfuhr*
lichen Kommentar alles judischen Handelns und Treibens wird. Was dem
Karikaturisten iiber die Juden irgendwie einfallt, wird in Form einer
zeichnerischen Glosse in solch ein Bild hineingepackt: Der judische Geiz,
die judische Hartherzigkeit, die judische Unehrlichkeit, der judische Wucher
in alien Formen usw. Da die kurtstlerische Potenz in Deutschland um jene
Zeit fast ganz erloschen und die Kraft zu groCstiliger Pragung erlahmt
war, so verdTangte das bildlich4iterarische vollkommen alles plastisch
Anschauliche. Freilich wird man wohl auch sagen mussen, dafi diese Form
des Vortrags die propagandistische Wirkung der Karikatur wahrscheinlich
sehr eindringlich machte. An solchen Blattern, in denen wir die erste Form
der spateren volkstumlichen Bilderbogen vor uns haben, konnte der ein«
faltige Sinn des Volkes immer wieder von neuem herumspintisieren; sie
boten ihm stets irgendeine neue Anregung, und darum wurde die Zeit
nicht miide, dieselben Blatter immer wieder von neuem herauszugeben.
Der judische Kipper und Wipper. Ich habe im dritten Kapitel
nachgewiesen, wie der Jude infolge seines grofieren Reichtums an Barmitteln
und noch mehr infolge seiner besonderen intellektuellen Fahigkeiten fur
alle Gebiete der Geldwirtschaft allmahlich zur herrschenden Finanzmacht
emporgestiegen ist. Diese Tatsache fand ihrenaufieren Ausdruck zuerst durch
diebesondershaufige Verpachtung von furstlichen, bischof lichen und stadti*
schenMunzstatten an die Juden. Selbstverstandlich war damit dem skrupel*
losesten Egoismus und einer ununterbrochenen Ausplunderung der Volks*
massen Tur und Tor geoffnet. Freilich nicht etwa blofi deshalb, weil diese
Munzstatten vorwiegend an die Juden verpachtet wurden, sondern weil
uberhaupt die Geldauspragung aus einem behordlichen zu einem privaten
Unternehmen gemacht wurde, bei dem die amtliche Kontrolle nur ganz
ungenugend sein konnte, und bei dem man uberhaupt gar nicht strenge
sein wollte. Die grofite Gefahrlichkeit dieses Betriebes, die seine Wirkung
144
Der wandernde Ewige Jude
FarbiRer liolzsclmiit von Gustive Doic. 1S52
„Jud, dir kuckt der Spitzbub aus dem
Gesicht."
,,Mai, hab l ich doch nicht gewufit, d-iti
mein Gesicht ein Spiegel war."
151. H. Ritter. Diisseldorfer Monatshefte
schliefilich zu einer katastrophalen fur
die gesamte Volkswirtschaft machte, be*
stand jedoch darin, dafi die Verpachter
der Munzstatten an ihre Pachter Forde*
rungen stellten, die an sich schon nichts
anderes als ein glatter Betrug auf Kosten
der Taschen des Volkes waren. Die
privaten Munzmeister sollten das Geld
strecken! Sie sollten durch immer groGe*
ren Zusatz von Kupfer bei den Silber*
munzen die seitherigen Munzen gerings
wertiger auspragen, sie sollten aus einer
alten vollwertigen Munze vier, fiinf, ja
bis zehn neue — zum gleichen Werte her«
stellen. Auf diese Weise glaubten und
hofften im 17. Jahrhundert die Munzherren, Fursten und Stadte aus ihren
besonders im DreiCigjahrigen Kriege immer grofier werdenden Geldkalamis
taten herauszukommen. Die Banknote und die Notenpresse gab es damals
noch nicht, also konnte man noch nicht mit den Mitteln „arbeiten", wie es
seit dem Weltkriege in alien europaischen Staaten geschieht. Aber das schliefi*
liche Resultat war damals dasselbe wie heute: der vollige Zusammenbruch
der Geldwirtschaft.
Wer die systematische Munzverschlechterung in dieser Form urspriing*
lich erfunden hat, ob ein schlauer judischer Ratgeber oder ein in schweren
Geldnoten brodelnder christlichsfrommer Landesvater, steht bis heute nicht
fest, wohl aber steht die Tatsache fest, daft diese Methode bereits sehr aus*
giebig von einer Reihe Fursten gehandhabt wurde, noch bevor sie ihre
Munzstatten an diejuden verpachtet hatten. Die erste Funktion derjuden
bei diesem Geldverwasserungsprozefi bestand darin, das alte vollwertige
Geld zusammenzuholen, und das neue minderwertige in Kurs zu bringen.
Selbstverstandlich konnte hierfur uberhaupt niemand anders in Frage
kommen, als die Juden, da diese nicht nur die grofiten Bargeldbesitzer,
sondern auCerdem in alien Landern seit Jahrhunderten die privilegierten
Wechsler waren. Als die Munzherren zu der Uberzeugung kamen, daft
sie bei dieser Gaunerei im grofien ein noch viel besseres Geschaft machen,
Fuchs, Die juden in der Karikatur
145
Ser "J'Jjie ©ef)utt§tag ber ©rofiimitter.
HBinu flit roerb pari, metnc Setten, fcin ©ic ubtcjcogt, tD«b* id} unmodjcn b«©tabt en Sfopitdtcbc Don 100,000 ©ulbcu."
1S2. Karikatur auf Rothschild. Fliegende Blatter
wenn sie auch den technischen Betrieb der Umpragung in die Hande von
Privatpersonen und vor allem in die von Juden legten, fafiten sie alle der
Reihe nach diesen heroischen Entschlufi, ihre Untertanen auf diese fur ihre
furstlicheTasche lohnendste Weise zu prellen. Wie rentabel diese Prellereien
fur manche Fursten waren, erweist die eine positive Zahl, daft die Wiener
Juden, denen die kaiserliche Munzstatte verpachtet war, im Jahre 1618 dem
Kaiser blofi die kleine Summe von wochentlich — 19000 Gulden ab«
liefern mufiten. Das durften nach heutigem Geldwerte ungefahr eine viertel
bis eine drittel Million Goldmark gewesen sein.
Um solche und ahnliche Summen wurden die getreuen Volker von
ihren vaterlichen Fursten und Obrigkeiten jahrzehntelang bestohlen — bis
der Zusammenbruch da war. Zuerst begriffen die Massen den Betrug
naturlich nicht, weil sie damals noch weniger als heute eine Ahnung von
den Zusammenhangen und den Gesetzen der Geldwirtschaft hatten. Man
freute sich im Gegenteil daruber, daft man plotzlich so viel mehr Geld
hatte; genau wie heute. Als aber die unkorrigierbaren Gesetze der Wirt*
schaft eines Tages mit ihrer furchterlichen ehernen Logik auftrumpften und
dem Volke zeigten, dafi sein Besitz sich in Nichts aufgelost hatte, daft es
146
Sent tSexbieufte feitte kronen.
Teufelsgold, d. h. Teufelsdreck besafi, wie man das entwertete Geld nannte,
da gingen die emporten Volksmassen — nicht etwa hin und jagten die
grofien furstlichen Auftraggeber und obersten Nutzniefier der Geldvers
schlechterung mitsamt ihrer liederlichen Politik zum Teufel, sondern sie
schimpften wie ublich morderlich uber die Juden, was viel verlockender,
weil ganzlich ungefahrlich war. Es entstand die grofie Literatur uber die
judischen Kipper und Wipper, in der man seinen gerechten Zorn leider
nach der ziemlich falschen Seite austobte. Mit dem Schimpfwort „Kipper
und Wipper" wollte man die Juden als die betrugerischen Benutzer der
Geldwage kennzeichnen. Mansagte: Siekippen und wippenbeim Abwagen
des Geldes so geschickt, dafi sich die Schale der Geldwage immer zu ihren
Gunsten senkt. Nicht weniger wutend als man einst uber die judischen
Wucherer geschimpft hatte, schimpfte man jetzt uber die Kipper und Wip«
per. Die Karikaturen, die uns Zeugnis von dieser allgemeinen und sehr
lange wahrenden Volkswut ablegen, ahneln inhaltlich und technisch volls
kommen denen auf die Korns und Wein«
juden; denn sie stammen ja ausnahmslos aus
derselben Zeit: der ersten Halfte des 17. Jahr«
hunderts. Die Satire bedient sich also auch
hier ausschlieClich einer umstandlichen Sym«
bolik, die fur uns nur zeitgenossisches Inter*
esse hat. Ein typisches Beispiel dieser Karika*
turen ist der Kupferstich „Der judische Kipper
und Aufwechsler" (Bild 46). Die satirische
Moral tritt in alien diesen Blattern, wie da«
mals ublich, in einem religiosen Gewande
auf. Der Teufel, der Engel des Guten, die
Verkorperung des Geizes, der Gerechtigkeit,
der Unersattlichkeit usw. sind die stereotypen
und durftigen Requisiten der Symbolik, die
man bei den verschiedenen Karikaturen nur
verschieden gruppiert sieht. Da die Geldver«
schlechterung die gesamte Existenz der Massen
auf lange hinaus gefahrdete und die Erholung
nur sehr langsam sich vollzog, so wurde des
23ei6 ©ott, Salomon, tjafte nidjt befommen Dor Seine
ferdjlertidje Hufopftrung Dot gerjl unb 3kter!anb en' Stem?
— is jet^n ^Seijent §ail S)e ni^t betomme ben Xitel oon
e ©ocoun? t>ajl 3}e getnunne nod) 15 <perjenll SSarum
lottp be nit adt b,aifcn 5>roptietoit=3nt|abec Don e Regiment
Don be Keiterei? U 20 ipetjent! — 38 Solomon Stolen -
jtueig gfRieger. ojn faafunDerj'g 'Jlerjenll!"
153. Fljegenck- Blatter
19*
147
Kippers und Wippers ebensolang in der Karikatur auch dann gedacht,
wenn man irgend eine andere Seite der judischen Geschaftstatigkeit kari*
kierte. Und da man es damals liebte, wie ich oben sagte, in eine Karikatur
alles hineinzupacken, was einem Nachteiliges iiber den zu Karikierenden
gerade einfiel, so finder man auch in den zahlreichen anderen Karikaturen
jener Epoche Einschiebsel, die sich auf den judischen „Kipper und Wipper"
beziehen. (Vgl. auch die Beilage „Der Korn* und Weinjude" neben S. 32.)
Der Hofjude. Die Institution des Hofjuden, des personlichen Finanz*
vertrauensmannes des regierenden Fursten, die ihre hochste Bluteim 18. Jahr*
hundert erlangte, so dafi es um jene Zeit nur sehr wenige europaische Hofe
ohne einen oder mehrere Hofjuden gab, hat bei dem Volke immer Haf?
und Feindschaft ausgelost. Diese Feindschaft war an sich schon in dem
Widerwillen der Volker gegen das absolute Regiment begrundet, dessen
wichtigster Handlanger der Hofjude war. Dazu gesellte sich, daf? — wie
immer — auch in diesem Fall der Vollstrecker mehr gehafit wird als der
Urheber. Was im Wesen des furstlichen Absolutismus von vornherein
begrundet ist: willkurliche Steuererhebung, Munzverschlechterung, Amter*
verkauf, Dienstwucher und ahnliche finanzpolitische Gaunereien, alles das
wurde zumeist den jeweiligen Hofjuden von der Offentlichkeit als person*
liche Schuld angerechnet, wahrend sie doch immer nur die Erfuller der
Wunsche ihrer Brotherren waren. Womit
naturlich nicht bestritten ist, daft die Hof«
juden bei der Erfullung der ihnen uberwie«
senen Aufgabe, die furstliche Hofkasse
tagtaglich aufzufullen, in fast alien Fallen
auch der Fullung der eigenen Kasse nicht
vergafien, sondern dieses mit grofitem Eifer
und mit immer glanzendem Erfolg taten.
e«.«i. f«* w vmtt a, ? «ft a.i«at e .s«™»! Freilich: gerade das letztere sahen die
unb Pa fdjju Ijcr, H'.is id; erfjaiicelt Ijoo for a |a)oiic3 blucfuje O
■in ten nb!
G<iroIj. ^Jfiii Samuft, lua3 madjflSu far ©cfpaH? Sic
;ift S)u JjcimfcliJigcu foldjc Sum pen?
SoiuiicI, 23ie Ijaiijl Sivmptn? 3<J) Jag' Sir ©ara^
[*I .""*' "'f"; *>'". »*" 6 «i"»J>™pn. t»«, s <6e,; m achtiger und reicher wurde, daf? er sich eine
o orodjuve , Idas xiirtjUjinri£{t bie flouje SiifttcrBiiutio, °
ist. Funsch. Miinch.n grofie Dienerschaft und prachtige Karossen
148
*' 1 '" E! Massen. Denn das war ja das Augenfalligste
r™*, »„ t™ t ,i„ s .„ i*s«p..! f ar sie> d a ^ <} er Hofjude von Tag zu Tag
Die Borse oder die Knute!
155. Honort Daumier. Karikatur auf die Brandschatzucg der russischen Juden durch Nikolaus I. 1855
hielt, dafl er sich die schonsten Palaste kaufte, prunkvolle Feste gab, und
dafi niemand zu einem Posten und zu seinem Recht kam, der nicht den
Beistand des Hofjuden zu erringen vermochte. Oder in einem Vergleich:
das Volk in seiner Masse, das damals sehr wenig oder meistens uberhaupt
nicht an die dem System entspringenden Zusammenhange dachte, sah in
erster Linie den, der das Metzgerhandwerk an ihm auszuuben hatte, und
das war in der Finanzwirtschaft der Hofjude. Und deshalb fluchten sie ihm
und machten ihn zum mindesten fur die jeweiligen Methoden ihrer Aus«
wucherung verantwortlich.
Diese uberall gleiche Stimmung der Bevolkerung gegenuber den Hofs
juden zeitigte zahlreiche Karikaturen und literarische Satiren auf sie. Da
149
f~
-"*
©c&iditc imb<Sd)crje iu ifl&tfdjcrSftiiiibnrt,
SlfaS ten tytttttlafimeu Japicrcn
MB
Slathmi STuIp en t^af,
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.. 93S&J
t).Vn?rl <3il*«tfl# m (burin =c&F!r. jrtldicEainJ UnrerliftliJUil urn « t tSdidci
iir m ^bejitis ttcat'fiUTii, nj*tufcnB:j
^■CTdnfdlo ocrlicr* mcr bic llbr nifdjr!"
jtrcijj 2 1 /., <£ilbcr<trtf]"d>cn.
(CSnotD plod).
Qirms: 2. SiilTori! 53ird>luiiblijn;j.
fflr ur nlttatc ?!r. 5 in 3«:in.
aber die Hofjuden in jedem Lande all;
machtig waren, und vor allem in der
Justiz ihr gefugigstes Werkzeug be*
safien — denn Richterstellen konnte
man gemafl des Amterverkaufs damals
haufig nur durch sie erlangen — , so war
ein offentlicher Angriff ihrer Person
oder ihrer Tatigkeit ebenso gefahrlich
und deshalb auch ebenso selten, wie
ein solcher Angriff auf den regierenden
Fursten. Was darum an gezeichneten
oder literarischen Pamphleten gegen
die Hofjuden gemacht wurde, konnte
nur heimlich erscheinen, und das meiste
kursierte sogar nur handschriftlich.
Aus diesem Grunde sind auch die
meisten dieser Produkte fast restlos vers
lorengegangen, so dafi man von ihrer
ehemaligen Existenz nur aus verein«
zelten zeitgenossischen Berichten in Briefen und Tagebuchern etwas erfahrt.
Offentlich und durch den Druck konnten solche Angriffe im gunstigsten
Falle nur nach dem etwaigen Sturz eines Hofjuden herauskommen. Dieser
Fall lag bei dem beruhmtesten aller Hofjuden vor, bei dem Juden Sufi*
Oppenheimer, dem vielverlasterten Hofjuden des Herzogs Karl Alexander
von Wiirttemberg. SuC^Oppenheimer war sicher kein Musterbild der Ehr*
lichkeit und der selbstlosen Aufopferung im Dienste seines schwabischen
Herrn. Er hat als geheimer Finanzrat die eigenen Taschen reichlich gcfullt,
und er hat die ihm verliehene Macht weidlich miCbraucht zu Gunsten
seiner eigenen Interessen. Auch sein sittlicher Lebenswandel war nicht
gerade vorbildlich. Er liebte die schwelgerischen Freuden der TafeL, er
liebte die Genusse der Venus, auch wenn die Spenderinnen nicht koscher
waren; er liebte den Luxus in jeder Gestalt und ganz besonders in alien
Formen des offentlichen Auftretens. Wenn er ausfuhr, so geschah dies stets
im kostbaren Galawagen und begleitet von Vorreitern und zahlreicher
Dienerschaft Sein Machtgefuhl veranlaCte ihn, von alledem der Offent*
156. Titelblatt einer Berliner Anekdotensammlung
150
hi
©ebidjte unb Sdjerje in jiibifdjerSWunbart.
JV? 3.
Scfjmod? 2Itf»tje^n.
^3r-
S ftrei3 2 V 3 gilbctfltpfcfrcn.
(£Buar£i filed).
in 3) (din, 3tst«ilta&e i.
lichkeit nichts zu verheimlichen. Also
alles in allem: der Jud Sufi war kein
Mustermensch und kein Musterjud.
Sein endliches Schicksal, dafi er nach
dem plotzlichen Tod Karl Alexanders
verhaftet, nach ..peinlicher" Unter«
suchung zum Tod verurteilt, und aller
Welt zum Spott in einem eisernen
Kafig an einem eisernen Galgen auf
einer Anhohe vor Stuttgart aufge*
henkt wurde, braucht als solches die
Nachwelt nicht mehr aufzuregen. Und
trotzdem gibt es kein gemeineres
Zeugnis fur die Engstirnigkeit und
politische Charakterlosigkeit der das
maligen Burgerkanaille, als die Flut
von Schmahungen, die iiber den Juden
Sufi bei seinem Sturz im Jahre 1737
und noch lange nachher ausgegossen
wurde. Alles was der Jude Sufi „verbrochen" hat, die Gaunerei bei der
Munzpragung, den Amterschacher, die willkurliche und brutale Steuer*
erhebung, die schweren Mifibrauche der Justiz usw. — alles war in letzter
Instanz herzoglicher „Wunsch". Wenn der Jude Sufi durch diese Methoden
auch in schamloser Weise die eigenen Taschen fullte, so flofi der Hauptteil
des Raubes doch in die Kasse des mehr als skrupellosen herzoglichen Lan«
desvaters, des Duodez«Despotchens Karl Alexander, der in seiner schwabi*
schen Tolpelhaftigkeit den franzosischen Sonnenkonig kopieren wollte, und
der fur seine aberwitzigen Soldatenspielereien nie genug Geld von Sufi her*
beigeschafft bekommen konnte. Und gegen diesen Musterdespoten sagte
der sogenannte ..ehrliche Volkszorn" kein Wort. Er gait nach wie vor als
der wurdige, brave Landesvater, der einzig von dem schlechten Judenkerl
umgarnt und mifibraucht worden war. Freilich, um selbst einen toten Lan«
desvater anzugreifen, hatte es „Burgerstolz vor Konigsthronen" bedurft;
denn die furstliche Verwandtschaft hat dem Volke gegenuber immer Soli*
daritatsgefuhl bewiesen, auch wenn ihr, wie in diesem Falle, der Verstor*
157. Titclblatt einer Berliner AoekdoteosammluDg
151
bene tot sympathischer als
lebendig war. Zum mafiloses
sten Angriff gegen den aufge*
henkten Judenhund bedurfte
es aber keines Mutes, also be*
tatigte ihn der Burger um so
stoker. Die schwabische Re;
gierung, vertreten durch die
verwitwete Herzogin, wufite
andererseits sehr wohl, was
sie tat, wenn sie, wie es hiefi,
..gerechterweise" zuliefi, dafi
sich der Volkszorn nicht nur
bildlich und literarisch an dem
toten Juden Sufi austobte,
sondern dafi er sich aufierdem
an alien seinen Stuttgarter
Glaubensgenossen mit den
Fausten giitlich tun durfte.
Auf diese Weise hatte man die
sichere Gewahr, dafi die auf*
gespeicherte Volkswut restlos verrauchte, und dafi die herzogliche Mit«
verantwortlichkeit an dem jahrelangen Erpresserregiment in Wiirttemberg
ganzlich aus dem Spiel blieb. Es war die alte Methode, weshalb man die
Juden fur die Siinden der Regierenden extra hatte erfinden miissen, wenn
sie das historische Schicksal uns nicht sowieso auf unsern Weg gefuhrt hatte.
Von den verschiedenen satirischen Darstellungen, die sich an den Sturz
des Hof juden Sufi kniipften, erfuhr die typographische Anordnung eines
Spottgedichtes in der Figur des Galgens mit dem Kafig, in dem Sufi zur
Schau aufgehenkt wurde, die starkste Verbreitung (Bild 53). Des weiteren
sind neben seinem karikierten Portrat auch mehrere Spottmiinzen gepragt
worden, von denen die eine ebenfalls den eigenartigen eisernen Galgen zeigt
(Bild 51). Auf diese Spottmiinzen komme ich in einem spateren Kapitel,
das speziell den Spottmiinzen auf die Juden gewidmet ist, naher zu sprechen.
Salomon und Rebckka im Griincn
158 Berliner Karikrtir
152
[)is Jun>;ste Gericht endt-t seine Qualen
Der Ewige Jude
Kranziisischcr Ilolzschnitt von Gustave Dort. 1856
Bridge tu FdmrJ Fuihs, .Die Juden in der Karik ilur'
Alt*H Lucre, Mflncfcm
Der Jude als Soldat. Von den *>" * K " sd,mn<t -
Tugenden, die man dem Juden immer
absprach, steht an erster Stelle der
personliche Mut gegenuber korper*
lichen Gefahren. Man beschimpfte
ihn ebenso oft als feig und behauptete :
jeder Jude huldige mehr oder we*
niger dem in seiner Richtigkeit gewifi
nicht zu bestreitenden Satz: „M6g«
lichst weit vom Schufl ist der Vor*
sicht bester Teil". Und weiter sagte
und witzelte man: „der Jude konne
uberhaupt das Schiefien nicht ertra*
gen". Wie weit diese Charakteristik
zutriff t, ist eine noch unentschiedene
Frage. Dafl es eine Form des Mutes
gibt, die viel bewundernswerter ist
als der hochste physische Mut, brau«
che ich hier nicht erst zu beweisen. 159. staub«. FHe gt nd t Biateec
Was dagegen nicht unangebracht ist, hier hervorzuheben , ist die Tat*
sache, dafi physischer Mut bis zu einem gewissen Grad ein Gefuhl des
individuellen SelbstbewuCtseins voraussetzt. Wer sich absolut recht* und
schutzlos weifi, ist an sich ganz naturgemaC mutlos. Er ist jedenfalls eher
f rech als mutig. Auf diese Weise erklart sich auch die sogenannte judische
„Chuzbe", die alles in sich birgt, was Mut sein konnte, aber doch eine ins
Niedrige sich senkende Abart des Mutes ist. Weil der wirkliche, der stolze
Mut, als Massenerscheinung ein Gefuhl des individuellen Selbstbewufitseins
voraussetzt, darum liefie sich wahrscheinlich zum mindesten das eine er*
weisen, dafi namlich heute der physische Mut der Juden ein ungleich
grofierer sein diirf te als zu Zeiten ihrer volligen burgerlichen Rechtlosig*
keit. Oder was ein allgemeiner und nicht nur hinsichtlich der Juden sehr
beachtlicher Gesichtspunkt ist, dafi nicht nur der physische Mut, sondern
jede Art Mutstets im selben Verhaltnis positiv oder negativ ist, in dem das
Einzelindividuum, eine Klasse, oder eine ganze Volksschicht iiber das Recht
auf Selbstbewufitsein im Rahmen der Allgemeinheit verfugt.
„§n«n Sie. iSaron, Dljre JJrau Qtmaljltn tragi Oa eintn Edjmmf.
raie idj in 5J)aii3 unb Conbon [eintn jdjoniren jal) !"
„!Rtd)t Ijnb'n ji, ^ittt ©raf ; rtijt Ijab'n [e. unb loaS bte ^auptjad)
tS — mein' JJrau. bit Saionin jitfjt'n an im 3ubr jroitmal, oieQeidjl aad)
breimal, unb toft' il)t oQentat jtdjjefjnhmi&ttt Gtulben, io*nn met brrtd).
net bie $rojent flit's Sapital/ toaS id) §ab' gegebrn fur Oie Sraner '"
Fuchs, Die Juden id der Karikatui
20
153
Vorgethan und nachbcdacht hat manchen urn Geld und Gut gcbiacht
160. Kixikitur luf die Mitlkidilosigkeir det jadi xhen Wuchcrcr
An sich entspricht dem Oberwiegen des Intellektualismus bei einem
Individuum ganz von selbst ein naturlicher Abscheu gegen alle physischen
Formen der Beweisfiihrung und darum auch ein Ausweichen, wenn es zu
solchen zu kommen droht. Da die Juden, wie ich weiter oben nachge*
wiesen habe, in ihrer Gesamtheit unbedingt intellektualistischer sind als
z. B. wir Nordlander, so wiirde dem auch ein allgemeiner Abscheu gegen*
iiber alien gewalttatigen Handlungen entsprechen. Dieser Schlufif olgerung
stehen jedoch zahlreiche verbiirgte Beobachtungen des Weltkrieges und der
Revolution entgegen. Diese beweisen, dafi Tausende von Juden dieselbe
Summe personlichen Mutes gegeniiber physischen Gefahren aufbrachten
wie ihre nichtjiidischen Kameraden. Von hervorstechenden Einzelbeispielen
seien nur die folgenden genannt. Die russischen Rotarmisten behaupten,
dafi es in der ganzen Sow jetarmee keinen mutigeren Soldaten gabe als ihren
jiidischen Oberbefehlshaber Trotzki. Auch von dem ungarischen Juden
Bela Khun steht es fest, dafi erein iiberaus kiihner Heerfuhrer ist. Der sows
154
jetistische Generalstab hat ihn wahrend des Burgerkrieges mehrfach an
solche Stellen kommandiert, wo vom personlichen Mute des Fuhrers und
seiner Kuhnheit die Rettung aus der groCten Gefahr abhing. Unter diesen
Umstanden ware also der starkere Intellektualismus jedenfalls nicht ohne
weiteres mit physischer Feigheit zu iibersetzen. Denn bei einem Mann wie
Trotzki wurde sich mit hochstem physischen Mut der hochste Intellektua*
lismus paaren; selten hat sich ein Staatsmann geistig beherrschender era
wiesen als Trotzki in BresbLitowsk. Wenn es auCerdem wahr sein sollte,
was die Antisemiten so fest behaupten: dafi der kuhne napoleonische Ge«
neral Massena ein Jude gewesen ist, und ursprunglich Manasse hiefi, so ware
schon durch diese wenigen Beispiele hinreichend erwiesen, dafi kuhnes, zur
Selbstaufopferung bereites Heldentum nicht unbedingt die christliche Ge*
burt voraussetzt.
Aber es gibt sicher auch sehr viel Falle, wo in diesem Punkte der Schein
unbedingt gegen die Juden spricht. Und da die Karikatur, wenn sie im
Dienst einer Tendenz steht, gar nicht gerecht sein will, so nimmt sie stets
den Schein fur die Wirklichkeit, wenn dieser Schein in ihr Programm pafit.
Das erklart die zahlreichen Karikaturen auf die angeblich typische Feigheit
der Juden und vor allem auf die angeblich besonders typische Scheu der
Juden vor dem Soldatwerden. Zu solchen Karikaturen kam es zuerst im
18. Jahrhundert und anscheinend am fruhesten in Osterreich, weil dort die
Juden zuerst zum Militardienst gezwungen
wurden und das sich Loskaufen vom Militar*
dienst aufgehoben worden war. Die besten
dieser osterreichischen Karikaturen auf die
Juden als Soldaten stammen von dem da*
mals popularsten Wiener Karikaturisten, dem
Kupferstecher Johann Loschenkohl. Sie sind
sehr amusant, vor allem der grofie Stich, den
ich als Beilage gebe. Zum besseren Vers
standnis sind diese Stiche stets mit Versen
versehen. Bei Bild 57 sind diese sogar die
Hauptsache. Da die grofie franzosische Re*
volution unter der Gleichberechtigung, die
sie den Juden verlieh, selbstverstandlich auch
SBerfiner Storie.
gtgtttn, anl Han&se.dur.
161. Bremse, Munchet
20*
155
die Pflicht zum Militardienst verstand und da manche franzosische Juden
auf diese Beigabe lieber verzichtet hatten, so entstanden in der franzosischen
Revolution einige Karikaturen auf den Juif als Soldat contre cceur. Auf der
einen sieht man einen Juden, wie er mit der einen Hand begehrlich nach
dem Burgerbrief greift, den ihm die Republik uberreicht, mit der anderen
Hand aber weist er gleichzeitig ganz angstlich eine Muskete von sich, die
ihm zugleich mit dem Burgerbrief ubergeben werden soil. In Deutschland
kam es in den zwanziger unddreifiigerjahren des verflossenenjahrhunderts
zu einer ganzen Legion von Karikaturen auf den Widerwillen der Juden
gegen den Militardienst. Einige der besten gebe ich in den Bildern 103—106.
Da ich im weiteren Verlauf dieses Buches nicht mehr in einem geson*
derten Abschnitt auf den Juden als Soldaten zu sprechen komme, so mochte
ich schon an dieser Stelle bemerken, dafi unter den zahllosen Witzblatt*
illustrationen der internationalen Witzblattpresse des 19. und 20. Jahrhun*
derts ebenfalls sehr haufig das Motiv vom Juden im Militardienst in alien
moglichen Variationen wiederkehrt.
^n fiie [jmnffurttT San^irinS, H>cld)( in tylqt ocr
Sf!|anblung btr ©rati fid) Jut 3IusrcanGentnc) <nt[dj!c|j(n, CT:
fl«bfn tic Dtt[4ifteniUn Slnerbiftimani. Dif(tr unbjcufr |ubb(ut[d)e
Stoat fud;t fie !,ii fidj b<n"ibcrju;ir!jcn.
Sdjroabt. _^u wig mujje ©' tomme, £>errle, bet Un3
fjmfdjt gieitjcit uiib a g'orbneter 3ne|tanb. ©tuttgarbt i§ q
iounberid;on'3 ©rouftdblle unb a guetc Gamebie ill au' bort,
locnn ©' a Jreunb ballon fin'.
Scntr. atj, loaS tbun ©' benn £ei bit ©djroab'n? 9tad)
Sjanmt mii&en ©' gtlwn, n:enn Sie '§ ydjon fiabeu tttotieu.
Sa is '§ nod) toon" 3 u *" n fd)ted)t 'gauga. Jur Sbiirn
gibt'3 teinen anbtm Drt at§ Tiundjen. Gin neucr (Jifd)=
biuitnen, etnt auSgcjeidjiltfe „^fritonerin* / teintll Qatfen*
ilvcidj mc()T unb bie 3ad)au§fc$r auf 8 lage rcbucirt, brr
STuFeitlTiatl is jc&t tinjig
162. Punsch. Miinchen. 1868
Aufier diesen in der Karikatur immer
oder wenigstens mehrfach und in den vers
schiedensten Zeiten und Landern wieder*
kehrenden Motiven gibt es naturlich auch
solche, die man nur vereinzelt findet, weil
sie sich an ein spezielles Ereignis, oder was
dasselbe ist, an eine ganz bestimmte Person
knupfen.
Der damals in alien Landern verbreitete
Brauch, auffallige Naturereignisse, Mifige«
burten, absonderliche Sitten eines fernen
Landes und vor allem verubte Verbrechen
bildlich darzustellen und diese Dinge dann,
mit entsprechendem Text versehep, in der
Form von Fliegenden Blattern auf Markten
und Gassen zu verbreiten, — dieser Brauch
wurde auch gegenuber den Juden weidlich
156
2Bie tit 3ubcn in liei gjlollwu oerfoljt mreben.
ausgeniitzt. So haben wir Abbildungen 3»ta»«fot 3 un 3 cn o
iiber Judenverbrennungen im Mittels
alter, iiber die mannigfachen Juden*
ausweisungen, wie z. B. aus Rotten*
burg (Bild 18), aus Wien, aus Prag, aus
Frankfurt, iiber den Fettmilchaufstand
in Frankfurt, iiber seltsame judische
Gebrauche usw. Kam schon bei den
meisten dieser Darstellungen (Bild 81)
die Satire auch zum Wort, sei es durch hamische Bemerkungen im Begleits
text, sei es durch irgendeine zeichnerische Unterstreichung des judischen
Benehmens, so wurde der satirische Charakter fast immer uberwiegend,
wenn es sich um die Bekanntgabe irgendeines judischen Verbrechens han*
delte. Dasjenige judische Verbrechen, das die Flugblattliteratur am meisten
und dauernd befruchtet hat, ist der angebliche Ritualmord an dem Knab*
lein Simon von Trient im Jahre 1475. Wie ich schon friiher erwahnte, ist
langst erwiesen, dafi es sich bei dem Tod dieses Knaben weder um einen
Ritualmord, noch uberhaupt um einen von den Juden begangenen Mord
gehandelt hat, sondern einfach um einen Unglucksfall (die Leiche des zu*
fallig ertrunkenen Knaben blieb im Flusse vor dem Hause eines Juden
hangen), den der skrupellose JudenhaC raffiniert miCbrauchte, um die Ge*
muter zu allgemeinen Judenverfolgungen zu entflammen. Dieser Erfolg
trat leider nur zu oft ein, und kaum ein anderes Bild hat so oft die soge=
nannten .Judenschlager" auf die Beine
gebracht, die fanatisiert von Ort zu
Ortzogen, um dieWucherer zu strafen t
denen es aber vielmehr um Plunderung
der vermogenden Juden und um die
Vernichtung der in ihren Handen be*
findlichen Schuldscheine zu tun war.
Die typische bildliche Darstellung des
Knaben bemerkt man sehr oft auch im
Rahmen anderer Karikaturen; so sehen
wir sie als letztes Bild in der Bilder* Unl) Bie „,„„ flc in ^^ mi acrlilI ocrfl)l8t .
folge „Der Juden Badstub" (Bild 41) 163 „. m . Punseh , Mailchen . 1868
neunse^nten 3 (l ?) t % un ' ,evt -
157
165. Alter Jude. lOrikitur vcu> Alphonse L*vy. 1871
und ebenso auf den verschiedenen Frankfurter Karikaturen von der
Frankfurter Judensau; anscheinend war es auch auf dem Urbild der
Frankfurter Judensau am Frankfurter Briickenturm angebracht. Die Dar«
stellung des angeblich Trientiner Knabenmordes bekam durch den beis
gefiigten Text sehr haufig eine satirische Note. Das gleiche gilt von den
verschiedenen Darstellungen iiber die zahlreichen, den Juden zur Last ge»
legten Hostienschandungen. Die am haufigsten erwahnte und auch satirisch
dargestellte Hostienschandung ist die zu Sternberg in Pommern im Jahre
1492. Ich gebe hier das karikaturistisch behandelte Titelbild einer solchen
Schilderung (Bild 10). Auch durch diese Schilderungen mit ihren hand*
greiflichen Darstellungen des angeblichen Vorganges sollte der latente
Judenhafi zu entsprechenden Taten auf geputscht werden. Dal? es auch in
diesem Fall bei den entsprechenden Voraussetzungen mitunter zu den ge«
158
wunschten Folgen kam, ist ohne weiteres glaubhaft; denn eine Hostiens
schandung wiirde selbst heute noch fur ein strengglaubiges christliches Ge=
mut zu den furchtbarsten Verbrechen gehoren. Das ist in seinen Augen
ja nichts Geringeres als ein direktes korperliches Attentat auf Jesum
Christum. Im 15. Jahrhundert gab es in der Vorstellung der Glaubigen —
und das war die gesamte Christenheit — wohl uberhaupt kein todeswurdi«
geres Verbrechen. Wenn einem Karikaturisten friiher also nichts Aktuelles
einfiel, so brauchte er nur eine solche Legende, denn das war es in den
meisten Fallen, wieder aufzuwarmen, um des Erfolges sicher zu sein.
Neben den satirischen Flugblattern, die an diese alle Welt interessierens
den Motive anknupften, traten naturlich jene an Bedeutung sehr weit zu«
ruck, die die Entlarvung oder Bestrafung irgendeines diebischen oder sonst*
wie verbrecherischen Juden zum Gegenstand haben. Ein solches ist z. B.
das Flugblatt auf den diebischen Juden Amschel vom Jahre 1671 (Bild 49).
Ein ahnliches satirisches. Flugblatt erschien im Jahre 1740 auf den Juden
Isaac Nathan Ischerlen zu Ansbach, der wegen umfangreicher Betruge*
reien in dem genannten Jahr in Ansbach verhaftet wurde, und nun im
Kerker in Ketten geschmiedet sein Todesurteil erwartet. Der Zeichner
satirisiert den in seinem Kerker schmachtenden Juden, wie ihm der Teufel
in der Gestalt eines feuerumlohten Schweines erscheint, das in der einen
Klaue einen Geldsack (die Symbolisierung des ergaunerten Gutes) und in
der anderen einen eisernen Schurhaken halt, an dem der eiserne Kafig mit
dem darin eingeschlossenen Juden Sufi
baumelt. Auf diese Weise prophezeit der
Teufel dem armen Missetater das eigene
bevorstehende Schicksal. Die Karikatur des
Nathan Hirschl in Prag soil ebenfalls die
Karikatur eines betrugerischen Juden sein
(Bild 43). In dem karikaturistischen Kupfer
von Jakob Homburg, der einen in einem
Buche lesenden alten Juden darstellt, sind
die Juden durch den beigefugten Text so
geschildert, dafi ihr samtliches Denken und
Forschen uberhaupt nur dem Betrug diene,
um sie darin erfolgreicher zu machen: „Ich
Der Schiichterne
166. Wiener Karikatur von Klic
159
alter ehrlicher Schmuhl, Sitze hier auf meinem Stuhl, Ohr in meinem
Buch, Dafi mir glucke der Betrug". (Bild 54.) Das sind einige wenige
Beispiele fur diese Kategorie.
In dieselbe Kategorie gehoren naturlich auch jene Karikaturen allge*
meinen Charakters, auf denen frohlockend dargestellt ist, wie die Juden im
allgemeinen ihr verdientes Schicksal ereilt. Dieses Schicksal besteht regels
mafiig darin, daft sie, wie wir schon an anderen Blattern gesehen haben,
unbedingt eines Tages in des Teufels Krallen fallen und von diesem flugs
in den lodernden Hollenrachen spediert werden. Solches demonstriert uns
z. B. der satirische Kupfer „vom Mefikram der Juden" aus dem Anfang des
17. Jahrhunderts. Der Text dieses Kupfers erklart auch satirisch den Ur*
sprung und die Bedeutung des sogenannten .Judisehen gelben Rings", den
die Juden vielfach als sogenanntes Judenabzeichen, das sie jedermann als
Juden kenntlich machen sollte, an ihren Kleidern tragen mufiten (Bild 21).
Der satirische Kupfer „Die Judenholle" aus dem 18. Jahrhundert illustriert
wiederum, daft man zu alien Zeiten glaubte, die Juden dadurch am vers
achtlichsten zu behandeln, dafi man sie mit Schweinen in Verbindung brachte ;
denn der Satiriker verurteilt verbrecherische Juden zu der Strafe, in der
Holle auf Schweinen reiten zu mussen. (Bild 60.)
Der judische Typ, wie er heute in der Karikatur herrscht und jeders
mann gelaufig ist, ist, wie ich schon in einem anderen Zusammenhang er*
wahnt habe, eine relativ spate Errungenschaft; er ist erst das Resultat einer
ziemlich langen Entwicklung. Man findet ihn eigentlich nicht vor der
zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts. Erst um diese Zeit hatte er sich so
klar herausentwickelt, dafi er den Karikaturisten gelaufig und zur feststehen*
den Formel wurde, so dafi man in einer Zeichnung ohne weiteres an den
spezifischen Zugen, der Haltung und den Gesten einer Figur erkennen
kann, dafi in der betreffenden Person unbedingt ein Jude dargestellt sein
soil. Ursprunglich, also im 15. und 16. Jahrhundert, bediente sich die Kari*
katur zur Darstellung des judisehen Wesens hauptsachlich symbolischer
Mittel, indem sie dem Juden einen Geldsack in die Hand gab, oder indem
sie ihn vor einen Tisch mit Geld setzte. Ein weiteres sehr wichtiges und
darum auch oft benutztes Hilfsmittel, eine Figur als Juden zu kennzeichnen,
160
Nach dem Krach
Anonyme Wiener Karikatur. Lithographic. 1875
Beilage zu Eduard Fnchs, B Die Jades in der Karikatur'
Albal I-angoi, MBnchn
boten damals die den Juden an vielen Ortenvorgeschriebenen Merkmale
ihrer Kleidung, das sogenannte Judenhutlein, dem wir bei den fruhenplastis
schen und graphischen Darstellungen der Judensau begegnen, und das
Judenringlein, das, wie ich auch schon erwahnt habe, die Juden vielerorts
und lange Zeit gezwungen waren, als Zeichen ihrer .Jiidischkeit" auf der
linken Schulter zu tragen. (Bild 12, 21, 23.) Am korperlichenTyp bemerkt
man selbstverstandlich als erstes judisches Merkmal den Bart. Denn der
Bart war fur den erwachsenen Juden eine rituelle Vorschrift. Darum trug
der Jude einen solchen auch in den Zeiten, wo er bei den Nichtjuden durch
die Mode ganz verdrangt war. Dieser Umstand machte den Bart von vorns
herein zu einem ebenso unentbehrlichen wie dankbaren Charakterisierungss
mittel fur die Karikatur. Die erste Bartform, auf die wir stofien, ist jedoch
nicht diejenige, die spater so typisch fur den Judenbart wurde, es ist die
des machtigen Patriarchenbartes, mit dem man sich z. B. Moses vorstellte,
und mit dem die ernste Kunst ohne Ausnahme die alten Propheten und
die biblischen Patriarchen auf ihren Bildern schmuckte. Mit einem solchen
Patriarchenbart versahen z. B. Wanderreiser und Jost Amman die von ihnen
dargestellten Juden, um sie als solche zu kennzeichnen (Bild 19 und 23).
Diese erste judische Bartform machte am
Ende des 16. Jahrhunderts dem Spitzbart
Platz (Bild 21), der an sich freilich die da*
malige Bartmode uberhaupt war; der judis
sche Spitzbart war jedoch langer gezogen
als der Modebart. Er war gewissermaCen
eine Kombination mit dem fruheren Patriars
chenbart. In der allmahlichen Weiterents
wicklung kam es gegen Ende des 17. Jahr*
hunderts schlieClich zu der sogenannten
Bartkrause, die die judischen Rabbiner bis
ins 19. Jahrhundert herein trugen, und die
dadurch das Hauptmerkmal der spezifisch
judischen Physiognomie wurde. (Bild 43,
54 und Beilage „Gott, wie heifit?" von Bern*
hart Strauch neben S. 24). Vollstandig war
der judische Gesichtstyp aber erst, als die
Sport.
— 3d) Hit ©e romme laffe, ifdjemS, not fdjmered
©elfc, nu muijen Se met @fyre mctdje; fptcdjcn oabe id)
mit Sbne £eutfd) — aud fjhincip — abet Sie muffcn
fciH fcin mie lT €djcn&e[Dian, rote 'n Sportsman —
©ott, mad foil id) 3^ne oeiter fagen mit einem
3Boit, feien Se „e n g I i f d)."
Fuchs, Die JudeQ in der Karikatur
167. Der judische Sportsmann.
21
Puck. Leipzig
161
tDloodjetttr
PBLSCB.
Qin bumonftif$f3 Origmalblalt pen St. ff. @41ri4.
91eirajri)uitr Sunt.
KV* fw* ^alblfiltigerabonnnnniKeKi*: infflsBmil B. „ n m - IHRfi
Expedition in Munchen: Lowengrube Nr. ',
9h>tl>f4>il*'£ fiTie 8 «bercitfd)aft.
durch ihre Grofie auffallende Hakens
nase, die sogenannte Judennase, dazu
kam. Diese sehen wir bei den hier
wiedergegebenen bildlichen Beispielen
in den Figuren des Narrenkramers
(Bild 56), und vor allem in dem abs
stofienden Gesicht der Karikatur des
Prager Juden Nathan Hirschl (Bild 43).
Wir sehen sie weiter in alien Juden*
karikaturen Rowlandsons (Bild 63—68)
und so fort. Es darf freilich nicht iibers
sehen werden, dafi schon von dem
unbekannten Kunstler der grofien Jus
densau und von Jost Amman die Nase
als judisches Rassenmerkmal betont ist.
Die den Juden in ihrer Masse uns
moglich abzustreitende aufiergewohn*
lich grofie und zumeist auch auffallig,
namlich hakenmafiig, geformte Nase
mufite ganz naturgemaC zum Haupts
hilfsmittel der Judenkarikierung wers
den. Sie mufite sozusagen den Angelpunkt einer jeden Judenkarikatur bilden,
als die Entwicklung der Karikatur so weit war, daft sie das Psychologische
nicht mehrnur durch objektive Symbole (wie z. B. einenGeldsack), sondern
vor allem in den spezifischen Linien der physischen Erscheinung zu vers
korpern strebte. Die Nase gibt nicht nur dem Gesicht in erster Linie seinen
Charakter, sondern uberhaupt der ganzen Erscheinung, und schon allein
durch eine judisch betonte Nase vermag der Karikaturist auf die eins
fachste und zugleich eindringlichste Weise eine Person, gleichgultig ob
Mannlein oder Weiblein, als Juden zu kennzeichnen. Als nicht weniger
wichtig kommt hinzu, dafi schon die geringste tJbertreibung an der Nase
genugt, um dadurch einen lacherlichen Eindruck beim Beschauer hervors
zurufen. Schon allein aus diesem Grunde wurde die sogenannte Judennase
allmahlich zum besonders bevorzugten Tummelplatz aller humoristischen
und satirischen Zeichner der gesamten Weltkarikatur. Da die Halfte der
• 3d) gib' SiidjtS ^tt! 3d) f)af [tin GStlb! Sltin tin.
jigtS Sergnugtn ift Sieutraiitdt. Hub tin ffltrgniigtn
J mrb' idj bod) nocf) §oitn burjtn?
I
168. M. ScMeich. Titclseitc des Munchner Punsch. 1866
162
3>ie
BREMSE
£attrirtt)-l)umnri[U[d]fO fl)od)cnblMt.
§erau3gegebeir Don Dr. 3- Sifll.
M 34. rortcliHitlU) 80 ■■: 21- )Uau|tl»75 .
(2j2^ altera '3BUichro&er. ^3S>
in diesem Bande vereinigten judischen
Karikaturen ein nur zu deutlich spre=
chender Beweis fur diese Tatsache ist,
so ist es uberflussig, hier noch auf be*
sondere Beispiele zu verweisen. Nur
auf ein einziges Bild sei speziell hinges
wiesen, namlich auf die ganz ausge*
zeichnete Karikatur von Stauber in den
,,Fliegenden Blattern" vom Jahre 1851.
Diese Karikatur zeigt in iiberwaltigen*
der Weise bis zii welchen grotesken
Kuhnheiten sich die Karikatur bei der
Karikierung der Judennase mitunter
verstieg (Bild 5).
Aber diese rein komische Wirkung
durch die Ubertreibung ist nur die eine
Seite der Sache. Ungleich wertvoller
im Hinblick auf die Bedeutung der
Karikatur im Dienste einer speziellen
Tendenz ist der Umstand, dafi der
Karikaturist durch eine bestimmte Po=
intierung der Nase ihrem Trager mit besonderer Deutlichkeit alle Leiden;
schaften und alle Laster ins Gesicht schreiben kann. Die Nase druckt dem
Gesicht oder dem ganzen Menschen deshalb in erster Linie seinen spezifi*
schen Charakter auf, weil sie nicht nur das auffalligste , sondern zugleich
auch das ausdrucksfahigste korperliche Organist. Sie spiegelt je nachdem:
Trotz, Feigheit, Kuhnheit, Hinterlist, Kraft, Verschlagenheit, Habgier,
Lusternheit, Wildheit usw. Und wie gesagt: sehr haufig in besonders deuts
licher Weise. Sie ist bei vielen Menschen ein ihnen von der Natur mitge*
gebener Steckbrief. Der Karikaturist braucht also z. B. an der Nase einer
Person nur jene Linien zu ubertreiben, die die Habgier verraten, und der
entsprechende Steckbrief ist damit der betreffenden Person aller Welt lesbar
ins Gesicht geschrieben. Indem aber der Karikaturist beim Juden sowieso
niemals die Nase ignorieren kann, so ergibt es sich von selbst, dafi dieses
spezifisch judische Rassenmerkmal ebenfallsganz von selbst zum besonders
„Sie ^teiajsgrnnMng' ftx iocaf!"
glatQ IMS Die jUTgemeine.
3>ier 6cj|et tjl bod) Das 23eta!I
ginb gitt'ge tfiajfenftfjeinr.
l?on fdjndoein ^Summon niiro tin &auf'
^cfantmert una gefd)aatct;
glno eine ^errfojaft fiant fitf) orauf
JKit ber $t nte gut faciei.
169. Titelscite des MUnchner Witzblattes:
21*
163
auffalligen Trager der besonderenCharaktermerks
male ihres karikaturistisch gekennzeichneten Be*
sitzers wird.
Zum judischen Gesamttyp gehoren noch ei«
nige weitere korperliche Merkmale: die judischen
Plattfufie und die ebenfalls als spezifisch judisch
bezeichneten Sabelbeine. „So ist Schmulchen
Schiewelbeiner, Schoner ist schon unsereiner",
Der Gegenstand der meisten judischen reimt Und illustriert Wilhelm Busch (Bild 181).
Diskussionen . .. i o i • t-> • 1 r 1 • 1 i
Ich glaube, dalS die rraee wissenschalthch noch
170. Deutsche Karikatur ° °
unentschieden ist, ob der Jude tatsachlich relativ
haufiger als der Christ mit Plattfufien und mit krummen Beinen behaftet
ist. Aber da, wie ich schon einmal sagte, die Karikatur niemals erst das
Resultat einer wissenschaftlichen Nachprufung abwartet, sondern den
Schein oder die Verleumdung als Tatsache annimmt, wenn es ihr in den
Kram pafit, so wurden auch diese auffalligen korperlichen Merkmale von
ihr dem Typ des Juden hinzugefugt. Diese satirischen Errungenschaften
sind jedoch jungen Datums, sie sind der Karikatur erst im 19. Jahrhundert
hinzugefugt worden und darum
begegnet man ihnen in den Karis
katuren, die bis zum Ausgang des
18. Jahrhunderts erschienen sind,
nur vereinzelt.
Als besonders gute Beispiele
judischer Typen in der Karikatur
aus der Zeit vor der Judenemanzi^
pation mochte ich die schon er=
wahnte Karikatur des Prager Juden
Nathan Hirschl (Bild 43) bezeich*
nen. Angesichts dieser Karikatur
glaubt man fest, daft sein lebendes
Urbild ein in ziemlich vielen
Wassern gewaschener Schelm ge=
wesen sein mull. Ob er freilich
wirklich ein Ausbund aller Diebes
- €H)ti»[Qi: :fiuh( in* Sut foil id)? 34 frtjrotV Etr. mi ii fon»ij daffm attit".
- 'Hat [iM'TXaat edjtui! - ©a* fsRttcd) qlrid) Ut &trr bob Deib Bam brim sun 3a»iKr <£tl«41
»<« 9H<i(i<ib ttu Sdlittten!
171. Fuck. Leipzig
164
rei war, ist durch diese
Karikatur nicht erwiesen,
sondern nur, dafi die
Karikatur mit ihren Mits
teln solches glaubhaft zu
machen vermag. Das aus
derselben Zeit stammers
de Portat des Jakob Riefi
ist weniger bedeutend.
Es ist dagegen insofern
interessant, als dieser Riefi
ein Mitglied der Familie
Riefi ist, die um 1670 he*
rum in Berlin diejudische
Gemeindegrundete. Sehr
treffend ist die Karikatur
des in seinem Buche lesenden alten Juden von Homburg (Bild 54). Nicht
minder gut ist die Judenfamilie von Erhard auf dem Kupfer „Man redet
von Geschaften" (Bild 86); aber am besten ist das ausgezeichnete kari=
katuristische Portrat eines alten Rabbiners von dem Nurnberger Meister
Leonhard Strauch. (Vgl. die Beilage „Gott, wie heifit?" neben S. 24).
Judische Karikaturen in der Form von Gemalden, d. h. solche, bei denen
der betreffende Kunstler eine direkte Judenkarikatur schaffen wollte, zahlen
zu den grofiten Seltenheiten.
— Fraulein Goldstein, ich suche schon lange eine Frauensperson,
auf der ich als mein Weib nicht eifersiichtig zu sein brauch',
warum? weil die Eifersucht im Geschaft storend ist. Sie Frau*
lein, waren so gerade nach meinem Geschmack ...
172. Puck, Leipzig 1876
Ich komme zum Schlufi dieses Kapitels. Die Zahl der in der Zeit vom
ersten Auftreten der Juden in der Karikatur bis zum Vorabend ihrer Emans
zipation — das ist am Ende des 18. Jahrhunderts — erschienenen Juden*
karikaturen ist naturlich um das Vielfache grofier, als die von mir hier
vorgefuhrten und beschriebenen Beispiele. Immerhin steht deren Zahl in
keinem Vergleich zu der Zahl, die das 19. Jahrhundert fur sich allein hers
vorgebracht hat. Dessenungeachtet spielten diese Karikaturen trotz ihrer
wesentlich viel geringeren Zahl nicht etwa eine geringere Rolle als die
Judenkarikaturen des 19. Jahrhunderts, sondern sie spielten eine viel grofiere
165
17j>. A. GreviD. Jacques Offenbach. Journal amusant
Rolle. Das aber, resultiert daher, dafi das Bild eben immer die Sprache
der Analphabeten ist, und dafi bis weit in das 18. Jahrhundert hinein un«
zahlige Menschen zwar schauen, aber im besten Falle nur durftig lesen und
schreiben konnten, also wenigstens soweit Analphabeten waren, daft sie
Gedrucktes nur sehr ungern und sehr selten zur Hand nahmen. Auf die
so wichtige Tatsache mull man immer wieder von neuem hinweisen, aber
auch darauf, dafi von allem Bildlichen das zum Lachen reizende wiederum
besonders begehrt war. —
Bevor ich nun zu den Judenkarikaturen des 19. Jahrhunderts uber«
gehe, mufi ich jedoch erst noch einiger anderer Formen der Satire gedenken,
deren sich die offentliche Kritik gegenuber den Juden bediente. Das ist in
166
erster Linie die literarische Satire dieser Epoche, und zweitens die im
Sprichwort zur drastischen Form gewordene sprachliche Satire, soweit
sie sich mit den Juden beschaftigen. Diese beiden Kapitel sind von meinem
Thema schon deshalb untrennbar, weil beide stets aufs engste mit der gra*
phischen Satire verknupft sind, indem sie mit dieser zumeist vereint auk
treten. Weiter kommt noch in Frage die plastische Satire, von der ich
bis jetzt nur die Kirchenskulpturen behandelt habe. Es gab aber hiervon
im 15. bis 18. Jahrhundert noch eine ganz spezifische Form, namlich die
Spottmunze. Unsere Vorstellung von der Rolle der satirischen Bekampfung
der Juden wird erst dann relativ vollstandig sein, wenn wir alle Zungen
gehort haben, in denen die Satire von den Juden sprach.
Die literarische Satire. In welcher Tiefe eine Zeit von einem be«
stimmten Problem menschlich ergriffen war, offenbart sich stets an dem
Umfang, in dem dieses Problem den Stoff fur eine rein kunstlerische Ge*
staltung geliefert hat. In der sogenannten schonen Literatur und auch in
den objektiven Kunsten (Bildhauerei und
Malerei) des 14. bis 17. Jahrhunderts
fehlte der Jude als stoffliches Problem
fast ganz. Dies ist der drastische Beweis
fur die vollige Verstandnislosigkeit dieser
Zeit den menschlichen und seelischen
Konflikten gegenuber, die die Lage des
judischen Volkes in Europa damals in so
reicher Fulle bot. Ich habe sowohl fur
dieses Buch, als auch fur andere kultur*
geschichtliche Arbeiten, ganze Stofie von
Volksliedern aus dem 14. bis 17. Jahr*
hundert durchforscht, — die fur jene Zeit
maCgeblichste Kunstform— , um scMieC*
lich ein einziges Volkslied zu finden, in
dem die tiefe Kluft, die damals Christen
und Juden menschlich voneinander trenn*
te, als rein kunstlerischer Vorwurf vers
2>et femitifd|;mufifaHfd)=ariobatifrf)e ©orilia (Simla
Afi'enbnch), netdjer auf bem SSoc^ang. bes griebriii)=2Bi(^efin;
flitbtifdjen 2l)eateiS bad 'publicum lange angrinfle, war feiner
3eit bic tfieube aOei Speiettentrjiergiirten, in benen et burd)
{cine oft feljr broQigen Seine aDe mufiTafifd)en flinbet ttgij&te.
@r ging jttor auf alien mufifalifdjen SJieren , petite abrr bocb
au'd), meltn man i^n bei bet Paterne Son „3ortnnioa
Pieb" Detradjtete, mujitmenfa^d^nlii^e SDiDinente. Oogleidj in
ffoln geboren, ifl erfcod) in $aiid gejiirtjtet, toofeloft iljn bie
„fd)onen $e[enen, ©enooefen unb 3Qeioec Don ©eorgien an
fetnent „Slau6art" trabbeln. (Segenluartig i|t ec, ba fid) bie
2Beli iniTOifdjen tittle anbeee Slfjen gelaiift t;at, ettoaS auger
5)cobe aefomnten.
174. Offenbach. Puck, Leipzig. 1876
167
wendet wurde. Es ist das Lied von der Juden*
tochter. In diesem aus dem 15. Jahrhundert
stammenden Volkslied ist die tragische Liebe
einer schonen Judin zu einem Schreiber, wie
man die Gelehrten damals nannte, geschildert.
Dieses ergreifende Lied lautet:
2>ie Itrnoifar @tfinl>t if flange ndjtct
fid) ouf. SjdfuM Iritt iftr mufljig tirifluttn* urn
Es war eine stolze Judin,
Ein wunderschones Weib,
Die hatt' eine schone Tochter,
Ihr Haar war glatt geflochten,
Zum Tanze wollt' sie gehn.
Ach Tochter, liebste Tochter,
Das tu mir aber nicht,
Es war ja eine Schande
Vorm ganzen jiidischen Lande,
Wenn du zum Tanze gehst.
Die Mutter kehrt den Riicken,
Die Tochter sprang hinaus,
Sie sprang wohl uber die Strafte,
Allwo ein Schreiber safie,
Dem Schreiber sprang sie zu.
Ach Schreiber, liebster Schreiber,
Mein Herz tut mir so weh)
LaB mich eine kleine Weile
Ruhen an deiner Seite,
Bis dafi es wird vergehn.
Ach Judin, liebste Judin,
Das kann furwahr nicht sein!
Das war mir eine Schande
Im ganzen Christenlande,
Wollt' ich 'ne Jiidin frei'n.
Die Tochter schwang den Mantel
Und dreht sich nach dem See:
Ade, mein Vater und Mutter,
Ade, du stolzer Schreiber,
Ich seh' euch nimmermehr!
Aber das Fehlen des Juden als rein kunstlerisches Motiv ist fur jene
Zeiten gar nicht erstaunlich. Auf den Juden schaute man, wie ich gezeigt
habe, uberall mit fast bodenloser Verachtung, gleichsam wie auf einen Aus=
satzigen, der von aller Welt ausgestofien ist. Also bietet er kein lyrisches
Stimmungselement, das in der christlichen Volksseele widerklingen wurde
und nach dem sie deshalb Verlangen truge. Zurtendenzlosen kunstlerischen
Form gestaltet sich in der Volkskunst immer nur das, wonach die Volks^
seele gewissermafien kategorisch, wenn auch
unbewufit, verlangt. Die Volkskunst ist immer
nur die Erfullerin der ofFenen und geheimen
Sehnsuchte der Volksseele.
Um so starker ist aus demselben Grunde
der Widerhall des jiidischen Problems dort, wo
der Geist ohne weiteres alles Menschliche aus^
schalten kann. Und das ist eben in der Satire
moglich. Man kann, wie ich oben dargelegt
habe, gewifi auch aus Liebe zuchtigen. Zumeist
objujitf>€ii mit bein ganitn &tolj finer
Firrfulifchfn Sfilf.
175 u. 176. Aus den zwolf Arbeiten des
Lasker.Herkules. Puck, Leipzig. 1876
168
Ecce Caesar nunc lriutopbaos!
Iciuml)f)itrH6 lag id) tcabeu Un& gefeSfelt
Xrijfan jr$t uut. audi 3[ol&en. ftolgt bee Seinbe
■£>ci! die £olbeu! Sdiraatm 6em SBagen..
ZGogtla 'JBfia!
Richard Wagner bandigt die ihm feindliche jiidische Theaterkritik durch die Auffiihrung
von Tristan und Isolde.
177. Puck. Leipzig. 1876
ist es jedoch die Liebe zu sich, weshalb man den anderen ziichtigt. Wie
aufierordentlich stark das Widerspiel des jiidischen Problems in der gezeich*
neten Satire jener Zeiten ist, haben wir gesehen, in der literarischen Satire
ist es anscheinend noch viel grofier. Alle grofien Wortsatiriker des 16.
und 17. Jahrhunderts sind in irgendeiner Form gegen die Juden zu Felde
gezogen. Ich nenne nur die wichtigsten: Abraham a Santa Clara, Heinrich
Bebel, Boccacio, Sebastian Brant, Johann Fischart, Folz, Franck, Frey, Gei«
ler von Kaisersberg, Pamphilius Gengenbach, Grimmelshausen, Caesarius
von Heisterbach, Luther, Morlini, Moscherosch, Murner, Pauli, Poggio,
Hans Sachs, Jorg Wickram. Vor allem aber tat es der Grofite der Grofien
aller Zeiten: Shakespeare, der im Shylock mit seiner Riesenfaust auch nach
diesem Problem gegriffen hat. Denn der Shylock ist in seiner Figur eine
Fuchs. Die Juden in der Karikatut
22
169
deutlich pointierte Satire auf die Juden. Es ist eine Satire auf den hereon*
tigten Hafi der Juden gegen die Christen, von denen sie so furchterlich vers
folgt werden und gleichzeitig auch auf die Geldgier der Juden, denen der
materielle Besitz uber alles geht. Hinsichtlich des letzten Punktes erinnere
man sich nur der Szene, wo Shylock nicht nur der entflohenen Tochter
nachjammert, sondern mehr noch den von seiner Tochter mitgenommenen
Dukaten und Edelsteinen:
„Mein' Tochter — mein' Dukaten — o mein' Tochter! Gestohln von meiner Tochter; und Juwelen,
Fort mit 'nem Christen — o mein' christliche Du- Zwei Stein' — zwei reich' und kostliche Gestein,
katen! Gestohln von meiner Tochter! O Gerichte,
Recht und Gericht! mein' Tochter! mein' Dukaten! Find't mir das Madchen! — Sie hat die Steine bei
Ein Sack, zwei Sacke, beide zugesiegelt, sich
Voll von Dukaten, doppelten Dukaten, Und die Dukaten."
Neben diesen Grofien aus dem Reiche der Literatur, deren satirische
Polemiken gegen die Juden viele Bande fullen, steht aber aufierdem ein
ganzes Heer von Namenlosen, die als Verfasser von Osterspielen, Passions*
spielen, Schwanken, Dialogen, Fazetien, satirischen Erzahlungen, Spott*
gedichten usw. die Juden mit der Feder satirisch bekampft haben. Die Pro*
dukte dieser Namenlosen sind der Zahl nach vielleicht noch grofier, in
ihrem Inhalt sind sie vielfach nicht weniger bedeutsam; denn man findet
unter ihnen einen Teil des Heftigsten und darum Bezeichnendsten, was in
satirischer Absicht gegen die Juden geschrieben worden ist. . ,
Die literarische Satire ist in ihrem Stoffgebiet naturgemafi viel reicher
als die gezeichnete Satire. Die letztere ist immer auf das beschrankt, was
sich in einer typischen Figur oder in einem Symbol bildlich gestalten lafit.
Unendlich viel Motive lassen sich aber absolut nicht auf diese Weise bild*
lich veranschaulichen und sind deshalb von der gezeichneten Satire aus*
geschlossen. Fur die literarische Satire gibt es diese Grenzen nicht, sie kann
alles in den Kreis ihrer spottischen Betrachtung ziehen. Und so begegnet
man in den literarischen Satiren auf die Juden aufier den uns aus der ge*
zeichneten Satire bekannten Motiven noch zahlreichen anderen Stpffen:
satirischen Verhohnungen des Talmud, des judischen Gottesdienstes, der
judischen Gebrauche, ihrer Redeweise, ihrer — ihnen aufgezwungenen —
vielfach lacherlichen Tracht usw.
Wenn man also ein halbwegs vollstandiges Bild von dem satirischen
Kampf bekommen will, den die Christenheit ihrem machtigen wirtschaft*
170
fflamesalB - J$Ute.
if
\
.mdlms til
Cofliimirtcr Soli (iEiroler IDeinlcfe) bei'm (Commersicriratb, 36'9 pon 36'9f tc ' n -
3litgenel]mc Uiiterbrectiung burd] bas Sorfeublatf.
178. Karikatur voc Adolf Oberla'nder. Fliegende Blatter. Miinchen. 1882
22*
lichen Gegner lieferte, so mufi man unbedingt auch die literarische Satire —
und freilich ebenso die sprachliche Satire — in den Kreis der Betrachtung
ziehen.
Da den Christen an den Juden alles mififiel, so kam ihnen z. B. der
vollig unverstandliche judische Gottesdienst hochst aberwitzig vor. Die
hebraischen Gebete wirkten auf sie wie sinnloses Kauderwelsch, und sie
verspotteten sie dementsprechend in ihren Volksspielen und Schwanken.
In dem „Luzerner Osterspiel" „hoppen" die Juden auf einem Bein um das
goldene Kalb, als ihrem wahren Gotte; bei dessen Errichtung singen sie die
folgenden Verse:
Seid frohlich, seid frohlich all,
Dem neuen Gott mit reichem Schall!
In cordis mambre jubilo,
Hebron, lehem, lo, lo, lo,
Paternoster Pirentbitz,
In dem Namen Taberitz, Taberitz und Isack,
Isack und Abraham, Abraham und Kickrion,
Kickrion und Schlachisschlofi,
Schlachisschlofi und Schweinefleisch,
Treibt den Juden aus den Schweifi ....
So etwas lafit sich naturlich nur in Worten und nicht im Bilde darstellen.
Das gleiche gilt von der Verhohnung der judischenWissenschaft: uber die
judischen Arzte gibt es sicher mehr Spottverse als Lobgedichte, obgleich
sie die letzteren damals unbedingt mehr verdient hatten. In einem seiner
Schwanke, in denen Hans Sachs die Juden verspottete, in dem Spiel „Der
schwangere Bauer," lafit er einen ,Judenarzt" auftreten, der sich falschs
licherweise fur einen Arzt aus*
gibt und so die Bauern betrugt:
Ich hab der Schwarzkunst nicht studiert,
Noch Medicina doktoriert,
Darf derhalb in kein statt nicht mehr,
Und mich nur bei den Bauern nehr,
Dann ich auf alle DorfsKirchweih zeuch,
Da ich aufschlag alle scheuch
Grofi Siegel und Brief auf und ab,
Wie ich dem und jenem gholfen hab.
1st doch erdichtet und erlogen,
Hab die Bauern lang bschissen und trogen,
Wann ich kann nichts zu ArzneisSachen,
_ Denn ein schlecht Purgatzen machen,
Die den Bauern macht ein Griimpl im Bauch,
Einem hilft's, der andere stirbt daran,
Da liegt mir eben nichtsen dran.
Ein alltagliches Bild auf der Grimmaischen Strafie
179. Arthur Lcwin. Leipzigcr Karikatuc
Die Judensau ist auch in
der literarischen Satire eines der
172
am friihesten auftauchenden Motive.
In dem aus dem 14. Jahrhundert
stammenden Spiel „Der Herzog von
Burgund" werden die Juden zur
Strafe ihrer an Christus und den
Christen begangenen Missetaten zu
alledem gezwungen, was wir in den
verschiedenen Bildern von der Ju*
densau dargestellt sehen. Der dazu
gesprochene Text lautet:
Ich sprich, daB man vor allcm Ding
Die allcrgrofitc Schweinsmuttcr bring,
Daruntci sic sich schmiegen all
Saug jeder cin Tutten mit Schall;
Der Messias licg untcrm Schwantz!
Was ihr entfall, das soil cr gantz
Zusammen in cin Sacklein binden
Und dann dassclb zu einem mal verschhnden.
Dieselbe Szene und ahnliche Verse
kehren auch noch in anderen Volks?
spielen wieder, die zur Ergotzung der
schaulustigen Menge an den kirch*
lichen Feiertagen vor versammeltem
Volk aufgeftihrt wurden. Ich nenne
aus dem 14. Jahrhundert nur „Das
alte grofi Spiel vom Auf* und Unter*
gang des Antichrist." Von diesem
Stuck ist bekannt, daft es 1469 in
Frankfurt am Main und 1473 und
1481 in Xanten aufgeftihrt wurde.
Welche Wirkung solch ein Spiel mit*
unter auf die Massen ausiibte, das
Aaron und scin Frcund Levy gehen an eincm
schoncn Sommcrabcnd miteinandcr spazicrcn.
Beim Anblick des hcrrlich gestirnten Himmcls
gcratcn sic in cine sentimentale Stimmung, in der
sic philosophischc Bctrachtungcn anstcllen. — Da
fallt plotzlich cine Stcrnschnuppc. Levi (schncll
zu Aaron): „Wic vie] hast de dir gewunscht?"
ISO. AdollF Ofctrljindtr lomcl dcfSclbe.
OWrtindtr Album 1900
erhellt aus dem Umstand, daft der Rat zu Frankfurt bei der Auff iihrung
im Jahre 1469 gezwungen war, Vorsichtsmaftregeln zum Schutze der Juden
zu treffen.
In diesen Volksspielen ist also das, was der Steinmetz im Relief bilde
in die Kirchenwande einfugte, oder im Auftrage des Rats am Rathausturm
173
anbrachte, kurzerhand in die Wirklichkeit ubertragen und agiert worden.
Martin Luther, der, wie wir an anderer Stelle bemerkt haben, in derbster
Weise die an der Wittenberger Pfarrkirche in Stein gemeiCelte Judensau
beschrieben hat, hatte sich damit noch lange nicht genug getan. In ders
selben Weise verhohnt uhd beschimpft er die Juden bei der Darlegung,
dafi sie nicht wert seien, in der Bibel lesen zu durfen:
Seid ihr doch nicht wert, daB ihr die Biblia von auBen sollet ansehen, schweige daB ihr darinne
lesen sollet: ihr sollet allein die Biblia lesen, die der Sau unter dem Schwanz steht, und die Buchstaben,
so daselbst herausf alien, fressen und saufen, das ware eine Bibel fur solche Propheten, die der G6tt=
lichen Majestat Wort, so man mit alien Ehren, Zittern und Freuden horen sollt, so sauisch zu wiihlen,
und so schweinisch zu reiBen.
An dieser Stelle sei auch erwahnt, dafi Luther mehrere Streitschriften vers
fafite, die sich ausschliefilich gegen die Juden wandten. Die heftigste tragt
den Titel „Von den Juden und ihren Lugen" und erschien 1543 (Bild 17).
Luthers Stil ist, wenn er schimpft, bekanntlich vorwiegend satirisch. Und
so gehort das meiste von dem, was er gegen die Juden geschrieben hat, in
das Kapitel der literarischen Satire.
Wie in der bildlichen Karikatur, so greift auch die literarische Satire
jahrhundertelang immer wieder zu diesem Motiv und walzt es mit brei«
testem Behagen aus. Noch in einem Volkskalender aus dem Anfang des
19. Jahrhunderts, in dem der hier als Bild 82 wiedergegebene Kupferstich
als Titelblatt vorangestellt war, ist auch eine gereimte Schilderung dieses
Motives enthalten. (Vgl. auch den Text unter Bild 42.)
Der judische Wucher ist in der literarischen Satire, genau wie in der
gezeichneten, eines der haufigsten Motive, das man wirklich niemals miide
wurde, immer wieder zu variieren. Dafi die Karikaturen auf den judischen
Wucherer stets mitentsprechendenTexten versehen waren, habe ich bereits
oben hervorgehoben, von der Mitteilung solcher werde ich deshalb an
dieser Stelle absehen (Bild 19). Ich begnuge mich hier mit der auszugs*
weisen Anfuhrung zweier Satiren, bei denen der Text die Hauptsache ist.
Aus einer Ausgabe „Der Juden Badstub" vom Jahre 1535, die mehrere tau*
send Verszeilen umfafit, zitiere ich die folgenden Stellen:
Er la'Bt dich Wucher geben, borgen. Das du erarbeitst und dein Gsind,
Und laBt die lieben Vogel sorgen. Damit hebt sich das Grauen an
Wann er zu Nachtszeit schlaft und ruht, Des armen und verpfandten Mann,
Sein Gwinn ihm allzeit vorgehn thut, DaB er des Nachts nit schlafen kann.
Mit Schlafen er sein Geld gewinnt,
174
Sunfteo Capitel.
It
uti die 6ofc, Uug t>rr Xocf,
Ktutnm !>i( Viaft unto txr Stotf,
Kugcii fcfcrearj nub ©eele grau,
«$ut nacb biiicm, tttiene fctjlsu —
80 if* t3djmuldjrii Bctjuwelbenier.
(@dj6ncr ift toocfc imfertiiier I)
(Kr 1ft graS oor Jittiga €I;t'tr;
Kauifamoan! erfcfeallc cb tjicr.
Kaum rerOfillt tirr ratine JTsn,
€0 erfotgc t>cts IDeicre fcbort.
Uub, roic fdjnell er 04) and) t>rrtjt,
■##, cr fu&U, rt ift ju fpit;
Uiiterljalb dee Xotfeiorea
Oefct fcin gaitje Sad? Fap^rce.
181.. Wilhelm Busch. Aus Plisch und Plum
Kein Ordnung, noch kein Unterscheid
1st jetzt mehr untern Juden alien,
Sie handlen nach ihrem Wohlgefallen,
Beim Wuchcr miissens vorhin bleiben,
Das durften sie und nichts mehr treiben,
Jetzund so schrepfen sie uns recht,,
Wir Christen seind der Juden Knecht,
Die Juden Herren bei uns Armen,
Es mocht ein steinen Herz erbarmen,
DaB man sie schrepfen lafit so scharf,
Darin ihn niemand wehren darf.
Denn welcher betrieg ein Christenmann,
Der thu Gott ein Gefallen dran.
Ihr Talmud lernt sie d'Leut bescheifien,
Den auch ein jeder kann und lehrt,
Ehe er vierzehn Jahr alt werd.
Was soil man aber hiezu sagen,
DaB wir von ihnen miissen leiden,
DaB sie die beste Miinz beschneiden,
Welchs ihm doch nit befohlen ist,
Es ist ein boser diebscher List.
So nimmts der Jud von eim ohn Scham,
Und wanns von Gottes Altar kam.
Ja mordst du taglich und brachst's ihm,
Wann ers sehon wiiftt, nahm er den Gwinn
Gestohlen Gut ihm willkomm ist,
Wie so er merkt in alle Frist.
Auf Bschiss Ziehen sie ihre Kind,
Die Weiber und all ihr Hausgesind,
Was Bos sie thun den Christen geschwind,
Das achten sie alls fur kein Sund,
Ob sich ein Jiid schon taufen lat.
So ist es doch nit Fisch ohn Grat,
Und hatt dazu zwolf Eid geschworen,
Ist Krisam und Tauf daran verloren,
Ja noch auf diesen heutigen Tag
Ist es ein Volk gleich wie es mag,
Dem niemand mit Spitzfindigkeit
Geleichen mag auf meinen Eid,
Durch welch sie ausgegossen han,
Verderbet manchen Biedermann.
Das zweite Beispiel, auf das ich hier verweisen will, ist das 1571 erschienene
Pamphlet „ Der Juden Ehrbarkeit", dessen ebenfalls satirisches und fur die
derbe obszone Form der Verhohnung sehr bezeichnendes Titelblatt ich in
Bild 20 wiedergebe. Das zweite Stuck dieses gegen funftausend Verszeilen
umfassenden Pamphletes handelt in einem „Gesprach zweier Christen
von Juden und ihren Mitgenossen" speziell vom Wucher. Ich kann aus
diesem Riesendialog hier naturlich nur einige bezeichnende Stellen an*
fuhren:
In einer Stadt viel Burger waren,
Ist nicht sehr lang, vor kurzen Jahren,
Die stellten sich zu nahren wohl,
Mit ihrer Arbeit, wie man soil,
Und baten Gott, er wollt bescheeren,
DaB sie sich ehrlich mochten nahren,
Ohn alien Aufsatz, Trug und List,
Wie sonst der Welt Gewohnheit ist.
Es wohnen auch viel Jiiden do,
Des waren die Burger nicht sehr froh,
Doch hatten sie ihren Schutz von Herren,
Die wollten ihrer nicht entbehren,
Und hielten fleifiig uber ihn,
Meinten es bracht' ihnen Nutz und Gewinn.
Zu solcher Herren einer kam,
Ein Burger, Albert war sein Nam,
Und sprach: Ich hab ein Kauf getan,
Mufi nun Geld zur Bezahlung han,
Ach lieber Nachbar helft dazu,
Ich will's verdienen spat und fru.
Der sprach, dazu weifi ich wohl Rat,
Es ist ein Jud hier in der Stadt,
Zu dem ich dich wohl fordern will,
Jud Schlomi, der leiht dir so viel,
Ich acht er sei dir wohl bekannt,
Sprich, ich hab dich zu ihm gesandt,
Vom Gulden jede Woch* soil er
Ein Pfennig nehmen und nicht mehr,
Das soil er thun um meinetwillen,
Ich acht es werd ihn nicht bevillen.
176
Susanna im Bade. Nach dcm Gemaldc von Arnold Bbcklin
Mil Gcnehmigung der Photographischcn Union in Miinchcn
Btilage za Ednard Fachs, ,.Die Jqdtn in dor Karilaiuf
Albeit Langen, Munch*n
Da dem geldbediirftigen
Burger kein anderer Ausweg
bleibt, zu Geld zu kommen, so
schickt er sich an, den ihm ge=
gebenen Rat zu befolgen. Un=
terwegs begegnet ihm jedoch ein
anderer Burger, der ihm alsbald,
als er von seiner Absicht, zum
Juden zu gehen, hort, eine grofie : "^§t
Rede uber die Schlechtigkeiten
der Juden halt und ihm die Ge=
fahren vorstellt, denen er seine
Seele und auch seinen Geld*
beutel aussetzt:
Der Freund mit Namen
Christmann gut,
Der sprach, wie kommt dir
das in Mut?
Das kommt gewifi vom
bosen Geist,
Der Juden Handel du
nicht weifit,
Ein grofter Schad daraus entspringt,
Der dich um all dein Nahrung bringt,
Dazu auch um der Seelen Heil,
Dafi du dem Teufel werdst zu Teil,
Ach lieber Freund du bist zu schlecht,
Dem folgt die Schilderung des Geschaftssinnes der Juden und wie sie die wucherische Ausbeutung
der Christen betreiben, — die Hauptsache!
„Wenn ich mein Augenglas verlege, bin ich ein ohnmachtiger
Mensch.!"
„Ganz so geht es mir, Herr Professor, wenn ich die Coupon*
schere nicht finde!"
182. J) er Parvenu. Fliegende Blatter
Du kennst die J uden noch nicht recht,
Welcher Christ mit ihnen hat zu thun,
Der kann doch nimmermehr begrun,
Sie unterstehn ihn zu betriigen ....
Sie richten all ihr Sach dahin,
Dafi sie bekommen viel Gewinn,
All unser Nahrung an sich bringen,
Und wir mit Armut miissen ringen.
Wo etwas wohlfeil ist zu kaufen,
So kommen zwei, drei, vier gelaufen.
Die raffen alles zu sich auf,
Und geben's denn zum hochsten Kaut,
Zu Schad den Burgern und zu Trotz,
Dieweil sie haben starken Schutz,
Von etlichen ihren Mitgenossen,
Das hat die Burger oft verdrossen-
Auch schinden sie die ganze Welt
Mit ihrem verfluchten Wuchergeld,
Sie bringen viel um Haus und Hof,
Und all ihr Nahrung geht daruff.
Gar selten einem wohl gelingt,
Der von den Juden Geld aufnimmt,
Sie nehmen nur zu Bitt und Fleh,
Vom Hundert vierundzwanzig und meh,
Und schlagen auch gar offterraals um,
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
Mehr Wucher, dafi grofi werd' die Summ,
Jawohl, wenn ich mich recht bedenk,
Zum Schlufi, Jiid David weifi die Rank',
Der nimmt von hundert Gulden noch
Zween Gulden drei Ort jede Woch,
Das tragt vom Hundert jedes Jahr
Wohl hundertvierzig drei, ist wahr,
Von tausend rechens zehenmal,
Macht vierzehnhundertdreiftig in Zahl,
Doch soils noch erst ein Freundschaft sein.
So wissen sie's zu schmiicken Fein,
Dafi mans fur Wucher nicht erkenn,
Ein Liebnus wollen sie es nenn,
Der Teufel dank ihnen solcher Lieb,
Die schekes sind neunfeltig Dieb,
Die Schelmen geben grofi Ursach,
Zum Rauben, Stehlen und Morden auch,
Weil das Gestohlne ihnen kommt Wilkom„
Sie geben kaum das Dritteil drum.
All ihre Hab ist Dieberei,
Verdammter Wucher, Schinderei,
23
177
3»i 9JioBt.
Wollt Gott man hing sie wie die Hund, So waren wir ab einer groBen Last,
Sammt alien die ihnen gutes gunnt'. Die Wid ich gem bezalen wollt,
Je vier. fiinf, sechs an einen Ast, Wenn's schon drei Taler kosten sollt.
Es war ein damals alltaglicher Fall, dafi die ganz grofien Herren, mach*
tige Fiirsten und Grafen, der JudenWucher dazu benutzten, um sich selbst
auf vorteilhafte Weise in den Besitz begehrter Burgen, Schlosser, Lan«
dereien usw. zu setzen. Das geschah auf die Weise, daft die „groCen
Hansen", wie man sie nannte, dafiir sorgten, dafi der den Juden zinsende
geldarme Kleinadel, der insgesamt in den Handen der Juden war, mitleid*
los von den Juden gepfandet werden durfte, wenn er am Verfalltage nicht
zahlen konnte. Waren dann die Burgen, Schlosser und Landereien in den
Handen der Juden, so kauften ihnen die grofien Hansen ihre Beute um
billiges Geld ab. Bei solchem Handel machten naturlich beide Teile ein
gutes Geschaft. Das kleine Junkerlein freilich kam fur immer ins Elend.
Ein solches lukratives Geschaft trieben z. B. im 15. Jahrhundert die Grafen
Vitztum , die allmachtigen Gunstlinge des Herzogs Wilhelm von Sachsen.
Aus Stolles Chronik vom Jahre 1446 er«
fahrt man das Nahere. Dort heifit es
uber dasTreiben dieser graf lichen Hinters
manner derWucherjuden: „Sie hielten's
auch mit den reichen Juden, und wenn
die Juden arme Grafen und Ritter mit
Gesuch (d. h. mit ihrem Recht auf Pfan*
dung bei Nichtzahlung der Schuld am
Verfallstag, d. V.) von ihren Schlossern
drungen mit der Vitztume Rat und Hil*
fe, so halfen sie dann den Juden getreu*
lich. Und danach kauften sie den Juden
die Schlosser ab urns halbe Geld." Im
satirischen Volkslied fand dieses sehr
haufige Kompaniegeschaft „zwischen
den grofien Hansen und den Juden"
ebenfalls seinen Ausdruck. Auf diesel*
ben Grafen Vitztum war das folgende,
an den Landesvater Wilhelm von Sach*
sen gerichtete Gedicht im Schwange:
SNorifj, roarum [leigcn roit in unfer'm neuen
©cbirgflofium ni^l emal au\'n Strg?" — „2Da§ jollen mtr
mit be lf)euti'n Slnjug' auf'n 55rrg o6cn niodjeu, mo ]'e to'
SJitnt* jiillt?!"
185. Hermann Schlittgen. Fliegeade Blatter
178
MHiftenOSttb.
3" & c * ZOiijic &cr Satiatatj
(Sing &er rtatfjan mit &et SaraEf;
t£r tjaufirt* mit £jofenfutter,
5ic roar feine Sdnniegennnttcr.
Saraf; fagte : „23atfjan, fietjfte,
23ings tjerum ijl nidits als ZDiifte ;
fflie w\ll\tc uns 511 Tetten tjoffen,
Kcim' cin tEiger jetjt gcloffen?"
natfjau fagte: „Kam* cin iligcr,
Sagf id] : bas if t meine ScEjiDteger*
2T(iitter — idj bin uberjfiugt,
Da% &as Untfrier 6ann cntpeudit!"
2Ufo fprad? fcer weife 2Tatt;an
KfiE)ii 511 feines fjaufes Satan,
S» &et Sd]ioiegermiitter Saralf
3n &er iPufte &er Sahara!;.
21. Ho&eridj.
184. Adolf Oberlander. Oberlander=Album
Wo der Geier auf dem Gatter sitzt,
Da gedeihen die Kuchlein selten ;
Es diinkt mich fiirwahr ein Narrenspiel,
Welcher Herr gehorcht seinen Raten soviel;
Mufi mancher arme Mann entgelten.
Ein edler Herr aus Thuringer Land,
Herzog Wilhelm von Sachsen,
Liefit ihr die alten Schwertgroschen wieder schlan
Als eure Voreltern haben gethan,
So mocht euer Heil wieder wachsen-
So wurden die Stadte von Gelde reich
So wurden wieder gute Zeiten,
Die armen Leut konnten auch wohl beistahn,
Wollt ihr sie in Noten rufen an,
Es sei zu Stiirmen oder Streiten.
Wo das gute Geld im Land umfahrt.
Das haben die Pfaffen und Jiiden;
Den Reichen ist alles unterthan,
Die den Wucher mit den Jiiden han;
Man vergleicht sie mit einem Stockruden..
Aus diesem Gedicht erfahrt man auch von der bereits im 15. Jahrhun*
dert einsetzenden Zerruttung der Geldwirtschaft, die das Volk in immer
schwerere Note brachte. Der dem Fursten gegebene Rat, die alten Schwert*
groschen, d. h. vollwertige Geldstucke, wieder schlagen zu lassen, war aber
leichter gegeben als befolgt. Weil das notige Geld infolge des noch unent*
wickelten Warenhandels auf keine andere Weise zu erlangen war, als dafi
man das fruhere gute Geld streckte, so pfiffen die Fursten auf den Rat ihrer
23*
179
in Sorgen und Noten stohnenden Untertanen, und machten, wie ich in
einem fruheren Kapitel ausfuhrte, obendrein die Juden zu ihren Munz«
meistern, weil diese sich in den von ihnen geforderten Praktiken am ge«
schicktesten erwiesen. Die Tatigkeit der Juden als Munzmeister hat zahls
reiche literarische Proteste gezeitigt. Ich gebe als Beleg den folgenden, der
ebenso prazis wie kurz ist:
Wenn Gold und Silber das Metall Welches seine rechte Miinzprob halt?
Wird so verderbet uberall, Ist das nicht eine Sund und Schand',
Wo wird man endlich nehmen Geld, DaB Juden miinzen in. Teutschland?
Der Geiz der Juden, der diese angeblich zu den absonderlichsten Aus*
fluchten greifen lafit, um irgendeine groCere Geldausgabe zu sparen, hat die
grotesk*satirische Anekdote von dem eingepockelten Isaac geformt, der
man in verschiedenen Fassungen (im Italienischen z. B. bei Poggio) begegs
net, und die auch mehrfach bildlich dargestellt wurde.
Von zwei Juden, Salomon und Isaac, die nach fernen Landen verreist waren, starb der eine, Isaac,
unterwegs. Da Salomon die Leiche seines Glaubensgenossen in die Heimat zuriickbringen, die teuren
Frachtkosten einer menschlichen Leiche sich aber sparen wollte, so zerteilte er sie und verpackte sie so
in ein FaB. Dieses FaB gab er auf dem Schiff, mit dem er heimfuhr, auf und deklarierte den Inhalt als
gepokeltes Schweinefleisch. Unterwegs brach infolge Seenot Nahrungsmangel auf dem Schiff aus, und
der Kapitan lieB heimlich von den im Schiff befindlichen Waren entnehmen. Als das SchifF endlich
seinen Bestimmungsort erreicht hatte und der Jude sein FaB ausgeliefert bekam, war es leer: der ein*
gepokelte Isaac war ebenfalls aufgegessen worden. In seinem Schrecken brachte der iiberlebende SaIo=
mon, der ahnungslos doch auch von dem Fleisch des toten Isaac gegessen hatte, die Sache an den Tag
und erregte mit seiner grauenhaften Enthiillung allgemeines groftes Entsetzen. Natiirlich kam der Jude
ins Gefangnis.
In Bild 72 haben wir ein englisches Beispiel der verschiedenen bildlichen
Verarbeituhgen dieses Motivs.
Die gefahrliche Konkurrenz des Juden im Handel, als der Konkurrent
eines jeden, nicht blofi eines einzigen Handwerkers, hat, wie wir wissen
(S. 83), die Emporung der kleinen Handwerker und Kaufleute ganz be«
sonders aufgestachelt und zu immer neuen Protesten veranlafit. Das fol*
gende Regensburger Lied aus dem 16. Jahrhundert ist ein solcher Protest
in satirischer Form:
Hunger und Not und groBen Zwang Und was er sonst im Haus nicht hatt,
Das leidet der arme Handwerksmann. Das f and er bei den J uden zuhand,
Es war kein Handwerk also schlecht, Es war ihnen alles gesetzt zu Pfand.
Dem der Jud nicht groBen Schaden bracht. Denn was man stahl und raubt mit Gewalt, .-
So einer ein Kleid kaufen wollt. Das hatt' alles da seinen Aufenthalt.
Sofort er zu dem Juden trollt, Was jemand in der Kirchen fand,
Silbergeschirr, Zinn, Leinwand, Barett Das kam dem luden heimlich zuhand.. .
180
185, Parodie auf das Umschlagbild des von Otto Julius Bierbaum herausgegebenen ,,Pan". IS95
Ein Gut, das flinfzig Gulden kam,
Das nahm der Jud fur zehen an,
Hatt' er*s acht Wochen oder neun.
So zog er's f iir sein eigen ein.
Mantel, Hosen und allerlei.
Das fand man bei dem Juden feil;
Der Handwerksmann konnt' nichts verkaufen;
Es war alles zum Juden gelaufen.
Es war begreiflich'erweise sehr naheliegend, die Juden beim Geschafte*
machen iiberhauptaller denkbaren Diebereien und Verbrechen anzuklagen.
Des Raubes, des Meineids, des Mordes — zu allem sei der Jude fahig, wenn
er nur dabei ein Geschaft mache. Die folgende Stelle aus Moscheroschs
Philander infernalis (1648) ist ein solches Register von Schlechtigkeiten,
deren man die Juden beschuldigte:
Im Kaufen und Verkaufen, liigen und triigen, wuchern und stehlen, Junge und Alte ins Verderben
bringen, die Hausgenossen zur Untreu und die Diebe zum Diebstahl veranlassen, den Diebstahl ab=
nehmcn. Burger und Bauer in der Zahlung des Geldes betriigen, den Wucher bis auf 30 per cento un*
menschlich erhohen, die Notarios mit Geld bestechen, die Handschriften von einfaltigen Leuten bei den
Notariis auf Gericht zu sich nehmen, aber das Geld darnach nicht bezahlen, jedoch aber, dafi es ge=
schehen sei, bei der Obrigkeit mit jiidischem Eid behaupten, den Diebstahl verschweigen, ihre Schatzung
nicht recht anzeigen, und dadurch die Obrigkeit betriigen, heimlich alle Bubenstiicke, auch die greulichsten,'
verdiistern, die Christen taglich verschreien und verfolgen, sie als Goim betriigen, und daft es keine Siinde
sei, die Goim zu betriigen, offentlich lehren,
in Gerichten alles leugnen und falsche Eide
dariiber schworen, und endlich Christum,
ihren Messias verleugnen und taglich lastern
und dann in Summa solche Laster begehen,
welche sonsten unter Menschen, auch unter
Heiden, ja von den Teufeln selbst nicht
haben erdacht werden konnen.
Der von Moscherosch am
Schlufi erhobene Vorwurf, dafi
die Juden Jesus Christus vers
leugneten, ist jene Anklage ge*
gen die Juden, der man wohl
am haufigsten begegnet, denn
sie bildetmeistens den BeschluC
aller anderen Anklagen. Dieser
Vorwurf wurde deshalb mit
ganz besonderem Vorbedacht
immer wieder erhoben, weil
Der Herr Geheime Kommerzienrat und Gemahlin
erscheinen auf ihrem Hauskostumball als Napoleon und man dadurch die EmpOrung der
Josephine - glaubigen Christen am heftig.
Zur EmpiresMode.
186. Hc, m a,„ sch)i<t gt „. Fi,«g tD d« bis>.„ steii aufstachelte. Wenn man
182
deshalb die Juden in
irgendeiner Form per*
sonlich zu Wortekoms
men laflt, also z. B.
in Passionsspielen, so
legt man ihnen mit
Vorliebe Lasterungen
gegen die Jungfrau
Maria oder gegen Jes
sus Christus in den
Mund. Pamphilius
Gengenbach lafit in
dem Gedicht von den
„Funf schnoden Jus
den", in dem er eine
judische Hostien*
schandung behandelt,
den einen der Juden
in folgenden vernon*
nenden Worten Maria
als die Schuldige an
dem Elend des jiidi*
schen Volkes ankla*
gen:
Das ist das 6d verfluchte-
Weib,
Aus welcher Bosenwichten
Leib
Ist uns hcrkommen all
unser Keib,
Wann sie uns den falschen
Mann geboren,
Dardurch wir hand all unser Land verloren
In Schliersee: ,,Moritz, alle Leut* lachen. Ich glaub', mer sin
popular".
1S7. Karikatur von Bruno Paul. Simplicissimus 1900
Und sind allsamt also ins Elend kommen.
Zu dieser fur die Juden so gefahrlichen Anklage gesellte sich eine
zweite, die in ihrer Art ebenso diabolisch war, und die man mit demselben
Raffinement in die Gehirne der Massen hammerte. In den Passionsspielen,
Schwanken usw., in denen Juden auftraten, lieC man diese namlich neben
183
i^ppS"
Hi] ictg' iDu tec Grams-
1S8. Albert Engstrom. Simp];
ihren Schmahungen uber Maria und Jesus Christus noch aufierdein in langen
Reden auseinandersetzen, sie, die Juden, wurden, wenn sie in der Lage der
Christen waren, d. h. wenn sie uber die Christen dieselbe grofie Gewalt
hatten, wie sie die Christen uber die Juden haben, — dann wurden sie mit
den Christen noch ganz anders verfahren, als diese es mit ihnen machen.
Sie wurden ihnen die Haut bei lebendigem Leibe abziehen. Auf diese
schlaue Weise wollte man nicht nur die Volkswut aufs Hochste gegen die
Juden aufreizen, sondern aufierdem die den Juden von den Christen zuteil
werdenden Drangsale entschuldigen und beschonigen. Ein besonders be*
zeichnendes Beispiel dieser raffiniertesten Art der Judenverfolgung bietet
„Ein seltsam und wunderbarlichs Gesprach von zweien judischen Rabinen
gehalten", das naturlich, wie man damals mit Vorliebe fingierte, um
Leser und Horer moglichst grundlich zu beeinf lussen, von einem biederen
Christenmenschen „von ungefahr" mit angehort worden sein sollte. Ich
gebe nur den Anfang und den Schlufi dieses aus der zweiten Halfte des
16. Jahrhunderts stammenden, ganz aufierordentlich interessanten Dialogs,
der insgesamt mehr als dreitausend Zeilen umfafit:
184
Rabi
Rabi Senderlein, konnten wir erwerben,
Alle Christen durchaus zu verderben.
Ich dichte darnach friih'und spat,
Wie der Sachen war zu finden Rath,
Dafi wir Herren wiirden in ihrem Land,
Ihr Geld, Gut bringen in unser Hand..
Alsdann so hatten wir den Gwalt
Beid todt zu schlagen jung und alt,
Ja in der ganzen Christenheit
Geschichts nicht bald, so ist mirs leid.
Fiirwahr das sag ich dir auch heut
Denn die kein Geld han sein arm Leut.
Fey del
Es steht auch all mein Sinn und Muth
Nur nach der Christen Gut und Blut.
Darzu so helf uns Gott und Gliick,
Die Christen zu verstofien gar zuriick,
Daft sie nicht wiederum auffstehn
Und blofi auss all dem ihren gehn,
So hatten wir dann die Oberhand
Alle Herrn zu stoften aus ihrem Land.
Und wir darinnen sicher bleiben
Niemand wiirde uns daraus vertreiben,
Das sag ich dir bei meinem Eid.
Rabi Senderlein wie gefallt dir der Bscheid?
Rabi Senderlein: Fiirwahr der Bscheid gefelt mir wol usw.
Der SchluB des Dialogs lautet:
Hiemit wolln wir nun beschliefien
Und sollt es alle Gojim verdrieften.
So miissen sie solches von uns Ieiden
Und sollts ihnen Wunden ins Herz einschneiden
Und speien sie an ihr eigen Zahn*.
Woher sie kommen, gehn oder stehn,
Rabi Senderlein -
LaB sie nur tapffer auf sie greifen,
Sie konnen bald weder tantzen noch pfeiffen,
Wir wollen also fort mit ihnen handeln,
DaB keiner behalte Rock oder Mantel,
Es sitzt mir schon einer im Haus,
Der war auch gem gezogen aus.
Xtbjifyiiliuna
3n ^tringaWtf
(lilunc&ux ltatnno&tttta
T ^,,cf|
189—191. Karikaturen »
Fuchs. Die Juden in der Karikatur
; E. Thony und F. v. Reznicek. Simplicissimus.
185
24
Dem mufi ich gehn sein Sachen machen,
Auf dafi er morgen nicht wird lachen,
Derhalben ist es jetzt mein Zeit,
Ich sag aber doch nicht alien Sachen queyt,
Du wollest der Sach auch weiter nachdencken,
Den Gojim ein recht Blutbad zu schencken,
Wie ich dann lang darauf hab gedacht,
Darauf hab dir ein gute Nacht.-
In einer „Komodie vom Soldan von Babylonia" von J. Ayrer, in der u. a.
auch ein Jude auftritt, wird dieser gleich im Personenverzeichnis als „der
Jude und Christenverrater" bezeichnet, und darum werden ihm auch die
entsprechenden Worte in denMund gelegt. Der Jude hohnt iiber die simple
Harmlosigkeit der Christen in folgender Weise:
Bei Gott, grofi Narren seind die Christen,
Dafi sie jedoch aus unseren Listen
Nicht mercken, dafi alle Juden seind
Ihnen von Herzen gram und feind.
Traun, ich sage bei meinem Eid,
Es ist mir in meinem Herzen leid,
Dafi ich sie nur mufi sehen leben,
Wenn mir Gwalt uber sie war geben
Wie sie Gwalt uber die Juden haben,
Sie hatten langst gefressen die Raben.
A ROTHSCHILD, IE ROl DES GMNCHES
Ich begntige mich mit diesen wenigen charakteristischen Beispielen
aus dem Gebiet der literarischen Satire. Denn schon diese wenigen Proben
genugen vollauf, um hinreichend zu belegen, worauf es hier in der Haupts
sache ankommt: da6 eben alles aus demselben Geist geboren ist, Bild und
Wort, und dafi das Bild, die gezeichnete Karikatur, deshalb im Einzelnen
wie im Ganzen ein getreuer und darum zuverlassiger Spiegel der Gefuhle
ist, mit denen die Massen in den hier in
Frage stehenden Jahrhunderten und Lans
dern den Juden gegenuberstanden.
Im Rahmen dieses Kapitels mufi zum
SchluB noch eines Motives gesondert ge*
dacht werden, daseine groBe Rolle in der
Weltliteratur spielt, und das unbedingt hier*
her gehort. Es ist dies die Sage von Alias*
verus, dem Ewigen Juden. In diesem Motiv
verkorpert sich das Symbol der ewigen
Ruhelosigkeit und der Heimatlosigkeit der
Juden: „G6tter kommen und schwinden —
ewig wandert Ahasver." Dieses Motiv ge*
hort deshalb in den Rahmen dieser Arbeit,
weil es in seiner Idee karikaturistisch ist,
Quel grvx cuchonl It est tjraa de notre maigreur.
192. Rothschild. Pere Peinard. Paris
186
Rulomobil, Patent Sdtmul
Billigrtcr Bttrieb!
Oanllidi' gcfahrlos 1
jJAttlO-
193. J. Bahr. Der Scherer. Innsbruck. 1900
und zwar grotesk4tarikaturistisch. Und es mufi dieses Motives sogar etwas
eingehender als manches anderen gedacht werden, weil es einerseits das
einzige rein kunstlerische Motiv ist, in dem im Mittelalter das Massenschicks
sal der Juden Form gefunden hat, und weil es andererseits das einzige
tragische Motiv ist, zu dem die Rolle der Juden in der damaligen Gesell*
schaft die schopferische Kraft der Volkspsyche inspiriert hat.
Das fur fruhere Zeiten, also bis tief ins 18. Jahrhundert hinein Aufs
falligste am Schicksal der Juden war deren Heimatlosigkeit in Europa,
und ihre Ruhelosigkeit, die sie iiber alle Strafien der bekannten Welt
trieb. Diese allgemeine Eigentumlichkeit im Lebensschicksal des judischen
Volkes war auch das Auffalligste fur jene Zeiten der lokalen Gebunden*
heit des Einzelnen. Dieses Unterscheidende im Dasein der Juden muBte
jener Zeit wiederum als ein grausamer Fluch vorkommen, der an ihnen
Allen haf tete, dem sie standig zu entf liehen suchten, und dem kein Einziger
zu entfliehen vermochte. Eine andere Vorstellung war nicht denkbar. In
jenen Zeiten, wo es noch kaum eine Spur von nationaler Solidaritat gab,
geschweige denn von einer allgemein menschlichen, wo die Tatsache aus*
reichte „er ist nicht ortsansassig", um den Betreffenden bar jeden Schutzes
zu machen, wo man sich nur unter den schwersten Miihen an einem andern
187
19t. Das judische Pferd. Karikaturistischer Hol2sehnitt von B. Berneis. 1905
als dem Geburtsort ansiedeln konnte, — in jenen Zeiten war der Zustand
der Heimatlosigkeit das traurigste Los, das einem Menschen beschieden
sein konnte. . Es gait als fast so schlimm wie der Tod, und die Stadtver*
weisung war eine der hartesten Strafen, die iiber einen Missetater verhangt
werden konnte. Wenn also ein ganzes Volk in dem Zustand der ewigen
Heimatlosigkeit sich befand, wenn seine Glieder iiber die ganze jeweils
bekannte Erde verstreut waren, und wenn man an dem ewigen Wanders
188
trieb, der die Juden beseelte, es so empfand, als ob sie immer auf der Suche
nach einer bleibenden Heimat seien, so mufite dies fur die Vorstellungskraft
jener Zeiten unbedingt als die Folge eines furchtbaren Fluches erscheinen,
der auf den Juden als Gesamtheit laste. Und dieser Fluch konnte wiederum
nichts anderes als die Strafe fur das grofite Verbrechen sein, das einer der
Ihren einmal begangen hatte, und fur das nun dauernd sowohl die Gesamt?
heit der Juden als auch jeder Einzelne von ihnen in der Form der steten
Heimatlosigkeit und der ewigen Ruhelosigkeit zu bufien hatte. Was
konnte es aber fur jene Zeiten Verbrecherischeres geben, als eine schwere
Versundigung an Jesus Christus. Fur die damalige Vorstellungsweise gab
es, wie ich schon.weiter oben sagte, keine grofiere Siinde. Und dieses un*
verzeihliche Verbrechen hat ihnen denn auch der sagenbildende Volksgeist
jener Zeiten in der Sage von „Ahasverus, dem ewig wandernden Juden"
angedichtet. In einer Schrift aus dem 17. Jahrhundert, die die Volkssage
von Ahasverus als geschichtliche Wahrheit annimmt, wird die Tat und
das Schicksal des Ahasverus
folgendermafien geschildert:
„Als Christus unser wertester Heiland
zum schmahlichen Kreuzestod verurteilt und
solche neue Zeitung unter die Leute zu Jerus
salem, deren bei dem instehenden Osterfest
ein fast unzahlbare Zahl waren, gekommen, ist
jedermann die Exekution, wie es in dergleichen
Fallen ublich ist, zu sehen zugelaufen. Da
sei unter andern ein Jude Namens Ahasverus,
ein Schuster seines Handwerks, der nahe an
dem Thor, wodurch Christus zur Richtstatt
mufite gefiihrt werden, wohnte, aus seiner
Werkstatt herausgelaufen, auch sein Gesinde,
es mit anzusehen, gerufen, da nun der Heiland
ganz mud und abgemattet mit der schweren
Kreuzeslast vor des Juden Ahasveri Tiir etwas
stillgestanden und ruhen wollen, da habe es
dieser Jude nicht wollen zugeben, sondern
den Herrn mit dem Leist, so er in der Hand
gehabt, geschlagen, fortgestofien und heilien
fortgehen; worauf ihn Christus mit zornigem
Angesicht angesehen und gesagt: Ich will
zwar hier ruhen, Du aber sollst gehen, bis
ich wiederkommel Darauf der Jude sofort
sein kleines Kind, so er auf dem Arm gehabt,
niedergesetzet, Christo zur Richtstatt nach* _ Ein koscheres Paar
gefolget, Sein jammerliches Leiden, Schimpf- 195. Katikatumtischer Holischnitt von B. Bemeis
189
liche Kreuzigung und schmerzlichen Tod selbst mit angesehen, nach deren Verrichtung er nicht wieder
nach Jerusalem kehren konnen, habe also sein Weib und Kind nicht wieder zu sehen bekommen, sons
dern sei in der Welt herumgereiset, wandere auch noch bis auf den heutigen Tag umher."
Diese Sage vom Ewigen Juden , die die ganze Weltliteratur befruchtet
hat, hat in Wahrheit in der Bibel keine Stutze; sie ist erst etwa im 13. Jahrs
hundert entstanden. Es ist ausschliefilich der Volksgeist, und zwar der satis
rische Volksgeist, der hier dichterisch am Werke war.
Es kann gar nicht bestritten werden, dafi die Figur vom Ewigen Juden
ein karikaturistisches Gebilde ist, und genau so in das Gebiet der Kari*
katur gehort, wie Don Quichotte, der Held des Cervantes. Denn das Gro*
teske, die iiber MenschenmaB hinausragende Ruhelosigkeit als Schicksal
des Ewigen Juden, ist eben der Wesenskern dieser Dichtung. In der unge*
heuer grotesken Steigerung des Gedankens, nie und nimmer zur Ruhe zu
kommen, durch die Jahrtausende hindurch wandern zu miissen, an alien
grofien Fahrnissen der Menschheitsgeschichte, den Tod und damit die Er*
losung suchend, teilzunehmen, immer aber nur den Tod und den Unter*
gang der andern zu erleben, — in dieser Vorstellung hat der Menschengeist
ohne Zweifel eine seiner kuhnsten Karikaturen geschaffen. GewiB zugleich
eine seiner erschutterndsten. Wenn sich
nun ein Motiv wie das von Ahasverus
an die Juden kniipft, so muB man ge*
wifi sagen, dafi damit auch das Mitleid
an die Vorstellung vom Volksschicksal
des Judentums geknupft ist. Das heifit
also : durch die Erschaffung dieser Figur
erweist sich die Volkspsyche auch als
mitfuhlend mit den Juden. Nichts*
destoweniger handelt es sich auch in
diesem Motiv sogar in erster Linie eben*
sosehr um eine schneidende Satire auf
das Judentum. Denn die Sage lafit die
Juden die Qualen dessen, der niemals
Ruhe finden kann, der ewig nach der
ErlosungsuchenmuB, als durchaus vers
dient erleiden. Mit Wonne werden in
Comment, ;u es encore avee uit Juif J Dccidemcnt iu cs
co mme Ja mcr Rouge -lu ne t'cntr'cuvfcs que pour les Hebrcux.
196. Galante Karikatur von A. Guillaume
190
Kurgaste
197. \V. J. Konijaeuburg. Aus De Kroniek, Amsterdam 1895
den volkstumlichen Behandlungen dieser Sage die Gefahren ausgesponnen,
denen sich Ahasverus immer von neuem aussetzt, um in ihnen den Tod
zu finden. Deshalb aber ist es viel zutreffender, wenn man folgert: dieses
Motiv ist ebensosehr aus grofitem HaB wie aus verstehendem Mitleid
geboren. Damit aber uberwiegt in fruheren Zeiten von selbst der Hohn,
das heifit das Satirische in diesem Motiv.
In der Figur des Ewigen Juden handelt es sich selbstverstandlich durch*
191
aus um ein literarisches Motiv,
und gar nicht um einen objektiv
bildhaften Gedanken; denn der
Inhalt und damit die Wesenheit
seines Schicksals kann nur in
einer epischen Darstellung um*
spannt werden. Die Idee gipf elt
nicht in einer einzigen Pointe,
sondern in Dutzenden ; sie zeigt
eine Reihe von Gipfeln. Die
Behandlung war darum auch
uberwiegend eine literarische.
Gleichwohl kam es auch zu
bildhaften Gestaltungen , und
zwar vornehmlich in der Form
der grotesken Darstellung eines
sturmisch iiber die Erde dahin*
eilenden alten Juden. Von dies
ser Verkorperung gebe ich hier
ein sehr gutes Beispiel. (Siehe
Beilage neben S. 144.) Eine andere bildliche Losung bot die Form einer
ganzen Bilderserie, in der die verschiedenen Erlebnisse des Ewigen Jus
den dargestellt sind. Diese Darstellung ist naturlich noch haufiger ge*
wahlt worden. Am beruhmtesten sind von solchen Darstellungen die
Illustrationen, die Gustav Dore zu dem Gedicht „Le Juif Errant" von
Dupont gemacht hat. Diese zwolf Blatter offenbaren die ganze GroBe der
grotesken Phantasie Dores. Ahasver wandert durch die ganze Geschichte
der Menschheit. An ihren gefahrlichsten Entscheidungen und Augenblicken
ist erTeilnehmer. Aber immer geht er heil daraus hervor. In kuhnster und
groteskester Steigerung zeigt uns Dore die Gefahren, denen Ahasver sich
aussetzt; die Phantasie kann wirklich keine tolleren Gebilde entwerfen, und
sie hat sich auch nie toller ausgelebt als auf diesen Blattern. Ich gebe hier
als Beilage (neben S. 152) das letzte Blatt dieser Serie, auf dem Ahasverus
als alter Jude endlich beim Jungsten Gericht angelangt ist und hier nun
Ruhe findet. Die Trompete des Jungsten Gerichtes schmettert ihm in die
Schnorrer (zum Bankier der ihm energisch die Tiire
gewiesen): „Das sagen Sie mir, Herr Silberberg!
Bin ich nicht ebensogut e Mensch wie Sie?!"
Bankier: , Machen Sie, daft Sie hinauskommen, oder
ich lasse Sie durch meine Dienerschaft hinauswerfen,
Sie unverschamter Patron!"
Schnorrer: „Was? Wie? . . . Wenn Se waren e
Kavalier und wenn ich war auch e Kavalier, wiird'
ich Se jetzt ford em!"
198. F. Harburger. Wenn — ! Fliegende Blatter
192
Paul Singer, sozialdemokratischer Fiihrer und Reichstagsabgeordneter
Deutsche Karikatur von P. Brandt; Kladderadatsch. 1903
Bellage in Eduard Fncbs, .Die Jnden in der Karikatm*
Albert Ltngen, Mflncben
Ohren: „Du bist erlost, deine
Siinde ist gebiiBt!" Und erlost
atmet er . auf ! Zum erstenmal
darf er die zerfetzten Schuhe
von den FuBen tun, und mit
wahrer Wollust streift er sie ab.
Das gesamte Judentum fiihlt
man in diesem begluckt auk
atmenden alten Juden, dem der
Bart bis fast zu FuBen herab
gewachsen ist, von seinem alten
Fluch erlost. Es ist bis jetzt frei*
lich nur in den Hohen der Dich*
tiing erlost.
„Veitelleben, setz dich nauf auf den Braunen!"'
..Vaterleben, was soil ich machen den Umweg, liu
kommen auf die and're Seit'!?"
199. Ludwig von Nagel : Vorahnung
Die sprachliche Satire. Auch in der Sprache hat sich der morali*
sierende Kritizismus eine spezifische Ausdrucksform geschaffen: das
Sprichwort. Das Sprichwort redet fast immer mit satirischem Munde.
Schon aus diesem Grunde gehort auch das Sprichwort, soweit es sich mit
den Juden beschaftigt — und es beschaftigt sich sehr viel mit ihnen — in
den Rahmen dieser Arbeit.
Das Sprichwort ist die von der Masse selbst geschaffene Lebensphilo*
sophie fur den Tagesgebrauch. Es ist die durch tausendfache Erfahrung
gesammelte, formulierte und korrigierte Weisheit der Gasse. An jedem
Sprichwort hat ein ganzes Volk mitgearbeitet. An jedem einzelnen haben
Tausende und Zehntausende geformt und geschliffen, bis es seine spezifis
sche Form erlangte, die ihm einen Allerweltskurs verschaffte und es sozus
sagen auf die Hohe eines Glaubenssatzes erhob. Das Sprichwort ist des*
halb bis zu einem gewissen Grade nichts anderes als eine populare und
profane Erganzung der biblischen Glaubenssatze; diese drangten nach Er*
ganzung, weil ihre Weisheit nicht fur alle Falle des Lebens ausreichte.
Darum stammt das Sprichwort zumeist auch aus jenen Zeiten, in denen es
auBer der Bibel und auBer den religiosen Glaubenssatzen noch keinerlei
andere Morallehren fur die Massen gab. In diesen Zeiten muBte sich das
Fuchs. Die Juden in der Karikatuc
193
Volk seine Wissenschaft, deren es zur Erleichterung seiner Existenz bedurfte,
selbst schaffen. Und es schuf sie sich auch selbst, und zwar auf dem Weg
der selbstgewonnenen Erfahrung. So entstand z. B. die Volksmedizin. In
der praktischen Lebens* und Menschenkunde, wenn man esso nennen will,
formulierte das Volk seine Erkenntnisse in der Form des Sprichwortes. Das
Sprichwort ist empirisch errungene Volksweisheit auf die knappste Formel
gebracht. In dieser Knappheit wurzelt, neben seiner apodiktischen Form,
seine Einpragekraft bei den Massen. Aus diesen Zusammenhangen erklart
es sich, dafi das Sprichwort seine unbestrittene Herrschaft auch am langsten
in den Volkskreisen und den Landern behauptet hat, die besonders lange
und besonders hermetisch von den alles Hergebrachte korrigierenden Ein*
fliissen der exakten Wissenschaften abgeschlossen blieben. Das sind uberall
die Bauern, die kleinen Handwerker und der Mittelstand. In diesen Kreisen
hat man an die Richtigkeit eines Wortes, das einmal zum Sprichwort ge*
worden war, viele Jahrhunderte lang geglaubt. Heute entstehen aus den
gleichen Griinden keine Sprichwort
•- — « ©ic Usefcfaneitiuitg
200. Kikeriki. Witn 1912
ter mehr. Die exakte Wissenschaft
Hndet mit ihrer richtigstellenden
Tatigkeit heute selbst in die kleinste
Bauemstube des abgelegensten Dor*
fes ihren Weg, und ware es nur in
den Spalten des Bauernkalenders,
den jeder Dorfler kauft und liest,
wenn er auch sonst kein Geld fur
Gedrucktes ausgibt. Dem Sprich*
wort ist aber auch schon das Todes*
urteil gesprochen, wenn das Dens
ken und Fiihlen der verschiedenen
Klassen von starken Gegensatzen
beherrscht ist. Das Sprichwort kann
nur aus einer einheitlichen Volks*
meinung entstehen. Und diese starke
Gegensatzlichkeit im Denken und
Fiihlen der verschiedenen Klassen
ist bekanntlich schon lange und
194
Die
Kkctttldemo e&ttt e
iiberall das Wesenss
merkmal der Zeiten.
Diese Umstan*
de, unter denen ein
Sprichwort entsteht
und sich verbreitet,
erheben es fur jene
Zeiten, in denen es
unbestritten herrsch*
te, wo es haufiger als
das bare Geld kur=
sierte, zu einem Kul«
turzeugnis allererster
Ordnung. Weil die
in einem Sprichwort
ausgedriickte Mei«
nung sozusagen von
der Gesamtheit der
betreffenden Zeit
approbiert ist, darum
ist es aufierdem der
entscheidende Mafis
stab fur die Richtig*
keit oder Unrichtigs
keit aller anderen aus
dieser Zeit stammen*
den Werturteile. Auf
unseren Gegenstand angewandt, bedeutet das: auch das Sprichwort erweist,
bis zu welchem Grade die Karikatur in ihrem extremen Gewande die
Wahrheit sagt oder falscht; es ist dieser gegeniiber Mafistab und Korrektur
zugleich. Auch aus diesem Grunde ist das Sprichwort, in dem von den
Juden die Rede ist, fur diese Arbeit von Wichtigkeit.
Schlieftlich kommen die Sprichworter noch aus einem dritten Gesichts*
punkt fur uns hier in Frage. Sehr haufig sind bestimmte Karikaturen nur
illustrierte Sprichworter; der satirische Sinn des Sprichworts schuf dem
i» ,£#wi *t w&tWr, tatitjMi urn ,Jhfmfi -
201. Kikeriki. Wicn
195
is*
Karikaturisten den Anreiz. Das gilt auch von manchen Judenkarikaturen,
die nichts anderes sind als Illustrationen zu besonders popularen Sprichs
wortern uber die Juden (Bild 23).
Die Sprichworter des 15. bis 17. Jahrhunderts — das ist ihre Haupts
blutezeit — behandeln selbstverstandlich nicht nur auch die Juden, son--
dern behandeln sie, wie ich schon eingangs dieses Kapitels sagte, sogar oft.
Die Sprichworter, die sich mit den Juden beschaftigen, diirften nachTausen*
den zahlen. Man begegnet Sprich wortern uber die Juden nicht nur in jeder
Sprache, sondern vielfaltig in jeder Mundart, und aufierdem sind zahlreiche,
ja sogar die meisten von ihnen, in alien Sprachen anzutreffen. Das eine
wie das andere ist nicht weiter verwunderlich. Weil die Juden in ihrem
Wesen gleichartig sind, und weil sie in alien Landern dieselbe Rolle inner*
halb der Geldwirtschaft gespielt haben, darum gelangte man notgedrungen
auch uberall zu denselben Erfahrungen.
Das Fazit, das man aus dem Sprich worterschatz der verschiedenen
europaischen Lander ziehen mu6, ist nun, dafi das Sprichwort nirgends die
in der Karikatur zum Ausdruck kommende Allgemeinanschauung uber die
Juden korrigiert, sondern die sprachliche Satire deckt sich vollkommen mit
der graphischen und der literarischen Satire. Es unterstreicht diese alle so*
gar noch vielfach durch seine grofiere Knappheit. Im Sprichwort lebt der*
selbe HaB gegen die Juden, in ihm werden gegen die Juden dieselben Vor*
wiirfe erhoben und die gleichen angeblich spezifisch judischen Eigenschaften
als Laster bekampft.
Ich habe hier eine kleine Auswahl charakteristischer Sprichworter uber
die Juden zusammengestellt, die, bei aller Beschrankung, dieses Urteil wohl
hinreichend belegen werden.
Der tiefe Hafi gegen die Juden, soweit er sich im Sprichwort ausdriickt, kann nicht drastischer dokumen
tiert werden, als durch die drei folgenden Sprichworter, von denen die beiden ersten in mehreren Sprachen
vorkommen: „Sc*hlage einen Jiiden tot, so nimmt es deiner Seele vierzig Siinden ab." „Die Spreu vom Weizen
auslesen, heifit Juden und Huren ertranken," und: „Man mufi es machen wie der Kosak Gonta, der die
Juden reihenweise aufspiefien liefi." (Russisch.) Das zweite Sprichwort heiftt in der Ukraine: ...Spreu
vom Weizen auslesen, ist Polen und Juden ausschlachten."
Das ewige Judenschreckwort: „Der Jud ist schuld" und die bis auf den' heutigen Tag so stereotyp
wiederholte Anklage: Die Juden sind dasUngluck der Welt, und die Juden sind schuld an unserem Ungliick,
spiegeln die folgenden Sprichworter: ,,Die Juden haben die Luge in die Welt gebracht"; „Der Juden
Reden und Liigen unterscheiden sich wie Eier von schwarzen Hiihnern und weifien". „Wo ein Jude
hinspuckt, wachst Unkraut"; in einer anderen Fassung: „Wo ein Jude: hinspuckt, gibts Ungliick"; „Wenn
einen der Teufel verderben will, kommt er in der Gestalt eines Juden"; „Ein Ungliick kommt selten
allein, sagte der Bauer, da sah er drei Juden des Wegs kommen"; „Das Ungliick lauft in Judenschuhen
196
Das untertrbtfcfye lUi^lanb.
(tin J»ili> aljuc SUoi-tv turn Cinvoljiuen.
202. Kikcriki. Wien
ITlei' Cioarrcnfptft.
„Wer sein Haus rein halten will, der vcrschliefi die
Tiii voi Juden und Huren." „Juden und Edelleute
verdetben alles in Giund und Boden."
Das angeborcne Gcschick der Juden zum
Geldverdienen und zum Reichwerden diiicken die
drei folgenden Sprichworter gcradezu k (assise h aus:
„Setz den Juden auf einen trocknen Stein und gib
ihm einen Beutel Geld in die Hand, ei wird reich"
(Tschechisch): „Ein Jude hat immei Gliick, und
wenn er bis Mittag im Bett bleibt" (Preufiischl;
..Reich wie ein Jude" (Franzosisch).
Auf die Geldgier der Juden: daft sic aufier
ihren Geschaften nichts im Kopfe haben. daft sie
liberal] anzutreffen sind, wo es etwas zu verdienen
gibt. und dal5 ihnen kein Weg zu weit ist, wenn ein
Rebbach winkt. darauf gibt es begreiflichcrwcisc
besonders vielc Sprichworter. Typischsind die folgen=
den: ..Wenn dem Juden ein Groschen winkt. lauft
er durch ein ganzes Kirchspiel"; ..Wenn es etwas zu
verdienen gibt, fricrt's den Juden niemals in die
Fiifte"; ,,1-ieben wir uns wie Briider, und feilschen
wir wie Juden", — das soil heificn: In der Kirche
ist man der Bruder des andern, aufterhalb ist einer
fiir den andern nur Gcschaftsobjekt. „Kein Sumpf
ohne Teufel, kein Herrenhof ohne Juden"; „Wo
ein Jude Nachlese gehalten bat, kratzt kein hungriger
Wolf mehr etwas heraus". Wenn es etwas zu verdie>
nen gibt, macht der Jude angeblich so wenig wie die Hure einen Unterschicd, woran und wo er vcrdient,
darum sagt man: ,.Die Huren und die Juden sind alien feil". Die angeblich haufigerc Unreellitiit der Juden
beim Geschaftemachen und ihre Durchtriebenheit gehoren ebenf alls hierher. Ein hierauf sich beziehendes
polnisches Sprichwort lautet: „Den Polen hintergeht der Deutsche, den Deutschen der Walsche. den Walschen
der Spanier, den Spanier der Jude. den Juden aber blofi der Teufel"; ein zweites polnisches Sprichwort lau*
tet: „Gott soil behiiten vor goische Hand' und vor jiidische Kopp". Deutschen Ursprungs sind die folgen*
den: „Der Jurist mit seinem Buch, der Jud mit seinem Gsuch, das unter der Frauen Fiirtach. Diese drei Ge*
schirr machen die ganze Welt irr"; „Wer einem Wolf traut auf der Heid, einem Juden bei seinem Eid, einem
Kramer bei seinem Gewissen, der wird von alien drei gebissen". ,, Juden und Kramersleut sind des Teufels
seine Freud". Unter den folgenden Umstanden sind sie angeblich aber auch die des lieben Herrgotts: ..Wenn
ein Jud den andern, ein Pfaff den andern, oder ein Weib das andere betriigt. so lacht Gott im Himmel".
Die Sparsamkeit der Juden, ihre Unersattlichkeit in Geldsachen und ihren Geiz behandeln die f olgen=
den Sprichwoiter: ..Selten sind sieben Dinge. Eine Nonne, die nicht singe, Ein Madchcn ohne Liebe, Ein
Jahrmarkt ohne Diebe, Ein Geiftbock ohne Bait, Ein Jude, der nicht spart, Ein Komhaus ohne Mause.
Und ein Kosak ohne Diuse '. „Huren und Juden sind wie ein grundlos Merr, Sie verschlucken Leib, Gut
und Ehr". „Der Jude dreht jeden Pfennig dreimal um, bevor er ihn ausgibt". „Gcizig wie eine Rabbinerss
frau". „Des Juden Herz klopft im Geldbeutel". „Ein Jude lafit seinen Rock dreimal wenden." ..Der Jude
und der Bauer sch nur auf den eigenen Acker".
Die starke jiidische Sinnlichkeit ist ebenfalls ein nicht seltenes Thema im Sprichworterschatz der vers
schiedenen Nationen. „jude und Bock stinken vor Geilheit". „Er ist geil wie der Jud am Schabbes". ,.Wer
wird niemals satt? des Juden Geldbeutel und der Jiidin F . . ." „Was eine richtige Jiidin ist, iftt auch gern
treefe' r . Um einen sinnlichen Menschen zu charakterisieren, sagt man in Schwaben: „Er tragt ein Juden>
hemd", worunter man die auf grofiere Sinnlichkeit der Juden gedeutete starke Behaarung an Brust. Annen
usw., bei Frauen den Schnurrbartansatz, versteht.
£l Bur? (Jyn .
3. Kiktiilri. Wira
198
Es diirfte wahrscheinlich keine den Juden eigentiimliche oder ihnen angedichtctc Eigenschaft geben,
die der Volksmund nicht zu einem moralisierenden Sprichwort ausgemiinzt hatte. Weil der Jude in alle
Dinge seine Nase steckt. sagt ein poln'isches Sprichwort: „Kein Handelchen ohne ein jiidisches Kopfchen' .
Uber die ewige Unruhe der Juden heifit es: „Er treibt sich in der Welt herum wie ein Jude". Da an:
gehlich niemand so unterwiirng ist wie der Jude, so heiBt es: ,,SchmeiBt man den Juden vornen hin-
aus, so kommt er hinten wieder herein". Ein anderes Sprichwort sagt es noch drastischer: „Spei dcm
Juden ins Gesicht. und er sagt: es regnet". Aber das ist nur scheinbar; nur ins Gesicht sei der Jude
unteiwiirfig. In Wahrheit verzeiht der Jude niemals eine ihm zuteil gewordene Dcmiitigung. Ein spanisches
Sprichwort sagt: ..Jude, Weib und Kronentrager verzeihen nie". Auch auf die jiidische Freundschaft
sei so wenig wie auf die eines Monches ein voller VerlaB: „M6nch und Jiid sind niemals gute Freunde"
Deshalb rat ein anderes Sprichwort: „Mit Juden und PfafTen habe nichts zu schaffen". Um einen unge*
bildeten Menschen zu kennzeichnen. sagt ein ungarisches Sprichwort: „Es ist ein Jude im Hausc" — weil
der jude nicht weifi. daft man in einem fremden Hause den Hut abnimmt. Ober die jiidische Unsauber?
keit sagt ein polnisches Sprichwort: „Der Jude' und der Russe waschen sich nur einmal im Jahr. und
wenn sie zufallig ins Wasser gefallen sind. gar nicht". Wenn einer fortwahrtnd nur mit Worten um sich
wirft. ohne iemals Taten folgen zu lassen. sagt man: ..Jiidisches Vesperlauten" — das soil bedeuten: des
Juden ganze Frdmmigkeit be*
stehe in seinem Geschrei m 2iusit>anbcrung nad} palaftina.
der Synagoge. Die Putzsucht
der Jiidinnen soil grofter als
die alter anderen Frauen sein.
darum heiBt es: ..An einem
ludenweib hangt immer tt-
was, und wenn sie noch so
arm ist". Vor allem aber ist
der Jude der groftte Real*
politiker. ihm imponiert nur,
wasvorhanden ist: „Fur'sGe»
wesene gibt der Jud nichts".
In dieser Weise konnte
man noch lange fortfahren
bis man zu Ende kame. Ich
muB mich aber im Rahmen
dieser Arbeit auf diese knappe
Auswahl beschranken. Es
bleibt nur noch eine einzige
Kategorie, die nicht (iber*
gangen werden darf, und das
sind die Sprichworter auf die
getauften Juden. Mit den ge-
tauften Juden beschaftigen
sich gin: besonders viel
Sprichworter. Man begegnet
solchen schon in allerf itihester
Zeit und ebenfalls in jeder
Sprache, weil eben die gesell*
schaftlichen Zustande jedes
Landes immer wieder zahl*
reiche Juden dazu zwangen,
sich tauf en zu lassen. Da >"*■ S* *• •"* •" ^ * ? '° 4t " * li * [| ■
nur mit ganz wenigen Aus- v». KikcnU. Wto
199
$2cue bev „ju&ifd?e genius" c*usfiei?f . . .
nahmen,. sodafi man eigentlich ohne Obertreibung
sageii konnte niemals, andere Griinde als solche
rein aufierlicher Art den Religionswechsel der Juden
bestimmten, so hat sich auch dadurch nichts an
ihrem Wesen geandert: „Jud bleibt Jud t und wenn
er sich zehnmal schmatten lafit" (was besonders
Geschaftskundige wegen des jedesmaligen Patens
geldes f'riiher auch nicht selten getan haben sollen).
Das ist der Tenor samtlicher Sprichworter uber die
getauften Juden. Sie sind sich im Sinn alle dariiber
einig, dafi aus einem Juden niemals ein richtiger
Christ werde, dafi das durch die Taufe vom Juden
angenommene Christentum nicht ernsf zu nehmen
se'i, ja, dafi der getaufte Jude sogar ein besonders
minderwertiger Mensch sei. Ich beschranke mich
fur alles dies auch nur auf einige besonders be?
zeichnende Proben. Die al teste deutsche, die ich
gefunden habe, lautet: „Ob sich ein Jud schon
taufen lat, So ist er doch nit Fisch un Grad Und
hat dazzu zwolf Eid geschworn Ist Krisam und
Tauff dran verlorn". Ein anderes deutsches Sprich?
wort lautet: „So wenig die Maus die Katz frifit, so
wenig wird der Jud ein guter Christ". Wie wenig
der getaufte Jud taugt, behauptet das Sprichwort:
,Getaufter Jud tut selten gut". Denselben Gedanken
driickt ein polnisches Sprichwort so aus: „Gezahm=
ter Wolf, getaufter Jud, gelotet Schwert und ein
versohnter Feind sind wenig wert". Dafi die ge=
tauften Juden in der Skrupellosigkeit geradezu
den Gipfelpunkt darstellen, prazisiert wieder ein
deutsches Sprichwort, und zwar indem es die un=
getauften und die getauften Juden in ihrem Ver=
halten gegeniiber Christum miteinander vergleicht: „Die (ungetauften) Juden verkauften Jesum Christ;
war er noch auf Erden, er wiirde von den getauften Juden aber verkauft werden". Weil man nun mit
den getauften Juden angeblich uberall die gleichen traurigen Erfahrungen macht, darum empHehlt die
Volksmoral im Sprichwort der verschiedensten Lander auch uberall das gleiche. Das beste sei, so sagtsie,
sich der getauften Juden so rasch und so griindlich wie moglich wieder zu entledigen. „Mit den ge*
tauften Juden nur wieder ins Wasser" heilit es im Tschechischen, und in der Ukraine heifit es gar:
,Taufe den Juden und hau ihm den Kopf ab".
Mit diesen Sprichwortern auf die getauften Juden, die besser als alle anderen beweisen, dafi man
dem Juden seinjudentum niemals verzeiht, auch dann nicht, wenn er sich hat taufen lassen, konnte ich
dieses Kapitel abschliefien Aber wenn ich es tate, ware es unvollstandig, weil dann die Gegenseite, die
Gerechtigkeit gegeniiber den Juden im Sprichwort, gar nicht erwahnt ware. Diese Gerechtigkeit kommt
in den Sprichwortern zwar nicht oft, aber doch hin und wieder zu Worte. Das ist ein kleiner Unter*
schied gegeniiber der Karikatur fruherer Jahrhunderte. Ein Sprichwort, das den Umfang der jiidischen
Leiden anerkennt, ist das folgende preufiiche: „Das halt keinjude aus, viel weniger ein Christ". Durch
dieses Sprichwort soil ausgedruckt sein, dafi die Juden Meister im Dulden sind, dafi sie gewohnt sind,
die grofiten Qualen zu ertragen. Ein zweites ahnliches Sprichwort lautet: „Wenn der Jude stohnt, heult
der Christ schon drei Tage". Dieses Sprichwort ist aus derselben Anschauung entstanden. Ein weiteres
Sprichwort behandelt die rasche Hilfsbereitschaft der Juden, es lautet: „Bis der Christ sich umdreht, hat
der Jude schon langst geholfen". Die grofie Hilfsbereitschaft der Juden kommt auch in den beiden
En aibunMotl Jflt ben r ftan(t!riti!tt* ba ,3taea 5"iin ?cc[It*
205. Kikcriki. Wien
200
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Be £hri[;ciiinaicln foppf CT g«ni,
lUcil die fid; foitncu bod) tttr metit'n.
BalD juifrr er [id; iin Ttad'batfjans
Sic hd^e aiiluujts.lfaUc aus
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£r fdjroocl it)r o* Eicb' fc is e-ftgnugi,
Dog fc ben q'Jd/ei&trn natb,an riicgl.
Da Tlanc ZIotImn roartjfi rj*ran.
Da fongt er benn je tjanbeln an.
l"ie cr [tod) raufpert trie cr fpurfi.
Dam date hot cr's abgcgiirlt.
Jor'n Kcbbart; t|Ol et !angj"t Sen Sin i,
Drum bring) bet JTTajjcs ilim (Seirinn.
iSfes,
Unb Mift cnifte^l c groig' *5efd>fiit,
Oo met *t fdjonfitii So* hi irefi'i.
G> ©unbfr — fciirf unb Perfonel
tfmrogen (id) in jcoem .?all ;
Dcim bt'tbt futtt bet Haitian cot -
Da haut bit <5orm user's ©'K.
;jnil) in bet 5djnl' giljl ITatljan qcen
Do alSujt fei' lDcishctl niic c Stent
Do jeitji bos golb'nc rUunbetfinb,
Wit hell fei" Saifl is ttnb qdunb.
3a, in bet ganjeu 3ubeiig*frtjldjt' 1
Do is ct Irefflitt) untctridjl'i.
Die lehrcn, roos bcr Calmnb preift,
tjar lief unb ganj ctfagt fei' (SaViL
Uttb lilies lau[d)t, menn rt oenihrl
Dtu .5ajnlrtjan Urudj* nicmotitt,
IDtnn er mil patlioS fprirfpl cfoi
Uom bunimen, vogtlfcricn <9oit
(Etnjdn in t^od|fiin» ^usftattntig 20 fitUrr-
3luf biefeni Stl> yty. mtt ^ fett.
Dcr iliitrjan (Sciitaliiat.
Das (Dpfec feincc Klnflljeit iff
C (Sanfcrl, bos cr gent geti'iegi.
Dodj iicfcsmal matb arg — be Sdfani)'!
Des ITotban's (Senilis Detfaitnt.
Die polijti — cot bcr ilmi granst —
pacft Ilathan Kob.n mtt ro(]tt ^an(t.
UeactioiiirtJ 3»(lil(l^
Dos cinlptttl, Dcnn man maufen titvii
Dom Haihon glaube tdj jcbod;:
$a 3a& paffirt i(« 5/Uf b«c>I
Wiener antisemitischer Bilderbogen des „Kikeriki". 1910
Bcibge zu Eduard Fuchs, *Die Juden in der Karikatur"
Albert Laneen. Munch en
gas gragte ®etreibe=Pud)ertl)ter bcr gldt
folgenden Sprichwortern zum Ausdruck:
,,Er hat ein jiidisches Herz". Das mit=
tiihlende judische Herz soil an Giite das
aller anderen Menschen ubertreffen, darum
sagte man auch: ,,Christus war so giitig,
denn er hatte ein wahrhaft jiidisches
Herz". Das Recht der Verteidigung auf
seiten der Juden gegeniiber ihren Peinigern
hat die beiden folgenden Worte gepragt:
„Wenn man den Wurm tritt, so kriimmt
er sich, sagt der Jud" (Franken) und: „Der
Jud ist doch eigentlich auch ein Mensch".
Dafi nicht nur beim Juden sondern auch
beim Christen derEigennutz die Menschen
lenkt, druckt ein siiddeutsches Sprich?
wort so aus: „Kommt die Not, so ist der
Jud willkommen, ist sie voriiber, zeigtman
dem Juden die Tur". Dafi die einseitige
Schimpferei auf die Juden als Wucherer
eine Ungerechtigkeit ist, spricht schon ein
Sprichwort im 16- Jahrhundert aus: „Man
bedarf keiner Juden mehr, es sind andere,
die wuchern konnen".
Hier vermag ich nun nicht zu sa=
gen: „so konnte ich fortfahren!" Denn
diese neun Stuck sind alles, was ich an
Sprichwortern, die fur die Juden Partei
ergreifen, unter den vielen Tausenden von
Sprichwortern gefunden habe, die ich fur
dieses Kapitel nachzulesen und aufzu=
treiben vermo'chte. Es mag in Wirklich?
keit gewifi viel mehr geben, aber auch
dann sind es immer nur verschwindend
wenige im Vergleich zu der Zahl jener,
die gegen die Juden Stellung nehmen.
Weil es aber so herzlich wenige Sprichworter gibt, die fur die Juden Partei ergreifen, so sind auch sie
in ihrer Art letzten Endes nur Beleg fur die typische Einheitlichkeit der Massenstimmung in den ver=
schiedenen Zeiten und Liindern, die eben immer gegen die Juden ist.
2?catfte loofojildk $atBcdianq B<9 iiilirtiSi.
206. Kikeriki- Wicn
Die plastische Satire. Der Ha6 gegen die Juden hat sich bei seinen
Proklamationen tatsachlich aller irgendwie anwendbaren satirischen Mittel
bedient; er hat wirklich kein einziges ungenutzt gelassen. Darum gesellte
sich in dem schrillen Konzert der Judenverfolgung zu alien Methoden von
Anfang an die plastische Satire in ihren verschiedenen Moglichkeiten.
Der bedeutsamste, weil beredteste Teil der plastischen Satire sind die
mannigfachenkarikaturistischenSteinreliefsanKirchen,Rathausern,Brucken^
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
26
201
JJur ^tencttju^f-JUtsfleffuttjj.
llllllfe
kopf en, Briickenpfeis
lern und ahnlichen
Kreuzungspunkten
des offentlichen Vers
kehrs. Weiter die
ebenfalls nicht seltes
nen holzgeschnittes
nen Spottfiguren am
Chorgestuhl der Kirs
chen, an Treppen*
gelandern von off ent*
lichen und privaten
Gebauden. Ich habe
diese Formen der
plastischen Satire
schon weiter oben
(S. Ill) behandelf,
weil diese Steinfress
ken, wie ich dort
gesagt habe, iibers
haupt die ersten For*
men der offentlichen
Judenverspottung
darstellen, und weil
sie deshalb den Aus*
gangspunkt bei der
207 K.wikf. wi«. Schilderung der Jus
denkarikaturen iiber haupt bilden mufiten, um so mehr, als die fruhesten
in der Form von Fliegenden Blattern verbreiteten Holzschnittkarikaturen
ja nichts anderes waren, als die graphische Wiederholung der zuerst und
mehrfach als Steinreliefs ausgefuhrten Judensau. Darum kann ich mich
an dieser Stelle mit der blofien Registrierung dieser altesten und eindruck*
vollsten Form der plastischen Satire begnugen.
In der plastischen Satire beruhren sich die Gegensatze des Formates:
neben den in Riesenformaten prasentierten satirischen Steinskulpturen steht
iSas n&fcl boc& alTcr giri-ifi iei- JltCcilsDicn
Sie mutTcn (lets ben Jan ten Svejpnen bicut
3ic i&xes gtfeiftcs ^rudjt JwrjeDven
5Inb iJaCci (<f>TcdMc& fitfi weriiieiSren!
202
als kleinste Form, in ^n tar Affaire Drcvfll5
der sich jeweils die
Satire betatigte, die
Spottmiinze. Aber
so unscheinbar das
Format der Spotts
miinze im Vergleich
zu alien anderen For;
men der Satire ist,
so ist sie doch sehr
oft nichts weniger
als harmlos.
Die Spottmiinze
ist seit einigen Jahr*
zehnten gegeniiber
ihrer friiheren Be*
deutung wesentlich
zuruckgedrangt. Die
graphische Satire hat
infolge ihrer ein*
fachen und raschen
Herstellungsweise,
zu der sich eine fast
unbegrenzteVerbrei*
tungsmoglichkeit ge«
sellt, die Spottmiinze
fast ganz aufter Kurs
gebracht. Gewifi begegnete man im Weltkrieg auch einer Anzahl Spotts
miinzen, aber keine kam zu einer grofieren Bedeutung oder erlangte eine
irgendwie beachtliche Verbreitung. Man wertete sie alle mit Recht mehr
als Kuriositaten.
Friiher war dies anders. Wie zu den wichtigsten Ereignissen und histo*
rischen Gedenktagen stets bildgeschmuckte Denkmiinzen gepragt oder ge=
gossen wurden, so erschienen bei den entsprechenden Gelegenheiten aiich
Spottmiinzen. Wenn nicht auf die meisten, so doch auf zahlreiche Politiker
irt i.* Utijl,' irnrvr cfttfcift. t*i lKf> >\i W« agf kit 9*t«4rm Haipurr kit.
208. Kikcnki. Win
26*
203
und Staatsmanner, auf Fursten unci deren Matressen, auf lokale und polis
tische Ereignisse, die zur Satire reizten und das Allgemeininteresse dauernd
in Anspruch nahmen, usw., sind Spottmunzen gemacht worden. Das
Allgemeininteresse an einer Sac he war naturlich das Entscheidende:. eine
Person, eine Sache oder ein Zustand mufite wirklich die grofiere Alls
gemeinheit interessieren , und obendrein dauernd, wenn sie zur Hers
stellung von Spottmunzen Veranlassung geben sollte. In der Spottmunze
wollte man, ganz wie in der Denkmunze, der betreffenden Sache oder
Person gewissermafien ebenfalls ein ewiges Denkmal setzen. Diesen un<
ausgesprochenen Sinn barg schon das Material in sich. Denn Metall ist
im Gegensatz zu Papier unverganglich, also rechnete man auch auf eine
dauernde, oder wenigstens auf eine lang andauernde Kursfahigkeit. Aus
diesem Grunde begegnet man auch auf den Spottmunzen vornehmlich Sas
tiren allgemeiner Art, also Satiren auf allgemeine menschliche Laster und
Untugenden. Wenn Fursten und Staatsmanner auf Spottmunzen karikiert
wurden, so waren es auch nur solche, die lange im Mittelpunkt des allges
meinen Interesses und der allgemeinen offenen oder heimlichen Diskussion
standen. Solches war z. B. bei Napoleon III. der Fall; denn dessen Res
gierung hielt ganz Europa jahrzehntelang in Atem, und so sind zahlreiche
Spottmunzen auf ihn erschienen. Spottmunzen, welche besonderen Beifall
fanden, wurden sehr haufig entweder immer wieder direkt nachgeformt,
oder nur wenig variiert von neuem in Umlauf gebracht. Wenn die Sports
munze besonders oft gegenuber den Fursten in Anwendung kam, so hatte
dies freilich auch noch seine besonderen Grunde. Der erste ist der, dafi das
auf einer Spottmunze in Kurs gebrachte karikierte Furstenportrat eine nahes
liegende satirische Form ist, nachdem das in den Kurs gegebene Metallgeld
in den meisten Fallen das idealisierte Portrat des betreffenden Fursten zeigte.
Die Spottmunze war also gewissermafien die richtigstellende Antwort „in
der gleichen Munze heimbezahlt". Der weitere und wohl wichtigste Grund,
weshalb Spottmunzen auf Fursten in fruheren Zeiten hauf iger waren, durfte
in ihrer leichteren und darum gefahrloseren Herstellungss und Verbreis
tungsmoglichkeit zu finden sein. Dieser Umstand hat die Verbreitung von
Karikaturen in der Form der Spottmunze jedenfalls sehr gefordert. Die
leichte Verbreitungsmoglichkeit war sicher oft ausschlaggebend in einer
Zeit, wo die strengste Zensur herrschte und die regierenden Herren sich
204
Mieses Geschaft.
.©
Und die Moral von .ler G^hichi'
Ranft nie um tins Has* nichl! —
Dean e* st5rt *ie ubtrull.
Zuni Achillas mengt ncli J is ~VT.ii:
Und jtdsr z&lilt tin — Hodenbeu
D\t Konkurreui auch i]i**#» Fall!
Warden viuzeln beide wmutelu,
KuqiiWb did ermlgreicb. ,rlaudiJu!-
209. Antisemitischer wiener Bilderbogen des Kikeriki
210. Juden und Studenten
nicht scheuten, die ihnen
unbequemen Pasquillans
ten jahrelang in den Kers
ker zu werfen (wie Her*
zog Karl Alexander von
Wiirttemberg den Dichter
Schubart), oder ihnen gar
die Handeabhackenoder
die Zungen ausreiften
lieBen, welch christliche
Mittel sogar gewisse Paps
ste handhabten. Einen
satirischen Kupferstich oder Holzschnitt herzustellen , das war zu alien
Zeiten sehr umstandlich. Bei ihrer Herstellung mufiten verschiedene Per*
sonen zusammenwirken, Zeichner, Stecher oder Holzschneider und Drucker.
Zur Herstellung einer Spottmiinze geniigte fast immer ein einziger, der
Modelleur, der immer zugleich auch Giefier oder Prager war. Obendrein
konnte man ein ..Fliegendes Blatt" niemals so leicht vor den Augen der
strengen Obrigkeit verbergen wie eine Miinze, die man standig in der
Tasche mit sich fuhren und ohne Gefahr heimlich herumzeigen konnte.
Auf die Juden sind nun ebenf alls eine ganze Anzahl Spottmunzen er*
schienen. Wenn bei einer Spottmiinze auf die Juden nun gewifi niemals
die Gefahr vorlag, sich durch ihre Anf ertigung und Verbreitung einer ernst*
haften Bestraf ung auszusetzen, so trat hier um so mehr das liberal! vorhan*
dene und viele Jahrzehntelang gleichbleibende Allgemeininteresse in den
Vordergrund. Wer bei irgendeiner Gelegenheit eine Munze herumreichte,
die den Juden Schande antat.der hatte immer alle Anwesenden — die Juden
eingerechnet — zu Interessenten. Das Judenthema interessierte immer alle
Welt. Darumsind schon sehr friih Spottmunzen auf die Juden entstanden.
Die friiheste bckanntc Spottmiinze auf die Juden sUmmt aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts;
sic zcigt auf der einen Seite einen Juden, der auf einer Sau reitet. auf der anderen Seite belindet sich
eine gehornte Teufelsfratze. Aus dcrselben Zeit wird eine Medaille crwahnt, auf der sich die friiher be*
schriebcne und am weitesten vcrbrcitetc Darstellung der Judensau befiindct. (Bild 6 u. 9.) Etwa hundert
Jahre spiter, im Jahre 1641, erschien ein Taler, auf dem die biblische Legende von David und Bathseba
satirisch glossiert ist. Die auf einem Polster ruhende nackte Batbseba beschaut sich in einem Hand*
spiegel: zu ihren FiiBen knict eine Dienerin, links ist ein Bassin mit Fontaine, im Hintergrund ist das
Konigshaus, auf dessen saulengeschmucktem Dache Konig David die Harfe spielt. Die Inschrift lautet:
206
..Objecta movent sensus" ISolchc Schaustcllungcn crrcgcn die Sinne). Eine ahnliche satirische Darstellung
zeigt eine Bronzcmcdaille aus etwas spatcrer Zeit. Bathseba sitzt hier bereits im Bassin. Der Text lautet
..David bricht die Eh mit Bcrsabea". Dieses crutischc Motiv hat die Satiriker zu alien Zeitcn gelockt,
sowohl urn die allgemeine. als auch urn die angeblich grofie jiidische Sinnlichkeit zu satirisieren. Ans
scheinend ebenf.ills aus dem 17. Jahrhundert stimmt eine talerformige Medaille, die den Obertritt der
Juden zum Christentum verspottet. Die landlaufigc Anschauung iiber die Judentaufen ging im 16. und
17. Jahrhundert unter anderem auch dahin, die Juden wiirden sich nur dann taufen lassen. wenn ihnen
wegen irgendeiner Missetat eine ernste Gef ahr drohe; das ist auch der satirische Sinn dieser Spottmiinze
Der dieser Anschauung entsprechende Text auf der einen Seite der Medaille lautet: „Selten wird ein Jud
ein Christ, Er hat denn was begangen, Auch thut ers meist umbs Geldt, Dah er nicht hangen darft,
Denn wann ers anders stiehlt, So strarTt man ihn zu scharrT." Die Randschrift lautet: „Wenn die Maus
die Katie frifit, Dann wird ein Jud' ein wahrer Christ." Auf der zweiten Seite ist ein Bild, auf dem
dieser Text satirisch illustn'ert wird. An einem felsigen Ufer kniet ein Jude, der einen Miihlstein an
einem Strick um den Hals tragi; hinter ihm steht ein Priester, der mit Schale und Gebetbuch die Taufs
handlung an ihm vollzieht. Seitwarts naht eine Gerichtsperson , welche mit den Handen eine segnende
und zugleich untertauchende Bewegung macht. Die ebenfalls satirische Unterschrift zu dieser Darstellung
lautet: „So (also crsauft!) bleibt er am bcstandigsten." In derselben Zeit sind mehrere Variationen einer
Medaille erschienen, in denen der Jude als Hahnrei verspottet wird. Der zumeist gleiche Text lautet
..Ich trage die Fedem, dafi jedermann schaut, Ein anderer traget sic, der es nicht traut." Die Darstellung
zeigt einen ..Federjuden" mit Federhiitchen. Brille und niedrigen Stulpenstiefeln; auf dem Riicken tragt
er einen groften Sack. Da in friiheren Jahrhunderten infolge der mangelhaften Transportverhaltnisse
jede schlechte Emte sofoit zu Teuerung und Hungersnoten fiihrte, so war, wie ich schon weiter obcn
auseinandersetzte, der Jude als Komwucherer besonders vcrhaftt, und alles, was sich mit dem Kornwucher
beschaftigte, war dauemder Beachtung sicher. Darum hat der jiidische Kornwucher nicht nur zu vers
schiedenen Spottmiinzen gcfUhrt, sondern diese gchoren anscheinend auch zu den verbreitesten Spottmiinzen
auf die Juden iiberhaupt; denn man begegnet ihnen heute noch am haufigsten von alien bekannten
Judenspottmiinzen. Die schonste dieser Miinzcn, aus dem Hungerjahr 1694 stammend, hat die Form
eines Silbertalers; sic zeigt auf der einen Seite einen auf der LandstraHc nach rechts schreitenden Juden
mit einem Kornsack iiber der Schulter. Auf dem Komsack sitzt ein kleines Teufelchen, das den Sack
heimlich offnet (oder aufgeschlitzt hat), sodaH das Korn auf den Weg rieselt und so nutzlos verloren
gebt. Die Umschrift lautet: „Du Komjude", die Unterschrift ..Theure Zeit 1694". Auf der Ruckseite ist
ein stehendes SchefFclmafi abgebildet.
Auf der inneren Seite des Malles liest
man: „Wer Korn inhelt, dem fluchen
die Leute"; auf der auBeren: ,.Aber
Segen kommt iiber, der so es ver=
kauft. Spruch Salomo (Bild 47 u. 48).
Diese Miinze mufi ganz besonderen
Beifall gefunden haben, denn ans
scheinend noch im selben Jahre ers
schienen nicht weniger als vier vers
schiedene Variationen dieser Miinze.
in Silber, Blei und Bronze mit dem*
selben Bilde und denselben Texten,
nur in der Zeichnung und in der Ans
ordnung etwas verandert. Miinzcns
kenner verweisen diese Komjuden*
Medaillen in ihrem Ursprung nach
Hamburg und nach Schlesien. Dort
mogcn sie entstanden sein. aber ihren
Weg haben sic iedenfalls durch ganz
210 u. 211.
Juden und Patienten
Aus dem jntiKmirixhen Dscsdciwr Bildfrbogco:
Der Teufel in Deutschland
207
Deutschland gefunden. Wie beharrlich jene Zeiten an einer einmal popular gewordenen Forme fests
hielten, erweist der Umstand, dafi man fast achtzig Jahre spater, im Hungerjahre 1771/72, ganz dieselbe
Idee in zwei neuen Spottmiinzen wiederholte; mit der einzigen Abanderung, dafi man hinter dem das
Korn wegtragenden Juden ein Weib anbrachte, das emport ob dieser Freveltat die Fauste ballt. Aufier
dieser Variation eines fruheren Motives erschien in diesem.Jahr auch noch eine andere Spottmiinze mit
eirier selbstandigen Idee. Sie zeigt auf der einen Seite den Kornjuden, vor dem sich ein riesiger Teufels=
rachen auftut. Die Umschrift lautet: „Korn Jude verzweifel — geh zum (Teufel) Theure Zeit 1772."
Auf der Riickseite sind die Teurungspreise dieses Hungerjahres verzeichnet: 1 Pfd. Brot 12 Kreutzer,
1 Pfd. Schweinefleisch 10 Kr., 1 Pfd. Rindfleisch 8 Kr., I Metze feines Mehl 5 Gulden, I Pfd. Butter
30 Kr., 1 Mafi Bier 3 Kr. Diese Medaille,. von der auch eine Variation erschien, stammt von dem Me=
dailleur J. Chr. Reich in Fiirth. Als aul die schlechte Ernte von 1771 im Jahre 1772 eine ebenso gute
folgte, gab auch dies zu einer Spottmiinze auf die Juden Veranlassung. Diesmal werden die Juden
verhohnt, weil sie die Hereingefallenen waren, indem sie angeblich wieder eine schlechte Ernte erwartet
hatten. Auf der einen Seite dieser Spottmiinze sieht man ein Kornfeld mit Schobern und einem Btindel
riesig grofier Ahren. Der Text lautet: „Der Gerechten Wunsch mufi doch wohl geraten" und „Wir
wiinschten diese Fruchtbarkeit". Auf der anderen Seite sieht man einen leeren Kornboden, auf dem sich
der Kornjude erhenkt hat. Der dazu gehorige Text lautet: „Ich aber hoffte theure Zeit. .1772." Der
Sinn dieser Darstellung ist, dafi die Kornjuden noch im Sommer 1772 auf eine schlechte Ernte hofften
und dadurch bankrott wurden, weil sie mit ihrem Getreidevorrat zu lange zuriickgehalten hatten.
Der grofie Brand in der Frankfurter Judengasse im Jahre 1711 hat ebenfalls zu einer Gedenkmunze.
Veranlassung gegeben. Von. einer Spottmiinze kann man in diesem Falle jedoch nur insofern sprechen,
als im Text mit einer gewissen Schadenfreude konstatiert ist. daft nur das Judengut und nicht der Christen
Gut vom Feuer verzehrt worden sei, Dieser Text lautet: ..Inner vierundzwanzig Stunden Hat das Feuer
was es funden In der Judengafi verzehrt. Doch blieb alles unversehrt, Was der Christen Wohnung war.
Man schrieb damals Tag und Jahr 1711 den 14. Jan." Diese Satire scheint mir besonders bezeichnend
fur den allgemeinen Judenhaft der Zeit zu sein. Denn daft man das Wuchern mit Korn zu einem satirischen
AngrirT ausmiinzt, ist ganz natiirlich. Daft man aber ein solches allgemeines menschliches Ungliick wie
eine entsetzliche Feuersbrunst nicht vorubergehen lafit, ohrie in seiner Notifizierung dem so hart Betroffenen
aufterdem noch einen Fufttritt zu versetzen, das dokumentiert deutlicher als alles andere, daft man im
Juden eben niemals in erster Linie den Menschen, sondern immer den bosen Feind sah. Gewifi entsp/icht
diese Satire auch der christlichen Lehre von der gottlichen Gerechtigkeit.. Der Juden Gut verbrtnnt,
weil sie schon dadurch, daft sie Juden sind, allzumal Sunder sind, der Christen Gut wird von den Flammen
verschont, nun weil sie eben Christen sind.
Der in aller Welt Staub aufwirbelnde Prozefi des Hofjuden Sufi Oppenheimer; und seine Hin=
richtung im Jahre 1738, die jahrelangen Gesprachsstoff bildete, hat, wie ich schon oben (S. 150) erwahnte,
ebenfalls zu Spottmiinzen gefuhrt. Auf der einen dieser Munzen ist die bildliche Darstellung die gleiche,
die man damals auch auf zahlreichen graphischen Darstellungen sieht, namlich der eiserne Galgen, in
dem Oppenheimer am Richtplatz aufgehenkt wurde. Der Rundtext lautet: „Aus diesem Vogelhaus schaut
Suss der Schelm heraus". Auf der anderen Seite ist das unkarikierte Portrat Oppenheimers mit der Ins
schrift: ,.Jucl Joseph Sufi Oppenheimer 1738." Eine zweite Medaille zeigt auf der einen Seite ganz das*
selbe Portrat Oppenheimers mit ebenfalls demselben Text, es ist also die gleiche Form beniitzt worden,
dagegen zeigt die Riickseite eine andere satirische Behandlung des Stoffes. Das Bild ist in zwei Halften
geteilt. In der oberen sieht man Oppenheimer in einer mit vier Pferden bespannten und von Leibjagern
begleiteten Karosse davonjagen. Der Text lautet: „Fort Fort". Es behandelt also seinen Fluchtversuch.
In der unteren Halfte sieht man wie Oppenheimer auf dem Henkerskarren, begleitet von Militar, zum
Galgen gefuhrt wird. Der Text lautet: „Hier ist dein Ort" (Bild 51 u. 52).
Da die Zahl der weiterhin auf die Juden erschienenen Spottmiinzen sehr gering ist, so will ich
diese auch schon in diesem Zusammenhang erwahnen. Aus dem Ende des 18. und dem Anfang des
19. Jahrhunderts sind mir keine weiteren Spottmiinzen auf die Juden bekannt geworden. Die groBe franzo=
sische Revolution, die in Frankreich die Juden alien andern Staatsburgern gleichstellte, scheint keine oder
nur vereinzelte Spottmiinzen hervorgebracht zu haben. Dagegen hat das Jahr 1848 mit seiner EmanzU
208
Rothschild
Franiosisiihe K.irikatur von C. I.c.lndre. 1S9S
Eeilage 7u Eduard Fuchs, »Dir Juden in der Karikatur*
Albert UngeHj Muncnm
212—214. Aus einem antisemitisthen Wiener Bildetbogen
pation der Juden in Deutschland mehrere hervorgebracht. Ich habe diese jedoch nicht im Original auk
zufinden vermocht, sondern nur ihre gelegentliche Erwahnung in der zeitgenossischen Literatur. Ich mufi
mich deshalb mit dieser allgemeinen Erwahnung begniigen.
Die grofie antisemitische Welle der siebziger und achtziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts
hat mehrfach zu Spottmedaillen auf die Juden gefuhrt. Ihre Hersteller, denen anscheinend jede kiinsts
lerische Gestaltungskraft fehlte, begniigten sich in der Hauptsache mit der Anbringung irgend eines antise*
mitischen Schlagwortes. Auf der einen liest man den bekannten antisemitischen Schlachtruf: „Hepp!
Hepp!" und ,,Hoch Stocker, Forster, Henrici, Vivant Sequentes!" Auf einer anderen hat man sich geistig
schon etwas mehr strapaziert, hier liest man: „Muth zeigt auch der Mameluk, Die Chuzbe (Ur^verfroren*
heit) ist des Juden Schmuck. Berlin 1881". Eine dritte Spottmedaille aus dieser Zeit tragt die Inschrift:
„Der echte deutsche Mann mag keinen Juden leiden, doch sein Vermogen hatt' er gem". Aber dies ist
eigentlich mehr eine Satire auf den echten deutschen Mann; denn der bildliche Teil dieser Miinze, ein
Hut mit Feder, darunter zwei gekreuzte Stocke, und der Kopf eines Juden, der durch die Finger schaut —
diese Darstellung kann man wohl beliebig deuten. Diese samtlichen zuletzt genannten Stiicke stammen
aus den Jahren 1880 und 1881 und aus Berlin. Damit ist auch ihre kiinstlerische Diirftigkeit vollauf
erklart. Es gab wohl kaum eine trostlosere und impotentere Kunstepoche, und das Berlin jener Jahre
war die diirrste Heide fiir die Kunst.
Das herrliche Aufbliihen der deutschen Kunst, das in den neunziger Jahren einsetzte, hat infolge
der gigantischen Entwicklung der graphischen Kunste und ihrer leichten Verbreitungsmoglichkeit zu
keinen weiteren Judenspottmiinzen mehr gefuhrt. Das heifit, eine Kategorie scheint auch in dieser Zeit
nicht vollig ausgestorben zu sein: die rein pornographische Satire. Davon begegneten mir mehrere Beispiele.
Von diesen will ich jedoch erst in dem Kapitel uber die Erotik in der antijudischen Karikatur etwas
eingehender reden.
In anderen Landern erschienen ebenfalls Spottmiinzen auf die Juden, aber an Zahl und Bedeutung
bleiben sie zweifellos stark hinter den in Deutschland erschienenen zuriick. Ich habe vor dem Kriege in
einer englischen Miinzensammlung eine Anzahl Spottmiinzen auf die Juden gesehen. Neben den deutschen
befanden sich darunter, wie ich bei oberflachlicher Betrachtung feststellen konnte, zwei oder drei franzo=
sische und ebensoviel hollandische. Die mir zugesagten Photographien und Beschreibungen erhielt ich
infolge des Krieges leider nicht. Da mein damaliger Mittelsmann wahrend des Krieges nach Amerika
ausgewandert ist, so ist mir eine erneute Nachforschung unmoglich gemacht.
Mit den Spottmiinzen ist das Repertoire der plastischen Judenkarikaturen noch nicht erschopft.
Im 18. Jahrhundert und in den Zeiten einer Dauerkonjunktur des Antisemitismus brachten die Jahr=
marktshandler von Porzellan und Fayencefiguren regelmafiig Porzellan= und Fayencefiguren und Gruppen
zu Markte, in denen in der verschiedensten Weise die Juden und ihr Metier verspottet wurde. Am
hauHgsten waren die Typen des Pferdejuden, des Schacherjuden und des Kleiderjuden. ..Jiidische Unter*
haltung", ,,Ein gutes Geschaft", „Der geprellte Jud", „Jud und Christ", „Wai geschrieen" — lauteten die
Fuchs, Die Juden in der Karikatur 27
209
Titel von Gruppen in der entsprechenden Form.
Die Darstellung war stetc so, dafi die Juden dadurch
lacherlich gemacht wurden. Die Kaufer dieser
keram'ischen, meist buntbemalten Gruppen. die nur
wenige Groschen das Stuck kosteten. waren zus
meisi Bauern. Ihre Herkunft diarite Thiiringen
gewesen sein. Ich erinnere mich aus meiner Ju*
gend, mehrfach solche .Judefigiirle", wie man sie
in Schwaben nannte, auf den MeBstanden der Jahrs
markte noch gesehen zu haben. In der Gegend
von Frankfurt am Main waren im IS. Jahrhundert
und bis hinein in das 19. Jahrhundert eine Art
stoffbekleideter Fuppen zum Aufctellen auf Kom>
moden sehr beliebt. Ein Teil von ihnen zeigte
jiidische Typen in karikierter Form und in ahns
licher Zusammenstellung wie die vorhin genannten
Porzellans und Steingutgruppen. Auch der Stamm*
vater des Hauses Rothschild, der alte Maier Roths
schild, wurde in dieser Ait mannigfach humori;
stischssatirisch dargestellt. Diese Puppen waren
ebenfalls meist sogenannte Jahrmarktcartikel. In
einer Frankfurter Privatsammlung wurde mir vor
einigen Jahren eine ganze Kollektion solcher antjs
jiidischer Spottpuppen gezeigt; es waren teils Ein*
zelfiguren, teils kleinere Gruppen. Das meiste dies
ser Art durfte jedoch wegen seines verganglichen
Materials im Laufe der Zeit achtlos verworfen und darum zugrunde gegangen sein.
Flastischen Karikaturen auf die Juden begegnet man weiter auf gepreflten Zinntellern und in der
Form von Kriigen, und besonders oft auf Schnupftabaksdosen (Bild 89). Eine modeme plastische Karis
katur, die sich auf den angeblichen Kiewer Ritualmord bezieht, zeigt Bild 266.
Zum Schlufi dieses Kapitels mochte ich noch eine wirklich einzigartige Karikatur erwahnen, die ich
einige Jahre vor dem Krieg Gelegenheit hatte zu sehen. Wie sich gewbse Gartenkiinstler auf ihrem Rasen
aus verschiedenen Blumen irgend ein Symbol, einen Anker, ein Kreuz, oder auch aus Buchstaben Namen
zusammensetzen. so schuf sich ein antisemitisch veranlagter Gartenbesitzer in Mitteldeutechland auf dies
selbe Weise inmitten eines grofien Rasens die bluhende Karikatur eines feisten jiidischen Kapitalisten.
Diese ganz amiisante Karikatur war iibrigens in einem wichtigen Funkt absolut nicht gehassig, sondern
eher das Gegenteil: Dieser bluhende Jude war namlich gar nicht miflduftig, sondern sehr wohlduftend.
Und das ist eine Eigenschaft. die die Antisemiten, wie bekannt, den Juden gemeinhin nicht zuschreiben.
So erganzt die plastische Satire die graphische, die literarische und die
sprachliche in wertvoller Weise. Der Ring ist geschlossen, ohne eine Liicke
zu lassen.
Beim Kiewer Prozeft ist das Judentum mit einem
blauen Auge davongekommen.
215. Kikttiki. «*ien
210
216. Antisemitischc Postk'aite des Kikcriki. Vt'ii n
IX
Die Juden
in der Karikatur des
19. Jahrhunderts
Im 19. Jahrhundert erhielt
die Geschichte des europaischen
Judentums ihren wichtigsten
Einschnitt. Und zwar durch die
in diesem Jahrhundert in Westeuropa sich durchsetzende Emanzipadon der
Juden, worunter deren offizielle burgerliche und politische Gleichberech*
tigung zu verstehen ist.
Die Emanzipationserklarung der Juden hat in den verschiedenen wests
europaischen Landern immer ein ganz bestimmtes Datum: Frankreich die
grofie Revolution und die napoleonische Gesetzgebung, Amerika dieselbe
Zeit, Ungarn 1839, Deutschland 1848, England 1858, Italien 1859, Schweiz
1866 usw. Aber trotz dieser offiziellen Daten handelte es sich iiberall um
einen allmahlichen WandlungsprozeB, der seinen AbschluB mitunter erst
sehr viel sparer gefunden hat; je nach den besonderen wirtschaftlichen und
politischen Verhaltnissen des betreffenden Landes. In dem hohenzollern*
schen Deutschland war dieser Prozefi noch lange nicht abgeschlossen, als
die feudalistische Arroganz, ge=
hetzt von politisch unklaren
Massen, in ihrer Dummheit
Sundenblute in den Weltkrieg
hineintapste wie das Rhinozeros
in eine Fallgrube. Andererseits
besafien die Juden in England,
kraft dessen reiferer politischer
Entwicklung bereits im 18. Jahr*
hundert sehrweitgehende Rechs
te. Im ostlichen Europa, in
RuBland, war die burgerliche
Gleichberechtigung den Juden
Der dritte: Dr. Ofener; der vierte: Viktor Adler,
der sechste: Leo Verkauf.
217. Wahlkandidaten. Wahlpostkartc des Wiener Kikeriki
27*
211
bis zum Weltkrieg noch ganzlich versagt gewesen; sie ist erst durch die
bolschewistische Revolution verwirklicht worden.
Die 'Emanzipation der Juden wird zumeist als ein Resultat der Huma<
nitat gepriesen: als das Resultat der wachsenden Einsicht, dafi der Jude
..sozusagen und eigentlich" auch ein Mensch sei. Dieser so oft behauptete
Triumph der Humanitat ist ein blanker Unsinn, weil die Geschichte solche
Triumphe niemals kennt. Sie kennt nur Triumphe von wichtigen wirtschafb
lichen Lebensinteressen einer Zeit, die im verhullenden Gewande des
Triumphs der Humanitat in Erscheinung treten. Und so verhielt es sich
auch in jedem einzelnen Land bei der Emanzipation der Juden.
Die Emanzipation der Juden ist die politische Form fur die endgultige
Befreiung der Geldwirtschaft aus der Vormundschaft einer kurzstirnigen
Obrigkeitsregierung, die diese in ihrer schrankenlosen Entfaltung hemmte.
Denn vollig schrankenlos mufite sich die Geldwirtschaft um diese Zeit ent*
falten konnen, wenn sie die von der Entwicklung der Technik, der Industrie
und des Handels bedingten weltwirtschaftlichen Aufgaben erfullen wollte.
Zu einer Emanzipation der Juden wurde dieser Vorgang, weil man unmogs
lich die Geldwirtschaft entfesseln konnte, ohne zugleich ihrem der Zahl
und der fachtechnischen Kapazitat nach wichtigsten Trager die politisch
logischen Rechte des Besitzes einzuraumen. Man kann nicht die Sache be«
weglich machen, solange man die Hande gefesselt halt, die sie dirigieren
sollen. Die Emanzipation der Juden wurde deshalb das politische Existenzs
minimum der grofikapitalistischen Entwicklungsmoglichkeit in Europa von
dem Zeitpunkt an, wo das Manufakturzeitalter vom Maschinenzeitalter abs
gelost worden war und dessen ungeheure wirtschaftliche Perspektiven
immer klarer in den Gehirnen der Weitblickenden aufblitzten. Und von
diesem Zeitpunkte an wurde sie auch, teils friiher, teils spater, Wirklichkeit.
Es ware also viel klarer, wenn man statt von einer Emanzipation der Juden
von einer Emanzipation der modernen Geldwirtschaft sprechen wurde.
Aber die Menschheit liebt es nun einmal, sich selbst zu belugen.
Weil es in der kapitalistischen Produktionsweise, wenn sie einmal inau*
guriertist, keinen Stillstand, geschweige denn ein Ruckwarts, sondern immer
nur ein Vorwarts gibt, darum lag die Emanzipation der Juden als politische
Formel fur die vollige Entfesselung der Geldwirtschaft in alien Landern
mindestens ebensosehr im Interesse derer, die sie gaben, wie in dem derer,
212
1" Ann6e. — N' 1.
Paris et Dep&rtementa, le Numero: 1. O Centimes.
Lundi 17 juillat 1893.
LA LIBRE PAROLE
ILLUSTRI
U France am Francals
REDACTION ^ -.,«,. ^^ nn ..„ «. m ADMINISTRATION
i«, uo-iev.rd mmnii Directeur : EDOUARD DRUMONT u. boumud >oiaun
I.A SECHF.RES SE
218. • Titetseite der eisten Nummer der pariser aotiseminschen Zeitung La libre Parole. 1893
Titelbild von Adolf Willette
— Mochten Sie nicht von meinen Renten leben?
219. J. Forjin
die sie forderten. Indem durch die
Emanzipation der Juden die ungeheu*
ren Geldkrafte und die auBerordents
lichen geistigen Potenzen des west*
europaischen Judentums (seine un«
erreichten Spezialkenntnisse in der
Geldwirtschaft) ganzlich frei wurden,
wurden diese Krafte nicht nur frei
und dienstbar fur den allgemeinen
Aufbau der modernen groBkapitas
Hstischen Profitwirtschaf t, sondern zu*
gleich auch fur den Aufbau des modern
nen burgerlichen Staates, der auf dies
sem Wege entstand. Der moderne
burgerliche Staat aber ist eine „jus
dische Grundung", deren Errungen*
schaften in jedem Lande mindestens
funfzigmal mehr Christen als Juden zugute kamen. —
Der Obergang vom Manufakturzeitalter zum Maschinenzeitalter, die
fundamentale wirtschaftliche Umwalzungder Neuzeit, die sich gemeinhin
in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts vollzog, hat uberall in den dadurch
zur Auflosung verurteilten Mittelschichten zu schweren Krisen und Geld*
noten gefuhrt. Im unvermeidlichen Zusammenhange mit dieser tiefgehen*
den Umwalzungsperiode kam es uberall zu star ken antisemitischen Stros
mungen. In einzelnen Landern, und zwar vor allem in Deutschland, nahm
der JudenhaB so schwere Formen an, wie man ihm seit Jahrhunderten
nicht mehr begegnet war. Diese neue Periode der Judenverfolgung war
um so auf wiihlender , als ihr die erste Etappe der westeuropaischen Judens
emanzipation — in Frankreich — vorangegangen war.
In Frankreich hatten die Juden durch die grofie Revolution mit einem
Schlage alle burgerlichen und politischenRechte erlangt. Wenn Napoleon I.
diese Rechte auch etwas einschrankte, so blieben sie wahrend seiner ganzen
Herrschaft doch so umfangreich, dafi die Juden Europas wirklich alien
Grund hatten, dauernd fur Napoleon begeistert zu sein. Wo seine Regimen*
ter ihren FuB hinsetzten, brachten sie den Juden die Gleichberechtigung.
214
Napoleon hatte besser als alle seine legitimen Kollegen auf den Thronen
Europas die ungeheure Bedeutung der judischen Bundesgenossenschaft er<
kannt. Soweit Deutschland unter dem vollen Machtbereich Napoleons
stand, erhielten auch hier die Juden damals schon sehr viele Rechte. So
z. B. im ganzen linksrheinischen Preufien, ebenso in Hamburg und in Meek*
lenburg. (Dagegen blieben in Bayern die meisten, in Sachsen und Oster*
reich alle alten Beschrankungen der Juden aufrecht.) Der Sturz Napoleons
anderte die Situation. Mit seinem Untergang erhoben auf dem Kontinent
alle Machte der feudalen Reaktion sofort wieder ihr Haupt, um die ihnen
durch die stattgefundene Revolution abgenommenen Vorrechte moglichst
restlos wieder zuruckzugewinnen. Zu diesen feudalen Restitutionen gesellte
sich die gerade um jene Zeit verdoppelt einsetzende wirtschaftliche Um?
walzung; die napoleonischen Kriege hatten den Gang der wirtschaftlichen
Entwicklung ganz aufierordentlich beschleunigt. Eine vernunftige Politik
hatte die Folgen dieser veranderten wirtschaftlichen Situation mildern
konnen. Die in Europa wieder auferstehende Reaktion wandelte die Dinge
zum Gegenteil. Indem sie der
gesunden Weiterentwicklung
hundert Knuppel in die Wege
warf, machte sie den naturlich
nicht aufzuhaltenden Umwals
zungsprozeB zur schwersten und
viele Jahre lang wahrenden
Elendskrise fur den gesamten
Mittelstand. Auf einem solchen
Bbden mufite der JudenhaB ems
porwuchern, und er wucherte
wie ein alle Vernunft ersticken*
des Unkraut in geilster Oppig*
keit empor. Weil in Deutschland
die wirtschaftlichen Note am
grofiten waren, gellte hier lauter
und machtiger als sonstwo von
neuem der schreckliche Ruf
durchs Land: „Der Jude ist
("**4
Jill" ": ; " « \&§&k £©7%.. / :" n,J ~ : ^£ '"'
>20. Toulouse-Lautrec. Galizier
215
schuld!" Tausende von Kleinburgerkehlen gellten es in der einen Stadt
hinaus, und ebensoviele antworteten der Reihe nach in Hunderten von
deutschen Stadten. So kam es im Jahre 1819 zu dem furchtbaren Hep*
HepsSturme, der in Wurzburg einsetzte und unter Plunderung von Judens
laden, Zerstorung von Judenhausern, durch erneute Vertreibung von Juden
aus ihren seitherigen Wohnsitzen jahrelang wie eine entsetzliche geistige
Epidemie durch halb Deutschland tobte. In einer ganzen Reihe von Stadten,
wie Hamburg, Danzig, Darmstadt, Dusseldorf, Frankfurt, Heidelberg, Karls*
ruhe usw.,nahm dieser HepsHepsSturm, wie man ihn nannte, solch bedrolls
liche Formen an, dafi den Behorden, die das Toben der entfesselten Massen
gegen die Juden im Grunde garnicht ungern sahen, schlieBlich selbst angst
und bang wurde und sie Militar mobilisieren muBten. Freilich geschah dies
weit weniger zum Schutze der in ihrem Eigentum und an ihrem Leben be*
drohten Juden, als um zu verhindern, dafi die Volkswut eines Tages etwas
hohere Ziele bekame. In Frankfurt am Main, das im 18. Jahrhundert seine
groBe Bliite ausschlieBlich den Juden zu verdanken gehabt hatte, aber trotz
alledem eine sehr schamlose Politik gegenuber den Juden verfolgte, hatten
endlich im Jahre 1811 die Juden das
Vollburgerrecht errungen. Kaum aber
war die sogenannte „freie Stadt" ganz
in den Handen eines kleinburgerlichen
Pfahlburgerklungels (1815), als auch
sof ort dieses Vollburgerrecht der Juden
wieder aufgehoben wurde. Und wie*
derum hatte, genau wie fruher, jeder
beliebige Riipel, sofern er nur ein Christ
war, das Recht, einen jeden ihm be*
gegnenden Juden mit den Worten:
„Mach' Mores, Jud!" vom FuBsteig auf
die StraBe zu verweisen. Wie fruher
durften die Juden nur in gewissen
Stadtteilen wohnen. In Bremen und
Liibeck wurden die Juden uberhaupt
aus der Stadt vertrieben. Usw. Als die
22i. i For.™ Verfugung herauskam, daB sich die Jus
-— -"■- ",*■■? —
— Aber das waren ja fiinf Franken, die du
dem Bettler geschenkt hast?
— Gewifi, aber sie sind falsch ; sage es jedoch
nicht Mama, sie hatte sich das Stuck fur
einen Kutscher reserviert.
216
i
LECTIONS KEGIStATIV
du22Septembre 1889
t'liij'i n s
Gai! Gai ! serrons nos rangs
Esperance de la France
Gai! Gai! serrons nos rangs
En avant Gaulois el Francs
Ad.WILLETTE
(BaaididatJIntisemite
'TJlrrond*
^irconscription WmS^SMsM
•*^*#^^^***^^»
iW*st%Wf*
«,#■'
\N>*
Les Juifs nesont grands.que par[ce que
nous sommes a genoux ! ,
LEVONS ^10US!
lis sont cinquante mille a beneficier
seuls du travail acharne et sans esperance i
de trente millions de Fraips devenus leurs
esclaves tremblants . >#jp
II n est pas question de religion , le |l j |P
Juif est d'une race differente et ennemie IPs
delanotre... , /JfP§r
Le JUDAJSMEvoila I'ennem/I ^^
Enmepresentantje vous donne I'occasion
de protester avec moi contrela tyrannie
Juive. faites le donaquand ga ne serait
quepourThonneur!
DiKfCTEiui{ ou Pierrot
Willetle. 79 rue Rochethouart
Franzosischer antisemitischer Wahlaufruf
Entworfen und gezeichnet von dem aniisemitischen Kandidaten Adolf Willette. 1889
Beilage «i Eduard Ppcbs, ,ple Juden in der Karikalur*
Albert I'metn, M6p*»o
den burgerlicheNamen beizulegen hatten,
war dies, besonders in Osterreich, fur
zahllose Burokratengehirne eine gunstige
Gelegenheit, ihrer subalternen Arroganz
und aufierdem ihrer Gier nach Schmiers
geldern die Zugel schiefien zu lassen.
Wer yon den Juden gut bezahlte, durf te
sich einen schonen oder unauffalligen
Namen wahkn. Wer kein Geld hatte
und die christliche Gier nach Schmier*
geldern nicht befriedigen konnte, dem
wurde irgend ein lacherlicher oder gar
gemeiner Name — z. B. Wohlgeruch,
Galgenvogel, Schweifiloch usw. — auk
oktroyiert. Auf diese Weise kam es dazu,
dafi so viele Juden schon durch ihre Namen lacherlich wirken.
Unter solch aberwitzigen Ausgeburten der^Borniertheit liquidierte
der Obrigkeitsstaat. Leider dauerte diese Liquidation uberall verschiedene
Jahrzehnte.
Ich rechne Ihnen nur 18 Prozent; Sie
konnen also wirklich nicht sagen, dafi
ich ein Halsabschneider bin.
Die Karikatur jener Zeiten ist ein
deutlicher Spiegel von alledem. Sie ist
ein krasses Zeugnis dafiir, mit welch
kleinem Witz das durch den grandiosen
historischen Auftakt der franzosischen
Revolution nicht belehrte, sondern nur
vorubergehend erschreckte Spiefiergehirn
nach wie vor alien Problemen der Zeit
entgegentrat. In Deutschland war durch
den Sturz Napoleons und durch den
darauffolgenden Triumph der „heiligen
Allianz" der Spiefiburger noch allmach*
tiger geworden als in jedem anderen
Land; er war geradezu alleinherrschend.
Alles offentliche Geschehen trug seinen
^14r1_ ///?
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
In deinem Alter, Samuel, hatte ich schon
dreimal Pleite gemacht.
222 u. 225. Jossot. 1896
28
217
nie zu verkennenden Stempel. Und darum auch die Karikatur auf die Juden.
Sie war nie spiefiburgerlicher als zu jener Zeit. Keine Spur von Kuhnheit,
nichts von Kraft und GroCe war in ihr zu spuren. Dagegen um so mehr
lacherliche Oberhebung. Jedes einzelne Blatt ist dafur ein drastisches Bei«
spiel. Man betrachte die Blatter „Absalons Tod", „Der Jud' in der Fuchss
falle", „Empfindsame Betrachtung des Mondes"und ahnliche (Bild87— 97);
sie belegen diese Stimmung auf das Deutlichste. Gewifi, der Humor, der
im Spiefierbehagen noch immer seinen fruchtbarsten Boden hat, kommt
hierbei nicht selten zu seinem vollen Recht. Das Blatt ,,Israelchen hat einen
Dukaten verschluckt" ist hierfur ein kostlicher Beleg (siehe Beilage neben
S. 104). Auch das Blatt „Empfindsame Betrachtung des Mondes" (Bild 97)
ist, humoristisch gewertet, ein Prachtstuck. Freilich wurde dieser Humor
sehr bald und sehr stark durch die unsagbare Gehassigkeit uberwuchert, die
nach dem Ausbruch des HepsHepsSturmes immer mehr die Dominante
bildete. Denn schon in diesen, durch ihren wirksamen Humor auffallens
den Blattern klingt eine auCerordentlich starke Gehassigkeit mit. Solche
Gesichter wie auf dem Blatt „Israelchen hat einen Dukaten verschluckt",
vermag nur die uberlegende Bosheit zu formen. Mit dem Einsetzen dieser
neuen Judenverfolgungbeganneine Hochflut von antijudischen Karikaturen,
wie man es in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr erlebt hatte.
Zahlreiche Stadte brachten Judenkarikaturen auf den Markt, die meisten
jedoch Nurnberg, das damals einen Mittelpunkt dergraphischen Volkskunst
bildete. An neuen stoftlichen Motiven kam um diese Zeit manches hinzu:
218
224 u. 225. Baronin v. Veilchenstock auf der Promenade. Caran d'Ache
der Jude als Literat, als Liebhaber, als Modegeck usw. Freilich, vieles
stammte schon aus einer etwas fruheren Zeit. Die Epoche der literarischen
Fehden, mit der das neue Jahrhundert einsetzte, hatte im Jahre 1804 einen
travestierten „ Nathan den Weisen" hervorgebracht (Bild 75), und die gleichs
zeitige Taschenbuchs und Almanachmode prasentierte auch satirische
„Taschenbucher fur die Kinder Israels", in denen man dem Juden nicht
mehr blofi als Kramer oder Wucherer, sondern auch als Weltmann, als Ele«
gant usw. begegnet (Bild 77—80). Zu erwahnen sind hier auch die 1806 er«
schienenen mit vier Holzschnitten gezierten „Fastenbrezeln fur Juden und
Christen."
Die neue Hochflut der antijudischen Karikaturen knupft sich im Be*
sonderen an die im Jahre des Hep«Hep«Sturmes, also 1819, erschienenen
Posse „Unser Verkehr" ein. Diese Posse, die unter dem Pseudonym K.
B. Sessa erschien, verspottete die judische Geldgier in ebenso witziger wie
boshafter Weise; ich gebe an anderer Stelle zur Charakteristik die erste
Szene dieser Posse. H inter dem Pseudonym Sessa verbarg sich ein Halbers
stadter Superintendent Maertens, was jedoch erst nach Jahrzehnten in die
Offentlichkeit kam. Die Zeitgenosssen hielten in weiten Kreisen und lange
Zeit Goethe fur den Verfasser, was garnicht so verwunderlich ist, da dessen
Judenfeindschaft notorisch war. Bei den Juden hat diese Posse eine ganz
ungeheure Emporung ausgelost. Rothschild soil eine hohe Belohnung auf
die Entdeckung des wirklichen Verfassers ausgesetzt haben. Diese Empo*
rung ist angesichts der grimmigen Bosheit, die in jeder Zeile steckt, sehr
219
wohl begreiflich. Um so mehr, wenn man bedenkt, daft das Stuck einen
formlichen Triumphzug iiber fast alle deutschen Buhnen hielt und darum
sofort ahnliche Elaborate provozierte. Ich nenne nur die im gleichen Jahr
erschienene Posse „Die Juden in der Klemme." Der Beifall, den „Unser
Verkehr" ausloste, war so nachhaltig, dafi noch vierzig Jahre sparer neue
Auflagen erschienen (Bild 116 u. 117). Aber es kam noch ein weiterer Um*
stand hinzu, der die Emporung der Juden standig von neuem aufstachelte:
diese Posse wurde namlich das Arsenal, aus dem sich die Karikaturisten
der verschiedensten Stadte unausgesetzt Motive zu Karikaturen auf die Ju«
den holten. Die wichtigsten Szenen des Stuckes und die samtlichen darin
vorgestellten Typen wurden immer und immer wieder satirisch illustriert.
Und in den Schaufenstern aller deutschen Buchladen hingen viele Jahre
lang diese popularsten aller Judenkarikaturen. Ich gebe hier einige der
verbreitetsten dieser Karikaturen (Bild 85, 87, 98 und Beilage neben S. 96).
Die durch Bild 85 illustrierte Sentenz wurde am haufigsten wiederholt.
Den Hohepunkt der bildlichen und literarischen Judenbekampfung
jener Jahre bildeten die zahlreichen Schmahschriften, die der Goedtsche*
sche Verlag in Meifien in den dreifiiger Jahren herausbrachte. Gegenuber
diesem konzentrierten Massenangriff verschwindet alles andere. In etwa
zehn illustrierten Bandchen von je 100 bis 150 Seiten wurden die Juden auf
jede erdenkliche Weise und auf das Mitleidloseste verhohnt, verlastert und
verspottet. Durch Spottgedichte, durch in Noten gesetzte parodistische
Liebeslieder, Erzahlungen, Anekdoten usw. Alles in judischer Mundart;
d. h. in jenem verdorbenen Deutsch, das als sogenanntes Judendeutsch
gilt; an anderer Stelle gebe ich eine kleine Probe. Als Verfasser dieser
samtlichen Pamphlete ist stets Itzig Veitel Stern genannt. Hinter diesem
Pseudonym soil sich ubrigens tatsachlich ein judischer Literat verborgen
haben. Wenn dies wirklich der Fall gewesen sein sollte, so wurde sich
damit freilich nur dasselbe wiederholt haben, was man in der Bekamp*
fung der Juden so oft erlebt: daft es zumeist judische Renegaten sind, von
denen die blutigsten Angriffe gegen die Juden ausgehen. Im 16. Jahrhun*
dert hat bekanntlich kein Christ die Juden mehr geschmahtals der getaufte
Jude Pfefferkorn. Die wichtigsten dieser satirischen Pamphlete, die alle
mehrere Auflagen erlebten, sind „Das Schabbesgartle von unsere Leut",
„ Israels Verkehr und Geist" und „Gedichter, Perobeln unn Schnoukes fur
220
Der Antisemit: . . . „die Juden! . . .
Rauber! . . . Gauner! . . . Wuche*
rer! . . . Habsiichtige! . . ."
Der Verniinftige: „Ta, ta, ta! Ob Jud
oder Christ, alle sind von derselben
Geldgier erfiillt. Ich werde es Ihnen
beweisen . . ."
f * tq
-Wis.
A
. ..Also nehmen Sie zum Beispiel einen Christen und einen Juden
i.Legen Sie ein Zwanzig=Frankstiick auf den Boden . . . und Sie werden sehen, dafi beide
mit dem gleichen Eifer sich darauf stiirzen werden."
Der Antisemit: „Das ist ja richtig."
v^JtiXAjicT
&—
Der Verniinftige: „Sie sehen also, dafi ich Recht habe . . . Nur. . . . und das ist der
ganze Unterschied . . . der Jude wird es sein, der das Geldstlick erwischt!"
226-229. Caran d'Ache: Die Judenfrage. • Figaro 1396
unsere Leut", letzteres in mehreren Teilen. Ich gebe hier sowohl einige
der satirisch illustrierten Umschlage und Titelblatter, als auch einige der
beigefugten satirischen Illustrationen (Bild 105, 106, 109, 110, 113-115).
Selbstverstandlich waren die Juden bei diesem ProzeB, den ihnen die
aufgepeitschte Volkswut machte, nicht gerade die volligschuldlos verfolgten
Lammlein. Der Judenwucher lastete damals besonders schwer auf den gelds
armen Kleinburgern und Kleinbauern, und er beschleunigte in zahllosen
Fallen deren Zusammenbruch. Dazu kam, dafi das judische Selbstbewufits
sein allmahlich doch erwacht war. Nachdem der kleinburgerliche Juden*
hafi mit fanatischer Wut alles lasterte und verfolgte, was irgendwie mit
den Juden zusammenhing, drehten einige judische Schriftsteller den SpieB
um, und schmahten ebenso derb alles, was christlich und deutsch war. Ich
nenne hier nur den Berliner
Schriftsteller Saul Ascher und
dessen sehr hamische Schrift
„Die Germanomanie". Das Urs
teutonentum, das im Gefolge
der Napoleonischen Fremdherrs
schaft uberall in Deutschland
auf den Plan getreten war, kam
durch solche Antworten naturs
lich aufier Rand und Band. Ans
dere zu jverpriigeln, das hat der
mit T geschriebene Deutsche
immer als ein ausschliefilich ihm
von Gott verliehenes Recht be*
trachtet; dafi man aber auch ihn
verprugelte, das erschien ihm
formlich als Gotteslasterung. Ein
drittes Element, das der antis
judischen Bewegung jener Jahre
Herr Abgeordneter, das ist nicht, damit Sie sich der Starke Und berechtigt erscheis
Abstimmung enthalten, sondern dafi sie gegen das nen de Stutzpunkte gab, Waren
Gesetz stimmen . . . sofern Ihnen am Wohlwollen
unserer Geseiischaft geiegen ist. die aller Welt sichtbaren intimen
230. Charles Hu«J. Parlamentarische Unabhangigkeit Beziehungen der judischen Gelds
222
— „Aber, verehrtes Fraulein, man nimmt die Versprechungen eines Kindes doch nicht ernst! . . . Mein
Sohn zahlt knapp 27 Jahre und vermag noch keinen Pfennig allein zu verdienen ... Es ist mir
leid, aber es ist einzig und allein Ihre Schuld, daft Sie sich in dieser Lage befinden."
231. J. steinlcn. Aus Israel. Der verstandige Papa
konige zu den Reprasentanten der schamlosesten Reaktion, zu einem Metters
nich, einem Gentz usw. Dadurch erschien der Jude in seinen einfluCreich«
sten Vertretern geradezu als der Stutzpunkt jener politischen Bevormun«
dung, iiber die damals alles fluchte, was mit dem Sturz Napoleons den
Anbruch einer freien und grofien Zeit fur Deutschland erwartet hatte, statt
dessen aber das Gegenteil erleben muftte.
Das von den Dingen nicht zu trennende dialektische Widerspiel
mufite eines Tages gleichwohl zum entgegengesetzten Ziele fiihren. Das
223
Geschimpf Fichtes und seiner teutonischen Nachbeter vom Stile Luds
wig Jahns konnte die Burschenschafter gegen die Juden als Fremdlinge
aufputschen, und es konnte auch die deutschen Pfahlburger wenigstens
in diesem Punkte zu einem Herz und einer Seele mit den ihnen sonst gar
nicht sympathischen Teutschtumsschwarmern zusammenschweifien, aber
mit diesem Geschimpfe waren weder die Geldnote der Wiener Hofburg
noch die eines einzigen Duodezfursten gestillt. Diese vermochte nur das
Haus Rothschild zu bannen, d. h. die in diesem verkorperten judischen
Finanzmachte. Darum aber bekamen eines Tages vom deutschen Bundess
tag nicht die Kleinburger recht, die den Juden alle Freiheiten vorenthalten
wissen wollten, sondern die Dynastie Rothschild, die speziell in der Franks
furter Judenfrage zum ersten Mai aus dem Dunkel heraustrat und mitihrer
politischen Macht auftrumpfte. Den christlichen Herren Landesvatern war
das Wohlwollen des alten Amsel Rothschild — in der Volkssprache „der
alte Amschel" genannt — unendlich wertvoller als der Beifall der Hepsheps
schreienden Untertanen. Das Wohlwollen des alten Amschel hatte Duka*
tenklang, das wohlklingendste, was es fur leere Staatskassen geben kann,
der Beifall der Kramer aber hatte uberhaupt keinen metallenen Klang. Mit
durren Worten: die undiskutierbaren Gesetze der Geldwirtschaft diktierten
eines Tages die Befreiung der Hande, in denen das Geld war, d. h. die
Emanzipation der Juderi. Die Stimmung in den geistigen Oberschichten
der Gesellschaft aber wandelte sich aus einem entgegengesetzten Grunde
ebenfalls allmahlich zugunsten der Juden. Wenn in den zwanziger Jahren
die intimen Beziehungen zwischen den reichen Juden und den ministeriellen
Fiihrern der internationalen Reaktion einen doppelten Grund zum Haft
gegen die Juden abgaben, so mufiten in den dreifiiger Jahren dieteils in den
deutschen Kasematten schmachtenden, teils durch alle Lande gehetzten Vor«
kampfer eines einigen und freien Deutschland es erleben, dafi es haupt*
sachlich die Juden waren, die die heifiesten und kuhnsten Vorkampfe fur
sie fuhrten, namlich der Frankfurter Jude Lob Baruch, unter dem Namen
Ludwig Borne, und der Dusseldorfer Jude Heinrich Heine. Diese beiden
Juden waren die hellsten und weithin strahlenden Sterne, die damals aus
der deutschen Nacht leuchteten und in eine bessere Zukunft wiesen . . .
Naturlich bedeutete die Emanzipation der Juden nirgends ein Vers
schwinden der antijudischen Karikaturen. Im Gegehteil. Wo und wann
224
9«. , C VA ^hJS^X. , J*.4t CKaya^ JS**f~
Gatantc franzosische Lithographic von Gtiin. Um 1900
Btilige iu Eduard Fuchj, .Die Jodcn in dcr Karikalur-
Albert Langrn, .Vnnchcn
diese Frage in einem Lande akut wurde, befruchtete sie sofort und lange
die Karikatur. Das liegt schon deshalb auf der Hand, weil die Karikatur
doch immer in erster Linie die Begleiterin der Tagesgeschichte ist. Was bei
dieser also im Mittelpunkt der offentlichen - Diskussion steht, das lafit sich
die Satire niemals entgehen. Am allerwenigsten, wenn es sich um ein so
dankbares Thema wie die Juden handelt.
Da in den damaligen Karikaturen auf die Juden meistens die SpieB*
burger das Wort hatten, so wurde ihnen als das Hauptziel, dem sie durch
die Emanzipation angeblich zustrebten, naturlich das albernste unterschoben ;
denn der Spiefiburger hat nur einen Spiefiburgerhorizont. Dieses haupt*
sachlichste Ziel sollte sein — das Recht auf den GenuB von Schweinefleisch.
Sowie die Emanzipationsbestrebungen der Juden in einem Land auftauch*
ten, erscheint auch dieser Witz auf der Bildflache. Wir begegnen ihm in
England, in Frankreich, in Deutschland, kurz uberall. Uberall wird dem
Publikum gezeigt, dafi der emanzipierte Jude sein Emanzipiertsein nur das
durch dokumentiert, dafi er sich vor aller Welt an Schweinefleisch ergotzt
(Bild 71, 74, 128, 134). Von
ahnlicher Haufigkeit sind die
Karikaturen auf die emanzipiers
ten Juden als Nationalgardisten.
Mit den gleichen Rechten sind
auch die gleichen Pflichten ge*
kommen. Die Republik muB
verteidi,*t werden, also bildet
,,man" ypezielle Judenkompa*
nien. Das heifit: Die Karikatur
allein konstruiert sie, um auf
diese Weise den behaupteten
negativen Heldenmut der Juden
zu demonstrieren. Der Wiener
Karikaturist Lanzedelli, von des*
sen Hand zahlreiche Judenkari*
katuren herruhren, zeigt unter
anderem den Juden als Natio*
nalgardisten auf der Wache. Es
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
Carao d'Ache. Schlachtfeldhyanen
29
225
. m mi
Der Vater der Frau Hcrzogin
233. Charles Huard. In Israel
geniigt, dafi dieser „Held aus eigener Machtvollkommenheit" hinter sich
Schritte hort, und schon geht es bei ihm los. Zwar nicht das Gewehr,
das lafit er fallen, sondern etwas anderes, das auch zu riechen ist (Bild
123). Die Fahne, die der neugebildeten Judenkompanie gestiftet wird,
ist das eine Mai das Hasenpanier, denn ein Hase baumelt daran (Bild
130), das andere Mai, wo sie stolz „an dem Kumandanten sein Haus"
vorubergetragen wird, zeigt sie, wie man angeblich in Israel das gleiche
Recht mit den Christen auffafit: ein gekronter Jude kutschiert in einem
Wagen, der von zwei nackten Christen auf Handen und FuBen gezogen
226
Wir sind die alteste Aristokratie der Welt
23t. Charles Huard. In Israel
wird (Beilage neben S. 128). Ich gebe von dieser Wiener Karikatur aufier*
dem eine Leipziger Variation, um zu zeigen, wie weitgehend damals be*
stimmte Motive allgemein aufgegriffen und verwertet wurden (Bild 125).
Selbstverstandlich hatte man die ehemalige Bundesgenossenschaft mit der
Reaktion: dafi diejuden esimmergewesenwaren, diediewankendenThrone
mit ihren Goldstangen versteift hatten, nicht vollig vergessen. Und so
polemisierten manche Karikaturisten auch jetzt noch in der Weise gegen
die Juden, dafi sie diese als die steten Bundesgenossen der Reaktion dar*
stellten (Bild 129). Zu den wichtigsten und teilweise auch zu den besten
29*
227
Karikaturen dieser Zeit gehoren jene auf den damals die Finanzkassen ganz
Europas beherrschenden Amsel Rothschild. Ich gebe hier zwei besonders
bezeichnende Beispiele aus der groBen Zahl der Rothschildkarikaturen:
„Wie Rothschild mit den Pleitegeiern durch die Welt kutschiert" und „Die
Generalpumpe". (Beilagen neben S. 112 und S. 120). Die erste erschien
in Frankfurt, die zweite in Berlin. Beide Blatter treffen in anschaulichster
Weise den Kern des Problems, und beide offenbaren einen wirklich
groBen Stil. Zu ihrem sachlichen Verstandnis bedarf es keiner groBeren
Erlauterungen. Die Mitleidlosigkeit, mit der das Kapital, verkorpert in
Rothschild, seine Forderungen auf der ganzen Welt eintreibt, ist bei der
ersten dem alten Rothschild so deutlich ins Gesicht geschrieben, daB es der
stumpfeste Blick erkennen muB. Nicht minder deutlich driickt sich in dem
Blatt „Die Generalpumpe" die uberwaltigende Macht des Geldes aus: daB
die Rollen vertauscht sind, daB die GroBen der Erde, die „angestammten"
Fursten und Konige der Erde, im Vergleich mit der einzigen wahrhaft die
Welt beherrschenden Macht des Geldes hilflose Bettler sind. Der MitteU
punkt der Welt ist der Louisd'or. Aus diesem Zentrum wird die Welt
regiert. Vom Geld erst empfangen die leiblichen Herren der Welt ihre
Macht. Erst wenn das Geld in ihre Taschen flieBt, bekommt ihr Wille Kraft.
Darum sind sie alle armliche Bettler vor diesem finsteren und gewaltigen
Gotzen. (Vergl. auBerdem Bild 168, 192 und Beilage neben S. 208.)
Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts und vor allem die Jahre 1848
und 1849 sind in Deutschland und Osterreich die Geburtsjahre der satiris
schen Presse; in England und Frankreich hatte bereits das Jahr 1830 sie
gebracht. Darum ist der Kampf boden der Karikatur von da ab in diesen
Landern hauptsachlich in die Witzblattpresse verlegt, und die Karikatur in
der seitherigen Form des Einzelflugblattes tritt immer mehr in den Hinter*
grund. Im Revolutionsjahr 1848/49 halten sich beide freilich noch die Wage.
Das Witzblatt muBte sich die Alleinherrschaft erst erobern. Die Munchener
„Fliegenden Blatter" waren das erste deutsche Witzblatt; sein Geburtsjahr
ist das Jahr 1844. Im Jahre 1848 wurde es politisch, wie alle die anderen,
die damals in den Hauptstadten der verschiedenen deutschen Vaterlander,
vom Marzwind herausgelockt, erschienen. Die wichtigsten sind: der Pfaus
sche „Eulenspiegel" in Stuttgart, der „Kladderadatsch" in Berlin, die „Leucht*
kugeln" in Munchen, die Keilsche „Reichsbremse" in Leipzig. Diese alle
228
S+«*J&^1
Das Recht ist zwar auf ihrcr Seite, der Buchstabe des Gesctzes dagegen auf der seinigen. Die Ju^tir
aber schiitzt nicht das Recht, sondem den Buchstaben
235. Ste»D]«n. FmucmxHc K»rlunu
haben in ihrem bildlichen Teil auch die
Frage der Judenemanzipation behandelt.
Zum Teil in einer sehr geistreichen
Weise. Die „Reichsbremse" zeigte in dem
Bild „Die Judenemanzipation in Bayern"
drastisch und uberzeugend den krassen
Widerspruch, der in Bayern zwischen der
Theorie und der Praxis der Judenbefreis
ung bestand (Bild 131). Die „Fliegenden
Blatter", die in jenen Jahren unbedingt
die starksten zeichnerischen Krafte zu
ihren Mitarbeitern zahlten, brachten auch
iiber die Judenemanzipation einiges des
Besten. Ein Beispiel dafur ist die ausgezeichnete Karikatur „Konsequenz"
von dem wackern Kaspar Braun, die sich zwar nicht direkt auf die Emans
zipation der Juden bezieht; es ist ein geistreicher satirischer Hieb auf das,
was fur die Juden nach wie vor geblieben war, namlich die Ungleichheit
vor dem Gesetz (Bild 126).
Da die Judenemanzipation in Frankreich um jeneZeit bereits ein halbes
Jahrhundert Tatsache geworden war, so begegnet man dort selbstverstand*
lich keinen Karikaturen iiber dieses Thema, wohl aber in England, wo um
die gesetzliche Sanktion eines langst zuerkannten Rechtes immer noch ges
rungen wurde. Ein Beispiel ist Bild 120,
das etwa aus dem Jahre 1846 stammt.
Lord Peel hatte anlafilich der Bankakte
eine Rede zugunsten der politischen
Gleichheit gehalten. Dafur setzen die Jus
den seine Buste auf ein Piedestal, bekrans
zen sie und fuhren einen triumphierens
den Rundtanz auf. DaB diese Karikatur
gegen die Juden gerichtet ist, verraten
neben der ganzen Auffassung auch die
Worte, die ihnen der Karikaturist in den
Mund legt. Sie spotten, dafi sie es in jeder
Situation verstehen werden, ihre besons
230
fiStF^gj^F^^* i, ^^^^^^=^— - "'; ..'
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deren Geschafte zu machen, dafi sie sich
dabei aber selbstverstandlich ebenso kor*
rekt benehmen werden wie der christliche
Konkurrent, so dafi kein Mensch etwas
merkt usw.
Wahrend in den fiinfziger Jahren in
England immer wieder Karikaturen zu
dem Thema „die Emanzipation der Jus
den" erscheinen, denn gesetzlich wurde
diese, wie schon erwahnt, erst 1858
sanktioniert, horen diese Karikaturen in
Deutschland mit dem Jahre 1850 fast
ganzlich auf. Freilich viel weniger, weil _jr.n*».tai..;.«-.i ,.•««« *.«•• ■.. •
diese Frage durch die neu errungene Verfassung und das Staatsgrundgesetz
nun als gelost gelten konnte, als vielmehr deshalb, weil mit der im Jahre
1850 einsetzenden allgemeinen Reaktion alle ernsten Probleme aus der
satirischen Presse verschwanden. Der Jude wurde damit fur lange Zeit
wieder das fruhere Witzobjekt fur das Spiefiervergnugen, das man endlos
variiert, weil es unbegrenzte Moglichkeiten des Spottens und Witzelns
bietet. In jenen Jahren entstanden die meisten der bekannten, heute noch
gelaufigen und immer wieder als neu aufs
getischten Witze auf die Juden. Die besten
Beispiele finden sich in den „Fliegenden
Blattern" und in den „Dusseldorfer Mo«
natsheften" der Jahre 1850—55, an denen
ebenfalls eine Reihe der besten Kunstler
jener Zeit mitarbeiteten : Schrodter, Ritter,
Achenbach, Knaus usw. Die gute kunsts
lerische Losung und der mitunter kosts
liche Witz versohnt hier wie auch in den
Fliegenden Blattern mit dem Defizit an
GroBe und Tiefe in der Auffassung dieses
in alien seinen Stadien welthistorischen
Problems (Bild 135-153). -„**.——,—«**.—.
236—239. h ■■ Gerbault. Verfriihte Freude,
£ oderr Einer, der sich zu beherrschen weifi
231
Obgleich sich die Tatsache der politischen Gleichberechtigung der Juden
im Gesellschaftlichen fast iiberall nur sehr langsam durchsetzte, so dafi die
gesellschaf tliche Verfemung in manchen Landern noch Jahrzehnte wahrte,
so fiihrte die politische Gleichheit doch dazu, den Juden sofort eine ganze
Reihe von Berufen und Betatigungsmoglichkeiten zu eroffnen , die ihnen
bis dahin hermetisch verschlossen waren. Und so weit diese Betatigungss
moglichkeiten in der Linie des spezifischen judischen Intellektualismus lagen,
wurden sie auch alle sofort von den Juden okkupiert.
Aus dieser ungeheuren Erweiterung der judischen Mitarbeit auf zahls
reichen Gebieten des wirtschaftlichen und offentlichen Lebens ergab sich
ganz von selbst ein im gleichen Umfang zunehmender Reflex in der Karis
katur der verschiedenen Lander. Dieser vermehrte karikaturistische Reflex
ist freilich in erster Linie darauf zuruckzufuhren, dafi der Jude, dank seiner
geistigen Beweglichkeit, dort, wo er seine Tatigkeit aufnahm, zumeist auch
sehr bald eine stark maBgebende Rolle spielte. Diese auf der ganzen Linie
veranderte Situation spiegeln die in diesem Band vereinigten Karikaturen
nach meiner Meinung sehr deutlich wieder. Bei den bildlichen Demons
strationen aus dieser Zeit konnte es sich naturlich nur um eine uberaus
knappe Auswahl handeln, und mein Ziel muBte ausschlieBlich darauf
gerichtet sein, in dieser knappen Auswahl die Hauptwesenszuge der Judens
karikaturen dieser Epoche durch typische Beispiele aufzuzeigen. Selbst*
verstandlich kann ich auch textlich nur in derselben summarischen Weise
verfahren. Ich muB mich wiederum damit begnugen, das Material in einige
Hauptgruppen zusammenzufassen und diese in ihrem Gesamtcharakter zu
umschreiben. —
So sehr sich die historische Situation fur die Juden nach ihrer Eman«
zipation auch geandert hat, das Fundament der judischen Macht — ihr relativ
groBerer Besitz und ihre uberragenden Talente fur alle Gebiete der Gelds
wirtschaft — ist dadurch doch nicht im geringsten verschleiert worden.
Das Gegenteil ist der Fall. Weil die Emanzipation der Juden in letzter
Instanz nur die politische Form fur die entscheidende Emanzipation der
Geldwirtschaft ist (S. 212), darum ist die Rolle der Juden in der Geldwirts
schaft nach ihrer Emanzipation noch unendlich umfangreicher und zugleich
um so auffalliger geworden. An die Seite der einen Dynastie Rothschild,
232
DSST
f
Images
par
FORAIN
CARAN D'ACHE
cs»^i.ca,i£^a^e3<£i.E3 c cp ssais e3^^sa2ESns>J2
N a 6
42 Uas 1893.
Le NUMERO : 10 centimes.
BUREAUX
que Gaboocu, Pima.
Le Coffre-fbrt
sf lift ;h !*■<•.
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lUllfMlH!
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•ill :; '• :
•faiM***-
— Patience!... Avec ca, on a le dernier mot!
Nur Geduld! . . . Mit dem da hat man das letzte Wort!
Der Kassenschrank
Forain. Titelseite des antisDreyfusistischen Witzblattes „Psst...!" Paris 1898
Beilage zu Eduard Fuchs, .,Die Juden in der Karikatur"
Albert Langen, Munchen
I f <k_J^ — ill. / >
240. H. Gerbauh. Die Konige aus dem Morgenlande auf
der pariser Weltausstellung. Le Rire. 1900
die in fiinf verschiedenen Lans
dern durch die fiinf Sonne des
alten Amsel Rothschild regierte,
traten allmahlich Dutzende von
Finanzkonigen: Pereira, Fould,
Bleichroder, Mendelssohn, Ops
penheimer usw. Und man be*
gegnet ihnen alien in der Karis
katur der verschiedenen Lander.
Fur die Charakteristik der Alls
macht des Geldes, seiner unbes
schrankten Weltherrschaft, seis
ner skrupellosen Gier, die Taus
senden, mitunter sogar ganzen
Volkern, bloB deshalb den Huns
ger diktiert, um die jeweilige
Profitrate zu steigern, bleibt
Rothschild freilich nach wie vor der Typ. Nicht weil die furchterliche
Skrupellosigkeit des Grofikapitals sich mehr an den Namen der Rothschilds
als an den der anderen Finanzkonige knupfte, sondern nur deshalb, weil
der Name Rothschild langst ein in der ganzen Welt feststehender Begriff
fur die Weltmacht des Besitzes geworden war (Bild 192 u. neben S. 208).
Durch die Einfuhrung von Darlehnskassen, Hypothekenbanken und
ahnlichen Institutionen ist die geldwirtschaftliche Funktion des Juden als
privaten Geldleihers, die ihn automatisch zum Wucherer werden liefi, in
einer sozial gesunden Weise abgelost. Gewifi noch nicht ganzlich. Der
Jude als Wucherer ist noch nirgends vollig ausgestorben (Bild 100, 146,
206, 212, 220); am haufigsten begegnet man ihm noch in den ostlichen
Provinzen. Naturlich ist damit die Figur des judischen Wucherers als vors
herrschender judischer Typ aus der Karikatur verschwunden. Denn der
Jude ist eben nicht mehr ohne weiteres, geschweige denn erschopfend
charakterisiert, wenn man ihn als Wucherer karikiert. An die spezielle
Stelle des Wucherers sind der judische Borsianer, der judische Bankier und
der judische Kapitalist getreten (Bild 99, 143, 144, 152, 161, 162 ;
183, 186, 188, 191, 193, 198, 211, 221, 222, 313, Beilagen neben S. 1
Fuchs, Die Juden in der Karikatu
233
241. Joseph und die Potiphar. „Er mag net". Piek ; me*up. London. 1899
Zwischen dem jiidischen Bankier von heute und dem jiidischenWuches
rer von ehedem ist im Prinzip kein grofier Unterschied, denn die Tatigkeit
der beiden ist im Wesen vollig gleich. Auch der moderne Bankier tut in
der Hauptsache nichts anderes als Geld auf Pfander leihen. Der Gewinn,
den er dabei erzielt, ist ebenfalls nicht kleiner als der, den der ehemalige
Wucherjude einheimste. Im Gegenteil. Weil der Bankier das Verleihen von
Geldern auf Pfander auf einer hoheren banktechnischen Stufe ausiibt, ist
der Ertrag dieser Tatigkeit fur ihn sehr oft noch unendlich viel grofier. Und
auch die Methoden, deren sich der geldleihende Bankier beim Eintreiben
seiner Guthaben bedient, entbehren jeder Spur von Sentimentalitat. Es
existiert nur der eine Unterschied, dafi das Abwurgen der Kleinen durch
die GroBen heute gerauschloser als friiher sich vollzieht. Trotzdem ist der
moderne Bankier in der allgemeinen offentlichen Meinung nirgends mehr
mit eineun ahnlichen Makel behaftet wie der Wucherjude von ehedem.
Die einfa.che Ursache ist, dafi, wie ich eingangs dieses Kapitels auseinander
234
gesetzt habe, in unserer Zeit die Geldwirtschaft sich restlos durchgesetzt
hat. Daraus ergab sich mit zwingender Notwendigkeit, dafi das Empors
steigern der individuellen Profitrate zum selbstverstandlichen Recht fur die
Gesamtheit, also fur Christ und Jude, geworden ist. Und damit sind alle
Funktionen der Geldwirtschaft sozusagen „ehrlich" geworden. Als anstoBig
gilt hochstens die Ungeschicklichkeit im Geldverdienen. Dafur ist ein
boses Wort, das die ertragreiche Geschaftskonjunktur des Weltkrieges in
Deutschland hat entstehen lassen, sehr bezeichnend: „Ein Kaufmann, der
in dieser Zeit nicht zum Millionar wird, ist nicht wert, diese grofieZeit er»
lebt zu haben."
Diese Wandlung in den herrschenden Anschauungen iiber die berechs
tigten Methoden des Profitmachens hat in der Karikatur dazu gefuhrt, dafi
jemand heute viel weniger ob der Art verspottet wird, wie er sein Geld
verdient, als vielmehr darob, wie er sein Geld ausgibt. In dieser Weise
kapitulierte das offentliche Gewissen vor den Tendenzen des Grofikapitas
lismus, es verlangte von dessen einzelnen Vertretern hinfort nur die Wahrung
der aufieren gesellschaftlichen Formen. Die Henker und die Rauber miissen
Glacehandschuhe tragen. Sie
miissen sich in solchen Lebenss
formen bewegen, die das Reichs
sein als eine ihnen von Geburt
an eigentumlicheSelbstverstands
lichkeit vortauscht. Ist ihr ge*
sellschaftliches Benehmen der*
art, dann gelten sie als tadellos,
und hiemand wird wagen, sie
als Person anzugreifen.
Angesichts dieser verander*
ten Situation wird der geldbes
sitzende Jude immer haufiger ob
seines gesellschaftlichen Benehs
mens verspottet, soweit dieses
die Herkunft aus dem Ghetto,
oder moderner ausgedruckt, aus
der Grenadierstrafie verrat (Bild
&%
Joseph !
242. Caran d'Ache. Die moderne Potiphar
30*
235
288). Er wird verspottet als Pars
venii, der den alten Sportsmann
mimt (Bild 167), als Protz, der
seine Kalle mit einem Juwelier*
laden behangt (Bild 159), als
der ewige Borsenspekulant, der
beim Erscheinen des Borsens
berichtes alle anderen Freuden
der Welt vergiGt (Bild 178). Er
wird weiter verspottet als der
Kommerzienrat, derdengrofien
Mann vorstellen will (Bild 186),
als der groBe Geldausgeber, der
von aller Welt umworben wird
(Bild 162—164), und vor allem
als der, der durch seine starke
Vorherrschaft im offentlichen
Leben den Mittelpunkten des
gesellschaftlichen Treibens ihr
ganz besonderes Geprage vers
leiht. Diese Mittelpunkte sind: das Theater, der Sport, der hauptstadtische
Korso, das Modebad, usw. (Bild 197, 222, 224, 225, 234, 244).
Auf diese Weise vermag die Karikatur zwar nicht solch furchtbare An*
klagen gegen die Juden zu schleudern wie ehedem, wo jeder Jude nur in
der Gestalt des mitleidlosen Blutsaugers vor das geistige Gesichtsfeld der
Mitwelt trat, aber der Witz und die Satire und auch die kunstlerische Be*
waltigung der verschiedenen Motive haben auf diese Weise eine ungleich
reichere Ernte gehalten. Die Blatter von Busch, Caran d'Ache, Forain,
Oberlander uberragen durch ihr Genie alles, was die fruheren Jahrhunderte
an satirischem Witz gegen die Juden vorzubringen vermochten. (Bild 178,
180, 181, 184, 223—229). Aber dieser Unterschied gilt auch gegenuber fast
alien modernen Karikaturisten, die die Juden zum Gegenstand ihres Witzes
gemacht haben (Bild 179, 182, 183, 186, 187, 190, 191, 194, 195, 198, 199).
Die Armee der Zukunft
243. Caran d'Ache. Pst. . . 189
236
Die antisemitische Witz*
blattpresse. Das 19. Jahrhun*
dert hat auch eine spezifisch anti*
semitische Witzblattpresse her*
vorgebracht. Also eine Presse,
die nicht nur auch Judenkaris
katuren bringt, wie fast alle
Witzblatter der Welt, sondern
die sich ausschlieBlich dem sa*
tirischen Kampf gegen diejuden
widmet, und die alle Dinge und
Ereignisse aus diesem Gesichts*
winkel anschaut.
Zwischen den Judenkari*
katuren dieser Zeitungen und
dieses Charakters und den sozus
sagen allgemeinen Judenkarika*
. turen mu6 man selbstverstands
lich streng unterscheiden. In
diesen allgemeinen Judenkari*
katuren, von denen ich als kunstlerischste deutsche Beispiele die kostlichen
Blatter von Oberlander, Busch, Harburger, Schlittgen usw. nennen mochte,
ist der Jude nicht so sehr das Ziel des Spottes, als vielmehr das dankbare
Mittel, um in wirkungsvoller Weise Witz und Humor zu gestalten. Genau
wie der Bauer zum speziellen Trager der Verschlagenheit, des besonders
raffinierten Geschaftsgeistes usw. gemacht wird. Indem man sich in dieser
Weise auf Kosten der Bauern und der Juden lustig macht, handelt es sich
in dem einen Fall so wenig wie in dem andern um einen prinzipiellen Kampf
gegen die Bauern und gegen die Juden, sondern hauptsachlich um die Be*
tatigung des absoluten Rechtes des Humors, alle Erscheinungen des Lebens
zu seinen Zwecken auszubeuten. Das frohliche Lachen als Selbstzweck ist
das Ziel dieser Art Judenkarikaturen, das Lachen im Dienste der allge*
meinen Stimmungssteigerung. Solchen Judenkarikaturen, der en Zweck
sich hierin erschopft, begegnet man uberall, und solchen Judenkarikaturen
wird man sicher auch begegnen, solange der Jude sich nicht ganzlich assis
Das Richterkollegium im Dreyfus=Prozefl
2«. Carm d'Ache. Psst.
237
miliert hat, solange es also noch
auffalligejiidischeEigenartengibt.
Ganz anders verhalt es sich bei
den Judenkarikaturen der anti*
semitschen Witzblatter. Diese
sind, wie die meisten Judenkaris
katuren vor der Emanzipation
der Juden, direkte Kampfmittel
und Kampfansagen gegenuber
den Juden. Bei ihnen soil der
Zweck und das Ziel des Lachens,
das sie entfesseln, niemals im
Lachen allein, also in der bloBen
Stimmungssteigerung, erschopft
sein, sondern sie sollen beim Be*
schauer genau wie friiher ein Ge«
fuhl der Verachtung gegenuber
den Juden zurucklassen. Denn
durch dieses Gefiihl der Verachs
tung soil, wie ich schon oben
(S. 107) sagte, die betatigte oder
propagierte politische Unter*
druckung der Juden, die Revision
ihrer Emanzipation, ihre Zurucks
fuhrung ins Ghetto, ihre Auss
weisung aus Europa, usw. ge*
rechtf ertigt sein.
Das alteste antisemitische Witzs
blatt diirfte der Wiener „Kikeriki"
sein. 1862 als allgemeines und
politisches Witzblatt und speziell
als antiklerikales Kampf blatt begrundet, gelangte der Kikeriki in dieser Form
zu einem berechtigten und weit iiber die Grenzen Osterreichs hinausreichens
den Ansehen. Mit dem Auf kommen der christlichssozialen Partei in Oster*
reich, in den neunziger Jahren, verzichtete das Blatt immer mehr auf seinen
J ^^ >
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M.
Das Judenschicksel
245. Hermann Paul. Fraczosischc Karikatur
238
ursprunglichen Charakter und stellte sich in gleicher Weise in den Dienst des
Antisemitismus, das heifit in den der Kreisler und Tandler; denn diese bil*
den den Kern der christlichssozialen Partei in Osterreich. Zweifellos gab es
in Wien besonders viele und dauernde Anreize zu Angriff en auf die Juden.
Das Judentum beherrschte hier schon lange und sehr stark die Wirtschaft
und die Politik, aufierdem hatte Wien standig unter dem ununterbrochenen
Zuzug der Ostjuden zu leiden. Diese bediirfnislosen Massen wurden die
gefahrlichsten Konkurrenten des ansassigen Kleinhandwerks und Kleins
handels; denn sie waren dank ihrer Herkunft beim Geschaftemachen von
alien Skrupeln unbeschwert. Auf einem solchen Boden muBte sich der pos
litisch organisierte Antisemitismus eines Tages formieren. Weil dieses aber
infolge der geographischen Lage Wiens kein vorubergehender, sondern
ein dauernder und immer deutlicher sich auspragender Zustand wurde, je
mehr die ostlichen Massen in Bewegung kamen, darum wurde der Antise*
mitismus in Wien sowohl eine Dauer* als auch eine Massenbewegung.
Damit aber war auch einem Witzblatt, das alle Ereignisse und alle wirts
schaftlichen und politischen Fragen aus dem Gesichtswinkel der judischen
Verantwortlichkeitanschautundglossiert,
die fur seine Existenz notige Leser* und
Abnehmerzahl verburgt. Und darum
wandelte sich der Kikeriki zum antisemis
tischen Witzblatt und konnte sich auch
als solches bis auf den heutigen Tag be*
haupten. Sein fruheres Ansehen vers
mochte er freilich nicht zu behaupten,
denn eine Kreislerperspektive kann sich
eben niemals zu einer Weltperspektive
weiten.
Einen derart gunstigen Boden wie in
Osterreich und speziell in Wien hatte
der politisch organisierte Antisemitismus
in andern Landern , abgesehen von Rufis
land, immer nur vorubergehend. Eine
solche vorubergehende Periode der Vors
herrschaft des Antisemitismus im gesams
Raphael Viau
Oty! ees * Jeroboam!
PRIX
80 C=si
ivmm
Uibrairie flntisemite, 45, rue tfivieone - PBRIS
Umschlagseitc eines fraczosischec
Pamphlets
239
Weshalb man die Revolution von 1789 machte. I. Vorher
ten offentlichen Leben
war in Deutschland die
schon geschilderte Zeit
des HepsHepsSturmes.
Aber damals war die
Zeit fur das satirische
Witzblatt in Deutsche
land noch nicht ges
kommen. Bei der nachs
sten starken antisemiti«
schen Flutwelle, die mit der Griinderzeit der siebziger Jahre zusammenhing,
lagen die Dinge in dieser Richtung schon anders und sofort kam es zur
Grundung eines satirischenWitzblattes, des Leipziger „Puck", der zwar nicht
ausschliefilich antisemitische Karikaturen brachte, aber seine antisemitischen
Tendenzen auch nicht verhullte, wie die hier wiedergegebenen Bildproben
deutlich zeigen (Bild 167, 171—177). Diese Bewegung flaute jedoch sehr
bald wieder ab, und so ging auch der Puck wieder ein. Die nachste, von
dem Hofprediger Stocker und dem beruchtigten Rektor Ahlwardt, dem
Rektor aller Teutschen — wie sich dieser furchterliche Hohlkopf selbst
nannte — , geleitete antisemitische Bewegung war von lingerer Dauer und
ergriff auch ziemlich breite Mittelschichten. Wieder wurden im Verlauf
dieser Bewegung verschiedene Versuche gemacht, ein antisemitisches Witzs
blatt zu grunden, aber das einzige greifbare Resultatbildeten die in zwangs
loser Folge in Dresden erscheinenden ..Antisemitischen Bilderbogen." Die
kunstlerische und literarische Qualitat dieser durchweg satirischen Bilders
bogen war jedoch derart minderwertig, dafi auch diese Grundung nur den
bescheidensten Anspruchen genugte und darum nach der zwanzigsten
Nummer wieder einschlief. Bild 2, 210 und 211 zeigen einige Bildproben;
sie sind dem zuletzt, unter dem Titel „Der Teufel in Berlin" erschienenen
Bilderbogen entnommen. Ich bemerke jedoch ausdrucklich, dafi diese Bilder
unbedingt die besten oder richtiger : die einzig ertraglichen aus dieser ganzen
Serie sind. Was man in dieser Redaktion unter literarischer Satire verstand,
werde ich noch an anderer Stelle kurz belegen. Erst die gegenwartige anti*
semitische Hochflut, die Deutschland seit dem Kriegsende durchtobt, und
die starker ist als je eine zuvor, hat ein spezifisch antisemitisches Witzblatt
240
gezeitigt, das seit 1920 in Berlin erscheinende ..Deutsche Witzblatt". Aber
dieses antisemitische Witzblatt fuhrt trotz der antisemitischen Hochkon*
junktur, die so unendlich viele Leute um den bescheidenen Rest ihres
Verstandes gebracht hat, eine sehr wenig beachtete Existenz. Auch in die*
sem Fall ist dieser Umstand durch das unsagbar tiefe Niveau des Blattes
hinreichend erklart (Bild 287, 289, 296). Alle diese Bilder sind auch als
Ansichtskarten und zum Teil auch als Klebemarken erschienen. Anderer*
seits machen die samtlichen fuhrenden deutschen Witzblatter standig der*
art starke Konzessionen an den Antisemitismus, dafi schon damit der
vorhandene Bedarf hinreichend gedeckt ist. Kriegsgewinner, Schieber,
Revolutionsgewinner usw. werden in den meisten Fallen als Juden darge*
stellt. Zwar weifi alle Welt, dafi auf diesen ertragreichen Gefilden Christ
und Jud paritatisch vertreten sind, aber der skrupellose Verdiener macht
sich eben in der Gestalt des Juden fur die Karikierung am effektvollsten,
und so stempelt der Karikaturist diese peinlichen Gestalten stereotyp zu
Juden (Bild 288, 290-294).
In Frankreich haben die Juden sowohl in der Wirtschaft als auch
in der Politik, wie ich schon im dritten Kapitel gezeigt habe, immer eine
grofie Rolle gespielt. Da dies bei der geringen Entwicklung der franzo*
sischen Industrie und bei dem uberwiegend kleinbauerlichen und kleinburs
gerlichen Charakter
der Gesamtbevolke*
rung in der Offent*
lichkeit naturgemafi
stark auffallen mu6*
te, so istder Antisemi*
tismus in Frankreich
trotz der hier am fruhs
esten erfolgten Eman*
zipation der Juden
seitlangemeinechro*
nische Erscheinung.
Trotzdem kam es in
Frankreich sehr yiel
Weshalb man die Revolution von 1789 machte. II. Nachher
Spater alS Z. B. in 247 u . 2 48. Caran d'Ache. 1898
Fuchs, Die Juden in der Karikatur 31
241
Deutschland zu einem planmafiig organisierten Kampf gegen die Juden.
Diese Verzogerung ist darauf zuriickzuf iihren, daft in Frankreich die fiihren*
den jiidischen Kreise stets auf das Engste mit den jeweils herrschenden Ge*
walten liiert waren. Jede franzosische Regierung wurde von einer ganz
speziellen jiidischen Kapitalistengruppe, d. h. von einem ganz bestimmten
Bankhaus, gestiitzt. Louis Philipp zuerst von Laffitte — diesem Bankhaus
hatte er 1830 seine Thronbesteigung zu verdanken — , spater von Rothschild.
Unter Napoleon III. war die Geldmacht Pereira neben Rothschild der
wirtschaftliche Stutzpunkt der kaiserlichen Politik usw. Unter solchen Urn*
standen konnte der Kampf gegen die Juden sich nicht vereinheitlichen; denn
der Teil der Bevolkerung, der zur Regierung stand, — das waren das eine
Mai die Kleinbiirger, das andere Mai die Kleinbauern, — ware bei einem
organisierten Kampf gegen die Gesamtheit der Juden jeweils ausgeschie*
den, da ein Teil der Juden immer die eigenen Bundesgenossen darstellte.
Andererseits war der gegen die jeweilige Regierung gefuhrte Kampf immer
nur ein Kampf um die politische Regierungsform, niemals aber ein prinzi?
pieller Kampf um die okonomische, d. h. die kapitalistische Basis der Ge?
2«9. Bob. La France und ihte Beschiitzer. FfanwuKhc Kjnlurac
242
250. Monsieur Le due von Bob (CiSn M«tsU)
Fraoaosiscbe lOuilutur
sellschaft. So fuhrte die Niederlage jedes
Regierungssystems in Frankreich letzten
Endes immer nur zu einem Wechsel in
dem herrschenden Bankhaus. Um die
wahre Situation nach den Februartagen
des Jahres 1848 zu kennzeichnen, sagte
Proudhon sehr treffend: „Unsere Juden
haben gewechselt". 1851 nach dem Staats;
streich und 1870 nach dem 4. September
hatten letzten Endes ebenfalls nur die
Juden gewechselt.
Erst in den achtziger Jahren, als der
VerreibungsprozeB der Mittelschichten
sich in Frankreich zu den gleichen langs
andauernden Wirtschaftskrisen steigerte
wie in Deutschland, kam es zu einer klar
ausgepragten antisemitischen Bewegung.
Ihr geistiges Haupt wurde der heute noch
lebende getaufte Jude und Monarchist Edouard Drumont, ein ziemlich ge«
schickter Schriftsteller, der sich durch sein 1887 erschienenes und auch ins
Deutsche iibertragene Buch „Das verjudete Frankreich" mit einem Schlage
bei alien unkritischen Kopfen beriihmt machte. Drumontgriindete im Jahre
1893 die satirisch illustrierte Zeitschrif t „La libre Parole", der er das Leitwort
voransetzte „La France aux Francois;" denn der Kernpunkt aller seiner An«
klagen gipfelt darin, Frankreich gehore langst nicht mehr den Franzosen,
sondern sei mit alien seinen Besitzquellen in den Handen der Juden. Ich
gebe hier die Titelseite der ersten Nummer dieser teilweise sehr interessanten
Zeitung (Bild 218, 306). Der Erfolg dieser Zeitung, und dafi sie sich durch
die schwierigsten materiellen Fahrnisse hindurch bis in den Weltkrieg hin*
ein am Leben zu erhalten verstand, war vor allem der haufigen Mitarbeit
angesehener Zeichner zu danken. In dem kleinbiirgerlichen Frankreich
entstammen auch die meisten Kunstler kleinbiirgerlichen Kreisen, und
deshalb stoBt man unter den franzosischen Kiinstlern auf so viele antise*
mitische Regungen. Verschiedene der bedeutendsten franzosischen Kari*
katuristen sind ausgesprochene Antisemiten. Ich nenne nur Adolf Willette,
243
ttS«NHM^^^^^n|I^U|W^
251. J. Kuhn.Rcewcr Die keusche Susanne und die beiden Greise. t9n
Forain, Leandre, Huard, Caran d" Ache; der Letztere ist iibrigens nach
Abstammung ein Russe. Ein Jeder von diesen hat Hunderte von direkt
antisemitischen Karikaturen gemacht. Die Gerechtigkeit fordert jedoch,
zu erklaren, dafi sich darunter eine Anzahl Blatter befinden, die nicht
nur zu den Besten unter alien jemals erschienenen Judenkarikaturen ges
horen , sondern die iiberhaupt in der Geschichte der Karikatur einen hers
vorragenden Platz einnehmen. Von Caran d'Ache nenne ich als Beweis
den genialen Bilderwitz „Die Judenfrage", der 1896 in einer der Monj
tagsnummern des , .Figaro" erschien (Bild 226—229), von Forain ver*
weise ich auf das nicht weniger geniale Titelbild aus dem ,,Psst . . .1":
„Der Kassenschrank" (Beilage neben S. 232) und von Willette auf das
Titelbild in der ersten Nummer von „La libre Parole" (Bild 218). Neben
diesen weltberiihmten Namen der franzosischen Karikatur lieferten aber
noch standig Dutzende von anderen angesehenen Karikaturisten anti=
semitische Karikaturen: Steinlen, Jossot, Gerbault, KuhnsRegnier, Viau,
und vor allem Bob, hinter dem sich die als Schriftstellerin wie als Kari=
katuristin gleich originelle monarchistische Grafin Martell verbirgt. Diese
Grafin hat sich den Kampf gegen das Judentum ebenf alls zu ihrem be*
sonderen Ziel erkoren. In der Verfolgung dieses Zieles hat sie mehrere
geistreiche Biicher verfafit, die sie auch selbst illustriert hat. Die be*
244
riihmtesten sind „Les gens chics" und „Ohe les Dirigeants!" (Bild 196, 222,
223. 230-240, 245, 246. 249-255, 260).
Als der Dreyf usprozefi im Jahre 1897 von neuem ins Rollen kam und
man in Frankreich monatelang von nichts anderem sprach, griindeten Forain
und Caran d'Ache gemeinsam das durchaus antisemitische Witzblatt
„Psst . . .!", das ausschlieftlich von ihnen beiden illustriert wurde. Der An>
tisemitismus und auch dieses Witzblatt standen selbstverstandlich auf der
Seite der Dreyfusgegner. Dieses Blatt, das nur aus Zeichnungen bestand,
brachte wahrend der zwanzig Monate seines Bestehens eine Reihe glanzen*
der Karikaturen auf die Juden (Bild 224, 232, 243, 244, 247 und Beilage neben
S. 232). Als Oberst Dreyfus, dieses Opfer der monarchistischsantisemitis
schen Agitation, vom Kriegsgericht in Rennes freigesprochen werden mufite,
verzichteten Forain und Caran d'Ache auf die weitere Herausgabe des
Blattes; denn sein ganzer Inhalt war nur auf den Kampf gegen Dreyfus
eingestellt gewesen. Der Panamaskandal, der begreiflicherweise in alien
seinen Teilen eine vorherrschend antisemitische Note hatte, hat nur zu Vers
suchen von antisemitischen Witzblattgriindungen gefiihrt, aber meines
Wissens zu keinem positiven Erf olg. Im iibrigen war ja der Bedarf in der
Hauptsache durch diesatirischillustriertenMontagssund DonnerstagssAuss
gaben des klerikalen Figaro gedeckt. —
Aufier diesen Landern be«
gegnet man nur noch in dem
zaristischen Rutland antisemitis
schen Witzblattern. Dieses ins
famste aller europaischen Regies
rungssysteme, das jeden freien
Geist mit der Katorga und mit
Sibirien bedrohte, wenn er im
Interesse des kulturellen Forts
schritts und der Freiheit sich der
Presse bediente, wurde in der
schamlosesten Weise nachsichtig,
wenn der Antisemitismus in
irgend einer Stadt es untemahm,
die Massen durch Flugblatter, 252. j. K^«.**g*,«. Simson und DeliU
245
Zeitungen usw. gegen die Juden aufzuputschen und Judenprogrome vor«
zubereiten oder diese durch die Presse zu rechtfertigen. Infolgedessen
konnten in RuBland verschiedene antisemitische Witzblatter entstehen und
ungestort die gemeinste Sprache gegen die Juden fiihren. Ich gebe hier
eine Reihe Proben aus zwei solchen antisemitischen Witzblattern. Das eine
hiefi „Der Odessaer Gummiknuppel", es erschien 1905, das andere hiefi
„Pluvium" und erschien seit 1906 in Petersburg; keines von beiden hatte
jedoch ein langes Leben. (Bild 276—280 und Beilage neben S. 272). —
Das Rezept, nach dem die antisemitischen Witzblatter der ganzen Welt
ohne Unterschied arbeiten, ist das bekannte, schon an den verschiedensten
Stellen erwahnte Rezept des Antisemitismus, wonach die Juden von alters*
her an allem Unheil der Welt schuld sind, dafi sie in allem die Hand
im Spiel haben, und dafi dieses Spiel immer betrugerisch ist. Darum bes
diirfen die hier vorgefuhrten Karikaturen auch gar keiner besonderen
Wurdigung im Einzelnen. Der einzige Unterschied gegen friiher ist der,
dafi die Zahl der gegen die Juden erhobenen Anklagen sich vervielfacht
hat, entsprechend ihrem erweiterten Tatigkeitsgebiet im wirtschaftlichen
und politischen Leben. Weil der Jude heute auch uberall in der Justiz eine
Rolle spielt, ist, entsprechend der antisemitischen Phraseologie, auch iibers
all die Justiz von ihm korrumpiert, das Gleiche behauptet der Antisemitiss
mus von der Presse, der Politik usw. Und er demonstriert dies auch dem«
entsprechend in seinen Karikaturen. Auf die Juden in der Politik, in der
Literatur und Kunst, die ein besonders grofies Kapitel in der antisemitischen
Karikatur bilden, komme ich deshalb noch in einem gesonderten Abschnitt
zu sprechen . . .
Abgesehen von den stofflichen Unterschieden , die durch die beson*
deren politischen und anderen Ereignisse der einzelnen Lander bedingt
sind, unterscheidet nur die formale Losung die antisemitischen Karikaturen
der verschiedenen Lander voneinander. Die Franzosen sind auch in ihrem
Kampf gegen die Juden am geistreichsten und ihre Karikaturen sind aufiers
dem- die kunstlerischesten. Die Russen sind, wie die von mir hier vorges
fuhrten Beispiele aufs Deutlichste zeigen, stets uberaus teuflisch in ihren
Angriffen. Von den Deutschen kann man wiederum sagen, dafi ihre antis
semitischen Karikaturen zumeist die albernsten sind; sie stehen weit hinter
denen der Osterreicher zuriick, freilich haben diese auch eine viel langere
246
253. J. Kuhn.Regnier. Ein Fest in den Garten dcr Semiramis
Tradition im Hep«Hep«Schreien. Wenn die heftigsten franzosischen Karis
katuren nicht selten durch ihren Witz und ihre kiinstlerische Form vers
sohnen — was auch von den Judenkarikaturen der Miinchener „Fliegenden
Blatter" und denen des „Simplicissimus" gilt — , so versohnt Einen bei den
Osterreichern haufig deren Bonhommie.
Ich habe oben (S. 235) gesagt, daft die moderne Judenkarikatur immer
mehr an die Formen des Geldausgebens und immer weniger an die Formen
des Geldverdienens ankniipft. Fiir die antisemitische Witzblattpresse gilt
dies, wie man sieht, nicht. Hier gibt es keine Wandlung. Im Gegenteil:
der Antisemitismus hat auf die friiheren Methoden der Judenbekampf ung
nicht nur nicht verzichtet, sondern diese obendrein noch um die samtlichen
neuen Errungenschaften vermehrt.
Der Jude in der Politik. Wo auch der Jude in der Geschichte die
Arena betritt, immer erleben wir das gleiche Schauspiel wie beim Auftreten
des Juden in der Geldwirtschaft und im Handel. Er rebelliert gegen die
247
hergebrachten, nur durch die Tradition geheiligten Formen und vernichtet
durch seinen Intellektualismus und durch seine vielfach hemmungslose Be*
weglichkeit die siiBe, bis dahin herrschende Ruhe. Das Wichtigste dabei ist
jedoch, dafi derjude nichtnur am erstenTage seines Auftretens, sonderndafi
er dauernd rebelliert. Das war selbstverstandlich auch die Rolle des Juden
in jedem Lande, als er in die Politik eintrat, und es ist seine Rolle in der Poli*
tik bis auf den heutigen Tag geblieben. Indem aber der Jude in der Politik
gegen die hergebrachten Formen standig rebellierte, sprengte er diese auch,
— er ist bis zu einem gewissen Grade unbedingt das Dynamit in der poli*
tischen Geschichte der Volker. Aber er sprengt nicht nur die seiner Be*
weglichkeit lastigen alten Formen, er entwickelt auch neue, beweglichere,
die der Nervositat der entwickelten Geldwirtschaft entsprechen. Es ist
nicht ubertrieben, wenn man sagt, dafi z. B. der moderne Parlamentaris*
mus in weitem Umfange durch die Juden sein spezifisches Geprage be*
kommen hat. Es konnte gar nicht anders sein , weil der Parlamentarismus
25*. J. KuhnsRegnicr. Salomon und die Konigin von Saba
248
die dem modernen Kapitalismus
entsprechendeund von ihm nicht
zu trennendepolitische Form ist.
Eine ganz logische Konse*
quenz der gesamten Stellung des
Juden ist, daft er iiberall dort,
wo eine konservative Regierung
am Ruder ist, meistens auf der
Seite der Opposition steht. Nicht
weniger folgerichtig ist, daft er
am allerhaufigsten auf der Seite
der auftersten Opposition steht;
in Deutschland also z. B. auf der
Seite der Sozialdemokratie. Daft
man in den deutschen Parlamen;
ten vor dem Weltkrieg den Ju*
den fast nur in den Reihen der
Sozialdemokratie begegnete, und
nur als verschwindenden Auss
nahmen in den Reihen des Frei<
sinns, obgleich dieser doch direkt
als „Judenpartei" stigmatisiert
war, hatte seine besondere Ursache in der politischen Charakterlosigkeit des
deutschen Biirgertums. Zwar vertrat der Freisinn durch Dick und Diinn
das Finanzkapital, in dem die Juden dominieren, aber aus Riicksicht auf die
kleinburgerlichen Mitlauf er, deren Stimmen man bei einer Wahl nicht ver*
lieren wollte, sah man ebenso angstlich von der Auf stellung jiidischer
Kandidaten ab. Der biirgerliche jiidische Abgeordnete war darum nur in
den stadtischen Dreiklassenparlamenten als Vertreter der Wahler erster
Klasse zu finden, weil hier der Freisinn seine Abgeordneten gewissermaften
bloft zu ernennen brauchte. Eine der wenigen Ausnahmen war der nation
nalliberale Abgeordnete Lasker, der in den 70er Jahren den Kampf gegen
den Griinderschwindel im deutschen Reichstag aufnahm, und mutig — auf
halbem Wege stehen blieb. (Bild 175 u. 176).
Der Hauptvorwurf , den die antisemitisch inspirierte Karikatur gegen
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Ein Fall, in dem der Judc immer gem mit dem
Christen gebt
255. Adolf VE'illcne. Ftan>«isd» Kinlumr
Fuch*. Die Juden m der Kjtnkjtur
32
249
Wagnerianer und Wagnerianerinnen in Tristan und Isolde
Z56. Aubrey BeardiWy Enfilische Kjtikjfur
den politisch tatigen Juden erhebt. besteht darin, dafi der Jude die ihm an*
geblich angeborenen Schachermanieren auch auf das Politische ubertrage.
Karikaturen dieser Art auf jiidische Politiker liefien sich eine ganze Reihe
anfiihren. Ich begniige mich mit einem klassischen Beispiel. Es ist die an
sich ausgezeichnete Karikatur des ehemaligen sozialdemokratischen Fuhrers
Paul Singer von G. Brandt im Kladderadatsch (siehe Beilage neben S. 192).
Aber diese Karikatur ist bei aller zwingenden Komik, die sie ausstromt,
doch eine sehr wenig erschopfende Charakteristik dieses bedeutenden Ar?
250
beiterfuhrers aus der Glanzzeit der deutschen Sozialdemokratie. Denn
Paul Singer war alles eher als ein politisierender Schacherjude. Freilich,
der Zweck, eine geringschatzende Vorstellung zu erwecken, indem der erste
Vorsitzende der deutschen sozialdemokratischen Partei zum ..Muhlens
dammer" gestempelt wird, dieser Zweck ist erreicht. Auch Ferdinand Lass
salle, dem Grunder der deutschen Sozialdemokratie, begegnet man in der
Karikatur nur in einer Gestalt, die ihn als kleinen knifflichen Schacherjuden
erscheinen laBt (Bild 121), trotzdem alle Welt schon beim ersten Auftreten
dieses genialen Agitators begriffen hatte, dafi hier eine ganz einzigartige
Personlichkeit in die politische Arena getreten war. Hier mag eingeschaltet
sein, da6 man dem grofien sozialistischen Theoretiker Karl Marx meines
Wissens nur ein einziges Mai in der Karikatur begegnet, namlich in seiner
Eigenschaft als Redakteur der Rheinischen Zeitung im Jahre 1848. In
diesem Blatt ist Marx jedoch nicht als Jude karikiert, sondern im Gegens
teil heroisierend als der an die Druckerpresse geschmiedete Prometheus.
Die geistige Beweglichkeit der Juden und ihr Intellektualismus , der
gegen alle hergebrachten Formen und Schrans
ken Sturm lauf t, — diese Eigenschaf ten wurden
von der Karikatur naturlich niemals als das
revolutionare Element gekenhzeichnet, das im
politischen Leben zu neuen Formen fuhrt,
sondern immer nur als das storende, die Zeit
und die Geduld des Parlaments stets mid
brauchende Element. In dieser Weise sind
all die judischen Politiker in den deutschen,
franzosischen und sonstigen Parlamenten dar=
gestellt; die sich Dank der Beweglichkeit ihres
Intellekts an alien Debatten beteiligten und
unermudlich waren in immer neuen Kontro*
versen, Antragen usw. Man denke von deut*
schen Parlamentariern dieser Art nur an den
bekannten Berliner Reichstagsabgeordneten
Arthur Stadthagen, fur den es nicht nur in
den Fragen des Arbeiterrechts, wo er eine von
Freund und Feind anerkannte Autoritat war,
Uradel
Aubrey Bcardslc
52*
251
Krippenspiel in Berlin. „Ich find' die Idee so originell!"
258. Karikatur von Ernst Heilemacc. Simplicissimus. 1907
sondern fur den es uberhaupt kaum eine einzige politische Frage gab , wo
er sich nicht berufen fiihlte, mitzusprechen, und der deshalb von der burs
gerlichen Karikatur fast nur als Argernis erregender Vielredner behandelt
wurde. „Musik wird storend oft empfunden, dieweil sie mit Gerausch
verbunden" sagt Busch; so geht es auch mit den schonsten und in ihren
schliefilichen Resultaten sehr fruchtbaren Revolutionen, sie werden in alien
Stadien als storend empfunden, weil sie leider in den meisten Fallen mit
sehr viel Gerausch verbunden sind.
Weil die burgerlichen Parteien mit Rucksicht auf ihre kleinburgerlichen
Wahler die Juden zumeist aus ihren parlamentarischen Vertretungen fern*
252
halten, wahrend die Sozialdemokras
tie diese Konzessionen nie machte,
so treten die in der Sozialdemokratie
offentlich tatigen Juden ganz von
selbst in der Politik am starksten in
den Vordergrund. Es erweckt den
durchaus falschen Anschein, als stuns
den die Juden in ganz besonders
grofier Zahl auf der Seite der Sozials
demokratie, wahrend nicht nur in
England, Frankreich, Osterreich, sons
dern auch in Deutschland das Gegens
teil der Fall ist. Andererseits wieder
wurde dadurch der schon von Heine
so prachtvoll karikierte Vorwurf bes
festigt: ,,Auslander, Fremde sind's
zumeist — Die unter uns gesat den
Geist — Der Rebellion". Und so
wurden denn auch von der nicht
sozialdemokratischen Karikatur die
Juden gemeinhin als die Verfuhrer
der Arbeiter hingestellt. Wenn man
der antisemitischen Karikatur der verschiedenen Lander glauben sollte,
waren alle revolutionaren Arbeiterparteien der Welt und ihre Politik nur
das Werk der off en oder heimlich drahtziehenden Juden. Die an sich harms
losen Massen waren in Wahrheit nur die arglos Verfuhrten (Bild 295).
Eine deutliche Probe aus diesem ewiggleichen karikaturistischen Konzert,
das den Juden als den allein Schuldigen an jeder Art Rebellion gegen die
doch so brave Obrigkeit, als den Anstifter aller blutigen Revolutionstaten
der Welt enthullt, ist das Bild „Das unterirdische Rufiland" aus dem Wiener
Kikeriki. Der Jude grabt die Minen, der Jude fiillt die Bomben, der Jude
fanatisiert die Gemuter, der Jude bestimmt den, der das beschlossene Attens
tat auszufuhren hat usw. (Bild 202). Er selbst aber, der alles dies nur aus
purem Egoismus tut, riskiert fur seine Person niemals das Geringste. Ers
freulicherweise — man kann auch sagen leider — sind die weltgeschichts
Judisches Theater: Er red mit de Hand
259. R. GroCmann
253
lichen Tendenzen, unter deren taglichen Schlagen gerade gegenwartig die
ganze .Welt heftiger als je erzittert, etwas tiefer verankert als im selbsts
suchtigen Interesse einiger hundert, oder auch einiger tausend mifigunstiger
Juden.
DaB die Politik der Juden einzig von deren direkt personlichen Inter*
essen diktiert sei, das ist der oberste, zwar niemals bewiesene, aber frisch*
weg immer von neuem gegen die in der Politik tatigen Juden erhobene
Vorwurf. Der zweite Vorwurf ist der einer skrupellosen {Corruption : dafi
der judische Politiker kauflich sei, dafi er der bezahlte politische Agent
judischer Finanzgruppen sei, dafi er seine Wahl nur dem Wohlwollen ge*
wisser judischer Gruppen verdanke, und dafi er dieses Wohlwollen durch
eine Politik in deren Interesse abverdienen musse, usw. GewiB gab es
solche Falle mehrfach in der internationalen Geschichte des Parlamentariss
mus. Der Panamaskandal hat eine solche Kloake aufgedeckt, und die Karis
katur hatte hier alles Recht, gegen den judischen Parlamentarier Herz, den
Hauptagenten der Panamisten, die deutlichste Sprache zu reden. Aber mit
ihrer Pointierung auf die Juden als die Alleinschuldigen und ihrer Behaups
tung, dafi mit deren Ausmerzung aus dem Volkskorper alle peinlichen
Begleiterscheinungen des Wirtschaftslebens
verschwanden, hat sie erst an dem Tage
recht, an dem sie erweist, dafi der Kapita*
lismus seine Ernten nur in judische Taschen
leitet, dafi die jahrlichen Millionenubers
schusse der christlichsfrommen und glau*
bensstarken Krupp, Stinnes, Vanderbilt,
Morgan und wie dieseprononcierten Stutzen
der Christenheit alle heifien, vom Himmel
regnen, und nicht der zu Gold gemunzte
SchweiB von Millionen Arbeitern und ebens
so vielen kleinen Steuerzahlern sind.
In der englischen Karikatur bin ich
keinerlei Karikaturen auf den Juden als
Politiker begegnet. Es ist naturlich nicht
ausgeschlossen, dafi trotzdem einige erschies
2«>. Bob. Sara begibt sich zu Bett nen sind, und dafi mir diese entgangen sind.
254
261. J. J. Vrieslander. Frau Salome's Schleiertanz
Immerhin ist es sehr charakteristisch und als eine schon zur Selbstvers
standlichkeit gewordene Anerkennung der absoluten Gleichberechtigung
der Juden zu deuten, dafi in England ein Jude, Benjamin Disraeli, nicht
nur Lordkanzler werden konnte, sondern dafi dieser Mann in den huns
derten von Karikaturen, die von ihm gemachtworden sind, niemals in seiner
Eigenschaft als Jude angegriffen wurde. Auch von dem bald nach der
Emanzipationserklarung der Juden in England ins Oberhaus berufenen
Baron James Rothschild ist mir keine antijudische Karikatur begegnet. Das
Gleiche gilt von Italien, wo seit Jahrzehnten besonders viele Juden hohe
Staatsstellungen bekleiden.
255
„Der Jude in der Politik" ist in der Karikatur einzelner Lander, und
zwar besonders in der Deutschlands und Osterreichs und zeitweise auch
in der Frankreichs, ohne Z\yeifel ein ziemlich umfangreiches Kapitel, aber
es ist gleichzeitig doch ein sehr monotones Kapitel. Diese Monotonie ruhrt
daher, weil in der Politik, in der es sich doch in gewissem MaBe immer
„um der Menschheit groBe Gegenstande" handelt, das Fehlen von prinzis
piellen Gesichtspunkten am meisten auffallt und auf die Dauer auch am
meisten enttauscht. Die Karikatur auf den judischen RoBtauscher braucht
nicht prinzipiell zu sein; wenn man aber gegenuber einem judischen Polis
tiker als Hauptpointe immer nur seine .Judischkeit" in der Physiognomie
und in den Gesten, seine Nase und seine PlattfiiBe als Beweis seiner be«
sonderen Schlechtigkeit demonstriert bekommt, wenn in dieser .Judischs
keit," in der „Fremdrassigkeit," das einzig Prinzipielle der Kritik besteht,
so ist dies eben hochstens fur den Bierbankpolitiker und fur einen ..volki*
schen" Studenten ein ausreichender Beweis. (Bild 217, 230, 265).
Der Jude in der Literatifr und Kunst. Die Literatur des 19. Jahrs
hunderts ist das Gebiet, auf dem Freund und Feind den Juden ihren urns
walzenden EinfluB, und sogar ihren schopferischen EinfluB, seit langem
zugestehen. Dieses freiwillige Zugestandnis hat auf Seiten der den Juden
feindlichen Kreise freilich alles andere als die objektive Gerechtigkeit zur
Basis, die auch dem Feinde das geben will, was dem Feinde gebuhrt. Es
resultiert vielmehr daraus, daB man auf Grund dieses Zugestandnisses in
der Lage zu sein glaubt, einen Teil besonders schwerer Vorwurfe gegen die
Juden zu erheben. Die Antisemiten erklaren namlich die ganze Literatur
und vor allem die ganze Presse als korrumpiert. Diese Korruption aber sei
ausschlieBlich das Werk der Juden, weil Literatur und Presse ganzlich vers
judet seien, wie sie sagen.
Es ist nicht zu bestreiten, daB die Juden seit langem uberall in der
Literatur eine sehr groBe Rolle spielen, und daB sie vor allem in der ganzen
internationalen Presse einen maBgebenden EinfluB ausuben. Der immer
wiederkehrende Versuch, diese Tatsache durch den Nachweis zu wider*
legen, daB neunzig Prozent aller Schriftsteller Christen seien, und daB sogar
mehr als neunzig Prozent aller Zeitungen von Christen geleitet und im Be*
256
Joseph und die Potiphar
Radieiung von Mesek. 1913
(Verlag J. Gurlitt, Berlin)
Bcilage zu Ednard Fuchs, .Dit Jodtn ill det Karikatur"
Albert Langcn, Munchen
sitz von Christen seien , ist eine kindliche Taschenspielerei. Denn diese
Statistik widerlegt absolut nicht das, worum es sich handelt. Es kommt ein*
zig darauf an, in welchem Verhaltnis und in welcher Funktion die Juden an
der relativ kleinen Zahl der grbfien, wirtschaftlich und politisch international
mafigebenden Zeitungen tatig sind. Und im Rahmen dieser Zeitungen
uberwiegen die Juden fraglos; die leitenden Stellungen dieser Zeitungen
sind in den meisten Fallen in den Handen von judischen Schriftstellern.
Es kommt weiter darauf an, dafi die wirklich mafigebenden Wochenschrif ten,
die auf die Selbstandigkeit des Urteils ihres Leiters gestellt sind, sogar fast
ausschliefilich judische Grundungen sind. Zum Beweis nenne ich nur die
angesehensten deutschen Wochenschriften aus der jungsten Vergangenheit
und der Gegenwart: die ehemalige ..Gegenwart" war herausgegeben und
geleitet von Paul Lindau; „Der Morgen" von G. A. Bondy, „Die Zukunft"
wird von Maximilian Harden, „Die Weltbuhne" von Jacobsohn, „Die
Fackel" von Karl Kraus, „Das Tagebuch" von Stefan Grofimann heraus*
gegeben. Welches sind nun diesen Zeitschriften gegenuber die von Christen
geleiteten Organe, die sich dieselbe literarische und politische Bedeutung
anmafien diirfen? Ich kenne keine; niemand kennt sie. Und es kommt
drittens darauf an, dafi die moderne Literatursprache, der moderne Zeitungs*
stil, die ganze Zeitungstechnik ihr ganz spezielles Geprage durch die Juden
bekommen haben. Daf iir lassen
sich ebenfalls unwiderlegliche
Beweise in Hulle und Fiille an*
fuhren. Kein Mensch wird be*
streiten, dafi es die beiden Jus
den Ludwig Borne und Heins
rich Heine gewesen sind, die
fur Deutschland das moderne
Feuilleton und den politischen
Leitartikel eingefuhrt haben,
dafi sich an deren Stil und Techs
nik mehrere Generationen ges
bildet haben. Die grofien inter*
nationalen Telegraphenagentu*
ren , durch die die Zeitungen
Fuchs, Die Juden in der Karikatur
262. Daniel Greiner. Im Privatkontor
33
257
erst ihre aktuelle Note bekamen, Reuter, Havas, Wolff, sind durchwegs
von Juden gegrundet worden, und Juden waren von jeher in den meisten
Fallen die Oberleiter dieser Telegraphenagenturen. Die Zeitungskorrespons
denzen, die sich heute auf alle Rubriken eines Blattes erstrecken, wurden
ebenfalls in den meisten Fallen von Juden zuerst ins Leben gerufen. Die
Annoncenburos — die mit ihrer Macht fast alien Zeitungen das moralische
Ruckgrat zerbrechen und dieses durch das bekanntlich weit stabilere
Ruckgrat einer hohen Rentabilitat ersetzten — sind von den Juden Mosse
und Haasenstein gegrundet worden und heute noch im Besitz der direkten
Erben der Grunder. Der gesamte moderne Zeitungstyp wurde ebenfalls
hauptsachlich von Juden geschaffen. In Deutschland war es vornehmlich
Leopold Sonnemann, der den burgerlichen, Bruno Schonlank, der den
sozialdemokratischen Zeitungstyp schuf. Diese kategorischen Tatsachen
lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man sie ignoriert oder vers
schleiert, sondern man muB ihren inneren Zusammenhangen nachgehen,
um festzustellen, ob sich in
dieser Entwicklung ein Fauls
nisprozefi oder ein notwens
diger und darum logischer
Entwicklungsvorgang dokus
mentiert.
Das letztere ist der Fall,
und dafi es so ist, hat seine
undiskutierbaren historischen
und intellektuellen Grunde.
Es ist eine historische Not*
wendigkeit, dafi die Juden seit
ihrer Emanzipation dauernd
diesen grofien EinfluB auf die
internationale Literatur und
Presse ausuben. Nachdem die
Geldwirtschaft im 19. Jahrs
hundert ihre letzte Fessel ges
Die emporten Baiierinen sprengt hatte, war es das wich*
263. Ungarische Karikatur auf einen Budapestet Thcatcrskandal. . ^-^ 1,1 r> 1 1 O
Bors^m janko. 1897 tigste GeDot der Stunde, daii
258
26*. Berlin W tanzt Duncan Rudolf Wilke. Simplicisrimus 190*
die Presse dieselbe geistige und technische Beweglichkeit erhielt wie die
Geldmachte, zu deren wichtigstem Instrument sie sehr rasch wurde. Und
der Presse diese Beweglichkeit zu verleihen, waren die Juden kraft ihres
Intellektualismus und ihrer spezifischen Beweglichkeit von vornherein an
erster Stelle berufen. Die fatalen Begleiterscheinungen dieser Gesamtent*
wicklung der Presse wurden von der Kurzsichtigkeit, wie immer, so auch
in diesem Fall, dem Instrument der Entwicklung, also den Juden, als per*
sonliche Schuld gebucht.
Die vielen Vorwurfe, die der Antisemitismus gegenuber der Tatigkeit
der Juden in der Presse erhebt, laufen alle in dem einen Hauptvorwurf zus
sammen, dafi der Jude die von ihm geleitete oder bediente Zeitung skrupels
los im Interesse seiner besonderen personlichen, zumeist materiellen Inters
essen und im allgemeinen Interesse des Judentums ausnutze; dafi diesen
personlichen und Gemeinsamkeitsslnteressen alle Rubriken eines Blattes
259
dienstbar seien, angefangen vom
politischen Leitartikel, der nur
die Aufgabe habe, bestimmte
Borsenmanipulationen zu stiit*
zen, bis herab zur Rubrik der
Buchbesprechungen, ind er die
Werke christlicher Autoren sy»
stematisch heruntergerissen und
die Werke. von judischen Glaus
bensgenossen ebenso systema*
tisch gelobt wiirden. Dafi der
Handelsteil der Judenzeitungen
eineeinzige Korruptionsplantage
sei, daf? jeder Handelsredakteur
ein von irgendeiner oder gleich
von mehreren Bankgruppen ge»
kauftes Subjekt sei — ,,denn man
kann schreiben links und man
kann schreiben rechts" — , und
dafi in letzter Instanz vor allem
der Inseratenteil die Stellung der Redaktion im einztlnen bestimme, — das
sind in antisemitischen Kreisen festgewurzelte Glaubenssatze. Weiter wird
die beriichtigte Skandalpresse, die im Interesse des Abonnentenfanges auf
die niedersten Leidenschaf ten der Menge spekuliert, die afto nur vom Skan*
dal und dessen Ausschlachtung lebt, als spezifisch jiidische Erfindung pros
klamiert.
Es kann gar nicht bestritten werden, daf? sehr viele dieser gegen die
Allgemeinheit der Presse erhobenen Vorwiirfe im einzelnen absolut zu<
treffend sind, dafi hundert Mai die Politik in den Dienst der Borse gestellt
wurde und wird, daft es zahlreiche auf irgendeine Art bestochene Han*
delsredakteure gibt, dafi im redaktionellen Teil keinerlei unbequeme Be*
sprechungen solcher Unternehmungen aufgenommen werden, die dem
Inseratenteil 2u verdienen geben. Auch die Methoden der Skandalpresse
sind eine taglich hundertfach zu konstatierende intern ationale Tatsache.
Diese Binsenwahrheiten zu bestreiten, ware mehr als lacherlich. Es ist zu»
Dr. Aretidi: Ob Lfcbert hat 'ne Ahnung, dafl ich ge»
wesen bin mal a Fremdkorperl?
Der Fraklionsbruder
26S. Karikatur aof den gebuFteJi fcanstrvativen, Reichst-ifisabtfeordoetCD
Dr. Aroint. UJk, Berlin. 1915
260
treffend, daB die Presse immer ein ungeheurer Korruptionsherd gewesen
und es bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Hochstens die Formen
haben sich in neuerer Zeit gewandelt, indem die Kauf lichkeit nicht mehr
so handgreiflich plump betatigt wird, wie friiher, wo sie jedermann mit
Handen greifen konnte. Nicht zutreffend aber ist, dass es sich in diesen
Korruptionserscheinungen urn einen vermeidlichen, einzig auf die laxe
Moral der Juden zuriickzufiihrenden Schonheitsfehler des Zeitungswesens
handelt, und dass mit der radikalen Austreibung der Juden aus der
Presse auch alle diese Mangel radikal aus den Zeitungen verschwinden
wiirden. Diese „Schonheitsf ehler" sind die unvermeidlichen Begleiterschei;
nungen des Umstandes, daB die Presse ein Geschaft wie jedes andere ist.
Mit dem einen Unterschied, daB sie unter der Flagge „des Dienstes fur die
Allgemeinheit, das offentliche Gewissen" und wie diese Spiegelfechtereien
sonst noch tauten, segelt. Aber diese Flagge sollte heute nur noch die
groBten Dummkopfe tauschen. Weil die Herausgabe einer Zeitung in
erster Linie ein Geschaft ist, gerade darum sind die von den Antisemiten
nur der Judenpresse zugeschriebenen MiBstande von jeher Allgemein«
erscheinungen. Statt eines langen Beweisregisters genugt die einfache Kon*
statierung, daB die meisten der geriigten Laster — in der entsprechenden
366. PoIais«bt Karikjrtur (FUkdte) tut den aaffeblicbea Kjubcnmotd voo Kbchiociu
261
III. - L'ANMVEllSJUiUi
£U LiCCLU
267- Alphonse Levy. Am Jahrestag
Form natiirlich — keine einzige Zeis
tungskategorie so sehr zieren wie die
antisemitische Presse. Man erinnere
sich der Zeitungsgeschichte der letzs
ten Jahre vor Ausbruch des Welts
krieges, und man kontrolliere das
Strafienbild von heute, wo" z. B. in
Deutschland die antisemitische Skans
dalpresse unbedingt jeden Rekord
schlagt. Das ist eine ebenso heitere
wie bittere, aber ebenfalls unvermeids
liche Ironie ; denn die antisemitische
Presse ist infolge der inneren Uns
wahrhaftigkeit ihres Programms zu
den der Presse eigentiimlichen Kors
ruptionslastern geradezu verdammt,
— weil sie eben auch ein Geschaft ist.
Daraus aber folgt, dafi die Korruption
der Presse erst an dem Tag verschwinden kann und wird, wo die Presse
aufhoren wird, ein Geschaft zu sein, dessen Aufgabe es ist, mindestens
ebenso hohe Profite abzuwerfen wie die Fabrikation von Unterhosen oder
die Haltung eines Bordells.
Die gegen die angeblich besondere Korruption der sogenannten Judens
presse erhobenen Vorwurfe haben sich mannigfach auch zu Karikaturen
verdichtet. Jedoch nichtin der Haufigkeit, die der Zahl und der Heftigkeit
dieser Vorwurfe entsprechen wurde. Und zwar deshalb nicht, weil die
gegen ganz bestimmte Personen gedachten Angriffe immer sehr schwer zu
substanziieren sind. In allgemeiner Form lassen sie sich aber nur sehr schwer
formulieren und hochstens symbolisch ausdrucken. Solche symbolische
Karikaturen auf die Korruption der Judenpresse sind z. B. die beiden ame>
rikanischen Karikaturen aus dem „Life" auf die judische Skandalpresse und
auf das dem neuen (dem judischen) Journalismus zugedachte Schicksal
(Bild 273 und 275); ebenso die schon personlich zugespitzte Karikatur des
Wiener „Kikeriki" auf den Kunstkritiker der „Neuen Freien Presse", die
neben der ,, Frankfurter Zeitung" und dem ..Berliner Tageblatt" als das aus*
262
Lfc JUV AV U1U
268. Alphonsr Levy.
Der Jude mit dem Kugelhupf
gesprochenste Judenblatt der Welt
gilt. Solche symbolische Karikatu*
ren sind aber niemals besonders zug*
kraftig. Das Publikum verlangt
handgreif lichere Annagelungen. Die*
se aber werden hier noch mehr als
wo anders durch die Fangeisen der
Strafgesetzbiicher gehindert (Bild
205).
In Frankreich ist anlaftlich der
Panamaaffare und des Dreyfusskan*
dais eine besonders grofte Zahl von
Karikaturen auf die verjudete Presse
erschienen. Beim Panamaskandal
standen zahlreiche Pressebestechun*
gen tatsachlich fest, aber on avait
touche — namlich die beriichtigten
Schecks des Oberpanamisten — inner*
halb und aufterhalb Israels. Beim Dreyfusprozeft wurde der Einfachheit
halber die ganze Dreyfusistische Presse als judisch gestempelt und dem*
entsprechend von den Dreyfusgegnern karikiert. Caran d'Ache zeichnete
sie als ein im tiefen Kot stehendes und iiber und iiber mit Kot bekleckertes
Schwein, das sich davon jedoch nicht im geringsten anfechten lafit, sondern
stolz erklart „Nul ne m'approche!"
In Italien und in England begegnete ich keinen Karikaturen auf die
verjudete Presse; diese miissen also, wenn sie wirklich vorkommen, sehr
gering an Zahl sein.
Als ein ganz besonderes Kapitel in der Verjudung der Presse gait lange
Zeit die Theaterkritik, und innerhalb dieser „der Fall Wagner", der die
jiidische Allmacht in der Zeitungskritik besonders klassisch und drastisch
belegen sollte. Der speziellen Feindschaft, mit der die Judenpresse Richard
Wagner angeblich systematisch verfolgte, soil es in erster Linie zuzuschrei*
ben ge wesen sein , daft Wagner sehr lange um den Weg auf die Biihne zu
kampfen hatte, und daft er beim Publikum ebenfalls jahrzehntelang unver*
standen blieb, — das behauptete Wagner selbst, und das behaupteten die
263
%^V\ertes jiidiscljes WrtTfi
269. Titelkopf des jijdischec WitzbJattes Schlemiel
unter seinen Verehrern, die mit
ihm durch Dick und Dunn
gingen. Weiter sagten sie, erst
durch die elementare Gewalt
von Tristan und Isolde sei die
mifigunstige judische Theaters
kritik zum Schweigen gekoms
men. Wagner habe sie auf diese
Weise gezahmt. Und so illus
strierte es auch die zu Wagner
haltende antisemitische Presse
(Bild 177). Heute, und zwar schon seit etlichen Jahrzehnten, liegen die
Dinge bekanntlich gerade umgekehrt. Der Antisemit Richard Wagner hat
keine fanatischeren Verehrer als die Juden. Und auch dieses illustriert die
Karikatur. In diesem Fall durch eine der besten Judenkarikaturen, die
es uberhaupt gibt, durch das wundervolle Blatt von Beardsley: „Wags
nerianer und Wagnerianerinnen in Tristan und Isolde" (Bild 256). Die
lange Ablehnung Wagners und sein schliefilicher Triumph hatten in Wahrs
heit wesentlich andere Griinde, und zwar gesellschaftspsycholpgische;
sie beruhten tatsachlich auf dem resignierenden Grundton seiner Welts
anschauung. Wagner blieb so lange beim deutschen Burgertum unpopular,
wie dieses politisch noch nicht ganzlich auf seine Kampferrolle verzichtet
hatte. Dagegen wurde er im gleichen Mafie popular, in dem das zahlungss
fahige Publikum als politischer Faktor auf dem Welttheater kapituliert
hatte. Es liegt hier derselbe Fall vor wie bei Schopenhauer, dessen
Philosophic das deutsche Burgertum ebenfalls so lange kategorisch abs
lehnte, wie es noch eine Spur von politischem Herrschaftswillen in den
Knochen hatte, dem es aber sofort begeistert in die Arme sank, als bei
ihm das Prinzip gesiegt hatte: Das Geschaft iiber alles. Auf Grund dieser
wirklichen Zusammenhange wird also z. B. ein Richard Wagner niemals
bei den breiten Volksmassen popular werden; denn die Massen resignieren
niemals im Hinblick auf ihren Herrschaftswillen, sie werden hochstens
vorubergehend miide.
264
In der Kunst ist das Theater der Kunstbetrieb, bei dem die Antis
semiten den Juden ebenfalls den groBten und schadlichsten EinfluB zu«
schreiben. Die Rolle der Juden im Theaterbetrieb ist zweifellos auf der
ganzen Welt auBerordentlich groB. Der uberwiegende Teil der groB*
stadtischen Theater wird seit langem von Juden geleitet. In Deutschland
waren bis zum Weltkrieg fast nur die Intendantenposten der Hofbuhnen
prinzipiell judenrein; seit der Revolution werden auch manche dieser Buhs
nen von Juden geleitet. Die hauptsachlichsten Vorwurfe, die angesichts
dieser Verjudung des Theaters von den Antisemiten in Wort und Bild er*
hoben werden, sind, daB der judische Intendant das Repertoire vornehms
lich auf den Sinnenkitzel und auf die Sensation einstelle, und daB der judis
sche Direktor seine Machtstellung gegenuber dem weiblichen Personal mehr
als jeder andere Direktor zur Befriedigung seiner individuellen Lusternheit
(im antisemitischen Abe ist jeder
judische Theaterdirektor beson*
ders lustern) miBbrauche. Die
antijudische Karikatur bewegt
sich, soweit sie sich mit diesem
Thema beschaftigt, ausschlieB*
lich in diesen beiden Richtungen.
Der Direktor unterbricht die
Anstellung suchende Sangerin,
die ihm etwas vorsingen will,
mit den Worten: ,,Ach, mein
liebes Kind, beim Publikum
kommt es viel mehr auf die
Strumpfbander als auf die
Stimmbander an, diese miissen
Siemirzeigen"; oder: ..DieFulle
des Inhalts Ihres Korsetts er*
scheint dem Publikum viel wich*
tiger als die Eulle Ihrer Stimme."
Der Engagementskontrakt einer
Dame wird nur im Privatzim*
mer des Herrn Direktors und
Fuchs, Die Juden in der Karikatur 34
Enlwurf fur das geplante Plendelssohn-Denkmal.
270. Aus dem jiidischen Witzblatt Schlemiel
265
auf dessen — Chaiselongue unterzeichnet. Dort erwerben sich die weibs
lichen Theatermitglieder auch einzig das Recht auf dankbare Partien. Das
Ballett ist der Harem des Herrn Direktors usw. Das sind so ungefahr die
Themen, mit denen karikaturistisch die Verjudung des Theaters bewiesen
werden soil'. Es ware auch in diesem Fall absurd, behaupten zu wollen,
solche MiBbrauche kamen auf dem Theater nicht vor. Sie kommen vor.
GewiB heute weniger als friiher, wo derartigeTheaterskandale, wenn nicht
die Gerichte, so doch die Mauler der Leute ziemlich haufig beschaftigten
(Bild 263). Heute hat die uberall vorhandene Organisation der Buhnens
mitglieder der Liebesknechtschaft des weiblichen Theaterpersonals einen
starken Riegel vorgeschoben. Immerhin : solche Dinge kommen heute noch
vor, nur ermangeln peinlicherweise auch die christlichen Theatergewaltigen
gar manchmal jener sittlichen Kraft, deren man bedarf, um den besonders
starken Verfuhrungen ihres Berufes siegreich zu widerstehen. Auch sie
leiden unter dem Kitzel des Fleisches. Es gibt, wie die Statistik langst nach*
gewiesen hat (vgl. H. Lux: Die
Juden als Verbrecher) viel mehr
Berufs* als Konfessionssunden.
Der Mifibrauch knupft sich stets
an die Tatsache der Allmacht,
und nicht an die der Konfession.
Wenn deshalb z. B. in der In*
dustrie die Mifibrauche der
christlichen Chefs und der
christlichen Vorarbeiter gegen*
iiber dem weiblichen Personal
unendlich . viel haufiger vor*
kommen als solche der judi*
schen Chefs und der judischen
Vorarbeiter, so resultiert dies
aus dem wirklich einfachen
Grunde, dafi ihre Zahl unends
lich viel grofier ist als die der
Juden, und nicht etwa daraus,
27i. Rahd saw. Die Agentin dafi sie in diesem Falle die
266
272. Rihel Sulit. Die Ameiikafahrcr: Die Sonne geht im Wcsten auf
schlechteren, die Juden aber die besseren Kerle waren. Das Gleiche gilt
umgekehrt vom Theater. —
Die produzierenden wie die reproduzierenden Kiinstler haben immer
in dem Matte, in dem sie das offentliche Interesse auf sich lenkten, auch
ihren Spiegel in der Karikatur gefunden. Am haufigsten gilt dies von den
Komponisten, Theaterdichtern , Schauspielern, Sangern usw., weil sich das
Publikum fur alles, was mit dem Theater zusammenhangt, zu alien Zeiten
am meisten interessiert hat. Darum begegnet man auch den karikierten Por*
trats der die Offentlichkeit besonders interessierenden jiidischen Kiinstler
besonders oft. An hervorragender Stelle stehen deshalb die jiidischen Kom*
ponisten Meyerbeer, Offenbach und Halevy . Die Werke dieser drei haben die
gesamte Offentlichkeit aller europaischen Lander jahrelang stark interessiert.
Unter den vielen Karikaturen, die von Meyerbeer und Offenbach gemacht
wurden, sind begreiflicherweise auch verschiedene, die an deren jiidische
Abstammung ankniipften und diese zur Pointe ihrer Karikatur machten.
34'
267
Ein Beispiel fur Meyerbeer zeigt die Karikatur, die der bekannte franzosii
sche Karikaturist Dantan von ihm gemacht hat (Bild 108). Als Offenbachs
„ Orpheus in der Unterwelt" ganz Paris enthusiasmierte, brachte das .Jour*
nal amusant" eine Karikatur: Offenbach aux Enfers, die das Judische in
seinem Portrat zwar sehr markierte, die aber dessenungeachtet eine direkte
Huldigung fur" ihn ist (Bild 173). Von allem anderen als von Sympathie
eingegeben ist dagegen die Karikatur, die der Leipziger „Puck" von Offens
bach brachte, als dessen Operetten in den 70er Jahren wiederholt iiber die
Buhne des FriedrichsWilhelmstadtischen Theaters gingen. Der „Puck" nennt
ihn den ..semitischsmusikalischsakrobatischen Gorilla" und stellt ihn auch
als solchen dar (Bild 174). Bei dem ausgesprochen antisemitischen Chas
rakter dieses Blattes ist eine solche Auffassung ganz selbstverstandlich.
Das grofie Genie Offenbachs, dem die Menschheit einen Teil der kostlich*
sten musikalischen Besitztumer verdankt, ist freilich durch eine solche
simple Karikatur nicht im geringsten charakterisiert.
Von den zahlreichen judischen Schauspielern und Schauspielerinnen
gibt es relativ wenige Karikaturen, die an deren Judentum anknupfen, und
zwar aus dem einfachen Grunde, weil die meisten judischen Theaterkunstler
sich einen Theaternamen beilegen, der ihre judische Abstammung nach
aufien verschleiert. Man begegnet auf keinem einzigen Theaterzettel einem
Isak Veigelblut oder einer Sarah Mandelbaum, und doch tragen beruhmte
Kunstler solche und ahnliche Namen. —
Der Jude in der Karikatur des Weltkriegs. Besonders zu erwah*
nen ist auch die Rolle, die die Juden wahrend des Weltkriegs in der Kari*
katur der verschiedenen Lander gespielt haben. Diese Rolle muB besonders
erwahnt werden, nicht etwa wegen ihrer hervorragenden Bedeutung, denn
die hat sie keineswegs gehabt, sondern einzig deshalb, weil die ungeheure
Bedeutung des Weltkrieges dazu zwingt, die samtlichen chronischen Fragen
derWeltgeschichte, und dazu gehort eben die Judenfrage, auch in der Rolle
aufzuzeigen, die sie wahrend des Weltkrieges gespielt haben.
Die Juden in der Karikatur des Weltkrieges nehmen ein uberaus kleines
Kapitel ein. So grofi das Kapitel des Weltkrieges in der Karikatur ist, so
bescheiden ist darin der Abschnitt, der auf die Juden entfallt. Das ist aber
268
gar nicht verwunderlich , und die Ursache ist in jedem Lande gleich. In
jedem Lande wurde bei Ausbruch des Krieges dasselbe proklamiert, was
die deutsche Kriegsphraseologie den Burgfrieden nannte; in Frankreich
hiefi es: L'union sacree. Das ganzliche Aufhoren jeder innerpolitischen
Diskussion wurde von jedem Staat als die unerlafiliche Voraussetzung er*
kannt, um die gesamten Massen zusammen zu schweifien und auf die Dauer
durch Vermeidung der groftten Reibungen zusammenhalten zu konnen.
Weil Klassenkampfe jeder Art wahrend des Weltkriegs schwiegen, so
schwieg auch ihre tragikomischste Form : die Judenbekampf ung in Wort
und Bild. Von Deutschland kann man sagen: sie schwieg fast vollstan*
dig; denn selbst die unpolitischen Witzblatter, wie z. B. die Fliegenden
Blatter, wurden in dieser Zeit derart feinfuhlig gegeniiber ihren jiidischen
Mitbiirgern, daft sie sogar die harmlosen Judenwitze auf den kouponschnei*
denden Kommerzienrat und ahnliche Inventarstiicke des Alltagshumors
fiir spatere Zeiten auf Lager legten. Man wurde iiber Nacht gerecht, weil
man doch ein Herz und eine Seele war. Ein Volk in Not und Gefahr. Als
man freilich im Friihjahr 1918 die Friedensverhandlungen von Brest* Litowsk
karikierte, da erinnerte man sich sofort seiner wahren Neigungen. Der Witz
des Kladderadatsch z. B. erschopft sich in der Darstellung des russischen
UnterhandlersTrotzki als eines jiidischen
Schacherjuden, der verachtlich alle An*
gebote ablehnt, solange man ihm angeb*
lich gut zuredet, der aber sofort und
klaglich kapituliert, als ihndie Herren
Hindenburg und LudendorfF an den
Ohren nehmen (Bild 284 u. 285). Wenn
man neben dieses Bild die vier ersten
Zeilen set'zt, mit denen der fiirchterliche
Hausbarde des Kladderadatsch, Herr
Warnke, sein Leitgedicht in derselben
Nummer anhebt, dann hat man schon in
diesen beiden.Dokumenten einen Schliis*
sel fiir Deutschlands Niederbruch, denn
sie verraten die ganze trostlose politische
Borniertheit des deutschen Burgers gegen*
Die jeljetme
&
(if dliiftflfpdji! tet f ita. I
— I
Sin gonb- nub gilfsbndj fit silt, wtiist mit 3nbtn §
in Srfdtnflenttbinlinng 8tb>n nno ort l|( btoifnjtn Snronjr
(Iter fog. P^nThtfprmfjr) nnhnntig-fin).
SRit cinem (c|r ctjii^Ii^cn Mjnng:
gtttn- unb Soilttb oufn 8nobIi<$, t bitt[tiinnrigt J Ittjttt,
it Ongc ouf be (BiUjac nit bcc SSigdinc berlici.
Stalin: Scr Uj nnb btS Sctlinec SiclbobcoZbiilcc.
Sum 6djfu6 : $octi[4c Sclcodjlins bet Mntur.
274. Umschlag eines aDtisemitischen Pamphlets
270
LIFE-
mm
„ ,: r}
U.
Angenehme Fahrt!
275. Amecikanische Karikatur von F. T. Richards auf den jiidischen Journal ism us. Life. New York
iiber dieser so klaren Situation. Diese vier ersten Zeilen lauten: „Du stehst
im Morgenglanze, Geliebtes deutsches Vaterland, Und mit dem Siegers
kranze, Kront segnend dich des Friedens Hand." So witzelte und so bras
marbasierte der deutsche „Intellektualismus" in den Stunden, in denen er
die eigenen Fiihrer hatte bei den Ohrennehmen miissen, wenn er nur einen
Schimmer politischen Verstandes — und aufierdem die notige Zivilcourage!
— gehabt hatte; dann hatte er — vielleicht — noch das letzte Unheil vers
mieden.
In Osterreich bietet sich aufierlich dasselbe Bild. Aber gerade Osiers
reich erweist, dafi der Burgfrieden durchaus einseitig war, da6 er in
Wahrheit nur die Kapitulation der Unterdruckten , deren einseitiger Vers
zicht auf die Wahrung ihrer Menschenr^chte bedeutete. Wahrend in der
Presse ein schoner Gottesfriede waltete, wurden an der Front die kleinen
galizischen Judchen dutzendweise gehenkt. Wann und wo etwas nicht
klappte, stets waren die armen galizischen Juden schuld, deren Dorfer in
der Nahe der Front lagen; bald war es einer, bald waren es mehrere, und
schon baumelten ebenso viele an den nachsten Telegraphenstangen.
271
In dieser Weise wurde auch auf der anderen Seite, hinter der russischen
Front, der Burgfrieden in die Praxis ubersetzt. Nur dafi man hier noch
skrupelloser verfuhr, indem die Kosaken gleich ganze Judendorfer bis auf
den letzten Einwohner folterten und massakrierten, nachdem sie vorher nicht
versaumt hatten, alles was weiblich war, zu schanden. Solche Progroms
stimmungen wurden selbstverstandlich nicht erst durch die Presse, also
etwa auch durch Karikaturen, vorbereitet. Denn diese drang nicht bis an
die Front. Den Kosaken genugte zur Auslosung ihrer Plunderungss, Schans
dungs* und Mordlust das vage Gerucht: die Juden taten Spionagedienste.
Und ein solches Gerucht lag immer in der Luft, weil es den bequemsten
Ausweg aus jeder Situation sicherte. Aber im Innern Rufilands sollen aufiers
dem mehrfach Judenkarikaturen erschienen sein, in denen die Juden teils
als offene, teils als heimliche Bundesgenossen der Zentralmachte, und darum
auch als Spione in deren Diensten, gekennzeichnet wurden. Solche Karis
katuren sollen in Petersburg und mehrfach in Odessa erschienen sein. Auf«
finden konnte ich leider kein solches Blatt.
Weder aus England noch aus Italien wurden mir Judenkarikaturen bes
kannt, die mit dem Weltkrieg im Zusammenh'ang standen. Dagegen wurden
in Frankreich Leute, die sich als Pazifisten bekannten, und solche, die man
als Defaitisten bezeichnete, und die in Frankreich besonders rucksichtss
los verfolgt wurden, schon vom Jahre 1915 an vielfach als Juden karikiert.
Man erklarte, der Pazifismus und der Defaitismus seien ausschliefilich eine
judische Mache. Und wenn man diese Tendenzen karikierte, so verlieh
man den betreffenden Reprasentanten stets judische Typen. Solche Karis
katuren brachte z. B. „La Victoire", das Blatt des sozialistischen Rene*
gaten Herve (Bild 283). Auch die Druckeberger, die es verstanden, sich
standig reklamieren zu lassen, wurden mit Vorliebe als Juden karikiert. Von
diesen Typen abgesehen, haben die Juden in der franzosischen Karikatur
des Weltkrieges ebenfalls eine sehr geringe Rolle gespielt.
Der belgische Karikaturist J. Doumergue, der ebenso fruchtbar wie
mafilos gehassig war — von seiner Hand stammten wohl die wutendsten und
gemeinsten Verlasterungen der Boches — hat in einigen Karikaturen auch
die Juden im Weltkrieg karikiert. Naturlich waren die Juden entweder
Feiglinge oder Verrater, aufierdem waren sie aber besonders gerissen. Das
originellste Blatt, mit dem er eine von seinen verschiedenen Karikaturserien
272
V
nninEiaffl'b
umm mm, txmm nmx
J&18.
C.-HeTep6yprt, CyOGoTa, 3-ro <PeBpann 1907 ro^a.
ft 18.
- Hy H (I0AABABTE BAllTb rOJJOCb 3A KAAETYOUL
Titelseite einer Nummer des russischen antisemitischen Wochenblattes ..Pluvium". 1907
Beilage zu Eduard Fuchs, »Die Juden in der Karikatur"
Albert Langen, Muncben
abschloB, zeigt einen deutschen und einen judischen Soldaten, die sich gegen*
seitig die Fahne ihres Regiments zureichen. Der franzosische judische Poilu
sagt zu dem deutschen Glaubensgenossen: „Komm, laB uns ein Tauschge*
schaft machen, du gibst mir deine Fahne, und ich gebe dir die meinige, und
wir melden dann beide, wir hatten sie erobert."
Die amer ikanische Karikatur brachte wahrend des Weltkrieges ebenfalls
nur hin und wieder Karikaturen auf die Juden, denn diese verschwinden
fast ganzlich unter der ungeheuer grofien Masse von anderen Karikaturen,
mit denen die amerikanische Presse ihr Land uberschwemmte. Als Beispiele
gebe ich hier zwei Blatter. Das eine zeigt uns das von den Juden in
Fesseln geschlagene Albion (Bild 281), die es hindern, seine Kraft zu ents
falten. Das andere richtet sich nicht gegen die Juden, sondern verhohnt
den bekannten zaristischen Aufruf: „An meine lieben Juden". Weil man
in RuBland nach den groBen Aderlassen der ostlichen Niederlagen Freis
willige braucht, streckt der Judenhenker RuBland seine vom Blut der Judens
progrome triefende Hand den an beiden Armen gefesselten Juden entgegen.
(Bild 282.) Beide Karikaturen stammen aus der Zeit, bevor Amerika selbst
am Kriege beteiligt war.
Das antisemitische Plakat. Die bezeichnendsten Dokumente des
die Lander der Besiegten seit den Novembertagen des Jahres 1918 iiber*
flutenden Antisemitismus sind nicht die weiter oben beschriebenen antises
mitischen Witzblatter, sondern
viel mehr die antisemitischen
Plakate, denen man seit dieser
Zeit in Deutschland, Osterreich,
Ungarn und Polen immer wies
der an den Mauern der meisten
Stadte und Dorfer begegnet.
Diese Plakate bilden sozusagen
den Gipfel der modernen antis
semitischen Karikatur. Es ist
ein Gipfel, dessen Perspektiven
und dessen Aufschlusse fur die
Fuch$> Die Judea in der Karikatur 35
273
Die Borse
276. Russische Karikatur von SokoEowski
geistige Verfassung weiter Massen
nicht erhst genug genommen wer*
den kann.
Das satirisch illustrierte antisemitische Plakat
ist nicht erst eine Errungenschaff der Nachkriegs*
zeit. Man begegnete ihm hin und wieder schon
bei friiheren Gelegenheiten, vor allem bei friiheren .
Wahlkampf en. Die osterreichische christlichssoziale
Partei hat bei verschiedenen Kommunals und Reichs*
ratswahlen mit satirischen Wahlplakaten gearbeitet;
genau so, wie sie sich bei ihren Wahlkampagnen'
satirischer Wahlflugblatter bediente (Bild 297).
Auch in den franzosischen Wahlkampfen ist das
satirisch betonte antisemitische Wahlplakat hin und
wieder aufgetaucht. Als bezeichnendes und bestes
Beispiel nenne ich das effektvolle Plakat von Adolf
Willette aus dem Jahre 1889, auf dem dieser sich
selbst als antisemitischer Kandidat den Wahlern des
Montmartre vorstellt und fiir seine Wahl zur De=
putiertenkammer in effektvoller Weise eigenhandig
Propaganda macht. Ich gebe diese Originallithos
graphie Willettes, die zu den interessantesten Er=
zeugnissen der moderneh Plakatkunst gehort und
heute als iiberaus selten gelten kann, neben S. 216
als doppelte Beilage.
Wenn man jedoch unsere Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht, so ergeben sich verschiedene*
bezeichnende Unterschiede. Der erste ist: Was friiher immcr nur ein Einzelfall gewesen ist, das steht
heute formlich auf der Tagesordnung, und dabei in einem Umfang, wie ihn friihere Zeiten niemals auch
nur annahernd gekannt haben Bei den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung im Jahre 1919, und
bei den Wahlen in Osterreich im Jahre 1920 waren in alien Stadten Deutschlands und Osterreichs die
Mauern mit zum Teil iiberaus wirkungsvollen antisemitischen Wahlplakaten iibersat, bei denen der sati=
rische Charakter durchaus im Vordergrund stand. Ich gebe hier einige charakteristische Beispiele und
verweise besonders auf das Hakenkreuzplakat, das als Text nur das Wort „Deutschland" tragt. Die ziem=
lich albern in die Welt schau'ende Maid, durch die auf diesem Plakat das germanische Deutschland ver=
korpert sein soil, diirfte anspruchsvolleren Gemiitern freilich ebensowenig ifnponieren, wie die da«
nebenstehende hafiliche Judenfratze (Bild 302). Weiter verweise ich aut das in Rjesenformat erschienene
osterreichische Wahlplakat ,,Rettet Osterreich!", auf dem in effektvoller Weise dargestellt ist, wie der
osterreichische Adler durch die Umschniirung der jiidischen Schlange erdrosselt wird (S. Beilage neben
S, 296) — dafi das Ultimatum an Serbien von den Wiener Juden erlassen worden ist, diirften aufier den
Antisemiten freilich nur wenig Leute ernsthaf t glauben. Fiir die osterreichischen Verhaltnisse ist es be*
sonders bezeichnend, dafi dort auch die sozialdemokratische Partei, die sich doch iiberall als den eners
gischsten Gegner des Antisemitismus ausgibt, auf die antisemitischen Instinkte, der Massen spekuliert.
Gewifi ist es der Kapitalismus, den sie auf diese Weise darstellt. Aber indem sie diesen durch einen jiidi«
schen Bankier charakterisiert, begeht sie, vom sozialdemokratischen Standpunkt aus, eine feige Speku«
lation (richtiger: feige Kapitulation vor niederen Instinkten der politisch unklaren Massen). -Denn die
sozialistische Lehre erklart den Kapitalismus in seinen Wirkungen als vom individuellen Trager . durch=
aus unabhangig {vergl. auch Bild 2S6).
So schr bezeichnend die satirischen antisemitischen Wahlplakate sowohl durch ihre grofSe Zahl als
auch durch ihre mafilose Hef tigkeit sind, so ist es doch noch ungleich beachtenswerter, dafi sich der AntU
Einer, der auch ohne eine Duma seinen
Vorteil findet
277. Russischc Karikatur. Piuvium 1907
274
semitismus unserer Tage — und das ist der zweite Punkt,
durch den sich die Gegen wart von friiheren Zeiten mar*
kant unterscheidet — des satirischen Plakates nicht nur in
den aufgeregten Zeiten der Wahlen bedient, sondern daB
er uns auch zur Empfehlung von antisemitischen Romas
nen und antisemitischen Theaterstiicken von den Wanden
entgegenschreit. Beispiele dieser Art, und zwar in beiden
Fallen sehr gute Beispiele, sind das Plakat, auf dem fur
den Roman „Die Siinde wider das Blut" Propaganda
gemacht wird (Bild 303) und die beiden ausgezeichneten
Theaterplakate von Julius Klingcr fur das Lustspiel
„Meyers" im Theater am Zoo (Bild 305 und 306). Als
pikanten Umstand mochte ich hier einschalten, daB das
eine Plakat, das den grofien grotesken Judentyp aufzeigt,
der Theaterdirektion im letzten Augenblick zu gewagt er=.
schien, so daB sie es vor dem Ankleben zuruckzog und
Klingcr mit der Anfertigung eines zweiten. von weniger
antiiudischsaggressivem Charakter beauftragte. Das Re*
sultat war Bild 305, das sie denn auch fur ihre Reklame*
zwecke verwendete. Solche offenen Demonstrationen des
Antisemitismus in literarischen und kiinstlerischen Ange*
legenheiten kannten friihere Zeiten -niemals. DaB sie
heute immer und immer wieder unternommen werden,
erhebt sie, wie gesagt, zu so bedeutsamen Beweisen fin-
die geistige Verfassung der Massenpsyche.
Fiir den Antibolschewismus, unter dessen Flagge es
die monarchische Gegenrevolution in den verschiedenen
Landern in ebenso raffinierter wie skrupelloser Weise er=
reicht hat, daB die Revolution nirgends zu ihren logischen
Zielen gelangt ist, war es eine mit Freuden begriifite Tat*
sache, daB in den Reihen der russischen, polnischen, uns
garischen und deutschen Bolschewiks eine Anzahl Juden
an leitenden Stellen standen und stehen — in RuBland
Trotzki und Radek, in Deutschland Rosa Luxemburg, in
Ungarn Bela Khun und die Briider Szamuely. Da die Konterrevolution den Antisemitismus zu seinem
wichtigsten Bundesgenossen zahlt, so benutzte sie diesen Umstand, um die letzten antisemitischen Leiden*
schaften durch solche Plakate aufzuputschen, auf denen die Bolschewisten stets als Juden dargestellt sind.
Natiirlich als bestialisch raubende und mordende Juden. Ein polnisches Riesenplakat aus der Zeit des
polnischsrussischen Krieges zeigt Trotzki als roten Judenteufel auf einem Schadelberg, im Hintergrunde
rauchende Stadte. Hinter ihm steht der Tod, der ihm immer neue Scheusaligkeiten zufliistert; und mit
einem Browning und einem blutigen Dolch in den Handen horcht Trotzki gierig auf diese Zufliisterungen
(siehe Beilage neben S. 280). Die polnischen antibolschewistischen Plakate werden noch weit in den
Schatten gestellt durch die Brutrunstigkeit, mit der man in Horthy*Ungarn die antibolschewistische Juden*
hetze betrieb: Der jiidische Bolschewist trieft von Blut, aus den Kellern des Parlamentsgebaudes rinnt
das Blut in groBen Stromen in die Donau (Bild 300); der jiidische Leninbube hat die mit zahlreichen
Tapferkeitsmedaillen geschmiickten ungarischen Bauern reihen weise an Galgen aufkniipfen lassen; der
jiidische Bolschewistenfiihrer hat dem an der Mauer hingesunkenen Kriegsinvaliden das Letzte geraubt
und flieht nun, mit Beute beladen, aus Ungarn (Bild 298), ein anderer jiidischer Bolschewist flieht mit
einem riesigen Geldsack auf dem Riicken aus Ungarn und la'Bt die Arbeiter hilflos stehen, usw. usw.
Die meisten dieser Plakate stammen von dem Zeichner Manno Miltiades. Wenn man an der namenlosen
fl-TOTo, K.Cl""0 HMHTO H£ AK)6HTo
rl BCC ^(tHBylii£t l^_A^H€TZi ....
^-tot-jj.hto Pycb ca?iTyH! rysHra-
H UpoBb HapoAHyw c'occti,!..
Ich bin der Mann, den alle hassen.
Den alle Welt verflucht.
Ich bin der Mann, der das heilige RuBland
zu Grunde richtet,
Ich bin der Mann, der dem Volk das Blut
aussaugt.
.78. Kussische Rarikatur.
Lcrmontoft.
Pluvium. 1906
275
Kulturschmach des ungarischen HorthysRegiments noch den geringsten Zweifel hatte, — durch diese Pla*
kate sind sie behoben. Es mufi hier freilich ausdriicklich gesagt werden, dafi die deutsche Gegenrevolution
das allergeringste Recht hat, sich etwa fur wesentlich besser in ihren Manieren zu dunken: sie hat die
Hausermauern der deutschen Stadte und die Phantasie des deutschen Burgers genau so schamlos besudelt
wie dies HorthysUngarn tat, nur dafi in Deuischland die antisemitische Note etwas gedampfter war.
Anschliefiend mochte ich hier noch bemerken, dafi die meisten dieser Plakate, vor allem die polnU
schen und ungarischen, uberaus schwer zu erlangen sind. Die Horthyregierung z. B. hat "nichts ins Land
hinein und nichts aus dem Land herausgelassen; alles wurde an der Grenze konfisziert. Die Vorlagen
zu meineh Wiedergaben stammen aus der Sammlung des Vorsitzenden des Vereins der deutschen Plakat*
freunde, Dr. Hans Sachs, dem es, vielleicht als Einzigem, mit vieler Miihe gelang, sich diese bezeichs
nenden Dokumente der modernsten Plakatkunst zu verschaffen.
Fiir einen zukiinftigen Kulturgeschichtsschreiber werden speziell diese
Dokumente die wichtigsten und deutlichsten Aufschliisse dariiber geben,
auf welchen Tiefstand der allgemeinen Charakterverrohung die europaische
Kultur der Nachkriegszeit hinabgesunken war. Denn es sind nicht die un«'
gebildeten Arbeitermassen, von denen diese moralischen Scheufilichkeiten
ausgingen, sondern ausschliefilich die Organisatio*
nen derer, die sich riihmen, die Reprasentanten von
..Bildung und Besitz" zu sein. Sie haben in den
Wirren der Nachkriegszeit einen einzigen Tag ihren
materiellen Besitz gefahrdet gesehen, und alsbald
gaben sie ihren gesamten Besitz an „Bildung" preis,
um nur ihr Bankguthaben zu retten oder wieder*
zuerlangen.
Die literarische Satire. Die samtlichen Ge*
sichtspunkte, die ich oben (S. 167 u. fig.) bei der
Wiirdigung der literarischen Satire des 14. bis 18.
Jahrhunderts als bedeutsam fiir die Beurteilung
der graphischen Satire dieser Jahrhunderte ange*
fuhrt habe, gelten auch fiir das 19. Jahrhundert
und fiir die Gegenwart. Es wiirde sich deshalb
S0IUHO<JiyuiaTejib HHaepaiopciaro jMneepcHTeia BV yreep-
WACHHOlt MKHHCIbPCTWJMk Ipopill.
Ein Hospitant der kaiserlichen
Universitat in der vom Minis
sterium genehmigten Tracht.
279. Russischc Karikatur.
Pluvium. 1906
durchaus rechtfertigen, wenn ich mich an dieser
Stelle auch mit der literarischen Satire der Neu*
zeit eingehender beschaftigen und durch entspre*
chende literarische Proben all das unterstreichen
wiirde, was ich in dem vorhergehenden Kapitel
276
UtHa s\> Oaecct 10 Hon.
-^N6s* Ns. 5. f&e^-
Bi APyrHXb mwn> 12 Hon.
280. Der Odessaer Gummiknuppel. Titelkopf eines russischen antisemitischec Witsblattes. 1908
aus der graphischen Satire zur Kennzeichnung der jeweiligen offentlichen
Meinung abgeleitet habe. Dessenungeachtet muB ich hiervon absehen, und
zwar deshalb, weil die literarischen Satiren der Neuzeit auf die Juden im
Umfang gerade so ins Ungeheure gestiegen sind, wie dieZahl der modernen
graphischen Karikaturen auf die Juden im Vergleich zu denen der vers
gangenen Jahrhunderte. Um ein einziges Beispiel zu nennen, sei nur an
die geradezu unzahlbaren Judenwitze erinnert, die jahraus, jahrein in den
verschiedensten Landern auf die Juden gemacht und veroffentlicht wurden
und ununterbrochen immer noch tagaus tagein gemacht werden. Wenn
man hier von Tausenden spricht, so ubertreibt man keineswegs. Gewifi
ist der Judenwitz das satirische Gebiet, auf dem sich sowohl der private
als auch der politisch organisierte Antisemitismus seit langem am unban*
digsten manifestiert, und zwar deshalb, weil diese satirische Ausdrucksform
ebensosehr der modernen Psyche entspricht, wie z. B. das Sprichwort der
des 15. bis 17. Jahrhunderts. Aber der Judenwitz bietet keine Ausnahme.
Der Reichtum auf alien Gebieten der mit den Juden sich beschaftigenden
literarischen Satire ist so grofi, dafi diese langst eine ganze Bibliothek fullt,
und dafi es eines umfangreichen Werkes bedurfte, um auch nur einen ans
nahernden Begriff von der Vielseitigkeit des Stoffes zu geben. Im Rahmen
eines Kapitels, das gemafi der Anlage dieses Buches hochstens ein Dutzend
Seiten umfassen konnte, ist diese Aufgabe nicht zu losen. Dazu kommt,
trotzdem dieses fur die politische Geschichte wie fur die Volkspsychologie
gleich aufschlufireiche Buch noch nicht geschrieben ist, dafi es doch schon
eine Reihe von -Veroffentlichungen gibt, in denen wenigstens Versuche
277
oder Einzelarbeiten in dieser Richtung vorliegen. Ich nenne nur die vers
schiedenen Sammlungen der guten oder der besten judischen Witze, die
speziell in Deutschland in den letzten Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges
erschienen sind. Unter diesen Umstanden muB ich mich damit begniigen,
an dieser S telle jene Zitatezusammenzustellen, auf die ich schon weiter
oben direkt verwiesen habe.
In erster Linie kommt hier in Frage eine Szene aus der falschlicher*
weise Goethe zugeschriebenen Posse „Unser Verkehr", die, wie ich oben
(S. 219) darlegte, das Hauptarsenal fur die Karikatur in den Zeiten des
HepsHepsSturmes und dendarauffolgendenjahrenbildete. Die erste Szene
dieser uberaus gehassigen Posse, in der sich der alte Jude Abraham Hirsch
und seine Frau Rachel von ihrem Sohn Jakob verabschieden, der nun in
die Welt gehen soil, sein Gluck zu machen, lautet:
(Strafie.) Abraham H irsch; Rachel und J akob. (Letzterer mit einem Biindel Kleider, reisefertig,
treten auf.)— Jakob (seiner Mutter die Hand driickend): NuMemme.bleibt gesiind!— Ra ch el(ihnumarmend):
281. John Bull, der Beherrscher der Meere. Karikatur auf die Weltmaeht der Juden
278
„An meine lieben Juden! . . ."
282 Amerikanischc Karikatur auf die im Weltkricg plot:Iich erwachte Judensympathie des russischen Zarec
As de siillst leebenlangejohr!— Jakob (seufzend): 's gaiht mer su Herzen! —Rachel (schluchzend): Miraach!
ai waih! — Be id e (schluchzendj: Aiwaih! ai waih! — Abraham: Mai! wos is? Wosstaihter, wosschraiter? wos
fangt er an an gewaltigen Spektokel uf offentlicher Strafie? — As der Siihn sull raisen ebbes Moos verdienen —
nii, so wollen mer wtinschen gliickliche Geschafte uf denWeg! — Er still finden blanke Tholer un' Luges
dore, er sull sich in Acht nehmen fer falschen Papieren und schofler Woore! — Raisen is a Vergniigen,
Geschafte machen is a graufies Vergniigen, Perssente nehmen is a gor gratifies Vergniigen. — Jakob
(weinerlich): Jo Perssente! Hast de gesehen? Aus Nix wird Nix. — Abraham: Dii! Was hast de ge*
sogt? Aus Nix wird Nix? Wai geschrieen! — Jakob: As mer de Tate gegeben hatt a poor hiindert
Tholer? Abraham: A poor hiindert Thooler? Wai geschrieen! — J akob: Aber asau — nich fiinfzig,
nich vierzig, nich dreifiig, nich swanzig — sehne hot er mer gegeben. — Abraham: Wos? Hob ich der
nich gegeben noch a Sackel mit falsche Groschen? — Jakob: Jo! wer wird se nehmen? — Abraham:
Wer wird se nehmen? As de se reibst mit Mitzenpulver, kennt se kaGoi! — Hob ich der nich gegeben
an Fuchspelz? — Jakob: Mai! den hoben de Ratten zerbissen und de Motten halb kohl genogt. —
Abraham: Hab ich der nich gegeben zwei poor manchesterne Hausen, und ane Felbelweste, un an
braunen Malbisch, den ich hob gestern gehandelt von an Schlachter? Hob ich der nich gegeben a Perpli'
— Du Schelm von an Pancher! Siillst du verschwarzt liegen as du sogst, aus Nix wird Nix! Gott hot
er gemacht de Welt — aus wos? aus Nix! Jakob ist geworden a raicher Mann — aus wos? aus Nix! —
Jakob: Jo! ver alten Zeiten ist gewesen wohlfeil! as is geschaffen worden de Welt aus Nix! — Abra*
ham: Hor su! wos schraist de? Hoben wer nich ver Augen Exempel von unsere Leit, die fangen an mit
Nix, un horen auf mit Landgiiter und de Barone? — Ober mer mufi doch hoben an Verstand derssu! —
Rachel: Oder de Gewalt? — Abraham: Nu, se kiimmt nach, aber der Verstand ist erste. As wer uns
werden hinlegen und pekern, werd kiimmen su gaihn der Rebbe Abraham, nu? werd er frogen, was hast
de gemacht uf de Welt? Bist de gewesen HeilSig? Do werden mer zeigen, wos mer hoben gemacht.
Perssente, wos mer genummen, Wechselche, wos mer hoben mit Profit gekaaf t. Gold, Jouwelen, Geschmeide,
wos mer hoben gehandelt von de reichen Gois, un de Verdienste werden seyn unsre Verdienste, uud der
Gott Obraham, lsaak und Jakob werd alles nehmen fer sich, und werd uns schreiben gute Hachven. Ober
de Goien werden haben nix, und werden liegen un ssahnklappen fer Angst und fer Begier nach dem
279
Geld und de eintraglichen Geschafte. — Jakob: Der Tate is an graufier Schriftgelehrter. Ich bin geriihrt!
— Rachel: Er ist geriihrt! — Abraham: Bist de geriihrt? — Jakob: Soil mer Gott helfen, ich bin ge=
riihrt. — Abraham: Du mufit werden a neier Mensch! Du mu Bt wandern aus Egypten von de Fleisch*
topfe der Memme! Du muBt siehen in de Wiiste, wo sie der nich geben werden an Trunk Wasser urns
sonst! Du mufit sehen das gelobte Land von de raiche Gois! du muBt der " nehmen dein Erbtheil von
ihnen, wie de kannst, as de willst seyn a rechter Pancher vom Soomen Israel! — Rachel (die Hande
faltend): Der Segen Jakob soil dich starken derssu! — Jakob: Der Tate is a graufier Redner, a heller
Kernel! Er hat mich erleuchtet durch und durch! Ich will doch werden a neier Mensch! ■— Rachel
(geriihrt): Er will werden a neier Mensch! — Abraham: Willst du werden a neier Mensch? — Jakob-"
Gott soil mich strafen, ich will werden a neier Mensch! '— Abraham: Du siillst verkriimmen, wenn's
nich wohr ist! — Rachel: Still der wachsen Gras vor deiner Thiir, wenn de schweerst falsch. — Jakob:
Ich will schneiden die Krie, ich will kriegen an Aussatz! — Ich will liegen wie Hiob auf an Mist, ich
will verderben neun und neunzig mol! — Abraham und Rachel (machen Geberden des Schreckens):
Ai waih! ai waih! — Abraham: 's kimmt uf de Femilie! — Jakob: Ober Tate — — Abraham: Wos
redst de? — Jakob: Ich hobe doch nur gekriegen sehn Tholer! wellt er mer nich noch geben serine?
Do hob ich swanzig zum Anfang! — Seyd so giitig! — Abraham (zornig): Sehn Tholer! Hiind! Wos
hast de geschworen? — Jakob: As er mer nich noch gebt.de sehn Tholer, will ich doch sain a Hiind,
wenn ich halt meinen Schwur! — Abraham: Ai waih! du Schelm! du Spitzbub! — Hor su! Nii —
kiimm her! — Nii, ich will der noch geben fiinf Tholer Minze! — Jakob: Fer wos? 's gaiht doch nischt!
— Abraham: Du Lump! 's gaiht nischt? — Ich werde dir geben an Fluch! — Jakob: Nii — wos wellt
er fluchen? Gebt mer doch lieber fiinf Tholer Kerrent! — Abraham: Minze! — Jakob: Kerrent! —
Abraham: Minze! Ich will der geben an Seegen zum Agio! —Jakob (rechnend): Ach und siebzig
Perssent Agio staiht de Minze — kiimmt auf an Seegen swei und swanzig. — — Abraham: Nii, Hebe
Seile? — Jakob: Tate, 's gaiht nischt! Ihr setzt an Seegen su hoch in Cours! — Hairt! gebt mer fiinf
Tholer redussirt, fers Andre an Seegen! — Abraham: Nii, was will ich machen? — 's is der Siihn, Blut
von meinem Blut! — Ich wills doch geben! (er zahlt ihm das Geld unter Seufzen). — Jakob (kiiBt ihm
die Hand): Der Tate is der graufimiithigste Mann! — Ihr hobt an Seegen vergessen, Tate! — Abraham
(legt ihm die Hande aufs Haupt und spricht einen hebraischen Segen). — Jakob: Nii, bleibt gesiind! (will
gehen). — Abraham: Halt! Wos rennst de? ■ — Werst de rennen mit an Geld ins Ungliick? — Werst de
verthun den sauren Schweifi deiner Eltern? — Jakob: Ich soil doch gaihn. — Wos halt er mich uf? —
Abraham: Ich will der geben Lehren uf an Weg! — Gott! das schaine Gait, wos er hat mitgenommen!
— As du gaihst und kemmst nich wieder neun und neunzigmool schwerer — will ich der speien ins An*
gesicht! — Gaih! gaih! — Lofi dich treten von de Leit, loB dich werfen aus de Stuben, loB dich verklogen
bei de Gerichte, lofi dich setzen ins Hiindeloch, loB dich binden mit Stricke und Ketten, loB dich
paitschen, lofi dich martern halb taudt! aber (drohend) du mufit doch werden raich! — (mit Rachel ab.)
Wie man an dieser Probe sieht, ist die satirisehe Anwendung des jiidi*
schen Jargons, in dem man ein verdorbenes Deutsch vor sich hat, ein Haupt*
hilfsmittel zum Zwecke einer moglichst erfolgreichen satirischen Verhoh*
nung der Juden. Dieses Mittels bediente sich die literarische Satire hinfort
mit ganz besonderer Vorliebe. Die zahlreichen Pamphlete des antisemiti*
schen Verlages von Goedsche in Meifien, in denen die starke antisemitische
Stromung der dreifiiger Jahre ihren literarischen Spiegel fand, sind durch*
wegs im jiidischen Jargon abgefafit. Aus dem im vorigen Kapitel ange*
fiihrten „Schabbes*Gartle" (Bild 114), das zu den gelesensten Pamphleten
jener Jahre gehort, gebe ich das folgende Stuck, in dem der Geiz eines judi*
280
WOLNOSC BOLSZEWICKA
Katikatut auf den russischen Volkskommissai for das Kriegswesen Leo Tiotzki
Polnisches antibolschewistisches Flakat von Skabowski. Aus der Zcit des polnischirussischen Kricges. 1920
Brflaer n Edsird F«chi, .Die Jodea In der K»itt»»u-
Albert Lanfni
schen Elternpaares dadurch verhohnt wird, dafi diese durch ein Mifivers
standnis ihre ledige Tochter fur schwanger halten und nun vor Freiiden
freigebig werden, als dieses von ihnen selbst verschuldete Mifiverstandnis
sich aufklart:
De Konfusiuh vun en unrechte Verstandniss. Sou gehts, wemmer de Leut net ousreden lesst.
Frummele Ochs hat e Griiese Tochter gehat, e Roritat Schickselche, weifi unn routh wie Elf en*
bahknochen unn Bocksblut, unn was das Best^^rbey, Mesummen hatt se nach gekriegt. Beckche hat
se gehahfien mit Nume, eppes e Roritat weit unn braht. Beckche is schoh unn grofi, aber was nutzt es,
hot es alle Tag nor schoufle Klahder ahnziehen gediirft, wou der Ette unn die Memme eihngserfet haben.
Beckche macht sich ganz betrubt unn mocht nach gem scheme Klahder haben t net alleh an Jontoff unn
Schabbes, aach an die andere Tag in der Wuch.
Is emouhl Frummele hehm kumme ze gaihn mit en groufie Revach, alle Taschen voll Geld, unn
Scheiner unn Schuldverschreibincher aach, um gotgewaltige Simches. Ass'r seiner Ische die Massematten
erzahlte, unn aach die voll Simches werd, kriegt Beckche Kurahsch unn faftt sich a Harz, unn will Memme
unn Ette bitten, ass se ihren Schabbesrock dorfet tragen auf alle Tag. Geht se nah an Tisch , wou se
sitzen, nimmt de Memme an Hals unn sagt: „Memme, Ette, ich mufi Euch eppes sagen, aber sett net bos.
Sagt die Memme: Was heste ze sagen? Frougt Beckche: Dorf ich? Frougt der Ette: Nu, was is es?
Beckche sagt: — Memme! — Ette! — ich trag — ..Gottswunder! Schme Israel! schreyt Frummele, — was
en Ungliick! — Tragen thuste? — Meperes biste?" „Au waih geschrien! schreyt de Memme, ach!
.meih Kind, ach mein Beckche, was heste gethun? Eitel Rouches unn ganz schwarz springt der Ette auf:
„Wer hots gethun? Vun wien biste meperes? Vun wien tragste? Gleich sags, ouder ich worf dich ous
die Wanden!" ,,Sett kah Schrude, sagt Beckche, bin ich doch net meperes. — Voun was sallet ich meperes
seyhn? Hebh ich doch kahn Chusen net. Memme frougt: Lieb Beckche, biste werklich net meperes?
Sagt Beckche: Worr ich meperes seyhn, — uzt euch net. Ich heb mit kahn Menschen nix ze thun gehatt.
Sagt der Ette: Nu, worum heste gsagt, ass de tragst. Sagt Beckche: Hot mich der Ette ousreden gelosst?
— Ich hab sagen gewellt: ich trag mein Schabbesrock ouf alle Tag. — Net wohr Ette, net wohr
Jene, die den deutschen Frieden wollen Jene, die den franzosischen Frieden wollen
285. Frjnzosische Karikatur auf den Defaitismus. La Victoirc. 1915
Fuchs, Die Juden in der Karikatur 56
281
Irogfi
„3b tiidji jit marfjcn, mtint § trr'n!
3'dj fjbr' ouf fetiben Oljrtn fdilertil.'
Memme? Sagen Ette unn Memme: Meintwiegen — weil de net meperes bist, kennst en tcagen ouf alle
T-ig, unn die ander Wuch kriegst e neue Schabbesrock, doch mit dien Beding, ass de kahmohl nix
anderst tragst as en Rock (meperes = schwanger).
Das am meisten verbreitete Spottlied auf die Juden aus der antisemi?
tischen Bewegung der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist das aus
Siiddeutschland stammende Loblied auf den Knoblauch:
Ehren= unn Loblied oufn Knoblich,
e vierstimmiges Terzett
ze singe ouf de Gitahr mit der Vigeline derbei
Knoblich, Knoblich, toffes Gwarz
Starkst dien Jiiden Sinn unn Harz,
Unn giebst ihn die ganze Wuch
Aechten, koschern Jiideng'ruch,
Ass um ihn die ganze Luft
Angeniehm unn lieblich duft:
Knoblich! Knoblich!
Knoblich, Knoblich, wie so gut
Filterierst du's Jiidenblut!
Gar gah andre Wurzel gitt
Sou wie du en Appetit,
Un ka Zwiefel un ka Laach
Macht's Gedirm wie du so waach :
Knoblich! Knoblich!
Knoblich, Knoblich, wie so lind
Treibst Nefiches du geschwind.
Ass es nouch dien Acheln bald
Wie e schwer Gewitter knallt!
Wie e Blitz, so £ahrt es nous,
Unn es riecht das ganze Hous:
Knoblich! Knoblich!
Knoblich, Knoblich, wie .so hahii
Treibst de"n Jiiden du en Schwahlx
Machst dien Magen rain un klor.
Ass net drinne bleibt e Hoor;
Machst e su e feine Hout,
Ass mer kahm die Aagen trout:
Knoblich! Knoblich!
Knoblich, Knoblich, mit Begier.
Greift die Kalle aach nouch dir,
Unn ihr Haucher riecht so schoh,
Ass mer kcnn net weiter geh ;
Wie e Nagele unn Roos "
Riechst ous ihren Moul unn Schoofi:
Knoblich! Knoblich!
282
9lu — Soit, Datum ni<l)t? Jurdltfiac qcrn!
OHc Ift ja icoci Sriebe ce^t!"
Verschiedenartiges Zureden bei Friedensverhandlungen oder Feder und Schwert
28+ u. 285. B.Johnson. Klatlderadatsch. 1918
Knoblich, Knoblich, ouf der Welt
Lob ich dich nor unn das Geld!
Nektor unn Embrosia,
Gor nix is es, bist du da
Milch unn Honig, Kuttelfleck;
Senn nor giegen dich e Dreck:
Knoblich! Knoblich!
Knoblich, Knoblich, wie dein Saft
Mut uns unn Korahsch verschafft,
So entflammt er aach mein Sinn,
Ass ich gleich e Dichter bin,
Unn ich kenn ver dein Geruch
Schreiben net unn dichten gnug:
Knoblich! Knoblich!
Knoblich, Knoblich, mein Gemiit
Dichtet dir das feine Lied!
Dort in Iiden laben wir
Ewig, Knoblich, uns an dir,
Unn wir schreie voller Freud
Dorch die ganze Ewigkeit:
Knoblich! Knoblich!
Der kunstlerischen Qualitat der Zeichnungen, die ich der Dresdener
antisemitischen Flugschrift „Der Teufel in Deutschland" (Bild 210 und 211)
entnommen habe, entspricht durchaus die geistige Hohe des satirisch sein
sollenden Textes dieser Flugschrift. Ich zitiere einige wenige Zeilen aus
diesem sehr umfangreichen Elaborat der fanatisierten Beschranktheit:
„Es ist der Geist, der sich den Korper baut", sagt Schiller; was mufi das also fur ein schwarzer.
niedriger und krummer Geist gewesen sein, der sich die niedrigen, dunklen und krummen Judenkorper
gebaut hat? . . . Gegen ihren teuflischen Dunkel ist schwer-anzugehen. Das einzige, was man den Juden
als Gegcnbeweis unter die Augen halten konnte, sind die amtlichen Militaraushebungslisten aller zivili=
sierten Lander, aus denen sich ubereinstimmend ergibt, dafi die Juden allerdings an scheclen Augen, un*
36*
283
gleichen Schultern, schwachen Briisten, schiefen Riicken, krummen Beinen, platten Fiifien und hiedrigem
Korperwuchs das Vollkommenste leisten, was an korperlicher Unvollkommenheit geleistet weirden kann .
Man braucht einem echten, kleinen, schwarzen, krummen, verbogenen Juden nur Horner auf zusetzen, und
der unruhig bewegliche Teufel ist fertig . . . Juden und Liigen haben kurze Beine, wie auch der Teufel
sehr kurzs, wenn auch sehr bockbeinig ist . . . Gott ist wahrhaft; der Teufel muB also mordsmaBig liigen,
und der Jude tut es. Der Jude liigt mit und ohne Zweck. Die Luge ist seine Lebensluft . . . Franzosen,
Hollander, Salzburger sind ebenso landfliichtig nach Deutschland gekommen wie die Juden; aber wah«
rend jene mit ihrem Gut und Blut. in ihr neues Vaterland untertauchten , blieben die jiidischen„Morali=
idioten" nicht nur krampfhaft in ihrem auserwahlten Blutdiinkel isoliert, sondern diese Satanssohne
bilden sich auch heute noch ein, sie miiBten eigentlich die wahren Gottesherren in Deutschland sein!
Die angebliche Verjudung der deutschen Sozialdemokratie ist vor dem
Weltkrieg durch eine Parodie auf die bekannte Audprfsche Arbeitermar*
seillaise verspottet worden, von der ich hier den ersten und den letzten
Vers gebe:
Arbeiter = Mauschellaise
Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, Auf, rote Judenkameraden,
PaBt nicht zu uns, den werft hinaus. Steht fest zum groBen Judenbund
Es kommt ja auch, genau betrachtet, Und tut den schlauen Asiaten
Nicht allzuviel dabei heraus. Die Bundestreue wedelnd kund.
Wir brauchen, um es kurz zu sagen, Halt du es mit den fremden Gasten,
Zur Volksbefreiung Geld in bar, Du deutsches Proletariat,
Drum miissen wir, das ist doch klar, Sa' aus fiir sie die Drachensaat,
Uns mit den Juden gut vertragen; — Und wer zuletzt lacht — lacht am besten.
Drum hoch der Levysohn, Drum hoch der Levysohn,
Der Nathan, Schmul und Kohn! Der Nathan, Schmul und Kohn!
Es keim' und bliih', dem Knoblauch gleich, Es keim' und bliih', dem Knoblauch gleich,
Das Zukunfts=— Judenreich! Das Zukunfts*— Judenreich!
Dieses Gedicht ist massenhaft als Flugblatt verbreitet worden, und wurde
nicht selten auch in antisemitischen Versammlungen nach der ebenfalls be*
kannten Melodie der Marseillaise gesungen. Diese Poesie ist jedoch wirk*
lich harmlos, wenn man sie mit den Produkten vergleicht, in denen sich in
unseren Tagen manche Ritter vom Hakenkreuz austoben. Die Ermordung
des Miinchener unabhangigen Sozialdemokraten Gareis wurde durch ein
Gedicht verherrlicht, von dem schon der erste und der letzte Vers genugen,
um es hinreichend zu charakterisieren :
Du tapferer Held, du schofit den Gareis nieder, Haut immer Teste auf den Wirth!
Du brachtest alien uns Befreiung wieder Haut seinen Schadel, dafi es klirrt!
Von einem saubern Sozihund. Knallt ab den Walter Rathenau,
Welch' Licht in unserer Trauerstund! Die gottverfluchte Judensau!
Es ist ein zynisches Mufi der Geschichte, daft untergehende Kulturen
sich stets selbst das Todesurteil schreiben. Die wilhelminische Kultur erfullt
ihr Geschick in solchen Dokumenten und in den darin verherrlichten Taten . —
284
(Sure jefriqett Sufjrer!
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SX. ». S. 9«t<MluftUJnt»l&«
Brat, Sotijri-SrJH»ri (n|, StootltrfirlSf Smog. Unkr|la«Of& Bnn, OnlnfiuUfeft. OMurt Sanfxia
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(O.6.V.) X*» (lotn). ei™».
R. ». «. SrlebaiMbacoitaicln Saugai* ftmfl*
SaiMtantf In BcifailM
©ann trifttt &eu<fcftno<ti>nafl
(Ich verweise hier noch auf die in den Abbildungen 105, 109, 110, 113,
114, 116, 117, 127, 156, 157, 246, 274 u. 304 wiedergegebenen satirisch for*
mulierten oder satirisch illustrierten Titelblatter und Umschlagseiten einiger
der hier zitierten antijudischen Pamphlete des 19. Jahrhunderts.)
X
Das Erotische in der antijudischen Satire
1st das Obszone in der antijudischen Satire in uberwiegender Weise
der Ausdruck der in bestimmten Landern herrschend gewesenen allgemeinen
Verachtung gegenuber den Juden und nur im Nebenzweck auch der Auss
fluB des der jeweiligen Zeit gemafien Behagens am Schwelgen in Obszoni*
taten , so ist das Erotische in ebenso uberwiegender Weise Selbstzweck.
GewiB macht man dem Juden sehr haufig eine besonders starke und
auch skrupellose Sinnlichkeit zum Vorwurf, und man macht es ihm weiter
zum Vorwurf, dafi er als Objekt dieser besonderen Sinnlichkeit sich mit
boshafter Vorliebe Christentochter auswahle. Weiter wirdbehauptet, dafi die
Judinnen mehr als andere Frauen zur Ausschweifung geneigt seien, und
dafi sie ihrerseits wiederum besonders gern den Christen gef allig seien. Ein
Sprichwort, dem ich in der Literatur des Vormarz begegnete, lautet: „Ihr
lustet's nach einem guten Bissen wie der Jiidin nach einem Christenhengst."
Ein anderes aus etwas spaterer Zeit lautet: „Wenn eine Jiidin einen Christen
um etwas bittet, dann fallt sie nicht auf die Kniee, sondern auf den Riicken."
Weil man VOrwurfe solcher Art den Juden von jeher machte, darum be*
gegnet man auch in der antijudischen Literatur imrner einem Abschnitt, der
auf derartige „Versundigungen der Juden" besonders hinweist. In der 1768
erschienenen „Sammlungjudischer Geschichten", die der Schweizer Johann
Ulrichs nach alten Zuricher Ratsprotokollen herausgab, ist z. B. ein ganzes
Kapitel dem „Ehebruch und der Hurerey der Juden" gewidmet. Am^Be*
ginn dieses Kapitels heifit es: „Die Erfahrung allerZeiten hat gezeiget, dafi
die Judische Nation diesem Laster auf eine besondere Weise ergeben ge=
wesen, und solches eigentlich ihre FavoritsSiinde ausgemachet." Dann
286
folgen aus den Zuricher Ratsprotokollen eine Reihe Mitteilungen uber staffs
gefundenen Verkehr zwischen Juden und Christinnen und „wie diese
Leichtfertigkeit der Juden von hiesiger Obrigkeit sey abgestraft worden."
Ich zitiere einige Beispiele von vielen , die ubrigens alle sehr weit zurucks
liegen. Eine „Erkanntnus" vom Jahre 1322 lautet, dafi „Winelin der Jud,
Burger Zurich, gethurmt, mit Wasser und Brot gespiesen, und um 20 Mark
Gelt seye gestraft worden, darum dafi er bei einem Christen Wyp ergriff en
worden." 1331 findet sich folgendes Urteil verzeichnet: ..Salomon Lowen,
des Juden von Konstanz Sohn, ist in Hansen Grumikers Scheuer, bey einer
Christen Frauen gelegen und hat sie genimmt; ward deswegen gethurmt
und um 40 Mark gebiifit." 1388 heifit es in dem RathssManual: „Man soil
nachgahn und richten, als Matys Jud, Eberhardten Sohn geschuldig ist, dafi
er mit einer Christen Frauen zu schaffen gehabt in Hurs Weifi." Das Result
tat ist: „Matys der Jud wird gestraft um 5 Gulden." Gegenuber den schuls
digen ChristensFrauen verfuhr der Zuricher Rat nicht weniger hart. Sie
wurden ebenfalls gethurmt und der Stadt verwiesen. Bei unerlaubter Ruck*
kehr in den Bannkreis der Stadt sollten sie vom Scharfrichter geblendet
werden. In schweren Fallen wurden sie vor der Ausweisung erst noch mit
einem Judenhutlein auf dem Kopf auf einen Karren gesetzt und zum allge*
meinen Spott durch die Stadt gefuhrt. .
Eine „Ratserkanntnus" vom Jahre 1322
lautet: „Elfi von Luzern und Elli von
Konstanz, weil sie sich von Juden brau*
ten lassen, mufiten die Stadt verschweren
Anno 1382 heifit es: ,, Ellin von
Konhiltation.
usw.
Zofingen mufite schweeren ein halb Meil
von unserer Stadt Zurich, um dafi sie
heimlich bei einem Juden funden war."
usw. Die Frankfurter Judenchronik von
Johann Schudt, erschienen 1714, enthalt
ebenfalls ein grofies Kapitel uber der Ju«
den Unzucht, die sie nicht nur unter
sich, sondern vor allem gern mit den
Christinnen und Christen trieben. In den
von demselben Verfasser herruhrenden
S r. .5>irjd)j el t : „Sic Illicit ,;ionc n Heine Scrj»
nifcition, oiecben obce bcu Slnior&cruitficn ciller Stnrt*=
tiinjeriii voUauf fecit qcn)ud)Kit, ^rrinlcin ^imfarlen: Gic
mit 3fitcK Sdjuciniaucicii loccbeii teflon rnndjen Raeeicec.
"ilat enoil^ itecejr nidjlcn tniijjen Se |idj. '.'Jtcinc ffremiiie
c [ ( c it icaoe (ec Sditiieiiicjleijd), nber ) e tj c n rnanen fe
i>odj gcenc rcdjt oiel bauon auf c i 11 c n Snufert • &j.
287. Aus „Djs dcutschc WiKblaet." 1920
287
Merkwiirdigkeiten ist ausgefiihrt, daft im 17. Jahrhundert die bohmischen
Jiidinnen in Prag besonders stark unter den offentlichen, und darum vor
alien den Christen gefalligen Dirnen vertreten seien.
Solche Mitteilungen lieften sich mit leichter Miihe beliebig vermehren.
Aber wenn man auch die Richtigkeit dieser Mitteilungen gar nicht bestreitet,
so beweisen sie doch absolut nicht das, was die betreffenden Chronisten
damit beweisen wollen, und was Ulrichs in den Satz zusammenfaftt, daft
solches (Ehebruch und Hurerey) der Juden Favoritsiinde ausmachte.
Alle diese Mitteilungen belegen vielmehr nur, daft die damals allerorts
existierenden Verbote iiber den Umgang der offentlichen Dirnen mit Juden
nicht nur auf dem Papier standen, sondern daft die XJ bertretungen sehr oft
auch aufs Strengste geahndet wurden. Denn bei alien vorhin genannten
Fallen handelte es sich niemals um eigentliche Liebesbeziehungen zwischen
Juden und Christinnen, sondern stets um einen gelegentlichen Geschlechts*
verkehr zwischen Juden und offentlichen Dirnen. Wenn daher spatere
Autoren solche Mitteilungen beniitzen, um damit eine besondere Gier der
Juden auf Christenfrauen zu belegen, so verfalschen sie direkt den Sinn
dieser Verhaltnisse. Am allerwenigsten beweist der Umstand, daft friiher
und.heute in verschiedenen Gegenden die Jiidinnen ein sehr groftes Kontin*
gent zur Prostitution stellten und stellen, etwas fur eine besondere Neigung
der Jiidinnen zur Ausschweifung. Die Prostitution ist als Massenerschei*
nung stets ein wirtschaftliches Problem und keines der individuellen Aus*
schweifung. Wenn in den ungarischen, rumanischen, polnischen und den
friiheren russischen Bordellen die Mehrzahl der Insassinnen Jiidinnen sind,
so beweist das nur die beispiellose Not unter den Ostjuden.
Es ist gewift nicht zu bestreiten, daft die Juden gemaft ihrer Herkunft
ein heiftes und sinnliches Temperament haben. Aber darum ist gegeniiber
den Juden doch keinVorwurf ungerechtfertigter als der einer skrupellosen,
in Ausschweifungen sich austobenden Sinnlichkeit. Zum mindesten ist
dieser Vorwurf unberechtigt im Hinblick auf die Vergangenheit. Denn
wenn man den Dingen ernstlich auf den Grund geht, wenn man das Fami*
lienleben der Juden unbefangen nachpriift, die Verhaltniszahlen der unehe*
lichen Geburten bei den Jiidinnen usw., dann muft man sogar feststellen,
daft der Jude viel sittlicher ist als die meisten der Volker, in deren Mitte
er lebt. Es ist dies zweifellos eine Folge seiner Religion, die ihn viel starker,
288
Berliner Bilder: Grenadierstrafte
28S. Karikatur von Karl Arnold. Simplicissimus. 192l
Fuchs, Die Juden in dct Karikatur
,8W> nb fcfiAft tads, Utfctt ttOQd, ttwa* Iflfftn ail All ft" "»$ nbrlfl.'
289. Aus ,.Das deutsche Witzblatt.'
als dies bei fast alien andern
Konfessionen der Fall ist, in
ihren starren Banden halt. Man
kann sogar sagen, dafi diepotens
zierte Beschaftigung der Juden
mit Geschaften, ihr Abstraktis
zismus, wahrscheinlich zu einem
grofien Teil kunstlich verdrangte
Sinnlichkeit ist. Wie die Dinge
in diesem Punkte heute liegen,
wo die kunstliche AbschlieBung
der Juden meistenteils aufgehos
ben ist, lafit sich nicht feststellen,
denn dafiir ist noch keine brauchs
bare MeBmethode gefunden.
Der relativ geringere Anteil der
Juden an der Zahl der Scheiduns
gen und an den unehelichen Geburten wiirde immer noch sehr zu Gunsten
einer grofieren judischen Sittlichkeit sprechen.
Weil also der den Juden gemachte Vorwurf der Ausschweifung viel
haufiger als sonst sozusagen an den Haaren herbeigezogen ist, so ergibt
sich hieraus von selbst, dafi es sich in den meisten erotischen Satiren aller
Art auf die Juden tatsachlich um einen Ausdruck der allgemeinen Freude
an der Pornographie handelt. Andererseits ist es ganz naturgemafi, dafi
man diese Freude, wo es irgend geht, gern an solche Volksteile kniipft, bei
denen man sich alles erlauben darf und das Publikum aufierdem besonders
gern geneigt ist, alles Nachteilige ohne Nachprufung zu glauben, und ein
solcher Volksteil sind eben uberall vorziigsweise die Juden. —
Die Zahl der erotischen Satiren auf die Juden in Form von Sprichwortern, Anekdoten, Erzahlungen,
Witzen, Karikaturen, kurz in alien den verschiedenen Formen, deren sich die Satire bedient, ist zu alien
Zeiten verhaltnismaftig sehr grofi. Es gibt allein viele Hundert von modernen erotischen "Witzen und
Anekdoten auf die Juden, und ununterbrochen werden neue fabriziert. Zahlreiche Individuen (inden
ihr ganzes Leben lang das grofite Vergniigen daran, besonders saftige erotische Witze auf die Juden zu
kolportieren. Angesichts der grofien Liebe, mit der dieses Gebiet zu alien Zeiten und nicht 2Um ge =
ringsten in unserer Gegenwart beackert und gepflegt wurde, ist es also linerlattlich, der erotischen Satire
auf die Juden im Rahmen dieser Arbeit ein gesondertes, wenn auch knappes Kapitel zu widmen. Eine
lgnorierung dieser Seite der antijiidischen Satire ware geradezu eine Fortlassung eines sehr wichtigen
Teiles dieser Materie und kame einer Falschung des Gesamtbildcs gleich. Andererseits zieht mir der
290
Umstand, daft ich mich mit dem vorliegenden Buche an einen unbeschrankten Leserkreis wende, selbst*
verstandliche Grenzen. Ich muB mich auf allgemeine Angaben und Registrierungen beschranken; von
einer Wiedergabe der zum Teil direkt pornographischen erotischen Karikaturen und der nicht minder
kiihnen sprachlichen und literarischen Satiren erotischen Charakters mufi ich naturgemafi absehen und
niich mit der Vorfiihrung solcher Belege begniigen, bei denen die starke kiinstlerische Form die Kiihn*
heit des erotischen Witzes rechtfertigt oder die erotische Pointe in den Hintergrund drangt.
Die Renaissance vereinigt sehr haufig die Obszonitat mit der Erotik, weil sie in ihrer naiven Un*
befangenheit sich uhgeniert sowohl des einen als auch des anderen Elementes zur Pointierung ihrer
satirischen Angriffe auf Personen und Sachen bedient. Dieser Vereinigung begegnet man auch auf
mehreren Judenkarikaturen. In einer fur jene Zeiten relativ harmlosen Weise demonstriert dies das
Titelblatt der von mir schon weiter oben mehrfach zitierten Flugschrift „Der Juden Ehrbarkeit" (Bild 21).
Ungleich weniger harmlos, sondern im Gegenteil in unglaublichster Kiihnheit, demonstriert eine erotische
Variation der Judensau die derbste Anwendung der Obszonitat und der Erotik zum Zweck der Ver*
hohnung der Juden. Es 1st dies ein quartgrofier Holzschnitt, auf dem man die Judensau in der ublichen
Stellung sieht. Wahrend das Mutterschwein einen Kothaufen beschnuppert, ergotzt sich gleichzeitig ein
jiidischer Rabbiner in sodomitischer Weise mit ihr. Eine weitere sodomitische Variation der Judensau
in der Form eines Kupferstiches ist mir aus dem 17. Jahrhundert bekannt geworden. Eine dritte sodo*
/ mitische Judenkarikatur, ebenfalls in der Form eines Holzschnittes, soil demonstrieren , „wie das Unheil
in die Welt gekommen ist". Die betreffende Karikatur zeigt einen Teufel in Bocksgestalt im sodomu
tischen Verkehr mit einem Rabbiner. Solche und ahnliche Darstellungen sollen sich auch an einigen
Kirchen befunden haben. Die jiidische Sinnlichkeit im allgemeinen satirisiert ein Holzschnitt, der einen
Juden im intimen Verkehr mit zwei nackten Frauen zeigt; vermutlich ist dies eine Anlehnung an die
biblische Erzahlung von Lot und seinen Tochtern.
In der literarischen Satire des 14. bis 16. Jahrhunderts begegnet man ebenfalls mehrfach erotischen
Motiven bei der Verspottung von Juden. Man trifft auf solche in den damals ublichen Erzahlungen, in
den Fazetien, in den Ratselfragen, in Sprichwortern, in einzelnen Spottgedichten und schliefilich am
derbsten in den zahlreichen Fastnachtsschwanken, bei denen die obszone und erotische Derbheit der das
maligen Zeit wohl uberhaupt ihre tollsten Orgien feierte. Das hauptsachlichste Motiv, an das der
erotische Witz jener Zeiten ankniipfte. ist die Beschneidung.
Die getauften Juden werden auf diese Weise verspottet,
daft die Taufe ihnen nichts niitze, niemals werde aus
einem Juden ein vollkommener Christ, und zwar wegen
des nicht reparierbaren Defizits. Verschiedene Sprich*
worter und zeitgenossische Redensarten driicken dies aufs
Deri ste aus. Ganz zahm ist dieser Zweizeiler: ..Getaufter
Jud ist nie ein Christ, Dieweil er doch beschnitten ist."
In den Dunkelmannerbriefen, dieser beriihmtesten sati-
rischen Kampfschrift der deutschen Renaissance, werden
die boshaften Angriffe gegen Johannes Pfefferkorn, der
ein getaufter Jude war, mit dem allerbreitesten Behagen
auch auf diesen Punkt ausgedehnt. Der ganze 37. Brief.
den der fingierte Lupoid Federfuchser an den Magister
Ortuin Gratius richtet, handelt in satirischer Form von
diesem Thema. In diesem Brief wird in der bekannten
wichtigtuerischen und ernsthaft seinsoIlendenForm dariiber
debattiert, ob dieses korperliche Defizit der Juden durch
die Vornahme der christlichen Taufe sich wieder erganze.
In den Fazetien des Heinrich Bebel, des bekannten Hus
manisten, wird in dem „Disput eines Juden und eines
Christen" (ob der christliche oder der jiidische Glaube
IHiillcc: „3<f utDdjte Ood) OI05 man totifcn. loarum
be 3»bcn afle bculfdic $foimen ttabca?"
SifjaUc: „2cl roccRtc noc^ nity? 'Weil ic bet^ettcn
lenceii iallcit. un$ Tcutfdtc ouS^uiattnen."
290. Antisemitische Postkarte
291
37 s
91u tjiir' mat ju;
Go mirJ'fi tin ..Edjmul)"!
(Sin SBaggondje mit Sdimaial
Gin SBaggondie mit Sped —
GUI* i|*
291—295. Weihnachten bei Familie „Schieber" oder die geschenl
besser oder wahrer sei) von dem Juden die Beschneidung als die bessere Form, von Gott gezeichnet zu
sein, benannt. Vom Chrsten wird darauf der Jude der Schamlosigkeit geziehen und verhtihnt, er solle sich
an den Galgen scheren, da er doch bcim jiingsten Gericht diese Form, wie er gezeichnet sei, nicht vor
den Tausenden, die auf des hochsten Richters Urteil harren, demonstrieren konne. In den meisten
Fallen ist jedoch die Beschneidung fiir die Satiriker der beliebteste Ankniipfungspunkt, um mit ent?
sprechenden erotischen Scherzen die Sinnlichkeit der Jiidinnen zu verhohnen, die darin stets eine gar
nicht erfreuliche Kiirzung ihrer berechtigten Anspruche und Wiinsche erblicken wiirden. Aus diesem
Grunde hielten vor allem die Jiidinnen viel mehr von der Taufe als von der Beschneidung. Mit klaren
Worlen ist dies ausgedriickt in der Fazetie „Der Spruch einer Jiidin", die Heinrich Bebel gleich an der
Spitze — als zweites Stuck — seiner Fazetiensammlung bringt. Dieser Witz fand solchen Beifall, dafi er in
Form von hochst derben Sprichwortem , Redensarten und Spottversen immer wieder aufgetischt wurde.
Von bekannteren Schwankdichtern prasentiert ihn z. B. Jakob Frey in seiner Gartengesellschart. Im -
iibrigen mag schon an dieser Stelle erwahnt sein, daft nicht nur jene naiven Zeiten der Renaissance an
diesem erotischen Witz ein besonderes Gefallen fanden, sondern dafi gerade dieses Motiv zu den be?
liebtesten Objekten des pornographischen Witzrepertoires aller Zeiten zahlt. Wenn es der Satire in den
Kram paftte, wurde freilich auch das Gegenteil behauptet, daft namlich die Frauen den beschnittenen
Mannern vor den unbeschnittenen den Vorzug geben. Diese Fiktion paRte z. B. den Verfasscrn der
Dunkelmannerbriefe, als es ihnen in den Sinn kam, den verhafiten Pfefferkom auch durch seine Frau zu
verhohnen. Wa'hrend verschiedene Brief schreiber an den Magister Ortuin melden, dafi sie selbst mit der
Frau des Pfefferkom zu schaffen gehabt, und dafi dieser und jener ebenfalls sich ihrer als Unterlage be*
diene, wird von einem anderen Briefschreiber dies zum Schein auf folgende Weise widerlegt: „Allein
ihr sagt, er (der getaufte Jude Pfefferkom) stehe bei unsern Magistem und Biiigermeistem in Gunst
wegen seiner, schonen Frau. Das ist nicht wahr, denn die Biirgermeister haben selbst schone Frauen . . .
Sie selbst aber ist eine so ehrenhafte Frau, wie es nur eine in Coin gibt: lieber wollte sie ein Auge als
ihren guten Ruf verlieren. Auch habe ich oft von ihr gehort, ihre Mutter habe ihr hauHg erzahlt, die
beschnittenen Manner machten den Frauen grofieres Vergniigen als die unbeschnittenen; aus diesem
Grunde sagt sie auch, wenn ihr Mann sterbe und sie einen anderen nehme, so diirfe er auch keine Vor=
haut am Gliede haben; daher ist nicht zu glauben, daft sie die Biirgermeister liebt, denn die Burgers
meister waren keine Juden und sind nicht beschnitten, wie Herr Johannes Pfefferkom." Schon an
diesem einen Beispiel, das gar keine Ausnahmestellung einnimmt, sondern im Gegenteil als typisch fiir
die personliche Satire jener Zeit gelten kann, erkennt man, daft die Renaissance den Begriff der Scheu
vor etwas Unaussprechlichem nicht kennt. Danach mag man die Sprache der Fastnachtsspiele ermessen
und die Deutlichkeit ihrer erotischen Pointen, wenn sie dieses Thema nach dem robusten Geschmack der
breiten Volksschichten durchhechelten.
Was die allgemeine erotische Satire des 17. und 18. Jahrhunderts von der des 15. und 16. Jahr?
292
DCfl!
iElfbunbevt ^cojcntll"
2Boa bleibt in be $5nb'7
lilldereisenbahn. Karikatur von Werner Hahmann. Kladderadatsch. 1920
hunderts unterscheidet, das unterscheidet auch die erotischen Satiren auf die Juden wahrend dieser beiden
Epochen. In dem Zeitalter des fiirstlichen Absolutismus wandelt sich die naive Derbheit der Renaissance
immer mchr zu schmutziger Liisternheit. Wahrend in der Renaissance die Verwendung von obszonen
und erotischen Pointen immer Ausdruck eines Kraftgefiihls ist, das sich in seinem Oberschwang an keine
Schranken gebunden halt, ist in den Zeiten des Absolutismus, in denen das freie Wort vollig gebunden
ist, der erotische Witz fast nur wohliiberlegte Stimulanz, die sichtlich nach immer raffinierteren Formen
und Wirkungen strebt.
Die bezeichnendste Form der erotischen Satire des 17. Jahrhunderts auf die Juden ist die Vers
wendung und Pointierung der bekannten erotischen Motive des Alten Testamentes, die ja auch in der
ernsten Kunst dieser Zeit„ eine so grofie Rolle spielen. Obenan stehen die Szenen ,, Susanna und die
beiden Greise," ..Joseph und die Pbtiphar," „Loth und seine Tochter," ..Bathseba im Bade" und ..Salomon
mit seinen vielen Frauen". In verschiedenen derartigen Karikaturen von ..Susanna und die beiden
Greise" haben die beiden Alten prononziert judische Physiognomien; natiirlich begniigen sie sich nicht
bloft mit dem heimlichen Belauschen der nackten Susanna, sondern betatigen ihre Liisternheit auch noch auf
andere, zum Teil hochst handgreifliche Weise. Auf einer antijudischen Karikatur von Salomo sitzt dieser
als liisterner Jude inmitten von einem Dutzend nackter Frauen, von denen er zwei zugleich in den
Armen halt. Die Unterschrift „Der Konig Salomon erfreuet sich mit seinen Kebsen" erlautert das
iibrige. Das Motiv ..Bathseba im Bade," dessen Verwendung auf antijudischen Spottmiinzen ich bereits
weiter oben (Seite 206) erwahnt habe, sieht man auf einem kleinen erotischen Kupfer so dargestellt, wie
Bathseba alles tut, um die Liisternheit des Konigs David zu wecken. Das Motiv ..Joseph und die Poti*
phar" gehort neben , .Susanna und die beiden Greise" zu denen, worin die judische Sinnlichkeit am
haufigsten dargestellt wird, aufterdem aber auch am erotischsten. GewiB sind diese Darstellungen nie=
mals kiinstlerisch so gewaltig gestaltet, wie von Rembrandt auf der gleichnamigen Radierung (siehe meine
Geschichte der erotischen Kunst, Bild 65), aber in der szenischen Darstellung noch weitergehender als es
die Bibel berichtet. Hier mufi erwahnt werden, daft es sich bei alien diesen Darstellungen ausnahmslos
um Satiren auf die Sinnlichkeit des mannlichen Juden handelt. Der Jiidin begegnet man auf erotischen
Karikaturen erst im 19. Jahrhundert; fruher war sie fast niemals das Objekt der Karikatur. Da.s durfte
seine Ursache in der strengen hauslichen Zuriickgezogenheit haben, in der die Jiidinnen damals lebten.
Eine Ausnahme machen zwei erotische Karikaturen, die ich von ..Simson und Delila*' und von .Judith
und Holofernes" gefunden habe, auf denen in beiden Fallen die weiblichen Partnerinnen den erotisch
aktiven Teil reprasentieren. Aber beide Male ist das Judische im Typ der beiden Frauen nicht be*
sonders auffallig gemacht, so daft man diese erotischen Kupfer nicht ohne weiteres als judische Karika?
turen ansprechen kann. (Vergl. auch Bild 3.)
Neben diesen biblischen Motiveri treten die profanen erotischen Judenkarikaturen im 17. Jahr*
hundert wesentlich zuriick. Jedoch begegnet man solchen ebenfalls immer hin.und wieder. Eine derbe
293
Karikatur, etwa aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, zeigt „die Bauerin, die einem Juden zinset," namlich
mit ihrem Leib und auf dem Heuboden, wahrend der Bauer auf dem Felde daneben maht. Ein anderer
Kupferstich aus etwas spaterer Zeit illustriert in einer ebenso eindeutigen Weise das schon friiher immer ■
debattierte Thema: „Der Jude und das Christenweib." Von diesem Motiv diirfte es mehrere Variationen
geben. Schliefilich fehlt auch nicht der Hohn auf den beschnittenen Juden, der wegen dieses Umstan=
des von den Weibern verachtet wird. In dem satirischen „Almanach der Heiligen auf jedes Jahr'*, der
1789 erschien, ist ein satirischer Kupfer auf den beschnittenen Wundermann Mayer enthalten, der nach
dem beigefiigten Text eine Kariktur auf die jiidischen Heiligen sein soil. Im 18. Jahrhundert verschwins
den die biblischen Motive allmahlich, zum mindesten uberwiegen in dieser Zeit immer mehr die profaneh
Motive.. Man begegnet jetzt den Juden im Umgang mit Freudenmadchen: wie der Jude beim Schafer*
stiindchen ertappt und aller Welt zum Spott nackt oder im Hemd auf die StraBe gesetzt wird. In den
Dirnenkneipen buhlen die Dirnen am liisternsten um die Begehrlichkeit Salomons, weil er mit blanken
Dukaten die ihm gewahrte Liebesgunst bezahlt. Der reiche Jude Levi vergniigt sich im chambre separee
des Badhauses oder in seiner petite maison mit mehreren Christenmadchen zugleich (ein ahnliches Motiv
zeigt in harmloser Form die Beilage neben S. 56) usw.
Die literarische erotische Satire dieser Jahrhunderte bewegt sich in denselben Bahnen. Auch hier.
dominieren in den erotischen Schwanken, satirischen Anekdoten usw. zuerst die biblischen Motive. Sehr
bezeichnend ist in dieser Richtung die deutsche geistliche Komodie, der ..Agyptische Joseph" von dem
Pastor Balthasar Voigt, die im Jahre 1619 erschienen ist. In dieser Komodie wird das Liebesbegehren der
briinstigen Frau Poriphar mit dendenkbar deutlichsten Worten und Gebarden ausgedriickt. Sowie Joseph
erscheint, packt sie ihn sofort am Mantel und ruft: „Sieh diese Brust und weifi Armeleiri! Ach driick
dich an mich.'' Als aber Joseph sich loszureifien versucht, ruft sie: „Ach nein, ich will vor gar aufstehn
Dafi du meinen ganzen Leib mogest sehen". Das ist aber noch eine zahme Stelle. Das fur jene Zeiten
bezeichnende an dieser Komodie ist, dafi sie ausdriicklich fur die Schule geschrieben und vom Verfasser
dem Biirgermeister und Rat von Halberstadt gewidmet ist. Fur die Auffiihrung war hinsichtlich der
erotischen Deutlichkeit des Textes keine Einschrankung verlangt, nur bezuglich der Entblofiungen heiftt
es in der Vorschrift fur die Auffiihrung: „Was von EntbloBung hier gesagt wird, soil nur gehort und
Zucht halber doch nicht reprasentiert oder gesehen wer=
den." Im Jahre 1666 erschien in Augsburg ein sogenannter
..Frauenzimmerspiegel," in dem die jiidischen Frauen*
gestalten der Bibel in zum Teil drastischen Versen satirisiert
werden. Von Rahel z. B. heifit es: „Rahel war ein heid*
nisch Weib, Ja ein solchs, das ihren Leib Um ein Huren*
geld vermietet . . ." In einer ahnlichen Liedersammlung
aus dem 18. Jahrhundert wird die Gestalt Saras folgen;
dermaften verspottet: „Deiner Bruste Umfang ist Gar
nichts zu vergleichen. Selbst die grofite Schweizerkuh
Hat nicht halb soviel wie Du Darin aufzuweisen."
Das Ausschweifendste, was die literarische Satire
aller Zeiten wohl uberhaupt gegeniiber den Juden her?
vorgebracht hat, sind zwei deutsche Romane aus den
Jahren 1800 und 1801. ..Behemoth und Leviathan", vers
faftt von einem gewissen Riem. In beiden handelt es sich
um Satiren derbster Art auf den Talmud. Im Talmud
gibt es bekanntlich lange Abhandlungen uber Abrahams
Vorhaut, uber die BescharTenheit der Geschlechtsteile und
die verschiedenen Arten der Ausiibung des Geschlechtss
aktes. Diese talmudistische Erotik persiflierte der deutsche
Schriftsteller Riem in. den beiden genannten Romanen.
Die- genauen Titel lauten: , .Behemoth. Der Roman uber
pavabet.
Es ging ein Mann aus Syrerland
Fiihrt ein Kamel am Halfterband
296. Antisemitische Postkarte. Berlin
294
om ticfftcn Sdjntetjc gcbcugt, gcben bte Untetjetdmeten alien Detroanbtcn,
^rcunben unb Sefannten bie etfdjuttetnbe TXadjtxd^t Don bcm fjinfcfyetben
ifyres einjigen, inntgftgcliebten Sofynes, tefp. Datcrs, Hcffen, <Enfels ic. ic,
bes fjettn £)erm
tberaltsmus,
tr>c(d)ct, Don d)tiftltd;*bcutfd)cn t£ltcrn im 3 a '? r,: \8%8 gcborcn (fpdtct fidi
befdjnetben Iicjj, confefftonslos rourbc) unb nun nadj langem fotpctlidjen unb
gciftigen Siedjitjum an tnnerer ^erfi^ung, (Rucftenmartlfcarte uub RranttBaften
(TleuBtfoungen fanfl, abet Ijetjlos uetfdjicbcn tft.
Die 2(ufbal;tung bes tljeuten £>orblid;cncn finbet mdljtenb bcr nddjften
£an&fags< un& (RetcBerafBawaBfen ftall unb toitb nad) bcnfelben btc itbtfdjc
J}ulle bes Detftotbenen com Stetbetjaufc: oftctt. (pavfamentegeBauie, I. ;Jtan=
jensting \, abgeljoll unb auf ben polttifdjen ^ciebtjof (tft. 2lbtl;eil.) iibetfutjtl
toetben, roofelbft bet unoctgef Itdje tEobtc tm eigenen <Stabe jut eictgen (RuBe
beftattet toetben tottb.
ID ten, tm Jtugufl (896.
(Urn [tiSte tgtittii nivi geSeien!
3\t JiB^frauBrniJcn 1§inlErbItEbKnEn:
©r. JUfcr, ©r. 6EBogen
als (natiirl.) Soljne.
QUorij £c86»e
•Baron jScBarf
etiae §»eicBef
als Befdjneibungspatlieii.
©r. KronaioeKer
als fjausfreunb.
Ijane 'Kuiftcfi
als (Dnfel (aus Zlmerifa).
©ev tame TUrf uon QSten
(f 1896)
als (natiirl.) Dater.
©te QJereintgfe JJinfte
als Stiefmutter.
©r. gmefj, Q3Dra6c^, (Tloefie
als Sol;ne (aus 2. £l|e).
©u€anfe aue ier JStcBfegafle
©te beuffcBe forffcBrtMsparfei (prof.Qtlarcfief.lprof.lgenoeE
als utiterfdjobenes Kinb. als £eidjenbitter.
©te fbjtaflemeftraltrcfie
(partei
als Stf?n>tegertodjter.
fflr. (Ttofgnagef
fjausarjt.
QjJerfBa von ^uffner
emerit. (Seburisfraii.
MnD fammtltdjc BtfrfE- unl> J9tB^iui>cn.
3m Sevlog be§ £>. g. 58etg'3 „Sifetifi", bet urn 2 ft. pet SBtettetjuljr, SEiett, I. ©tiin=
angetgaffe Dh\ 1 abonnttt roetben tottn.
297. Satirische Traucranzeige der osterreichischen christlictusozialen Partei
alle Romane. Oder Leben, Thaten und Meynungen des irrenden Ritter Orthodox" und ..Leviathan oder
Rabbinen und Juden. Mehr als komischer Roman und doch Wahrheit. Voll der kurzweiligsten Er=
zahlungen und doch Ernst." Als Erscheinungsort und Zeit ist bei dem zweiten angegeben: Jerusalem,
im Jahre nach der kleinen Zeitrechnung 561. Der Christlichen 1801. Der Republikanischen 9. Aus
diesen Titeln, die ich nur der Genauigkeit halber vollstandig anfiihre, ist von dem zynisch erotischen
Charakter dieser beiden umfangreichen Satiren noch nichts zu erkennen. Aber hinreichend genug aus
einigen Kapiteliiberschriften. Ich zitiere aus , .Behemoth" die folgenden: „Ein gestorter Coitus verschafft
die ewige Priesterwurde." ..Offentlicher Beyschlaf eines Fursten und einer Prinzessiri;'* „Zadok und Abi==
melech in derGarderobe von Salomos Matresse;" „Da es in Israel nichts zu thun giebt, so geht Orth'os'
dox nach Jerusalem, wo er an die.Spitze der Huren* und Religionskommission gestellt wird." Aus dem
noch zynischeren , .Leviathan" zitiere ich diese: „Die Sura: Abrahams Vorhaut." ..Zebedai" (Kapitel
uber den mannlichen Geschlechtsteil), „Der Siindenfall," „Die Kinder Gottes und die Tochter der Men=
schen;" „Praktische Regeln, auf dem Abtritt zu beobachten; wenn man seine Frau beschlaft, oder in
seinem Hause allein ist." ..Unterschied zwischen einem b'eschnittenen Juden und Ismaeliten." „Das
heimliche Gemach des Rabbi Jahoscha."' Die Titel versprechen durchwegs nicht mehr, als die betreffen*
den Kapitel halten. Schlieftlich sei noch erwahnt, daft das 18. Jahrhundert unter seiner bekannten
galanten Literatur auch mehrere satirischserotische Gedichte auf die Juden uber ahnliche Stoffe hervor*
gebracht hat. —
Alles was die Zeiten vor der Judenemanzipation an erotischer Satire auf die Juden hervorgebracht
haben, wirkt, wenigstens hinsichtlich der Quant itat, unbedeutend im Vergleich zu den Bergen von Material,
die das 19. Jahrhundert in diesem Genre dem Historiker bietet. Ich habe bereits eingangs erwahnt, daft
das 19. Jahrhundert allein Hunderte von erotischen Witzen auf Kosten der Juden gemacht hat, und daft
es dieser Zahl Tag fur Tag neue hinzufiigt. Aber zu "diesen Hunderten von Witzen kommen zahllose
erotische Gedichte, Anekdoten, Erzahlungen und viele Hunderte erbtische Karikaturen. Da im 19. Jahr*
hundert auf dem Gebiete der erotischen Satire die Gemeinheit sozusagen restlos siegte, so ist der uber*
wiegende Teil direkt als Pornographie gekennzeichnet, die der ublichen und auch ublen Stammtisch;
unterhaltung „nur fur Manner" diente. Die Gerechtigkeit verlangt jedoch zu konstatieren, daft einiges
nicht nur uber dieses Niveau hinausreichte, sondern zum Teil sogar ins Gebiet der Satire groften
Stils gehort.
Das letztere gilt gleich von verschiedenen erotischen J udenkarikaturen, die der machtvolle Auftakt
hervorbrachte, mit dem die biirgerliche Karikatur in Europa einsetzte. Diesen machtvollen Auftakt
reprasentiert bekanntlich die moderne Karikatur, die mit Hogarth anhub, und in Newton, Cruikshanc,
Gillray und Rowlandson ihre imponierendsten Gipf el erstieg. Von diesen Allen hat jeder Einzelne ~zahl=
reiche erotische Karikaturen gemacht, denn dies entsprach vollkommen der robusten Stimmung, mit : der
das Biirgertum in Europa die Herrschaft antrat; drei von ihnen haben auch erotische J udenkarikaturen
gemacht. Es ist natiirlich harmlos, wenn Jsac Cruikshanc ^Salomon in seiner Glorie" so darstellt, wie
dies die betreffende Beilage (nebenS.72) zeigt. Aber schon weniger harmlos sind die beiden beriihmten
erotischen Kupfer „Before" und ..After" von Hogarth, die zwar keine direkt antijiidische Pointe haben,
die aber nach einigen Kommentatoren in der mannlichen Figur den schon fruher genannten groften
judischen Bankier Salomon darstellen sollen (s. meine Geschichte der erotischen Kunst Bild 245 und 246).
Garnicht harmlos, sondern im Gegenteil von hochstergrotesker Phantasie und Kuhnheit, darum aber auch
durchaus gerechtfertigt — weil genialer Geist auch uberschaumende Kuhnheit rechtfertigt — ist die 1787
erschienene Karikatur „Moses errichtet die erzene Schlange in der Wuste" (Bild 63). Das ist Rabelais
ins Englische ubertragen. Diese geistreiche symbolische Karikatur, die keinen direkt antijiidischen Cha*
raktei tragt, sondern einfach das freie ausgelassene Spiel einer grotesken Phantasie darstellt, ist zwar
anonym erschienen (der Urheber scheint James Gillray zu sein), aber sie kam ganz offen in einem an*
gesehenen Karikaturenverlag heraus, der das Blatt ungeniert in seinen Schaukasten zum Verkauf stellte.
Nicht von derselben grotesken Phantasie eingegeben, aber von einem bezwingenden Humor, der eben?
falls die Kuhnheit rechtfertigt, ist die sehr eindeutige Parodie ..Moses in den Binsen". (Beilage neben
S. 80) Auch in diesem Blatt handelt es sich um keine Karikatur mit antijiidischer Tendenz, sondern
296
fcETTET- 6STE kfcE I CH \
Osterrekhischts antiscmitisches Wahlplakat. 1920. Von Berad Steiner
Bdkge n Edaard Facbt, .Die Jndea in 6a Kirikibu*
ABwri
298. Ungarisches antibolschewistisches Plakat von Manno Miltiades. 1919
ebenfalls um ein freies Spiel ausgelassener parodistischer Laune, fiir die das gegebene Motiv nur den
giinstigen Ankniipfungspunkt fiir eine das Lachen entfesselnde Kontrastwirkung bietet. Dieses 1799 ers
schienene Blatt ist nicht nur ebenfalls offentlich bei einem der grofiten englischen Karikaturenverleger,
W. Holland, herausgekommen, sondern obendrein auch von seinem Urheber gezeichnet, es ist dies G. M.
Woodwood, einer der angesehensten englischen Karikaturisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die
Tatsache, dafi derartige Karikaturen, — und Karikaturen dieser Art sind, wie gesagt in der englischen
Karikatur jener Epoche keine Seltenheit, sondern geradezu an der Tagesordnung — offentlich erschienen
und nachgewiesenermafien aller Welt offentlich zur Schau standen, ist fiir die richtige Beurteilung der
damaligen Anschauungen in England uber den BegvifE der offentlichen Sittlichkeit von ausschlaggebender
Bedeutung. Es sind Kulturdokumente ersten Ranges. Diese Karikaturen dokumentieren eine vollige Frei*
heit der Anschauungen in sexuellen Dingen fiir die Friihzeit des modernen biirgerlichen Staates. Aus
derselben Verfassung des offentlichen Geistes in England sind auch die zahlreichen, in die Hundert
gehenden direkt erotischen Karikaturen von Thomas Rowlandson entstanden, unter denen esauch mehrere
gibt, die an die Juden ankniipfen. Ich nenne von diesen erotischen Judenkarikaturen Rowlandsons
(nach den vor 15 Jahren in Wien veranstalteten Neudrucken) „Die liisternen Alten," eine Art Parodie
auf Susanne und die beiden Greise; ,,Die Neugierigen," wo Christen und Juden als gleich ausschweifend
in ihrer erotischen Neugier gekennzeichnet sind, und „Der Jude, w wo die Liebesbrunst eines gierigen
alten Juden von einem ihn besuchenden schonen Christenmadchen gestillt wird. In dieser letzteren Art
hat Rowlandson noch mehrere Karikaturen auf die Juden gezeichnet. In alien diesen erotischen Blattern
Rowlandsons dominiert so sehr die robuste Freude an der Erotik, die stets die letzte Schranke ubers
springt, dafi man auch in diesem Falle niemals von einer eigentlichen antijiidischen Tendenz sprechen
kann. Die Rowlandsonschen Blatter sind zwar nicht offiziell offentlich erschienen, denn es handelte sich
in alien um die unverhiillte Darstellu'ng des Geschlechtsverkehrs und der Geschlechtsanbetung und um
Fucbs. Die Juden in der Karikatur 38
297
299. Ungarisches antibolschewistisches Plakat von Minno Miltiadcs. 1919
die stirkste Pointierung des Erotischeo, aber sie waren allgemein im Handel und wurden ungestdrt von
den Buchhandlern vcitrieben-
Zu diesem kiihoeo Auftakt der biirgerlichen Karikatur gibt es our in der politischen Karikatur des
Frankreichs der 30er Jabre, rcprasentiert vor allem durch Daumier. ein ebenbiirtiges Seitenstiick. Die
Begriffe der offentlichen Sittlichkeit waren dagegen infolge der veranderten Zustande und Voraussctzungen
andere geworden, und so war die erotische Karikatur in ihren spateren Zwecken und Absichten iiberall
zumeist Phaakenvergniigen. Nichts anderem dienten z. B. die zwei oder drei Berliner erotischen Karika«
turen, in denen die angeblich besonders freien Sitten karikaturistisch dargestellt wurden. die nach der
Meinung der Spiefier in dem Salon der Jiidin Rahe) geherrscht haben sollen. Die charakteristischsten
und zahlreichsten Beispiele fur die Erotik im Dienste der Spiefier und Phaaken sind jedoch die zahl=
reichen erotischen Scherze auf Schnuprtabaksdosen, Pfeifcnkdpfen, in Bierkriigen usw. Da dies in den
weitesten Kreisen des Bierphilistettums ein allbcliebles Erheiterungsmitlel war, so hat sich in diesen
Formen auch der antijiidische Witz auf Schritt und Tiitt fast ein ganzes Jahrhundeit lang breit gemacht,
— genau solange, als der Spicftbiirger die Dominante im offentlichen Leben der verschiedenen Lander
bildete. Auf den Stammkriigen, deren sich die biederen Spiefier bei ihrem Abendschoppen in ihren
Stammkneipen bedienten, bestand der beliebteste erotische Scherz darin, dafi die betreiiende Darstellung
sich nicht au6en am Kruge, sondern innen auf dessen Grund angebracht war, so dafi das Bild immer
erst sichtbar wurde, wenn der Krug leergetrunken war. In einer Stuttgarlcr Kneipe, in der ich Aufang
der neunziger Jahre hin und wieder verkehrte, batten zwei ehrbare „schduegerder" Handwerksmeister
zwei solche Kriige als Stammkriige. Auf dem Boden des einen war eine erotische Karikatur angebracht,
unter der zur Verdeutlichung zu lesen war: „Die Judenhochzeit," auf dem Boden des anderen befand
sich eine gleichartige Karikatur „Der Schabbesbraten." Der erste' der beiden Handwerksmeister wurde
298
vom Wirt stets mit Hannes angeredet. Wenn er nun fragte: „Was ischt Hannes, willscht au no en
Schoppe?" so Uutete die Antwort regelmaBig cntweder: „Noi, i sieh mei Judehochzet no net." oder:
„Komm Jakob (so hieB der Wirt), bring mer no en Schoppe, i sieh jetzt mei Judehochzet.*' In dicser
Weise amiisierte man sieh jahrelang tagaus tagein.
Eine ahnliche „scherzhafte" Form dicser Art war die Anbringung von Judenkarikaturen auf dem
Grunde von — Nachtgeschirren. Auf dem Grunde von Nachtgeschirren obszone Darstellungen anzu<
bringen, ist ein sehr alter Witz. dem man besonders oft im 18. Jahrhundert in England begegnetc. Der
Witt bestand meistens darin, daB ein Manner, oder Fraucngesicht dargestellt war, mit liistetn auf>
geristcnen Augen, und darunter stand — deutsch. englisch oder franzosisch — : „Wcnn du wiiBteit, was
ich sehel" Je nachdem war die Darstellung noch auGcrdem erotisch oder obszSn pointieit. In einer
deutschen Favencesammlung wurden mir zwei derartig ..innendekorieite" Nachtgeschirre gezcigt. in denen
die Juden in crotisch^obszoner Weise lacherlich gemacht wurden. Auf dem e'inen sieht man einen Juden,
iiber den sieh der Inhalt eires Nachttopfes ergieBt, und darunter steht: „Das, Jud, ist f iir dich;" auf dem
andern sieht man eine stark entbloBte junge Jiidin und darunter steht: „Was ich sch', das brauch' ich
jeden Tag."
Am haufigsten begegnete man friiher jedoch derartigen erotischen Judenkarikaturen auf Pfeifenkopfen
und auf Schnupf tabaksdosen. Die Motive sind naheliegend und die iiblichen: .Der ertappte Jude," der vom
heimkehrenden Bauer mit der Bauerin iiberrascht wird, und den der Bauer nun aus dem Bett priigelt;
„Der betrogene Isaac," der den jiidischen Nachbar bei seiner Ehehalfte iiberrascht, und die den ver«
dutzten Gatten trostet, ..der Jakob ist doch einer von unsere Lcut'!". oder „Das verliebte Scliickselche,
das der Welt den Messias schenken mochte." Bei der blofien Karikierung eines mannlichen jiidischen
Gesichtes bestand eine mannigfach verwens
dete erotische Po'inte darin, daB die grofie
Judennase als riesiger Phallus gefoimt war.
In ahnlicher Weise wurden auch die Schnupf:
tabaksdosen geschmiickt. Ich gebe in Bild
89 ein Beispiel einer durch eine deraitige
Judenkarikatur ..verschonten" Schnupftabaks>
dose.
Eine andere groteske Form, deren sieh
der erotische Witz zum Tagesgebrauch des
SpieBers bediente, ist ..Die jiidin als StiefeU
zieher." Es handelt sieh dabei um die be=
kannte. seit altersher iibliche Form des
Stiefelziehers, der friiher, solange die Man=
ner noch meistens Rohr* oder spater Zug»
stiefel trugen, unter jedem Bett stand. Die-
sem n'icht nur aus Holz gefertigten, son<
dem haufig auch aus Eisen gegossenen Stie<
felzieher begegnet man hin und wieder auch
in der Form einer auf dem Riicken liegens
den, die Beine spreizenden Frau; zwischen
die Beine klemmte man den FuB, um sieh
so des Stiefels zu entledigen. Ich fand
einen solchen Stiefelzieher, der insofem
eine plastische antijiidische Karikarur dar>
stellte, als die weibliche Figur eine junge.
sehr liistem aussehende Jiidin darstellte, und
als auf ibrem entbloBten Bauch die Worte
standen: „Ich diene Jud' und Christ."
Ungarisches antibolschewtstisches Plakat
38»
299
Zu den plastischen erotischen Karikaturen des 19. Jahrhunderts auf die Juden gehoren auch
mehrere franzosische und deutsche Spottmiinzen. In relativ kiiristlerischer Form zeigt ein Tranzosischer
Zinkgufi in FUnffrankengrofie auf der einen Seite ein auf einem Bette liegendes, halb entkleidetes, hiibsches
Judenmadchen, auf der anderen Seite einen Judenjiingling, die sich beide selbst befriedigen. Eine zweite
franzosische Spottmunze, ctwas handwerksmafiiger in der Ausfiihrung, die anscheinend in die Kategorie
der sogenannten Bordellmunzen gehort, zeigt auf der einen Seite eine schone Jiidin in einer sehr
pornographischen Stellung, auf der anderen Seite steht die genaue Adresse: Mademoiselle Sarah, Rue X.
An deutschen erotischen Spottmiinzen auf die Juden wurden mir ebenfalls zwei Stuck bekannt. Auf der
einen sieht man ein jiidisches Liebespaar beim Geschlechtsakt; die Ruckseite tragt einen entsprechenden
zynischen Vers als Inschrift, dessen erste Halfte lautet: „Veilchenduft uns sehr entziickt . . ." Auf der
zweiten sieht man zwei Liebespaare beim zartlichsten Liebesspiel, das eine Mai einen Juden mit einer
Christin, das andere Mai einen Christen mit einer Jiidin. Der jeweils im Umkreis angebrachte gereimte
Text erlautert in entsprechend zynischer Weise, um was es sich handelt Bei dem Bild, das den 1 Juden
in den Armen einer Christin zeigt, heifit es: „Der Jude liebt die Christengans;*' die textliche Porno*
graphie besteht in einem darauf passenden Reim. Derartige erotische Spottmiinzen auf die Juden soil
es noch mehrere geben.
Erotische Karikaturen auf die Juden von ausgesprochen antisemitischer Tendenz, die man wenigstens
bis zu einem gewissen Grade als gesellschaftliche Satiren ansprechen kann. gibt es sowohl in Frankreich
als in Deutschland eine ganze Reihe. Die Leibesknechtschaft der weiblichen Theatermitglieder spielt
dabei ein besonders oft wiederkehrendes Motiv. Eine franzosische Karikatur aus den 90er Jahren zeigt
eine junge Theaterdebiitantin im Privatkontor des Direktors einer Theateragentur. Als Beweis, dafi sie
eine gute Theaterfigur zu machen versteht, hat sie in pikanter Stellung auf der Chaiselongue Platz ge«
nommen und ihre Rocke bis zu den Knien emporgerafft. Dem Theatergewaltigen geniigt dies aber noch
lange nicht Er erklart: Plus haut . . . beaucoup plus haut! Noch viel weiter sind die Feststellungen
bereits gediehen, die ein jiidischer Theaterdirektor bei einer ihn in seinem Privatkabinett besuchenden
Soubrette macht. Eine andere franzosische Karikatur, aus der Zeit des Dreyfusprozesses, zeigt eine schone
reiche Jiidin, die einen jungen Husarenleutnant in ihrem Boudoir empfangt und durch ihre sehr negative
Bekleidung und noch deutlicher durch ihr Benehmen dem militarischen Besucher keine Zweifel dariiber
lafit, wie sie die Dienste der Armee zu lohnen gedenkt. Wieder eine andere J udenkarikatur, aus der Zeit
des Panamaskandals, satirisiert den bekannten judischen Parlamentarier Herz, wie er der jungen Frau eines
Deputierten fur ihre eben bewiesene Liebesgefalligkeit einen Scheck uber zehntausend Franken ausstellt.
Aus dieser Zeit stammt auch die geistreiche Karikatur des bekannten franzosischen Karikaturisten A. Griin
(siehe Beilage neben S. 224). An deutschen erotischen Karikaturen ahnlicher Art ist in den neu nziger Jahren
eine ganze Kollektion erschienen, die sich aus zwolf Blattern zusammensetzt. Die Titel der wichtigsten
sind: ..Schabbesfreuden," „Isidor in der Sommerfrische," „Die jiidische Bordellmutter," „In Cohns Private
kontor," „Der jiidische Schwitzmeister,'' „Der jiidische Schmock," „Der Jude als Frauenarzt, : ' ,,Im Sana*
torium," „Die Ballettprobe." „Die Ballettprobe" zeigt einen judischen Inspizienten, dem sich das ganze
Ballett der Reihe nach nackt vorstellen mufi. Die Balletteusen wissen natiirlich, worauf sich die Inspek*
tion beziehen wird und treffen daher bereits im Vorzimmer die notigen Vorbereitungen. „Der jiidische
Schmock ; ' zeigt, „wie sich Schmock Veiteles eine gute Theaterkritik von einer schpnen Schauspielerin
honorieren lafit," namlich durch ihre handgreiflichen Liebkosungen. „Der Jude als Frauenarzt" zeigt einen
judischen Arzt, der seine Begierden an einer narkotisierten Patientin betatigt. „In Cohns Privatkontor"
empfangt der Chef der Firma Cohn eine junge Dame, die sich als Buchhalterin bewirbt; ob sie sich fiir
diesen Posten wirklich eignet, kann er aber erst entscheiden, wenn er noch mehr als den Inhalt ihrer Bluse
kennen gelernt hat. Usw. usw. Solche Karikaturen waren zweifellos fur viele Falle zutreffende Satiren,
aber bei alien diesen Blattern war den Urhebern nicht die Satire die Hauptsache, sondern die rein porno*
graphische Form der Darstellung.
Auch im 19. Jahrhundert wurden die bekannten biblischen Motive mannigfach zu direkt erotischen
Karikaturen auf die Juden ausgedehnt. In rein pornographischer Wdse geschah dies in einer franzosi*
schen Lithographiensefie der 50er Jahre und in einer ahnlichen deutschen Nachahmung aus den 70ei
300
Deutoche<$ Volk!
Wills! du die^cm
Scfyleksal enfrinnen,
50 wafyle
naiional-
demokratod?!
Ml. Antisemitisches Wahlplakat von Max Liebenwein. 1919
jahren unter dem Titel ..Leipziger Mefifreuden." Andererseits boten diese Motive aber auch mehrfach
grofien Kiinstlern den Anreiz zu jiidisch betonten galanten Darstellungen. Ich nenne hier nur zwei Bei*
spiele aus der Geschichte der groften Kunst. Es ist dies das beriihmte Gemalde Bocklins „Susanna und
die beiden Greise," das ausgesprochen jiidisch pointiert ist und in der Susanna eine direkte Karikatur
auf eine ganz bestimmte Dame der Gesellschaft sein sollte (siehe Beilage neben S., 176), und zweitens
die ausgezeichnete Radierung von Messek „Joseph und die Potiphar" (siehe Beilage neben S. 256). Nie*
mand wird bestreiten konnen, daB es sich auch in dieser amusanten Radierung viel mehr um eine satis
rische Betonung des jiidischen Typs handelt, als um eine kiinstlerische Demonstration allgemeiner weib=
licher Sinnengier, wie Rembrandt dieses Thema in seiner schon erwahnten bertihmten gleichnamigen
Radierung behandelt hat. Im Pariser ..Salon des Humoristes" des Jahres 1913 war von. dem Maler
J. Kuhn^Regnier eine ganze Kollektion Aquarelle ausgestellt, die in galant betonter Weise die samtlichen
biblischen Legenden dieser Art in der Form von Judenkarikaturen vorfiihrten. Diese in zahlreichen
Photographien verbreiteten Aquarelle sind jedoch. in keiner Richtung aggressiv, sondern nur humoristisch
gedacht. Ein Oberlander hatte dies freilich besser und auch geistreicher gemacht. Ich gebe hier einige
als Proben: ..Salomon und die Konigin von Saba," „Simson und Delila," „Die keusche Susanne" und
„Ein Fest in den hangenden Garten der Semiramis" (Bild 251—254). Hier sind auch die galanten Juden*
karikaturen der Grafin Martell zu erwahnen, die kiinstlerisch nicht nur auf einer viel hoheren Stufe
stehen, als die im Grunde blutlosen Aquarelle Kuhn=Regniers, sondern die wirklich kiinstlerisch hervor*
ragende Leistungen bedeuten (Bild 260). Ebenso ist hier John Jack Vrieslanders ( ,Salbme" zu erwahnen
(Bild 261). der von dem genialen Beardsley (Bild 256 und 257) leider nur das Schema abgeguckt hat.
Zum SchluB nenne ich Daniel Greiners kraftig derben Holzschnitt „Im Privatkontor" (Bild 262).
.In der erotischen literarischen Satire des 19. Jahrhunderts gibt es keine Erotik grofien Stils, wie ihn
z. B. die englische Karikatur in den Jugendtagen des biirgerlichen Staates produzierte. Ich bin wenigstens
nicht einem einzigen Dokument dieser Art begegnet. Die oben (S. 280) erwahnte antisemitische Literatur
der 30er Jahre, „Das Schabbesgartle" und ahnliches, verhohnt in mitunter sehr witziger Weise Dinge,
wie die Erwartung des Messias durch die Juden, oder die Untreue der Judenweiber usw. Aber die
erotischen Keckheiten dieser vielbelachten satirischen Erzahlungen sind von Satiren grofien Stils sehr weit
entfernt. Auch die kiinstlerisch gestaltete literarische Satire erotischen Charakters auf die Juden ist mir
nirgends begegnet. Um so mehr aber die reine Pornographic Die Pornographie iiberwiegt in der
literarischen Judensatire des 19. Jahrhunderts unbedingt noch mehr als in der graphischen Karikatur.
Unter den Hunderten erotischen Judenwitzen ist der grofiere Teil ausgesprochen pornographisch. Das*
selbe gilt auch von unzahligen antijiidischen Spottversen, Schiittelreimen, Anekdoteh, Wortspielen,
Ratselfragen, Varianten zur „Wirtin an der Lahn" usw, die in bunter Menge, teils gedruckt, teils hand?
schriftlich, zumeist aber mundlich kursieren.
Ich wiederhole womit ich dieses Kapitel eingeleitet habe: der uber?
wiegende Teil der erotischen Judensatiren aller Zeiten, vornehmlich aber
der des 19. Jahrhunderts, verfolgt einen erotischen Selbstzweck, und dieser
Selbstzweck ist der Kultus der jedes feinere Gefuhl verletzenden Zote.
Gegenuber diesem Selbstzweck tritt der eigentliche antisemitische Kampk
charakter sehr stark zuruck. Es ist gewissermafien die Form, in der sich der
personliche Antisemitismus entladet. Angesichts dieser Tatsache gehoren
diese peinlichen Produkte der erotisch irritierten Phantasie zu jenen Doku*
menten, die besonders deutlich die schmutzigen Niederungen erweisen,
durch die der Philistergeist der Zeiten, der immer nur die engsten Horizonte
des Daseins kennt, mit immer gleichem Behagen hindurchstapft.
302
102. Antisemitisches Wahlplakat zur Reichstagswahl. 1920
XI
Die judische Selbstironie
Die Satireauf die Juden hat einen Hauptmitarbeiter, der in einem Buche,
wie dem vorliegenden, nicht ungenannt bleiben darf, — die Juden selbst.
Dieser Mitarbeiter zeichnet sich dadurch aus, dafi aus seinem Geiste unbe*
dingt ein iiberaus grofier Teil dessen, und ein Teil des allerbesten, hervor*
ging, wodurch das Judentum im Laufe der Zeiten und in den verschieden*
303
sten Landern satirisch glossiert wurde. In einem kurzen Satz zusammens
gefafit: die besten Witze auf die Juden stammen zumeist von Juden.
Der Antisemitismus hat fur diese altbekannte Erscheinung eine sehr
einfache Erklarung. Er leitet sie aus der angeblich inneren Haltlosigkeit dc
Juden her, ihrer Oberflachlichkeit im Fiihlen, und vor allem aus ihrer bf
sonderen Charakterlosigkeit, der rein gar nichts heilig sei, — aus diesen
Grunden schreckten sie nicht davor zuriick, sich auf das zynischste vor
aller Welt iiber sich selbst lustig zu machen, ahnlich wie eine Strafiendirne,
die sich ebenfalls vor aller Welt schamlos entblofie. So einfach liegen die
Dinge nun freilich nicht. Die Selbstironie der Juden, die sich in Tausenden
von erstaunlichen Beweisen spiegelt, und die in Heinrich Heine ihren klass
sischsten Vertreter gefunden hat, hat wesentlich tief ere Ursachen. Treitschke
schreibt iiber „die sonderbare, judische Unart der Selbstverhohnung" an
einer Stelle: „Dies Volk ohne Staat, das weithin durch die Welt zerstreut,
Sprache und Sitten anderer Volker annahm, ohne doch sich selber aufzus
geben, lebte in einem ewigen Widerspruche, der, je nachdem man sich stellte,
bald tragisch, bald komisch erschien. Dem behenden judischen Witze konnte
die Lacherlichkeit des Kontrastes morgenlandischer Natur und abendlan*
discher Form nicht entgehen. Seit langem waren die europaischen Jude
deshalb gewohnt, sich selber mit der aufiersten Rucksichtslosigkeit zu ve.
spotten." Dieses so haufignachgeplapperte Zitat bleibt, wie es bei Treitschke
dem die tieferen Zusammenhange der Dinge niemals aufgingen, auch nicht
zu verwundern ist, durchaus an der Oberflache. Es ist vielmehr eine Kon*
statierung der vorhandenen Tatsache als eine Erschliefiung der Urquellen,
aus denen die judische Selbstironie zwangslaufig fliefit. Fritz Engel drin^ 1 :
in seinem Buch iiber die deutsche Stilkunst schon wesentlich tiefer ein, ins
dem.er sagt: „Der Witz ist eine gute Waffe, aber doch mehr eine des
Schwachen als des Starken, mehr des Gedruckten als des Herrschenden.
Daher jenes Oberwuchern des Witzes bei den Juden . . . die Juden schliffen
sich die feine Waffe des Witzes erst, nachdem ihnen die grobere der staats
lichen Macht entwunden war." Aber auch damitistdas Entscheidende noch
nicht ganzlich gesagt, weil die judische Selbstironie, die sich in der Form
des Witzes betatigt, fast gar nicht dem Kampfe gegen die Judengegner dient,
sondern viel haufiger den Verzicht auf einen Kampf darstellt. Nach meiner
Meinung offenbart sich in der judischen Selbstironie die Resignation dessen,
304
fflattftes &€ftost Merlag (kipjio
der nicht kampfen will. Die judische Selbstironie ist als jene Form der
Selbstbefreiung anzusehen , durch die sich der Jude yon dem lastenden
Druck des gesellschaftlichen Erniedrigtseins immer von neuem erlost. Der
Jude geht auf diese Weise dem Kampfe aus dem Wege, er entwaffnet den
Gegner, indem er diesen in geistreicher Weise iibertrumpft, und viel schlagen*
der, als dieser es vermag, beweist: „Ja, ja, du hast schon recht." Es gibt be* .
kanntlich keine feinere und auch keine bessere Form des Eigenschutzes, so*
fern man iiber keine Keule verfugt, mit der man dem Gegner zur gegebenen
Zeit den Schadel einschlagen kann, und insofern diese letztere Methode
dem Wesen des betreffenden Unterdruckten widerspricht. Und beides ist
bei den Juden der Fall. Sie haben seit Jahrtausenden nirgends eine staat*
liche Gewalt in den Handen, und ihrem ihnen ebenfalls bereits vor Jahr*
tausenden angezuchteten Intellektualismus entspricht auch nicht die massive
Beweisfuhrung mit dem Dreschflegel. Dazu gesellte sich die Beweglichkeit
ihres Geistes, die sie zu virtuosen Wort* und Gedankenspielern formlich
pradestinierte. Unter diesen Voraussetzungen muBte sich bei den juden
in den vielen Jahrhunderten ihres standigen Erniedrigtseins die Fahigkeit
und die Lust zur Selbstironisierung — wie das Mimikri eines von beson*
ders viel Feinden umgebenen schwachen Tieres — formlich zu einer spezi*
fisch judischen Geisteseigenschaft entwickeln.
Aber noch ein weiterer Gesichtspunkt mu6 hier erwahnt werden. Wenn
sich in der Selbstironie sehr haufig auch die Resignation gegenuber dem
aktiven Kampf ausdruckt, so ist sie darum dpch nicht ohne weiteres ein
Beweis der Schwache, sondern sehr oft einer des Gegenteils. Die Fahigkeit
und die Lust, iiber sich selbst Witze zu machen, mit eigenem Munde seine
Schwachen vor der Welt zu enthullen, ist ebensosehr AusfluB von be*
grundetem Selbstgefuhl. Der Jude will auf diese Weise seine geistige Ober*
legenheit an den Tag bringen. Der Jude ist namlich auch der geborene
Schauspieler. Der Schauspieler lechzt nach Beifall. Wie die Zuhorer iiber
ihn und seinen Esprit urteilen, das ist ihm die Hauptsache. So ist auch der
Jude. Der Beifall ist vielen das unentbehrliche Lebenselixir. Daher kommt
es'auch, dafi der judische Witz vornehmlich in Wortspielen sich bewegt;
„er spielt buchstablich mit den Worten, wie ein geschickter Akrobat mit
MessernundSchwertern, damitman staune, bewundere und ihm zujauchze."
Um nur einen einzigen derartigen Wortwitz zu zitieren, nenne ich diesen:
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„Was istfiir ein Unterschied zwischen Napoleon I. und Amsel Rothschild?
Napoleon hatte ein tatenreiches Leben hinter sich, Rothschild ein reiches
Tatteleben." Dieser Witz ist in seiner Ironie gewifi harmlos, aber in seiner
Losung geradezu uberwaltigend. DaB man den Urheber bewundere, das
will in einem gewissen Mafie auch die Selbstironie erreichen.
Naturlich ist mit all diesem die judische Selbstironie, diese bedeuts
same geistige Wesenheif der Juden, die sich in ahnlicher Weise sonst bei
keinem anderenVolkefindet, nochlangenicht restlos entschleiert. Mancher
wichtige Gesichtspunkt kommt hierbei noch in Frage, wohl aber diirften
damit einige ihrer wichtigsten und tiefsten Wurzeln aufgedeckt sein. . . .
Es ist eine unausschaltbare Folgerichtigkeit, dafi die judische Selbsts
ironie durch ein allgemeines Verstandnis fur judische Witze auf judischer
Seite erganzt wird. Ein guter Witz auf Kosten der Juden hat nicht nur
besonders oft einen Juden zum Urheber, sondern er hat tatsachlich kein
dankbareres Publikum als die Juden selbst. Ein feines Wort iiber das, was
ein guter judischer Witz sei, druckt dies sehr geistreich aus: „Das Kenns
zeichen eines guten judischen Witzes ist, dafi ihn jeder Jude bereits kennt
und ein Goj nicht versteht." Auch der allgemeine Beifall, den selbst direkt
antisemitische Witze, sofern sie gut sind, bei
alien geistig regsamen Juden finden, und der
damit nicht erklart ist, das man sagt: „die
Juden sind naturgemafi die besten Sachkenner,
sie kennen besser als alle anderen ihre Feh«
ler," ist ebenfalls kein Zeichen von Schwache,
sondern auch viel eher das eines nicht ins
Wanken zu bringenden Selbstbewufitseins.
Unter solchen Ums.tanden ist es scheinbar um so erstaun-
licher, dafi die von Juden und fur Juden herausgegebenen Witzs
blatter — in DeutschLind z, B. „der Schlemiehl," (Bild 4 u.
270) — hinsichtlich ihrer geistigcn und kiinstlerischen Qualitat
durchwegs sehr diirftig sind, und immer schon nach kurzem
Bestand wieder eingtngen. Angesichts der iiberragenden Potenz
der Juden im Ironischen mufite man doch eigentlich das Gegen=
teil annehmen. Aber das ist nur auf den ersten Blick erstaun^
lich. Dieses Manko hat eine absolut ausreichende Erklarung.
Ein gutes Witzblatt setzt eine, wenigstens bis zu einem ge?
wissen Grade, einheitliche Leserwelt voraus. Das Judentum, das
als Leserkreis fur ein jiidisches Witzblatt naturlich in erster Linie
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juiisi m
30t. X.;msch lag seite
eines franzosischen antisemitischen
Pamphlets
39*
307
THEATER AM ZOO
Reklameplakat fur das Theater am Zoo, Berlin
305 Von Julius Kliogtr
in Betracht Icamc, stellt aber heute in seiner Masse so wenig wie das Christentum etwas Einheitkches
dar. Es scheidet sich genau wie dieses in jedem einzelnen land streng und weit nach Standen und Klassen.
Darum aber deckt sich der arme Jude mit seinen Gefiihlen gar nicht mit dem reichen Juden, sondem
■nit dem armen Christen. Genau so ist es beim reichen Juden, dessen Hauptgcfiihle sich mit denen des
reichen Christen decken. Mit anderen Woiten: der arme und der reiche Jude haben beide ihre eigenen,
also ihre getrennten Gertihlswelten. Dazu kommt, daB die auf die Juden ausgedehnte Deklassi'erung
zwar den armen Juden noch vielfach fast zum Paria stempelt, wahrend sie den reichen Juden ganzlich
unberiihrt laBt. Ein Beispiel: Der sozialdemokratische Polizeiprasident von Berlin Schick t den ihm lastigcn
armen Juden aus der GrenadierstraBe im Polizeiwagen nach Zossen ins Konzentrationslager; der sozul-
demokratische Reichsprasident schickt den ihm genehmen reichen Juden Rathenau aus dem Berliner
Westen im Salonwagen nach Wiesbaden zur Schachermachei mit dem christlichen Juden lx>uchcur.
Gegeniiber solchen tiefen Dissonanzcn, auf die ich schon im drilten Kapitcl hingewiesen habe,
schiumpft die alien Juden gemeinsame Gefuhlswelt auf ein derart engbegrenztes Gebiet zusammen, dal?
dieses nicht ausreicht, derart starke und derart viele humoristischssatirische Resonanzen zu erwecken, um
damit die gesamte Judenschaft dauernd und nicht bloB voriibergehend zu fcxcln. Und das ist die uner-
laBliche Voraussetzung fiir ein Witzblatt. wenn man es auf eine literarische und illustrative Hohe heben
will, die den modernen Anspriichen geniigt. —
Die bekanntesten Beispiele der literarischen Selbstironie sind die iiidischen Possen, denen man
jahrzehntelang auf den venchiedenen jiidischen Theatern von Neuyork, Wien, Budapest, Berlin (H<rrn>
feld'Theater) und anderen Orten begegnete. Aber dies sind durchweg sehr grobe Beispiele. Sie ver>
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Reklameplakat fur das Theater am Zoo, Berlin
306* Von Julius Kb'ngrr (uovnoffcntlicht gcblicbca)
folgtcn zumeist nur den Zweck der Geldmacherei mil plumpen Mitteln. t-'einerc Beispide dieser Art
sind die Werke eines Peretz, eines David Pinski und eines Schalom Asch. bei denen sich immer mit dem
tragischen Ernst cine ironische Selbstbespiegelung mischt. Von modernen satirischen Romanen und Er»
zahlungen, die fur die Lust der Juden an der Selbstiromsicrung bezeichnend s'utd. nenne ich neben den
feinen Erzahlungen dcs Schalom Asch das robuste Buch ..Tohuwabohu. Milieuschilderungen aus dem
Judentum" von Sami Gronemann. Das feinste und reichste an jiidischer Selbstironie Kndet sich jedoch
in den zahllosen Judenwitzen, von denen eine Reihe der allerbesten Alexander Moszkowski zusammen>
gestellt hat; noch viel mehr enthalt ..Das Buch der jiidischen Witze," von M. Nuel herausgegeben. Aus
dieser Sammlung zitiere ich einen einzigen. der deutlich erhellt. daft der sich selbst ironuierende Juden>
witz nicht nur im Wortwitz, in Wortspielen besteht, sondcm daB dessen starke Wirkungen vornehmlich auf
der jahen und drolligen Enthiillung der jiidischen Menschenseele beruhen. wie Nuel in seinem Vorwort
sehr richtig sagt: „Der Sohn eines beriihmten deutschen Juristen. der — ein getaufter Jude — eine der
hochsten richterlichen Stellen bekleidct hatte und in den Adelsstand erhoben worden war. verlobte sich
mit der Tochtcr eines Bankiers, der ebenlalls einer — wenn auch auf anderem Gebiete — beriihmten
jiidischen Familie entstammte. Auch er, der Papa der jungen Braut, war christlich geboren, dens schon
sein Vater hatte sicb taufen bssen. Die Brautmutkr ist besonders begliickt iibcr das Ereignis. und sie
sagt zu dem Brautigam: „WeiBt du, so einen Schwiegersohn. wie du bist, gerade so einen habc ich
mir immer gcwiinscht . . ." ,.Und wie sollte der sein?" firagt er lachelnd. „WeiBt du . . . so einen
netten christlichen jungen Mann aus einer bekoweten jiidischen Familie . . ." (bekowet
= ehrenwert).
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Dafi die moderne zeichnerische Satire unter den jiidischen Ktinstlern ganz hervorragende Talente
zahlt, beweisen schon die beiden Namen: Th. Th. Heine und Pascin. Von diesen beiden aber hat der erste
meines Wissens nur vereinzelte Karikaturen auf die Juden gemacht, dagegen gibt es yon Pascin e^ne Reihe
Blatter, in denen speziell das jiidischc Prostituiertentum , der jiidische Bordellhalter, die jiidische Dime,
der jiidische Zuhalter, in ganz diabolischer Weise gekennzeichnet sind. Solche Blatter sind aber kaum
aus einer heimlichen Liebe zum Judentum geboren, aus einem auf dem Wege der Selbstironie ringenden
Drang nach Selbstbefreiung. Sehr wohl aber gilt dies von einer Reihe anderer jiidischer Kunstler: von
dem grofien Russen Chagall, dem Elsasser Alphonse Levy und der Polin Szalit. Jeder Strich dieser
Drei ist von einer grofien und tiefen Liebe zu ihren Stammesgenossen eingegeben. Ihr leiser Spott iiber
die Wesensmerkmale der jiidischen Physiognomie und des iudischen Gebarens, der alien den Blattern
eignet, die sich auf die Juden beziehen, ist Ausdruck verliebter Zartlichkeit, ist im letzten Grunde Lieb?
kosung (Bild 267—272). Das gill vor allem von den zahlreichen satirischen Litographien der Polin Rahel
Szalit, von denen ich hier zwei ganz ausgezeichnete Beispiele wiedergebe: „Die jiidische Agentin" und
,Dic Amerikafahrer" (Bild 271 u. 272).
„Die Sonne der Juden geht im Westen auf" steht unter dem Blatt „Die
Amerikafahrer." In Amerika hofFen sie eine Heimat und die Erlosung aus
der sie niederdruckenden Lebensqual zu finden, — so war es gestern. Die
geschichtliche Entwicklung hat die Dinge richtiggestellt: die Sonne der Juden
geht nicht in Amerika auf, sie geht auch nicht in Palastina auf. Die Sonne
geht im Osten auf. Und nicht nur fur die Juden.
Der Judenfresser
' -W 1*
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307. Franzosische Karikatur von C. Leandre auf den getauften Juden und Antisemitenfiihrer
Eduard Drumont
Von Eduard Fuchs sind im Verlag von Albert Langen, Miinchen
erschienen:
Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Drei Hauptbande und drei Erganzungsbande
Die Frau in der Karikatur
Zur Zeit vergriffen!
Die Geschichte der erotischen Kunst
Die Karikatur der europaischen Volker
Erster Band: Vom Altertum bis zum Jahre 1848
Zweiter Band: Vom Jahre 1848 bis zum Vorabend des Weltkrieges
*
Der Weltkrieg in der Karikatur
Erster Band: Bis zum Vorabend des Weltkrieges
Der zweite Band erscheint spater
Die Juden in der Karikatur
*
Eduard Fuchs und Alfred Kind
Die Weiberherrschaft in der Geschichte der Menschheit
Zwei Bande. Zur Zeit vergriffen!
*
Honore Daumier
Herausgegeben und mit umfangreichen Einleitungen versehen von Eduard Fuchs
Erster Band: Holzschnitte. Zweiter bis vierter Band: Lithographien
Prospekte uber die Werke von Eduard Fuchs auf Verlangen vom Verlag
Druclc von Hesse & Becker, Leipzig